Tamara Engel blickte durch das hohe Fenster in der Mauer. Purpurner Sonnenschein glänzte ins Zimmer, glitt über die langen Flechten aus dunklem Haar.
Ein Treffen stand ihr bevor, und Tamara freute sich nicht darauf. Sie war dem Mann schon einmal begegnet, um eine grundsätzliche Vereinbarung zu treffen. Er erschien ihr glatt und windig, kam nicht nur im Auftrag seiner Regierung. Und jetzt ergab sich ein wichtiger Vorteil für ihn: Bestimmt wusste er, dass die Situation für den Rat der Jungen immer schwieriger wurde.
Sie straffte die Schultern und drehte sich mit dem Stolz eines tapferen Soldaten um, als es hinter ihr leise an der Tür klopfte. Eine junge Frau sah herein. »Der Repräsentant des romulanischen Reiches ist eingetroffen, Tamara. Er wartet draußen und lehnt es ab, mir seine Waffe zu überlassen.«
Tamara Engel überlegte kurz. »Soll er sie behalten. Führen Sie ihn zu mir.«
Kurz darauf kehrte die Sekretärin mit einem hochgewachsenen, arrogant wirkenden Romulaner zurück. Er zog den Kopf ein, bevor er durch die vergleichsweise niedrige Tür trat. Tamara musterte ihn: spitz zulaufende Ohren, geschwungene Brauen, das kühle, humorlose Lächeln … Die Aura des Mannes vermittelte ein Gefühl der Bedrohung – ein Eindruck, der vom romulanischen Phaser im Gürtelhalfter noch verstärkt wurde.
Tamara richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und versuchte, Selbstsicherheit auszustrahlen.
»Es freut mich, Sie wiederzusehen, Miss Engel«, sagte der Besucher. »Ich hoffe, wir können nun eine geschäftliche Übereinkunft erzielen.«
»Ich bin bereit, mir Ihre Vorschläge anzuhören, Gesandter Tarn«, erwiderte Tamara.
»Nun gut. Uns bleibt nur wenig Zeit für Verhandlungen – Ihre Revolution braucht so schnell wie möglich Hilfe.« Die Anteilnahme in Tarns Stimme klang falsch und geheuchelt. Sein Gebaren stand in einem krassen Gegensatz zu den allgemeinen Vorstellungen in Hinsicht auf Romulaner. Sie galten als spartanisch und zurückhaltend, wie es ihrer vulkanischen Abstammung gebührte. Zwar teilten sie nicht mehr die kompromisslose Ehrlichkeit der Vulkanier und hatten auch das Bemühen aufgegeben, alles Emotionale zu unterdrücken, Logik und Rationalität absolute Priorität einzuräumen. Aber angeblich hatten sie sich die vulkanische Würde bewahrt. Tamara entsann sich: Vor der ersten Begegnung mit Tarn war sie von der Vermutung ausgegangen, den stolzen Emissär eines Kriegervolkes zu empfangen. Statt dessen bekam sie es mit einem hinterhältigen Geschäftemacher zu tun.
»Das romulanische Reich bietet dem Rat der Jungen seine volle Unterstützung an«, fuhr Tarn fort. »Die Ausrüstungsgüter können innerhalb einer Woche geliefert werden. Ich schlage vor, wir treffen jetzt eine endgültige Vereinbarung.«
»Zuerst möchte ich wissen, in welcher Eigenschaft Sie das Reich vertreten«, sagte Tamara.
»Ich bin beauftragt, die in Aussicht gestellte Lieferung zu arrangieren.«
»Und doch …« Tamara ging langsam um den Romulaner herum. »Sie sind auch ein unabhängiger Waffenhändler, nicht wahr? Sie selbst haben die versprochenen Ausrüstungsmaterialien beschafft. Und natürlich bedeutet das Geschäft mit uns einen hohen Profit für Sie.«
»Was spielt es für eine Rolle?« Tarn lächelte jetzt nicht mehr.
