26

Auf einer Farm laufen letztlich die meisten Streitfragen auf den Punkt hinaus, den Schein zu wahren. Farmer schließen schnell von der Farm auf den Farmer. Ein Farmer sieht, wenn er ins Cafe geht, wie er selber aus, aber er sieht auch wie seine Farm aus, an der jeder auf seinem Weg in die Stadt vorüber gefahren ist. Wie seine Farm aussieht, wird so zu einer Frage des Charakters. Farmer sind schnell bereit, das Wetter, ihr Glück, das Auf und Ab der Preise, die gesetzlichen Regelungen anzuführen, aber untereinander haben diese Entschuldigungen keinerlei Gewicht. Ein guter Farmer (ein guter Verwalter, jemand, der ein Talent für Tiere und Maschinen hat, ein Mann, der gewillt ist, die ganze Zeit zu arbeiten, und seine Kinder zu ebenso endloser Arbeit erzogen hat) wird auch eine gute Farm haben. Eine Farm, die schlecht aussieht, bildet das persönliche Versagen des Farmers ab. Die meisten Farmer sehen ihren Beruf als eine Existenz an, die keine Fehler verzeiht, und sie selber sind nicht gerade nachsichtig mit verunkrauteten Feldern, schmutzigen Geräten, pflichtvergessenen Kindern, schlecht gehaltenen Tieren, einem Farmhaus, das wie ein Stall aussieht. Es mag woanders in diesem Land nicht so sein, aber in Zebulon, das in der Mehrzahl von Engländern, Deutschen und Skandinaviern besiedelt wurde, war ein gutes Äußeres von entscheidender Bedeutung.

Es war unbedingt notwendig, dass die wachsende Uneinigkeit in unserer Familie nach außen hin verhüllt wurde. Der Hinweis darauf, dass mein Vater wirklich nicht mehr ganz zurechnungsfähig war, lag in der Art, wie er seinen Streit mit uns nach außen getragen hatte. Aber wir konnten dem nicht nachgeben – wir waren gut trainiert. Wir kannten unsere Rollen und unsere Strategien, und wir handelten, ohne zu zögern und ohne uns abzusprechen. Der überragende Wert des äußeren Anscheins ist nicht etwas, von dem man sich über Nacht verabschiedet. Nach einer Nacht, wie wir sie durchgemacht hatten, ist er im Gegenteil etwas, an das man sich klammert, die gebrochene Planke, die einem noch bleibt, wenn das Schiff gesunken ist.

Wir wussten, dass wir vor allem Zeit gewinnen mussten, obwohl ich mir sicher bin, dass wir uns nicht einig gewesen wären, wozu wir sie gewinnen mussten. Ty dachte wahrscheinlich, dass alles bald überstanden sein würde, oder zumindest, dass wir mit dem Bauen so weit sein würden, dass wir nicht mehr zurück konnten – die neue Welt würde sich um uns herum erhoben haben –, schwerer abzureißen als zu erhalten. Er dachte an Marv Carson. Rose glaubte bestimmt, dass Daddy nach einiger Zeit wieder in unsere Hände fallen würde, ihre Hände. Linda und Pammy müssen gedacht haben, dass alles wieder normal werden würde, wenn wir alle, oder wenigstens sie, sich duckten und so taten, als wäre alles in Ordnung. Pete mochte mit sich selbst zu kämpfen haben, um Zeit für sein Temperament zu gewinnen, in der Hoffnung, dass sein rasender Zorn sich irgendwann beruhigte. Ich stellte mir Pete immer als jemanden vor, der es gut meinte, der selbst dann, wenn er die Kontrolle über sich verlor, hoffte, es werde nichts Schlimmes passieren. Ich selbst wollte auch Zeit, nicht weil ich erwartete, sie werde auch nur einen Bruchteil unserer Probleme lösen, sondern weil ich alles getan hätte, um die Zukunft hinauszuschieben.

Wenn sich niemand von uns in der Öffentlichkeit zeigte, würde man uns sehr bald nachsagen, wir hätten etwas, dessen wir uns schämen müssten. Rose kaufte in Pike und Cabot eifriger ein als im ganzen Jahr zuvor, durchstöberte jedes Regal, brachte Lebensmittel im Wert von hundert Dollar nach Hause und beklagte die Trinkerei meines Vaters (aber auf eine nachsichtige, respektvolle Art, wie es sich für eine Tochter gehörte) im Gespräch mit fünf oder sechs neugierigen Frauen, darunter Marv Carsons Mutter.

