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Wir hielten vorher bei uns, wo ich meinen Hut ablegte und das Kleid wechselte. Ty zog Arbeitskleidung an – nach dem Essen gab es jede Menge Arbeit. Als ich bei Dad ankam, war Jess Clark der Einzige im ganzen Haus. Er machte gerade Kaffee, und alle anderen waren draußen auf den Feldern, um nach dem Rechten zu sehen. Ty nahm den Pick-up und fuhr sie suchen. Jess goss mir eine Tasse Kaffee ein und sagte: »Die Dinge entwickeln sich ganz schön schnell, eh?« Er setzte sich mir gegenüber an den Tisch.

»Tja, ich hab meinen Vater vorher nie als einen Mann schneller Entschlüsse gesehen. Heute bin ich aber schon optimistischer. Ich glaub sowieso nicht, dass sich viel ändern wird.«

»Neue Stallungen? Mehr Schweine? Eine Schwarznussplantage? Zehn Morgen Gladiolen? Das sind Veränderungen.«

»Zehn Morgen Gladiolen?«

»Ja, dein Schwager Pete hat gerade davon gesprochen, bevor du gekommen bist. Achtzigtausend Knollen pro Morgen.«

»Achthunderttausend Gladiolen?«

»Er sagt, er kann in Minneapolis für fünf Stück einen Dollar kriegen. Das macht hundertsechzigtausend Dollar.«

»Oh, Pete!«

»Ich war beeindruckt. Ich hab mich fünfzehn Minuten mit ihm unterhalten, und er muss mit fünf oder sechs gut überlegten Ideen rausgekommen sein. Loren und mein Vater bei uns zu Hause haben überhaupt keine Ideen. Immer nur Mais und Bohnen, Bohnen und Mais. Als ich Kind war, hatten sie wenigstens ein paar Schweine und Kühe und Schafe. Und Moms Garten. Sie probierte immer neue Sorten aus oder kaufte ein paar Okrasamen, weil sie sehen wollte, ob sie so weit nördlich wachsen würden. Jetzt kämen ihnen schon Schweine als was Radikales vor.«

»Die Märkte sind heutzutage anders. Aber egal, ich bin diese Gespräche über Land und Vieh so leid. Das ist das Einzige, worüber sie hier reden. Erzähl mir, was du in Seattle gemacht hast.«

»Ich soll aus meinem Privatleben plaudern, was?« Er sah mich so lange an, bis ich spürte, wie ich rot wurde, dann lächelte er und sagte: »Ich werd’s dir erzählen. Ehrlich gesagt schmeichelt mir dein Interesse. Harold tut so, als war ich im Gefängnis oder sonst wo gewesen; er hat mich noch nicht mal gefragt, was ich gemacht hab, und Loren hat nur eins gesagt: irgendwelches Land da drüben gekauft?‹, und als ich nein gesagt hab, sagte er: ›Oh. Schade.‹«

»Was hast du gemacht?«

»Ich hab ’ne Lebensmittel-Kooperative geleitet. So im Allgemeinen haben wir Bioprodukte verkauft, Fleisch von freilaufenden Hühnern, ungebleichten Käse, so was. In Vancouver war ich auch für die Gemeinschaftsgärten verantwortlich, hab im Krisenzentrum mitgearbeitet, solche Sachen. Ich war Barkeeper für ’ne Zeit, hab in einem guten Restaurant gearbeitet.«

»Hört sich nicht gerade sehr sesshaft an.«

»War’s auch nicht. Immer, wenn’s fast so weit war, hab ich aufgehört und was Neues angefangen.«

»Hast du die Sicherheit nicht vermisst?«

»Für meine Sicherheit habe ich inneren Frieden kultiviert.«

Ich dachte, er mache einen Witz, und lachte.

Er sah mir in die Augen, ernsthaft, ernsthafter, als ich ihm zugetraut hätte. Er sagte: »Im Fernen Osten gibt’s ’ne Menge Menschen, die ein Gewand und eine Schüssel besitzen. Das ist alles. Sie stürzen sich in die Fluten dieser Welt, und sie wissen, sie werden getragen. Sie sind sicherer als du oder ich. Ich weiß inzwischen, dass ich so nicht sein kann. Ich bin zu amerikanisch. Aber ich weiß, dass es möglich ist. Das gibt mir ein Gefühl von Sicherheit.« Dann zwinkerten seine Augen, und er sagte: »Erzähl Harold nichts davon. Er denkt, ich rede von Kommunisten.«

»Du hast ihm das erzählt?«

»Ich hab damit angefangen, als er mich fragte, wann ich mich für die Kirche fertig machen wollte.«

»Du warst beim Gottesdienst.«

»Weil ich die Zeichen an der Wand gesehen hab.« Er grinste. »Da stand: Halt den Mund!«

