Die nächsten beiden Ereignisse kamen wie gerufen, als hätten es die Götter so beschlossen. Styges beklagte sich über die Preise, und das in Gegenwart von sechzig Männern, die mir noch ihren Lohn schuldeten, und die Arbeit im Schuppen kam zum Erliegen. Viele Blicke wanderten zu mir. Ich werde das nicht überbewerten. Styges hatte ja nicht ganz unrecht, und es ging vorüber, aber ich hatte mir seinen Kommentar gemerkt. Später hielt ich auf der Agora Myron und Hermogenes an, und so führten wir aus dem Stegreif eine Diskussion.

«Die meisten Athener sind nach Attika zurückgekehrt», sagte Myron nachdenklich.

Ich sah ihn an. «Denkst du, wir könnten nach Platäa zurückkehren?», wollte ich wissen.

Myron schüttelte den Kopf. «Nein, aber ich denke, wir haben uns das Recht verdient, uns in einigen verlassenen Dörfern in Attika niederzulassen, wenn auch nur für die Dauer des Krieges.»

Hermogenes nickte. «Wir werden auch in einem Jahr noch keine Polis sein», meinte er. «Eher Leibeigene. Oder deine Ruderer, Arimnestos.» Er machte sogleich eine beschwichtigende Geste. «Nimm’s mir nicht übel, aber wir sind nun mal keine Leibeigenen. Wir sind Männer Böotiens.»

Ich war versucht, in Wut zu geraten, aber in Wirklichkeit begriff ich die tiefere Wahrheit seiner Behauptung. Ein Jahr noch, und wir liefen Gefahr, all das einzubüßen, was uns als Platäer ausmachte. Die Kosten waren unerhört. Es war nicht der «Fehler» der Menschen aus Hermione. Sie hatten uns den Winter über durchgefüttert. Die Vorräte waren knapp.

Auf der Agora gab es Gerüchte, dass die Spartaner eine Gesandtschaft zu Mardonios schicken würden. Angeblich hatten sie eine Weissagung in Delphi erhalten, und daher sollten die Gesandten Mardonios ersuchen, Wiedergutmachung für den Tod von Leonidas zu leisten.

Mag sein. Aber in jenem Frühling hing alles am seidenen Faden. Wahrheit und Vertrauen waren so rar wie Getreide. Und ich hatte nichts von dem Getreide, das wir erobert hatten, mit nach Hermione gebracht. Die Leute sahen mich so sonderbar an. Wenn es stimmte, dass sich Theben des Medismos schuldig gemacht hatte, dann warf man mir bestimmt vor, Attika zuzuneigen. Hinter vorgehaltener Hand munkelte mancher gewiss, ich habe den Athenern geholfen, obwohl ich doch eher meinen Gefährten aus Platäa unter die Arme hätte greifen müssen. Aber Freunde, auf der anderen Seite ist es wichtig, dass man als Anführer nicht vergisst, dass die Leute sich eben gern beklagen.

Übrigens gab Myron nicht viel auf das Gerede über das Getreide. Er wusste so gut wie ich, dass es im Grunde um Athen ging, dass wir besiegt wären, wenn Athen fiele, und dass Platäa früher oder später frei sein werde, wenn Athen aushielt.

Aber es war an jenem Tag, als ich sehr nachdenklich von der Agora zurückkehrte, dass ich Briseis am Webrahmen vorfand. Sittonax hatte es sich auf einer Kline bequem gemacht, und der junge Perikles sah meine Frau bewundernd an, während sein Busenfreund Anaxagoras, ein Ionier, laut einen Text von einer Schriftrolle vorlas. Etwas von Heraklit, so viel stand fest.

Perikles sprang von seinem Platz, als ich eintrat, und griff nach seinem Heroldsstab. Er stammte nämlich aus einer Familie, die viele Herolde hervorgebracht hatte.

Perikles nahm indes die Pose eines klassischen Redners ein.

«Jocasta, die Hohepriesterin Athens, lädt Briseis, die Priesterin der Aphrodite, zum Fest der Athene nach Athen ein», trug er schwülstig vor. Fast beiläufig fügte er leiser hinzu: «Fremde Priesterinnen dürfen bisweilen an der Prozession teilnehmen, und das wird meistens als große Ehre betrachtet.»

Einen Moment lang dachte ich, Briseis könnte sich zu der Bemerkung hinreißen lassen, man könne nach wie vor den Rauch der Plünderung Athens wahrnehmen. Ja, ich befürchtete schon, sie könnte dem jungen Herold mit den großen Ohren in Erinnerung rufen, dass Athen, verglichen mit Ephesos, eine Ansammlung von Schweinekoben am Fuße einer steilen Anhöhe sei.

Aber nein, Briseis hatte ein strahlendes Lächeln aufgesetzt. «Gewiss, du musstest warten, bis mein Gemahl zugegen war», sagte sie. Dieser Bemerkung haftete ein bestimmter Tonfall an, als mache Briseis sich über das Gehabe des jungen Perikles lustig.

Doch der Athener zuckte nur mit den Schultern. «Ich gehe davon aus, dass sowohl Aristeides als auch Themistokles möchten, dass Euer Gemahl erscheint, und dies war die vereinbarte Formulierung.»

«Womit du sagen möchtest, dass ihr mich überhaupt nicht braucht?», gab Briseis ziemlich scharf zurück.

Perikles sah den Abgrund, der sich zu seinen Füßen auftat, und beeilte sich zurückzurudern. «Despoina, ich versichere Euch, dass die Hohepriesterin Athens Euch mit allen Ehren erwartet, und nur deshalb wurde ich entsandt.» Er hatte wieder in den Tonfall des Herolds zurückgefunden.

Briseis wirkte ein wenig verstimmt. Ich sah, wie ihre Nasenflügel flatterten. Sittonax grinste. Anaxagoras ließ ein herablassendes Lächeln erkennen. Er war Ionier, und er hätte sich sofort auf Briseis’ Seite geschlagen, wenn es bei einem Wortwechsel um die

Nun, ich habe über die Jahre festgestellt, dass es einige Männer nicht gutheißen, wenn ein Mann von einer Frau zurechtgewiesen wird, und ich war ein wenig enttäuscht, dass Myron zu diesen Männern gehörte, aber so war es nun mal.

