Am nächsten Morgen kehrten die Sicherheitswächter tatsächlich zur Enterprise zurück, und an ihrer Stelle beamten sich drei andere Personen auf den Planeten: ein Spezialist für Landwirtschaft, ein Fachmann für exotisches Bildungswesen und ein Historiker. Ein Boacaner brachte ihnen die Phaser, was Tamara Engels guten Willen bewies. Man servierte ihnen Fleisch zum Frühstück, und Spock erhielt eine Schüssel mit Obst, aus Rücksicht auf die vegetarische Philosophie des Vulkaniers. Auch darin sah Kirk ein Zeichen von erstaunlicher Aufmerksamkeit.
Nach dem Essen gingen Captain und Erster Offizier nach draußen, um zu beobachten, wie die Stadt erwachte. Händler sowie Obst und Gemüse verkaufende Frauen säumten die Straßen mit Tischen und Buden, priesen ihre Waren an. Kleine fliegende Reptilien mit lächerlich wirkenden Federbüschen auf dem Kopf segelten zwischen den Gebäuden und schnappten nach Fleischstücken, die am vergangenen Abend von den Bratspießen gefallen waren. Eidechsen krochen am Wegesrand, und die rotbraune Tönung ihrer Rücken entsprach der Farbe des Staubs.
»Faszinierend, nicht wahr, Captain?« Spock deutete auf verschiedene Wesen. »Die Reptilienvögel und Staubechsen haben sich ganz dem urbanen Leben angepasst und sind davon ebenso abhängig geworden wie damals Ratten, Tauben und Spatzen auf der Erde. Und sehen Sie das Tier dort …« Er zeigte zu einer breiten Schnauze, die sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite durch eine Tür schob. »Die Exemplare in freier Wildbahn gelten als intelligent und bösartig. Aber den Boacanern gelang es, sie zu domestizieren: Sie sind sehr treu und gut dafür geeignet, Häuser zu bewachen. Fast in jedem Haushalt gibt es ein solches Geschöpf. Unglücklicherweise ist das Fleisch von vielen eingeborenen Tieren ungenießbar, und deshalb kam es hier häufig zu Ernährungsproblemen – allerdings nur sehr selten in Friedenszeiten. Interessant ist auch jenes Lasttier dort drüben, das die Töpfe des Blechschmieds trägt.« Spock gestikulierte erneut. »Es trägt sein Junges in einem Beutel, lässt sich mit den terranischen Tieren der Gattung Marsupialia und den denebianischen Momruks vergleichen. Dadurch wird sein Nutzen für die Boacaner und insbesondere für die hiesigen Händler nicht eingeschränkt.«
Kirk beobachtete ein eher hässliches Wesen, das schwerfällig über die Straße stapfte und Mühe zu haben schien, den massigen Körper über dem Boden zu halten. Am Rücken festgebundene Töpfe und Pfannen klapperten, als es über den Weg wankte. Dem Wesen folgte ein Junge mit einem langen Stock.
»Die Vielfalt der Fauna auf diesem Planeten ist überaus beeindruckend, Captain«, fuhr Spock fort. »Selbst hier, in der Hauptstadt, gibt es viele verschiedene Lebensformen. Die Inkompetenz der früheren Herrscher und unsere schlechten Beziehungen zur jetzigen Regierung haben uns bisher leider daran gehindert, alle Spezies in einem Bio-Katalog zu erfassen und genauer zu untersuchen.«
»Dies ist keine zoologische Expedition, Mr. Spock«, erwiderte Kirk. »Das sollten Sie nicht vergessen. Unsere Aufmerksamkeit gilt anderen Dingen.«
»Ja, Captain. Ich wollte nur auf die bemerkenswerte Mannigfaltigkeit der hiesigen Organismen hinweisen.«
Das Licht der beiden Sonnen glänzte auf die Gebäude herab. Während der Nacht hatte sich Tau an Ton- und Holzwänden gebildet: Die Feuchtigkeit war schwarz, schimmerte jedoch hell, als Sonnenschein sie berührte. Einer der drei Monde hing noch immer am Himmel, bildete dort eine silbergraue Scheibe.