Pete verbrachte den Nachmittag damit, beim Futterhandel in Pike herumzusitzen, dann beim John Deere-Händler in Zebulon, tat so, als hätte er dort geschäftlich zu tun, machte in Wahrheit aber genau das, was Rose gemacht hatte.

Ty arbeitete in bester Laune und trieb die Bauarbeiter an.

Ich kochte Ken LaSalle zwei Kannen Kaffee, saß mit ihm in unserer Küche und entlockte ihm jeden Zweifel an Daddy, jede Sorge, die er sich je um unsere Farm und unsere Familiensituation gemacht hatte.

Marv Carson kam gegen Mittag und klopfte an unsere Tür. Er hatte einen Sechserpack kleiner grüner Perrierflaschen aus Frankreich dabei, die er bei einem Großhändler bestellt hatte. Ich bot ihm etwas zu essen an – wir hatten Makkaroni mit Käse gehabt. »Oh, Ginny«, sagte er, »keinen Käse. Niemals Käse. Fürchterlicher Belag bildet sich von Käse. Ist dir das noch nie aufgefallen?«

Ich sagte: »Ich dachte, die Idee war, alles zu essen, aber dafür zu sorgen, dass es schnell durch das System gespült wird.«

»Das ist als grundlegende Richtschnur gut, aber ich sah mich im Laufe des Sommers gezwungen, das Profil meiner Nahrungsaufnahme zu modifizieren. Hast du Erdnussbutter da?«

Ich stellte Brot und Erdnussbutter und Apfelgelee heraus. Dann holte ich ein versiegeltes Glas scharfes Paprikagelee herunter. Er nahm das und machte sich ein Brot. Ich aß noch an meinem Salat vom Mittagessen. Er öffnete zwei Flaschen Perrier und schob mir eine herüber. Er sagte: »Ich kann dir nicht verheimlichen, Ginny, dass ich mir Sorgen mache. Ich mach mir wirklich allergrößte Sorgen. Jeder da unten in der Bank macht sich über die Geschichte mit deinem Dad Sorgen.«

Ich runzelte die Stirn und machte ein skeptisches, aber gut gelauntes Gesicht. Diese Sorgen waren absurd. Wir hatten noch nicht einmal an sie gedacht, bevor Marv hier aufgetaucht war.

Marv sagte: »Das ist ein großer Kredit, Ginny. Einer der größten in unserem Portefeuille zurzeit, aber das sollte ich dir gar nicht sagen. Und offen gesagt, wir haben nicht so viel Geld in der Kasse, wie du vielleicht denkst. Die Banken auf dem Land haben’s in diesem Frühjahr nicht leicht, an Geld zu kommen. Als wir den Antrag prüften, lagen reichlich andere Bewerbungen auf dem Tisch, das kann ich dir sagen.«

Ich lächelte. Ich hatte unaufhörlich gelächelt, seit er durch die Tür gekommen war. Ich sagte: »Alles an der Farm ist so wie vorher, nur dass Ty und Pete und Rose und ich mehr Kontrolle als früher haben. Das kann doch nur gut sein, oder? Ist Ty nicht…« Ich machte eine Geste zum Fenster. »Sieh ihn dir an. Er strotzt nur so vor Gesundheit. Ist er nicht einer der Besten im ganzen Umkreis? Sagt das nicht jeder?«

»Niemand würde was anderes sagen, Ginny …« Marv ließ einen enormen Rülpser anwachsen und sich entladen, dann sagte er: »Ah. Ich bin immer gerne den Dingen voraus. Mit der Nase vorn. Mir gefällt nicht, was ich über deinen Dad hör.«

»Irgendwas ist ihm über die Leber gelaufen, aber das wird sich geben. Es wirkt sich in keiner Weise darauf aus, wie wir die Farm bewirtschaften. Ty und Pete waren den ganzen Juni über um Längen voraus mit der Farmarbeit. Frag Loren Clark.«

»Das schien wirklich so zu sein.«

Er machte wieder zwei kleine grüne Flaschen auf und trank seine schnell leer. Ich sah ihm dabei zu, deshalb sagte er: »Spül nur das System durch. Solltest du auch tun. Jeder sollte das. Wenn du das regelmäßig tun würdest, hätte dein Haar mehr Glanz.«