Doch Briseis war noch nicht fertig. «Vielleicht», sagte sie ruhig, «werde ich zum Fest in Athen erscheinen, während mein Gemahl hierbleibt, sich um die Schiffe kümmert und alles für das Treffen der Bündnispartner vorbereitet.»

Perikles erbleichte.

Ja, sie liebte es, anderen Leuten auf diese Weise zuzusetzen. Ich war damit groß geworden, und tatsächlich glaube ich, dass sie sich diese Art bei ihrem Vater Hipponax und von Heraklit abgeschaut hat. Denn unser alter Lehrmeister machte das auch und zwang die Schüler dadurch, Stellung zu beziehen.

Ich spürte, wie Myron mich anfunkelte. Doch ich lächelte. Es ist wirklich gut, wenn man ein Held ist. Denn dann muss man nicht ständig antworten. Man ist der eigenen Frau keine Antwort schuldig, auch nicht den eigenen Befehlshabern.

«Die Hohepriesterin …», hob Perikles an. Der Junge hatte einen wachen Verstand, aber Briseis hatte ihn längst überrumpelt. So stand er da und setzte ein paarmal an, etwas zu sagen, aber er bewegte nur die Lippen und öffnete den Mund wie ein großer Fisch an Land.

«Wein, Aten», sagte ich im Befehlston. Dann nahm ich bei Anaxagoras Platz. «Perikles, leg doch bitte den Stab beiseite und sprich zu uns wie ein Athener. Briseis hat recht, ich habe hier eine Menge zu tun. Und ich warte tatsächlich darauf, dass das Bündnis zusammentritt. Übrigens auch Myron. Wenn ich offen sprechen darf, so komme ich gerade aus Athen.» Ich bedeutete Myron, auf der anderen freien Kline Platz zu nehmen.

Derweil lehnte Perikles seinen Stab sorgsam gegen einen ehernen Ständer für Öllampen und schien sich zu entspannen.

Schließlich war es Anaxagoras, der das Wort ergriff. «Die Lakedaimonier haben eine Gesandtschaft zu Mardonios geschickt», sagte er.

Unser Archon nickte, auch Briseis.

«Das wissen wir», sagte ich.

Perikles schaute aus dem Fenster, vermutlich auf den Feigenbaum, als wäre er gar nicht anwesend.

Plötzlich, dank meiner neu entdeckten Gabe des Beobachtens, erkannte ich, dass Anaxagoras direkt mit Briseis kommunizierte.

Im Leben greift ein Rad ins andere, wie wir wissen, und in diesem Moment musste ich mit ansehen, dass es in der griechischen Politik nicht mehr länger zwei Parteien gab. Wir alle hatten uns an die Aufteilung Sparta und Athen gewöhnt.

Jetzt hatten wir es obendrein mit Ioniern zu tun, in Gestalt von Briseis und Anaxagoras und einem Dutzend anderer. Fast könnte man sagen, dass sie fortan mit am Verhandlungstisch saßen.

«Wir sind der Auffassung, die Spartaner bieten an, Athen dürfe zerstört werden», sprach er. «Wieder einmal.»

Mag sein, dass ich interessiert eine Braue hochzog. «So?», fragte ich.

Perikles meldete sich zu Wort. «Ihr habt die Akropolis gesehen. Aber die meisten der besseren Gebäude sind weitestgehend unversehrt. Wir haben weite Bereiche der Stadt an den Hängen wiederaufgebaut. Piräus und Phaleron sind ebenfalls weitestgehend intakt. So auch Sounion.»

Ich schaute von einem zum anderen. «Was willst du damit sagen?»

«Aristeides und Themistokles scharen ihre Verbündeten um sich», sagte Anaxagoras. «Zu diesen Verbündeten zählen nunmehr ein paar ionische Städte. Die Leute bezeichnen Euch inzwischen als den Retter von Poteidaia, Herr Arimnestos. Delos ist wieder frei. Auch Naxos.»

Briseis schien ein Stück gewachsen zu sein.

Ich merkte, dass ich offenbar ziemlich verstimmt und angespannt dreinblickte, und verscheuchte diesen Blick mit einem gelassenen Gesichtsausdruck.

Myron suchte meinen Blick. «Athen kann nicht allein kämpfen», stellte er nüchtern fest. «Auch nicht mit einem Pöbel Ionier an seiner Seite.»

Ich kam zu dem Schluss, dass dies nicht der Moment für ein vernünftiges Gespräch war. Zwar schwirrten mir ein paar Gedanken durch den Kopf, aber mein Andron war nicht der Ort, um diese Gedanken in Worte zu kleiden.

Ich sah Briseis an. Sie hatte den Mund leicht geöffnet und war kurz davor, etwas zu sagen. Doch sie hielt sich zurück. Unsere Blicke begegneten sich.

Mag sein, dass dies ein passender Moment gewesen wäre, um öffentlich die gegensätzlichen Ansichten zum Schicksal Ioniens kundzutun. Stattdessen legte Briseis ihr Weberschiffchen aus Knochen sorgsam auf einen Schemel zu ihren Füßen und griff zu einer Nadel, an der ihre Dienerin Aspasia bereits den Faden eingefädelt hatte, und begann, feine Verzierungen an einem Stoff vorzunehmen.

So saß sie äußerst konzentriert halb über die Handarbeit gebeugt und sagte schließlich: «Natürlich ist es an Arimnestos zu entscheiden, ob wir uns auf den Weg machen, Perikles.» Diese Worte kamen ihr so leicht über die Lippen, dass niemand je geahnt hätte, wie viel Überwindung sie das kostete.

Myron erhob sich. «Ich bin nicht eingeladen, wie ich sehe», spie er. Dann sah er mich an. Auch er war kurz davor, Dinge auszusprechen, die man vielleicht besser für sich behielt.

«Nicht mein Fehler», sagte ich leise. «Komm doch einfach mit. Es ist Krieg, Myron, kein Wettstreit, wer der Beliebteste ist.»

Briseis bedachte den Archon mit einem Lächeln. «Sie laden mich nur ein, um es zu überspielen, Archon. Sie wollen nicht, dass es die Spartaner erfahren. Bitte fühlt Euch nicht beleidigt.»