»Eine wundervolle Welt«, murmelte Kirk. »Wie schade, dass sie so lange den Makel der Gewalt tragen musste.«
Irgendwo in der Nähe erklangen die Stimmen kleiner Kinder. Fünf Häuser entfernt trat eine Frau auf den Hof, schüttelte eine Decke aus und verscheuchte einige der fliegenden Reptilien. Als die Boacanerin wieder im Gebäude verschwand, kehrten die Flugechsen prompt zurück, und ihre Federbüsche neigten sich hin und her, während sie im Staub pickten.
»Ein solcher Planet hat etwas Erfrischendes und Belebendes, Spock.«
Das strahlende Lächeln in Kirks Miene veranlasste Spock, die Besorgnis des vergangenen Abends in Worte zu kleiden. »Die angenehme Atmosphäre könnte Teil eines Täuschungsmanövers sein, das Ihre Wahrnehmung manipulieren und unsere Ermittlungen beeinflussen soll.«
Kirk schmunzelte. »Seien Sie unbesorgt, Spock. Der Umstand, dass wir unsere Phaser zurückbekommen haben, erfreut mich noch viel mehr als die hübsche Umgebung.« Er klopfte auf den Kolben des Strahlers am Gürtel. »Tamara Engel …«
»Eine sehr ungewöhnliche Ministerin.«
»Und ob. Ist ›Engel‹ ihr Familienname? Oder hat sie ihn selbst gewählt?«
»Ich vermute eine Kombination beider Möglichkeiten, Captain. Aus den historischen Aufzeichnungen geht hervor, dass der Name Engel hier mit einer der ältesten und angesehensten Familien in Verbindung gebracht wird. Natürlich handelt es sich um eine Übersetzung. Die tatsächliche Bezeichnung ist für terranische Zungen unaussprechbar.«
Das galt auch für den Familiennamen des Vulkaniers, wusste Kirk. In seinem Fall gab es keine artikulierbare Version in Föderationsstandard. »Nun, wenn die übrigen Minister ebenso sind, steht uns eine abwechslungsreiche Woche bevor.«
Sie begaben sich wieder in den Bungalow. Die neuen Mitglieder der Landegruppe waren informiert worden und warteten auf den Einsatz. Nach kurzer Zeit erschien ein Junge in der Tür und meinte, er sei beauftragt, die Besucher zu einem nahen Platz zu führen. Dort begegneten sie dem Kultusminister namens Noro. Der Boacaner gestikulierte die ganze Zeit über, wirkte ein wenig unbeholfen und schien kaum mehr zu sein als ein Kind. Ihm fehlten mehrere Zähne. Ein Halbwüchsiger, der versucht, das Analphabetenproblem auf dieser Welt zu lösen?, dachte er skeptisch.
Nach der gegenseitigen Vorstellung führte man neun große Tiere auf den Platz. Ihr grauer Pelz war so weich wie Pfirsichflaum, aber wesentlich dichter, und buckelartige Erweiterungen ragten aus den krummen Rücken. Die Geschöpfe wiesen eine gewisse Ähnlichkeit mit terranischen Kamelen auf, sah man einmal von dem zusätzlichen Beinpaar ab. Sechs Beine – offenbar ein allgemeines Charakteristikum der boacanischen Fauna.
Die Tiere knieten, und man schob ihnen bunt bestickte Sättel auf den Rücken. Ganz offensichtlich stand ein Ritt bevor.
»Ich bin Arzt, kein verdammter Rodeo-Cowboy«, brummte McCoy vor sich hin, als er aufstieg. Wenige Sekunden später setzten sich die Geschöpfe in Bewegung.
»Haltet euch gut fest!«, rief Kirk den übrigen Angehörigen der Landegruppe zu. Und: »Es ist alles Teil des Dienstes!« Er und Noro ritten ganz vorn, an der Spitze der Kolonne. Spock fand bald heraus, wie man die Geschwindigkeit verändern konnte: Man musste mit den Hände Druck auf den langen Hals ausüben. Nach einigen Experimenten gelangte er an die Seite des Captains.
