Prolog

 

Ein Herzschlag in Finsternis. Kaltes Metall, die Wärme der eigenen Arme, um den Oberkörper geschlungen. Pal hielt den Kopf gesenkt, die Knie hatte er bis zur Brust angezogen. Unangenehme Kühle herrschte in der kleinen Lagerungskammer, und er fröstelte immer wieder. Er wünschte sich Nichtsein, ein rasches Verschwinden, Vergessen.

Viel zu deutlich hörte er Jahn im großen Zimmer mit den Lichtern und summenden Knöpfen. Mit dem Bild der spiralförmig gewundenen Schlange aus grünem Licht – sie drehte sich dauernd. Und mit dem großen Schirm, der nicht nur viele Sterne zeigte, sondern auch eine tiefe, dunkle, furchterweckende Nacht.

Jahn rief verrücktes Zeug. Er hatte Pal angeschrien, und schließlich kroch der Junge fort, als Jahn nicht aufpasste, versteckte sich in der Lagerkammer. Er brüllte dauernd, dass er Pal und Rhea helfen, sie vor den Großen beschützen wollte. Pal schwieg. Er wies nicht darauf hin, dass Jahn seiner Meinung nach wie ein Großer aussah und sich auch so anhörte, dass sein Verhalten dem eines Großen entsprach. Allerdings fehlten die wenigen guten Dinge. Große konnten auch nett sein, manchmal.

Pal fürchtete sich in der kleinen Lagerkammer. Er fürchtete sich davor, dass jemand die Tür öffnete und ihn fand.

Ach, und warum versteckst du dich nicht im anderen Raum?

Ich kann nicht. Vielleicht sehen sie mich. Ich muss jetzt hierbleiben.

Warum hast du den anderen Raum nicht sofort aufgesucht?

Er jagt mir Angst ein. Dort gibt es keine Kleinlinge, und vielleicht lauern dort Schlangen, und ich fürchte mich vor Schlangen.

Bist du etwa böse gewesen?

Ja, ich glaube, ich bin böse gewesen, und wenn man böse ist, kommen die Schlangen.

Pal wippte hin und her, gab dabei Geräusche von sich, wie man sie von einem kleinen Vogel erwartete. Von einem ganz bestimmten graubraunen Vogel. Er hatte es vor langer, langer Zeit gelernt.

Gelegentlich begab sich Rhea in den anderen Raum, und dann bot er Sicherheit. Dann lauerten dort keine Schlangen. Es gefiel Pal, ihr in jenem Zimmer Gesellschaft zu leisten. Sie vergnügten sich mit den alten Spielen, und dadurch wirkte alles normal. Ab und zu sang Rhea ein Lied, das Miri damals gesungen hatte, und dann fiel es ihm nicht schwer, Ruhe zu finden und einzuschlafen. Es war ein lustiges Lied, und der Text lautete:

 

Tanzen wir den Reigen, ich will dir etwas zeigen.

Auf dass dem Narren nicht geheuer und die Schule zum Opfer fällt dem Feuer.

Er lief zum Doktor schnell, und des Doktors Messer glänzte hell.

Er lief durch die Stadt, und die Großen stürzten platt …

 

Pal mochte das Lied, und die Großen behaupteten, es ebenfalls zu mögen. Sie hatten es sich von Miri vorsingen lassen, um ihre Stimme mit einem Gerät aufzuzeichnen, und dann wollte Miri nicht mehr singen.

Wo ist sie jetzt?

Ich weiß es nicht. Irgend etwas Schlimmes passierte mit Miri.

Was geschah?

Wenn du nicht endlich still bist, kommen die Schlangen.

Das Flüstern hinter Pals Stirn stammte nicht von ihm selbst. Früher kam die Stimme von jemandem im weißen Zimmer mit dem kalten Licht und dem harten Stuhl, aber jetzt erklang sie in seinem Kopf. Sie mochte ihn nicht und fraß ihn langsam auf. Er trachtete danach, sich vor ihr zu verbergen, suchte ständig nach einem Versteck. Damals war Pal schnell gewesen: Er lief und lachte; dann und wann kämpfte er auch. Doch jetzt hielt er nach dunklen Spalten und Höhlen Ausschau, um sich dort zu verkriechen. Er wurde größer, aber er fühlte sich klein. Und er wollte schrumpfen und rückwärts wachsen, bis er sich einfach auflöste.