Vielleicht trafen ihre Worte ins Ziel, weil Myron sie nicht mochte. Myron war kein schlechter Mensch, auch kein Schwätzer. Er atmete hörbar aus.

«Komm einfach mit», sagte ich.

Perikles schaute wieder wie abwesend aus dem Fenster.

Zum Glück ergriff erneut Anaxagoras das Wort. «Natürlich sollte sich der Archon auch auf den Weg machen. Perikles glaubt, er könne das nicht aussprechen, aber ich kann es. Dies ist die wahre Versammlung des Bundes, meine Herren. Und Xanthippos gedenkt, die Flotte bei Ägina zu versammeln.»

«Wird auch die Priesterin von Ägina dem Fest der Athene beiwohnen?», erkundigte sich Briseis.

Perikles lächelte. «Aber gewiss!», sagte er. «Soweit man sich erinnern kann, zum ersten Mal.»

Anaxagoras hatte ein schiefes Lächeln aufgesetzt.

Myron gab seinen Unmut allmählich auf. Sein Blick ging zu mir. «Ägina und Athen machen gemeinsame Sache?»

«Mag sein, dass uns noch der Himmel auf den Kopf fällt», sagte ich zustimmend.

 

Wie dem auch sei, wir trugen dazu bei, dass sich das Haus nach und nach füllte. Unsere Gastgeberin war anmutig, effizient, gastfreundlich und erbaulich. Ich setzte mich zu ihr an den Webrahmen und hielt ihr die Wolle, wie ich es oft getan hatte – in einem griechischen Haus ist das für einen verheirateten Mann und eine verheiratete Frau im Grunde die einzige Möglichkeit, sich ungestört zu unterhalten.

Briseis lachte, aber sie wirkte unruhiger als sonst. «Oh, mir hält er nie die Wolle», sagte sie.

Jocasta lachte. «Ich kann mir vorstellen, dass er auf andere Weise mit Euch kommuniziert», meinte sie und machte sich wieder daran, die Wolle aufzuwickeln.

Briseis bedachte mich mit einem eigenartigen Blick. «Ich komme mir hier vor wie die Verkörperung der Aphrodite», sagte sie zu Jocasta gewandt, aber es war nur halb belustigt gemeint. «Und stelle fest, dass ich mit einem Mann verheiratet bin, der

Jocasta bedachte meine Frau daraufhin mit einem verschmitzten Blick, den meine Mutter mir oft zugeworfen hatte. «Wirklich, Briseis», sprach sie. «Ich tändele doch nicht. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Gorgo so etwas tut.» Sie ließ einen Laut folgen, den vielleicht nur die wahren Aristokraten beherrschen – ein kurzer Atemzug, mit dem man seinen Unmut kundtut.

Ich hatte eigentlich noch nie erlebt, dass Briseis bei einem Wortwechsel den Kürzeren zog. Sie sah geradezu – gescholten aus. Das hätte ich nicht für möglich gehalten. Aber da ich über die neu entdeckte Fähigkeit des genauen Beobachtens verfügte, entging mir nicht, dass meine Frau unsere Gastgeberin in Wahrheit bewunderte und ihre Worte als Kritik auffasste.

Das Leben von Frauen kann genauso kompliziert sein wie das von Männern. Aber das wird wohl kaum jemanden überraschen.

Es war am dritten oder vierten Tag innerhalb der Trümmer Athens. Die Versammlung fand sich auf dem Pnyx ein, dem natürlichen Amphitheater auf dem Nachbarhügel der Akropolis. Da diese Stätte naturbelassen ist und der Fels nur rund um die Bema – die erhöhte Steintribüne – ein wenig behauen wurde, hatte Mardonios diesen Ort nicht zerstören können. Und das, wie Aristeides es am selben Morgen in einer brillanten und sehr un-aristokratischen Ansprache zum Ausdruck gebracht hatte, sage eine Menge über die Wurzeln der Demokratie aus.

Ich verfolgte heimlich, wie Briseis versuchte, sich mit Jocasta anzufreunden, sich aber gleichzeitig bemühte, unsere Gastgeberin zu verstehen. Als Vorsteherinnen zweier Haushalte hatten sie den Winter gemeinsam in einer kleinen Stadt verbracht. Aber jetzt, da wir in Athen weilten, begegnete Briseis der wahren Macht der Athener und somit auch Jocastas Machtfülle.

Nichts ist einfach im Leben.

Aber in jenem Frühjahr, als die Blumen erblühten, hatten die Frauen eine Menge zu sagen, und die Männer hörten zu. Es ist eine Sache, wenn man vorhat, das Haus eines anderen zu erobern. Aber wenn man den letzten Verteidigungsgraben für das eigene Haus entwirft, dann wird deine Ehefrau womöglich einiges dazu beitragen.

Am vierten Tag nahmen wir an der Versammlung teil, und auf mein Drängen hin – vergessen wir nicht, dass Hipponax und ich Bürger Athens waren, übrigens auch Myron – wurden den Platäern vier kleine Siedlungen im Demos Acherdos zugesprochen, in Richtung Eleusis. Dort sollten die Platäer leben, bis der Großkönig besiegt und Platäa wiederaufgebaut wäre. Dieser Siedlungsraum lag unweit des Einflussgebietes von Megara, und natürlich lag der Entscheidung, die Platäer genau dort anzusiedeln, politisches Kalkül zugrunde. Denn die Platäer konnten dieses Territorium verteidigen. Aber ich möchte gleich betonen, dass die Menschen von Megara uns gastfreundlich behandelten. Ich besitze übrigens immer noch ein Haus dort, wie die meisten aus Platäa. Alles in allem war das sehr großzügig von Athen, gleichzeitig spiegelte diese Entscheidung aber in erster Linie die Politik jener Tage wider.

Hipponax segelte noch am selben Nachmittag mit der Lydia

Aber an unserem fünften Tag in Athen traf der König von Makedonia ein.

