Da sind wir also wieder alle versammelt – am letzten Abend meiner Feier. Ist es wirklich die letzte Feier? Vielleicht veranstalte ich später im Jahr noch eine Jagd und erzähle euch dann meine anderen Geschichten: wie wir nach Africa reisten, wie wir eine wertvolle Fracht aus Indien holten und wie wir diesen schönen Ort eroberten. Mir scheint, dass es euch allen gefällt, diesen Geschichten zu lauschen, und beim Erzählen fühle ich mich wieder jung und gesund. Ja, wirklich, sobald ich von früher erzähle, ist Kalchas wieder unter uns, auch meine Mutter ist dann wieder lebendig, ebenso Paramanos und Idomeneus. Lasst mich diesen Wein ihren Schatten senden, auf dass sie wissen, dass wir immer noch voller Liebe und Zuneigung über sie sprechen.
Aber dies ist nun einmal die beste Geschichte seit Troja – angefüllt mit Kummer und Freude, mit Männern und Frauen, Helden und Verrätern und Männern wie Themistokles, der sowohl Held als auch Verräter war. Mögest du nie solche Zeiten durchleben, Thygater.
Am ersten Abend habe ich euch von meinen Jugendjahren erzählt und wie ich zu Kalchas dem Priester kam, um bei ihm die standesgemäße Erziehung zu genießen. Stattdessen lernte ich das Handwerkszeug eines Speerkämpfers. Denn Kalchas war kein törichter Schwätzer, sondern ein Menschenschlächter, der viele Male im Sturm aus Bronze ausgehalten hatte. Aus allen griechischen Landen kamen erfahrene Krieger zu uns und hängten ihre Schilde für eine Weile an die Mauern des Grabmals, um in Ruhe mit Kalchas zu plaudern, und wenn er diese Männer dann wieder fortsandte, waren sie bessere Menschen oder zumindest innerlich geheilt. Abgesehen von den Schlimmsten unter ihnen, die im Zeichen des Bösen standen und die Leitos, der alte Held des Grabmals, zu sich rief. Dann tötete Kalchas sie an den Mauern des Schreins und schickte ihre schreienden Schatten zum alten Helden, auf dass sie ihm auf ewig im Hades dienten.
Aber merkt auf, Freunde, Leitos war kein zorniger alter Gott, der Blutopfer einforderte, sondern Platäas Held aus den Zeiten des Trojanischen Krieges. Er war ein böotischer Held, wie er im Buche steht, denn er war kein großer Menschenschlächter, auch kein Achill, der in seinem Zelt schmollt. Leitos gebührt ewiger Ruhm, da er sich auf den Weg nach Troja machte und zehn Jahre dort kämpfte. Und an jenem Tag, als der gewaltige Hektor rasend vor Zorn bei den Schiffen der Griechen wütete und Achill in seinem Zelt düsteren Gedanken nachhing, scharte Leitos die einfachen Krieger um sich und formte einen dichten Schildwall. Diesen Männern gelang es, Hektor so lange aufzuhalten, bis sich Ajax und die anderen griechischen Helden sammeln konnten.
Mag sein, dass man euch in Theben, Athen oder Sparta eine andere Geschichte erzählt. Doch dies ist die Geschichte des Helden, dem ich bereits als Kind diente. Ja, ich verbrachte viele Jahre im Schatten des Schreins und lernte den Kriegstanz, den wir Pyrrhiche nennen. Oh, ich lernte lesen und las die Schriften des alten Theognis, auch die Werke Hesiods und Homers. Aber es waren der Speer, das Schwert und der Aspis, die zu mir sangen.
Als mein Vater erfuhr, dass ich das Kriegshandwerk erlernte und kein Schriftgelehrter sein würde, kam er hinauf zum Schrein und nahm mich wieder mit nach Hause, und der alte Kalchas – nun ja, er starb. Oder besser: Er nahm sich selbst das Leben. Aber all das habe ich euch erzählt – ihr erinnert euch gewiss, wie unser kleines Platäa, unsere ländlich geprägte Siedlung in einem Winkel Böotiens, versuchte, sich von dem verfluchten Theben loszusagen und deshalb ein Bündnis mit dem fernen Athen einging. Ihr erinnert euch sicher noch, dass der gottgleiche Miltiades in unsere kleine Polis kam und meinen Vater, den Bronzeschmied – und Draco den Stellmacher und unseren alten Nachbarn Epiktetos – wie einen Herrn aus Athen behandelte. Er umgarnte sie mit ausgesuchten Worten und zahlte ihnen harte Silberdrachmen für ihre Erzeugnisse. Auf diese Weise gewann Miltiades die Männer meiner Heimat für seine eigenen politischen Absichten und für die Bedürfnisse einer großen Polis wie Athen.
Als ich noch ein schlaksiger Jüngling war – ich war zwar groß für mein Alter und auch kräftig, aber eben noch zu jung, um in der Phalanx zu stehen –, ersuchte Athen das kleine Platäa um Hilfe, und so marschierten wir über das Kithairon-Gebirge, über jene uralte Bergkette, auf der wir unsere finster blickenden Gottheiten verehren, und stießen bei Oinoe zum Aufgebot aus Athen. Wir standen neben ihnen und kämpften gegen Sparta und Korinth und andere Städte der Peloponnes – und wir schlugen sie allesamt.
Nun – eigentlich besiegte Athen sie. Platäa konnte gerade so überleben, und mein älterer Bruder Chalkidis, der meinen Vater hätte beerben sollen, starb auf dem Schlachtfeld, durchbohrt von dem Speer eines Spartiaten.
Vier Tage später, als wir erneut zu den Waffen griffen – diesmal gegen Theben –, stand auch ich in der Phalanx. Und wieder triumphierten wir. Von da an war ich Hoplit.
Weitere zwei Tage später, als wir uns den Männern aus Euböa entgegenstellten, wurde ich Zeuge, wie mein Verwandter Simonalkes meinen Vater tötete: Er stieß ihm hinterrücks die Klinge in den Leib, genau unterhalb des schillernden Brustpanzers aus Bronze. Als ich über meinen toten Vater stolperte, bekam ich einen heftigen Schlag gegen den Kopf. Und als ich aufwachte, hatte ich zunächst keine Erinnerung mehr an den Verrat meines Vetters Simon.
Denn als ich aufwachte, war ich ein Sklave, wie ihr ja wisst. Simon hatte mich an phönizische Händler verschachert, und so gelangte ich mit vielen anderen griechischen Sklaven nach Osten.
Ich war zehn Jahre Sklave – und ehrlich gesagt, war es kein durchweg schlechtes Leben. Ich kam in ein stattliches Haus, in dem wohlhabende, kultivierte und überaus zuvorkommende Menschen lebten – der Dichter Hipponax mit seiner Gemahlin und ihren beiden Kindern. Archilogos – er war der ältere der beiden Geschwister – war fortan mein Herr, er wurde mein Freund und Vertrauter. Gemeinsam erlebten wir viele Abenteuer. Aber da gab es noch seine Schwester, Briseis …
Ah, Briseis! Sie war wie Helena, die wieder auf Erden wandelt.
Wir lebten damals im fernen Ephesos, in einer der schönsten und mächtigsten Städte der griechischen Welt – dabei liegt Ephesos an der Küste Asias. Dort leben Griechen seit den Tagen des Trojanischen Krieges, und der Tempel der Artemis zählt zu den Weltwundern unserer Zeit. Archilogos, mein Herr, besuchte jeden Tag die Schule im Tempel der Artemis, wo der große Philosoph Heraklit seine Schüler unterrichtete. Ständig überhäufte er uns mit Fragen, die so schmerzhaft auf uns herabregneten wie die Schläge, die uns der alte Kämpfer während der Kunst beim Pankration im Gymnasion beibrachte.
Ja, Heraklit. Ich bin Männern und Frauen begegnet, die ihn als Scharlatan bezeichneten, als Träumer, als Urheber pietätloser Handlungen. Tatsächlich war Heraklit ein zutiefst frommer Mann – immerhin stellte seine Familie seit eh und je die Priester der Artemis –, aber er war der Überzeugung, das Feuer sei das einzig wahre Element. Für ihn stellte der Wandel die einzige Konstante in unserem Leben dar. Ich muss ihm in beiden Punkten recht geben.
Es war ein schönes Leben. Mir wurde die Erziehung eines reichen Herrn zuteil, ohne dass ich etwas zu bezahlen brauchte. Ich lernte, einen Wagen zu lenken, ich erhielt Reitunterricht und lernte, wie man kämpft, ich lernte aber auch, meinen Geist wie ein Schwert zu führen. All das liebte ich, aber am meisten …
Ja, am meisten liebte ich Briseis.