Er entsann sich an einen Kleinling namens Rhea. Aber jetzt erschien sie ihm groß, und sie verhielt sich wie jene, die immer groß gewesen waren: Miri, Jahn oder Louise. Was bewirkte die Veränderung? Sie trug ihr Haar nun anders und bezeichnete die Frisur als ›Pferdeschwanz‹. Was Jahn betraf … Auch er erweckte den Eindruck, nie klein gewesen zu sein, aber er wirkte auch gemein, so wie die damaligen Großen, die Schmerz brachten … Und des Doktors Messer glänzte hell … Und die Großen stürzten platt …

Ab und zu glaubte Pal, dass Jahn gar nicht mehr Bescheid wusste. Vorher – wie viel Zeit auch immer verstrichen sein mochte – hatte er immer gewusst, was richtig war. Er und die anderen großen Kleinlinge führten an und erklärten die Welt. Jahn lief schneller als alle anderen, konnte mit einem geworfenen Stein einen Vogel treffen, verschwand beim Versteckspiel in Mauern, bestrafte Clowns beim Zirkus-Unsinn. Pal hatte sich gewünscht, wie er zu sein. Doch die neuen Großen behandelten Jahn so, als sei er klein. Die meisten Kleinlinge hörten nicht mehr auf ihn und gehorchten statt dessen den Großen. Worauf gingen so drastische Veränderungen bei ihm und Rhea zurück? Wieso erschienen sie Pal nun fremd? Er hatte an Jahn und die Kleinlinge geglaubt, bevor die Großen zurückkehrten.

Jahns Stimme bahnte sich nun einen Weg in Pals Überlegungen. Seine Schreie hallten blechern wider und galten … Rhea? Oder schrie er einfach nur so? Offenbar schlüpfte er wieder in die Rolle des Starfleet-Narren.

»Ich bin der Captain dieses Schiffes! Ich gebe die Befehle! Schilde hoch! Deaktiviere sie auf mein Zeichen hin – damit die Phaser abgefeuert werden können.«

»Wir haben keine Schilde, Jahn. Und es ist nicht notwendig, die Phaser einzusetzen. Aber behalt die Anzeigen für den Luftdruck im Auge. Und die Tarnvorrichtung …«

Rheas Stimme. Sie war zugegen.

Jahn unterbrach sie. »Widersprechen Sie mir nicht, Lieutenant«, sagte er mit förmlicher Strenge. »Ich bin der Kommandant, und Sie haben meine Anweisungen auszuführen.« Nervöser fügte er hinzu: »Weißt du, wo Pal steckt?«

In Pals Magengrube verkrampfte sich etwas, als er daran dachte, dass man ihn suchte und fand. Oh, warum hatte er nicht den anderen Raum aufgesucht?

»Nein, Jahn. Vielleicht versteckt er sich. Ich glaube, er fürchtet sich vor dir. Du solltest versuchen, ruhiger zu sein. Überlass mir die Kontrollen …«

»Ich habe Hunger.«

»Was hältst du von einer leckeren Suppe? Der Synthetisierer ist bereits darauf programmiert. Du brauchst nur die Taste zu drücken.«

Pal hörte Bewegungen – jemand ging an der Lagerkammer vorbei, in der er sich verbarg. Seine rechte Hand tastete umher, und in einer Ecke berührte sie etwas, von dessen Existenz er überhaupt nichts gewusst hatte. Ein Kabel, zusammengerollt wie eine Schlange. Wie die grüne, spiralförmig gewundene Schlange auf dem Bildschirm. Das Ding fühlte sich kalt und glitschig an, ließ den Jungen schaudern.

In der Hauptkabine summte die Synthetisierungsmaschine, und nach einigen Sekunden piepte das Gerät. Pal hörte es ganz deutlich, und er hatte ebenfalls Hunger. Die Nahrung der Großen schmeckte viel besser als das Essen der Kleinlinge. Er hoffte, dass etwas für ihn übrigblieb.

Vielleicht kamen bald die Großen, um alles in Ordnung zu bringen, und dann konnte er die Lagerkammer verlassen.

Und wenn sie böse auf dich sind?

Dann entschuldige ich mich. Dann verspreche ich, mich zu bessern, von jetzt an brav zu sein. Und wenn sie mich nicht wollen, so sterbe ich …

Pal war zu allem bereit, um die Furcht zu besiegen.

Vielleicht erholten sich die Kleinlinge und jene anderen, die verletzt worden waren. Vielleicht sah er Miri und Dr. Nazafar-7 wieder. Vielleicht wurde dann alles wie früher. Pal stellte sich eine Heimatwelt ohne Blut, Schreie und Schlangen vor. Er bedauerte nun, mit Jahn und Rhea aufgebrochen zu sein. Was hatte ihn dazu veranlasst? Er wusste es nicht. Alles war so schnell gegangen, und ein weiterer Grund hieß Angst …

Einige der Großen machten ihm Angst. Aber Mrs. File und Dr. Colignon gefielen ihm. Und auch Dr. Nazafar-7. Hoffentlich mochten sie ihn noch. Möglicherweise freuten sich auch Jahn und Rhea auf ein Wiedersehen mit den Großen.

Pal wünschte sich, dass jemand sie fand.