Vorwort

Braucht es das? Einen Mann, noch dazu cis, weiß, alt (Entschuldigung!), der über Männlichkeit und Mannsein schreibt – und, herrje, über sich selbst? Als Frau und als Journalistin, deren Themen Sexismus und Feminismus sind, bin ich geneigt zu sagen: Nein. Denn Männer sind schon überall. Sie sind sind Abgeordnete im Bundestag (Männeranteil im vierten Kabinett Merkel: 68,6 Prozent), in den Vorständen der DAX-Konzerne (Männeranteil: 83,4 Prozent). Sie sind Chefredakteure deutscher Regionalzeitungen (Männeranteil: 95 Prozent) und dominant vertreten in den Kommentarspalten von Onlinemedien, wo sie einem gerne vorwerfen, nicht gründlich recherchiert zu haben (aber trotzdem ganz nett anzusehen zu sein). Nicht mal mehr unter Feministinnen hat man noch Ruhe vor ihnen. In Berlin, wo ich lebe, vergeht kein Barabend mehr, ohne dass einem irgendwann ein Mann gegenübersitzt, der einem in einem beeindruckenden Monolog die eigene kritische Männlichkeit zu demonstrieren versucht. Er mansplaint dann mit einem Gin Tonic in der Hand das Patriarchat und den Feminismus gleich mit, als hätte es ihn und seine Auseinandersetzung gebraucht, um all die komplizierten Fäden endlich zu einem stimmigen Ganzen zusammenzufügen.

Ich kann sehr gut nachvollziehen, warum daraus bei vielen Frauen der Impuls erwächst zu sagen: Haltet doch einfach mal kurz die Klappe, liebe Männer. Es geht, endlich – nach wie vielen Tausend Jahren Patriarchat? – nicht um euch. Sondern um unsere Erfahrungen, die Wunden, die ihr uns Frauen zugefügt habt, uns und unseren Müttern, Großmüttern, Töchtern, Schwestern. Ihnen sollte nun für eine Weile der begrenzte Platz in der Öffentlichkeit, auf Theaterbühnen, in Kinofilmen und auf Zeitungsseiten gehören. Die Frage, wer gehört und gesehen wird, wem Empathie entgegengebracht wird, wer es in den gesellschaftlichen Diskurs schafft, ist auch eine der Ressourcen. Einer bekommt Geld und Aufmerksamkeit, um seine Geschichte zu erzählen, ein anderer (meistens immer noch: eine andere) nicht – so einfach ist das und so hart. Der Verlag hätte den Vertrag für dieses Buch auch einer jungen Frau geben können, die etwa über ihre Gewalterfahrungen mit Männern hätte schreiben können. Manche Feministinnen würden so weit gehen zu sagen: Selbst wenn die Frau über ihre Hausschuhe oder ihre Liebe zu den perfekt kross gebratenen Bratkartoffeln ihrer Oma geschrieben hätte, wäre das immer noch besser, als schon wieder einem alten, weißen Mann eine Bühne zu bieten.

Es ist wichtig, sich dieser realen Verteilungskämpfe bewusst zu sein, besonders als Mensch, der Ressourcen zu vergeben hat. Und dennoch ist es wichtig, im Diskurs um toxische Männlichkeit auch Männer zu Wort kommen zu lassen. Weil es bei der gewaltigen Arbeit, die wir auf dem Weg in eine geschlechtergerechtere Welt noch zu leisten haben, auch und vor allem auf sie ankommt. Es braucht ihre Auseinandersetzung mit sich selbst und der Art und Weise, wie sie möglicherweise zu dem Männerproblem unserer Gesellschaft beitragen.