Und während ich ihr in Liebe zugetan war – gut, ich hatte auch Augen für ein Dutzend anderer junger Frauen –, reifte ich zum Mann und bekam mit, wie Griechen und Perser im Haus meines Herrn Ränke schmiedeten. Und eines Abends trieben all diese Ränke und Intrigen hässliche Blüten: Die Frucht, die daraus erwuchs, hatte die Gestalt des blutroten Krieges. Das war zu jener Zeit, als sich die griechischen Städte in Ionien gegen die persische Oberherrschaft auflehnten.
Da ihr heute Abend wieder Geschichten über den Krieg gegen die Perser hören werdet, möchte ich euch kurz in Erinnerung rufen, was die Ursache für diesen Konflikt war. Es waren wenig ehrenhafte Gründe, und die Griechen waren nicht viel besser als die Perser, vielleicht sogar um einiges schlimmer. Unter dem Großkönig besaßen die Ionier Geld, Macht und Freiheit – sie durften frei entscheiden, welche Gottheit sie verehrten, sie durften sich selbst verwalten – und alles, was sie dafür erbringen mussten, waren Steuern. Und sie waren nur insofern «Sklaven», als sie in allen außenpolitischen Belangen dem Großkönig gehorchen mussten. Das «Joch» der Perser war leicht und erträglich, das weiß kein Mensch besser als ich, denn als Sklave diente ich als Herold und überbrachte die Nachrichten, die mein Herr Hipponax und der mächtige Artaphernes austauschten – er war damals der Satrap von Phrygien. Ich kannte Artaphernes gut – ich machte Botengänge für ihn, durfte ihn beizeiten ankleiden, und eines Nachts, als mein Herr Hipponax den Perser im Bett seiner Frau erwischte, rettete ich Artaphernes das Leben. Denn in seinem Zorn hätte Hipponax den Satrap gewiss erschlagen. Aber ich rettete auch Hipponax das Leben, hielt ich ihm doch vier gestandene persische Krieger vom Leib – Arynam, Pharnakes, Kyros und Dareios. Ihre Namen sind mir unvergesslich, denn diese vier Männer zählten einst zu meinen Freunden.
Ihr werdet wieder von ihnen hören. Außer von Pharnakes, der am Bosporus im Kampf gegen die Karier fiel.
Wie dem auch sei, nach jener Nacht der Schwerter, des Feuers und des Hasses war mein Herr Hipponax nicht mehr länger treuer Diener Persiens, sondern verwandelte sich in einen hasserfüllten griechischen «Patrioten». Und unsere Stadt Ephesos wappnete sich für den Krieg. In all diesen Wirren verlor meine geliebte Briseis ihren Verlobten Diomedes aufgrund von Gerüchten und Verleumdungen, und Archilogos und ich prügelten den Kerl für seine Unverschämtheiten ordentlich durch. Inzwischen hatte ich das Töten gelernt, ich wusste, wie man Gewalt anwendet, um das zu bekommen, was man haben will. Als Belohnung bekam ich Briseis – genauer gesagt: Sie bekam mich. Mein Herr schenkte mir die Freiheit, ohne zu wissen, dass ich seine Tochter entjungfert hatte, und so segelte ich mit Archilogos fort, um dem Zorn der Familie jenes unglückseligen Verlobten zu entkommen.
Wir schlossen uns dem griechischen Aufstand in Lesbos an, und dort am Strand begegnete ich Aristeides – manchmal wird er «der Gerechte» genannt. Jedenfalls ist er einer der größten Helden Athens, allerdings war er auch Miltiades’ politischer Gegner.
Nun sollte mein wahres Leben beginnen. Mein Leben als Mann des Krieges. Ich gewann meine ersten Spiele auf einem Strand auf Chios, mein Preis war meine erste Rüstung. Ich zog gegen die Perser in den Krieg.
Aber Ares, der Gott des Krieges, hatte nicht so viel Einfluss auf mein Leben wie Aphrodite, und als wir nach Ephesos zurückkehrten, um den großen Krieg zu planen, verbrachte ich jede freie Stunde mit Briseis. Heute denke ich, dass nie in Zweifel stand, was daraus werden würde. Aber Heraklit, der große weise Mann, forderte mich auf, einen Eid vor den Göttern abzulegen, auf dass ich Archilogos und dessen Familie schütze – und diesen Eid leistete ich. Wie die Helden in den alten Geschichten dachte ich nie darüber nach, welche Folgen ein solcher Eid zeitigen würde. So schlief ich weiterhin unbekümmert mit Briseis.
Ah, Briseis! Sie warf mir vor, feige zu sein, wenn ich mich von ihr fernhielt, und sie verschlang mich, wenn ich sie besuchte. Nacht für Nacht schlich ich mich an den Sklaven vorbei in die Gemächer der Frauen, bis wir am Ende entdeckt wurden. Natürlich musste es irgendwann dazu kommen.
Ich wurde des Hauses verwiesen und durfte nie mehr zurückkehren – und das verlangte ausgerechnet das Oberhaupt jener Familie von mir, die ich zu beschützen geschworen hatte.
Drei Tage später zog ich mit Aristeides und den Athenern tiefer ins Inland. Wir brannten Sardis nieder, aber die Perser fielen über uns her, als wir gerade dabei waren, den Markt und die Stadt zu plündern. In der Stadt selbst unterlagen wir, auch an der Brücke mussten wir uns geschlagen geben. Die Perser schlugen auf uns ein, als wären wir nichts weiter als eine hilflose Trommel – ich aber stand meinen Mann, Kampf um Kampf, und genoss bald den Ruf, ein hervorragender Speerkämpfer zu sein. An einem Pass oben in den Bergen rannte ich zusammen mit Eualkidas, dem Helden aus Euböa, gegen Artaphernes’ Leibwache an – und überlebte auch das. Wiederum drei Tage später, auf der Ebene von Ephesos, versuchten wir, uns einem persischen Heer entgegenzustellen. Wir boten die ganze Schlagkraft des Ionischen Aufstands auf, doch letzten Endes knickten die Griechen ein und flohen, anstatt sich den persischen Bogenschützen und den zornigen Kämpfern aus Phrygien zu stellen. Wir hingegen, die Männer aus Athen und Euböa, hielten allein die linke Flanke und geboten den Kariern Einhalt. Unser Heer wurde aufgerieben. Der Held Eualkidas starb dort. Ich kehrte zurück, um seinen Leichnam vom Schlachtfeld zu holen, und musste feststellen, dass mein alter Herr und Gebieter Hipponax tödlich verwundet war. Ich erlöste ihn von seinen Qualen und hatte wieder nicht an den Eid gedacht, den ich geleistet hatte. So kam es, dass Archilogos, der einst wie ein Bruder für mich war, davon überzeugt war, ich hätte Hipponax aus Hass getötet, nicht aus Mitleid und Liebe. Fortan stand diese Bluttat zwischen uns und machte alle Hoffnung auf Aussöhnung zunichte. Archilogos war der Ansicht, dass ich seine Schwester vergewaltigt und seinen Vater ermordet hatte, obwohl ich vor den Göttern gelobt hatte, die Familie zu beschützen. Und genau das wird noch Auswirkungen haben auf die Geschichte, die ich euch an diesem Abend erzählen werde.
Nach der Niederlage vor Ephesos konnte ich mit den Athenern fliehen, aber auf mir lastete der Fluch des Eidbruchs, und deshalb fiel Poseidon in seinem Zorn über unser Schiff her. In jedem Hafen erschlug ich Männer, die sich mir in den Weg stellten, bis mich Agios, ein Freund aus Athen, an der Küste Kretas absetzte. Auf diese Weise lernte ich Achilles, den König von Gortyn, und dessen Sohn Nearchos kennen, den ich fortan erziehen sollte. In der Tat brachte ich ihm so viel bei, dass Nearchos und ich in der nächsten Schlacht des Ionischen Aufstands die Helden der griechischen Flotte wurden. Wir halfen meinem ehemaligen Freund Archilogos, im Zentrum des persischen Geschwaders durchzubrechen. Das war der erste größere Sieg der Griechen, aber das währte nicht lange, und Tage später war ich Pirat auf hoher See und befehligte zum ersten Mal mein eigenes Schiff. Die Schicksalsgöttin schien mir wohlgesinnt zu sein, vielleicht weil ich meinem Eid treu geblieben war, da ich Archilogos während der Seeschlacht beigestanden hatte. Als wir dann den schlimmsten Sturm überlebten, in den ich je geraten war, schenkte Poseidon mir Paramanos, einen Nubier und sehr erfahrenen Steuermann. Mit einer guten Mannschaft und einem schweren Schiff kehrte ich nach Lesbos zurück und schloss mich Miltiades an – jenem Mann also, der zu Beginn meiner Geschichte die Männer aus Platäa mit samtenen Worten umworben hatte. Von Miltiades erfuhr ich schließlich, wer einst meinen Vater ermordet hatte, und beschloss daraufhin, in meine Heimat zurückzukehren, um Rache zu üben.
