16

Nachdem Ty gegangen war, brauchte ich eine halbe Stunde, bis ich bei meinem Vater war. Tausend Kleinigkeiten mussten weggeräumt werden, und, ehrlich gesagt, unsere späten Abende fingen an, sich morgens bei mir bemerkbar zu machen. Ich wusste, Daddy würde verärgert sein, weil er auf sein Frühstück warten musste. Jetzt, da ich nicht mehr für Rose kochte, wollte er es Punkt sechs auf dem Tisch haben, auch wenn es keine Felder mehr gab, auf die er schleunigst hinausmusste. Ich trödelte. Ich hing dem Gedanken nach, dass er, wenn er länger schliefe und später frühstückte, während des Tages nicht so viel Zeit hätte, die gefüllt werden musste. Ich gab meiner Verärgerung über ihn nach, aber in Wirklichkeit schob ich den Gang zu ihm auf. Mit der Erinnerung an Carolines Anruf, den ich Montag hatte erwidern sollen, was ich aber nicht getan hatte, war ich plötzlich hellwach gewesen, noch bevor Ty, der Frühaufsteher, sich aus dem Bett gerollt hatte, um nach den Schweinen zu sehen.

Eines stand fest, Daddy konnte so nicht weiter durchs ganze County und sogar durch den ganzen Staat fahren und das Schicksal geradezu herausfordern. Für Farmer im Ruhestand gehörte es sich, dass sie ihre Zeit im Stadtcafe zubrachten und Gratisratschläge verteilten oder dass sie Lilien oder Rosen oder Jersey-Kühe oder sonst was züchteten. Sie sollten bei Wahlen die Stimmabgabe überwachen oder angeln gehen oder eine Teilzeitarbeit im Eisenwarenladen übernehmen. Nur dass der Gedanke, Daddy könnte einer dieser geselligen, trivialen oder, man könnte auch sagen, angenehmen Beschäftigungen nachgehen, absurd war. Er selber hatte sich immer über Farmer im Ruhestand lustig gemacht und mit Respekt, ja sogar Neid von Tys Vater gesprochen, der an einem Herzinfarkt im Schweinestall gestorben war. An alldem zeigte sich immer wieder, dass die Übertragung der Farm ein Fehler gewesen war. Er hatte sich aus einem Impuls heraus selbst betrogen. Das ärgerte mich auch. Ich schleuderte meine Pantoffeln von mir und zog meine Keds an, als wollte ich es ihm diesmal wirklich zeigen.

Als ich die Straße hinunterging, sah ich, wie Pete seinen silbernen Ford Pick-up auf der Einfahrt zurücksetzte und Richtung Süden davonfuhr. Ich winkte, und sein Arm schoss aus dem Fahrerfenster und grüßte mit weiter Bewegung zurück. Meistens, wenn man auf der Straße an Farmern vorüberkommt, geben sie einem mit dem zartesten Wink zu verstehen, dass sie einen gesehen haben – mit einem vom Steuerrad gehobenen Finger oder sogar nur einer gehobenen Augenbraue. Pete war ein begeisterter Zuwinker. Dadurch erschien er ein wenig zu eifrig in seinem Bemühen zu gefallen, so wie sein silberner Pick-up ihn ein wenig zu ausgefallen erscheinen ließ. Ich hatte allerdings in der letzten Zeit diese Dinge an Pete zu schätzen gelernt. Statt ihn auf die alte gewohnte Art und Weise zu sehen, weniger kompetent und weniger verlässlich als Ty, zu flatterhaft und sogar ein wenig albern, sah ich jetzt, dass er sein Bestes gab, um sich anzupassen und seine Arbeit zu tun, und auch, dass sein Scheitern, beides ganz zu erreichen, mehr in seinem besonderen Stil lag als in sonst etwas. Wenn er hier aus der Gegend gekommen, wenn sein Vater Farmer gewesen wäre und er die Farm seines Vaters geerbt hätte, dann wäre sein schwungvolles Auftreten und sein musikalisches Talent etwas gewesen, auf das die Nachbarn ein wenig stolz gewesen wären, hätte es doch das Genie eines der Ihren bewiesen statt das verdächtige Anderssein eines Fremden.

