Ich lief zu Brasidas, blieb aber nur so lange, um ihm auf die bewehrte Schulter zu klopfen, und lief dann weiter bis zu unserer vordersten Linie.

«Die Stunde ist gekommen!», rief ich. «Der Wettstreit unseres Lebens steht bevor. Zeigt diesen Bastarden, wer ihr seid!»

Ja, das waren meine Worte. Ich kann mich an jedes einzelne erinnern.

Die Männer brüllten. Sie wussten nicht, dass die Schlacht verloren war, ebenso wenig Aristeides, wie mir im selben Moment aufging.

Die Athener rückten vor. Ich will euch nicht mit Einzelheiten der Taktik langweilen, aber alles – alles, sage ich – in der Kriegskunst der Hopliten liegt im Detail. Als wir uns alle in einem Schwenk neu ausrichteten, zur noch unsichtbaren Phalanx aus Theben, war es, als würden wir Türen in einem großen Haus aufstoßen. Wir waren nicht auf einer Linie. Daher rückte die athenische Phalanx in neuer Stoßrichtung vor, während die Männer aus Ägina noch mit sich selbst und ihrer Formation beschäftigt waren. Sie brauchten einfach zu lange und fielen zurück, sodass die vorderste Front des kleinen Aufgebots aus Ägina etwa vierzig Schritte hinter den Athenern zurückhing.

Hermogenes war längst bereit, aber er wartete, bis sich Ägina in Bewegung setzte, und hing nur fünf Schritte zurück. Ich tat es ihm gleich – auf dem rechten Flügel – und versuchte, die Bewegungen der Taxis links von mir nicht aus den Augen zu verlieren, wenn ihr versteht, was ich meine.

Also rückten wir insgesamt in Richtung Nordwest vor, aber in

Zunächst mussten wir den Ausläufer des Kamms der Heiligtümer weiter rechts von uns passieren. Natürlich fiel das Gelände von rechts nach links ab, und Männer auf einer Böschung neigen dazu, hügelabwärts zu laufen. Deshalb drifteten wir noch rascher nach links ab.

Eigentlich nicht der Rede wert. Inmitten von Schrecken und Heldentum ist das Abdriften nach links …

Irgendwo, zehn Stadien weiter östlich, kämpften und starben die Spartaner. Die Sonne stand hoch am Himmel. Die Barbaren strömten über die Ebene von Platäa, und im selben Moment durchzuckte mich der Gedanke, dass ich hier, im letzten Gefecht meines Lebens, genau an derselben Position stand wie in meiner allerersten Schlacht – am linken Ende der Linie. Abgesehen davon natürlich, dass niemand da war, wenn ich nach rechts blickte. Denn wir hatten kein Zentrum. Es befand sich zwei Stadien entfernt, oben auf dem Kamm der Heiligtümer.

Bastarde.

Wir – die Epilektoi oder Auserwählten – hatten den steilsten Anstieg, um über den Ausläufer des Bergkamms zu kommen. Aber steil war es im Grunde nicht, nur ärgerlich.

Als ich an den Olivenbäumen auf der Kuppe vorbeikam, wo ich zuvor vom Pferd aus das Ende Griechenlands gesehen hatte, konnte ich nun hinunter ins Tal auf der anderen Seite schauen, und dort tummelten sich die Barbaren. Ebenso die abtrünnigen Griechen, die an den Seiten der Perser kämpften. Die Talsenke rund um die Quelle bei Gargaphia war voller Feinde.

Aber sie führten diesen Schwenk nicht sonderlich gut durch. Ich konnte das Manöver beobachten und sah einen Haufen orientierungsloser Hopliten, der sich nur mühsam und träge bewegte.

Die Athener waren ein Stück weit von ihrer ursprünglichen Stoßrichtung abgekommen, aber der Winkel war entscheidend, und aufgrund des leichten Gefälles hatten die Hopliten aus Athen etwas mehr Schwung. Und so krachten die Männer aus Athen auf den Feldern unterhalb des nördlichen Ausläufers des Kamms der Heiligtümer in die vorderste Linie und die Flanke der thebanischen Phalanx.

Der Lärm war unbeschreiblich. Zwanzigtausend Mann drängten sich auf einem Areal von wenigen hundert Schritten im Quadrat, und binnen weniger Augenblicke brach Chaos aus.