Ich erfuhr, dass Briseis unterdessen einen der Wortführer des Ionischen Aufstands geheiratet hatte, der darauf aus war, mir das Leben zu nehmen – es hieß, Briseis habe immer meinen Namen gerufen, wenn ihr Mann abends bei ihr liegen wollte. Ich hatte längst beschlossen, diesen Kerl zu töten.
Ich blieb als Pirat an Miltiades’ Seite, aber nachdem die Aufständischen weitere Niederlagen gegen die Perser einstecken mussten, stieß ich in der Hitze eines Gefechts auf thrakischem Boden zufällig auf Briseis’ Ehemann und löschte sein Leben aus. Später machte ich mich auf den Weg zu meiner Geliebten und bat sie, fortan an meiner Seite zu leben – doch sie verschmähte mich.
So kann es einem manchmal ergehen. Ich kehrte nach Platäa zurück, innerlich ausgehöhlt, und die Erinnyen flüsterten mir Rachegedanken ein. Ich musste feststellen, dass Simonalkes und seine Söhne sich Land und Besitz meines Vaters einverleibt hatten. Schlimmer noch: Mein Vetter Simon hatte meine Mutter geheiratet und hegte die Absicht, seinen jüngsten Sohn Simon mit meiner Schwester Penelope zu verheiraten.
An dieser Stelle möchte ich aber betonen, dass ich nicht mit Feuer und Schwert über Simon herfiel. Kalchas hatte mir etwas fürs Leben beigebracht, später lehrte mich Heraklit Dinge, die sich als wahr erweisen sollten und in meinem Leben stets von großer Bedeutung gewesen sind – und nach vier Jahren als Krieger hatte ich begriffen, dass Gerechtigkeit mehr zählt als die Macht des Schwerts. Ich brachte die Sache vor Gericht und ließ die Gesetze Platäas sprechen. Der alte Simonalkes erhängte sich später an einem Deckenbalken in der Werkstatt meines Vaters, und so ließen mich die Erinnyen allein mit meiner Mutter und meiner Schwester zurück.
Das hätte an sich schon eine spannende Geschichte sein können – aber die Götter wollten noch nicht von Platäa lassen, und im folgenden Frühjahr zogen Sturmwolken auf, die Unheil mit sich brachten. Mein Gefährte und ehemaliger Hypaspist Idomeneus – ein Kreter, an dessen Verstand ich bisweilen zweifelte und der allzu oft in meinen Geschichten vorkommt – hatte oben am Schrein des Leitos einen athenischen Aristokraten erschlagen. Ihr wisst sicher noch, dass Idomeneus inzwischen der neue Priester am Grabmal des Helden geworden war. Da ich die Sache bereinigen wollte, führte mich mein Weg über die Berge nach Athen, wo ich in die politischen Machenschaften der Polis verwickelt wurde. Davon werdet ihr heute Abend noch mehr hören. Jedenfalls überwarf ich mich mit der Sippe der Alkmaioniden und ihrem Sprössling Kleitos, denn es war sein Bruder gewesen, der im Schatten des Grabmals sein Leben ausgehaucht hatte. Außerdem hatten mir die Söhne meines feigen Vetters Simon eine Falle gestellt. Jedenfalls nahm mir Kleitos mein Pferd und mein Sklavenmädchen weg – das war wieder eine andere Geschichte. Kleitos hatte ich es zu verdanken, dass man mich des Mordes bezichtigte, aber Aristeides der Gerechte stand mir bei der Verhandlung bei und erwirkte mit Hilfe eines Winkelzugs meinen Freispruch. Aber während des Prozesses machte ich mich der Hybris schuldig. Ich beging das Verbrechen, einen freien Mann wie einen Sklaven zu behandeln, und tötete ihn kaltblütig. Daraufhin schickte mich Aristeides zur Läuterung zur Insel Delos, zu dem großen Tempel des Apollon.
Apollon, der ränkeschmiedende Gott, hatte indes nie die Absicht, dass ich geläutert werde, sondern warf mich zurück in Miltiades’ Dienst. Allerdings konnte Miltiades seit längerer Zeit keine größeren Erfolge mehr vorweisen. Mit nur zwei Schiffen versorgte ich das belagerte Milet mit Nahrung – nicht nur einmal, wohlgemerkt – und strich dafür manch eine Münze ein. Natürlich machte ich vor allem als Pirat Gewinn. Ich bekenne, dass ich Menschen ausraubte, Frauen entführte, für Geld tötete, Schiffe kaperte und bei all diesen Taten zu wenig an die Götter dachte. Apollon hatte mich ermahnt – in seiner eigenen Stimme –, endlich Gnade walten zu lassen, aber ich versagte weiterhin zu oft, und so hinterließ ich eine Spur des Blutes auf der Ionischen See. Bald war ich einer der Befehlshaber in der größten Seeschlacht des Ionischen Aufstands: vor Lade. In jener Bucht hatte der Großkönig eine gewaltige Flotte zusammengezogen, fast sechshundert Schiffe, um die Griechen und ihre Verbündeten zu stellen. Wir selbst brachten es auf etwas mehr als dreihundertfünfzig Schiffe. Ein ungleiches Kräfteverhältnis, doch wir waren gut ausgebildet und hätten auf alles gefasst sein müssen. Ich segelte im Verband der Athener und Kreter, und wir schlugen die Phönizier in einem Abschnitt. Als wir in den Morgennebeln auftauchten, rechneten wir damit, dass unser Navarch uns loben würde, ein Mann namens Dionysios von Phokaia. Er gehörte neben Miltiades zu den größten Piraten und Schiffsführern der griechischen Welt. Aber als wir durch die Phönizier stießen, mussten wir feststellen, dass die Männer aus Samos – unsere Verbündeten wohlgemerkt – zu den Persern übergelaufen waren. Der Großkönig triumphierte, und der Ionische Aufstand brach in sich zusammen. Die meisten meiner Freunde starben bei Lade, viele Männer aus Jugendtagen.
Das war der dunkelste Tag in meinem Leben, und er hat mich bis heute nicht losgelassen.
Briseis heiratete Artaphernes, der einst mit ihrer Mutter schlief – und wurde auf diese Weise die mächtigste Frau in Ionien, wie sie es sich immer schon gewünscht hatte.
Datis, der Garant des persischen Sieges, zog mit seinen Truppen plündernd und mordend von Lesbos nach Chios. Die männlichen Bewohner wurden erschlagen, die Frauen in die Sklaverei verkauft. Jede Verleumdung, die die Griechen zuvor in die Welt gesetzt hatten, um die Perser als Schlächter hinzustellen, wurde nun zur grausigen Wahrheit.
Milet fiel. Ich hatte die Stadt unterstützt und tat, was möglich war. Dann kehrte ich in meine Heimat zurück, mit fünfzig Familien aus Milet, die sich nach und nach den Bürgern Platäas anschlossen. Ich gab mein Geld für diese fremden Menschen aus, kaufte ihnen Land und Vieh, und dann – ja, die meisten von euch wissen, dass ich mich wieder daranmachte, Bronze zu schmieden. Ich stellte den Speer in die Ecke.
Wie die Götter gelacht haben werden!
Im Jahr darauf, als meine Schwester auszog und eine Schule besuchte, nicht zuletzt, um nicht länger im Dunstkreis unserer betrunkenen Mutter zu leben, begab ich mich wieder nach Athen, da mein Freund Phrynichos, der mit mir im Pfeilhagel bei Lade ausgeharrt hatte, ein Theaterstück aufführen ließ, das den Titel «Die Einnahme von Milet» trug. Derweil saß Miltiades in Athen in Haft, da er eine Bedrohung für den Stadtstaat darstellte – und um ehrlich zu sein, meine Freunde, er war schuldig, denn man muss wissen, dass ein Mann wie Miltiades seine eigene Mutter verkauft hätte, um die Macht in Athen an sich zu reißen.
