Aber wo fängt man an? Das kleine »gallische« Dorf auf der Ostalb. Was bisher geschah:

1846

Niemand denkt an Fußball. Es gibt keine Regeln, keine Vereine. Nicht mal in England, dem Mutterland des Fußballs, wird nach Regeln gekickt. Dennoch gründen ein paar Pioniere 1846 auf der Schwäbischen Alb einen Sportverein, der bis ins Heute reicht. Das Jahr 1846 trägt der 1. FC Heidenheim noch immer im Vereinsnamen. Doch Fußball wird damals im 19. Jahrhundert nicht wirklich gespielt. Erst als sich im Jahr 1910 ein paar fußballbegeisterte Ingenieure der Firma Voith zum VfB Heidenheim zusammenschließen, werden erstmals Strukturen für den Fußball in Heidenheim geschaffen, wie an vielen anderen Orten auch zu dieser Zeit. 97 Jahre später wird der 1. FC Heidenheim 1846 in Folge der Abspaltung der Fußballabteilung vom Heidenheimer SB aus der Taufe gehoben – und seit 2007 sitze ich, Frank Schmidt, dort auf der Bank.

Das war so nicht abzusehen …

3. Januar 1974

Meine Eltern leben in Giengen an der Brenz, elf Kilometer von Heidenheim entfernt. Giengen ist berühmt für was? Genau: Steiff-Tiere. Teddys mit Knopf im Ohr, Puppen und Plüschtiere. Meine Mutter arbeitet als Näherin bei Steiff, mein Vater ist im Reifenhandel tätig. Nachts engagiert er sich bei der Pannenhilfe auf der Autobahn. Die Eltern arbeiten beide hart und viel. Wir sind schließlich Schwaben. Mein Vater hat außerdem eine kleine Band, eine Stimmungsband, das »Duo Schmidt«, gemeinsam mit meinem Onkel spielt er auf Hochzeiten, auf Geburtstagen und beim Fasching. Ich werde als zweites Kind geboren, mein älterer Bruder ist bei meiner Geburt bereits sieben Jahre alt – und noch bevor ich laufen kann, hat es mir ein kleiner Ball angetan. Meine Eltern sagen, rollende Bälle hätten mich von Anfang an fasziniert, ich hätte gegen alles und mit allem gekickt, was rollt.

Sommer 1979

In der Giengener Südstadt im Lehenweg 21 gibt es den »Blauen Hund«. Eine Institution, eine Gastwirtschaft aus einer anderen Zeit und doch zeitlos schön. Die Wand hinter der Theke besteht aus gemusterten braunen Kacheln, im Schankraum hellbraune Wirtshausstühle, der Boden gefliest, die Decke mit Holz verkleidet. Ein Sehnsuchtsort seit Jahrzehnten. »Die besten Göckele weit und breit«, die »leckersten Pommes«, das sagen alle. Die Karte liest sich wie ein Traum: Schnitzel, Kartoffelsalat, Schaschlik, stabil. Vor allem ist der »Blaue Hund« unser Ziel nach dem Bolzen.

Ich bin noch nicht einmal sieben Jahre alt. Das Einzige, was ich im Kopf habe, ist: Kicken. Zwischen den Garagen bei uns in der Straße kicken wir, auf Asphalt, immer zwei Mannschaften: Die einen sind der VfB Stuttgart, die anderen der FC Bayern. Wie so oft. Wir spielen Bayern gegen VfB. Man ist auf der Schwäbischen Alb entweder für Bayern oder für den VfB, beide Städte sind in etwa gleich weit weg von Giengen, das Bundesland Bayern nur wenige Kilometer entfernt. Manche von uns sind auch für Gladbach. Die meisten von uns entscheiden sich für einen Verein, weil der Vater sie mit zu den Spielen genommen hat, und dann bleibt man Fan, lebenslang. Für Giengen oder gar Heidenheim ist damals kaum einer. Da spielen auch keine Förster-Brüder, kein Rummenigge.

Ich bin der Jüngste, werde immer als Letzter gewählt – und muss dann auch noch ins Tor. Das ist der erste Ort, an dem ich mir meine Sporen verdienen muss. Die anderen sind alle vier, fünf Jahre älter, keiner ist so jung wie ich. Wir spielen auf Asphalt, wenn du hinfällst, scheuerst du dir die Knie auf. Heulen geht nicht, auch wenn es blutet, die Älteren würden mich auslachen. Ich muss mich durchbeißen. Die anderen sind größer, kräftiger, checken mich weg. Ich halte dagegen, irgendwie. Sich durchzusetzen, nicht klein beizugeben, das habe ich zwischen den Garagen gelernt, es hat mich tief geprägt.