Dazu möchte ich zunächst anmerken, dass Makedonia eine eigenartige Gegend ist. Seltsamerweise war ich bis vor kurzem dort gewesen, denn manche zählen Poteidaia zum Siedlungsraum von Makedonia. Aber die Makedonier waren seit nunmehr zwei Generationen unter die persische Oberhoheit geraten. Alexander gab Erde und Wasser als Zeichen der Unterwerfung, kaum dass er dazu aufgefordert wurde, und bei jedem Feldzug, an dem ich teilgenommen hatte, hatte er Reitereinheiten gegen uns ins Feld geführt. Gleichzeitig betrachteten die meisten von uns ebenjenen Alexander als Griechen. Er sprach Griechisch, er trank Wein wie ein hoher Herr und kleidete sich wie ein zivilisierter Mann. Die Makedonier waren außerdem anders als die Thebaner. Niemand hielt ihnen vor, den Medern den Rücken zu stärken, weil man der Ansicht war, dass den Makedoniern keine andere Wahl geblieben war. Sie waren gleichsam eingepfercht zwischen den Geten und anderen Thrakern, und dann fegte Mardonios über sie hinweg, in jenem Jahr, als Tisikrates von Kroton bei den Spielen von Olympia den Lauf über die Distanz eines Stadions gewann.

Der König von Makedonia sah aus wie ein sehr wohlhabender athenischer Reiterkommandant, also überhaupt nicht wie ein Tyrann, der sich des Medismos schuldig gemacht hatte. Mag

Ich war dabei, als der König in der Stadt eintraf, denn Aristeides nahm mich und Hipponax mit, weil er uns bei dem Empfangskomitee dabeihaben wollte. Wir ritten auf Pferden, und tatsächlich konnte sich Hipponax so schlecht auf dem Rücken seines Reittiers halten, dass er mich fast wie einen erfahrenen Reiter aussehen ließ. Ich wünschte, Hektor wäre an meiner Seite gewesen, aber wir hatten zwei Tage Zeit, uns an das Reiten zu gewöhnen, und als der König von Makedonia und zweihundert seiner Hippeis über den Pass in die Ebene ritten, war es für Aristeides nicht mehr peinlich, mich und Hipponax an seiner Seite zu wissen. Wir empfingen die Gesandtschaft unweit von Marathon und eskortierten den König samt Gefolge durch Attika.

Mir entging nicht, dass er an dem Prozess des Wiederaufbaus interessiert war. Er blieb sehr zurückhaltend, was ihn noch würdevoller erscheinen ließ.

Alexander war bei Xanthippos und Agariste zu Gast, und wir nahmen gemeinsam eine Mahlzeit ein, auf Ruhebänken. Der König gab nichts als Plattitüden von sich. Aber ich erinnere mich an den Moment, als er einen großen Schluck Wein nahm und dann ruckartig aufschaute.

«Aber das ist doch Wein aus Sizilien, richtig?», erkundigte er sich erstaunt.

Aristeides lächelte verhalten. «Gewiss, das stimmt.»

«Ihr hattet Schiffe aus – Sizilien hier?», fragte er, und da glaubte ich, diesen Mann besser einschätzen zu können. Er war nämlich

«Ja, gleich mehrmals», sagte ich. «Gelon von Sizilien ist mein Gastfreund.» Eitle Prahlerei, wenn ihr so wollt, und doch entsprach es so ziemlich der Wahrheit.

Unser Gast sah mich an. «Ich kann mich nicht entsinnen, Euch begegnet zu sein, Herr», sprach er. Und bei Zeus, damit hatte ich seine volle Aufmerksamkeit.

Aristeides teilte sich eine Kline mit mir und deutete auf mich. «Arimnestos der Platäer», stellte er mich vor.

Alexander nickte. «Ah», machte er. «Der bekannte Söldner.»

Mit dieser Wortwahl wertete er mich und meine Stellung ziemlich herab.

Aber Aristeides hatte mein linkes Handgelenk umklammert und drückte fest zu. Er war Politiker, aber eben auch ein edler Kämpfer und körperlich sehr auf der Höhe, und seine Geste, die mir ein klares NEIN signalisierte, genügte mir. Zumal ich ja so viel reifer geworden war.

Ich ließ mich zu einem Lachen herab. «Wenn ich ein Söldner bin», meinte ich spöttisch, «dann nehme ich an, dass ich für den Großkönig kämpfe.»

Viele der Anwesenden wandten sich mir zu, Köpfe drehten sich in meine Richtung.

Der König von Makedonia runzelte die Stirn. «Ich verstehe nicht recht», sagte er.

«Nun, für gewöhnlich sind es die Schiffe des Großkönigs oder die Schiffe seiner Verbündeten, die mich bezahlen», sagte ich. «Mir ist bewusst, dass das Griechische eine schwere Sprache sein kann, mein Herr. Ihr sagtet Söldner, aber gewiss wolltet Ihr Pirat sagen.»

Meine Anspielung, sein Griechisch lasse womöglich zu wünschen übrig, verletzte ihn. «Ich kenne den Unterschied zwischen

Kimon lachte. «Offensichtlich nicht!», sagte er, und alle Athener lachten.

Sogar Kleitos.

Alexander errötete.

Ich besah ihn mir näher und war mir ziemlich sicher, dass ich ihn demütigen könnte. Schließlich saß er allein unter Athenern und Platäern, und keiner von uns befand es für nötig, dem König das Gefühl zu geben, er könne sich behaglich zurücklehnen. Denn er verkörperte in jeder Hinsicht den Feind.

Später am Abend, als Jocasta, Agariste und Briseis den Gast kennenlernen wollten, stellten wir ihm unsere Frauen vor. Mir entging nicht, dass Alexander mehrfach ansetzte, den wunderschönen ionischen Chiton meiner Frau auf Brusthöhe zu taxieren. Ich kannte viele Männer, die versuchten, einen Blick auf Briseis’ Brüste zu erhaschen, auch auf andere ihrer Rundungen, aber keiner tat das derart stümperhaft-auffällig.

Nein, ich mochte diesen Mann wahrlich nicht.