Jedenfalls setzte ich einen Teil meines Geldes und einige Tricks ein, die ich als Sklave gelernt hatte, um sicherzustellen, dass Phrynichos’ Stück auch wirklich gespielt wurde. Gleichzeitig gelang es mir, mein Sklavenmädchen aus dem Bordell zu holen, an das Kleitos sie verkauft hatte, und übte Rache an den Alkmaioniden. Im nachfolgenden Prozess schwächte ich die Stellung dieser Sippe bei den Demen – dem Großteil des Volkes – und verhalf einem neuen Mann auf die politische Bühne Athens: Themistokles, dem begnadeten Redner. Er hatte zwar nicht viel für mich übrig, aber er unterstützte mich eine Weile und half mir und Aristeides, die propersische Partei zu schwächen. Gemeinsam erwirkten wir, dass Miltiades aus dem Gefängnis entlassen wurde.
Als ich wieder nach Platäa zurückkehrte, hatte ich das Gefühl, Athen einen großen Dienst erwiesen zu haben. Meine Schmiedearbeiten wurden immer besser. Während des Winters brachte ich den jüngeren Männern meiner Heimat bei, wie man in der Phalanx zu stehen hat. Das Kriegshandwerk wurde mein Zeitvertreib, wie andere Männer im Alter lernen, die Diaulos, die Doppelflöte, oder die Kithara zu spielen. Ich bildete die jungen Leute aus und schmiedete Bronze. Das Leben zeigte sich von seiner annehmlicheren Seite.
Als meine Schwester Penelope dann beschloss – inzwischen war sie mit Antigonos, einem Aristokraten aus Thespeia, vermählt –, ich solle die Freundin ihrer Schwägerin heiraten, stimmte ich letzten Endes zu. Zusammen mit einer Jagdgesellschaft aus Aristokraten – Männern aus Böotien und Athen – ritt ich nach Attika und gewann meine zukünftige Braut Euphoria in Spielen, für die sich auch die Helden vergangener Zeiten nicht zu schade gewesen wären. Im darauffolgenden Frühjahr heiratete ich Euphoria. Bei der Feier waren so illustre Gäste wie Themistokles, Aristeides und Miltiades anwesend – natürlich auch Harpagos und Agios und ein Dutzend anderer Freunde aus allen Schichten Athens. Ich führte meine Braut über die Berge in meine Heimat und machte mich daran, Nachkommen zu zeugen.
Doch die Sturmwolken am Horizont wurden von einem Wind getrieben, der großen Wandel in die Welt brachte. Gleich die ersten Ausläufer des Sturms bescherten uns einen Überfall aus Theben. Die Geldgeber im Hintergrund waren die Alkmaioniden aus Athen, angeführt wurde die Rotte indes von Simon, dem Sohn meines Vetters Simonalkes. Dieser eingebildete Kerl hatte all seine Söhne nach sich selbst benannt. Wie erbärmlich kann ein Mensch sein?
Aber ich schweife ab. Wir erwischten die Bastarde – meine neue Phalanx aus Platäa –, und wir zerquetschten sie. Mein Freund und Gefährte Teukros, der Bogenschütze aus Milet, tötete den jungen Simonalkes, genannt Simon. Und so waren wir gerade in unserem Kampfverband, als die Athener uns um Hilfe baten, denn die Perser, die soeben Euböa mit Feuer überzogen hatten, marschierten in Richtung Athen.
Nun, ich werde euch nicht noch einmal von Marathon erzählen. Myron, unser Archon und mein alter Freund, entsandte unser Aufgebot ohne Bedenken, und so marschierten die Platäer unter meiner Führung, und wir standen den Athenern bei, an jenem großartigen Tag, den kein Grieche je vergessen wird. Wir waren Helden. Ha! Ich erzähle doch noch davon, wenn ihr nicht aufpasst. Jedenfalls besiegten wir Datis und seine Perser bei den schwarzen Schiffen. Agios ließ sein Leben auf der Heckplattform einer persischen Trireme, aber wir trugen den Sieg davon. Ich trinke auf seinen Schatten. Und auf alle Schatten der Männer, die bei Lade und Marathon starben. Mögen sie gemeinsam mit Achill und Hektor speisen, mögen sie immerdar wandeln in den elysischen Gefilden.
Aber als ich die siegreichen Platäer zurück über das Gebirge führte, erreichte mich die schreckliche Nachricht, dass meine wunderschöne Frau im Kindbett gestorben war. An jenem Schicksalstag beraubten mich die Götter meines klaren Denkvermögens. Ich trug den Leichnam meiner Frau in meine Schmiede und verbrannte ihn mit all ihren Habseligkeiten. Dann machte ich mich auf den Weg zu den südlichen Hängen des Kithairon-Gebirges, in der Absicht, meinem Leben ein Ende zu setzen.
Möget ihr nie erfahren, wie dunkel die Welt sein kann. Frauen kennen diese Dunkelheit bisweilen nach der Geburt eines Kindes, Männer nach einer Schlacht. Jeder Höhenflug des Geistes hat seinen Preis, und wenn ein Mann oder eine Frau den Göttern nahe ist, wenn auch nur kurz, zahlt er oder sie oftmals einen hohen Preis dafür. Die Strapazen von Marathon und der Verlust meiner Frau hatten mir den Verstand geraubt. Ich sprang von einem Steilhang in die Tiefe und rechnete damit, den Tod zu finden und zu zerschellen an einem der Felsen, den wir Poseidons Speer nennen.
Ich fiel und fiel, aber ich schlug nicht auf Felsgestein, sondern auf Wasser auf. Und als ich an die Oberfläche kam, kämpfte mein Körper ums Überleben. Ich schwamm, bis ich Sand und Kies unter meinen Füßen spürte. Dort verlor ich das Bewusstsein, und als ich zu mir kam, war ich wieder ein Sklave. Abermals wurde ich von Phöniziern versklavt, diesmal aber als Erwachsener. Mein Leben war grausam und hätte ein jähes Ende gefunden, aber die Ironie daran war, dass ich mich fortan nach dem Leben sehnte.
Ich fristete ein hartes Dasein unter einem Ungeheuer mit Namen Dagon. Das Schlimme war, dass er darauf aus war, mich zu brechen, nicht nur körperlich, sondern auch seelisch, und fast wäre ihm das auch gelungen. Schlussendlich kreuzigte er mich an einen Mast und ließ mich zum Sterben zurück. Aber Poseidon errettete mich – er spülte mich samt Mast über die Bordwand und ließ mich am Leben. Die Gottheit verfrachtete mich an Deck eines kleinen Handelsschiffs, wo ich einige Wochen rudern musste, erneut gegen meinen Willen, auch wenn ich kein Sklave im eigentlichen Sinne war. Das Schicksal wollte es so, dass ich wieder den Phöniziern in die Hände fiel.
Die Erniedrigungen und Demütigungen gingen weiter, bis ich eines Tages in einem Gefecht auf See ein Schwert ergatterte und mir meinen Weg in die Freiheit erkämpfte. Das Schwert war mir buchstäblich vor die Füße gefallen. Die Götter spielen in das Leben jedes Menschen hinein. Nur gottlose Narren können etwas anderes behaupten.
Als Sklave schloss ich neue Freundschaften. Oder besser: neue Bündnisse, die mir nach meiner Freiheit neue Freunde einbrachten. Es war ein wilder Haufen Gefährten, die in vielen Zungen sprachen – ein Etrusker namens Gaius, zwei Kelten, Daud und Sittonax, zwei Dunkelhäutige aus Libya, Doola und Seckla, ein Sikeler namens Demetrios und ein illyrischer Adliger, der in die Sklaverei geraten war. Er hieß Neoptolymos. Wir legten einen Schwur ab auf Poseidon, mit einem Schiff nach Albion zu segeln und Zinn zu kaufen. Und wir blieben unserem Schwur treu. Wie ich euch ja erzählt habe, segelten wir auch nach Sizilien, und während meine Freunde kleine Küstenhändler wurden, arbeitete ich wieder als Bronzeschmied, bildete einen Lehrling aus und lernte selbst einiges dazu. Ich verliebte mich in Lydia, die Tochter meines Meisters, doch ich ließ sie im Stich, und für diesen Verrat – nennen wir es beim Namen – verlor ich das Vertrauen in mich, aber ich verlor auch das Wohlwollen der Götter. Über Jahre kreuzte ich auf den Meeren, bis meine Gefährten und ich unserem Schwur treu blieben, nach Albion segelten und als reiche Männer mit Zinn zurückkehrten. Ich tat mein Bestes, um sicherzustellen, dass Lydia einen guten Mann bekam, und lernte die Tochter des Pythagoras kennen. Auf diese Weise war ich imstande, einen Einblick in die Mathematik und die Philosophie dieses großen Mannes zu erhalten. In jenen Tagen lernte ich Gelon kennen, den Tyrannen von Syrakus, lehnte es aber ab, ihm zu Diensten zu sein. Also setzte ich wieder Segel und traf an der Südspitze Italias meine Freunde Harpagos und Kimon wieder, den Sohn von Miltiades, auch etliche andere meiner Gefährten aus alten Zeiten. Wie ihr euch vielleicht erinnert, hatte ich eine Nachricht verschickt, in der Hoffnung, dass meine Freunde mich erhörten. Wir segelten in nördlicher Richtung in die adriatische See, weil ich meinem Freund Neoptolymos versprochen hatte, ihm wieder auf den Thron zu verhelfen. Das gelang uns tatsächlich, auch wenn danach wieder Blut an unseren Händen klebte. Dann verabschiedeten die Athener und ich uns von meinen Freunden aus der Zeit in Sizilien – die Gefährten kehrten zurück nach Massalia, um die Felder zu bestellen, und ich gelobte, wieder der alte Arimnestos von Platäa zu werden. Denn Kimon wusste zu berichten, dass die Perser ein weiteres Mal heranrückten. Auch wenn ich als Mensch allzu oft versagt habe – und selbst im Alter habe ich Züge, die mich nicht ins beste Licht rücken –, so bin ich in dem Krieg der Griechen gegen die Perser dennoch das Werkzeug der Götter.