»Wir nennen diese Wesen Larpas«, wandte sich Noro an Kirk und strahlte. Jim erwiderte das Lächeln, obwohl er die Knochen des Tiers viel zu deutlich spürte – trotz des deckenartigen Sattels. Darüber hinaus kam es durch das besondere Bewegungsmuster der sechs Beine zu einem unregelmäßigen Schaukeln, an das sich Kirk kaum gewöhnen konnte. Er versuchte sich abzulenken, indem er den Larpas zuhörte: Sie verständigten sich mit dumpfem Blöken.
»Eine überlieferte Art des Transports, Sir!«, rief der Historiker Rizzuto dem Captain zu. »Der Planet war berühmt dafür. Die früheren Herrscher machten bei besonderen Anlässen Gebrauch davon – bis der Tyrann Markor mit Motoren ausgestattete Fahrzeuge einführte. Nur hochrangige Repräsentanten der Regierung und sehr reiche Bürger konnten sie sich leisten. Bisher habe ich noch keine gesehen …«
»Die Ratsmitglieder verwenden jene Fahrzeuge nur selten«, erklärte Noro. »Für die großen Städte planen wir ein mechanisiertes öffentliches Transportsystem. Auf dem anderen Kontinent haben wir bereits mit der Konstruktion begonnen. Die Larpas dienen dazu, Sie auf ›traditionelle‹ Weise willkommen zu heißen.« Er lächelte, zeigte dabei einmal mehr seine Zahnlücken.
Die Leute auf den Straßen bestaunten die Kavalkade. Kinder riefen aufgeregt und deuteten zu den Tieren.
»Man ehrt uns mit einem königlichen Empfang, Mr. Spock«, meinte Kirk.
»In der Tat, Captain.«
Einige Bürger streckten die Arme aus, vollführten abfällige Gesten und ließen sich zu respektlosen Kommentaren hinreißen. Einige Karren wurden von den Geschöpfen gezogen, die Spock zuvor beobachtet hatte; hier und dort waren auch Lasttiere unterwegs. Doch abgesehen von Noro und der Landegruppe ritt niemand. Heutzutage schienen nur wenige Leute Gelegenheit zu erhalten, auf dem Rücken eines Larpa zu sitzen.
Wir kommen in den Genuss dieses Privilegs, weil der Rat unsere romantischen Vorstellungen bezüglich dieser Welt fördern möchte, dachte Kirk. Mit anderen Worten: Man schmeichelt uns. In Reden und Ansprachen wird der interstellare Völkerbund als Verbündeter der Kriegsherrn angeprangert, und offiziell will man keine Hilfe von uns. Aber gleichzeitig rollt man auf eine fast tollpatschige Weise den metaphorischen roten Teppich für uns aus. Allem Anschein nach legt der Rat großen Wert auf die Unterstützung der Föderation.
Noro pfiff, und daraufhin blieben die Larpas vor einem der recht mitgenommen wirkenden Gebäude aus weißem Stein stehen. Die Besatzungsmitglieder der Enterprise stiegen vorsichtig ab, und McCoy stöhnte demonstrativ.
Mitten auf der breiten Treppe verharrte Noro und wandte sich der Landegruppe zu. Unter ihm glänzten die Stufen im Licht der beiden Sonnen. »Dies war der Palast von Puil, der über die Stadt Boa und alle angrenzenden Bereiche herrschte. Heute dient er als Museum – damit alle sehen, wozu man das Geld verwendete, das auf den Tischen armer Familien zu Brot und Fleisch hätte werden können.«
Kirk und Spock wechselten einen Blick, als sie dem Kultusminister in den Palast folgten.