Jetzt zahlte sich unsere gute Formation aus. Die Athener trieben die Thebaner zehn Schritte zurück, weil sie von dem leicht erhöhten Gelände kamen und weil sie aus einem günstigen Winkel zuschlugen, und die Thebaner, die sehr tief standen, wie sie es beabsichtigt hatten, hatten Mühe, ihre Glieder wieder auf Linie zu bringen. Sie taumelten, fingen sich wieder …

Und dann schlugen die Hopliten aus Ägina zu. Sie bildeten zwar nur eine kleine Taxis, doch dafür standen sie in ausgezeichneter Formation. Hört zu, eine Phalanx ist dann besonders gefährlich, wenn sie auf den Gegner kracht. Gleich nach dem ersten Kontakt werden Reihen und Glieder verzerrt und verformt, und die Krieger geraten in den Massendruck oder Othismos; die Krieger

Die Krieger aus Ägina, die die Thebaner in jener Stunde noch etwas mehr hassten als die Athener an ihrer Seite, krachten ihrerseits in das Getümmel, sodass die thebanische Phalanx weitere fünf Schritte zurückwich. Die Thebaner versuchten immer noch, sich besser zu formieren, wollten die Tiefe ihrer Phalanx ausspielen, um die vorderste Linie zu halten und die besten Männer in den Kampf zu schicken. Vergessen wir nicht, dass Hopliten aus Phokaia und Lokris und andere Überläufer in persischem Sold zur Stelle waren, um die Frontlinie zu verbreitern. Und dahinter, weitab rechts von mir, warteten drei Blöcke Reiterei: aus Böotien, Thessalien und Lydien.

Und bei Ares, auf der Ebene von Platäa wollte ich jeden Thebaner eigenhändig erschlagen!

Aber während wir dort standen, sah ich, dass die Platäer im Begriff waren, gegen die Krieger aus Lokris und Phokaia vorzugehen. Und mir schien, dass die Thebaner den Athenern nicht standhalten würden, letzten Endes.

Zum ersten Mal fiel ein einzelner Strahl der Hoffnung durch die Staubwolken, die die Barbaren aufwirbelten.

«Halt!», brüllte ich.

Etliche Männer sahen mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Denn dort wartete ja der Wettstreit. Dort fand die Schlacht statt.

Aber ich hatte das schon einmal gemacht. Solange ich mit meinen fünfhundert Mann bei den Olivenbäumen stand, auf der Höhe des Kamms der Heiligtümer, sicherte ich die Flanke der platäischen Phalanx. Da wir auf dem Hang standen, oberhalb der lydischen und böotischen Reiter, konnten wir sie in aller Ruhe verspotten. Denn die Reiter hätten erst die Anhöhe hinter uns von

Sicher, die Aussicht, in gestrecktem Galopp in einen Haufen schlecht formierter, unzureichend ausgebildeter Hopliten zu preschen, reizte die Reiter – das erschien ihnen erfolgversprechender, als die Flanke ihrer großen Phalanx zu schützen. Im Laufe der Jahre habe ich einige Reiter kennengelernt. Ruhm steht immer an erster Stelle. Oder stellt euch Epheben in einem Tempel der Aphrodite vor – da wird auch kaum das rationale Denken im Vordergrund stehen.

Aber während wir am Hain ausharrten, veränderte sich die Schlacht. Die Würfel rollten. Ich hatte allmählich Mühe, ruhig durchzuatmen.

Denn als die ausgeruhte, frische Reiterei unser aufgebrochenes Zentrum angriff, vergeudete sie im Grunde ihre Speere. Hätten die Reiter stattdessen mich oder die Platäer angegriffen, dann wären sie auf unserer Höhe durchgebrochen bis zur Flanke der athenischen Phalanx. Dabei spielen Kampfeswille und zahlenmäßige Überlegenheit die entscheidende Rolle. Außerdem bezweifele ich, dass die Männer auf dem Kamm der Heiligtümer ausgeholfen hätten. Gut, Megara wäre uns vielleicht zu Hilfe geeilt.

Aber indem die böotischen Reiter dort im Zentrum auf Ruhm aus waren, verspielten sie ihren Vorteil. Für die Dauer einer Stunde war diese Abteilung der Reiterei beschäftigt, nur die lydischen Reiter blieben noch: Streiter mit Lanzen, die ich schon einmal besiegt hatte, etwa achthundert Mann.

Während ich sie beobachtete, erkannte ich, dass sie an jenem Tag von ihrem Satrapen angeführt wurden, von Artaphernes, dem

Ich glaube nicht, dass wir länger als fünf Minuten am Rande des Olivenhains ausharrten. Styges meinte später, es sei eine halbe Ewigkeit verstrichen, und verfluchte mich hinter vorgehaltener Hand. Sittonax setzte sich und trank Wasser.

Ich befehligte die letzte griechische Reserve auf dem gesamten Schlachtfeld. Vermutlich nicht genug, um den Verlauf der Schlacht entscheidend zu beeinflussen, aber immer noch genug, um eine lydische Reitereinheit am Angriff zu hindern.