»Ich möchte wissen, wer für was zuständig ist«, betonte Tamara. »Wenn sich die gelieferten Apparaturen als unzureichend erweisen, wenn wir mit ihnen unzufrieden sind … An wen wenden wir uns dann? Ans romulanische Reich? Oder an Sie?«
»Was die Geschäfte mit Ihnen betrifft, verfüge ich über eine offizielle Autorisierung des Reiches«, zischte Tarn. »Anders ausgedrückt: Wenn Sie aus irgendeinem Grund nicht mit meinen Diensten zufrieden sein sollten, so liegt die letztendliche Verantwortung bei den romulanischen Behörden. Das wird man Ihnen gern bestätigen – Sie brauchen nur einen Kom-Kontakt herzustellen.«
»Ich habe mehrmals versucht, mich mit dem Reich in Verbindung zu setzen«, erwiderte Tamara. »Mit codierten Subraum-Signalen. Ich habe um eine Erklärung gebeten. Auf die Antwort warte ich nach wie vor.«
»Vielleicht trafen Ihre Signale nie im Reich ein«, spekulierte Tarn. »Immerhin kommt es in diesem Quadranten häufig zu Ionenstürmen. Möglicherweise sind Ihre Sender von geringer Qualität.«
Tamara nickte. »Das könnte durchaus sein. Immerhin stammen die entsprechenden Geräte aus romulanischer Produktion.«
Tarn zuckte mit den Schultern. Er erfüllte Tamara mit Zorn, und hinzu kam Ärger in Bezug auf ihre eigene Situation. Er bot nicht gerade ein Musterbeispiel für die Tugenden der Romulaner – ganz offensichtlich hielt man es im Reich nicht für erforderlich, bei den Boacanern einen guten Eindruck zu erwecken. Mit anderen Worten: Der Emissär kam einem Hinweis darauf gleich, wie die Rihannsu Boaco Sechs einschätzten. Und wir können nicht einmal dagegen protestieren, fuhr es Tamara durch den Sinn. Die Orioner waren nicht imstande, ihnen die benötigten Materialien zu liefern. Der Rat der Jungen war auf die Romulaner angewiesen – und das wusste man im Reich.
»Na schön, Tarn. Kommen wir zu den Einzelheiten. Nennen Sie mir den Umfang der möglichen Lieferungen. Und wie viel verlangen Sie dafür?«
Tarn nannte die entsprechenden Zahlen. Als Tamara den Preis hörte, schnappte sie verblüfft nach Luft und lachte ungläubig.
»Das soll wohl ein Scherz sein, wie? Die Summe geht über den Jahreshaushalt des Rates hinaus.«
»Das tut mir leid. Nun, Sie könnten auch auf eine andere Weise bezahlen. Zum Beispiel mit Argea.«
»Mit Argea? Welcher Nutzen ergäbe sich daraus für die Romulaner? Bei Ihnen wirkt die Substanz gar nicht – Ihre Physiologie ist ganz anders beschaffen.«
»Das stimmt. Aber wir wären in der Lage, das Argea weiterzuverarbeiten. Die Distribution würde durch … inoffizielle Kanäle erfolgen.« Tarn zwinkerte.
Tamara nickte erneut. Aus dem gleichen Grund akzeptierten Orioner Argea-Zahlungen: Sie verkauften die Substanz auf dem schwarzen Markt von Welten mit humanoiden Bewohnern. Bedienten sich die Romulaner ähnlicher Geschäftsmethoden?
»Vielleicht verkaufen wir das weiterverarbeitete Argea sogar an Boacaner«, fügte Tarn hinzu. »Wie ich hörte, gibt es für die entsprechende Arznei einen Markt auf Ihrem Planeten.«
Jetzt übertreibt er es mit seinem Spott, dachte Tamara. Langsam und lautlos zählte sie bis fünf, um die Beherrschung zu wahren. »Auf welche Weise sollen wir Ihnen das Argea liefern?«
»Wir schicken einige Schiffe, um hundert Quadratkilometer Wald abzuholzen«, antwortete Tarn sofort. »Die Wahl der betreffenden Region steht Ihnen frei. Unsere Transporter könnten schon morgen hier sein.«
»Vorhin erwähnten Sie, dass wir die Ausrüstungsgüter erst in einer Woche erhalten«, sagte Tamara scharf.
»In unserem Fall kann die Lieferung nicht direkt erfolgen. Oder soll die Föderation erfahren, dass Sie eine große Anzahl von Raumschiffen und Waffen aus dem romulanischen Reich erhalten?«
»Nein. Angesichts der besonderen Umstände scheint Diskretion angeraten.«
»Das gilt auch für Ihren Nachbarn Boaco Acht. Es kann sicher nicht schaden, wenn Sie die Möglichkeit haben, jener Welt eine … Überraschung zu bereiten.« Tarn zwinkerte zum zweiten Mal, und Tamara fragte sich, ob sie beim dritten Mal der Versuchung erliegen würde, dem hochmütigen Mistkerl die Faust ins Gesicht zu rammen.
