Kapitel 15

 

Kirk lag auf dem Bett und presste kühle Fingerspitzen an die Schläfen. Die Suche nach der Sperling ging weiter, und normalerweise hätte er die Wartezeit nutzen sollen, um an die beiden boacanischen Welten zu denken, an die wachsenden Spannungen zwischen ihnen. Mit einem experimentellen Starfleet-Kreuzer geflohene Kinder, die andere Raumschiffe angriffen … Und dadurch entstand nun die Gefahr eines interplanetaren Krieges.

Statt dessen drängten sich immer wieder Erinnerungen an Miris Heimatwelt in den Fokus seiner Aufmerksamkeit. Mehrmals ließ er die damaligen Ereignisse Revue passieren und gelangte dabei zu dem Schluss, dass er die richtigen Entscheidungen getroffen hatte. Harte Arbeit, noch dazu unter erheblichem Zeitdruck, mit dem Ziel, ein wirkungsvolles Mittel gegen den Mikroorganismus zu finden und gleichzeitig das Vertrauen der Kinder zu gewinnen … Selbst wenn ich mich damals anders verhalten hätte – ich wäre wohl kaum in der Lage gewesen, ein besseres Ergebnis zu erzielen. Zu den Fehlern in Hinsicht auf die Kinder kam es erst später, als die Enterprise schon wieder zwischen den Sternen flog.

Jim entsann sich an die Zufriedenheit, mit der er Juram Fünf verlassen hatte, und die entsprechenden Reminiszenzen ließen seelischen Schmerz in ihm entstehen. Damals war er sicher gewesen, dass er die Kinder in der Obhut fähiger Personen zurückließ, dass die Dinge für sie nur besser werden konnten. Vielleicht hätte er einmal zurückkehren sollen – aber wann? Es gab zu viele Welten und zu viele Missionen, die einen Teil von ihm behalten hatten. Bedeutete es, dass er für sie alle Verantwortung trug?

Weißt du, warum du nicht mehr die gleichen Spiele wie früher spielen möchtest, Miri? Und warum du deine Freunde plötzlich aus einer anderen Perspektive siehst? Die Erklärung lautet: Du wirst zu einer jungen Frau

Die damalige Selbstgefälligkeit erschien ihm nun unverständlich und absurd. Er hätte daran denken sollen, dass die Hürden der Pubertät für die Kleinlinge noch viel höher waren als für gewöhnliche Heranwachsende. Nun, sie wäre bestimmt damit fertig geworden, dachte Jim. Er entsann sich an Charlie X, die verlorene Chance. Aber Miri war gerettet worden, und sie hätte es geschafft, sich an das neue Leben zu gewöhnen, alle Probleme zu lösen. Doch ein Phaserstrahl verbrannte ihre Zukunft …

Der Türmelder summte, und Kirk reagierte nicht sofort. Erst nach einigen Sekunden sagte er: »Herein.«

Das Schott glitt beiseite, und McCoy betrat die Kabine.

»Von Spock erfuhr ich, dass du hier bist. Und ich dachte mir: Bestimmt findet er keine Ruhe. Offenbar habe ich mich nicht getäuscht. Möchtest du, dass ich dir irgend etwas gebe?«

»Nein, vielen Dank, Pille.« Kirk drehte sich auf die Seite, blickte durchs Halbdunkel und musterte den Arzt. »Du erinnerst dich ebenfalls, nicht wahr?« Er lächelte schief. »Es war eine Mission ganz besonderer Art, stimmt's?«

»Natürlich erinnere ich mich. Wie dem auch sei: Du solltest versuchen, nicht dauernd daran zu denken.«

Kirk setzte sich auf. »Kannst du dir vorstellen, was auf Juram Fünf geschehen sein muss? Vermutlich wurden die Kinder falsch behandelt, weil sich niemand direkt für sie verantwortlich fühlte. Weil niemand ihre sehr spezielle Situation verstand. Deshalb überließ man sie irgendwelchen Gehirnklempnern.«

»In gewissen Kreisen genießt Voltmer großen Respekt, aber ich habe nie etwas von ihm gehalten«, erwiderte McCoy. »Jim, hör auf, dir den Kopf über Miri zu zerbrechen, dich Selbstvorwürfen hinzugeben …«

Kirk sprang vom Bett und eilte zum Schrank, der seine Starfleet-Medaillen und Auszeichnungen enthielt. »Sie hat mir etwas gegeben, bevor wir den Planeten verließen, eine Art Andenken.« Er öffnete den Schrank, kramte in den Fächern. »Ah, hier ist es!« Er hielt eine nicht besonders kunstvoll geschnitzte Holzpuppe in Händen und fühlte bei ihrem Anblick, wie ihm Tränen in die Augen quollen. Rasch legte er den Gegenstand zurück und schloss den Schrank.