Doch sozusagen vor unseren Füßen saßen die Platäer fest. Sie waren die besseren Kämpfer; ihr Feuer loderte glühend heiß, und die Männer aus Hermione wollten beweisen, dass sie den Gefährten aus Platäa in nichts nachstanden. Die Kämpfer aus Phokaia waren gespalten, denn wir hatten ja auch Männer aus jener Region in unseren Reihen – und keiner liebte die Meder wirklich.

Aber es waren eine ganze Menge Krieger aus Phokaia. Dennoch, die Platäer hielten die Flanke für die Athener bei einem Kräfteverhältnis von drei zu eins. Und die Männer aus Lokris waren im Begriff, den Platäern zuzusetzen, indem sie deren ungeschützte Flanke zu Fall bringen wollten.

Ich sah, wie Hermogenes zu Boden ging, und das war das Ende allen taktischen Denkens. Sollten die Lyder ruhig angreifen; sollte Artaphernes seine Rache haben, mir war es gleich. Es kümmerte mich auch nicht mehr, ob die Männer aus Megara uns zu Hilfe kamen.

«Wir nehmen es mit den Lokrern auf. Seht ihr den Mann mit der Spinne auf dem Schild? Die Mitte unserer Linie schlägt genau auf seiner Höhe zu!», rief ich. «Halbe Rotte nach vorn. Eng formieren!»

Meine Auserwählten kamen den Befehlen nach, als wären sie Spartiaten.

Sobald eine Phalanx geschlossen ist, und sei es nur eine kleine Taxis von fünfhundert Mann, bewegt sie sich nicht sonderlich schnell vorwärts. Tatsächlich würde man bei hohem Tempo die Ordnung und den Zusammenhalt verlieren, zwei Komponenten, die eine kompakte Einheit so gefährlich machen. Ach so, jetzt wollt ihr mir erzählen, dass wir bei Marathon im Laufschritt angriffen! Ja, gegen barbarische Fußtruppen siegt man im Sturmlauf.

Nicht aber gegen Griechen.

Die Lokrer waren nicht dafür bekannt, berühmte Hopliten hervorzubringen, auch die Männer aus Phokaia nicht, aber es waren wie gesagt viele. Sie hielten auf den rechten Flügel der Platäer zu, aber in jenem Moment boten sie uns die offene Flanke.

Hermogenes starb – ein Krieger aus Phokaia stieß ihm den Sauroter des Speers ins Auge, als mein Gefährte am Boden lag, bereits schwer verwundet. Hermogenes, mein erster wahrer Freund.

Myron starb unmittelbar danach, als er versuchte, die Platäer um sich zu scharen, da die Flanke gefährlich nachgab. Denn die Ersten gerieten in Panik, als sie die Übermacht aus Phokaia sahen. Auch Empedokles, Sohn des Epiktetos, starb dort, des Weiteren ein Dutzend Platäer, die ich kannte.

Aber die Lokrer hatten eine törichte Entscheidung getroffen, als sie uns die Flanke boten.

Denn wir krachten mit aller Wucht in ihre Reihen.

Ich tötete den Gegner unmittelbar vor mir. Es fühlte sich wie Mord an – er versuchte, seinen Speer freizubekommen, da die Hintermänner nachdrückten, und er wusste viele Herzschläge bevor meine Speerspitze sein Auge zerfetzte, dass er des Todes war. Ich war es leid, Befehle geben zu müssen, ich hatte es satt, das Gewicht der Welt auf meinen Schultern zu tragen.

Ich steckte im Getümmel, den Speer in der Hand, und dies war der Wettstreit. Ich würde das Blut von zehn Gegnern an meiner

Daher rammte ich meinem zweiten Gegner den Aspis gegen den gepanzerten Rücken, stieß den Kerl nach vorn, riss eine Lücke und tötete den Mann unmittelbar hinter ihm. Mit ruhig ausgeführten, akkuraten Stößen, wie Polymarchos es lehrte.

Styges war an meiner Seite, Polymarchos unmittelbar hinter ihm, und ich wusste Sittonax im Rücken – weh dem Gegner, der vier Menschenschlächtern gegenübersteht.

Ich will ehrlich sein, bei drei Toten hörte ich auf zu zählen.