Eines möchte ich festhalten: Viele Perser zählten zu meinen Freunden, und es waren wahrlich gute Männer – ausgezeichnete, ungemein tapfere, ungemein treue Krieger. Die Perser sind ein Volk, das viele wahrheitsliebende Helden hervorbrachte. Aber sie sind eben keine Griechen, und als der Krieg erneut ausbrach …
Wir hatten Illyrien den Rücken gekehrt und umrundeten die Westküste der Peloponnes. Doch Poseidon war noch immer nicht fertig mit mir, und bald erwischte uns ein gewaltiger Sturm vor der Küste von Libya, der unser kleines Geschwader zerstreute und mein Schiff viel zu weit in südwestlicher Richtung abtrieb. Als der Sturm dann nachließ, dümpelten wir ohne Mast auf den Wogen und entdeckten ein anderes beschädigtes Schiff leewärts. Wir sahen sofort, dass es Karthager waren. Also griffen wir an und enterten, allerdings in einem seltsamen Gefecht – denn die Rudermannschaft an Bord des Gegners hatte sich gegen ihre Peiniger der Deckmannschaft erhoben.
Wie sich dann herausstellte, befanden wir uns auf Artaphernes’ Schiff. Er war auf dem Weg von Tyros nach Karthago, um zu erwirken, dass die Karthager einen Flottenverband entsandten. Sie sollten dem Großkönig helfen, Athen mit Krieg zu überziehen. Ohne es zunächst zu wissen, rettete ich Artaphernes – bis dahin glaubte ich, er wäre schon tot.
Auch Briseis, seine Frau, hielt ihn für tot und warf sich in meine Arme.
Blut tropfte von meiner Klinge, und so stand ich an Deck, im Arm die Helena meiner Tage, an Bord eines Schiffes, das ich mit Waffengewalt gekapert hatte. Und einen Moment lang hielt ich mich für den Gebieter über den ganzen Erdkreis.
Wie die Götter erneut gelacht haben werden!
In der vorletzten Nacht habe ich euch von dem Tiefpunkt erzählt, den wir erreicht hatten. Denn Artaphernes war nicht tot, und alle weiteren Ereignisse hatten mit diesem Umstand zu tun. Artaphernes war der Botschafter des Großkönigs und auf dem Weg zu Verhandlungen mit den Karthagern. Wir waren Gastfreunde – wer gut zugehört hat, weiß, dass der eine dem anderen über die Jahre das Leben rettete –, und ebendiese Gastfreundschaft verpflichtete mich, Artaphernes und meine persischen Freunde, die seine Leibgarde stellten, nach Karthago zu bringen – natürlich auch Briseis, die Helena meiner Welt. Das alles musste ich tun, obwohl mein Erzfeind Dagon in seinem Irrsinn beschlossen hatte, mich ein für alle Mal zu vernichten, und man inzwischen in Karthago ein ansehnliches Kopfgeld auf mich ausgesetzt hatte.
Das hatte ich mir natürlich selbst eingebrockt, weil ich Karthago im Zinnhandel in die Quere gekommen war. Nein, ich bereue es nicht – denn das Zinn bildet ja die Grundlage unseres Reichtums, nicht wahr, Thygater?
Wie dem auch sei, wir brachten den schwer verwundeten Artaphernes bis nach Karthago und kamen noch einmal mit dem Leben davon, da wir unser Schiff brillant zu bedienen wussten und Poseidon uns gut gesinnt war. Vermutlich war das die goldene Stunde der Lydia. Auf der Flucht erhaschte ich einen Blick auf Dagon.
Wir blieben im Küstenbereich von Africa und machten halt auf Sizilien, wo ich meinen alten Ausbilder und Schwertmeister Polymarchos wiedersah. Er unterwies gerade einen jungen, aufstrebenden Athleten, der nach Olympia wollte, in unterschiedlichen Disziplinen. Ich begriff, was es mit dieser Begegnung auf sich hatte, schloss meinen Frieden mit den Göttern und brachte Polymarchos und seinen jungen Athleten nach Olympia, wo wir – die ganze Mannschaft – bei den Wettkämpfen zuschauten. Ja, wir gaben die Gewinne aus Piratentagen mit vollen Händen aus, ließen es uns gutgehen und schlugen sogar noch auf recht hinterhältige Weise Profit aus dem Wein, den wir bis zu den Sportstätten mitgebracht hatten. An jenem geheiligten Ort waren wir auf unsere Weise dabei behilflich, Athen und Sparta einander näherzubringen. Aber ich erlebte auch, wie Selbstsucht und Habgier einige Männer dazu verleiteten – Männer wie Adeimantos von Korinth –, Griechenland zu verraten und nur die eigenen Ziele im Auge zu behalten. Ich erinnere mich wahrlich nicht gern an ihn, möge er in den Tiefen des Hades verrotten, aber er war nicht der Einzige, der Unheil heraufbeschwor. Und als Königin Gorgo – ich trinke auf ihre glanzvolle Erscheinung, auf ihre geistigen und körperlichen Vorzüge – als die Königin von Sparta also unser Tun einmal als «Verschwörung» bezeichnete, «um Griechenland zu erretten», hatte sie damit keine poetische Sprache und wahrlich wenig schmeichlerische Worte gewählt. Selbst die Spartaner waren in Fraktionen zerfallen, und bei den Spielen zu Olympia stellte ich fest, dass Brasidas, mein Befehlshaber aus Sparta, so etwas wie ein Verräter war, der im Exil lebte – vielleicht war er selbst aber gar kein Verräter, vielleicht war er jemand, der von seinem Land verraten worden war.
Wir griffen nur ein wenig in das Rad des Schicksals ein und stellten sicher, dass Sparta im Wagenrennen siegte, und als wir Olympia verließen, hatten wir etliche Drachmen eingestrichen und waren obendrein klüger als zuvor, weil wir viele Abende hintereinander Pläne entworfen hatten, wie wir unsere griechischen Lande am besten verteidigen könnten.
Umso gewagter war es, als König Leonidas und seine Königin Gorgo von Sparta mich baten, ihre Gesandten bis zum Palast des Großkönigs zu begleiten, also bis zum Herrscher über Persien. Dahinter steckte wieder eine komplexe Geschichte, denn einst hatte der ehemalige König Spartas die persischen Herolde erschlagen, was als großer Frevel bezeichnet wurde. Fortan war Leonidas darauf erpicht, Sparta von diesem Schandfleck zu erlösen. Deshalb schickte er zwei Gesandte auf den Weg ins ferne Susa, zwei Herolde von edler Abstammung.
Und mich.
Nun, auch Aristeides den Gerechten aus Athen, der mit Ostrakismos belegt worden war – man hatte ihn in die Verbannung geschickt. Warum? Tja, weil er zu gerecht, zu streng oder einfach ein zu selbstgerechter Kerl war …
Ich muss lachen. Denn Aristeides war vermutlich mein engster Freund, er war mein Mentor. Er galt als brillanter Krieger – seine beste Stunde der Bewährung kommt noch – und war ein ungemein begabter Redner, kurzum, ein Mann, der so unbestechlich war, dass es den gewöhnlichen Leuten leichtfiel, ihn zu hassen. Er war Aristokrat, und zwar von der Sorte, bei der selbst Männer wie ich ins Grübeln kommen und sich fragen, ob nicht doch etwas dran ist an der edlen Geburt. Er war ein wahrer Held.
