Es gab zwei Dinge, die Lasse Knutsson an Regenkleidung auszusetzen hatte. Erstens: Völlig gleich, wie warm oder kalt es war, ob man sich bewegte oder nicht, er schwitzte darin unweigerlich. Zweitens: Sie hielt dem Regen schlichtweg nicht stand. Beides waren, davon war er fest überzeugt, universelle Grundsätze. Ganz egal ob Hightech-Outdoor oder die gute, alte Wachsjacke, ob Gore-Tex oder Ölzeug – früher oder später war man nass, weil die Feuchtigkeit zwar immer einen Weg hinein, der Schweiß aber leider nie hinausfand. Weshalb er dem gesamten Konzept Regenschutz schon vor Langem den Rücken gekehrt hatte. Sollten die anderen doch wie bunte Leberwürste in ihren unbequemen Pellen kleben, sich in ihren verschwitzten Plastikhosen die Schenkel wund reiben und in Gummistiefeln Blasen laufen: Er machte dabei nicht mit. Er hatte das Spiel durchschaut. Er trat dem Regen positiv entgegen, bejahend, proaktiv. Er war im besten Sinne ein echter Wassermann, dabei gab er einen feuchten Kehricht auf Astrologie, nein, er war ein Mann des Wassers, ein nassforscher Neptun durch und durch. Er schwamm. Er angelte. Er fuhr Boot. Er hatte sein Haus an einem See gebaut. Als Jungspund, während seiner Armeezeit, war er Kampftaucher gewesen, na ja, fast jedenfalls, er wäre es um ein Haar geworden, wenn der ausbildende Offizier bei der strengen Tauglichkeitsprüfung nicht Probleme mit der Stoppuhr gehabt und Knutsson die erforderliche Zeit für das Fünfhundertmeterkraulschwimmen nicht um vermeintliche drei Zehntelsekunden überschritten hätte. Von daher machte ihm der Dauerregen – er lebe hoch, hoch, hoch! – überhaupt nichts aus. Denn hatte das himmlische Nass das Naturreservat nicht nahezu im Alleingang gerettet? War das nicht ein wundervolles Beispiel für die heilende Kraft des Wassers? So stapfte er also in seiner Ganzjahresuniform, die aus Cordhose, Flanellhemd und Anglerweste bestand und bei wenigen Gelegenheiten von einer klassischen sandfarbenen M65-Militärjacke ergänzt wurde, neben der Hundeführerin durch den Wald. Das Koordinieren der Suchmannschaften einschließlich der Möchtegernpolizisten von Missing People hatte er dankend Hugo Delgado überlassen. Sollte der sich doch mit den besserwisserischen Zugführern der Bereitschaft und den Knallchargen der Freiwilligenorganisation herumärgern. Er dagegen war heute da, wo handfeste Polizeiarbeit geschah, er war da, wo die Action abging. Die Hundeführerin war etwa in seinem Alter und hieß Maria, der Hund hieß, was tatsächlich komisch war, Josef. Der Labrador hatte am Vortag am Zeltplatz eine vielversprechende Fährte aufgenommen. Maria war davon überzeugt, dass Josef sie zu den Vermissten geführt hätte, wenn sie die Suche nicht wegen des Waldbrands hätten abbrechen müssen. Der anhaltende Regen hatte die Fährte natürlich abgeschwächt, dennoch war Maria weiterhin optimistisch. Sie nahmen die Suche an dem Punkt auf, an dem Maria und Josef am Vortag hatten umdrehen müssen. Das GPS hatte sie hergeführt. Knutsson war gespannt. Er war lang genug im Geschäft, um zu wissen, was Spürhunde auf dem Kasten hatten. Tatsächlich nahm Josef die Fährte wieder auf. Maria drehte sich zu Knutsson um und hob den Daumen. Dann ging es los, einen schmalen Pfad entlang, der unter hohen Fichten und Tannen hindurchführte. Links und rechts von ihnen lagen abgeknickte Äste und umgekippte bemooste Baumstämme, deren Wurzelknäuel mannshoch aufragten und aus den Augenwinkeln wie boshafte Trolle wirkten. Dieses hier war Wald in seiner ursprünglichen Form, dachte Knutsson ehrfurchtsvoll, ein Wald wie aus Ronja Räubertochter ; so wild und verwachsen sah es aus, wenn der Mensch nicht eingriff. Josef führte sie in nördliche Richtung. Die Tannen wichen Kiefern, der Boden wurde steiniger. Und dann, nach einer Kehre um einen Felsbrocken, war plötzlich Schluss. Josef blieb stehen und begann zu bellen. Zehn Meter vor ihnen hatte sich der Wald in ein schwarzes Feld verwandelt, aus dem schwarze Stümpfe ragten, rauchende Baumleichen, dachte Knutsson, eine tote Landschaft. Der Anblick war brutal. Maria ging in die Knie und streichelte den ratlos wirkenden Hund. Knutsson ging es nicht viel besser als dem Vierbeiner. Die Spur der Vermissten führte geradewegs in diese aschene Todeszone hinein. Zum ersten Mal ließ er den Gedanken zu, dass die drei Schüler und der Lehrer womöglich nicht mehr am Leben waren. Konnten sie tatsächlich im Feuer umgekommen sein? War ein Waldbrand nicht etwas, vor dem man davonlaufen konnte? Nicht unbedingt, musste er sich eingestehen. Was, wenn die Flammen sie überrascht hatten? Wenn sie schon sehr geschwächt oder gar verletzt waren? Wenn das Feuer sie eingekesselt hatte? Er schluckte trocken. Josef schüttelte sein nasses Fell. Maria gab ihm einen Hundekeks. Keiner der drei wusste weiter.

»Wir drehen um«, sagte Knutsson schließlich.