 

Spock hob die Brauen, als Kirk in den Kontrollraum kam. »Haben Sie etwa vor, den Dienst fortzusetzen, Captain?«

Jim vollführte eine knappe Geste, forderte den Vulkanier damit auf, ihm den Kommandosessel zu überlassen und seinen Posten an der wissenschaftlichen Station einzunehmen. »Ja, Mr. Spock. Vielleicht teilt uns Starfleet bald mit, wie es um die Situation im boacanischen Sonnensystem bestellt ist. Außerdem möchte ich einen Kontakt zu den Kindern herstellen, sobald wir die Sperling finden. Ein Kampf gegen sie kommt nicht in Frage.«

Spock blieb in aller Seelenruhe sitzen. »Wir wissen nicht, wann uns eine Lokalisierung des Starfleet-Kreuzers gelingt, Captain. Sie hatten nur fünf Stunden lang Gelegenheit, sich auszuruhen, und zwar nach einer vierzehn Komma zwei sechs Stunden langen Schicht. Die Vorschriften …«

»Zum Teufel mit den Vorschriften, Spock!« Jäher Ärger erfüllte Kirk, und er galt dem unerschütterlichen Ersten Offizier, dem Überbringer schlechter Nachrichten. »Kehren Sie zu Ihrer Station zurück. Mir liegt viel an dieser Mission, und daher lege ich großen Wert darauf, sie selbst zu leiten.«

Das Gesicht des Vulkaniers blieb völlig ausdruckslos, als er mit einer fließenden Bewegung aufstand und zu den Konsolen der wissenschaftlichen Station ging. Dort löste er ein erschrocken wirkendes Besatzungsmitglied ab.

»Ist die Sperling erneut erschienen, Mr. Sulu?«, fragte Kirk scharf.

»Dreimal, Captain. Wir haben versucht, auf der Grundlage jener kurzen Ortungen einen wahrscheinlichen Kurs zu berechnen.«

»Sir …«, erklang Chekovs Stimme. »Vielleicht ist der Starfleet-Kreuzer in den klingonischen Raum geraten und dort unter Beschuss genommen worden. Möglicherweise kam es dabei zu Beschädigungen der Bordsysteme – das könnte eine Erklärung für die geringere Geschwindigkeit sein. Derzeit scheint das Schiff wieder in Richtung von Juram Fünf zu fliegen. Wir haben eine Kursanpassung vorgenommen.«

Kirk nickte. »Gut. Hoffentlich wollen die Kinder das gestohlene Schiff übergeben – das würde uns allen eine Menge Schwierigkeiten ersparen.«

Uhura räusperte sich. »Ich empfange Kom-Signale von Starfleet Command, Captain. Admiral Komack möchte Sie sprechen.«

»Auf den Schirm, Lieutenant.«

Wieder erschien ein verdrießliches Gesicht im großen Projektionsfeld, und Kirk spürte, wie sich neuerlicher Ärger in ihm regte. Warum müssen sich die verdammten Starfleet-Bürokraten immer wieder in Dinge einmischen, von denen sie nichts verstehen?

