Kapitel 24

 

CAPTAINS LOGBUCH: STERNZEIT 6119.2

 

Wir haben den Notfall überstanden. Trotz unserer Bemühungen kamen zwei Kinder ums Leben, aber wenigstens konnten wir einen interstellaren Krieg verhindern. Die Klingonen behaupteten nicht noch einmal, von der Sperling sei erheblicher Schaden im Imperium angerichtet worden – Kreths Debakel scheint für erhebliche Verlegenheit gesorgt zu haben. Die Föderation bot den Klingonen eine faire Summe als Entschädigung an, und sie wurde kommentarlos akzeptiert.

Der Revolutionsrat von Boaco Sechs ist inzwischen davon überzeugt, dass unsere Schilderungen in Bezug auf den Zwischenfall, dem die beiden boacanischen Raumschiffe zum Opfer fielen, der Wahrheit entsprechen. Die Enterprise kehrt nach Boaco Sechs zurück, um vom erneuerten Vertrauen zu profitieren und zu versuchen, den Planeten vor einem ›Bündnis‹ mit Klingonen und/oder Romulanern zu bewahren. Statt dessen bieten wir die Hilfe der Föderation an. Ich bin recht optimistisch, was die Zukunft betrifft.

 

Die beiden hohen und üppig verzierten Flügel des Portals schwangen auf, und dahinter erstreckte sich der Saal, in dem der Revolutionsrat tagte. Kirk führte die von der Enterprise entsandte Delegation in die große und hell erleuchtete Kammer. Ein weinrotes Tuch bedeckte den langen Tisch, und erlesener schwarzer Brandy glänzte in kostbaren Metallkelchen. Kirk trug einmal mehr seine Galauniform – inzwischen fühlte sie sich vertraut an – und straffte die Schultern, als er den Gastgebern entgegentrat.

Alle Mitglieder des Rates der Jungen von Boaco Sechs hatten sich versammelt: eine Gruppe aus erstaunlich jungen Männern und Frauen – einige von ihnen schienen bis vor kurzer Zeit Teenager gewesen zu sein. Im Vergleich zu ihnen wirkte der einzige alte Angehörige des Rates besonders ehrwürdig. Kirk bemerkte auch vier Männer in mittleren Jahren und am Ende des langen Tisches, die er jetzt zum ersten Mal sah.

Die jungen Revolutionäre hatten den Saal sorgfältig geschmückt und für sich selbst passende Kleidung gewählt. Tamara Engel schritt am Tisch vorbei, näherte sich Kirk und streckte die Hand aus. Ihr langes dunkelblaues Gewand bestand aus dem traditionellen, handgewebten Stoff, und am Hals glänzte eine kristallene Brosche. Ein Schal schien um ihre Schultern zu fließen. Komplexe Stickmuster darin formten Spiralen und Tränen. Das lange Haar reichte wellenförmig darüber hinweg.

»Captain Kirk …«, grüßte sie. »Wir freuen uns sehr über Ihre Rückkehr und hoffen, dass wir die Missverständnisse während Ihres letzten Besuchs überwinden können. Uns liegt jetzt noch mehr als vorher daran, gute Beziehungen zur Föderation herzustellen.«

»Es ist mir eine Ehre und auch eine Freude, wieder hier zu sein, Tamara Engel. Die Föderation vertritt ebenfalls den Standpunkt, dass bessere Kontakte zwischen uns beiden Seiten zum Vorteil gereichen.«

Tamara führte Kirk und seine Begleiter zum Tisch, wo man sie den einzelnen Ratsmitgliedern vorstellte. Schließlich deutete die Boacanerin zu den vier Männern in mittleren Jahren, und so etwas wie Stolz erklang in ihrer Stimme, als sie sagte: »Jene Herren sind Delegierte, die unseren Nachbarplaneten Boaco Acht repräsentieren. Wie Sie sehen, Captain, haben wir in diesem Sonnensystem mit Verhandlungen begonnen. Derzeit besteht keine Kriegsgefahr mehr, und vielleicht können wir das Misstrauen zwischen den beiden boacanischen Welten für immer überwinden.«

Die vier Männer verbeugten sich, und Kirk folgte ihrem Beispiel. Dann nahmen er und seine Offiziere Platz. Auch Iogan war zugegen und saß rechts von Tamara. Amüsiert beobachtete der Captain, wie Iogan aufstand und versuchte, sehr würdevoll zu wirken, als er die Kelche mit Brandy füllte. Man brachte Tabletts mit Speisen, und dieser Vorgang kam einer feierlichen Zeremonie gleich.