Auf dem langen Weg zum Großkönig legten wir in Tarsos an, wo ich mir bei der Löwenjagd eine Wunde zuzog, dann ging es weiter nach Babylon, wo ich in die Fänge einer wunderschönen Frau geriet, die mir ebenfalls ganz schön zusetzte. Von beiden Begegnungen bevorzuge ich natürlich in jedem Fall letztere. In Babylon stellten wir fest, dass Aufruhr in der Luft lag, und der Aufstand, der später tatsächlich ausbrach, rettete unsere Heimat. Als wir in Susa eintrafen, war mir ziemlich schnell klar, dass unsere Gesandtschaft zum Scheitern verurteilt war – die Arroganz der Perser und Meder kannte keine Grenzen, und ganz gleich, was wir taten oder anboten, nichts besänftigte sie. Es brachte sie aber auch nichts in Rage, so überheblich gaben sie sich. Gestern Abend habe ich euch ja erzählt, wie die Gesandten aus Sparta – und mein Freund Brasidas – gemeinsam mit mir den Kriegstanz in voller Rüstung vorführten, vor den Unsterblichen. Doch wir wurden verspottet.
Unsere Audienz beim Großkönig glich eher einer einstudierten Theateraufführung, und im Hintergrund agierte Mardonios, der Vetter von Xerxes, der uns demütigen wollte, ehe der Großkönig den Befehl geben sollte, uns hinrichten zu lassen.
Aber glücklicherweise besaß mein Freund Artaphernes immer noch viel Einfluss bei Hofe, ja, er verfügte über treue Verbündete. An anderer Stelle habe ich bereits über Artaphernes gesprochen, denn auch er war ein bedeutender Mann, auch er war ein wahrer Held, für mich war er darüber hinaus Mentor. Von all meinen Gegnern war er der bedeutendste, und nie habe ich ihn bezwungen. Aber im Zuge unserer Gesandtschaft stand er auf unserer Seite, denn er wollte verhindern, dass Mardonios Erfolg hatte, außerdem hegte ein Mann wie Artaphernes in seiner Weitsicht nicht die Absicht, Athen oder Sparta zu vernichten. Wir hatten es also Artaphernes zu verdanken, dass wir in Susa auf ein paar Freunde zählen durften, und so bewahrte uns die Königinmutter Atossa vor dem sicheren Tod. Sie sorgte dafür, dass wir heimlich aus der Stadt geführt wurden, und schenkte uns auf der Ebene jenseits von Susa die Freiheit. Sie tat dies nicht, weil sie meiner griechischen Heimat in Liebe zugetan war, sondern aus dem einfachen Grund, weil sie Mardonios und dessen extreme, auf Vernichtung abzielende Politik fürchtete.
So flohen wir also, in Begleitung unserer persischen Eskorte, zu der Artaphernes’ beste Krieger gehörten, übrigens auch Kyros, der mein Freund wurde, als ich noch ein junger Kerl war. Auf der Flucht setzte sich Brasidas ab, um den drohenden Aufstand in Babylon weiter anzufachen. Auf Umwegen gelangten wir zurück in die Heimat.
In Sardis, nachdem wir uns über Wochen mit unzähligen Kriegern aus Asia ein Katz-und-Maus-Spiel geliefert hatten, traf ich erneut mit Artaphernes zusammen. Er war krank und gealtert, hatte aber noch die Kraft, mich um einen letzten Gefallen zu bitten – sobald ich von seinem Ableben erführe, sagte er, solle ich mich auf den Weg machen und Briseis zu mir holen. Ihr wisst ja, die Liebe meines Lebens war seine Frau, sie war die Königin Ioniens, wie sie es sich stets gewünscht hatte. Aber Artaphernes’ Sohn, der ebenfalls Artaphernes hieß, hasste sie, und er hasste mich.
Jedenfalls schafften wir es bis zu meinen Schiffen und überquerten im Winter die See bis nach Athen. Im darauffolgenden Frühling bewahrte uns der Aufstand in Babylon vor der unmittelbaren Invasion der Perser, und die Wortführer der griechischen Welt versammelten sich in Korinth – und gerieten in Streit. Die Zwistigkeiten wollten kein Ende nehmen. Meine Schiffe machten mich zu einem wohlhabenden Mann und brachten ihr Frachtgut aus Illyrien, Ägypten und Kolchis und allen möglichen Häfen unterwegs in den Heimathafen. In jenem Sommer fuhr ich selbst zur See, erreichte das Delta des Nils und kümmerte mich eine Weile nicht mehr um die Sache der griechischen Unabhängigkeit.
Doch letzten Endes rückten die Perser doch heran. Gestern Abend habe ich euch nichts von der Wahrheit verheimlicht: Daher wisst ihr, wie uneins sich die Griechen waren, ihr erinnert euch bestimmt, wie töricht die ersten Bemühungen zur Abwehr des Feindes ausfielen – ein Heeresaufgebot marschierte zum Durchbruchstal von Tempe, scheiterte aber kläglich. Schließlich bereitete sich ein kleines Heer darauf vor, die Heißen Pforten zu halten, bei den Thermopylen, während die große verbündete Flotte das Kap Artemision sicherte.
Leonidas, der große Spartaner, hielt den Engpass bei den Thermopylen. Und wir, ein wild zusammengewürfelter Haufen auf See, kreuzten in den Gewässern vor Artemision – Tag um Tag. Stürme und Unwetter setzten den Persern zu. Danach setzten wir den Persern zu. An einem Tag gelang es uns, sie aufzuhalten, und am letzten Tag schlugen wir sie!
Aber in unserem Rücken führte ein Verräter die Meder an der Mauer der Spartaner vorbei, und König Leonidas ließ sein Leben.
Der sogenannte Großkönig schändete Leonidas’ Leichnam und enthauptete ihn. In gleicher Weise verfuhren die Krieger des Großkönigs mit den dreihundert gefallenen Spartiaten und den anderen Kämpfern. Hunde zerfleischten den Leib meines edlen Schwagers Antigonos. Später weinte meine Schwester um ihren Mann, und auch ich vergoss heiße Tränen.
Diesmal lachten die Götter nicht. Die Woche nach den Thermopylen war die schlimmste Zeit des gesamten Langen Krieges, die schlimmste Woche, die die meisten von uns je erlebt hatten.
Für mich war es wie bei Lade. Erneut. Wie jener Tag, der mich bis heute nicht losgelassen hat.
Schließlich, gestern Abend, habe ich euch von Salamis erzählt. Oh, was für ein Tag, was für Männer! Aber beinahe wäre es gar nicht so weit gekommen, weil wir wieder kurz davor waren, die alten Zwistigkeiten aufleben zu lassen, die einst bei Lade zu Verrat und Niederlage geführt hatten. Die Korinther und auch viele Spartaner hatten größeres Interesse daran, Athen gedemütigt zu sehen, anstatt die Meder zu besiegen. Und nach dem Tod des Königs von Sparta, der das Bündnis zusammengehalten hatte, und dem Tod all seiner Leibwachen – adlige Herren aus Sparta, die auch in der undurchsichtigen Welt der spartanischen Politik seine Anhänger gewesen waren –, als die Perser den Leichnam des Leonidas schändeten und ihm das Haupt vom Rumpf trennten, da hatten sie im Grunde Griechenland enthauptet. In jener Stunde verzweifelte selbst ein Mann wie Themistokles, und die Stimmen derer, die dafür waren, die Flotte aufzulösen – die siegreiche Flotte – wurden lauter.
Aber Glück und der Wille der Götter sandten uns alle an die Strände von Salamis, zur Insel des Ajax. Und dort lagerten wir, ruhten uns von den Strapazen des Krieges aus und zankten uns erneut, über Tage.
Allerdings nicht die Platäer. Wir landeten an der attischen Küste und marschierten ins Hinterland, um unser Hab und Gut und unsere Leute zu retten, denn nach dem Sieg bei den Thermopylen hatten die Perser freie Hand und konnten Böotien überrennen, so schnell und todbringend, wie es keiner von uns je für möglich gehalten hätte. So räumten wir Platäa, wussten wir doch, dass Theben uns längst verraten und sich dem Großkönig angeschlossen hatte. Wir flohen. Die Phalanx hielt auf den Isthmus von Korinth zu, wo sich das Heer des Bündnisses formierte, unsere Seeleute und Seekrieger aber eilten über das Kithairon-Gebirge zurück nach Attika. Doch die sakischen Krieger und die Perser waren uns auf den Fersen, und so mussten wir kämpfen. Teukros’ Sohn starb bei diesen Zusammenstößen, daher trinke ich hiermit auf seinen Schatten. Es war ein langer, harter Tag, als wir uns über die Gebirgspässe nach Attika zurückzogen, aber bei Einbruch der Dunkelheit legten mein Sohn Hipponax und mein früherer Pais Hektor einen netten kleinen Hinterhalt, und da hatten wir sie endlich, unsere Verfolger.
