Jess Clark war dreizehn Jahre fort. Er ging aus einem alltäglichen Grund – er wurde zum Militär einberufen –, aber innerhalb weniger Monate, nachdem Harold seinen Sohn zum Busbahnhof in Zebulon Zentrum begleitet hatte, rutschte Jess und alles, was mit ihm zu tun hatte, in die Kategorie des Unaussprechlichen, und niemand erwähnte ihn mehr bis zum Frühling 1979, als ich Loren Clark zufällig in der Bank von Pike traf und er mir erzählte, dass Harold zur Feier von Jess’ Rückkehr ein Spanferkel rösten würde, ob wir alle kämen, mitzubringen brauchten wir nichts. Ich legte Loren meine Hand auf den Arm, so dass er sich nicht umwenden konnte und mir in die Augen sehen musste. Ich sagte: »Nun sag mal, wo ist er denn gewesen?«
»Ich schätze, das werden wir dann hören.«
»Ich dachte, er hätte keine Verbindung zu euch gehabt.«
»Hatte er auch nicht, bis Samstagabend.«
»Das ist alles?«
»Das ist alles.« Er sah mich lange an und lächelte langsam, dann sagte er: »Mir fällt auf, er hat abgewartet, bis wir mit der Aussaat fertig waren, bevor er seine Auferstehung inszeniert hat.«
Wir hatten wirklich hart gearbeitet, der Frühling war kalt und nass gewesen, und niemand hatte früher als Mitte März aufs Feld gekonnt. Dann war in weniger als zwei Wochen fast der ganze Mais im County gesät worden. Loren lächelte. Was auch immer er sagte, ich wusste, er kam sich ein bisschen wie ein Held vor, genau wie die Männer bei uns zu Hause.
Mir fiel etwas ein. »Weiß er das mit deiner Mutter?«
»Dad hat’s ihm gesagt.«
»Bringt er ’ne Familie mit?«
»Keine Frau, keine Kinder. Keine Pläne, dahin zurückzugehen, wo er herkommt. Na ja, wir werden sehen.« Loren Clark war ein großer, gutmütiger Kerl. Wenn er von Jess sprach, dann mit einem zwanglosen amüsierten Unterton, so wie er über alles sprach. Ihn zu treffen, war immer ein Vergnügen, wie ein Glas Wasser zu trinken. Harold machte wunderbare Spanferkel-Essen – während das Ferkel röstete, spritzte er ihm Zitronen- und Paprikasaft unter die Haut. Dennoch erstaunte es mich, dass Harold für einen Tag mit der Bohnensaat aussetzen wollte. Loren zuckte die Schultern. »Das kann warten«, sagte er. »Das Wetter hält sich jetzt. Du kennst Harold. Er schwimmt immer gerne gegen den Strom.«
Worauf ich mich aber wirklich freute, war, Jess Clark durch die Oberfläche all dessen hindurch brechen zu sehen, was die ganzen Jahre nicht über ihn gesagt worden war, Ich spürte mein Interesse wachsen, eine kleine Neugierde, die mir wie ein glückliches Omen vorkam. Als ich eine Weile später den Scenic Highway entlang nach Cabot fuhr, dachte ich, wie hübsch der Fluss aussah – Weiden und Silberahorn standen in vollem Laub, das Schilfrohr war grün und saftig, die wilden Lilien standen in lila Büscheln, und ich hielt an und machte einen schönen kleinen Spaziergang am Ufer entlang.
Am Valentinstag hatte meine Schwester Rose ihre Diagnose, Brustkrebs, bekommen. Sie war vierunddreißig. Die Operation und die darauf folgende Chemotherapie hatten sie schwach und nervös gemacht. Es war der trübsinnigste März und April seit Jahren, und ich kochte die ganze Zeit für drei Haushalte – für meinen Vater, der darauf bestand, alleine in unserem alten Haus zu leben, für Rose und ihren Mann Pete in ihrem Haus gegenüber von Daddy, und dazu für meinen Mann Tyler und mich. Wir wohnten nun wirklich da, wo früher die Ericsons gewohnt hatten. Es war mir gelungen, das Mittagessen zusammenzulegen, und manchmal auch das Abendessen, je nachdem, wie Rose sich fühlte, das Frühstück aber musste ich in jeder der drei Küchen einzeln machen. Meine Arbeit am Herd begann vor fünf und endete nicht vor halb neun abends.