Es sind Revolutionäre, aber sie lernen rasch, dass unter bestimmten Umständen auch Äußerlichkeiten und Umgangsformen wichtig sind. Sie schmeicheln uns, indem sie uns wie Diplomaten behandeln.

Bevor die Mahlzeit begann, hob Iogan seinen Kelch zu einem Trinkspruch. »Auf unsere Freunde in der Föderation. Auf dass wir lernen, uns nicht mit Vorurteilen zu begegnen, unsere Unterschiede zu respektieren und Gemeinsamkeiten als solche zu erkennen.«

Ein allgemeines »Hört, hört« erklang, und dann wurden die Trinkgefäße geleert. Kirk erinnerte sich daran, dass sich Tamara beim Toast in der Taverne auf ein schlichtes »Prost und zum Wohl« beschränkt hatte. Ein dünnes Lächeln umspielte seine Lippen. Diese jungen Leute hätten es bestimmt vorgezogen, die Verhandlungen in einer zwanglosen, legeren Atmosphäre stattfinden zu lassen, doch es galt, die Traditionen zu achten. Macht war sicher aufregend, aber sie brachte auch viele Verpflichtungen mit sich und zwang zu der Kunst, Kompromisse zu schließen. Jim stellte fest, dass die Revolutionäre auch in dieser Hinsicht erhebliche Fortschritte erzielten.

Wächter kamen mit langen Holzfackeln herein, entzündeten damit kleinere Fackeln an den Wänden des großen und hohen Raums. Kurz darauf flackerte es überall, und Schatten tanzten hin und her. Ein aromatischer, harziger Duft breitete sich aus; der Rauch stieg auf und zog durch Entlüftungsschlitze in der Decke ab. Mayori, ältestes Mitglied des Rates der Jungen, schloss die Augen und begann mit einem jammernd klingenden Gesang. Die Worte stammten aus der alten Sprache des Volkes von Boaco Sechs – Kirk verstand sie nicht.

»Dieses Ritual hat seine Wurzeln in den boacanischen Bräuchen, Captain«, flüsterte Spock. »Es findet bei wichtigen Feiern und anderen besonderen Anlässen statt. Mit dem Fackelschein sollen die beiden Gestirne dieses Sonnensystems geehrt werden.«

Auch die Delegierten von Boaco Acht waren beeindruckt. Sie schlossen ebenfalls die Augen und hörten mit großer Aufmerksamkeit zu.

Als Mayori verstummte, wurden die Kelche einmal mehr mit Brandy gefüllt, und die jungen Ratsmitglieder nahmen ihre Pflichten als Gastgeber wahr, indem sie das Essen servierten. Auf einem Tablett in der Mitte des Tisches lag das prächtige Lendenstück eines sechsbeinigen Dschungeltiers, und das Fleisch unter der süßlich duftenden Soße schien noch immer zu brutzeln. Kräuter und spezielle Blumen kamen als Garnierung hinzu. Teller und Schüsseln boten Fisch und Geflügel an, Fleisch an Spießen, umwickelt mit gedünsteten Algenfladen. Für den Vegetarier Spock standen Obst und Gemüse bereit. Kirk hörte, wie es zwischen Leonard und dem Vulkanier erneut zu einem freundschaftlichen Streit kam: Leonard McCoy wies den Ersten Offizier darauf hin, er sei es den Gastgebern schuldig, wenigstens von dem Fleisch zu probieren.

Der Captain wandte sich Tamara Engel zu, als sie seinen Kelch füllte.

»Trinken Sie, Jim. Wer von uns es schafft, den anderen unter den Tisch zu trinken, wird zum Sieger in Sachen Diplomatie erklärt.«

»Das ist nicht fair, Tamara. Sie sind mit diesem Zeug aufgewachsen. Bei einem Zechduell könnten Sie mich mit links schlagen.«

»Mit … links?«

»Schon gut. Es freut mich, Sie wiederzusehen. Und ich bin froh, dass Sie mich nicht mehr für einen Spion oder Strohmann der Föderation halten.«

»Es tut mir leid, dass wir Ihnen Argwohn entgegenbrachten«, erwiderte Tamara in einem entschuldigenden Tonfall. »Ich bitte Sie hiermit ausdrücklich um Verzeihung. Wir haben zu schnell über Sie geurteilt und Ihren Feinden zu sehr vertraut.«

Kirk sah an ihr vorbei zu Iogan, der sich über den Tisch hinweg mit Noro unterhielt. »Ich nehme an, Iogan kehrte nicht mit einem sehr günstigen Bericht in Hinblick auf Kreth und die klingonischen Waffenhändler zurück, oder?«, fragte er leise.

