Nach einer kurzen Einweisung von Liam in die Handhabung von Suchmaschinen begannen sie mit ihrer Recherche. Die Suche ergab leider nicht viel, was ihnen hätte nutzen können. Neben Berichten, in denen die Produktqualität von Cuprera-Gold-Coffee sowie dessen stetige Expansionen behandelt wurden, fanden sie auch einige kritische Artikel. Sie beschrieben schlechte Arbeitsbedingungen, zu geringe Gehälter und deuteten zwielichtige Geschäftsgebaren an. Allerdings gab es nur ein Revolverblatt, welches davon schrieb, dass ihnen Beweise für Verbindungen zur Mafia vorliegen würden. Mehr als diesen einen Artikel, der gut ein Jahr alt war, konnten sie nicht entdecken. Auch unter den Stichworten Brände, Verbrechen mit Feuer, Vampire gab es zu viele Variablen, um ihnen weiterzuhelfen.
Während Liam im Netz nach alten Seal-Kumpels sah, tippte Fabrice Robyns Namen in die Suchmaschine. Dabei fiel ihm auf, dass er seit fast einem Tag nicht mehr an ihn gedacht hatte. Er erwartete keine Überraschungen bei den Einträgen, da er sie ja bereits alle kannte. Fabrice klickte auf die neuste Schlagzeile einer großen Tageszeitung, bei der es sich nur um einen Fehler handeln konnte. Fasziniert und abgestoßen zugleich las er, was dort über die Unruhe bei Robyns Verlobungsfeier geschrieben stand:
Derick Torres, Sohn des Multimillionärs George Torres, ist nach jahrelanger Abwesenheit im Exil wieder in London aufgetaucht. Ausgerechnet am Tag der Verlobungsfeier seines Sohnes, Robyn Torres, die im Brown’s Hotel mit mehreren hundert geladenen Gästen stattfand. Bevor Torres senior ihn von seinem Sicherheitspersonal hinauswerfen lassen konnte, stieß Derick wilde und keineswegs haltbare Behauptungen gegen diesen aus. Als sich die Security näherte, holte er eine Waffe hervor und richtete sie auf seinen Vater. Er verlangte, dass Torres senior seinem Enkel gestehen sollte, aus welchem Grund er ihn vertrieben hätte. Nach kurzem Zögern verließ Robyn daraufhin die Seite seines Verlobten und ging langsam auf seinen Vater zu. Im Anschluss an einen kurzen Wortwechsel umarmte Robyn seinen Vater, schlug ihm dann aber überraschend die Waffe aus der Hand und übergab den überrumpelten Mann an das Wachpersonal. Nachdem Derick Torres abgeführt wurde, beruhigten Enkel und Großvater in deutlichem Einvernehmen ihre Gäste, sodass die Feier ohne Zwischenfälle weitergehen konnte. Es steht fest, dass Robyn Torres ein würdiger und willensstarker Nachfolger für Cuprera-Gold-Coffee sein wird.
Robyn war verlobt und wurde schon damals als Nachfolger seines Großvaters gehandelt? Nein, nein, nein, das konnte nicht stimmen. Er war Student, der bloß nebenbei in der Firma seines Großvaters jobbte. Sobald sein Treuhandkonto frei wurde, wollte er das Geld nutzen, um dem Einfluss von Mr Torres zu entfliehen. Sein Vater hatte ihn und seine Mutter vor Jahren verlassen und war mit dem Kindermädchen durchgebrannt. In Fabrice’ Kopf begann sich alles zu drehen.
„He, Schatz, was ist los?“ Liams Arm legte sich um Fabrice’ Schultern und drückte ihn an seine Seite. Erleichtert, dass Liam bei ihm war, umarmte er ihn auf Bauchhöhe und lehne die Stirn gegen seine Brust. Liams Geruch einzuatmen, beruhigte ihn sofort und Fabrice merkte, wie sich seine angespannten Muskeln lockerten. Zuerst stockend und dann immer flüssiger erzählte er Liam, wie er Robyn kennengelernt hatte, dass er, seines Wissens nach, nie verlobt gewesen war und auch sonst nichts von dem, was er von ihm wusste, zu diesem Artikel passte. Davon abgesehen, dass in der Zukunft kein Bericht über eine angebliche Verlobung oder seinen Vater existierte. „Hast du eine Idee, wie das möglich ist? Kann man Nachrichten aus dem Internet löschen?“
„Schon, aber einfach ist das nicht. Normalerweise hinterlässt fast alles eine digitale Spur“, antwortete Fabrice und dachte eine Weile darüber nach. „Was mich am meisten wundert, ist, aus welchem Grund sollte sich jemand so viel Mühe machen?“
„Um dir einen anderen Charakter von Robyn vorzutäuschen“, schlug Liam vor.