»Kirk …«, klang es aus dem Lautsprecher der externen Kommunikation. »Offenbar sind Sie wieder nach Juram Fünf unterwegs. Wir meinen, dass Sie dort in eine Umlaufbahn schwenken und herausfinden sollten, warum die Kinder aus dem Institut geflohen sind.«

»Captain!«, rief Sulu. »Die Sperling ist erneut erschienen. Sie entfernt sich jetzt von Juram Fünf, und zwar mit einer Geschwindigkeit von Warp zwei. Wir könnten leicht zu ihr aufschließen und … Oh, jetzt ist das Schiff wieder verschwunden.«

Kirk war mit einem Satz auf den Beinen. »Berechnen Sie einen Abfangkurs.«

»Ich annulliere hiermit den Befehl des Captains, Mr. Sulu«, sagte Komack. »Kirk, es hat keinen Sinn, die Sperling durch den ganzen Quadranten zu verfolgen. Sie werden den Flug nach Juram Fünf fortsetzen und die Enterprise dort in den Orbit steuern.«

»Haben Sie nicht gehört, Admiral? Der gestohlene Kreuzer entfernt sich vom Heimatplaneten der Kleinlinge. Die Kinder beabsichtigen nicht, dorthin zurückzukehren. Es gibt Hinweise, die eine Beschädigung des Schiffes befürchten lassen. Vielleicht brauchen die Geflohenen Hilfe. Das ist sicher wichtiger als …«

»Wenn die Sperling in eine wirklich kritische Situation gerät, so versagt die Tarnvorrichtung. Und zwar auf Dauer. Bis dahin halte ich es für absurd, dass Sie in diesem Teil der Galaxis Katz und Maus mit dem Kreuzer spielen. Fliegen Sie nach Juram Fünf und stellen Sie dort Nachforschungen an. Das ist ein Befehl.«

Das Bild auf dem Schirm flackerte und verblasste, und wenige Sekunden später leuchteten wieder Sterne im großen Display an der Wand. Jim lehnte sich zurück und versuchte, Zorn und Enttäuschung zu unterdrücken.

 

Kirk, Spock und McCoy warteten schweigend im steril wirkenden Vorzimmer von Dr. Voltmers Büro auf Juram Fünf. Der blasse Kinderpsychologe Dr. Ramsey stand vor der Wand und betrachtete das in grellen Pastellfarben gemalte Bild einer Supernova. Er summte leise vor sich hin und ließ mehrmals die Fingerknöchel knacken, offenbarte ein Verhalten, das dem Captain immer mehr auf die Nerven ging.

Reiß dich zusammen, dachte Jim und kämpfte gegen den Wunsch an, die Verfolgung der Sperling so schnell wie möglich fortzusetzen. Sicher konnten hier nützliche Informationen gewonnen werden.

Ihr Retransfer hatte im Freizeitraum der Kinder stattgefunden, der durch Jahns Kampf gegen die Erwachsenen zu einem regelrechten Schlachtfeld geworden war. Inzwischen deutete dort nichts mehr auf die Auseinandersetzung hin. Ein gewisser Dr. Colignon empfing Kirks Gruppe, führte sie durch lange weiße Korridore, vorbei an Klassenzimmern mit öden, bleigrauen Wänden. Das Institut ist zu … kühl, dachte Kirk. Man sollte irgend etwas unternehmen, um eine wärmere, herzlichere Atmosphäre zu schaffen. Dazu sind gar keine großartigen Maßnahmen notwendig. Es würde genügen, die Wände mit einigen von den Kindern gemalten Bildern zu schmücken.

Nichts deutete auf die Präsenz der Kleinlinge hin.

Kirk ließ sich von Spock und McCoy begleiten, weil er wusste, dass es ihm derzeit an Objektivität mangelte. Und weil ihn die Erfahrung lehrte, dass er wertvollen Rat von ihnen erwarten durfte. Außerdem waren sie auch an der damaligen Mission auf Juram Fünf beteiligt gewesen. In Hinsicht auf den Vulkanier kam ein weiterer Grund hinzu: Kirk bedauerte es, ihn angeschnauzt zu haben. Hoffentlich versteht er, dass es an dem Stress liegt, dem ich ausgesetzt bin.

In dieser Hinsicht hätte er sich keine Sorgen zu machen brauchen. Spock hegte nicht den geringsten Groll dem Captain gegenüber. Er wusste tatsächlich um die besonderen Belastungen, die Kirk ertragen musste.

Bezüglich der Sperling hatte Jim fast so etwas wie Besessenheit gezeigt. Mit ausgeprägter Emotionalität reagierte er auf jede noch so kurze Ortung des Schiffes und klammerte sich an der Hoffnung fest, einen Kontakt mit den Kindern herstellen zu können. Nun, bei manchen Missionen entfaltete der Captain ein besonderes persönliches Engagement: Wenn er glaubte, unmittelbare Verantwortung zu tragen, gab er sich selbst die Schuld an Misserfolgen und Fehlschlägen. Was die jüngsten Ereignisse auf Juram Fünf anging, traf ihn bestimmt keine Schuld. Aber wie sollte man ihn daran hindern, sich weiterhin Selbstvorwürfen hinzugeben?