Wie dem auch sei, am nächsten Tag versammelten wir uns alle auf dem Pnyx. Es war nicht die Volksversammlung einberufen worden, nur die weiter gefasste Bule oder der «Rat der Fünfhundert», überwiegend bestehend aus Aristokraten, aber nicht nur. Auch ein paar Frauen waren anwesend: Jocasta, als Hohepriesterin der Athene, und Briseis, weil man sie kaum aufhalten konnte – und zwei, drei weitere Damen der Gesellschaft samt Bediensteten. Das war der Morgen, an dem Myron und ich in den Kreis der athenischen Bule «gewählt» wurden, aufgrund einer halbherzigen Regelung. Es war Krieg, und von uns wurde erwartet, dass wir die vier Siedlungen des Demos repräsentierten.

Nun gut, es waren ja nicht meine Regeln, also war es mir ziemlich egal.

«Er benimmt sich bisher tadellos», ließ Bulis mich leise wissen. «Sparthius wartet weiter hinten beim Gepäck-Tross.»

Dieser eher langen Rede entnahm ich, dass die Sparta-zuerst-Fraktion noch im Aufwind war, aber auch für diese Leute gab es Grenzen, denn Bulis und Sparthius standen praktisch der Partei des Leonidas vor, sie waren sozusagen die beiden Letzten der glorreichen Hippeis. Sie hatten das Desaster bei den Heißen Pforten verpasst, da sie sich der Flotte angeschlossen hatten, und bei der Flotte waren sie deshalb gewesen, da sie Eurybiades nahestanden und da die Zeit, die sie mit mir verbracht hatten, sie zu «Seeleuten» machte – jedenfalls nach spartanischem Standard. Ich rufe euch das nur deshalb in Erinnerung, um euch zu zeigen, dass nicht nur die Beziehungen von Frauen untereinander kompliziert sein können.

Also ritt ich entlang der Kolonne zurück, begrüßte Sparthius

«Diese Frau tut dir gut», sprach er. «Noch vor einem Jahr hättest du versucht, in deiner Reitkleidung hier zu erscheinen.»

«Aber Ihr wart es doch, der mich losschickte, um die Spartaner abzuholen!», erwiderte ich.

«Ich schickte Kimon los, und der ist bereits für die Versammlung gekleidet.» Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die Spartaner, die sich soeben einfanden. Die Heloten-Sklaven waren schon dabei, die Kleidung ihrer Herren zu säubern, mit Schwämmen und Wasserkrügen.

Am Morgen hatte man über formelle Angelegenheiten verhandelt, wie zum Beispiel über meine und Myrons Berufung in die Bule, aber auch über hundert andere Tagesordnungspunkte. Als die Spartaner bereit waren, wurde der König von Makedonia aufgerufen, aber auch keinen Moment früher.

Bei einer Volksversammlung auf dem Pnyx geht es immer laut zu. Die Felswand reflektiert die Geräusche, vor allem die Stimmen. Und Alexander war sichtlich empört, hatte er doch mit einer kleinen Zuhörerschaft gerechnet. Ich spürte, dass er nicht sonderlich zufrieden war mit der Menge Zuhörer oder mit der Demokratie an sich, oder mit dem, was in Athen als Demokratie galt.

Ich stand in der Nähe von Alexander, als er sich Themistokles zuwandte. «Ich hielte es für besser, wenn ich Mardonios in Eurem

Themistokles zog allenfalls eine Braue hoch. «Alles, mein lieber Alexander.»

Der König von Makedonia seufzte bloß, wie ein Bauer, der noch ein langes Stück Feld zu pflügen hat, aber sieht, wie das Tageslicht schwindet. «Bringen wir es hinter uns», meinte er. Dann ging er zu den Stufen der Bema und stieg auf die Rednertribüne. In den Reihen der Zuhörer wurde es weitestgehend still.

Ich sage weitestgehend, weil es nie eine Rede auf dem Pnyx gab, die vor einer absolut stillen Zuhörerschaft gehalten wurde. Nein, das wäre gelogen. Als Miltiades seine letzte Ansprache im Jahr von Marathon hielt und für den Krieg plädierte, hat sich, soweit ich mich erinnere, niemand im Auditorium nebenbei unterhalten. Aber meistens herrscht bei Versammlungen dieser Größenordnung eine Unterströmung aus Geschäftsverhandlungen und nörgelnden Kommentaren vor, vermengt mit Spott und Verleumdungen. Griechen eben. Insbesondere Athener. Sie lieben es zu reden.

Der arme Alexander unternahm zwei Anläufe, die nicht fruchteten. Es ist nicht einfach, von der Bema aus zu sprechen, besonders schwierig wird es, wenn die Felswände die Stimme zurückwerfen, weil die Ränge der Zuhörer fast leer sind. Alexander begann gleich mit dröhnender Stimme, erschrak dann sofort angesichts des Widerhalls und verlor sich dann.

«Dies, Athener, ist, was Mardonios Euch zu sagen …», begann er und brach dann ab.

Zwei Männer weiter hinten diskutierten darüber, wer denn nun das Anrecht auf eine Wagenladung Dachschindeln habe – zu jener Zeit ein kostbarer Handelsartikel.

Briseis musste lachen, und dieses Lachen einer Frau schwebte gleichsam über die Menge hinweg. Männer drehten sich um. Denn für gewöhnlich waren auf dem Pnyx keine Frauen zugegen.

Einige Leute kicherten. Der Zeitpunkt war einfach schlecht gewählt – erst Briseis’ Lachen, dann die Phrase «Männer Athens».