Ich sagte: »Mach dir keine Sorgen, Marv. Versprich mir, dass du dir keine Sorgen machst. Alles ist in bester Ordnung, wirklich.«

»Hast du ’nen Teelöffel Zucker für mich?«

Ich holte ihm einen Löffel und reichte ihm die Zuckerdose. Er sah auf seine Uhr, und haargenau um halb eins verabreichte er sich die Dosis. Unser Gespräch setzte aus, während er das hinter sich brachte. Dann sah er wieder auf die Uhr. Er sagte: »Jeder in dieser Stadt ist mit jedem befreundet. Selbst die Leute, die sich befehden, tun das schon so lange, dass sie praktisch Freunde sind. Die heutigen Zeiten sind dermaßen unsicher, dass es mich nervös macht. Die Zinssätze sind ständig in Bewegung. Die alten Regeln verschwinden alle. Es ist wie in der Depression. In solchen Zeiten kann man sich ’ne Menge neuer Feinde machen.«

»Wir haben nicht vor, dein Feind zu sein, Marv.« Ich gab meiner Stimme einen sanften Ton, machte sie beschwichtigend. »Ignorier Daddy einfach. Er wird sich beruhigen.«

»Ich werd wohl auf dich hören müssen, Ginny.« Er stand auf. »Ich fahr jetzt zurück in mein Büro. Ich hab um eins was zu erledigen, und ich hab das Tabasco vergessen. Ich komm wieder vorbei.«

Ich blieb dicht hinter ihm und geleitete ihn lächelnd zur Tür.

Eine Stunde später empfing ich Harold, obwohl mich sein Anblick, wie er von seinem Truck herunterhüpfte und beinahe zu meiner Hintertür angetanzt kam, in Rage brachte.

»Du hast ’n Problem, Kleines«, rief er aus, sobald er mich sah.

Ich hielt ihm die Tür auf. »Glaubst du, Harold?«

»Ich weiß es.« Er sah die Kaffeekanne. »Ich nehm was davon.«

»Ich mach frischen.«

Er setzte sich an den Tisch. »Dein Dad will nicht mehr nach Hause, will keinen von eurer ganzen Bande mehr sehen.«

»Ich bin sicher, er hat kein gutes Haar an uns gelassen.«

»Die Sache mit Mädchen ist die, dass sie immer ihren eigenen Willen haben.«

»Haben Jess und Loren keinen eigenen Willen?«

»Jess hat Vernunft angenommen, oder?« Harold grinste. »Er hat mich angerufen, ich hab ihn nicht angerufen.«

»Wusstest du, wo du ihn hättest anrufen können?«

»Ich hätte ihn niemals angerufen, und das wusste er.«

»Harold, wir haben Daddy jahrelang absolut gut behandelt, und du weißt das so gut wie jeder andere.«

»Ich weiß es.«

»Dann sag ihm, er soll nach Hause kommen, und ermunter ihn nicht noch. Ich weiß, dass es dir Spaß macht, ihn aufzustacheln.« Der Kaffee war fertig, und ich goss Harold eine Tasse ein.

»Er ist ein eigensinniger Mann. Es ist egal, was ich tu oder denk. Er mag’s nicht, wenn man ihm sagt, er hat Unrecht, besonders dann nicht, wenn’s nicht klar ist, wie weit er Unrecht hat.«

Ich kreuzte die Arme über der Brust. »Also, was sagst du ihm?«

»Ich sag ihm, er soll abwarten und gucken, was passiert. Ich sag ihm, dass ihr Mädchen zu ihm kommen solltet. Das hab ich ihm gesagt.«

»Ich bin sicher, Rose ist da nicht einer Meinung mit dir, Harold! Er hat Petes Truck gestohlen! Er hat uns gedroht und uns alle möglichen Flüche an den Kopf geworfen. Eines Tages wird noch jemand von der Polizei kommen und ihn verhaften. Das Krankenhaus hat gesagt, die Blutprobe dauert ungefähr zehn Tage. Er ist in den Sturm rausgegangen, weil er es wollte. Er war wie ein Kind, hat lauthals mit Drohungen um sich geworfen, was er tun würde und was nicht. Wie ein Kind!«