Nach dem Kicken gehen wir alle zum »Blauen Hund«, die anderen haben Geld dabei, eine Mark, zwei Mark, können sich Pommes kaufen. Ich habe nichts, keinen Pfennig, muss hoffen, dass sie mir ein paar Pommes abgeben. Nicht immer bekomme ich was. Aber ich gehöre dazu. Doch ich will mehr. Im Herbst 1979 haben meine Eltern keine Wahl, sie müssen mich beim SC Giengen anmelden. Meinen Spielerpass kann ich nicht unterschreiben, kann ja noch weder lesen noch schreiben. Meine Mutter unterschreibt den Spielerpass. Seitdem bin ich in einem Fußballverein. Am Anfang stehe ich im Tor des SC Giengen, F-Jugend.

1981

Fan bin ich von Bayern München. Das ergibt sich so in diesem Jahr. Meine Mutter fährt mit mir ins Münchner Olympiastadion. Sie gibt meinem Drängen nach, endlich Paul Breitner und Calle Del’Haye live zu sehen. Der Verein hat mich gefunden, wie man so schön sagt. Dann werde ich richtiger Fan, das ganze Drum und Dran: Bayern-München-Bettwäsche, Poster an der Wand, Aufkleber und samstags um 15.30 Uhr mit dem Ohr am Radio. Überhaupt ist meine Mutter diejenige, die meine Fußballerkarriere begleitet, immer. Sie ist bei jedem Spiel dabei, kennt die Ergebnisse, fiebert mit. Mein Vater kann dem Fußball nicht so viel abgewinnen, er sieht sich als Musiker. Er ist zwar auch bei den Spielen dabei, unterhält sich aber lieber mit anderen Menschen. Nicht immer weiß er am Ende, wie unser Spiel ausgegangen ist, dafür hat er wieder neue Leute kennengelernt und sich gut unterhalten.

Unterstützt haben mich aber immer beide, sie wussten, dass ich spielen muss und dass das nicht aufhören wird. Mein Vater ist 2020 gestorben.

Meine Mutter sitzt heute noch bei jedem Heimspiel auf der Tribüne, als Schlaganfallpatientin fällt es ihr allerdings schwer, immer dabei zu sein. Aber sie muss sehen, wenn ihr Sohn an der Seitenlinie tobt und schreit. Sie ist mein treuester Fan.

DIE TREUEN FANS

Wir sind beim 1. FC Heidenheim 1846 dabei, eine Fan-Base aufzubauen, Schritt für Schritt. Viele werfen uns vor, wir hätten kaum Fans, keine Fankultur, und bei Auswärtsspielen sind manchmal nur 200 Anhänger dabei. O. k., aber wir bauen hier etwas auf. Und wir hatten auch schon Riesenresonanz, etwa, als wir im DFB-Pokal bei Bayern München 10 000 Fans dabeihatten. Deshalb ist klar: Mit jedem Erfolg steigert sich die Begeisterung in der Stadt – und in der Region, in der es Tausende potenzielle Fans gibt.

Ich freue mich über jeden Achtjährigen und jede Achtjährige, die ein FCH-Trikot tragen. Damit es mehr werden, müssen sie gute, prägende Erlebnisse in der Voith-Arena haben, sie müssen Spektakel erleben, leidenschaftliche Siege, schmerzvolle Niederlagen, unglaubliche Aufholjagden und Erfolge über vermeintlich stärkere Mannschaften. Sie müssen sehen, dass sich unser Team voll reinhaut, dass es etwas bringt, an etwas zu glauben, und am Ende ein Sieg oder sogar der Aufstieg stehen kann – und dass die Fans ein wichtiger Teil von uns sind. Wir müssen Geduld haben: Diejenigen, die als Kind 2014 den Aufstieg in die 2. Liga erlebt haben, sind heute 16 oder junge Erwachsene, und wenn sie den FCH im Herzen bewahrt haben, werden sie ihn weiter in ihren Herzen tragen. Wir glauben daran.

1985

Das kann nicht wahr sein. Unsere Schule, die Robert-Bosch-Realschule in Giengen, ist nicht bei den Oberschulamtsmeisterschaften in Weikersheim gemeldet. Unglaublich! Das große Fußballereignis für Schulen in der Region. Das Highlight des Jahres! Ich fasse es nicht.