Er wurde rot im Gesicht und sagte dann sehr laut und schnell: «Dies, Athener, ist, was Mardonios Euch zu sagen hat – mich erreichte eine Botschaft vom Großkönig Xerxes, die da lautet: ‹Ich vergebe den Athenern all die Vergehen, die gegen mich gerichtet waren, und jetzt, Mardonios, bitte ich dich, Folgendes zu tun – gib ihnen ihr Territorium zurück und gestehe ihnen daneben weitere Gebiete zu, wo immer sie welche haben möchten, und lass sie unter ihren eigenen Gesetzen leben. Baue alle Tempel wieder auf, die ich niederbrennen ließ, wenn sie bereit sind, einen Pakt mit mir zu schließen.›»

«Dies ist also die Botschaft», fuhr er fort, «und Mardonios sagt: ‹Ich muss mich an sie halten, es sei denn, ihr beschließt, mich daran zu hindern. Dann sage ich euch noch dies: Warum seid ihr so von Sinnen, Krieg gegen den König in Erwägung zu ziehen? Ihr könnt ihn nicht bezwingen, genauso wenig seid ihr imstande, euch auf Dauer zu widersetzen. Ihr habt selbst gesehen, wie groß Xerxes’ Heer ist und was es angerichtet hat, und ihr werdet von der Streitmacht gehört haben, über die ich gebiete. Selbst wenn ihr uns bezwingen und erobern würdet, was ihr, wenn ihr recht bei Trost seid, nicht hoffen könnt, so wird bald wieder ein Heer heranrücken, das um ein Vielfaches größer sein wird als dieses. Seid daher nicht darauf aus, euch mit dem Großkönig zu messen, denn ihr würdet nur euer Land verlieren und stets in Furcht und Gefahr leben. Daher schließt Frieden. Dies könntet ihr ehrenvoll tun, da der Großkönig euch in dieser Richtung entgegenkommt. Behaltet eure Freiheit und erklärt euch bereit, unsere Waffenbrüder zu werden, in Vertrauen und Aufrichtigkeit.› Dies, Athener, ist die Botschaft, die ich euch auf Geheiß des Mardonios

Als Alexander seine Rede beendet hatte, traten die Gesandten Spartas vor. Sie waren so aufgeregt, wie spartanische Herren es sein durften. Der junge Pleistoanax, ihr Anführer, mag ein wenig gezittert haben. Doch er ergriff nicht das Wort. Der Sprecher war einer der Vettern des Kleombrotos, ein Mann namens Euryanax, dem ich in Sparta begegnet war. Er zitterte gewiss nicht, sondern trat ernst und würdevoll vor und stieg gemessenen Schrittes zur Rednertribüne.

«Wir wurden von den Lakedaimoniern entsandt», begann er, «euch zu ersuchen, nichts zu unternehmen, was Griechenland ein Leid zufügen könnte, und nichts anzunehmen, was der Barbar euch anzubieten hat. Das wäre ungerecht und unehrenhaft für jeden Griechen, aber vor allem für euch Athener, und zwar in vielerlei Hinsicht. Ihr wart es, die diesen Krieg schürtet, was nicht unserem Wunsch entsprach, und euer Territorium war

Er legte eine kurze Pause ein, bevor er fortfuhr.

«Im Gegenzug erklären die Lakedaimonier und ihre Verbündeten, dass sie eure Frauen und alle Angehörigen des Haushalts, die nicht am Krieg teilnehmen werden, ernähren werden, solange dieser Krieg währt. Lasst nicht zu, dass Alexander von Makedonia euch mit diesem glattzüngigen Lob für Mardonios’ Rat auf seine Seite zieht. Es ist seine Aufgabe, diesem Ratschlag zu folgen, denn da er ein Tyrann ist, muss er der Gehilfe eines Tyrannen sein. Wenn ihr aber noch all eure Sinne beisammenhabt, werdet ihr erkennen, dass es keinesfalls eure Aufgabe ist, Mardonios zu folgen, denn ihr wisst ja, dass man bei Fremden weder Vertrauen noch Wahrheit findet.»

Dies waren die Worte der Spartaner. Sie hatten einen seltsamen, arroganten Unterton, insbesondere deshalb, da sie auf dem windigen Pnyx vor fünfhundert Männern gesprochen wurden, von denen jeder einzelne bei Salamis gekämpft hatte.

Aristeides und Themistokles tauschten Blicke, und als Archon ließ Themistokles dann verlauten, das Volk Athens werde zuerst Alexander und Mardonios antworten, und Aristeides werde die Rede halten. Hier kommt sie, zumindest glaube ich, dass ich mich an das meiste erinnere.

Er stieg eher bedächtig die Bema hinauf, würdevoll, und sah uns eine Weile an. Er war fast das Schweigen in Person. Dann wandte er sich an Alexander, und als er das Wort ergriff, hatte er

«Haltet Ihr uns für Narren?», begann er. «Wir wissen selbst, dass die Schlagkraft der Meder um ein Vielfaches größer ist als unsere. Es ist daher nicht nötig, uns damit zu verspotten. Dennoch, in unserem Bestreben nach Freiheit werden wir uns verteidigen, mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln. Aber was das Übereinkommen mit dem Barbaren betrifft, so versucht nicht, uns zu so einem Übereinkommen zu überreden. Wir würden ohnehin nicht zustimmen. Und nun überbringt Mardonios diese Antwort von den Athenern: Solange die Sonne ihre jetzige Bahn beschreibt, werden wir uns auf keine Übereinkunft mit Xerxes einlassen. Wir werden ohne Unterlass gegen ihn kämpfen, vertrauen wir doch auf den Beistand der Götter und der Helden, die er missachtete und deren Gebäude er niederbrennen ließ. Tretet nie wieder mit einer solchen Bitte an uns Athener heran, und untersteht Euch, uns unter dem Vorwand, uns einen Dienst zu erweisen, den Rat zu erteilen, böswillig zu handeln. Denn wir möchten nicht, dass denjenigen, die unsere Freunde und Beschützer sind, durch die Hand der Athener ein Leid widerfährt.»

Aristeides verließ die Bema unter großem Beifall der Zuhörer, Männer wie Frauen, darunter auch die Spartaner.

So lautete also die Antwort der Athener an Mardonios, aber dann betrat Themistokles die Tribüne.