»Sie erwarten von uns, dass wir Ihnen erlauben, einen so großen Bereich unserer Heimat in Ödland zu verwandeln? Ohne zu wissen, was Sie uns liefern? Nie zuvor haben wir ein so großes Geschäft mit dem Reich abgeschlossen …«
»Sind Sie jemals mit unseren Waren unzufrieden gewesen?«
»Sogar sehr oft. Aber wenigstens bekamen wir sie.«
»Ihre Andeutungen beleidigen mich, Ministerin. Ich gebe Ihnen den guten Rat, sich nicht unsere Feindschaft zuzuziehen. Wenn Ihnen Boaco Acht den Krieg erklärt – was dann?« Tarn wölbte eine Braue. »Glauben Sie etwa, dass Ihnen die Föderation Waffen verkauft? Nein, es ist besser für Sie, unser Angebot anzunehmen.«
Tamara schluckte. »Lassen Sie uns wenigstens den Umfang des Geschäfts verringern.« Sie versuchte, ihrer Stimme auch weiterhin einen festen Klang zu verleihen. »Die Gleiter und maritimen Fähren, die Baumaterialien … Darauf können wir verzichten. Derzeit benötigen wir nur die Raumschiffe und Waffen.«
»Größe und Ausmaß der Transaktion sind bei unserem letzten Gespräch festgelegt worden«, sagte Tarn. »Wir sind dabei, die von Ihnen genannten Materialien zu beschaffen. Einschränkungen des Lieferumfangs werden hiermit abgelehnt. Entweder alles oder nichts. Wie entscheiden Sie sich? Ich werde allmählich ungeduldig.«
»Ich bin nicht befugt, eine derartige Entscheidung allein zu treffen«, log Tamara. »Heute Nachmittag versammelt sich der Rat, um diese Angelegenheit zu erörtern.«
»Man berichtete mir, dass Ihr Rat gewisse … Probleme hat.«
»Sie sollten nicht allen Gerüchten Glauben schenken«, erwiderte Tamara spitz. »Wir haben eine sehr geschätzte Kollegin verloren …« Nur mit Mühe widerstand sie der Versuchung, sich an die Wand zu lehnen – diesem Mann gegenüber durfte sie keine Schwäche zeigen. »Ein weiterer Minister ist auf Reisen, und einige andere befinden sich auf dem zweiten Kontinent. Aber die übrigen Angehörigen des Rates sind in der Hauptstadt und werden Ihr großzügiges Angebot diskutieren.«
»Lassen Sie sich nicht zu viel Zeit mit der Diskussion«, entgegnete Tarn mit unüberhörbarem Hohn. »Wenn Sie jetzt so freundlich wären, mir mein Quartier zu zeigen … Ich möchte mich ausruhen.«
Tamara Engel rief ihre Sekretärin. Die junge Frau führte den Romulaner fort, und Tamaras Blick klebte an seinem Rücken fest, bis der Mann hinter einer Ecke verschwand. Wieder hatte sie das Gefühl, das Opfer einer geradezu empörenden Ungerechtigkeit zu sein. Das Volk dieser Welt ist einzigartig und hat lange genug gelitten. Es verdient Frieden und Harmonie. Und doch … Wenn man galaktische Maßstäbe anlegt, scheint es völlig unwichtig zu sein.
Eine Stunde später kam Noro zu ihr. Als er eintrat, saß Tamara auf dem Boden, im durchs Fenster filternden Sonnenschein: die Beine angezogen und die Arme darum geschlungen.
»Du hast eine Versammlung des Rates einberufen«, sagte er behutsam. »Es geht dabei um das Geschäft mit den Romulanern, stimmt's?«
Tamara nickte. »Sie stellen unfaire Bedingungen, doch ich fürchte, uns bleibt nichts anderes übrig, als sie zu akzeptieren. Trotzdem: Zuerst sollten wir im Rat darüber sprechen.«
»Damit meinst du die gegenwärtig präsenten Ratsmitglieder«, sagte Noro und lächelte schief.