Spock spürte zunehmende Unruhe, die an der Stabilität seines Selbst rüttelte, und er kannte auch den Grund dafür: Er wusste, wer die Tarnvorrichtung entwickelt hatte, jenes Gerät, das die Sperling vor Entdeckung bewahrte. Vielleicht konnte nur der Entwickler des Apparats eine Möglichkeit finden, den Ortungsschutz zu durchdringen. Wenn man Flint bittet, uns zu helfen, werden die Belastungen für Jim noch größer, überlegte Spock. Ohne dass er die Ursache für den Stress versteht. In einem solchen Fall möchte er bestimmt Bescheid wissen, und dieser Wunsch mag dazu führen, dass eine andere alte Wunde aufbricht.

Die Tür von Dr. Voltmers Arbeitszimmer öffnete sich. Ein korpulenter Mann in mittleren Jahren trat den Besuchern von der Enterprise entgegen. Rote Flecken glühten auf den fleischigen Wangen, und unter der kleinen Nase strahlte ein breites Lächeln. »Meine Herren!«, grüßte Voltmer in einem fast enthusiastisch klingenden Tonfall. »Freut mich, dass Sie hier sind. Die ganze Angelegenheit ist ja so bedauerlich. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie damals den ersten Kontakt mit den hiesigen Kindern herstellten?«

Kirk nickte und stellte seine Begleiter vor. »Der Erste Offizier, Mr. Spock, und unser Bordarzt Dr. McCoy nahmen an jener Mission teil. Das ist Dr. Ramsey, Spezialist für Kinderpsychologie. Er gehört zur wissenschaftlichen Sektion der Enterprise.«

»Ramsey! Ich habe Ihren Artikel ›Rorschach-Revision‹ gelesen. Ausgezeichnete Arbeit. Nun, meine Herren, lassen Sie mich Ihnen das Institut zeigen. Um diese Zeit schlafen die Kinder …«

»Dr. Voltmer«, sagte Kirk scharf, »leider zwingen uns die Umstände zur Eile. Unsere wichtigste Aufgabe besteht derzeit darin, das kleine Starfleet-Schiff zu finden, mit dem die Kinder geflohen sind. Sobald wir uns mit ihnen in Verbindung gesetzt haben, müssen wir sie dazu bewegen, uns den Kreuzer kampflos zu übergeben. Haben Sie in diesem Zusammenhang irgendwelche Vorschläge?«

Ein Teil der übertriebenen Fröhlichkeit wich aus Voltmers Zügen. »Ich fürchte, da könnten sich Schwierigkeiten für Sie ergeben, Captain. Die jungen Leute sind ausgesprochen labil, aggressiv und undankbar. Das Mädchen Rhea hat mehrmals Disziplinarprobleme geschaffen, doch im vergangenen Jahr schien es sich zu einer positiveren Haltung durchzuringen. Es nahm die Arbeit plötzlich viel ernster, saß häufig vor den Lesegeräten und verbrachte einen großen Teil seiner Zeit damit, technische Handbücher der Föderation einzusehen.« Voltmer lachte ironisch und fügte hinzu: »Wir haben versucht, Rheas Interesse zu fördern.« Ein Schatten fiel auf seine Miene. »Jahn, der ältere Junge … Er ist ein hoffnungsloser Fall, durch und durch böse. Er lehnte es hartnäckig ab, sich einer strukturierten Umgebung anzupassen. Mehrmals hat er meine Autorität als Direktor des Projekts herausgefordert – er scheint zu glauben, dass ihm die Leitung des Instituts gebührt. Er bekommt häufig Wutanfälle und hat bewiesen, dass er zu allem fähig ist.«

Von einem Pädagogen und Erzieher hatte Kirk eigentlich eine andere Ausdrucksweise erwartet. Voltmer klang rachsüchtig und alles andere als professionell. Er ist sauer auf den Jungen, dachte Jim. Vielleicht deshalb, weil ihn der Zwischenfall den Job kosten könnte. Nun, es dürfte kein großer Verlust für das Projekt sein.