Tamara Engel schüttelte den Kopf. »Er kehrte voller Abscheu heim«, entgegnete sie ebenso leise. »Die Zustände an Bord des Schiffes, das Verhalten der Klingonen einem Kolonialplaneten gegenüber, den sie besuchten, ihre allgemeinen Gebarensmuster, schließlich die Zerstörung des kleinen Schiffes, das Sie vor der Vernichtung zu bewahren versuchten … Diese Dinge übten einen nachhaltigen Einfluss auf Iogans Einstellungen und Ansichten aus. Wir halten nichts davon, Kinder zu töten. Iogan ist jetzt der Meinung, dass die Klingonen keine geeigneten Bündnis- und Geschäftspartner für uns sind.«

»Sie stehen nicht gerade in dem Ruf, besonders zuverlässig oder charmant zu sein. Wie dem auch sei: Zum Glück bekamen Sie rechtzeitig einen Eindruck von der wahren klingonischen Natur.«

»Ja«, sagte Tamara. »Wir wissen jetzt, dass der Angriff auf Irinas Raumfähre sowie das Schiff unseres Nachbarplaneten von kranken, geistesgestörten Kindern ausging. Was die vielen Sabotageakte betrifft, die wir zunächst der Föderation zur Last legten … Wir vermuten, dass die Klingonen dahinterstecken. Sie und die Orioner haben versucht, uns in einen Krieg mit Boaco Acht zu treiben. Wir bekamen falsche Informationen von ihnen. Sie verübten Anschläge auf unsere Frachtschiffe und ließen es so aussehen, als seien unsere Nachbarn oder der Völkerbund dafür verantwortlich. Den Orionern ging es ganz offensichtlich darum, Waffen an beide Seiten zu verkaufen, auf diese Weise durch den Krieg eine Menge Geld zu verdienen. Uns hingegen liegt der Frieden am Herzen.«

»Eine derartige Taktik ist typisch für Klingonen und Orioner«, meinte Kirk. »Es erleichtert mich, dass Sie die Wahrheit noch rechtzeitig genug erkannt haben.« Er spießte ein Stück Fleisch mit der Gabel auf und schob es sich in den Mund. Es schmeckte überraschend süß und zerging auf der Zunge.

»Was ist mit den Romulanern?«, fragte Kirk wie beiläufig. »Genießen sie noch immer Ihr Vertrauen? Sind sie, abgesehen von der Föderation, die einzige Macht in der Galaxis, zu der Sie Beziehungen unterhalten?«

Die junge Frau schnitt eine Grimasse. »Sie möchten wissen, was wir von den Romulanern halten? Na, schön, ich sag's Ihnen. Sie hatten Boaco Sechs gerade erst verlassen, als wir eine große Anzahl von maritimen Fahrzeugen, Gleitern, Raumschiffen und Waffen bei den Romulanern bestellten. Eine enorme Investition für uns. Wir bezahlten im Voraus, und die Lieferung erfolgte einige Tage später. Einige der Flugmaschinen können wir durchaus gebrauchen, aber bei den Waffen handelt es sich um … Schrott. Sie sind nicht nur primitiv, sondern alt, ausgebrannt und damit völlig nutzlos. Man hat uns übers Ohr geschlagen.«

»Gehauen«, sagte Kirk automatisch.

»Man hat uns übers Ohr gehauen«, betonte Tamara. »Das ist einer der Gründe dafür, warum wir bessere Beziehungen mit der Föderation anstreben.«

»Ich weiß Ihre Offenheit sehr zu schätzen.«

»Der Rat hat mich befugt, Ihnen folgendes mitzuteilen, Jim: Wir sind zu neuen Handelsvereinbarungen mit dem interstellaren Völkerbund bereit. Wir bieten Argea, Brandy und andere Dinge, für die bei Ihnen ein Markt existiert. Allerdings bestehen wir dabei auf fairen Preisen – wir haben nichts zu verschenken.«

»Das verstehe ich«, erwiderte Kirk ernst. Auch er hatte Verhandlungsvollmachten erhalten und hielt den Zeitpunkt für geeignet, um einige attraktive Vorschläge zu unterbreiten. »Die Föderation könnte Ihnen dabei helfen, hier auf Ihrem Planeten Anlagen für die Verarbeitung von Argea zu errichten. Dann wären Sie imstande, das Endprodukt sowohl selbst zu verwenden als auch nach Außenwelt zu verkaufen, zu einem von Ihnen selbst bestimmten Preis.«