Es machte die Sache nicht besser, dass die Männer herumsaßen und sich über das Wetter beklagten und sich sorgten, es könne kein Traktordiesel fürs Pflanzen geben. Jimmy Carter sollte dieses tun, Jimmy Carter wird ganz bestimmt jenes tun, den ganzen Frühling hindurch.
Und es machte die Sache nicht besser, dass Rose sich im vergangenen Herbst plötzlich entschlossen hatte, Pammy und Linda, ihre Töchter, auf ein Internat zu schicken. Pammy war in der siebten Klasse, Linda in der sechsten. Sie wollten absolut nicht weg, kämpften dagegen an, indem sie mich und ihren Vater gegen Rose zu ihren Verbündeten machten, aber sie nähte Namensschilder in ihre Kleider, packte ihre Koffer und fuhr sie runter in die Quäkerschule von West Branch. Sie legte eine unbeugsame Entschlossenheit an den Tag, selbst angesichts des Widerspruchs unseres Vaters; sie war wie eine Naturkraft.
Die Abreise der Mädchen war unerträglich für mich, waren sie doch beinahe meine eigenen Töchter, und als Rose die Nachricht von ihrem Arzt erhielt, war das Erste, was ich sagte: »Lass uns Pammy und Linda für ’ne Weile nach Hause kommen lassen. Das ist jetzt eine gute Zeit. Sie können das Schuljahr hier zu Ende machen, danach eventuell wieder zurückgehen.«
Sie sagte: »Niemals.«
Linda war gerade geboren, als ich meine erste Fehlgeburt hatte, und für längere Zeit, sechs Monate vielleicht, war der Anblick dieser beiden Babys, die ich mit wahrer Anteilnahme und tiefer Erfüllung geliebt und umsorgt hatte, Gift für mich. Es schmerzte mich bis in alle Fasern, wenn ich sie sah, wenn ich Rose mit ihnen sah, als trügen meine Adern Säure bis in die äußersten Bereiche meines Körpers. Ich war so eifersüchtig, und jedes Mal, wenn ich sie sah, so erneut eifersüchtig, dass ich kaum sprechen konnte, und ich war nicht besonders nett zu Rose, weil irgendetwas in mir ihr die Schuld dafür gab, dass sie das hatte, was ich wollte, und dafür, dass sie es so leicht bekommen hatte (ich hatte drei Jahre gebraucht, um überhaupt schwanger zu werden – sie war es schon zwei Monate nach ihrer Hochzeit). Natürlich hatte Schuld nichts damit zu tun, und ich überwand schließlich meine Eifersucht, indem ich mir immer wieder, wie eine heruntergebetete Litanei, die zentrale Tatsache meines Lebens in Erinnerung rief – kein Tag meines erinnerten Lebens war ohne Rose. Verglichen mit unserer schwesterlichen Beziehung war jede andere durch irgendeine Form der Abwesenheit gekennzeichnet – vor Caroline, nach unserer Mutter, vor unseren Männern, Schwangerschaften, ihren Kindern, vor und nach Freunden und Nachbarn. In Zebulon hat es immer Familien gegeben, die jahrelang miteinander lebten, ohne ein Wort zu wechseln, für die ein alter Zwist um Land oder Geld so heiß brannte, dass er jedes andere Thema verschlang, jeden anderen Berührungspunkt der Freundschaft oder Zuneigung. So etwas wollte ich nicht, das wollte ich am allerwenigsten, deshalb überwand ich meine Eifersucht und machte meine Beziehung zu Rose besser als je zuvor. Und dennoch erinnerte mich ihre Weigerung, sie aus dem Internat nach Hause kommen zu lassen, in eindeutiger Weise daran, dass sie immer ihre Kinder sein würden, niemals meine.
Ja, ich fühlte es, und ich schob es beiseite. Ich warf mich ganz darauf, ihr Essen zu machen, ihr Haus zu putzen, ihre Wäsche zu waschen, sie zur Behandlung nach Zebulon reinzufahren, sie zu baden, ihr zu helfen, eine Prothese zu finden, sie in ihren Übungen zu ermutigen. Ich sprach von den Mädchen, las die Briefe, die sie nach Hause schickten, schickte ihnen Bananenkuchen und Ingwerplätzchen. Aber nachdem die Mädchen weggeschickt worden waren, hatte ich wieder, zum ersten Mal seit Lindas Geburt, eine Ahnung davon, wie es in diesen Familien war, wie ganze Generationen des Schweigens aus einer einzigen Entscheidung erwachsen konnten.