»Ich rate Ihnen, einen festen Standpunkt zu vertreten«, fuhr Voltmer fort. »Die Kinder sind sehr ambivalent in Hinsicht auf ihre Einstellung zur Autorität: Erst kämpfen sie dagegen an, und dann geben sie ihr nach. Vermutlich spüren sie jetzt ihren Mangel. Zumindest Rhea ist bereit, auf die Stimme der Vernunft zu hören – obgleich sie ziemlich widerspenstig sein kann, wenn es um gewisse Tests geht.«

»Welche Tests meinen Sie?«, fragte McCoy.

Voltmer geleitete die Gruppe in ein weißes Zimmer, und dort gleißte blendend helles Licht. In der Mitte des Raums stand ein großer weißer Stuhl. »Nun, es geht dabei insbesondere um Tests, die dazu bestimmt sind, das PPEP zu vergrößern – das Persönliche Psychologische Entwicklungsprofil. Gleichzeitig dienen die entsprechenden Untersuchungen dazu, mehr über die Gemeinschaft der Kinder zu erfahren, über ihre Kultur und Lebensweise vor dem ersten Kontakt mit Ihnen.«

»Der Stuhl …«, begann Kirk.

»Er wurde von Dr. Tristan Adams in der Tantalus-Kolonie entwickelt«, sagte Voltmer. »Dr. Adams missbrauchte seine Erfindung, verlor deshalb die Erlaubnis, als Arzt zu praktizieren und verbrachte außerdem einige Zeit in einer Strafkolonie. Natürlich ist der Stuhl verändert und verbessert worden, so dass er keinen Schaden mehr anrichten kann. Wir verwenden ihn hier, um mit Ultraschall hysterische Patienten zu beruhigen. Darüber hinaus wird er als Hilfsmittel bei der Hypnose eingesetzt. Er gibt einer damit behandelten Person die Möglichkeit, mentale Barrieren zu überwinden und vergessene Reminiszenzen zu erforschen – Erinnerungen, die im Fall der hiesigen Kinder Jahrhunderte alt sein können.«

»Erinnerungen, die sie vielleicht nicht mit Ihnen teilen möchten«, entgegnete McCoy schroff. »Ich weiß nicht, ob Ihre Methoden legal sind, aber eins steht fest: Sie dürften umstritten sein. Ich schätze, Sie haben hier den gleichen Verwendungszweck im Sinn, für den Dr. Adams bestraft wurde: Bewusstseinskontrolle.«

»Da irren Sie sich, Doktor«, erwiderte Voltmer kühl. »Was Ihren ersten Hinweis betrifft: In diesem Institut halten wir nichts davon, Dinge zu verbergen. Nun, ich stehe zu meiner Arbeit. In einigen Fachzeitschriften ist sie bereits lobend erwähnt worden. Und die Stimmen der Kritik … Ich bin stolz darauf, ›umstritten‹ zu sein. Übrigens, Captain: In Ihrem Bericht haben Sie selbst Disziplin und Überwachung empfohlen.«

Kirk bedachte den übergewichtigen Mann mit einem durchdringenden Blick. Nach einigen Sekunden summte sein Kommunikator, und er klappte das Gerät auf.

»Hier Uhura, Captain. Der klingonische Commander Kreth, Kommandant eines imperialen Schlachtschiffes, hat sich mit uns in Verbindung gesetzt.«

Jim runzelte die Stirn. Die allgemeine Situation war auch so schon recht schwierig. Gesellte sich ihr jetzt ein Faktor hinzu, der für weitere Komplikationen sorgte? »Wo ist Kreth, Lieutenant?«

»Das Schiff befindet sich im stellaren Territorium des Imperiums. Der Commander verlangt audiovisuellen Kontakt mit Ihnen und droht damit, seinen Kreuzer ins Raumgebiet der Föderation zu steuern. Was soll ich ihm antworten, Sir?«

»Bitten Sie ihn um etwas Geduld – wir beamen uns an Bord.« Kirk wandte sich an Voltmer. »Wir müssen zur Enterprise zurückkehren, Doktor. Was Ihren Hinweis auf die Behandlung der Kinder betrifft … Ich werde ihn auf angemessene Weise berücksichtigen.«