Tatsächlich werdet ihr auch wieder in diesem Teil der Geschichte hören, wie diese beiden jungen Männer – mein Sohn, gezeugt in der Lust meiner Jugend, und mein Ziehsohn, der Sohn eines Verbrecherkönigs aus den Hafenvierteln von Syrakus – ewige Freundschaft schlossen und zu großen Kriegern aufstiegen. Was mir nur recht sein konnte, denn in jenem Sommer wurde ich fünfunddreißig, und mein Körper hatte genug Verletzungen davongetragen, sodass mir jeden Morgen irgendetwas weh tat. Als wir schließlich zu unseren Schiffen zurückkehrten, mit etwas Beute und einem Hund, den wir aufgegabelt hatten, hatte ich bereits wieder wochenlang gekämpft. Meine Träume waren düster, meine Tage voller Sorgen und Schmerzen, die indes zu gering ausfielen, um sie heroisch zu verbrämen. Aber meine beiden Jungs erstrahlten in ihrer jugendlichen Frische wie Achill, und sie kämpften auch wie Achill, das lasst euch gesagt sein.
Wie dem auch sei, wir kehrten zu den Schiffen zurück, und später nahm ich an einer Ratsversammlung nach der anderen teil. Ich lauschte den Worten des Themistokles, dem weisesten und lästigsten der Griechen, bekam mit, wie er seinen Zuhörern schmeichelte, wie er sie anflehte und beschämte und schließlich verlangte, die Flotte möge unangetastet bleiben. Seinen Worten zufolge sollten wir uns erneut den Persern stellen, um die Bevölkerung von Attika zu schützen, die nach und nach auf die Insel Salamis floh. Jeden Tag und an vielen Abenden redeten die Männer und redeten, und Adeimantos, der Navarch von Korinth, verlangte, wir sollten uns alle bis zum Isthmus zurückziehen und Attika fallenlassen. Damals argwöhnte ich, er stehe auf der Soldliste der Meder, aber das war schwer zu beweisen, da die Perser allen möglichen Leuten Geschenke machten. Viele nahmen diese Geschenke an, kämpften aber trotzdem gegen den Großkönig. Wie gerissene Griechen, deren Held ja nun einmal Odysseus ist.
Nach Tagen des Debattierens stach ich mit meiner schönen Lydia in See, um meinen Freund Kimon zu finden, der sich hatte zurückfallen lassen, um dem Feind auf See zuzusetzen. Wir brauchten seine Stimme in der Ratsversammlung, immerhin war er ein athenischer Aristokrat und obendrein ein Verbündeter von Themistokles, und er war imstande, die Spartaner und die Korinther bei der Stange zu halten, wann immer Themistokles sich auf Beleidigungen verlegte. Ich segelte also nach Osten der Sonne entgegen, hüpfte sozusagen von einem geschützten Strand zur nächsten kleinen Insel, den ganzen Weg um das Kap Sounion und entlang der attischen Küste bis in die Gewässer vor Marathon. Erst nach ein paar Tagen, als wir uns auf der kleinen Felseninsel Megalos versteckten, erspähte ich Kimons mächtige Ajax, die schon manches Schiff versenkt hatte, am Horizont. Er floh vor einem ganzen Geschwader unter ionischer Führung.
Das war ein großer Tag, denn ich erbeutete ein Schiff von Naxos – oder sagen wir so, sie wechselten die Seiten – und rettete Kimons kleines Geschwader, im Grunde nur mit der Lydia, aber damit nicht genug, denn ich sah den Bruder aus meinen Jugendtagen wieder: Archilogos. Er stand auf der Kommandoplattform seines Schiffes und winkte. Diese Handbewegung bedeutete mir mehr als ein Sieg, denn es zeigte mir, dass sich etwas verändert hatte. Und so begann ich zu hoffen, dass ein paar alte Wunden doch noch heilen würden.
Mit unseren Prisen kehrten wir zum Flottenverband zurück, und in der Politik wehte der Wind aus einer anderen Richtung. Themistokles drohte den Korinthern offen, dass Athen jederzeit die Seiten wechseln könne, wenn sie, die Korinther, nicht Athen unterstützten. Das war gemein, und rückblickend kann ich dazu nur sagen, dass die Leute müde waren, todmüde, und Erschöpfung ist fehl am Platze, wenn man einen klaren Kopf braucht.
Eines Abends mussten wir mit ansehen, wie Attika in Flammen stand, und auch Athen. Aus der Entfernung sahen wir das Feuer, während die Meder die Akropolis stürmten und die Tempelbauten anzündeten. Übrigens war es in jener Nacht, dass ich begriff, dass mein Sohn Hipponax in die Tochter meines Feindes Kleitos verliebt war, seines Zeichens der Anführer der Alkmaioniden. Und ich bekam mit, dass mein Ziehsohn Hektor in Iris verliebt war, in eine Tochter von Xanthippos, der ja einer der athenischen Navarchen war und zu deren Führungsriege gehörte. Und die Priesterin der Artemis von Brauron verfluchte in jener Nacht der Feuer die Perser für den Frevel und streckte ihre Arme in die Höhe, sodass es für mich einen Augenblick so aussah, als läge ganz Attika als Feuerkugel zwischen ihren Armen. Das war der mächtigste Fluch, den ich je miterlebt habe, und ich weiß, dass die Götter zuhörten.
Schlussendlich, nachdem wir die feindliche Flotte ein letztes Mal ausgespäht hatten, waren wir erfahrenen Seeleute davon überzeugt, dass wir die Oberhand hatten. Aber Themistokles’ Arroganz war größer als seine Tugend, und schließlich hielt er zur Abwechslung eine schlechte Rede, die er obendrein mit Wut im Bauch vortrug. Eurybiades, der dieser ganzen Zwistigkeiten leid war, traf dann eine Entscheidung. Der spartanische Navarch der Flotte gab den Befehl aus, alle sollten sich bis zum Isthmus zurückziehen. Das hätte eigentlich das Ende aller Unternehmungen sein müssen.
In jener Nacht wurde so manches Komplott geschmiedet, das dann seinen Lauf nahm. Bis heute weiß ich nicht genau, wie tief Themistokles’ Verrat ging – ich weiß immer noch nicht, ob sein Vorhaben brillant war oder ob beides im Spiel war: Verrat und Genialität. Ich vermute, beides. Jedenfalls schlug er vor, wir sollten seinen Sklaven zum Großkönig schicken, und dieser Gesandte sollte den Persern versprechen, dass Athen Verrat begehen werde. Ich begleitete diesen Sklaven Sikinnos, und nach allem, was ich dann erfuhr, gelangte ich zu der Überzeugung, dass Themistokles tatsächlich imstande war, den Bund zu verraten. Vielleicht war es so, vielleicht aber auch nicht. Sicher ist, hätte Themistokles die athenischen Befehlshaber versammelt und von ihnen verlangt, die Seiten zu wechseln wie einst die Männer von Samos bei Lade, dann hätten wir ihn ausgenommen wie einen Fisch, davon bin ich überzeugt. Denn er war ja nicht der «König» von Athen oder so etwas in der Art! Zur selben Zeit fand ich heraus, dass Themistokles schon eine ganze Weile mit dem Großkönig verhandelt hatte.
Bah! Wer konnte schon Themistokles’ Gedankengänge erraten? Der Spartaner Brasidas und ich wurden als Geiseln genommen, konnten aber später mit Hilfe von Ka und seinen Schützen aus Numidien fliehen. Es klingt merkwürdig, so betrachtet. Jedenfalls erreichten wir das Lager rechtzeitig, um Themistokles wissen zu lassen, dass die Perser in See gestochen waren. Der Großkönig hatte sich von dem Angebot des Verrats dazu verleiten lassen, die Flotte zum Angriff auszusenden.
Dann war es zu spät für einen Rückzug. In jener Nacht kehrte mein Freund Aristeides aus dem Exil zurück – nun ja, weit weg war er eigentlich nie gewesen, wenn ihr genau zugehört habt – und stärkte Themistokles den Rücken. Das gab den Ausschlag. Das Bündnis ging daraus gestärkt hervor, und jeder war fest entschlossen, den Kampf zu suchen.
Und wir kämpften, wie ihr gehört habt. Einige meinen, die Schlacht bei Salamis sei größer als Lade gewesen, andere sagen das Gegenteil. Was auch immer mein Freund Aischylos dazu zu sagen hat, die Wahrheit ist, dass wir weniger als hundert Schiffe kaperten oder versenkten und selbst mehr als dreißig verloren. Am dritten Tag bei Artemision hatten wir uns ähnlich tapfer geschlagen.