Jess Clarks Rückkehr: Etwas, das unmöglich erschienen war, erwies sich als möglich. Es war jetzt Ende Mai, und Rose ging es ganz gut. Noch eine Möglichkeit, die sich verwirklicht hatte. Und sie sah auch besser aus, seit sie wieder ein bisschen Farbe bekam. Und es würde warm werden, sagten sie im Fernsehen. Mein Spaziergang am Flussufer führte mich zu der Stelle, wo der Fluss sich zu einem kleinen Sumpfgebiet ausweitet, oder wo, wie man auch sagen könnte, die Oberfläche der Erde unter die Oberfläche des Meeres, das in ihr ist, tauchte. Blaues Wasser funkelte im noch klaren Sonnenlicht des Frühlings. Und hier war ein Schwärm Pelikane, vielleicht fünfundzwanzig Vögel, wolkenweiß gegen den Schimmer des Wassers. Vor neunzig Jahren, als meine Großeltern sich in Zebulon niederließen und die ganze Gegend feucht war, sumpfig, und so wie jetzt schimmerte, nisteten Hunderttausende von Pelikanen im Schilf, aber ich hatte seit den frühen Sechzigern keinen einzigen mehr gesehen. Ich beobachtete sie. Diese schöne Aussicht am Scenic Highway, dachte ich, hatte mich gelehrt, dass es unterhalb des Sichtbaren noch etwas gab.
Die Clark-Brüder sahen beide gut aus, nur dass man bei Loren einen Augenblick genauer hinsehen musste, um die schön geschnittenen Augen und die fein geschwungenen Lippen zu entdecken. Seine vergnügte Veranlagung verlieh ihm etwas Einfältiges, das, was die meisten Menschen wahrscheinlich meinen, wenn sie das Wort »Hinterwäldler« benutzen. Und vielleicht war er auch ein bisschen dick um die Mitte herum geworden, wie man es eben wird, wenn man immer viel Fleisch und Kartoffeln bekommt. Es war mir nicht einmal aufgefallen, bis ich Jess das erste Mal beim Spanferkel-Essen sah. Er war wie eine Kontrastausgabe von Loren. Ich glaube, Jess war ungefähr ein Jahr älter als Loren, aber in jenen dreizehn Jahren waren sie wie diese getrennt aufwachsenden Zwillinge geworden, von denen sie im Fernsehen berichten. Sie neigten ihre Köpfe in derselben Weise, sie lachten über dieselben Witze. Bloß dass die Jahre nicht in derselben Weise ihren Tribut von Jess gefordert hatten wie von Loren: seine Taille wuchs gerade aus seinem Gürtel auf; seine Oberschenkel waren ein wenig nach außen gewölbt, so dass man die Muskeln in seinen Jeans ahnen konnte. Auch von hinten sah er anders aus als die anderen beim Spanferkel-Essen. Sein Kreuz wurde bis zu seinem Gürtel hin schmaler, und dann kam nur eine leichte Wölbung, die von der Naht und den Taschen schön betont wurde. Er ging auch nicht wie ein Farmer, das war noch etwas, was einem von hinten auffiel. Die meisten Männer gehen aus den Hüftgelenken, werfen einfach die Beine abwechselnd vor, aber Jess Clark bewegte sich aus dem Kreuz heraus vorwärts, so als wäre er jederzeit bereit, ein paar Mal Handstandüberschlag zu machen.
Auch Rose fiel er auf, zugleich mit mir. Wir stellten unsere Kasserollen auf den Tisch mit den Holzböcken, ich sah Jess an, der mit Marlene Stanley gesprochen hatte und sich gerade umwandte, und Rose sagte: »Heh. Sieh mal an!«
Sein Gesicht aber war nicht so glatt wie Lorens. Im Gesicht war er gealtert. Von seinen Augenwinkeln breiteten sich Falten wie Fächer aus, umrahmten sein Lächeln, zogen die Aufmerksamkeit auf seine Nase, die lang war und scharf geschnitten, nicht weich geworden durch Fleisch oder jahrelange leichte, harmlose Gedanken. Er hatte Lorens blaue Augen, aber es lag nichts Süßliches in ihnen, und Lorens dunkelbraune Locken, aber sie waren kurz geschnitten. Schön geschnitten. Er trug teure Turnschuhe und ein hellblaues Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln. Er sah in der Tat gut aus, aber nicht auf eine Weise, welche das Misstrauen der Nachbarschaft schnell zerstreut hätte. Trotzdem waren natürlich alle freundlich zu ihm. Die Leute in Zebulon betrachteten Freundlichkeit als moralische Tugend.