Die vier Männer bezogen Aufstellung, damit der Transferfokus ausgerichtet werden konnte, und plötzlich hatte es Dr. Voltmer eilig, die Atmosphäre aufzulockern und freundlicher zu gestalten. »Von Mrs. File habe ich gehört, dass Sie bei einigen Kindern einen nachhaltigen Eindruck hinterließen, Captain. Das gilt insbesondere für Miri. Sie sprach häufig von Ihnen und erhoffte sich Ihre Rückkehr. Anscheinend hat sich das Mädchen damals in Sie verliebt.« Er lachte leise – und wurde übergangslos ernst, als er Kirks Gesichtsausdruck bemerkte. »Eine echte Tragödie. Wirklich schade, dass sie ums Leben kam.«

Die letzten Worte verloren sich im Summen des Transporterstrahls, der den Captain und seine drei Begleiter entmaterialisierte.

 

An Bord der Enterprise verdrängte Jim Kirk die Gedanken an den ausgesprochen unsympathischen Dr. Voltmer. Er stand vor dem Befehlsstand auf der Brücke und sah sich mit einem neuen Widersacher konfrontiert.

In den dunklen Augen des klingonischen Commanders Kreth blitzte es. »Sie sind also der berühmte Captain Kirk. Bei allem Respekt, Captain: Teilen Sie Ihren Vorgesetzten bei Starfleet Command mit, dass sie diesmal zu weit gegangen sind.«

»Wovon reden Sie da?«

»Wir Klingonen lassen uns nicht zum Narren halten, Captain. Wir schützen unsere Rechte. Und auch die unserer Freunde.«

»Kommen Sie zur Sache.«

Kreth straffte die Gestalt und zögerte, um seinen nächsten Worten mehr Nachdruck zu verleihen. »Wir unterhalten gute Beziehungen zu Boaco Sechs, Kirk. Vielleicht bleibt es nicht nur bei diplomatischen und geschäftlichen Kontakten; möglicherweise gewinnen wir einen … Partner.« Er lächelte, zeigte dabei weiße Zähne. »Wir waren sehr betrübt, als wir von dem völlig unprovozierten Angriff eines Föderationsschiffes erfuhren, dem zwei boacanische Raumer zum Opfer fielen. Dieser empörende Zwischenfall führt der Galaxis vor Augen, dass die angeblich so hehren Prinzipien Starfleets nur aus leeren Worten bestehen.«

Kirk gab eine ziemlich klare Antwort und benutzte dabei Ausdrücke, auf die man im diplomatischen Sprachgebrauch normalerweise verzichtete. Die Brückenoffiziere mussten sich sehr beherrschen, um nicht laut zu lachen.

Kreth kniff die Augen zusammen. »Wie Sie meinen. Wir glauben allerdings, dass die Enterprise bei dem Angriff zumindest eine passive Rolle spielte. Jener kleine Starfleet-Kreuzer, der das Feuer auf die boacanischen Schiffe eröffnete, stammte aus Ihrem Hangar. Und das gleiche Schiff drang in klingonisches Hoheitsgebiet vor. Seine Besatzung trägt die Verantwortung für den Tod von mehreren tausend Personen und richtete einen Sachschaden an, dessen Ausmaß dem Wert einer kleinen Raumstation entspricht. Wie ich vorhin schon sagte, Kirk: Diesmal ist Starfleet Command zu weit gegangen!«

»Ich glaube Ihnen nicht«, sagte Kirk. »Der angerichtete Schaden kann unmöglich so groß sein.«

»Ich halte das ebenfalls für sehr unwahrscheinlich, Captain«, ließ sich Spock vernehmen.