Ein Auto fuhr knirschend auf dem Kies vor. Ich sprang auf und sah aus dem Fenster. Es war Marv Carson, und Ken LaSalle war bei ihm. Und ich konnte Tys Pick-up von den Feldern her kommen sehen mit Harold, Pete und Loren hinten drauf. Jess stand auf und stellte sich hinter mich, und ich muss mich angespannt haben, denn er legte mir die Hand auf den Nacken und sagte: »Der Kaffee ist fertig. Alles wird bestens laufen. Das Leben ist gut. Veränderung ist gut.«

Sie kamen nacheinander von hinten ins Haus, sprachen schnell und laut, als wären sie noch draußen, über den keimenden Mais, stiegen aus ihren Stiefeln und stellten sich für eine Tasse Kaffee an. Überall war Hoffnung. Ich ging ins Wohnzimmer und blickte über die Straße. Pammy und Linda hatten die Köpfe zusammengesteckt und beugten sich vor und sahen auf irgendetwas im Graben. Rose hielt die hintere Fliegengittertür mit der rechten Hand, sah ins Haus und rief etwas, das ich nicht hören konnte. Mit der linken Hand balancierte sie einen Teller mit Teekuchen. Kurz darauf trat Pete, der wegen irgendetwas über die Straße gelaufen sein musste, heraus, und zusammen kamen sie ihre Auffahrt herunter. Sie gingen über die Straße, wie man es auf dem Land tut, wenn man dieselbe Straße hundertmal am Tag überquert, ohne nach Autos zu sehen. Dann sagte Pete etwas, und Rose warf den Kopf zurück und lachte. In genau dem Augenblick öffnete ich das Fenster, einfach nur, um sie zu hören. Sie sahen alle glücklich aus. Rose grinste immer noch, als sie an Daddys Haustür ankamen.

Sie drückte mir den Teekuchen in die Hand, und ich trug ihn auf die Küchenablage, und die Männer standen bald alle drum herum. Auf dem dunklen Esszimmertisch lagen Stapel von Papieren, ordentlich aufgefächert, mit kleinen roten Kreuzchen überall. Sie erinnerten mich an Pilze, die plötzlich nach einer nassen Nacht aus dem Boden schießen, unheimlich weiß und voll ausgebildet, wie ein Wunder, aber Unheil verkündend. Ty wurde viel auf die Schulter geklopft, und immer und immer wieder hörte ich das Wort »Schweinemast«, wie eine Beschwörungsformel. Ich ordnete einige Haufen Reader’s Digest. Daddy hatte nicht daran gedacht, für dieses Treffen aufzuräumen, wahrscheinlich weil es hier seit fünfundzwanzig Jahren keine Zusammenkunft mehr gegeben hatte.

Ganz deutlich war Daddy nicht wie sonst, außer dass er sich wie immer Harold gegenüber aufspielte. Offenbar hatte er etwas über den Kredit für den Traktor herausgefunden, denn er sagte immer wieder: »Tja, ich werd hier sitzen und zusehen, wie andere für mich arbeiten, während du draußen mit deinem Traktor rumfährst und zusehen musst, wie du ihn abbezahlst. Ich wette, du kannst bei dem Motorenlärm noch nicht einmal dieses Radiodings hören.«

Harold nickte reumütig, grinste aber wie ein Irrer, grinste genauso wie die anderen, alle außer Ken LaSalle, aber den hatte seine Frau Weihnachten verlassen; sie war nach den Twin Cities[1] gegangen, um sich da einen Job zu suchen. Seine düstere Miene hatte also nichts zu bedeuten.

Und ich? Ich war auch glücklich. Ich lächelte auch. Denn ich war immer erleichtert, wenn mein Vater guter Laune war, und er lachte und umarmte Ty. Vielleicht war er im Augenblick in seiner besten Laune überhaupt. Er sagte immer wieder: »Okay, Kenny, komm, wir machen uns ran. Es ist so weit.«

Ken sagte: »Lass uns noch ein klein wenig warten, Larry.« Und er sah aus der Vordertür, und ich auch, und da kam Caroline aus Roses Haus über die Straße und die Verandastufen hoch. Als ich das sah, gab ich meine letzten Vorbehalte auf, spürte die Kraft wirklicher Zuversicht. Deshalb öffnete ich ihr die Tür, als sie mit der festen Absicht, sich versöhnlich zu zeigen – ich konnte das sehen –, die Stufen heraufkam. Aber mein Vater ging um mich herum und nahm die Tür und schlug sie ihr vor dem Gesicht zu, und dann zog er Ken mit einer Hand am Arm herum und sagte: »Jetzt.« Wir gingen ins Esszimmer. Als ich alles unterschrieben hatte, stahl ich mich auf die Veranda und sah hinüber zu Roses Haus. Carolines Honda war nirgends zu sehen.