Im Innern des großen Gebäudes gesellten sie sich den anderen Besuchern hinzu, schritten zusammen mit den Boacanern von Zimmer zu Zimmer. Ein Raum enthielt gläserne Zellen: Käfige für Geschöpfe aus allen Teilen der Galaxis, die hier eine einzigartige Menagerie gebildet hatten. Viele jener Wesen waren nach wie vor präsent, und man kümmerte sich um sie. In anderen Zellen hatte Puil politische Gefangene einkerkern lassen, um sie nackt in seinem privaten Zoo zur Schau zu stellen, manchmal über Jahre hinweg. Jetzt befand sich natürlich niemand mehr in den betreffenden Behältern.
Hinter der nächsten Tür erstreckte sich eine Folterkammer. Ein junger Mann stand dort an einem Tisch, nahm verschiedene Metallobjekte zur Hand und erklärte einer Kinderschar, wozu man sie verwendet hatte. Das Spektrum der ›Werkzeuge‹ reichte von Streckbänken über Schürhaken und Daumenschrauben bis hin zu hochmodernen Instrumenten wie zum Beispiel Molekülzertrümmerer und Nervenstimulatoren. Der junge Mann wies darauf hin, dass es überall in der Stadt unterirdische Kammern solcher Art gab. »Dieser Raum hier im Palast blieb Puils ganz besonderen ›Gästen‹ vorbehalten.«
McCoy schnitt ein grimmiges Gesicht und beantwortete die unausgesprochenen Fragen seiner Begleiter, indem er leise die Funktionen der einzelnen Apparaturen erläuterte.
Anschließend wanderten sie durch Ball- und Tanzsäle, in denen gewaltige, funkelnde Kronleuchter von der Decke herabhingen. Der Boden unter Stiefeln und nackten Füßen bestand hier aus glattem, auf Hochglanz poliertem Stein. Stimmen hallten von den hohen Wänden wider, an denen zahllose Spiegel hingen: Wenn man sich um die eigene Achse drehte, konnte man das eigene Abbild hundert- und tausendfach wiederholt bewundern.
Leise Musik erklang, und die Melodien waren wie akustische Phantome aus der Vergangenheit. Das Flüstern stammte aus abgetrennten Nischen, die Video-Aufzeichnungen verschiedener Feste boten. Die Landegruppe wartete auf den Beginn der nächsten ›Vorstellung‹, um alles von Anfang an zu sehen. Nach einigen Minuten betrachteten sie den Ballsaal zu Puils Zeiten: voller Gäste und Musik. Die Spiegelwände sorgten dabei für eine regelrechte Explosion von Farben und Licht. Kirk und viele andere Zuschauer sahen Tänze und Partyspiele, Pantomimen und die Darbietungen von Zauberkünstlern. Der Lesung eines Dichters folgte die Hinrichtung eines Diebs – in beiden Fällen spendeten die betrunkenen Gäste begeisterten Applaus.
Das lange Haar der Frauen war auf eine komplizierte Weise zusammengesteckt, bildete wahre Berge auf hochmütigen Häuptern. Edelsteine glitzerten in den elaborierten Frisuren. Die Männer trugen reich verzierte Kniehosen.
Kirk und seine Gefährten sahen sich die Aufzeichnungen einmal an und setzten den Weg dann fort.
Sie wanderten durch ein Labyrinth aus langen Treppen und Fluren, in denen viele Statuen und Skulpturen standen. An den Wänden zeigten sich Dutzende von Gemälden, die den Herrscher und seine Familie zeigten: gekleidet in Gewänder nach Art der alten Griechen, manchmal auch in Zeremonienumhänge gehüllt. In einigen Fällen trugen sie Starfleet-Uniformen und empfingen Repräsentanten der Föderation. Die Männer von der Enterprise schnitten Grimassen, als sie diese Darstellungen betrachteten. Sie empfanden es als unangenehm, daran zu denken, dass der interstellare Völkerbund Puil dabei geholfen hatte, die Macht zu ergreifen.
Die vielen Korridore boten Zugang zu kleineren Ballsälen, Bankettkammern, Musikzimmern und so weiter. Auch hier wurde die Landegruppe Teil eines größeren Publikums. Die Boacaner staunten und reckten die Hälse.
