Harold Clark selbst war der energischste Förderer seines örtlichen Rufes, ein gedankenloser Schwätzer zu sein. Während viele, wenn nicht die meisten Farmer, die ich kannte, lakonisch und klaglos dahinlebten, sprach Harold oft von sich, und immer so, als wäre er fast, aber nicht ganz, zwei Personen – die eine, die eine Menge »große Ideen« hatte (Harold setzte die Worte selbst in Anführungszeichen, wenn er sie aussprach), und die zweifelnde, diejenige, die wusste, dass keine dieser Ideen jemals zu verwirklichen war. Der eine Teil in ihm lockte den anderen immer mit irgendeinem windigen Unternehmen, und ein Teil in ihm erzählte immer auf Kosten des anderen irgendwelche Geschichten. Zusammengenommen hieß das, dass die Dinge auf der Clark-Farm, nach Harold, sich ständig am Rande des Zusammenbruchs bewegten, wohingegen die öffentliche Meinung dahinging, dass Harold in Wirklichkeit ein besserer Geschäftsmann und wohlhabender war als jeder andere. Mein Vater drückte das knapper aus. Er sagte: »Die Karosserie von Haralds Truck ist vielleicht voller Matsch, aber der Motor ist blitzsauber. Er will aber nicht, dass man das weiß.«
Der eigentlich nicht zu ihm passenden Prahlerei mit dem neuen Traktor während des Spanferkel-Essens folgten schnell Klagen, die Jess uns getreulich berichtete. Sie verbrachten drei Tage damit, den Leerlauf richtig einzustellen, und weitere drei Tage bastelten sie an der Elektrik herum. Harold gefiel die Stelle nicht, an der das Radio angebracht war – oben links. Er wollte es oben rechts haben. Seine letzte Klage, »eine lebenslängliche Klage«, wie Jess sie nannte, war, dass ihm das Getriebe nicht gefiel. Ty sagte: »Er hat Recht. Diese IH-Getriebe sind wirklich veraltet. Wenn er jemand anders außer dem IH-Händler gefragt hätte, dann hätte er rausgefunden, dass die Schaltung in einem Deere heutzutage seidenweich ist. Wenn man diese Harvesters schalten will, braucht man drei Männer und einen dicken Jungen.« Er streckte die Hand aus, und Rose, die gerade auf North Carolina, zwei Häuser, gelandet war, zahlte ihm seine Miete aus.
»Darauf kommt’s aber nicht an«, sagte Jess, knetete die Würfel zwischen den Handflächen und warf sie dann. »Im Grunde genommen kommt ihm das wie gerufen. Er kann jetzt die nächsten zwanzig Jahre betonen, was für ein Dummkopf er war, dass er diesen Traktor gekauft hat.«
»Daddy wird ihm dabei helfen«, sagte Rose.
»Harold wird es geradezu lieben«, sagte Jess. »Ihr wisst, was bei ihren Unterhaltungen immer rauskommt, nicht?« Er raste mit seinem Rennwagen über Los, und Ty gab ihm zweihundert Dollar. Er kaufte ein Haus für die New York Avenue und stellte es behutsam auf den orangefarbenen Streifen. »Sie einigen sich am Schluss immer darauf, dass Harold was Verrücktes gemacht hat oder dass Larry von Anfang an Recht gehabt hat. Und dann lässt Harold ein paar Andeutungen fallen, über Geld oder Ertrag pro Morgen, die beweisen, dass er trotz seiner Verrücktheit alle übertrumpft hat. Dass er ein so guter Farmer ist, dass er ’ne ganze Menge mehr Spielraum hat als der Durchschnittsfarmer.«
Ich sagte: »So hab ich das noch nie gesehen.«
»Weil er dich auch ausgetrickst hat, deshalb«, sagte Jess. »Jetzt, wo ich zurück bin, nach all den Jahren, die ich weg war, bin ich wirklich erstaunt, wie gut Harold darin ist, die Meinung der Leute über sich zu manipulieren.«
»Aber was hat er davon?«, sagte Pete. »Er bekommt nicht die Art Respekt wie die anderen Farmer. Die Leute lachen über ihn.