Er umarmte mich, dann Rose, und sagte: »Heh, da sind ja die großen Mädchen.«
Rose sagte: »Heh, da ist ja das kleine Ekel.«
»So schlimm war ich damals gar nicht. Ich war einfach bloß interessiert.«
»Das Wort ›Nervensäge‹ trifft es bestens, Jess«, sagte Rose.
»Zu Caroline war ich nett. Caroline war verrückt nach mir. Ist sie hier?«
Ich sagte: »Caroline lebt jetzt unten in Des Moines. Sie heiratet im Juli.« Ich klang so ernsthaft und langweilig.
»So früh?«
Rose neigte den Kopf zur Seite und schob ihr Haar nach hinten. »Sie ist achtundzwanzig, Jess«, sagte sie. »Daddy sagt, es ist beinahe zu spät für die Zucht. Frag ihn. Er wird dir alles Mögliche über Sauen und junge Kühe erzählen und über Sachen, die austrocknen, und leere Kammern. Er hat da ein ganzes theoretisches System.«
Jess lachte. »Das weiß ich noch. Euer Vater hatte immer ’ne Menge Ideen. Er und Harold konnten am Küchentisch sitzen und eine ganze Torte aufessen, ein Stück nach dem anderen, und zwei oder drei Kannen Kaffee trinken und versuchen, sich gegenseitig zu übertrumpfen.«
»Das machen die immer noch«, sagte Rose. »Denk ja nicht, irgendwas hätte sich verändert, bloß weil du dreizehn Jahre nicht dabei gewesen bist.«
Jess sah sie an. Ich sagte: »Ich hoffe, du erinnerst dich, dass Rose ständig ihre ungehobelte Meinung äußert. Das hat sich auch nicht verändert.« Er lächelte mich an. Rose, die nichts in Verlegenheit bringen kann, sagte: »Ich hab mich auch an etwas erinnert. Ich hab mich erinnert, dass Jess früher so gerne das Schweizer Steak mochte, das seine Mutter gemacht hat. Deshalb hab ich genau das mitgebracht.« Sie hob den Deckel von ihrer Kasserolle, und Jess zog die Augenbrauen hoch. Er sagte: »Ich hab seit sieben Jahren kein Fleisch mehr gegessen.«
»Na dann wirst du hier wahrscheinlich verhungern. Da ist Eileen Dahl, Ginny. Sie hat mir Blumen ins Krankenhaus geschickt. Ich geh mal mit ihr reden.« Sie ging hinüber. Jess sah ihr nicht nach. Stattdessen hob er den Deckel von meiner Kasserolle. Ich hatte Käse-Enchiladas gemacht. Ich sagte: »Und wo hast du nun gelebt?«
»Seattle, in der letzten Zeit. Vor der Amnestie war ich in Vancouver.«
»Wir wussten überhaupt nicht, dass du in Kanada warst.«
»Kann ich mir denken. Ich bin da direkt nach der Infanterieausbildung hingegangen, bei meinem ersten Urlaub.«
»Wusste dein Dad davon?«
»Vielleicht. Ich weiß nie, wie viel er weiß.«
»Zebulon County muss dir ziemlich gewöhnlich vorkommen, danach, nach den Bergen und allem.«
»Es ist schön dort. Ich weiß nicht …« Sein Blick huschte über meine Schulter, dann wieder zurück zu meinem Gesicht. Er lächelte mich direkt an. »Wir reden mal drüber. Ich hab gehört, ihr seid jetzt unsere nächsten Nachbarn.«
»Ja, ich denk schon, nach Osten.«
Ich sah, dass das Auto meines Vaters vorfuhr. Pete und Ty waren bei ihm, das wusste ich. Aber Caroline war auch da. Das kam unerwartet. Ich winkte, als sie aus dem Auto stieg, und Jess drehte sich um und sah in ihre Richtung. Ich sagte: »Da ist sie. Das ist mein Mann, Ty. Du erinnerst dich bestimmt an ihn, und Pete, Roses Mann. Kennst du ihn?«
Jess sagte: »Keine Kinder?«
»Keine Kinder.« Ich gab dieser Bemerkung meinen üblichen heiteren Ton und ergänzte dann schnell: »Aber Rose hat zwei, Pammy und Linda. Ich bin ihnen sehr nahe. Momentan sind sie im Internat. Unten in West Branch.«
»Ganz schön anspruchsvoll für ’ne Familienfarm.«
Ich zuckte die Schultern. Mittlerweile hatten Ty und Caroline ihren Weg durch die vielen Menschen zu uns gefunden, nachdem sie Daddy bei der Gruppe Farmer abgeliefert hatten, die um Harold und Pete bei dem Fass mit dem eisgekühlten Bier standen. Ty kniff mich leicht in die Taille und küsste mich auf die Wange.
