Am Ende einigten wir uns auf folgenden Plan: Bis der Sturm sich legte, würde Rose mit den Mädchen bei uns bleiben, Pete nach Hause fahren, um da nach dem Rechten zu sehen, und Ty bei Daddy nachsehen und dann warten, falls Daddy noch nicht nach Hause gekommen sein sollte. Nach dem Sturm würden sie überall suchen, und sollten sie Daddy nicht innerhalb einer Stunde oder so finden, würden wir den Sheriff benachrichtigen.
Zwischen Ty und mir war die Stimmung gespannt. Ich wartete darauf, dass er sagte, er glaube kein Wort von dem, was Daddy gesagt hatte, glaube auch der unausgesprochenen Grundlage seiner Beschimpfung nicht – dass ich ein nichtswürdiger und nicht liebenswerter Mensch sei. Er sagte nichts dergleichen, möglicherweise, weil die Sache zu erwähnen ihr mehr Gewicht gab, als sie verdient hatte. Ich wollte, dass er sagte, er habe nicht gewusst, was Daddy mir sagen wollte, als er ihn aus der Stadt nach Hause gefahren hatte, aber auch darüber sagte er kein Wort, und ich konnte der Versuchung nicht widerstehen anzunehmen, dass Daddy sowohl für sich selber als auch für Ty gesprochen hatte, dass sie sich vorher bereits darauf geeinigt hatten. Ich fand seine trockenen Sachen und seinen Poncho.
Natürlich fragte ich mich, warum Daddy ausgerechnet diese Ausdrücke für mich gewählt hatte, Hure, Schlampe. Natürlich schoss die Überzeugung, er wisse etwas über mich und Jess Clark, in meinem neuen Bewusstsein in voller Rüstung aus dem Boden. Vielleicht war es dies, worüber er und Ty gesprochen hatten. Vielleicht war es dieser Punkt, an dem die Geschichte meines Vaters mit der Geschichte von Jess Clark zusammenfloss. Sicherlich konnte es ein Kind, das mit dem Verständnis von der Macht seines Vaters wie ich aufgewachsen war, nicht überraschen, dass er ohne ersichtliche Informationsquelle sein innerstes Geheimnis kannte. Hatte er das nicht immer?
Ich saß im Dunkeln, nachdem Ty und Pete gegangen waren. Rose war oben und versuchte, Pammy und Linda zu beruhigen. Dann kam sie mit der Petroleumlampe die Treppe herunter. Sie stellte sie auf den Endpfosten des Geländers und rief nach oben: »So. Ihr könnt ein bisschen Licht sehen. Es ist hier unten am Ende der Treppe, wie ich euch gesagt hab.«
Ein schwaches »Okay« kam, gerade so durch das Regengeräusch zu hören. Sie kam und setzte sich mir gegenüber. Es gab nichts zu tun, da wir bereits die Stecker aus allen Küchengeräten und dem Fernseher gezogen hatten. Es war klar, dass wir darüber reden mussten. Ich fragte mich, wie sie wohl anfangen würde.
Ich fragte mich auch, was Jess Clark zu alldem sagen würde. Es schien, als könne nichts das aus mir herausprügeln.
Unmöglichkeiten, getarnt als Möglichkeiten, trieben aus den Tiefen nach oben – Jess musste es erzählt haben, musste Harold und Loren mit der Geschichte unterhalten haben, selbst wenn Jess sie nicht erzählt hat, denkt er womöglich genauso von mir, nein, so denkt er überhaupt nicht, er kennt mich besser, er würde zu mir stehen, wenn ich ihn darum bitten würde …
Rose sagte: »Also, der Allmächtige hat gesprochen. Noch zittrig?« Ihr Ton war schleppend und überlegen.