»Ich weiß.«

»Wie lange hast du vor, ihn bei dir zu behalten?«

»Er hat das Recht zu bleiben. Wir sind seit sechzig Jahren und länger Freunde.«

»Schön.«

»So was kann nur ’ne Frau sagen, ›schön‹. Du weißt genau, dass es keineswegs schön ist. Aber du sagst so was, und es macht jeden wütend, und du weißt auch, dass es jeden wütend macht.«

»Was soll ich deiner Meinung nach sagen, Harold?«

»Du sollst sagen, er ist dein Dad, und auch wenn es mit ihm zum Die-Wände-Hochgehen ist, bist du ihm was schuldig. Rose ist ihm auch was schuldig. Alles, was ihr hier habt, hat er mit John Cook geschaffen. Wenn das hier nicht die beste Farm weit und breit ist, weiß ich nicht, welche sonst. Die Stanley-Jungs haben sich jahrelang abgestrampelt und versucht, ein Stück von diesem Land zu bekommen, und sie haben zweitausend Morgen und mehr. Aber kein Stück von ihrem Land ist so gut wie das hier, und sie wissen das. Das ist es, was du Larry Cook schuldig bist, mein Mädchen.«

»Eine Farm ist nicht alles, Harold.«

»Na ja, aber es ist ’ne Menge, nicht wahr? Es ist mehr als ein Mensch. Ein Mensch macht nicht eine Farm kaputt, die ein Haufen Menschen im Schweiße ihres Angesichts aufgebaut haben.« Harold bebte jetzt vor Wut. »Wenn ihr Söhne gewesen wärt, würdet ihr das verstehen. Frauen verstehen das nicht.« Er stand auf, ging zur Hintertür, öffnete sie und spuckte von der Veranda. Als er zurückkam, hatte er sich ein wenig beruhigt. Er strich sich mit den Händen die Haare glatt, setzte sich wieder und sah in seine Kaffeetasse.

Ich sagte: »Rose schuldet ihm nichts.«

»Ich bin sicher, dass Rose das sagt. Rose war immer ein Problem, unter uns gesagt.«

»Vielleicht hältst du besser den Mund, Harold.«

Sein Kopf schwenkte zu mir herum, und ich konnte ihm ansehen, dass er verdutzt war, aber ich war plötzlich so wütend, dass ich kaum aufrecht auf meinem Stuhl sitzen konnte. Ich umklammerte die Tischkante, um mich zu halten, und ich sagte: »Genau, Harold. Halt den Mund. Halt ja den Mund über Rose und Daddy.«

Wenn die Kaffeekanne auf dem Tisch gestanden hätte, ich hätte den heißen Kaffee nach ihm geworfen. Ich sah sie dahinten in der Küche auf der kalten Platte, und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als aufzustehen und sie zu nehmen und zu benutzen, so wie man sich danach sehnt, Wasser zu trinken, wenn man durstig ist, oder ins Bett zu steigen, wenn man müde ist. Ich hielt mich am Tisch fest.

»Ich bin hier, um dir zu helfen.«

»Oh ja?«

»Folgendes werd ich tun. Ich werd deinen Daddy mit zu dem Kirchenessen am Sonntag nehmen. Und ihr Kinder werdet euch da sehen lassen und mit uns essen. Ich denke, ihr solltet das klären, euch aussprechen. Ihr habt euren Standpunkt und Larry hat seinen. Ich weiß das.« Er suchte meinen Blick und lächelte mich an. »Ich kenn dich dein ganzes Leben, Ginny. Ich weiß, du hast deinen Standpunkt in dieser Sache, und vielleicht ist es sogar der richtige. Aber wenn ihr miteinander redet, könnt ihr vielleicht über Standpunkte wegkommen und diese Farm noch fünfzig Jahre weiter am Leben erhalten. Das ist doch was wert, oder?« Er redete langsam und stetig, so wie Jess redete, und unterhalb des ältlichen Zitterns in seiner Stimme und der ländlichen Ausdrucksweise war eine Stimme wie die von Jess. Ich gab dem ein wenig nach … Ich nickte.

»Okay dann«, sagte Harold.