Ty und ich heirateten, als ich neunzehn war, und noch immer war es so, dass ich mich selbst nach siebzehn Ehejahren jedes Mal freute, wenn er erschien.
Ich war nicht die Erste in meiner High School-Klasse, die heiratete, und auch nicht die Letzte. Ty war vierundzwanzig. Er war bereits seit sechs Jahren Farmer, und seine Farm ging gut. Hundertundsechzig Morgen, keine Hypothek. Ihre Größe war meinem Vater recht, und sie hatte die richtige Geschichte – Tys Dad, der zweite Smith-Junge, hatte die Extrafarm geerbt, nicht das eigentliche Land. An das hatte man nicht gerührt, es ging an Tys Onkel und belief sich auf ungefähr vierhundert Morgen, keine Hypothek. Tys Dad hatte darüber hinaus Verstand bewiesen, indem er eine einfache Frau geheiratet und nur ein Kind hervorgebracht hatte, die obere Grenze, wie mein Vater oft sagte, für hundertsechzig Morgen. Als Ty zweiundzwanzig war und lange genug Farmer, um zu wissen, was er tat, starb sein Vater an einem Herzanfall, der ihn im Schweinestall traf. Meinem Vater erschien das als der reinste Ausdruck der richtigen Abfolge der Dinge, und deshalb war er, als Ty uns im darauf folgenden Jahr zu besuchen begann, voll und ganz einverstanden.
Ty konnte sich ausdrücken, er war umgänglich, und ganz von sich aus zog er mich Rose vor. Er hatte gute Manieren, eine der Eigenschaften bei Männern, dachte ich oft, die immer bleiben. Jedes Mal, wenn er hereinkam, lächelte er und sagte: »Hallo, Ginny«, und wenn er ging, sagte er mir, wann er zurück sein würde, und er legte Wert darauf, auf Wiedersehen zu sagen. Er bedankte sich bei mir fürs Essen und benutzte gewohnheitsmäßig das Wort »bitte«. Gute Manieren kamen ihm auch im Umgang mit meinem Vater zustatten, da sie gemeinsam Daddys Farm bewirtschafteten und Tys hundertsechzig verpachteten. Daddy kam mit Pete nicht so gut zurecht, und Ty verbrachte ziemlich viel Zeit damit, die Dinge zwischen den beiden zu glätten. Im Laufe der Jahre wurde deutlich, dass Tyler und ich gut zusammenpassten, besonders wenn man uns mit Rose und Pete verglich, bei denen es im Allgemeinen viel mehr Aufregung und Unzufriedenheit gab.
Ty begrüßte Jess mit seiner typischen Freundlichkeit, und es war seltsam, zwischen beiden hin und her zu blicken. Als ich Jess das letzte Mal gesehen hatte, war er mir so jung vorgekommen und Ty so reif. Jetzt erschienen sie mir beide eher gleichaltrig, wobei Jess genau genommen eine Idee weltläufiger und selbstbewusster war.
Caroline gab Jess auf ihre energische Juristenart die Hand – was Rose immer ihr »Nimm-mich-ernst-oder-ich-verklag-dich«-Auftreten nannte. Sie mochte, wie Daddy glaubte, alt für die Zucht sein, aber sie war jung für die Juristerei. Ich gab mir ihr zuliebe wirklich Mühe, mich nicht über sie zu amüsieren, aber in dem Augenblick konnte ich sehen, dass Jess Clark sich auch ein bisschen amüsierte. Sie teilte uns mit, dass sie vorhatte, die Nacht zu bleiben, dann mit uns in die Kirche zu gehen und zum Abendessen wieder zurück in Des Moines zu sein. Nichts auch nur im Geringsten Ungewöhnliches. Ja, ich habe über jeden Moment dieser Party immer und immer wieder nachgegrübelt und dabei Hinweise, Signale ausfindig zu machen versucht, ich habe nach Möglichkeiten gesucht, wie man alles hätte anders machen können.
Aber es gab keine Anhaltspunkte.