Er wandte sich an die Abgesandten Spartas. «Es ist absolut nachvollziehbar, dass die Lakedaimonier befürchten mussten, wir würden eine Übereinkunft mit dem Barbaren treffen. Wir sind indes der Auffassung, dass diese Befürchtung unedel ist, insbesondere dann, wenn man die Gemütsart der Athener kennt. Wer also befürchtet, man könne die Athener bestechen, auf dass sie im Namen Persiens handeln und ganz Griechenland versklaven, der sieht nicht, dass es auf dem ganzen Erdkreis weder genug

«Ihr habt uns daher», fuhr er fort, «euer volles Maß an Freundlichkeit entgegengebracht, aber was uns anbelangt, so werden wir uns bemühen, so gut es geht auszuhalten, ohne euch zur Last zu fallen. Doch jetzt, da wir die Situation einschätzen können, bitten wir euch, euer Heer so schnell wie möglich zu entsenden, denn es steht zu erwarten, dass der Barbar schon bald in unser Land einfallen wird, sobald ihm zugetragen wird, dass wir nicht das tun, was er von uns verlangt. Daher sage ich, dass jetzt die Zeit gekommen ist, zunächst nach Böotien zu marschieren, ehe der Feind Attika erreicht. Denn wenn wir zulassen, dass Mardonios noch einmal in Attika eindringt, dann werden wir unser eigenes Handeln noch einmal überdenken – und seid gewarnt, Männer von Lakedaimon,

Nach Themistokles’ Rede war es offenkundig, dass er mit seinen Worten beide Gesandtschaften gekränkt hatte. Alexander hatte während der Rede des Atheners an die Spartaner wie ein wütendes Schlachtross mit den Augen gerollt und wollte ein zweites Mal sprechen, doch das wurde ihm verwehrt.

Ich stand zufällig in seiner Nähe, und auf einmal wandte er sich mir zu, fast vertraulich, als wären wir immer schon befreundet gewesen.

«Sind die denn alle des Wahnsinns?», rief er. «Wissen die denn nicht, wie mächtig der Großkönig ist?»

«Was das betrifft», warf Kimon ein, «so befürchte ich, dass Ihr feststellen werdet, dass er in diesem Sommer nicht mehr so mächtig ist, wie Ihr glaubt.»

«Nicht mehr so mächtig, wie ich glaube?», entfuhr es Alexander empört. «Bei Zeus, ihr Athener seid aufgeblasen wie Vipern nach eurem kleinen Sieg im vergangenen Herbst. In einem Monat wird Mardonios hier sein. Erneut. Und ihr werdet nicht imstande sein, ihn aufzuhalten. Während wir hier verhandeln, befürwortet Theben die völlige Zerstörung Athens und ganz Attikas – jeder Baum wird gefällt, auf jedem Acker und Feld wird Salz ausgestreut werden. Wie soll eure vielgepriesene Flotte das Heer des Mardonios und des Großkönigs aufhalten?»

Sparthius hatte sich aus der spartanischen Gesandtschaft entfernt und kam nun zu uns herüber. Soweit ich wusste, war er auf der Suche nach einem Becher Wein, sobald die Schwätzer, wie er es nannte, fertig waren.

Doch dann blieb er stehen, nur zwei Schritte vom König von Makedonia entfernt.

«Wir werden Mardonios Einhalt gebieten», stieß er in einem zischenden Tonfall hervor, der noch von seiner Zahnlücke

Alexander von Makedonia straffte die Schultern und sah den Spartiaten von oben herab an. «Ich habe keinen Herrn und Meister», sagte er. «Und ich denke, du wirst bald feststellen, dass eure Ephoren anderer Ansicht sind.»

«Ach, wirklich?», hörte ich Kimon sagen. «Klärt uns doch bitte auf.»

Alexander erstarrte, wie jemand, der soeben genau das Falsche gesagt hatte.

«Ja», sagte auch Aristeides. Er war gerade dabei, das Ritual zur Beendigung der Bule zu beaufsichtigen. «Ja, mein Herr. Erzählt uns und den Gesandten aus Sparta von dem Bündnis, das Ihr mit Spartas Ephoren geschlossen habt.»

Schweigen breitete sich über dem Pnyx aus, eine fast unheimliche Stille. Ich hatte das Gefühl, dass man während der Versammlung ständig die Geräusche von Hämmern und Sägen an den Hängen der Akropolis gehört hatte, doch jetzt herrschte Stille ringsum – nur ein einzelner Seevogel stieß einen heiseren Schrei aus.

Sparthius lachte, und dieses Lachen war gefährlicher als all die finsteren Blicke der Könige von Makedonia, die je gelebt hatten. «Verlasst Euch nicht auf irgendein gerauntes Versprechen alter Männer», sagte er. «Wir haben unseren König verloren. Und wir werden ihn rächen, mit Blut.»

Kimon lächelte grimmig.

Aristeides nickte. Ich hörte, dass Themistokles tief Luft holte.

Die Gesandtschaft aus Sparta ahnte, dass sich etwas ereignet haben musste. Zweifellos hatten sie Sparthius beim König von

Der König von Makedonia versuchte, sich von uns zu entfernen, doch die Menge wollte ihn nicht durchlassen.

Ich hatte Sparthius noch nie so zornig erlebt. Er wirbelte herum und wandte sich an den Sprössling des Regenten. «Dies hier», spie er durch die Zahnlücke, dass wieder ein Zischen oder Lispeln im Vordergrund stand. «Dies ist das Resultat dieser ganzen schmutzigen Politik. So weit ist es also gekommen, dass diese Kreatur dort in aller Öffentlichkeit sprechen darf und behauptet, dass wir nicht kämpfen werden. Die Meder haben meinen König getötet, und dieser …», Sparthius trat dicht vor den jungen Pleistoanax, «… schwört, dass es kein Bündnis mit Mardonios gibt, denn sonst, bei allen Göttern, werde ich noch heute Athener.»

Vierhundertneunundneunzig Athener reckten die Hälse, um ja nicht zu verpassen, wie die Spartaner untereinander in Streit gerieten.

Ich ließ Alexander natürlich nicht aus den Augen und weiß noch, dass ich dachte: Jetzt habt Ihr soeben preisgegeben, dass unsere größte Befürchtung doch der Wahrheit entspricht.

Der König wand sich voller Unbehagen, seine Gesichtszüge gerieten in Bewegung. In seinem Innern lieferten sich Zorn und Furcht einen Wettstreit, würde ich sagen.

Themistokles suchte meinen Blick über die Schulter des Königs hinweg. Er sah alles andere als triumphierend aus, dabei hatte er uns noch im Winter gewarnt, die Spartaner seien gewillt, Athen an den Großkönig zu verschachern.

Mag sein, dass all dies keine Auswirkungen auf das hatte, was sich später ereignen sollte. Bei den Handlungen der Menschen und der Götter wird stets viel geredet. Die Menschen reden irgendetwas daher, treffen Vereinbarungen, die sie so eigentlich gar nicht

Vielleicht aber doch.