»Du hast auch gezittert. Du hast vorhin kaum den Fernseher angekriegt.«
»Scheiße, Ginny, ich zitter immer noch. Ich wünschte, ich hätte das Rauchen nicht aufgegeben. Mein Gott, ich würd am liebsten eine Zigarette rauchen.«
»Ich würde am liebsten kotzen.«
»Oh, Süße.«
»Versuch einfach, die richtige Einstellung zu bewahren, sonst fangen wir zu heulen an.«
»Ich werd nicht heulen, und du auch nicht.«
»Sag: ›Er ist verrückt.‹«
»Er ist verrückt. Er ist total durchgeknallt. Das erkennt man immer daran, wenn sie ständig von einer Verschwörung reden, die im Gange sein soll. Oder Sex. Wenn sie auf Sex zu sprechen kommen, ist das ein sicheres Zeichen.«
»War das, was man vor Wut schäumen nennt?«
»Erinnerst du dich an den Typ, der früher immer das Sprühflugzeug flog, als Daddy die Felder aus der Luft spritzen ließ? Er soll verrückt geworden sein, als er älter wurde. Sie fanden ihn immer in dem kleinen Kellerloch unter der Küche, wo er sich versteckte.«
»Wer hat dir das erzählt?«
»Marlene Stanley hat das von Bob, der die Familie da oben in der Nähe von Mason City kannte. Und er hatte diesen fürchterlichen Hautausschlag. Sie wussten nicht, ob es irgendeine Reaktion auf all diese Chemikalien war oder ob es daher kam, dass er immer unter dem Haus rumkroch.«
»Glaubst du, Daddy hat eine Reaktion auf Chemikalien?«
Sie zuckte die Achseln. »Erinnerst du dich an letztes Jahr Weihnachten, als Harald Clark ständig davon redete? Dass er bestimmt keine fünf Jahre mehr leben würde, wo sein Daddy mit zweiundneunzig gestorben ist? Wenn du rumfährst, kommst du an allen Häusern vorbei. Dieser hier wurde 90, dieser 87, dieses Paar 92 und 93. Die Generation ist allerdings tot.«
»Grandpa Cook ist nur Sechsundsechzig geworden. Daddy ist jetzt zwei Jahre älter. Und Grandpa Davis ist siebzig geworden.«
»Ja, ich weiß nicht, ob sie wie die anderen waren. Fragst du dich nicht, ob sie nicht alle einfach implodiert sind? Zuerst brechen ihre Frauen unter der Überanstrengung zusammen, dann lassen sie es, solange sie können, an ihren Kindern aus, danach sind sie dann einfach mit ihrem Latein am Ende. Ich hab mir früher immer vorgestellt, dass Mommy abgehauen ist und einen Decknamen angenommen hat, und eines Tages käme sie zu uns zurück. Willst du hören, was für ’n Leben ich mir für uns ausgesucht hatte?«
»Klar.«
»Sie arbeitete als Kellnerin im Restaurant eines schönen Hotels, und wir wohnten mit ihr in einer Hollywood-artigen Wohnung, weißt du, mit eigener Haustür, zwei Etagen, oben zwei Schlafzimmer und ein Badezimmer und Wohnzimmer und Küche unten. Schöner wolliger Teppichboden, weiße Wände, leise Geräusche der Nachbarn zu beiden Seiten, Schiebetür nach draußen auf die Terrasse hinten. Nachbarn zu beiden Seiten mussten sein. Ich stellte es mir unheimlich vor, am Ende zu wohnen.«
»Ich glaub, ich hab mir nie ernstlich vorgestellt, nicht auf der Farm zu leben. Ist das nicht komisch? Obwohl ich es in mancher Hinsicht anders haben wollte.«
»Ginny, du hörst dich so milde an. Bist du nicht fuchsteufelswild?«
»Wozu ist das gut? Wenn es irgendeine chemische Sache ist, wozu ist fuchsteufelswild sein dann gut? Wir müssen uns damit auseinander setzen.«
»Vor zwanzig Jahren war’s nicht irgendeine chemische Sache.«
»Ja, er hatte immer seine Tobsuchtsanfälle, das stimmt. Kann sein, dass ich heute Abend versöhnlicher gewesen wäre, wenn ich mich nicht plötzlich an …«
Das Telefon klingelte, und ich ging ran, obwohl man das eigentlich während eines Tornados nicht tun sollte. Ty wollte wissen, ob Daddy wieder aufgetaucht sei, ob ich glaubte, der Sturm lasse nach. Ich sagte nein zu beidem. »Noch nicht da, eh?« Rose kam herüber und setzte sich neben mich auf das Sofa. Ich legte den Hörer auf. Das Licht der Petroleumlampe schien mir jetzt, als sich meine Augen daran gewöhnt hatten, wunderbar hell zu sein, und Roses Gesicht schien es zu sammeln und zu reflektieren, ihre Haut schien das warm leuchtende Licht selber zu sein. In diesem versöhnlichen Glanz sahen die scharfen Kanten, die die Chemotherapie hinterlassen hatte, nur wie Jugend aus, die Größe und Tiefe ihrer Augen nur wie Schönheit. Nachdem ich aufgelegt hatte, suchte sie meinen Blick und hielt ihn, sagte dann: »Ginny, du erinnerst dich doch, wie er uns gekommen ist, nicht?«