Einmal stießen die Speere von Sittonax, Polymarchos und mir gleichzeitig und wie aus einer Hand nach vorn, zerfetzten die Gurgel eines Gegners und enthaupteten ihn. Mit Speeren! Die Männer aus Lokris vermochten die Flanke der Platäer nicht zu brechen, ihre Speere steckten fest; sie konnten sich nicht wehren, und da wir mit unseren Schilden Druck ausübten, konnten die Lokrer ihre Schilde nicht richtig anheben. Unsere Männer im zweiten und dritten Glied waren so gut wie die Krieger in der ersten Linie, daher kam der Zusammenbruch relativ schnell. Sie gerieten in Panik. Ich sah Männer, die in dem Gewühl starben, ehe mein Speer sie überhaupt erreichte, denn wir töteten wahllos und fraßen uns durch die drei Rotten, wie eine Sense, die reifes Korn schneidet. Und schließlich gaben sie unter unserem Druck nach, doch wir töteten sie immer noch, weil die Lokrer feststeckten und rechts von den Männern aus Phokaia zusammengeschoben wurden, die sich nach wie vor den Hopliten aus Platäa und Hermione stellten. Es hätte ein endloses Gewühl werden können, ein Hades aus Staub, aber die Lokrer gaben rasch auf. Unerschrocken behielten wir die Formation bei, fegten die Lokrer auf der Flanke der Platäer mit der Wucht eines Schwerthiebs weg und – rückten weiter vor, in

Und Panik tut ihr Übriges …

Als die Lokrer einknickten und flohen, wo sie fliehen konnten, setzten sich auch immer mehr Kämpfer aus Phokaia aus den hinteren Reihen ab, weil diese Männer ohnehin nicht hatten kämpfen wollen. Ihr erinnert euch? Bei einem Kampf mit einer Phalanx stehen in der traditionellen Formation die besten Krieger ganz vorn, und je schlechter du ausgerüstet bist, desto weiter hinten stehst du.

Krieger aus Phokaia rannten fort.

Die Platäer, wie ihre Vorväter bei Oinoe, waren kurz davor gewesen, auf ganzer Linie zusammenzubrechen.

Aber bei Ares, genau das war nicht geschehen! Lysios, der einst für Dareios als Söldner gekämpft hatte, und Gelon, der früher einmal für Theben gegen Platäa anrannte, hielten stand und weigerten sich, in den Tod zu gehen, wie die alten Schlächter, die sie waren. Es ist seltsam, lustig, traurig und wahr zugleich, dass Lysios Marathon verpasste, weil jemand die Stadtmauer und die Türme von Platäa halten musste. Und all die Jahre hatte er mir das vorgehalten, aber nicht nur mir, sondern auch dem alten Myron. Es war kein richtiger Streitpunkt, aber es stand zwischen uns, bis Lysios über Hermogenes’ Leiche stand und endlich den Männern seiner kleinen Polis zeigen konnte, was für ein Held er war.

Auch die Männer aus Hermione ließen nicht auf sich warten. Sie kämpften weiter links und hatten nicht so viele Opfer zu beklagen; sie erhöhten einfach den Druck, setzten ihre Waffen geschickt ein.

Ich wünschte, ich könnte jeden gebührend erwähnen, der fiel, und jeden, der standhielt und drückte oder zustach, verzweifelt oder gezielt. Denn eine Phalanx gewinnt nicht der Helden wegen. Sie können zwar von Vorteil sein, aber eine Phalanx erringt den

Ich hatte Zeit. Das sind Augenblicke, wenn sich die Schlacht wie ein Einzelgefecht anfühlt. Man darf dem Menschenschlächter keine Zeit lassen. Darf ihn nicht ans Nachdenken kommen lassen.

Ich hatte aber Zeit.

Ich blickte mich um und sah die Lyder. Sie – stritten untereinander.

Ich sah ein gutes Dutzend Männer, die sich anschrien. Sie mochten dreihundert Schritte entfernt sein, auf vollkommen ebenem Gelände, und die Köpfe ihrer Pferde wiesen in Richtung unserer offenen Schilde. Wir waren Schlachtvieh, wenn sie es auf uns abgesehen hätten.

Doch Athene verwirrte den Geist dieser Männer.

Und wirklich, es war zu spät, um meiner Taxis Einhalt zu gebieten. Es gibt Kämpfe, da kann man herumwirbeln und von diesem zum nächsten Gegner springen, nicht aber in diesem Gewühl aus Staub und Blut. Meine Männer hatten die Lokrer gebrochen, und jetzt, aufgrund des leicht abschüssigen Geländes und des guten Willens der Götter, hielten wir auf die Flanke der thebanischen Phalanx zu. Wenn ich nichts tat, würden wir auf Höhe des achten Manns in der feindlichen Formation zuschlagen. Brasidas, der ganz links die Rotte anführte, würde diesen Mann erschlagen, und

Irgendwann, das ahnte ich, würden die Lyder stürmen, aber dann wäre bereits die ganze thebanische Phalanx zerfallen.

Ich tat nichts.

Wir legten eine Strecke von weiteren fünfzig Schritten zurück, hinein in die Formation der Thebaner.

Und die Götter lächelten milde auf uns herab.