Wenn sie es jedoch taten, dann haben sie bei der Art ihres Werkzeugs keine kluge Wahl getroffen, denn Pausanias’ Sohn war tapfer wie ein Löwe, auch wenn er noch Pickel im Gesicht hatte. Er war noch sehr jung, und das Feuer der Jugend loderte in ihm, und so sah er Sparthius an, einen berühmten Krieger, und schüttelte energisch den Kopf.

«Ich schwöre es, Sparthius. Wir werden bis zum letzten Tropfen Blut für das Bündnis kämpfen. Und wenn Athen uns zur Seite steht, dann stehen wir auch an Athens Seite.» Er schaute sich um, und falls er etwas vortäuschte, so konnte ich dafür keine Anzeichen entdecken.

So. Vielleicht tat es nichts zur Sache.

Oder es war so, dass sich genau dort, im Schatten des Altars des Hermes, alles veränderte. Ich werde es nie erfahren.

«Ich schwöre», sagte der Jüngling und hob die Hand. «Bei Hermes und bei Zeus, dem Gott der Könige, und bei meinen Vorfahren, die ich auf Herakles zurückführe, ich schwöre, dass mein Speer neben deinem sein wird, Sparthius, wenn der Tag kommt – und damit der Wettstreit.»

«Verflucht», entfuhr es Themistokles, «ich kann’s nicht glauben.»

Aber Bulis lächelte. Es war ein Lächeln, das Ruhe ausstrahlte.

Und plötzlich hatte ich eine Vision, fast wie ein Priester, eine Vision von Gorgo: Sie saß in ihrem kalten Garten, gekleidet wie eine Witwe. Und bei ihr saß Bulis. Und Gorgo sprach: Sie schicken also Pausanias’ heißblütigen Sohn? Was für Narren. Sobald der

Aber vielleicht war es auch ganz anders. Ich werde es nie wissen. Aber ich weiß, dass Bulis ungemein zufrieden und selbstgefällig aussah – wenn man das bei einem Lakedaimonier überhaupt sagen kann.

Am Abend, als wir alle zusammensaßen, nahm Aristeides mich bei der Hand und führte mich zum König von Makedonia, der im Kreis seiner Befehlshaber stand.

«Kommt, mein Herr. Ich möchte Euch etwas zeigen. Ihr dürft zu Mardonios zurückkehren und ihm ausrichten, was Ihr gesehen habt.»

Aristeides ging ein paar Schritte mit dem König. Dort waren auch Themistokles, Kimon und natürlich Xanthippos – es war ja immerhin sein Haus. Auch Sparthius war unter den Gästen.

Wir verließen den Innenhof und gingen im Schein der Fackeln hinten um das große Haus herum, bis wir ein Nebengebäude erreichten. Alexander scherzte und meinte, er kenne den Weg. Niemand lachte. Wir gingen weiter, eine kleine Anhöhe hinauf, auf der sich weitere Nebengebäude von Xanthippos befanden.

«Normalerweise befindet sich das, was wir Euch zeigen möchten, in der Schatzkammer im Tempel der Athene Parthenos», sprach Aristeides. «Aber dieser Tempel wurde geplündert, zerstört und entweiht. Ihr wisst doch sicher, was die Feinde auf den Altären der Athene gemacht haben, oh, König von Makedonia? Sie vergewaltigten einen Mann und töteten ihn. Und ließen seinen Leichnam dort verrotten. Versteht Ihr, König von Makedonia?»

Wir standen neben einem kleinen Schuppen, im Schein von Fackeln. Ich denke, der König fürchtete um sein Leben.

«Ihr wisst, was Euer Großkönig mit dem König von Sparta gemacht hat?», fragte Sparthius. «Er schändete dessen

«Wenn Ihr mich umbringt …», rief Alexander.

«Euch umbringen?» Themistokles sah ihn tadelnd an. «Seid kein Narr. Wir möchten, dass Ihr unsere Nachricht Mardonios überbringt.»

Ich wusste, dass er all das im Vorhinein geplant hatte. Ich kannte sozusagen seine Handschrift, kannte seine Art, Intrigen zu spinnen. Er spielte ein doppeltes Spiel, aber zuallererst war er der Archon basileus von Athen, und er war Athener.

Sie öffneten den Schuppen. Man konnte Treppenstufen erahnen, die sich tiefer in der Dunkelheit verloren.

«Warum soll ich diese Stufen hinabsteigen?», fragte Alexander.

«Weil Eure Pflicht Eurem Herrn gegenüber das erfordert», sagte Themistokles.

Wir stiegen die Treppe nach unten. Es hatten nur fünf Personen Platz – es handelte sich um einen kühlen Keller oder eine Art Lagerraum. Tatsächlich war ich später noch einmal dort und weiß daher, dass es ein altes Gewölbe war, das in das Felsmassiv gehauen war. Es stammte noch aus der Zeit des Trojanischen Krieges und war selbst im Licht der Fackeln ein düsterer Ort.

Ich bekenne, dass ich sicher war, dass wir den König von Makedonia töten würden.

Stattdessen gelangte man am Fuße der Treppe an eine Tür. Themistokles streckte die Hand nach dem Griff aus und stieß die Tür auf.

Im Raum dahinter lagerten all die Schätze, die wir im Hellespont erobert hatten. Fünfzig Talente Silber, dazu jede Menge Gold und Perlen.

«Alexander», sagte Themistokles leise. «Dies hier stammt aus

Er wandte sich Sparthius zu. «Wir brauchen die Freigebigkeit der Lakedaimonier nicht, weil wir über eigene Mittel verfügen, zumal der Großkönig uns freundlicherweise mit Getreide versorgt hat.» Er nickte. «Aber es würde uns natürlich gefallen, wenn die Hopliten des Bündnisses über den Isthmus marschierten. Und zwar bald. Denn der König von Makedonia ist ein Vorbote des Unheils, und Mardonios hegt böse Absichten.»

Alexander stand kopfschüttelnd in unserer Mitte. «Doch selbst jetzt könntet Ihr noch der engste Verbündete des Großkönigs werden.»

Aristeides gab die Antwort. «Niemals.»