Wie Josef Aldenhoff bin ich überzeugt davon, dass dieses Problem nicht naturgegeben ist, also etwa mit dem Y-Chromosom oder mit tiefen Stimmen, Penissen oder Brustbehaarung zu erklären ist. Sondern mit männlicher Erziehung und Sozialisation, mit bestimmten, über Jahrhunderte geprägten Vorstellungen davon, wie ein Mann zu sein und sich zu verhalten hat. Als Psychiater und Psychotherapeut richtet Aldenhoff seinen Blick nicht nur auf die gesellschaftliche Umgebung, in der Männer zu dem werden, was sie sind, sondern auch auf ihre Seele: das Kind, das jeder Mensch, auch jeder Mann, einmal war, ein Kind mit Bedürfnissen nach Nähe und Liebe, ein von sich aus gutes Wesen mit einem elementaren Drang nach Kontakt zu anderen. Diese psychologische Perspektive ist wichtig und wertvoll. Für männergeplagte Frauen, um sich einen menschlichen, auch empathischen Blick auf »die Männer« zu bewahren. Und letztlich für alle, um zu verstehen, wo im Leben von Männern möglicherweise etwas schiefgelaufen ist, wenn sie später gewalttätig, unterdrückend oder auch »nur« furchtbar selbstherrlich werden.

Jeder Mann war mal ein Junge, hinter dieser fast banalen Erkenntnis verbergen sich zwei Aufträge: Wir müssen darauf achten, wie wir Jungs erziehen. Vermitteln wir ihnen Durchsetzungsfähigkeit, Stärke (»Indianerherz kennt keinen Schmerz«), sagen wir ihnen ständig, sie seien »wild«, ein »Racker« oder ein »kleiner Mann«? Oder bringen wir ihnen Empathiefähigkeit, Kooperation mit anderen, auch: Schwäche, bei? Und nicht zuletzt ist diese psychologische Perspektive auch ein Auftrag an erwachsene Männer, sich zu fragen: Was für ein Mann bin ich eigentlich? Wie bin ich so geworden, wie ich bin? Wer hat mir welche Glaubenssätze beigebracht? Und wann habe ich dadurch vielleicht schon einmal Menschen verletzt? Eine kritische Reflexion darüber darf nicht nur im Privaten, im Stillen stattfinden, sondern gehört auch auf öffentliche Bühnen. Damit mehr Männer sich solche Fragen stellen.

Das Ziel ist ja letztlich ein freundlicheres, sichereres Miteinander von allen Menschen, so hippiesk und utopisch das klingen mag. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir so viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter wie möglich: Cis-Männer, alte Männer, junge, schwule, Schwarze Männer, tiefreligiöse ebenso wie atheistische, gebildete ebenso wie ungebildete. Probleme wie Sexismus und Gewalt gegen Frauen sind schlicht zu wichtig, um sie nur von denen bearbeiten zu lassen, die unter ihnen leiden. Wir können es uns nicht leisten, Männer aus dem Kampf gegen Sexismus und für Gleichstellung auszuschließen. Ebenso wenig, wie wir es uns leisten können, Neonazismus nur von Opfern rechtsradikaler Gewalt bekämpfen oder nur queere Menschen gegen homophobe Gesetzeslagen demonstrieren zu lassen.

Nach wie vor bin ich schockiert darüber, wie wenige Männer feministische Texte lesen, sich etwa mit den Schriften von Simone de Beauvoir, Rebecca Solnit, bell hooks, Margarete Stokowski oder Siri Hustvedt auseinandersetzen. Ich würde mir wünschen, dass dieses Buch für die Leser eine Brücke ist, um sich weiter in das Thema einzuarbeiten. Es braucht Männer, die nicht bloß ein vorgegaukeltes Interesse an feministischen Diskursen haben, sondern die ihre eigene Rolle erkennen und hinterfragen wollen. Vor allem aber braucht es: Männer, mit denen Frauen ernsthaft reden können und die einem aufrichtig zuhören. Und so ein Mann, das weiß ich aus vielen persönlichen Gesprächen, ist Josef Aldenhoff. Ich bin nicht mit allem einverstanden, was in diesem Buch steht. Zu einzelnen Themen habe ich eine ander Meinung. Das alles werde ich mit ihm bei Gelegenheit diskutieren, in dem Wissen, dass er nicht wie viele andere Männer, die man auf ihre Privilegien anspricht, defensiv und emotional reagieren wird, sondern offen und seinerseits kritisch. Hoffentlich regt Sie, liebe Leserinnen und Leser, die Lektüre ebenfalls zum Nachdenken und Diskutieren an.

Carla Baum (ZEITmagazin ONLINE), August 2021