»Natürlich verlangen wir eine angemessene finanzielle Entschädigung von Ihnen«, fuhr Kreth fort. »Doch wie sollen Sie für Ihre übrigen Verbrechen sühnen? Ihre Andeutung den boacanischen Ministern gegenüber, der Angriff sei von uns ausgegangen …«

»Es war eine Möglichkeit. Inzwischen wissen wir, dass Sie keine Schuld trifft. Der Aggressor stammt aus der Föderation …«

»Na bitte!«

»Doch er handelte nicht im Auftrag des Völkerbunds. Die Besatzung des kleinen Schiffes besteht aus einigen begabten, aber psychisch gestörten Kindern, die aus einem speziellen Institut in diesem Quadranten flohen. Sie sind unberechenbar und …«

Kreth schnaufte abfällig. »Kinder, wie? Eine einfallsreiche Ausrede, Kirk, aber sie ist nicht plausibel. Nein. Es sind ganz eindeutig von Starfleet entsandte Föderationsterroristen am Werk, die tausendfachen Mord verübten und alle wichtigen interstellaren Gesetze brachen.«

»Ich finde es erstaunlich, dass Ihnen plötzlich so viel an den interstellaren Gesetzen liegt«, kommentierte Kirk. »Früher dachten Sie ganz anders darüber, nicht wahr? Zum Beispiel erinnere ich mich daran, dass Ihr Imperium ziemlichen Krach schlug, als es um das Recht der Romulaner ging, die neutrale Zone in jede beliebige Richtung auszudehnen.«

»Legen Sie solche Maßstäbe für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation an, Kirk?«, knurrte der klingonische Commander. »Nun, vielleicht ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, dass die Romulaner keineswegs das Recht forderten, Spione und Angreifer über ihre Grenzen zu schicken.«

»Was auch für die Föderation gilt«, betonte Kirk. »Deshalb beabsichtigen wir, das kleine Schiff zu finden und aufzubringen. Wissen Sie, im Gegensatz zu Ihnen halten wir es nämlich für sinnvoll, Grenzen und dergleichen zu respektieren.«

»Ihr Verhalten beweist das Gegenteil. Sie haben es zu weit getrieben und müssen nun die Konsequenzen dafür tragen.« Kreths Stimme klang jetzt drohend. »Sie scheinen auf einen Krieg aus zu sein.« Er formulierte jenes Wort mit unüberhörbarem Genuss, und in seinen Augen funkelte es erneut. »Aber bei der Durchführung Ihres Plans ließen Sie es an Geschick mangeln, Kirk. Ihre Feinde verbünden sich gegen Sie.«

»Die Föderation der Vereinten Planeten versucht immer, Konflikte zu vermeiden. Darüber hinaus läge es sicher nicht in unserem Interesse …«

»Romulaner und Klingonen verstehen sich besser als jemals zuvor«, unterbrach Kreth den Captain. »Sowohl im Reich als auch im Imperium reagierte man mit Besorgnis auf den Umstand, dass Sie den kleinen Starfleet-Kreuzer mit einer neuartigen Tarnvorrichtung ausgestattet haben. Es liegt in unserem Interesse, so gefährliche Experimente der Föderation zu unterbinden.«

»Klingonen und Romulaner, die einander genug Vertrauen entgegenbringen, um ein Bündnis zu schließen?«, fragte Kirk verächtlich. »Das ist ebenso wahrscheinlich wie Schnee in der Hölle.«

Kreth überhörte die letzte Bemerkung – oder vielleicht verstand er sie gar nicht. »Es gibt noch andere Freundschaften, die der Völkerbund mit seiner Verschlagenheit geschaffen hat.« Der Übertragungsfokus glitt fort von Kreth und zeigte eine Gestalt neben dem Kommandosessel: Iogan, Minister für öffentliche Wohlfahrt von Boaco Sechs. Ganz deutlich stellte er seine Verbindung mit den Klingonen zur Schau, schien sogar stolz darauf zu sein!

»Wissen Sie, Captain …«, begann Iogan und schnitt eine finstere Miene, »Tamara Engel und ich versuchen, die Pflichten unserer verstorbenen Gefährtin und Kollegin Irina wahrzunehmen. Es ist sehr schwer, Ersatz für sie zu finden.«

»Was machen Sie an Bord des imperialen Schlachtschiffs?«, fragte Kirk leise.