Tamara musterte den Captain nachdenklich und auch ein wenig skeptisch. »Ich weiß nicht, ob wir noch mehr Hilfe von der Föderation annehmen können. Die von Ihnen erwähnten Verarbeitungszentren kosten eine Menge Geld, und wir sind schon jetzt enorm verschuldet. Apropos: Wir sehen uns außerstande, jene Schulden zurückzuzahlen, für die Puil und die anderen Tyrannen verantwortlich sind.«

Darauf hatte Kirk gewartet. Er nutzte die gute Gelegenheit, um Tamara einen diplomatischen Leckerbissen anzubieten. »In der Föderation erwägt man, einen Teil der Schulden zu streichen. Es scheint kaum gerecht zu sein, wenn Sie für Puils Exzesse bezahlen müssen. Wir möchten, dass Ihre Welt zu wahrer Unabhängigkeit findet.«

»Sie wollen die Schulden … streichen?«

Die Verblüffung der Boacanerin amüsierte Kirk. »Sie scheinen nicht an eine faire Behandlung gewöhnt zu sein, Tamara.«

»Vielleicht haben Sie recht, soweit es die Föderation betrifft … Nun, ich glaube, ich könnte mich schnell daran gewöhnen.«

Die Ministerin lächelte. In dem blauen Gewand verwandelte sich die Revolutionärin in eine überaus reizende junge Frau.

»Und als ein weiteres Zeichen unseres guten Willens, Jim …« In Tamaras kastanienfarbenen Augen funkelte es. »Ich möchte Ihnen einige inoffizielle Informationen anvertrauen. Ein Bündnis zwischen Klingonen und Romulanern wird mit ziemlicher Sicherheit nicht zustande kommen. Iogan hat den Beginn der Uneinigkeit erlebt. Die Romulaner legten großen Wert auf die Möglichkeit, den Flint-Apparat zu erhalten, um ihn zu untersuchen und eine Möglichkeit für die Neutralisierung des Ortungsschutzes zu finden. Sie werfen den Klingonen vor, eine entsprechende Chance ruiniert zu haben. Das Imperium wiederum kritisiert ganz offen die Tatsache, dass wir minderwertige Waren aus dem Reich bekommen haben – angeblich ein klarer Beweis dafür, dass man den Romulanern nicht trauen kann.«

Kirk lächelte. »Ich wusste, dass diese Ehe zu einer baldigen Scheidung führen würde.«

Auf der anderen Seite des Tisches lachte Noro. »Wird da von ›Ehe‹ gesprochen? Haben sich unsere Beziehungen so schnell verbessert?«

Lautes Gelächter erklang, insbesondere von den übrigen Mitgliedern des Rates der Jungen. Tamara Engel rollte mit den Augen. »Seltsam, Jim: Ganz gleich, wo wir über Politik diskutieren – die Leute gewinnen immer eine ganz falsche Vorstellung.«

Kirk sah in ein schelmisches Gesicht und musste sich daran erinnern: Ich sitze neben dem Außenminister eines Planeten und bin mit einer ebenso wichtigen wie heiklen Mission beauftragt.

Tamara setzte ihre Ausführungen fort. »Zwar sprechen sich einige Stimmen im Rat noch immer dafür aus, Geschäfte mit Klingonen, Orionern und auch Romulanern abzuschließen, aber die Mehrheit hält es für angebracht, der Föderation eine zweite Chance einzuräumen. Zugegeben, in der Vergangenheit haben Sie uns ausgebeutet …«

»Sie meinen einige Mitglieder des interstellaren Völkerbunds.«

»Na schön, einige Ihrer Mitgliedswelten. Wie dem auch sei: Wir wissen, dass die Föderation noch während der Diktatur versuchte, dem Volk von Boaco Sechs mit bestimmten Entwicklungsprogrammen zu helfen. Doch unter einem so korrupten Regime konnten sie kaum echten Nutzen entfalten. Ich glaube, die Bewohner dieses Planeten ziehen den Völkerbund als Geschäfts- und Bündnispartner vor. Das gilt auch für den Revolutionsrat.«

Kirk sah die Boacanerin ernst an. »Wenn Sie mit uns zusammenarbeiten, so werden Sie feststellen, dass sich die Haltung der Föderation Ihrer Welt und der Revolution gegenüber verändert hat. Wir wissen, dass Sie es hier mit großen Herausforderungen zu tun haben und eine stabile Grundlage für Frieden, Freiheit und Demokratie schaffen wollen …«

Ein angetrunkener Delegierter von Boaco Acht stand auf, um einen begeisterten Toast auszubringen. Weitere Trinksprüche folgten, und es dauerte nicht lange, bis ein Klima der Ausgelassenheit herrschte. Später wurde das offizielle Essen von allen Beteiligten als voller Erfolg gerühmt.