Der Unterschied war nur, dass der Herbst nahte. Die persische Flotte fiel auseinander und suchte Schutz an den Stränden, und einige sind der Ansicht, dass der Widerstand erst endete, als die Perser einige der verbündeten Phönizier mit einem Pfeilhagel in den Tod schickten, denn danach beschlossen die Phönizier, sich vom Großkönig abzuwenden. Aber ich war ja dabei, und ich denke, dass wir ihren Kampfeswillen brachen. Seit Beginn des Langen Krieges, der weit im Osten seinen Lauf genommen hatte, habe ich viele Schlachten auf See erlebt, und Schiff gegen Schiff waren wir den Persern gewachsen oder sogar besser als sie. Die Phönizier, das Rückgrat der persischen Flotte, hatten Dutzende Schiffe verloren, vor allem aber jede Menge ausgezeichnete Seeleute und Schiffsführer, und das seit Beginn des Krieges. Irgendwann im Verlauf dieser Seeschlacht hatten die Griechen die Waagschale zu ihren Gunsten beeinflusst, und während der Flotte des Großkönigs bei Salamis der Sieg entglitt, griff Poseidon mit waltender Hand ein und überließ uns die Herrschaft über die Weiten seiner Meere.
Doch wir zahlten einen hohen Preis. Idomeneus verlor dort sein Leben, in einem verzweifelt geführten Gefecht auf See. Leukas, unser Mann aus Albion, trug eine schreckliche Wunde davon. Viele meiner Freunde fielen, viele wurden verwundet. Als die Perser mein Schiff überrannten, verlor ich Kameraden bei jedem Herzschlag, und Kleitos’ Tochter – die vollendete Tänzerin und Geliebte meines Sohnes Hipponax, die mein Sohn an Bord geschmuggelt hatte, auf dass sie sich beweisen möge – setzte sich mit einem geborstenen Ruderriemen zur Wehr und sprang dann über Bord, um sich der Gefangennahme und Erniedrigung zu entziehen. Aber das ist schon eine ganze Geschichte für sich.
Aber wir fegten das Deck leer, und aus Rache kaperten wir das Flaggschiff, in dem härtesten und längsten Gefecht, das ich je erlebte. Wir enterten über die viel höhere Bordwand, zwängten uns an den Auslegern vorbei, und dann …
Ja, dann siegten wir. Ich hatte kaum noch Luft zum Atmen, und meine beiden Söhne Hipponax und Hektor brachen zusammen, weil auch sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnten. Derweil behaupteten Xanthippos und Kimon das Zentrum des Geschehens. Die Korinther griffen viel zu spät ein, aber besser spät als nie, oder? Ja, sie rauschten heran, frisch und ausgeruht. Und viel weiter südöstlich eroberten Aristeides und Phrynichos mit Hunderten Hopliten und Bogenschützen die Insel Psyttaleia in der Mitte der Meeresstraße, mit dem Kontingent Bogenschützen aus Athen. Von diesen Männern werdet ihr heute Abend noch hören. So kam es, dass die Perser, die Phönizier, die Ägypter und die Männer aus Karien letzten Endes unterlegen waren. Wirklich, nur die Ionier – unsere Vettern, wenn ihr so wollt – und mein Freund und Bruder Archilogos führten den Kampf noch eine Weile fort, fest entschlossen, den Rückzug der Flotte zu decken. Wären sie nicht gewesen, vielleicht wäre die Flotte des Großkönigs vollkommen aufgerieben worden. Und die Ironie an der Sache war: Wir erblickten Schiffe, die Kimon und ich bei Lade gerettet hatten und die nun den Rückzug ihrer Herren deckten, obwohl sie diese Herren hassten.
Ah, ihre Stunde sollte noch kommen.
Ungeachtet dessen legten wir an unseren Stränden an, völlig erschöpft und doch im Siegestaumel. Es gab viele kleine Hinweise, dass die Götter uns gewogen waren: Kleitos’ Tochter war eine Strecke von drei Stadien bis zum Strand geschwommen, sie lebte und war unversehrt! Leukas war nicht an seiner schweren Verwundung gestorben, und ich fischte einen persischen Adligen aus dem Meer, der sonst ertrunken wäre. Es waren noch andere Zeichen, die in mir die Überzeugung reifen ließen, dass womöglich …
Wir feierten, waren aber am nächsten Morgen bereit, erneut den Kampf zu suchen, wie es bei Artemision der Fall gewesen war. Wieso auch nicht? Ich sag euch was, meine Freunde: Als die Sonne am Tage unseres Sieges unterging, verfügte der Großkönig immer noch über weitaus mehr unversehrte Schiffe und Mannschaften als wir!
Aber der Kampfgeist des Gegners war gebrochen. Kimon und ich stachen in See und erkundeten die feindlichen Strände. Dort stellten wir fest, dass sie alle Vorkehrungen trafen, nach Osten zu fliehen. Sie hatten ihre Masten und Segel an Deck liegen, und spätestens da wussten wir, dass wir endgültig gewonnen hatten.
Im Nachgang des Sieges stellte ich fest, dass Artaphernes im Sterben lag. Sein Sohn, der ebenfalls Artaphernes hieß und der mich genauso hasste wie Briseis – die Gemahlin seines Vaters –, jagte in Richtung Osten, um Briseis zu töten. Zur selben Zeit war auch Diomedes, der Feind meiner Jugendjahre, mit zwei Schiffen unterwegs nach Ephesos.
Nun. Ich war erschöpft, aber noch nicht so ausgelaugt, um nicht wenigstens zu versuchen, die Liebe meines Lebens zu retten. Es gelang uns tatsächlich, sie vor einem schmählichen Tod zu bewahren.
Gegen Ende des gestrigen Abends habe ich euch erzählt, wie die Menschen aus Attika in Troizen und Hermione willkommen geheißen wurden, auch an anderen Orten an der Ostküste der Peloponnes. So wisst ihr ja auch noch, dass ich, nachdem ich Briseis gerettet hatte – oder ihr dabei geholfen hatte, sich selbst zu retten –, nach Hermione segelte und dort erfuhr, dass mein Verwalter Eugenios, der auf seine Weise ebenfalls ein wahrer Held war, ein Haus für mich erstanden hatte. Er hatte sozusagen alles für meine Hochzeit vorbereitet, und meine Freunde trafen die letzten Vorbereitungen. So heirateten drei Paare an einem Tag: Ich heiratete Briseis, mein Sohn Hipponax gab der Tochter von Kleitos das Jawort, des Sohns des Kleisthenes aus dem Hause der Alkmaioniden, und Hektor, Sohn des Anarchos, heiratete Iris, die Tochter des Xanthippos. Xanthippos’ Frau Agariste war eine Base von Kleitos und die Tochter von Hippokrates. Ich erwähne diese Genealogie nur deshalb, damit ihr versteht, dass meine Söhne – sie galten beide als meine Söhne – Frauen aus dem Geschlecht der Alkmaioniden ehelichten, deren Blut so blau war, dass es sogar aus dem Meer an einem sonnigen Tage hätte stammen können.
Am Tag meiner Hochzeit lag Athen verwaist und in Trümmern da, in Attika hatte man keine einzige Feldfrucht ernten können, und auch Platäa war nichts als ein Berg aus Schutt. Das persische Heer hatte sich zurückgezogen und überwinterte in Thessalien, weil es kein Weideland in Attika gab, auf dem an die zwanzigtausend Pferde hätten grasen können. Die persische Flotte war in alle Winde zerstreut, war uns aber, wie gesagt, immer noch zahlenmäßig überlegen.
Wir siegten bei Salamis. Aber zuallererst errangen wir das Recht, erneut in den Kampf zu ziehen.
Es war das Jahr, in dem Themistokles zum Archon von «Athen» gewählt wurde, doch in Wirklichkeit wurde die Versammlung auf einem Hügel auf der Insel Salamis einberufen. Es war übrigens auch das Jahr, in dem Dromeus von Mantineia bei Olympia in der Disziplin Pankration gewann. In jenem Jahr starb der spartanische König aus dem Haus der Agiaden im Kampf gegen Xerxes’ Krieger, und die Griechen siegten bei Salamis. Es war das fünfzehnte Jahr des Langen Krieges. Die Menschen machten wieder Pläne, die Moiren – die spinnenden Schwestern – spannen unseren Schicksalsfaden, und die Scheren waren scharf.
Auch wenn wir das zu jenem Zeitpunkt noch nicht wissen konnten, brach das letzte Jahr des Langen Krieges an.
Alles hing in der Schwebe.