»Ich erinner mich an die Sache mit dem Schuh. Ich hab mich daran erinnert, als er uns angebrüllt hat, wie er Mommy dazu brachte …«
»Ich mein nicht, wie er uns verdroschen hat.«
»Zu uns gekommen ist?«
»Als wir Teenager waren. Wie er in unsere Zimmer kam.«
Ich leckte mir die Lippen und schlug meine Beine anders übereinander, das rechte über das linke. Ich sagte: »Wir haben zusammen geschlafen, als Mommy krank war.«
»Und dann, in dem Jahr Weihnachten, sind wir in getrennte Zimmer gezogen. Er sagte, es sei an der Zeit, dass wir getrennte Zimmer hätten.«
Es stimmte, dass wir getrennte Zimmer gehabt hatten. Meins war gelb gewesen, unser altes Zimmer, und das von Rose rosa, das frühere Gästezimmer. Ich erinnerte mich allerdings nicht an den Umzug, was merkwürdig war, ebenso wenig erinnerte ich mich genau, mein eigenes Zimmer gewollt zu haben. Ich sagte: »Ja, natürlich erinner ich mich, dass wir getrennte Zimmer hatten. Ich erinner mich nicht, warum.«
»Er ging nachts in dein Zimmer.«
»Wozu? Daran erinner ich mich überhaupt nicht.«
»Wie kannst du dich daran nicht erinnern? Du warst fünfzehn Jahre alt.«
»Bestimmt hab ich geschlafen. Grandpa Cook ist immer rumgeschlichen und hat bei jedem nachgesehen. Es war wie noch mal nach den Schweinen sehen oder so.«
»Bei Daddy war’s nicht so wie noch mal nach den Schweinen sehen.«
»Was willst du damit sagen, Rose?«
»Du weißt schon.«
»Ich schwör dir, ich weiß es nicht.« Und ich wusste es nicht. Auf jeden Fall aber hatte ich Angst. Ich war die Gefangene ihres Blicks, musste zurückblicken.
Rose holte tief Luft, hielt den Atem an. Dann sagte sie: »Er hat mit dir geschlafen.«
»Hat er nicht!«
»Ich hab gesehen, wie er reinging! Er ist eine lange Zeit geblieben!«
»Die Zeit kommt einem mitten in der Nacht immer länger vor. Er hat wahrscheinlich das Fenster zugemacht oder so was.« Meine Stimme klang versöhnlich.
»Ich hab auf meiner Uhr nachgesehen.«
»Oh, Rose. Wie soll ich glauben, dass du vor einundzwanzig Jahren wach geworden bist und gesehen hast, wie Daddy in mein Zimmer ging, und dass du auf deiner Uhr nachgesehen hast und ihn wieder rauskommen gesehen hast und auf deiner Uhr nachgesehen hast, und dass das den Beweis erbringt, dass er mit mir …« Sie noch immer anblickend, übersprang ich diesen Teil. Ich sagte, skeptisch genug, hoffte ich: »Wie auch immer, Daddy mag ein Trinker und auch ein Wüterich sein, aber er geht zur Kirche …«
»Es ist die Wahrheit.«
Ich war ratlos und bestürzt. Einige Zeit später sagte ich: »Okay, sagen wir, es ist die Wahrheit. Hab ich es damals je erwähnt?«
»Er hat dir gedroht. Er hat sichergestellt, dass du mir nichts erzählen würdest.«
»Wie? Ich hab dir alles erzählt.«
»Er hat gesagt, wenn du’s mir erzählen würdest, war ich richtig eifersüchtig und würde dich nicht mehr gern haben. Du warst fünfzehn. Du hattest nicht sonderlich viel Mumm. Du hast das geglaubt.«
»Ich hab dir das damals erzählt?«
»Du hast damals kein Wort gesagt.«
»Na also.« Ich setzte mich zurück, machte mich von ihrem Blick los und versuchte, ein wenig Ältere-Schwester-Autorität aufzubieten. Ich sagte ins Zimmer, weil ich in dem Augenblick Angst hatte, sie anzusehen: »Warum sagst du das?«
»Ich glaub dir, dass du dich nicht erinnerst.«
Ich hielt in einer kleinen Aufwallung verärgerter Frustration den Atem an. »Aber du willst mir nicht glauben, dass es nicht passiert ist.«
»Nein.«
»Und warum nicht? Ich lüge nicht …«
»Weil es genauso mit mir passiert ist.« Sie hätte ebenso gut ein Gurken-Rezept aufsagen können, so nüchtern war ihr Ton. Ich war mir sicher, ich hatte sie nicht richtig verstanden.