Seit meiner Unterhaltung mit Jess an dem Tag, als ich die Tomaten gepflanzt hatte, hatte sich meine Sicht der Männer, die ich kannte, fast unmerklich verschoben. Ich war weniger automatisch kritisch – ja, sie alle machten Fehler, scheiterten auch, aber jetzt sah ich, dass man auch sagen konnte, dass sie Rückschläge erlitten hatten, sie erlitten und gelitten hatten, Punkt. Das war der Schlüssel. Ich hätte gesagt, dass natürlich Rose und ich auch gelitten hatten, und Caroline und Mary Livingstone und all die Frauen, die ich kannte, aber der Art, wie die Männer litten, schien etwas Wortloses, etwas Unwissendes anzuhaften, als wäre es ihnen, wie den Tieren, nicht möglich, eine Perspektive auf ihr Leiden zu entwickeln. Sie hatten in ihrem Leiden uns, Rose und mich, aber sie schienen nicht das zu haben, was wir miteinander hatten, eine Art Fortsetzungsroman und begleitenden Kommentar zu dem, was passierte, der sich aus unseren Unterhaltungen, unserem Augenrollen, unseren Seufzern und Witzen und verärgerten Bemerkungen zusammensetzte. Das Ergebnis war, dass wir uns mehr oder minder vorbereitet fanden auf die Schläge, die uns trafen – wir konnten zumindest diese seltsam beruhigende Bemerkung machen wie: »Ich wusste die ganze Zeit über, dass so was einfach passieren musste.« Die Männer, und Pete besonders, schienen immer ein wenig überrascht und deswegen ein wenig mehr getroffen und ein wenig mehr mitgenommen von den Dingen, die passierten – der Tod preisgekrönter Tiere, Unfälle, die Wutausbrüche und verächtlichen Bemerkungen meines Vaters, Einbrüche auf dem Markt, durch die Geld verloren ging, sogar – was Ty betraf – meine Fehlgeburten. Natürlich weigerte er sich, es weiter zu versuchen. Er hatte sich auf jede einzelne Schwangerschaft verlassen, als gäbe es da keine Vorgeschichte.

Dann war ich bei meinem Vater. Als ich von der Straße in den Vorgarten seines Hauses ging, spürte ich, wie er auf mich hinuntersah, aber ich blickte nicht auf, ich ging einfach geradewegs zur Hintertür. Seine Küchenschränke standen noch immer auf der Einfahrt, und ich hatte nichts davon gehört, dass ein Sofa geliefert werden sollte. Ich dachte darüber nach, als ich die Tür öffnete, dass Spekulationen über meinen Vater niemals müßig oder unterhaltsam waren, sondern immer etwas, vor dem man zurückschreckte. Gewiss hatte er gelitten, aber ich floh vor den Gedanken an ihn und flüchtete mich zu denen an Ty, Pete und Jess. Er kam mir an der Hintertür entgegen. »Es ist heller Tag.« Sein Ton war anklagend. Er bedeutete, ich habe Hunger, du hast mich warten lassen, und außerdem, du bist pflichtvergessen, spät, langsam. Ich sagte: »Ich hatte einiges zu tun.«

»Um sechs Uhr morgens?«

»Ich hab ’n bisschen im Haus aufgeräumt.«

»Hmm.«

»Tut mir Leid.«

Er trat von der Tür zurück, und ich ging in die Waschküche und band die Schürze um, die da an einem Haken hing. Er sagte: »Keiner hat übers Wochenende eingekauft. Keine Eier da.«

»Oh, verdammt. Ich wollte sie mitbringen. Ich hab gestern welche für dich gekauft, aber ich hab sie vergessen.« Ich sah ihm ins Gesicht. Ich hatte die Wahl: entweder ließ ich ihn warten, oder ich machte ihm keine Eier. Sein Blick war stumpf, kalt, abwartend. Nicht nur würde er mir nicht bei meiner Entscheidung helfen, meine Entscheidung würde ein Test sein. Ich konnte einfach an ihm vorbeigehen, ihm Toast und Cornflakes und Schinken machen, ein Frühstück ohne Schwerpunkt, oder ich konnte nach Hause laufen und die Eier holen. Meine Wahl würde ihm etwas über mich zeigen, entweder, dass ich selbstsüchtig und rücksichtslos war (keine Eier), oder inkompetent (ein hastiges Hin und Her, wo organisiertes Vorgehen sein sollte). Ich tat es. Ich lächelte dümmlich, sagte, ich war sofort wieder zurück, und lief aus der Tür und die Straße runter. Während des ganzen Weges war ich mir meines Körpers bewusst – ohne Anmut und in Eile, untrainiert, keuchend, lächerlich in seiner Weiblichkeit. Es kam mir vor, als brauche mein Vater bloß aus seinem großen Vorderfenster zu gucken, und er könne mich nackt sehen, mit bebender Brust, Brüste, Hüften und Oberschenkel wabbelnd, meine Würde unwiederbringlich dahin. Später, nachdem ich das Frühstück gemacht und er es gegessen hatte, fragte ich mich, warum ich nicht einfach über die Straße gegangen war und ein paar Eier von Rose geholt hatte. Er hatte einen Test mit mir veranstaltet, und ich hatte mich nicht dagegen gewehrt.