Wenn du drüben beim Futterhandel bist und jemand sieht seinen Truck kommen, heißt es nur, oh, da kommt Harold Clark. Und schon grinsen alle.«
»Und er kommt mit ’ner Geschichte an, stimmt’s? Er hat irgendwas Verrücktes oder auch Hässliches vor, wie Heuballen um das ganze Haus legen, von der Erde bis zum Dach, und dann mit Latten Plastikplatten drübernageln.«
»Oder er gießt die ganze Farm mit Zement aus, vom Haus bis zur Scheune. Das hat er letztes Jahr gesagt.« Pete grinste, und ich landete auf der Zusatzsteuer. Pammy las eine alte Nancy Drew, die ich auf dem Speicher gefunden hatte. Sie spürte, dass ich sie beobachtete, und sah auf, lächelte und nickte. Es war The Ghost of Blackwood Hall, früher mein Lieblingsbuch. Linda war mit ihrer Häkelei in den Händen eingeschlafen. Seit einer Woche häkelte sie fleißig an einem Puppenpullover.
»Nein«, sagte Jess. »Das Lachen ist es ja gerade. Wenn sie ihn respektierten, hätte er weniger Privatleben. Dieses ganze verrückte Gehabe ist wie eine Tarnung. Die Leute lassen ihre Wachsamkeit fallen. Sie sind außerdem großzügig mit ihm, weil sie sich ein wenig überlegen vorkommen. Ich meine, die Frauen der Nachbarschaft bringen Harold und Loren ein- oder zweimal die Woche was Warmes zu essen. Und ich will damit nicht sagen, dass er sich über die Leute hinter ihrem Rücken lustig macht oder sich schadenfroh die Hände reibt, wenn er sie übertölpelt hat. Das will ich damit nicht sagen. Es ist einfach nur so, dass er schlauer ist, als er sich anmerken lässt, und in der Lücke zwischen dem, wie er sich gibt, und dem, was er ist, liegt ’ne Menge Freiheit.«
»Klingt gut«, sagte Rose, »aber inzwischen gehört mir Park Place, und es sieht ganz so aus, als schuldest du mir einiges.«
»Ich schulde dir alles, Rose.« Er grinste sie anzüglich an.
»Sei vorsichtig.« Sie lachte.
Ich musste immer wieder zu Jess hinübersehen, denn ich war ein wenig überrascht, wie er Harold analysiert hatte. Vielleicht war es nicht die Wahrheit, aber die Wahrheit zog mich auch gar nicht an. Es war die Plausibilität eines solchen Plans, die Perfektion, mit der ein solcher Plan die Neugier der Nachbarn in die falsche Richtung lenken konnte. Es war ein so schönes Wort, dies letzte Wort, »Freiheit«, ein Wort, das mich schon immer aufgeschreckt und erfrischt hatte, wenn ich es hörte. Ich fand nicht, dass es mit meinem Leben viel zu tun hatte, oder mit dem Leben von irgendjemandem, den ich kannte – und dennoch besaß vielleicht Harold ein wenig davon oder empfand etwas davon.
»Also«, sagte Pete. »Ich war gestern beim Futterhandel, als Harold mit einer neuen schlauen Idee reinkam.«
Wir fingen bereits an zu grinsen.
»Welcher?«, sagte Ty.
»Er sagte, er denkt daran, sein Testament zu ändern.«
Es gab ein ganz, ganz kurzes Schweigen, das kürzeste, aber tiefste, und dann sagte Jess: »Oha«, und lachte. Wir wussten alle, was jeder von uns dachte, nämlich dass Harold sein Testament zugunsten von Jess ändern würde (denn wir nahmen an, dass sein jetziges Testament Loren begünstigte, was Harold natürlich niemals tatsächlich ausgesprochen hatte, aber was als das galt, was die Leute »wussten«), aber Jess sagte: »Wahrscheinlich wird er die Farm der Nature Conservancy vermachen, damit sie sie wieder in ein Feuchtgebiet zurückverwandeln können.«
Ty sagte: »Was ist das, Nature Conservancy?«
»Sie kaufen Land und schützen es.« Jess sah Ty mit diesem fröhlichen, aber aggressiven Blick an. »Nehmen es aus der Bewirtschaftung raus, weißt du.«
»Um Gottes willen«, sagte Ty.