»Sie genügen, um einen Beschluss zu fassen.« Tamara stand auf. »Ich bedauere nur, dass Iogan nicht hier ist. Er hat immer wieder betont, dass wir den Romulanern vertrauen können. Vielleicht würde er seine Meinung ändern, wenn er Gelegenheit erhielte, Tarn kennenzulernen.«
Noro senkte den Kopf und versuchte, Tamara nicht anzustarren. Sonnenlicht schimmerte über ihr Haar hinweg, verlieh ihr einen ganz besonderen Reiz. Er bewunderte diese Frau schon seit einer ganzen Weile, und der damit einhergehende Schmerz war ein alter Bekannter für ihn. »Vielleicht ist Iogans Vertrauen gerechtfertigt«, sagte er. »Vielleicht sind die Romulaner bereit, in uns zu investieren – weil sie Boaco Sechs als Verbündeten gewinnen möchten.«
Tamara schürzte skeptisch die Lippen. »Nein, dafür sind wir nicht wichtig genug. Und zu weit entfernt. Ich habe ein ungutes Gefühl bei dieser Sache«, fügte sie hinzu und stellte sich Tarns spitze Ohren vor, den Spott in seinen Zügen. »Ich glaube, wir schicken uns an, einen Pakt mit dem Teufel zu schließen, wie es bei den Terranern heißt. Verdammt! Ganz gleich, aus welchem Volk die interstellaren Waffenhändler stammen: Sie alle gehören zum galaktischen Abschaum. Und doch … Die romulanische Regierung weiß, dass Tarn hier ist. Sie hat ihn geschickt. Und für uns gibt es eigentlich keine Alternative. Nun, wenigstens haben wir Gelegenheit, die Romulaner und ihre Zuverlässigkeit auf die Probe zu stellen.«
Sie verließen den kleinen Konferenzraum und schritten durch den Flur. Noro berichtete von den Fortschritten, die bei einem Bildungszentrum auf dem anderen Kontinent erzielt wurden. Tamara hörte zu, doch ihre Gedanken kehrten immer wieder zu den romulanischen Transportern zurück, die irgendwo durchs All flogen, und deren Fracht … Was würde diese Fracht bewirken? Unterstützung für die Revolution? Oder brachten die Raumer neue Fesseln und Ketten?
Einmal war Tamara zwischen den Sternen unterwegs gewesen. Während der Herrschaft von Puil hatte sie Universitätslehrgänge auf verschiedenen Welten der Föderation besucht, dort völlig andere Kulturen und Traditionen kennengelernt. Als sie zurückkehrte, sollte sie einen Platz in der Elite ihrer Heimat einnehmen – und kehrte ihr statt dessen den Rücken. Damals entschied sie sich dafür, die eigene Welt zu entdecken und für die Freiheit des boacanischen Volkes zu kämpfen.
»Ich habe mit meinem jüngeren Bruder gesprochen«, teilte sie Noro mit. »Er hat mich gestern Abend besucht. Meine Eltern wissen vermutlich von unseren Kontakten. Angeblich gewöhnen sie sich allmählich an die neuen Verhältnisse auf diesem Planeten. Vielleicht sind sie bald zu einer Aussöhnung mit mir bereit.« Tamara lachte bitter.
»So etwas ist ermutigend, wenn man die Umstände berücksichtigt«, erwiderte Noro. Nur ein einziges Mal hatte er Boaco Sechs verlassen, um einen der Monde zu besuchen – ein Abenteuer während seiner Kindheit. Er war ein furchtloser Kämpfer und ein guter Minister, doch es mangelte ihm an Takt und guten Umgangsformen. Wenn er Tamara begegnete, brachte sein Gesicht fast komisch anmutende Ehrfurcht zum Ausdruck. Sie fühlte sich von Zuneigung erfasst und drückte ihm die Hand.
»Komm, mein Freund«, sagte sie. »Es wird Zeit für die Versammlung. Vielleicht warten die anderen Ratsmitglieder schon auf uns.«
»Hast du vor, eine Abstimmung zu beantragen?«
»Ja. Ich berichte von Tarns Angebot. Und anschließend stimmen wir ab.«
Noro folgte ihr durch den langen Flur zum Portal des großen Saals. Tamara dachte erneut ans All und fragte sich, ob es in der kalten Unendlichkeit irgendwo einen Freund gab. Wenn das der Fall sein sollte … Wo befand er sich jetzt?