Weiter links von mir gab Lysios, der selbsternannte Polemarch der Platäer, seiner Taxis den Befehl haltzumachen. Und das taten sie. Daher rückten wir entlang der vordersten Linie von Platäa weiter, vielleicht zehn Schritte von den Männern entfernt. Selbst von meiner Position etwas abseits konnte ich sehen, wie die Hopliten ganz vorn einen Schluck Wasser nahmen oder auf ein Knie sanken.

Wir krachten in die tiefstehenden, verwirrten Thebaner.

Unterdessen machten sich fünfhundert Schritte hinter mir die Lyder bereit für einen Angriff.

Und dann war ich erneut ins Kämpfen verwickelt.

Ich hätte wetten können, dass die Thebaner geflohen wären, als wir in ihre Flanke krachten, aber dazu kam es nicht. An jenem Tag, dem härtesten Tag aller Kämpfe, die ich je erlebt hatte, schien aus meiner Sicht nichts so zu verlaufen, wie es hätte geschehen sollen. Die Thebaner, denkt daran, waren von unserer Stoßrichtung überrascht worden; als wir nämlich in ihre hinteren Reihen krachten, rappelten sie sich aus meiner Sicht deshalb auf, weil wir sie auf einer Achse angriffen, entlang derer sie ohnehin zu kämpfen bereit waren. Wir waren fünfhundert, sie zählten indes immer noch zehntausend.

Aber wir wussten achttausend Athener weiter links, die ihrerseits Druck aufbauten.

Und bei Ares, die Erinnyen schwebten dicht über unseren Häuptern; unser Zorn war weiß glühend, wie Eisen, das zu lange

Die Lokrer zu töten, war reines Kriegshandwerk.

Die Thebaner zu töten, war ein heiliger Kampf.

Unsere Formation überstand den zweiten Zusammenprall nicht. Die Thebaner waren ein Kriegshaufen, aber ein eng stehender Haufen, und auch wenn es mich schmerzt, das zu sagen, es war ein tapferer Haufen; böotische Bauernlümmel, wie ich einer war. Ich tötete meinen Gegner und drängte vorwärts und schlug mit allem zu, was mir zu Gebote stand – mit meinem Aspis, mit der Speerspitze, ich trat mit meinen beschlagenen Sandalen, ich kämpfte verbissener, als ich je gekämpft hatte, weil ich nicht mehr daran dachte, noch lebend aus dem Gewühl herauszukommen.

Denn dies war ja immerhin der Schlusspunkt. Bislang hatten wir uns besser geschlagen, als ich es je für möglich gehalten hätte; wir hatten die rechte Flanke des Feindes geknackt, und jetzt würden die Athener, ganz gleich, wie es verlief, die Thebaner besiegen.

Ich werde euch nicht erzählen, dass ich all das im Detail dachte. Nein, dafür küsste ich Briseis ein letztes Mal in meinen Gedanken. Ich hatte mit allem abgeschlossen, und es gab nichts anderes mehr als die Kunde, dass Arimnestos aus Platäa auf den Feldern seiner Vorväter starb, im Kampf gegen die verhassten Feinde.

Ich erinnere mich im Grunde nur an einen Augenblick des Kampfes, eine Erinnerung wie an einen Traum. Der Gegner unmittelbar vor mir ging zu Boden, ich weiß nicht einmal genau, warum; ich wandte mich ab, als hätte Athene meine Hand ergriffen, um mich zu führen, und trieb meinen Speer in den ungeschützten Hals des Mannes ein Stück weiter rechts. Dann drehte ich den Speer einmal ganz und stieß mit dem Sauroter zu, und zwar wieder linker Hand, denn dort traf ich erneut einen Gegner am Hals

Und ich denke, das war mir zugedacht, als Gabe.

Und dann …

Dann stand ich da, mit dem schweren Aspis am Arm, der nach unten sackte wie eine aus den Angeln gewuchtete Tür, in der rechten Hand das Xiphos. Blut lief mir über den Arm und den klebrigen Griff des Schwerts, und neben mir standen Styges und Sittonax. Aber vor uns war niemand mehr, nur der lange, sanft steigende Hang des Asopos-Kamms.

Die Thebaner hatten nicht aufgegeben, waren nicht geflohen.

Wir hatten eine tödliche Schneise durch ihre Phalanx getrieben.

Nie hatte ich einen Phalanx-Kampf erlebt, der so lange dauerte. Die Thebaner standen tief, vielleicht zwanzig Mann tief, und hatten die hinteren Reihen mit freigelassenen Sklaven gefüllt. Und die Sklaven kämpften für ihre Freiheit.

Hinter meiner rechten Schulter, am Fuße des Kamms der Heiligtümer, hatten die Lyder ihren Reiterangriff eingeleitet. Aber sie hielten nicht auf uns zu, hatten nicht vor, die Thebaner zu retten.