Wir sprachen nicht weiter über Haralds Testament, aber spät am Abend, nachdem Rose und Pete mit Pammy und Linda nach Hause gegangen waren, blieb Jess stehen, bevor er von der Veranda trat. Er sagte zu Ty: »Weißt du, das Land, das du da unten bei Henry Grove hast? Was hat der Mann da angebaut?«
»Immer nur Mais die letzten vier Jahre. Davor hatte er ein paar Bohnen.«
»Wann gepflügt, Herbst oder Frühjahr?«
»Herbst. Und es ist ohne Haus. Ich hab ihn vor sieben Jahren das Haus abreißen und den Brunnen auffüllen lassen. Du könntest aber in der Stadt leben. Henry Grove ist nur ein paar Meilen entfernt.«
»Dann hat er das Land überstrapaziert.«
Ty sah lange in den matten Schein von Cabot am westlichen Horizont und fuhr sich mit dem Zeigefinger um den Mundwinkel. Ich sah ihm an, dass er getroffen war. Schließlich sagte er: »Es ist gutes Land. Marcus Whitman hat nichts gemacht, was ich nicht auch gemacht hätte. Er mag saubere Felder, das ist alles.«
Jess lächelte, er hatte begriffen, dass Ty getroffen war, und sagte: »Ich will nicht kritisieren. Wenn ich Farmer war, würde ich einiges ausprobieren. Vieles würde wahrscheinlich nichts werden. Ich würd dich wahrscheinlich die ganze Zeit um Rat fragen. Ich würd wahrscheinlich hauptsächlich nach Vorschrift arbeiten. Das war immer Haralds schlimmste Beleidigung, wenn er sagte: ›Der Mann arbeitet nach Vorschrift‹ Aber für mich war es wirklich nicht der Mühe wert, wenn ich nicht ein paar von den Sachen ausprobieren könnte, die ich im Westen gelernt hab.«
»Na ja, vielleicht.« Ty lächelte.
Beim Frühstück war Ty milde, aber beharrlich. Er sagte immer wieder: »Die Leute begreifen nicht, dass man es sich nicht mehr leisten kann, etwas auszuprobieren, das vielleicht nichts wird. Ich meine wenn mein Einkommen einzig und allein aus der Farm kommt und ich entscheiden muss, wie ich das Benzin einsetze und wann es an der Zeit ist, noch einmal durch die Bohnen zu gehen oder vielleicht dreiundvierzig Bushel pro Morgen anstelle von siebenundvierzig rauszuholen. Es ist alles schön und gut, von einer zehn Morgen großen Schwarznussplantage zu reden und sie dann dreißig Jahre später abzuholzen und Furnierholz daraus zu machen, für zehntausend Dollar pro Baum, aber was ist mit der verlorenen Produktion in den dreißig Jahren? Es ist komplizierter, als die Leute glauben, die bloß Bücher lesen.«
Ich sagte: »Redest du mit dir selber oder mit mir?«
Er sah von seinem Teller auf und lächelte mich an. »Verdammt, Ginny, heut Morgen halt ich direkt ’ne Volksrede.«
»Er hat dich nicht kritisiert. Du brauchst dich nicht kritisiert zu fühlen.«
»Ja und nein. Er meint es nicht so und er möchte unser Freund sein, aber er würde die Dinge nicht auf unsere Art machen, und wenn er entscheiden könnte, würde er uns die Dinge wahrscheinlich auch nicht auf unsere Art machen lassen, um die Wahrheit zu sagen.«
»Vielleicht, aber es ist doch Platz für viele Arten, oder?«
Er setzte sich zurück und wischte sich den Mund, schob dann den Stuhl zurück und stand auf. Draußen begann es hell zu werden. Er sagte: »Ja, na klar, im Prinzip. Allerdings frag ich mich manchmal, wie dieses Prinzip in der Wirklichkeit funktioniert. Jedenfalls, ich werde jetzt noch mal durch die Bohnen gehen, weil da jede Menge Kletten drin sind.« Er drückte leicht meinen Arm und ging hinaus.