„Verdammt viel Aufwand, um einen kleinen Sekretär ins Bett zu kriegen, findest du nicht?“
„Es sei denn, man braucht den Sekretär, um ihm später einen Mord anzuhängen.“ Fabrice hob den Kopf und legte seine Hände flach auf Liams Brust ab.
„Das würde ja bedeuten, dass Robyn das von Anfang an geplant hätte. Wieso ausgerechnet ich?“
„Hm, das ist eine gute Frage“, erwiderte Liam, nahm Fabrice’ Hände, drückte ein paar Küsse auf seine Fingerknöchel und legte sie ihm dann in den Schoß. Anschließend wendete er sich der Tastatur zu, gab „Verlobung Robyn Torres“ in die Suchmaschine ein und bewegte die Maus auf „Bilder“. Es gab nicht viele und alle bis auf eins waren in sehr kleiner Auflösung. Das eine brauchbare Foto zoomte Liam heran und betrachtete es sehr genau. Als er nichts fand, löschte er das Wort „Verlobung“ und ging die angezeigten Bilder von Robyn durch. Eins wurde durch das Fenster eines kleinen Pubs geschossen. Robyn saß mit einem Mann, der kaum zu erkennen war, an einem Zweiertisch, aber … Oh, da sollte ihn doch der Kuckuck holen … Er trug eindeutig einen Umhang mit Kapuze.
„Von wann ist das Foto?“, wollte Fabrice aufgeregt wissen.
Liam klickte auf die Seite und sagte: „Es ist von gestern Abend.“ Schweigend lasen sie den kurzen Text darunter durch.
Wer ist der unbekannte Mann, mit dem sich Robyn Torres in einem abgelegenen Pub getroffen hat? Seinen Verlobten, Vladimir Zandrow der Dritte, können wir ausschließen, da dieser niemals etwas tragen würde, was sein Gesicht verbirgt. Er liebt es, sich im Scheinwerferlicht zu präsentieren. Gerade seine extrovertierte Art sorgt dafür, dass Robyn und Vladimir zu den schillerndsten Paaren Londons zählen. Hoffen wir, dass dieses mysteriöse Treffen keinen Ärger im Paradies zur Folge hat.
„Das kann doch alles nicht wahr sein.“ Fabrice schwirrte der Kopf und ein unangenehm pochender Schmerz bildete sich hinter seinen Schläfen. Um ihn zu vertreiben, rieb er sich mehrmals mit beiden Händen übers Gesicht. „Was machen wir jetzt?“, wandte er sich Rat suchend an Liam.
„Heute kaufen wir uns ein paar neue Klamotten.“ Fabrice schaute nach unten und nahm einen Zipfel seines kaputten Hemdes in die Hand.
„Gute Idee, und dann?“
„Abendessen und schweißtreibender Sex. Morgen besuchen wir den Reporter, der den Bericht verfasst hat. Du erzählst ihm irgendeine nette Geschichte, während ich seine Gedanken lese, um herauszukriegen, in welchem Pub sich Robyn mit dem Kerl getroffen hat. Dann gehen wir dorthin und sehen, was wir herausfinden können.“
„Wir haben also einen Plan, aber wollen wir nicht besser mit dem Sex anfangen?“ Fabrice wackelte anzüglich mit den Augenbrauen und leckte sich lasziv über die Lippen. Liam nahm das sogleich zum Anlass, ihn zu küssen, wobei er in Gedanken übermittelte: „Hilfe, ich habe ein Monster geschaffen.“
„Das sagt der Richtige“, erwiderte Fabrice auf die gleiche Weise und fand es ungemein praktisch, dass sie nicht gezwungen waren, ihren Kuss zu unterbrechen.
Den Reporter ausfindig zu machen, war kein Problem gewesen. Aus ihm brauchbare Informationen herauszuholen, schon. Der Mann konnte sich weder an seinen Artikel erinnern noch an den Fotografen, der ihm das Bildmaterial geliefert hatte. Liam stellte fest, dass eindeutig in seiner Erinnerung herumgepfuscht worden war.
„Langsam finde ich das Ganze echt unheimlich“, sagte Fabrice, sobald sie das Gebäude verlassen hatten und wieder auf der Straße standen. „Als würde der Kerl unsere Schritte vorausahnen.“
„Auf jeden Fall wissen wir jetzt mit Sicherheit, dass er seine Spuren verwischt“, antwortete Liam und rieb sich gedankenverloren über sein Kinn. „Mich würde interessieren, worum es bei dem Familienstreit zu Robyns Verlobung genau ging. Was hältst du davon, Derick Torres zu befragen?“
„Falls wir ihn finden und er sich überhaupt noch daran erinnern kann, dass er dort war“, brummte Fabrice. Das ist alles so demotivierend. Liam seufzte, streckte die Arme aus und umarmte ihn fest.
„Trotzdem sollten wir es versuchen.“ Fabrice nickte und genoss eine Weile die tröstliche Nähe.