Der Mann aus Kansas blieb zum Abendessen. Ich grillte Schweinekoteletts über dem Feuer und machte grünen Salat aus dem Garten, neue Kartoffeln aus Roses Garten und Erbsen. Er sagte: »Mann, das hier ist wie im Himmel für mich, diese Art Essen an diesem Ort.«

Ty sagte: »Gut, nicht?«

Ich sagte: »Ty, Schatz, du siehst wirklich erschlagen aus«, und der Mann aus Kansas sprach davon, wie viel sie schon geschafft hatten. Er sagte: »Die Firma sieht es nicht gerne, wenn ich sie Überstunden machen lass, aber ich hab gesehen, dass wir heut Abend fertig werden konnten, wenn wir dranbleiben.«

Ich sagte: »Kommen Sie dann nach dem vierten Juli wieder?«

»Nee. Hab ich gerade schon zu Ty gesagt, wir müssen wenigstens vier Tage warten, deshalb geb ich den Leuten ein paar Tage frei.«

Ich blickte Ty an, aber er sah aus dem Fenster. Sein Teller war leer, deshalb sagte ich: »Schatz, möchtest du noch was?«

Er sah mich abrupt an, stand dann auf. Er sagte: »Wenn ich heut ’n bisschen Schlaf nachholen will, mach ich mich jetzt lieber an die Arbeit mit den Schweinen.«

Der Mann aus Kansas wollte reden, also hörte ich zu, machte Kaffee und versuchte, Ty nicht anzusehen, als er hereinkam, seine Stiefel von sich warf, sich wusch und ohne ein Wort durch die Küche ging. Der Mann aus Kansas warf erst ihm einen Blick zu, sah mich an und lächelte dann. Danach erzählte er unermüdlich von seiner Kindheit und der Farm seines Vaters und den Unterschieden zwischen Colorado und Iowa und Kansas, dann von seiner Scheidung und seinem Sohn, der im Teenageralter war und ganz schön wild, und wie der Sturm die Elektrizität drüben im Motel gerade in dem Augenblick lahm gelegt hatte, als er sich zum Fernsehen hingesetzt hatte. Ich wurde ihn um Viertel vor elf los. Ty schlief tief und fest, als ich nach oben kam. Das war die erste Nacht.

Ich muss sagen, dass wir uns alle in diesen wenigen Tagen aus dem Weg gingen, allerdings spürte ich neben dem Wunsch, für mich zu sein, eine unbestimmte Sehnsucht. Dabei ging ich gerade denen aus dem Weg, nach denen ich mich sehnte. Nicht einmal Jess wollte ich sehen. Am Mittwochmorgen, dem vierten Juli, wieder ein milder kristallklarer Tag, ging ich über die Felder in die entgegengesetzte Richtung der Müllkippe, die jetzt für mich mit Jess verbunden war, auf Mel’s Corner zu. Ich erkundete die Stelle, suchte nach Spuren des alten Teichs, aber ich konnte noch nicht einmal erkennen, wo er gewesen sein mochte – der Mais marschierte in geraden Reihen quer über die schwarze Erde, die so gleichförmig wie Asphalt war. Der Teich, aber auch das Haus, der Garten, der Brunnen, die Fundamente der Scheune, das alles war ausgelöscht. Nicht, dass dieses geheimnisvoll für mich gewesen wäre – ich erinnerte mich recht gut daran, wie die Bulldozer kamen, wie das Haus und die Scheune abgerissen und verbrannt wurden. Das war in den frühen Sechzigern nichts Ungewöhnliches, als neue, größere Traktoren höhere Geschwindigkeit und einen größeren Wendekreis bedeuteten, als Zäune abgerissen wurden und größere Felder entstanden. Die Bulldozer waren das Bild gewesen, auf das ich aus dem Fenster meines Schlafzimmers gestarrt hatte, bevor ich mich wieder meinen Mathematikaufgaben zuwandte oder eine neue hochtoupierte Frisur ausprobierte. Jetzt aber war das Merkmal meines neuen Lebens Bestürzung selbst über diese uralte, unbedeutende Veränderung. Wie oft war ich diesen Weg in Shorts und T-Shirt gegangen (Mommy fand nicht, dass Badeanzüge nur fürs Herumschwimmen im Teich nötig waren), war ich sicher und zuversichtlich auf ein Bad im Teich zugesteuert, hatte genau gewusst, wohin ich ging und welche Freuden mich erwarteten? Aber zwischen diesen Maisreihen fand ich noch nicht einmal die feuchte Stelle eines alten Schlaglochs, um mich zu orientieren.