»Phantastisch«, murmelte McCoy. »Dies hier ist eine Art grotesker Vergnügungspark.«
»Eher eine Fundgrube für Historiker«, warf Rizzuto ein. »Ich hoffe, dass hier bessere Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden, sobald der Rat der Jungen alles organisiert hat. Die Anzahl der Besucher sollte beschränkt werden. Es mag durchaus angemessen sein, dem Volk ganz deutlich zu zeigen, wie die Herrscher lebten, aber diese Dinge müssen geschützt werden.« Er seufzte. »Ach, wenn ich doch nur Gelegenheit bekäme, hier gründliche Untersuchungen vorzunehmen …«
»Wir wissen nicht, wie viel Zeit man uns für die Besichtigung des Palastes lässt«, meinte Spock. »Vielleicht sehen wir nur einen kleinen Teil.«
»Na schön«, sagte Kirk. »Ich schlage vor, wir nutzen die Chance und schwärmen aus, um einen möglichst kompletten Eindruck zu gewinnen.«
Die Besatzungsmitglieder der Enterprise gingen auseinander und begannen mit einer individuellen Erforschung des Palastes, der mit seinem Durcheinander aus Stilen noch verwirrender wirkte als Versailles.
Kirk folgte einigen Personen, die eine frühere Geheimtür in der Wand eines Korridors passierten. Sie führte zu einem Tunnel und einer wackligen Holztreppe, die sich durch das ganze Gebäude zu winden schien – offenbar war sie von der Dienerschaft benutzt worden. Der Captain stieg die Stufen empor und gelangte in einen langen Raum mit niedriger, schräger Decke – der Dachboden des Palastes. Mattes Licht filterte durch schmale Schlitze im Holz.
Hier wartete ein greisenhafter Mann auf die Besucher. Er stammte aus einer Familie, die über Generationen hinweg im Palast gearbeitet hatte, und er erzählte den aufmerksamen Zuhörern von seinen Pflichten, vom Leben in dem großen Gebäude. Bei jedem Satz veränderte sich sein Mienenspiel. Geiz und Grausamkeit von Puils Familie verbitterten ihn ganz offensichtlich. Fast sachlich berichtete er von einer langen Arbeitszeit, von Erschöpfung und Krankheiten, denen viele Diener zum Opfer fielen. Andererseits: Er kannte nur die Tätigkeit im Palast, nichts anderes, und jetzt fehlten seiner Existenz Inhalt und Sinn. Er betonte, durch die Revolution sei er überflüssig geworden.
Schmale Betten bildeten auf dem Dachboden eine lange Reihe, und vor ihnen erstreckte sich etwas, das Kirk an einen Trog erinnerte: Darin hatten die Kinder der Bediensteten geschlafen. Das Halbdunkel in diesem Raum weckte neuerliches Unbehagen im Captain, und nach einer Weile wandte er sich ab, ging durch eine kleine Pforte und die Treppe hinunter.
Diesmal ließ er sich von den knarrenden Holzstufen bis zum Untergeschoss bringen, und dort schritt er durch einen weiteren tunnelartigen Korridor, vorbei an einem bestens ausgestatteten Weinkeller. Staub bedeckte zahllose Flaschen mit erlesenem boacanischen Brandy. Kirk ging weiter und erreichte den Küchenkomplex, wo dunkle Feuchtigkeit eine schmierige Patina an den Wänden formte. Überall gab es Herde, Tranchiertische, Grillnischen, Kochwannen und Bratmulden. Während der letzten Monate des Regimes hatte man den primitiven, jahrhundertealten Utensilien wesentlich moderne Werkzeuge und Instrumente hinzugefügt.