Nein, sie hielten auf die Platäer zu.

Das war einfach unglaublich.

Wir verloren nicht.

Ich musste einen Moment genauer hinsehen, um zu begreifen, dass die Lyder sozusagen an den Platäern festsaßen und mit ihren langen Speeren Überhandschläge ausführten.

Doch ich schloss mich wieder Styges, Sittonax und Polymarchos an, natürlich auch den anderen Epibatai von der Lydia, und tötete schlecht bewaffnete thebanische Sklaven. Wir brauchten nicht viele von ihnen zu erschlagen.

Der Rest der Epilektoi war entweder bis in die Reihen der Thebaner vorgedrungen oder an den Flanken vorbeigerauscht; andere Männer schlossen sich uns an. Unsere klassische Formation hatte sich aufgelöst. Das war ein Getümmel, aber kein Othismos mehr, daher blieben wir in keiner nennenswerten Ordnung. Kämpfer schleuderten ihre Speere oder suchten den Nahkampf, und irgendwann begann die rückwärtige Formation der thebanischen Phalanx sich zu verbiegen und aufzufächern, da die Männer versuchten, es auf voller Breite mit uns aufzunehmen. Stellt euch vor, wie eine Lache Öl auf eine Lache Essig trifft; die beiden Lachen zerfließen. Natürlich waren die Thebaner uns zahlenmäßig überlegen, aber je mehr sie sich auf uns einstellten, desto weniger von ihnen stemmten sich gegen die Athener. Und bei Athene, Aristeides und dessen vorderste Linie waren so gefährlich wie die besten Krieger in meinem Aufgebot. Vergesst nicht, dass Aristeides der erste wahre Schwertkämpfer war, dem ich je begegnete, und ich besiegte ihn nur mit etwas Glück; und vergesst nicht, dass er Kimon an seiner Seite hatte, natürlich auch Kleitos und meinen Schwiegervater Aleitos – und Hunderte angesehene Krieger.

Und ich sah meine Söhne wieder, gepriesen auch sie. Ein Blick genügte, dann hatte ich mich vergewissert, dass sie am Leben waren. Und wieder traten sie wie Achill und Hektor im Doppelpack auf und schlugen eine Schneise, in der ihnen die schlichteren Kämpfer folgten.

Es gab einen Moment, als alles in der Schwebe hing. Aus dem Getümmel löste sich ein Thebaner in prächtiger Rüstung und brüllte seine Männer an, sich ihm anzuschließen. Sogleich bildete sich eine Schar Kämpfer in seiner Nähe, und der Druck auf mich nahm zu. Die Thebaner bauten eine neue Frontlinie mitten im Gefecht auf, eigentlich unfassbar.

Er hätte bei Polymarchos in die Ausbildung gehen sollen.

Mein Schwert schnitt einmal entlang des Speerschafts und erwischte die Finger des Bastards. Ich behielt den Schwung bei und stieß mit dem Schwert gegen das T-Stück des Helms. Mein Xiphos zertrümmerte die Nase des Thebaners, ehe sich die Klinge in sein Hirn bohrte; der Mann war tot, ehe seine Glieder nachgaben.

Er sackte von der Spitze meines Schwerts, und die Thebaner flohen. Ich konnte nicht wissen, wer dieser Thebaner war, aber ich hatte ihren Polemarch getötet, Mardonios’ Freund Timagenides, jenen Mann, der Platäa niederbrannte. Möge er immerdar im dunkelsten Winkel des Hades verrotten! Ich war froh, ihn zu Fall gebracht zu haben, viel froher stimmte es mich indes, dass er Hipponax nur das Nasenbein und den Wangenknochen gebrochen hatte. Er hatte meinem Sohn nicht das Leben genommen, schon gar nicht den Kampfeswillen.

Ich hatte auch nicht mitbekommen, dass sich Hektors Speer ins Schienbein des Thebaners gebohrt hatte, fünf Zoll tief, durch die Beinschiene hindurch.

Ich sah es erst, als der Bastard fiel.

Hektor hob den Kopf meines Sohnes an, und wir sahen, dass Hipponax lebte.

Hinter uns setzten die Lyder den Platäern zu.

Mein Jagdhorn war zerbrochen.

Aber Brasidas’ Horn war noch intakt, meine Stimme war noch frisch, auch wenn ich schon seit nunmehr zehn Tagen Befehle gerufen hatte.

«Auf vorderster Linie formieren!», brüllten wir, ehe Brasidas ins Horn blies.

So richteten wir uns neu aus und wandten uns den Lydern zu.