Ich bin elf Jahre alt, komplett fußballverrückt und auf dieses Ereignis habe ich quasi hingearbeitet. Meine Freunde und ich können es nicht verstehen. Offenbar ist es aber so, dass die Lehrer keine Lust haben, sich für dieses außerschulische Ereignis zu engagieren. Sie müssten ein Team zusammenstellen, die Fahrt organisieren, müssten vor Ort die Mannschaft betreuen. Das scheint ihnen zu viel zu sein. Wir haben zwar eine Fußball-AG in der Schule, aber auch unseren Sportlehrer, Heinz Jakob, können wir nicht überzeugen.

Ich bin richtig sauer. Fußball ist mein Leben. In meinem Kopf geht es ums Kicken, ums Kicken und noch mal ums Kicken. Ich überlege, wie man es machen kann. Statt Hausaufgaben zu machen, tüftle ich an meinem Weikersheim-Plan, den ich am nächsten Tag umsetzen will.

Es beginnt damit, dass Herr Jakob zum Rektor gerufen wird. »Was ist mit Weikersheim, ich dachte, da fahren wir nicht hin?«, fragt der Rektor. »Da fahren wir auch nicht hin«, erwidert Jakob.

»Das ist aber komisch, offenbar liegt doch eine Meldung vor.«

»Eine Meldung?« Jakob ist irritiert.

Nun, die Erklärung ist recht einfach: Ich habe unsere Schule angemeldet.

Ich lasse mir doch die Chance auf ein Schulturnier nicht nehmen. Also melde ich den Schülerjahrgang 1973/1974 der Robert-Bosch-Realschule zum Oberschulamtsfinale an – ohne auf das O. k. der Lehrer zu warten.

Es gibt ein bisschen Ärger. Aber sie lenken ein und es findet sich auch einer, der uns nach Weikersheim begleitet. Allerdings sagt Sportlehrer Jakob zu mir:

»Frankie« – er war und ist der Einzige, der mich bis heute »Frankie« nennt –, »Frankie, aber nur unter einer Bedingung.«

»Und die wäre?«

»Du übernimmst das Kommando.«

Na logo.

Ich bin elf Jahre alt und organisiere nun das Team für Weikersheim, suche die besten Kicker fürs Turnier zusammen. Insgesamt fahren wir mit 30 Leuten nach Weikersheim. Ich mache die Aufstellung, entscheide, wer vorne, wer hinten spielt. Ich selbst spiele überall, hinten, vorne, Mitte.

Da ich wegen meines frühen Wachstums die anderen um ein, zwei Köpfe überrage, gibt es zwar ein bisschen Stress. Die anderen Schulen meinen, ich sei nicht mehr im Jahrgang, ich sei ein älterer Schüler, das würde man doch sehen. Aber das kann widerlegt werden.

Es ist ein Hammerturnier, wir gewinnen ein Spiel nach dem anderen, immer wieder baue ich die Mannschaft um – und am Ende gewinnen wir auch noch das Turnier. Wir sind Sieger im Oberschulamtsfinale! Was für ein Erfolg.

Kurz nach der Siegerehrung sagt Sportlehrer Jakob einen denkwürdigen Satz zu mir: »Du wirst als Trainer mal mehr Erfolg haben als als Spieler.«

Keine Ahnung, was er sich dabei dachte. Ich war elf Jahre, ein ganzes Fußballerleben lag noch vor mir. Trotzdem sagte er: Du wirst mal ein guter Trainer.

Heinz Jakob ist inzwischen 83 Jahre alt und schaut jedes unserer Spiele an, wenn sie auf Sky oder Sport1 übertragen werden. Weil meine Mountainbike-Strecke an seinem Haus vorbeiführt, halte ich manchmal an, dann frotzelt er:

»Ich weiß nicht, warum ihr Erfolg habt, du erreichst doch die Mannschaft seit fünf Jahren nicht mehr.«

Dann antworte ich:

»Meine Aufgabe ist es, den Erfolg nicht zu verhindern.«

1987/1

In meinem Diktat stimmt gar nichts. Die Seite ist nahezu komplett rot eingefärbt. Meine Deutschlehrerin sagt: »Frank, für dich gibt es nur noch eine Chance, geh zum Goethe-Institut, da gibt es Kurse ›Deutsch für Ausländer‹, das wäre was für dich.« Für sie der letzte Ausweg, wie ich meinen anhaltenden Kampf gegen Grammatik und Rechtschreibung irgendwie noch gewinnen kann. Schule ist ein schwieriges Kapitel. Aber sie ist nur die eine Welt.