»Die Föderation hat bewiesen, dass man ihr nicht trauen kann.«

»Die Föderation ist Ihre einzige Hoffnung darauf, auch weiterhin jenen Planeten zu kontrollieren, den Sie im Verlauf eines langen Kampfes befreit haben.«

»Die Klingonen unterstützen den Rat der Jungen …«

»Ich meine echte Kontrolle.«

»Kirk …«, grollte Kreth. »Halten Sie sich mit Ihren Kommentaren zurück. Und richten Sie Ihre Bemerkungen an mich.«

Jim schüttelte den Kopf. »Nein, ich wende mich damit an Iogan, weil er nach wie vor unabhängig ist. Noch sind er und seine Heimatwelt nicht zu Ihrem Besitz geworden.«

»Sparen Sie sich die Föderationspropaganda.«

»Sehen Sie sich um«, fuhr Kirk fort und richtete seine Aufmerksamkeit dabei auf den jungen Minister. »Beobachten Sie die Vorgänge an Bord des Schiffes. Gewinnen Sie einen umfassenden Eindruck vom klingonischen Imperium und den abgelegenen Welten, die in seinen Einflussbereich gerieten. Und fragen Sie sich dann, ob Ihre Heimat einen solchen Weg einschlagen soll. Tausende sind im Kampf gestorben, um Boaco Sechs vom Joch der Unterdrückung zu befreien, von Herrschern wie Markor und Puil. Haben sich so viele Boacaner geopfert, damit Sie zu Vasallen der Klingonen werden?« Kirk sah, wie Iogan erbleichte. »Denken Sie darüber nach!«, drängte er. »Denken Sie daran, mit wem Sie sich einlassen.«

Kreth trat vor. »Ich warne Sie, Kirk«, knurrte er. »Sie treiben die vereinte Streitmacht von Imperium und Reich an den Rand eines Krieges. Es gibt nur einen Weg, um eine solche Katastrophe zu vermeiden: Ersetzen Sie den angerichteten Schaden; und liefern Sie die dafür verantwortlichen Terroristen aus, damit sie bei uns vor Gericht gestellt werden können.«

»Unsere Behörden werden sich um die Kinder kümmern«, erwiderte Kirk.

Kreth lachte spöttisch. »Ich schätze, in diesem Fall reicht eine Tracht Prügel kaum aus. Nun, lassen Sie sich durch den Kopf gehen, was ich Ihnen gesagt habe, Captain.« Er grinste arrogant, als er sich andeutungsweise verneigte und dann den Kom-Kanal schloss. Sein Abbild verschwand vom Wandschirm, wich den Sternen. Kirk nahm im Kommandosessel Platz und lehnte sich zurück.

»Ich nehme an, die Klingonen wenden sich mit einer ähnlichen Botschaft an Starfleet Command«, sagte Spock.

»Ja«, entgegnete Kirk. »Sie versuchen, die Sache mit den Kindern so weit wie möglich zu ihrem Vorteil zu nutzen. Bestimmt wissen sie, dass es sich nicht um Terroristen oder Spione handelt.«

Fähnrich Michaels hielt einmal mehr neben der Tür des Turbolifts Wache und verstieß erneut gegen die Regeln, als er sagte: »Entschuldigen Sie bitte, Sir. Glauben Sie, die Klingonen und Romulaner könnten sich tatsächlich dazu hinreißen lassen, uns den Krieg zu erklären?«

Kirk vollführte eine vage Geste. »Ich bezweifle es. Der Zwischenfall war nicht ernst genug, und das boacanische Sonnensystem hat keine strategische Bedeutung für sie. Andererseits: Schon seit Monaten gibt es erhebliche Spannungen zwischen Reich und Imperium einerseits und der Föderation andererseits. Wie dem auch sei: Ich glaube, die eigentliche Sorge von Romulanern und Klingonen gilt der neuen Tarnvorrichtung.«

»Eigentlich seltsam«, sagte Spock. »Der Apparat führt nun zu einer interstellaren Krise – obwohl er als Abschreckungsmittel fungieren sollte.«

»Ein Abschreckungsmittel, das gleichzeitig provoziert«, meinte Kirk. »Trotzdem bin ich ziemlich sicher, dass diese … defensive Innovation nicht genügt, um Klingonen und Romulaner zu einem Bündnis zu veranlassen. Sie trauen sich gegenseitig ebenso wenig wie uns.«

Dann dachte Kirk an die Bedeutung von Iogans Präsenz an Bord des Schlachtschiffs. Plötzlich fühlte er sich müde und erschöpft. Vielleicht sollte ich mir doch etwas von Pille geben lassen.

»Mr. Spock …«, sagte er und ging zum Turbolift. »Sie haben das Kommando.«