Während ich den Schinken und die Eier briet und ihn verstohlen beobachtete, wie er aus dem Wohnzimmerfenster auf unser Südfeld starrte, erschien mir mein Plan, ihn diesmal wirklich zur Rede zu stellen, nur noch albern. Ich konnte keine Stimme finden, mit der ich zu ihm hätte sagen können: »Warst du am Freitag unten in Des Moines oder nicht?« oder: »Caroline meint, du hast aufgelegt, als sie dich angerufen hat.« Das ist etwas, was ich häufig tue, dieses in Gedanken Formulieren und wieder Umformulieren von Sätzen, diese vorsichtige Dosierung von Behauptungen und direkten Fragen, damit sie nicht beleidigen, sondern wie nebenbei ins Bewusstsein meines Gegenübers rutschen.

An den Monopoly-Abenden über die Dinge, die Daddy und Harald taten, zu lachen oder zu klagen war eine Sache, eine andere war es, dem Monolithen, der er zu sein schien, gegenüberzutreten. Tys Einstellung drängte sich mir auf, beruhigte mich, riet mir, die Dinge wie Wasser oder etwas ähnlich Harmloses, aber Mächtiges über mich gleiten zu lassen. Deshalb tischte ich ihm schweigend sein Essen auf, und ich sagte mir, dass er nicht senil war – es wäre beleidigend, ihn wie ein Kind zu behandeln und Rechenschaft über seine Zeit und sein Geld zu fordern. Meine Aufgabe blieb dieselbe wie immer – ihm das zu geben, was er forderte, und wenn er Unzufriedenheit zeigte, herauszufinden, woran das lag, und es zu ändern. In dem Augenblick, als ich mit über der Brust gekreuzten Armen am Herd stand und darauf wartete, ihm Kaffee nachgießen zu können, erschien mir das als eine leichte und beinahe angenehme Aufgabe.

Ich muss sagen, dass Caroline, als ich sie um neun anrief, die Dinge ganz anders sah. Ja, Daddy war tatsächlich in ihrem Büro gewesen (hatte es wirklich einen Zweifel gegeben?), und die Empfangsdame, die ihn gesehen hatte, sagte, er habe sich komisch aufgeführt. Zugegeben, sie war erst neunzehn, und sie konnte nicht genau benennen, was er getan hatte, das komisch gewesen war. Anscheinend habe er die ganze Zeit herumgeguckt, jeden angestarrt, mehr noch, seinen Kopf herumgeworfen wie ein Tier, wenn es Angst oder Schmerzen hat. Ich sagte zu Caroline: »Also, wir haben ihn Sonntag beim Essen gefragt, ob er da unten war, und er wollte es uns nicht sagen. Er ist genauso halsstarrig und verschwiegen wie immer. Was eure Empfangsdame sagt, passt einfach nicht zu ihm, scheint mir.« Dann, weil ihr Schweigen Skepsis zu bedeuten schien: »Natürlich hat er getrunken. Er ist wahrscheinlich in einer Bar gewesen, und dann, in der ungewohnten Umgebung …«

»Er hat getrunken und ist gefahren?«

»Hm, ja, ich denk schon. Ich mein, ich weiß nicht mit Bestimmtheit, dass er getrunken hat, aber es klang so, als ob …«

»Das kannst du nicht zulassen.«

»Was soll ich deiner Meinung nach dagegen unternehmen?«

»Rede mit ihm. Nimm ihm die Schlüssel weg, wenn nötig.«

Ich lachte.