Auch hier waren ehemalige Angehörige der Dienerschaft zugegen: Köche und Kellner, die von den Festgelagen erzählten, von der Menge an Nahrungsmitteln, die jeden Tag für Puils Familie und irgendwelche Haustiere zubereitet werden mussten, von den vielen Speisen, die zurückgeschickt wurden, um als Abfall zu enden – während anderenorts auf dem Planeten Boacaner verhungerten. Werden diese Leute von der neuen Regierung für ihre Schilderungen bezahlt?, fragte sich Kirk. Sagen sie die Wahrheit? Oder präsentieren sie gut vorbereitete Lügen? Diese Diener übten scharfe Kritik an Puil, doch die älteren Köche zeigten sich von der Revolution nur wenig begeistert. Sie hatten jetzt keine Möglichkeit mehr, sich in ihrer Kunst zu üben; das einfache Volk konnte sich ihr kulinarisches Geschick nicht leisten, und die neuen Machthaber lehnten ihre Dienste ab.
Hier gab es ebenfalls kleine Schlafzimmer mit schmalen Betten. Die Kamine waren mit großen Rauchfängen ausgestattet, und boacanische Kinder krochen hinein, um sich in ihrem Innern umzusehen. Voller Ruß kehrten sie zurück. Puil hatte Kinder für die Reinigung der Kamine und andere spezielle Aufgaben eingesetzt.
Kirk wusste: Wenn er noch länger an diesem Ort verweilte, blieb ihm kaum mehr Zeit für die übrigen Bereiche des Palastes.
Er verließ das dunkle Treppenhaus in einem weiter oben gelegenen Stockwerk und blinzelte, als heller Glanz ihn blendete. Auf Boaco Sechs kam Licht eine ganz besondere Bedeutung zu: Ein gut erhelltes Heim hatte hohen Prestigewert. Für die Beleuchtung des Palastes sorgten große Fenster aus Kristall und buntem Glas sowie diverse Lampen. Als sich Kirks Augen an das Funkeln und Strahlen gewöhnten, fielen ihm Geräusche auf, die nicht zu diesem Ort zu passen schienen.
Er ging weiter und entdeckte eine Laser-Kammer, die auch mit Videospielen ausgerüstet war – hochmoderne Technik, die aus der Föderation stammte. Kinder, die den Palast besuchten, durften hier Laser-Schlachten veranstalten: Sie juchzten, während sie holographische Ziele unter Beschuss nahmen. Derartige Geräte wirkten auf einer unterentwickelten Welt wie Boaco Sechs völlig fehl am Platz.
In einem anderen Flügel besichtigte Kirk mehrere luxuriöse Schlafzimmer und Boudoirs. Dort waren die Schränke gefüllt mit erlesener Kleidung, und teurer Schmuck lag auf Frisiertischen. Die betreffenden Räume demonstrierten Prunk und Feudalität. Frauen wanderten fassungslos umher, streckten die Finger nach glitzernden Objekten aus – und zogen die Hände erschrocken zurück. Ein seltsames Gefühl der Schuld schien die Besucher zu erfassen, so als seien sie Eindringlinge in einem Tempel. Die Kinder teilten diese Stimmung nicht. Sie griffen nach glänzenden Schmuckgegenständen und liefen fröhlich über dicke Teppiche.
In einem Nebenzimmer begegnete Kirk dem Fähnrich Michaels. Dieser Raum enthielt Frauenstrümpfe, Hüftgürtel und andere Unterwäsche. Die Strümpfe bildeten hohe Stapel auf einem regenbogenfarben Bett, und ein Liegesofa bot den Augen des Betrachters Dutzende von Satinschlüpfern dar. Über dem Frisiertisch hing ein goldener Rahmen, und das Bild darin zeigte eine von Puils dicken Mätressen. Sie war wie eine terranische Hirtin gekleidet, hielt kokett einen mit Edelsteinen verzierten Hirtenstab. Ein kleines sechsbeiniges Tier mit krausem Fell und einer orangefarbenen Schleife am Hals rieb den Kopf an ihrem Kleid. Eine große, an der Decke angebrachte Lampe beleuchtete das Porträt, und das Staunen der anwesenden Boacaner galt dieser Lichtquelle – daheim waren die meisten von ihnen auf Kerzen angewiesen.
Michaels sah sich um, und sein Gesicht brachte eine Mischung aus Übelkeit und Ekel zum Ausdruck. Ähnliche Empfindungen regten sich auch im Captain.