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Mit sechzig Meilen in der Stunde konnte man in einer Minute an unserer Farm vorbeifahren, und zwar auf der County Road 686, die genau nach Norden bis zur Kreuzung Cabot Street Road verlief. Cabot Street Road war eigentlich nichts weiter als eine gewöhnliche asphaltierte Landstraße, nur dass sie nach fünf Meilen westwärts in die Stadt Cabot hinein- und wieder hinausführte. Am Westrand von Cabot ging sie in den Zebulon County Scenic Highway über und folgte drei Meilen lang der Biegung des Zebu-Ion River, bis der Fluss sich nach Süden wandte und der Scenic Highway weiter nach Westen bis Pike führte. Die Kreuzung CR 686 lag auf einer kleinen Anhöhe, einer Anhöhe, die man nur so ganz eben wahrnehmen konnte, wie den Buckel in der Mitte eines billigen Tellers.

Von diesem Buckel aus war die Erde unzweifelhaft flach, der Himmel unzweifelhaft gewölbt, und als Kind kam es mir so vor, als hätten die antiken Völker Recht gehabt, auch wenn der Lehrer in der Schule von Kolumbus etwas anderes erzählte. Kein Globus und keine Landkarte konnten mich restlos davon überzeugen, dass Zebulon nicht der Mittelpunkt des Universums war. Bestimmt war Zebulon, wo die Erde wirklich flach war, der eine Punkt, an dem ein kugelförmiger Körper (ein Samenkorn, ein Gummiball, ein Kugellager) zu vollkommener Ruhe kommen musste. Und war er erst einmal zur Ruhe gelangt, schickte er sicher eine Pfahlwurzel durch die zehn Fuß dicke Ackerkrume nach unten.

Weil die Kreuzung auf dieser winzigen Anhöhe lag, konnte man unsere Gebäude in einer Meile Entfernung am südlichen Rand der Farm sehen. Eine Meile ostwärts konnte man drei Silos sehen, die die nordöstliche Ecke markierten, und wenn man seinen Blick von den Silos zu dem Haus und der Scheune schweifen ließ und dann wieder zurück, konnte man das unermessliche Land in sich aufnehmen, das mein Vater besaß, sechshundertundvierzig Morgen, ganz bezahlt, keine Belastungen, so flach und fruchtbar, schwarz, locker und so offen daliegend, wie ein Stück Land auf dem Antlitz dieser Erde es nur sein kann.

Wenn man von der Kreuzung aus nach Westen sah, gab es weit und breit nichts, das auch nur im Entferntesten landschaftlich beeindruckend war. Das lag daran, dass der Zebulon River Ackerboden und Kalkstein durchschnitten und seinen hübschen Verlauf in ein Tal verlegt hatte, tiefer als das umliegende Farmland. Auch war, außer in der Nacht, nichts von Cabot zu sehen. Das Einzige, was man sah, waren zwei Gruppen von Farmgebäuden, umgeben von Feldern. In der Gruppe weiter vorne wohnten die Ericsons, die Töchter im Alter von meiner Schwester Rose und mir selbst hatten, und in der Gruppe weiter hinten wohnten die Clarks, deren Söhne, Loren und Jess, noch in die Grundschule gingen, als wir gerade in die High School kamen. Harold Clark war der beste Freund meines Vaters. Er hatte fünfhundert Morgen und keine Hypothek. Die Ericsons hatten dreihundertundzwanzig Morgen und eine Hypothek.

Land und Finanzierung waren in Zebulon ebenso elementare Tatsachen wie Name und Geschlecht. Harold Clark pflegte mit meinem Vater an unserem Küchentisch darüber zu debattieren, wer das Land der Ericsons kriegen würde, wenn die schließlich ihre Hypothek nicht mehr bezahlen könnten. Ich dachte daran, jedes Mal, wenn ich mit Ruthie Ericson spielte, jedes Mal, wenn meine Mutter, meine Schwester Rose und ich hinübergingen, um beim Einmachen von Obst und Gemüse aus dem Garten zu helfen, jedes Mal, wenn Mrs Ericson Pies oder Donuts herüberbrachte, jedes Mal, wenn mein Vater Mr Ericson ein Werkzeug auslieh, jedes Mal, wenn es in der Küche der Ericsons ein Sonntagsessen gab. Ich sah ein, dass Harold Clark mit seiner Meinung, dass das Land der Ericsons auf seiner Straßenseite lag, Recht hatte, aber trotzdem fand ich, es sollte unser sein. Erstens hatte Dinah Ericsons Schlafzimmer im begehbaren Wandschrank einen Fenstersitz, den ich haben wollte. Zweitens fand ich es angemessen und wünschenswert, dass der große Kreis der flachen Erde, der sich von der Kreuzung County Road 686 und Cabot Street Road aus erstreckte, unser sein sollte. Tausend Morgen. So einfach war das.

Wir schrieben 1953, und ich war acht, als ich die Farm und die Zukunft in diesem Licht sah. Es war das Jahr, in dem mein Vater sein erstes Auto kaufte, einen Buick Sedan mit kribbligen grauen Samtsitzen, die an den Kanten so abgerundet und so glatt waren, dass man bei einem Huckel oder einer scharfen Kurve leicht vom Rücksitz auf den Fußboden rutschen konnte. Es war auch das Jahr, in dem meine Schwester Caroline geboren wurde, zweifellos der Grund, weshalb mein Vater das Auto kaufte. Die Ericson-Kinder und die Clark-Kinder fuhren weiterhin hinten auf dem Pick-up, der zur Farm gehörte, aber die Cook-Kinder stießen mit den Füßen gegen einen Vordersitz und sahen gebannt aus den hinteren Fenstern, schön geschützt vor Staub. Das Auto war der Ausdruck von sechshundertvierzig Morgen im Verhältnis zu dreihundert oder fünfhundert.

Trotz der Benzinkosten unternahmen wir in jenem Jahr viele Autofahrten, was Farmer selten tun und mein Vater auch nie wieder tat, nachdem Caroline auf der Welt war. Ich hatte daran ein Vergnügen wie an einem geheimen Hort Münzen – wenn Rose, die ich sehr liebte, an mich gelehnt in dem heißen, muffigen Samtluxus des Autoinneren saß, wenn man den Kies unten gegen das Fahrgestell knistern hörte und das Gefühl hatte, als schwömme das Auto in dem gefurchten Weg, wenn jede Minute eine Farm vorüber zog und unsere Geschwindigkeit sie von ungeheurer Größe zu unbedeutender Winzigkeit schrumpfen ließ; wenn einen dieses ungewohnte Gefühl von Müßiggang überkam; wenn, was am allerwichtigsten war, ich den beruhigenden Ton der Stimmen meines Vaters und meiner Mutter hörte, die das, was sie sahen, kommentierten – er den Fortschritt der jährlichen Arbeit und den Zustand der Tiere auf den Weiden, sie Aussehen und Größe der Häuser und Gärten, der Farben der Gebäude. Der Ton ihrer Stimmen war ohne Hast und voller Selbstsicherheit, drückte er doch das Wissen aus, dass die Arbeiten bei uns weiter, unsere Gebäude größer und besser gepflegt waren. Wenn ich heute an sie zurückdenke, weiß ich, dass sie wahrscheinlich kaum viel mehr von der Welt gesehen hatten als ich zu der Zeit. Aber als ich damals ihrem Duett und den Vergleichen lauschte, war es, als könnte ich mich in die Sicherheit dieses Lebensweges nesteln – unsere Farm und unser Leben schienen unerschütterlich und gut.