»Also, das ist nicht lustig.«

»Der Gedanke, wir könnten ihm seine Schlüssel wegnehmen, ist lustig. Er ist ein erwachsener Mann. Außerdem, was soll er deiner Meinung nach den ganzen Tag lang tun? Er fährt nun mal gerne in der Gegend rum.«

»Du hast gesagt, er hat getrunken.«

»Ich hab gesagt, vielleicht hat er was getrunken. Es klang so …«

»Warum arbeitet er nicht?«

»Ty und Pete …«

»Ich wusste, diese ganze Sache würde danebengehen. Sobald die beiden anfangen würden, die Farm zu führen …«

Diesmal unterbrach ich sie. »Sie hindern ihn doch nicht daran zu arbeiten. Er will nichts tun. Er geht nie raus zur Scheune, nicht mal, um bloß rumzustehen. Sie machen jetzt alles, und das ist auch nicht einfach.«

Caroline schwieg eine Weile, nahm einen vernehmlichen Schluck von etwas, zweifellos Kaffee. Schließlich sagte sie mit geduldiger, bedauernder Stimme: »Mir war klar, dass diese ganze Überschreibung eine heikle Angelegenheit war. Das musste schief gehen, wenn man es nicht genau durchdachte. Sie müssen ihm zu verstehen gegeben haben, dass seine Hilfe nicht erwünscht ist. Zuallermindest hättest du sicherstellen müssen …«

»Was sicherstellen? Er will nicht helfen. Er hat keine Lust mehr zur Farmarbeit. Er macht die einzige Art Ferien, die er kennt.«

Das klang gut. Ich dachte, versuch’s damit. »Wenn du meinst, du kommst besser mit ihm zurecht, lad ihn für ’ne Weile zu dir ein. Das wären echte Ferien für ihn und ein Tapetenwechsel.«

»Du weißt, dass das lächerlich ist.«

»Alles an dieser Sache ist lächerlich.« Ich gab meiner Stimme einen sanfteren Ton, so als wollte ich ihr nahe legen, Daddy ernst zu nehmen. »Es ist wirklich eine gute Idee, dass er zu dir zu Besuch kommt. Er könnte dann Frank ebenso kennen lernen, wie er Pete und Ty kennt.« Diese Bemerkung war ungewöhnlich hinterhältig von mir, aber ich ließ sie so stehen, als wüssten wir beide nicht, was sie zu bedeuten hatte.

Wieder ein langes Schweigen. Schließlich sagte Caroline mit deutlicher Verärgerung: »Ehrlich, ich versteh nicht, was hier vor sich geht. Vor zwei Monaten hat Daddy noch glücklich und zufrieden sein Land bestellt. Jetzt hat er alles verloren, was er besaß, und er irrt ziellos in der Gegend herum und weiß nicht, was er mit sich anfangen soll. Ihr alle habt eine große Schau gemacht, so als könntet ihr nur widerstrebend annehmen, aber es ist ganz deutlich, wer Vorteil daraus gezogen hat und wer nicht. Dieses ganze Gerede« – ihre Stimme wurde im Spott eine Oktave höher –, »Marv Carson hat ihn dazu gebracht. Das Ganze war Marv Carsons Idee. Also, Marv Carson hat hier nichts zu gewinnen. Ich bin mir sicher …« Sie hielt inne, wahrscheinlich weil sie Angst hatte vor dem, was sie sagen wollte.

»Sag’s schon. Jetzt kannst du genauso gut alles sagen.«

»Ich bin mir sicher, wenn Frank und ich da gewesen wären, hätten die Dinge sich ein wenig anders entwickelt, das ist alles.«

»Was du nicht sagst.«

»Ich weiß nicht, ob Daddys Interessen hier an erster Stelle gestanden haben.«

»Er hat getan, was er wollte. Ich war diejenige, die dich bekniet hat, nicht beleidigt zu sein, sondern mitzumachen und teilzunehmen. Du hättest dich einfach nur bei ihm entschuldigen müssen! Du warst wütend auf ihn!«

»Eine kleine Meinungsverschiedenheit wird nicht einfach zu etwas so Großem, wenn nicht noch was anderes vor sich geht. Alles, was ich weiß, ist, Daddy hat alles verloren, er benimmt sich verrückt, und euch ist das so gleichgültig, dass ihr nichts dagegen unternehmt.« Das Letzte sagte sie laut und nachdrücklich. Ich sagte: »Caroline …«, aber sie hatte schon aufgelegt.

