Es klopfte an Hugo Delgados Bürotür.
»Herein, wenn’s nicht Lasse ist.«
Sein Standardspruch.
Doch es war das umwerfend hübsche Gesicht von Sara Hjalmarsson, das im Türspalt erschien. Ob Gene oder die Götter: Wer auch immer für die sexuelle Orientierung menschlicher Individuen verantwortlich war, hatte sich bei der jungen Kollegin einen bösen, ja, grausamen Scherz mit ihm erlaubt, dachte er ein ums andere Mal. Latin Lover hin oder her, dagegen konnte er nichts ausrichten, sie spielte schlichtweg in einer anderen Liga.
»Ich bin’s.« Ein Lächeln wie ein Sonnenaufgang. Am Strand von Honolulu. Nach einer selig durchzechten Nacht. »Hast du gerade etwas Zeit?«
»Für dich doch immer.« Er lächelte ebenfalls, auch wenn ihm klar war, dass er damit keine Sonne aufgehen lassen würde, sondern wahrscheinlich eher einer sabbernd grinsenden alten Hyäne ähnelte. Was okay war. Das war das einzig Gute an Hjalmarssons kategorischer Unerreichbarkeit: Er konnte den souveränen Umgang mit einer atemberaubend schönen Frau üben, ohne dabei Gefahr zu laufen, sich die Finger zu verbrennen. Flirten mit Stützrädern, schäkern mit Netz und doppeltem Boden. »What’s new, pussy-cat?« Ihr Augenrollen machte ihm sofort unmissverständlich klar, dass sie die popkulturellen Referenzen des Spruchs entweder nicht kannte oder nicht goutierte, woraus ihr in beiden Fällen kein Vorwurf zu machen war, nicht jeder war mit dem Frühwerk Woody Allens vertraut, und falls doch, stand der Name des genialischen Regisseurs – seine Meinung – bei woken jungen Leuten momentan eher auf der Out- als der In-Liste, vorsichtig formuliert.
»Schon mal von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz gehört?«
Mit großer Geste kraulte Delgado sein Kinn.
»Ist es per definitionem überhaupt möglich, dass ein heterosexueller Mann …«
»… einer Lesbe auf den Geist geht? Kurze Antwort: ja!«
Sie zwinkerte ihm zu, trat in den Raum, schloss die Tür hinter sich und hielt ihm einen durchsichtigen Beweissicherungsbeutel entgegen.
»Rate mal, was ich hier habe.«
»Ein Handy?«
»Witzbold. Wessen Handy?«
»Doch wohl nicht etwa …?«
Statt einer Antwort nickte sie langsam.
Er pfiff anerkennend.
»Gute Arbeit, Watson.«
»Watson, soso, lass mich raten, in diesem Gleichnis bist du natürlich …«
»Natürlich!«
»… der chronisch erfolglose Inspektor Lestrade, in Doyles Originaltext übrigens als frettchenhaft und rattengesichtig beschrieben.«
Sie grinsten sich gegenseitig an.
»Her mit dem Ding«, sagte Delgado schließlich und streckte die Hand aus. Keine fünf Minuten später hatte seine selbst geschriebene Software den PIN -Code zur Entsperrung geknackt. Wie die meisten Menschen war Mathilda nicht besonders gewissenhaft, was Sicherheits-Updates des Betriebssystems betraf. »Suchen wir nach etwas Bestimmtem?«
Hjalmarsson erzählte, was sie über die fünfte Schülerin der Lerngruppe herausgefunden hatte, Sascha Lacko-Grilic. Über ihren Onkel, der wegen Betrugs festgenommen worden war, und die rückgratlose Schulleitung, die das Mädchen unmittelbar darauf unter vorgeschobenen Gründen des Internats verwiesen hatte.
»Wenn ich den Schulhoftratsch richtig verstanden habe, war diese Sascha so etwas wie die Anführerin der Gruppe, und besonders Mathilda hat bewundernd zu ihr aufgeschaut.«
Delgado scrollte sich durch das Innenleben des Geräts.
»Bingo. Hier ist ihre Nummer.«
Er blickte zu Hjalmarsson. Obwohl er der erfahrene Ermittler war und sie immer noch eine Berufsanfängerin, spürte er, dass sie etwas ausstrahlte, Durchsetzungskraft, eine Art drängende Gewissheit, ein Vertrauen auf die eigenen Instinkte. Vielleicht lernte man so etwas, wenn man wie sie auf einem Bauernhof samt Pferdegestüt aufwuchs, überlegte er. Von wegen, das Leben ist kein Ponyhof. Nachdenklich saugte sie an ihrer Unterlippe.
»Und wenn wir Sascha einfach mal anriefen«, schlug sie vor, »unter Mathildas Nummer, meine ich.«
Das war ein Schuss ins Blaue, dessen war sie sich mit Sicherheit auch bewusst, aber was hatten sie schon zu verlieren? Mathilda war seit hundertfünfzehn Stunden verschwunden.
»Klar.«
Er löste das Handy vom Kabel und reichte es Hjalmarsson, die die Nummer wählte und die Tonausgabe auf Lautsprecher stellte.
Es tutete dreimal, dann nahm jemand das Gespräch an.
»Ja?«
»Hej«, sagte Hjalmarsson, die Stimmlage so neutral und unbestimmt wie möglich. In der Leitung knackte und rauschte es. Vielleicht befand sich diese Sascha irgendwo, wo es ziemlich windig war.
»Mat …? Wir … hat … och gesagt, dass wi … du?« Die Worte wurden zerhackt, und die letzten Silben klangen wie von einer leiernden Roboterstimme. Saß Sascha in einer U-Bahn oder in einem Zug, der durch einen Tunnel fuhr? »Merde!« Das französische Schimpfwort war das Letzte, was sie hörten, bevor die Verbindung beendet war. Entweder war sie abgerissen, oder Sascha hatte aufgelegt.
Hjalmarsson blickte ihn fragend an. Er nickte. Sie drückte die Nummernwiederholung. Dieses Mal nahm niemand ab. Auch nicht beim zweiten und dritten Versuch.
»Was war das jetzt?«, fragte sie.
Delgado konnte nur ratlos die Achseln heben.
»Versuchen wir es später noch einmal.«