Das verwirrte unsere Männer zunächst; noch liefen einige auf die falschen Positionen, stritten untereinander, drängelten – hätte uns in diesem Moment der Feind angegriffen, wir wären leichte Beute gewesen. Hinter meiner linken Schulter strömten an die achttausend Thebaner davon. Sie liefen nach Norden; das lag an dem Winkel, aus dem die Athener zugeschlagen hatten, kurz darauf die Männer aus Ägina und schließlich wir. Die Thebaner nahmen die Straße in Richtung Theben und liefen nicht zurück zu den Hängen des Asopos-Kamms, von wo sie ja gekommen waren.

Die Hopliten aus Ägina setzten ihnen nach. Auch dies war das Ergebnis von Stoßrichtung und Initiative.

Die Athener blieben stehen. Es sah einen Moment so aus, als ließe man dem bereits toten Gegner Zeit, von der Speerspitze zu rutschen. Aristeides gab den Befehl zum Haltmachen und reorganisierte seine Phalanx. Ein brillanter Zug, denn wie leicht und wie verlockend wäre es gewesen, die geschlagenen Thebaner zu verfolgen und abzuschlachten. Schlecht für Griechenland, aber gut für die Athener. Gegner niederzumachen, die fortlaufen, ist eine sichere Sache. Da könnt ihr jeden Reiter fragen.

Ich hatte Zeit, all das zu verfolgen, während ich brüllte und

Ich habe keine Ahnung, wie lange das alles dauerte. Styges meint, es sei blitzschnell gegangen, ich hingegen hatte das Gefühl, eine halbe Ewigkeit wäre vergangen.

Kaum hatten wir ein paar hundert Kämpfer hinter uns gebracht, gab ich Brasidas ein Zeichen, und schon rückten wir vor. Ich stand längst nicht mehr vorn rechts, wir hatten auch unsere ursprüngliche Formation aufgegeben. Wir standen nun breiter, nicht mehr so tief, und etwa hundert Mann fehlten.

Jetzt, da wir in Bewegung waren, konnte ich den Staub über dem Kamm der Heiligtümer sehen. Die thebanischen Reiter mähten die Männer aus Korinth nieder. Derweil hatte Megara ein Getümmel verloren, rottete sich aber wieder zusammen und hielt auf die Reiterei aus Thessalien zu.

Die Thessalier blickten zurück über die Schulter, da wir im Begriff waren, sie auf ganzer Linie anzugreifen. Sie wären die Nächsten, sobald die Lyder unterlagen.

Denn meine Epilektoi griffen die Lyder nun im Rücken an.

Alles hatte sich verändert. Wirklich alles. Zumindest auf diesem Flügel würden wir den Sieg davontragen.

Tatsächlich hatten wir schon gewonnen. Die Thebaner flohen, verfolgt von Ägina und einigen Hitzköpfen, die zu sehr vom Daimon des Kampfes beflügelt waren, um noch auf Befehle zu achten. Aber ich brauchte nur nach rechts zu schauen, um zu sehen, dass Aristeides Ordnung in seine vorderste Kampflinie brachte. Die Athener waren ungebrochen: achttausend Hopliten, bisher ungeschlagen. Siegesgewiss.

All das konnte ich sehen.

Wir bewegten uns von hinten auf die Lyder zu und waren nur noch etwa zweihundert Schritte von ihnen entfernt. Einige der Reiter in dem Getümmel schauten über die Schultern und sahen uns.

Ich wollte sie nicht entkommen lassen, auf dass sie sich nicht neu sammelten und zu einer Bedrohung auf unserer Flanke werden konnten.

Mein ganzes Leben hatte ich mir anhören müssen, Fußtruppen könnten keine Reiterei angreifen, und dennoch schien ich das tun zu wollen. Aber bei meinem letzten Vorstoß hatte ich viele jüngere Männer verloren und war daher zögerlich. Und jetzt, da wir den Sieg vor Augen hatten, fiel dieser falsche und selbstmörderische Heldenmut von mir ab. Gut möglich, dass ich eine Niederlage nicht erleben wollte, dafür wollte ich aber unbedingt leben, um den Sieg auszukosten. Und tatsächlich kamen mir wieder Gedanken in den Sinn, die nichts mit dieser Schlacht zu tun hatten: Ich dachte an meine Tochter Euphoria, an Briseis.

Ja, es gab so vieles, für das es sich zu leben lohnte.

Trotzdem wusste ich, dass wir das brauchten, und wir brauchten es sofort.

«Bereit für den Lauf?», rief ich. Brasidas hatte das jeden Tag gesagt, als wir noch am Strand von Hermione waren.

Ich hörte einige von uns lachen.

«Stimmt den Paian an!», rief ich. Zweimal hatten wir bereits gekämpft, den Paian aber nicht gesungen.