»Was?«
»Weil er, nachdem er nicht mehr zu dir ging, zu mir reinkam, und genau das hat er zu mir gesagt, und genau das ist es, was wir gemacht haben. Sex in meinem Bett.«
»Du warst dreizehn!«
»Und vierzehn und fünfzehn und sechzehn.«
»Ich glaub’s nicht!«
»Ich dachte, du wüsstest es! Ich hab geglaubt, die ganzen Jahre würden wir, du und ich, dieses Wissen teilen, sozusagen unterhalb von allen anderen Dingen. Ich dachte, wenn du danach damit leben und ihn normal behandeln konntest, wie du es getan hast, dass es dann okay war, es einfach hinter uns zu lassen.«
Ich starrte sie an. »Was ist mit Caroline?«
»Ich bin mir nicht sicher. Ich meine, er hat mir gesagt, wenn ich alles mitmachte, dass er sich dann nicht für sie interessieren würde. Er hat das wie eine Art biologische Tatsache dargestellt. Ich vermute, er hat nie was mit ihr versucht, ich glaub das, weil sie sich so verhält, als habe sie andere Gefühle für ihn als wir. Sie nimmt ihn nicht so ernst, legt sich nicht mit ihm an und sympathisiert mit ihm. Er überwältigt sie nicht so wie uns.«
»Aber dich überwältigt er doch nicht! Du warst immer so trotzig!«
»Das gefällt ihm. All diese Verabredungen und das Wegbleiben, als ich zur High School ging. Dadurch dachte er, er müsse mich bändigen. Das gefiel ihm.«
»Du hörst dich an, als hättest du versucht, sein Interesse zu halten!«
»Ja, ich hatte Angst, er würde was mit Caroline versuchen, und sie war erst acht oder zehn. Aber es hat mir auch geschmeichelt. Ich dachte, er hätte mich auserwählt, mich, als seine Lieblingstochter, nicht dich, nicht sie. Oberflächlich dachte ich, es war okay, es müsste okay sein, wenn er es sagte, er war doch derjenige, der die Regeln aufstellte. Er hat mich nicht vergewaltigt, Ginny. Er hat mich verführt. Er hat gesagt, es war okay, es war gut, ihm ’ne Freude zu machen, dass er das brauchte, dass ich was Besonderes war. Er hat gesagt, er würde mich lieben.«
Ich sagte: »Ich kann das nicht mehr mit anhören.«
Rose saß still da und sah mich an. Es kamen drei schnelle Donnerschläge, der Regen drückte schwer gegen das Haus. Ich konzentrierte mich darauf.