Ich muss sagen, dass Rose und ich immer das Gefühl hatten, dass Carolines Haltung unserem Vater gegenüber ein seltsames Wechselbad aus Loyalität und Intrigantentum war. Wenn sie jedes dritte Wochenende kam, um für ihn zu sorgen, war sie umsichtig und geduldig. Sie beschwatzte ihn, mit ihr fernzusehen oder etwas Neues zum Essen auszuprobieren, das sie aus Des Moines mitgebracht hatte, oder sogar mit ihr spazieren zu gehen. Sie brachte ihm Zeitschriften wie Psychology Today und The Atlantic mit, die Artikel enthielten, die ihr gefielen. Sie fragte uns, wie sie ihn dazu kriegen konnte, die verschiedensten Dinge zu tun – zum Essen auszugehen, ins Kino zu gehen, was Neues zum Anziehen zu kaufen.

Als sie zum College ging und eine Zeit lang Psychologie als Hauptfach hatte, steckte sie voller plausibler Theorien, warum er trank, wie seine Persönlichkeitsstruktur aussah, dass wir den Lüscher Farbentest anwenden sollten, oder was wir tun konnten, um »die Barrieren seiner gesamten oralen Struktur aufzuheben« (er konnte nicht weinen und deshalb keinen Schmerz ausdrücken, weil er in Wirklichkeit nicht zubeißen konnte, weil er ohne Zweifel die Brust bekommen hatte und es ihm verboten worden war, wahrscheinlich sehr streng, in die Brustwarze zu beißen), oder er war zu früh auf den Topf gesetzt worden, so dass er alles festhalten musste. So ging das endlos weiter. Es brachte allerdings wenig, weil eine grundsätzliche Änderung seines Charakters natürlich seine Mithilfe erforderte, und das war unmöglich. Einmal schaffte sie es tatsächlich, ihn dazu zu bewegen, dass er eine menschliche Figur zeichnete, und dann sagte sie uns, das Ergebnis sei »eindeutig und klar eine Kopie seiner Sicht von sich selber«, aber nachdem er die Zeichnung gemacht hatte, war nichts weiter damit anzufangen, und außerdem, als er herausfand, dass sie Psychologie als Hauptfach belegt hatte, weigerte er sich prompt, die Studiengebühren zu bezahlen.

Rose sagte meist nur: »Er ist Farmer, Caroline. Das ist eine Persönlichkeitsstruktur, die jeden Kindheitseinfluss überdeckt.«

Genau das hätte mein Vater auch gesagt.

Sie lebte nun schon fast zehn Jahre fern von ihm, lange genug, um seine Probleme als nur seine Probleme, ihre Lösungen als offensichtlich und die Folgen einer anderen Art, mit ihm »umzugehen«, als leicht erträglich anzusehen. Rose und ich hatten uns angewöhnt, Carolines Sicht der Dinge zu ignorieren.

Aber sie hatte sich nie so ausgedrückt wie in diesem Telefongespräch. Ich war sehr wohl in der Lage, mir das zu erklären – sie machte sich Sorgen, sie war, was Daddy betraf, sowieso irgendwie verrückt, sie war nicht da.

Trotzdem zitterte ich, als ich den Hörer auflegte, zitterte von Kopf bis Fuß, als stünde ich in einem eiskalten Wind. Es fühlte sich an wie Zorn, aber auch wie Panik, als wäre ihre Kritik gleichzeitig ungerecht und gerecht, als wäre die Abfolge der Ereignisse, an die ich mich ganz genau erinnerte, nichts weiter als eine Theorie, ein Fall, den ich zu meiner eigenen Verteidigung ersonnen hatte und dem ein Gericht Glauben schenken könnte oder auch nicht. Es würde nichts nützen, wenn ich ernsthaft beteuerte, dass sich alles tatsächlich so ereignet hatte. Die Schuldigen machten das immer so. Rose!, dachte ich, ich werde es Rose erzählen, und wir werden zusammen den Kopf darüber schütteln, oder Ty. Aber es war keine gute Idee, dies jemandem anzuvertrauen. Der Streit mit Caroline, der vielleicht gar keiner war, würde in den Köpfen der anderen feste Form annehmen. Es war im Moment besser, wenn ich dieses Gespräch für mich behielt.