Und Styges, der eine schöne Singstimme hatte, stimmte nun das Loblied an. Alle fielen mit ein. Und die wirklich unglaubliche Sache war, dass die Athener, die weiter links von uns kämpften, ebenfalls zu singen begannen und uns zujubelten, als wären sie Zuschauer bei den Spielen von Olympia. Und all diese Stimmen stiegen empor zu den Göttern. Ein solches Gefühl hatte ich noch nie verspürt. Denn zehntausend sangen für mich.

Ob es überhaupt einen Befehl gab, es mit den Lydern aufzunehmen, weiß ich nicht.

Doch wir rannten los.

Einige von ihnen sprengten davon. Aber bei Hermes, wir waren richtig schnell! Für mich war es vielleicht das letzte Mal, dass ich so schnell rannte, aber ich jagte so flink über die Ebene, um meine Speerspitze rot zu färben, trotz aller Wunden und Nachteile des Alters. Und Styges und ich töteten ein Pferd und sofort danach den Reiter. Im selben Moment stimmten die Platäer ein großes Gebrüll an, worauf rechts von uns die Reiter aus Thessalien nachgaben.

Panik und Flucht. Die Griechen hatten den Tag voller Unruhe begonnen und sich dann wieder beruhigt. Die Barbaren indes hatten den Tag wohlgeordnet begonnen …

Der Kampf gegen die berittenen Lyder würde eine großartige Geschichte abgeben. Denn immerhin rannten Hopliten gegen barbarische Reitereinheiten an.

 

Ihr könnt das auf dem Wandgemälde dort sehen, in der Stoa. Dort bin ich, mit Artaphernes dem Jüngeren, der meine Speerspitze zu spüren bekommt, während Styges das Pferd des Satrapen tötet. Dort seht ihr Brasidas mit seinem spartanischen Helm, der den feindlichen Hornbläser tötet. Die Platäer sind dort hinter den Lydern zu sehen, und sie sind siegreich. Es ist eine große Ehre, dass diese Begebenheit zu den zwölf Szenen des riesigen Wandgemäldes gehört. Und es ist durchaus möglich, dass es sich so abspielte.

Aber falls ich es war, der Artaphernes tötete, dann ist mir das natürlich eine Freude. Erinnern kann ich mich allerdings nicht daran. Obwohl ich nicht verschweigen möchte, dass ich seinen Umhang besitze – ein herrlich gearbeiteter Mantel, scharlachrot gefärbt, wie in Tyros üblich, mit goldenen Fäden durchwirkt. Ihr habt mich gewiss schon darin gesehen. Vermutlich habe ich dem toten Satrapen den Umhang abgenommen, denn am Endes des Tages hatte ich mir den Stoff um die Schultern gelegt.

Aber ich bin stolz auf das, was ich tatsächlich erreichte.

 

Denn ich rettete Kyros das Leben. Es war Tyches Einfluss – dort war der Perser, zu meinen Füßen, verwundet an der linken Schulter. Ein Speer hatte ihn dort getroffen, doch Kyros hielt noch sein gebogenes Schwert in der Rechten. Im nächsten Augenblick ließ ich meinen Speer vorschnellen und stieß die Speere von Styges und Polymarchos zur Seite. Ein hübscher Stoß meinerseits. Und damit zahlte ich manch eine Schuld zurück, die sich im Laufe unserer Gastfreundschaft angehäuft hatte. Neben ihm lag Arynam, ebenfalls verwundet.

Ich wandte mich an Polymarchos, den ältesten Krieger in unserer Taxis. Er war ganz grau im Gesicht vor Erschöpfung.

«Diese beiden Perser sind meine Gastfreunde», sagte ich mitten im Gefecht. «Wirst du bei ihnen bleiben und ihr Leben schützen?»

Polymarchos rammte den Speerschaft samt Sauroter tief in den Boden. «Bei Zeus, dem Gott der Eide, das werde ich tun!», bekräftigte er.

Ich greife voraus. Als Ausbilder war Polymarchos ein besserer Arzt als die meisten anderen. Er trug Hektor auf, Hipponax zu holen, und dann begann er, die beiden Perser und meinen Sohn zu versorgen. Unterdessen brachten ihm die Männer noch weitere Verwundete. Niemand drohte Kyros und Arynam, aber Dareios, der dritte Perser im Bunde, lag mit dem Gesicht nach unten im Dreck und rührte sich nicht mehr. Er war tot. Eine Stunde später halfen einige Kämpfer aus Megara Polymarchos, die Verwundeten in den Schatten des Heiligtums der Hera zu schaffen. Dann kamen die Feldscher und Heilkundigen des Heeres.

Erst da erfuhr ich, dass Hermogenes tot war, auch Myron und etliche andere.