»Ginny.«
»Was?«
»Er ist in dein Zimmer gegangen. Ich hab ihn beobachtet.«
»Vielleicht hab ich geschlafen. Vielleicht hat er nur daran gedacht und sich aus irgendeinem Grund entschieden, es zu lassen. Vielleicht warst du hübscher.«
»So funktioniert das nicht. Ich hab ein wenig darüber gelesen. Hübscher macht keinen Unterschied. Du hast ihm ebenso gehört wie ich. Für ihn gab es keinen Grund, seinen Besitz über mich mehr in Anspruch zu nehmen als seinen Besitz über dich. Wir gehörten einfach ihm, waren etwas, mit dem er tun und lassen konnte, was ihm gefiel, wie der Teich oder die Häuser oder die Schweine oder das Getreide auf den Feldern. Caroline gehörte ihm auch. Deshalb weiß ich auch nicht, was mit ihr war.«
Natürlich starrte ich sie an, registrierte den wechselnden Ausdruck in ihrem Gesicht, das flackernde Spiel des Lichts. Natürlich fragte ich mich, ob sie mich anlog. Als wir Kinder waren, kleine Kinder, neun und sieben oder so, hatte sie eine Menge gelogen. Ich war immer mit allem direkt herausgeplatzt, war unbesonnen in den Selbstverrat gestolpert. Sie war viel berechnender gewesen und hatte einmal sogar zu mir gesagt: »Warum beantwortest du jede Frage, die sie dir stellen? Erzähl ihnen doch einfach nur das, was sie hören wollen, und sie werden dich in Ruhe lassen.« Sie erwiderte meinen Blick. Schließlich warf ich mich in das Sofa zurück und rief aus: »Rose, du bist zu ruhig. Du bist so ruhig, dass es wahrscheinlicher ist, dass du lügst, als dass du irgendwelche Schrecken der Vergangenheit ausgräbst.«
»Ich bin ruhig. Das ist für dich eine Überraschung, wenn du’s sagst. Aber für mich ist es keine Überraschung. Ich hab jahrelang darüber nachgedacht. Ich hab’s Pete auch erzählt, nach meinem gebrochenen Arm.«
»Hat er dir geglaubt?«
»Pete glaubt, dass Daddy zu allem fähig ist. Seine Haltung mir gegenüber ist komplizierter. Er weiß, was er fühlen sollte, und er versucht, das zu fühlen. Es hilft, dass wir Töchter haben. Wenn Daddy ihnen was täte, würde Pete ihn umbringen. Das ist teilweise der Grund, warum ich mit ihm verheiratet bleibe.«
Ich blickte zu der Treppe hinüber, weil ich mir plötzlich sicher war, dass Linda und Pammy oben auf den Stufen saßen und das hier alles mitkriegten. Die Stufen waren leer. Ich sagte: »Hältst du sie deshalb von Daddy fern?«
»Und deshalb schick ich sie aufs Internat. Allerdings hat es mir einen Schrecken eingejagt, als er überall rumgefahren ist, bis runter nach Des Moines und überallhin. Ich bin mir nicht sicher, ob die Schule verhindern würde, dass sie mit ihm weggehen.«
Ich brauchte eine Weile, bis ich meine nächste Frage herausbrachte. Ich fühlte mich, als habe die Angst mir buchstäblich den Mund mit Watte voll gestopft. Schließlich sagte ich: »Hat er jemals …«
»Nicht, dass ich wüsste. Ich hab die Bücher gekauft, und wir sind alles durchgegangen. Ich hab sie vorbereitet, ohne Daddy zu erwähnen. Und ich hab die Augen offen gehalten. Und wir waren Teenager.«
»Es ist nicht mit mir passiert, Rose.«
Sie zuckte ganz leicht die Achseln.
Zu meiner eigenen Überraschung wurde ich plötzlich wütend: »Ich weiß nicht, was ich sagen soll! Das ist lächerlich!«
Dann begann ich zu weinen. »Ich mein, das Seltsamste ist, wie idiotisch ich mir vorkomme, wie naiv und dumm. Gott, es tut mir so Leid, dass er das gemacht hat.«
Rose saß ruhig da, fast teilnahmslos. »Bring mich nicht dazu, dass ich mir selber Leid tu. Das ist das Schlimmste. Je saurer ich bin, desto besser fühl ich mich.«
»Okay. Okay. Okay.«
Sie rückte nahe an mich heran und nahm mich in die Arme. Wir saßen einige Minuten lang still nebeneinander. Ich versuchte, mit dem Weinen aufzuhören, aber es war, als wäre ich zu Wackelpudding geworden und wüsste nicht, wie ich mir meine feste Gestalt zurückgeben sollte. Dann hörte ich ihre Stimme direkt an meinem Ohr. Sie sagte: »Er wird damit nicht davonkommen, Ginny. Ich werd ihn damit nicht davonkommen lassen. Ich werd’s einfach nicht.«