1987/2

Inzwischen spiele ich bei der TSG Giengen, dem »größeren« Verein in Giengen. Vor allem bin ich Stürmer. Ich bin der, der die Tore macht. Immer. In meinem Ehrgeiz setze ich mir maximale Ziele. Ein Ziel ist zum Beispiel, dass ich bei jedem Jugend-Hallenturnier mindestens ein Tor per Fallrückzieher mache. Jedes Mal ein Fallrückzieher-Tor. Das ist komplett verrückt, vor allem, weil ich alles daransetze, dass es funktioniert. Ich bringe meine Mitspieler dazu, mir den Ball immer so aufzulegen, dass es mit dem Fallrückzieher klappt. Es wird zu meinem Markenzeichen. Das ist der, der in jedem Spiel einen Fallrückzieher machen will. Außerdem bin ich, wie gesagt, schneller gewachsen als die anderen in meinem Alter. Die Größe, die körperliche Präsenz helfen mir, wuchtig ein Tor nach dem anderen zu machen. Dann beginnt das große Spiel.

1988

Unser Trainer geht aufs Ganze. Es ist Winter, Hallenzeit, ich bin in der C-Jugend bei der TSG Giengen – und unser Trainer hat sich in den Kopf gesetzt, das Team bei zwei gleichzeitig stattfindenden Hallenturnieren spielen zu lassen. In den Tagen zuvor ist er die Strecke abgefahren, um zu testen, ob wir es zeitlich hinbekommen, sowohl beim Bezirkshallenturnier in Bettringen als auch bei einem C-Jugend-Turnier in Königsbronn anzutreten.

Vor den beiden Turnieren hat er die Zeitpläne nebeneinandergelegt, abgeglichen und geschaut, dass die Stammelf zwei Spiele macht, die am besten gewinnt, damit das Reserveteam das dritte Turnierspiel absolvieren könne, während die Stammelf sich ins Auto setzt und in Bettringen drei Spiele spielt, wir gewinnen alle und fahren danach wieder zurück nach Königsbronn für die Zwischenrunde, um das Freundschaftsturnier zu Ende zu spielen.

Ein Irrsinn ganz nach meinem Geschmack.

Erdacht von einem gleichermaßen Fußballverrückten, unterstützt von ein paar Spielervätern, die sich bereit erklären, die Fahrdienste zu übernehmen. Es ist ein enormer Organisationsaufwand für einen Samstag im Winter, aber Christof, so der Name meines Trainers, ist sich seiner Sache ziemlich sicher.

Damit er bei beiden Turnieren antreten kann, muss er mit kopierten Spielerpässen operieren, muss sich bei der einen Turnierleitung etwas einfallen lassen, warum er die Originalpässe der Spieler nicht dabeihat. Auch das gelingt, überhaupt lässt er sich durch nichts und niemanden von seinem Vorhaben abbringen.

Mir sind zu dem Zeitpunkt ohnehin die Hände gebunden. Christof war damals nicht nur mein Trainer in der C-Jugend bei der TSG Gingen, er ist vor allem auch der Vater von Nadine, meiner Ehefrau. Es war damals die erste Zeit des Anbandelns, da konnte ich nicht riskieren, ihn gegen mich aufzubringen.

Ich tat, was Christof sagte.

Jedenfalls klappt das Hin und Her super, wir sind bei beiden Turnieren vertreten, der jeweilige Transport mit den Autos läuft einwandfrei – und das Beste: Wir gewinnen tatsächlich beide Turniere. Ein Triumph für die TSG Giengen.

Christof hat danach zwar noch ordentlich Ärger vom Verband bekommen, das aber war die Sache wert. Ein paar Jahre später hat er mich übrigens nach Nürnberg gefahren, es sollte mein erstes Training beim 1. FC Nürnberg werden. Trainer Willi Entenmann und Co-Trainer Dieter Renner wollten mich kennenlernen. Ich war gerade 16 Jahre alt, Christof fuhr mich mit seinem Wagen. Aber wir waren spät dran, standen noch im Stau, ich rutschte auf dem Sitz herum, war nervös ohne Ende, es gab keine Handys, dass wir Bescheid geben konnten. Die Uhr tickte. Es war eine Riesenchance in Nürnberg und ich stand im Stau!

Christof sagte zu mir: »Frank, du musst dir eins merken, es gibt Dinge, die wir nicht ändern können, verschwende nicht so viel Energie, wenn du es nicht ändern kannst.« Später hat er mich an meinen Spielerberater Hans Adolf Pieper vermittelt, auch ein sehr wichtiger Mensch für mich. Ein paar Jahre danach habe ich dann Christofs Tochter geheiratet.

WAS SAGT EIGENTLICH FRAU SCHMIDT?

Wir waren ganz jung, ich war 13, er 14 Jahre alt, mein Vater war sein Trainer in der C-Jugend bei der TSG Giengen. Im Winter saß ich am Wochenende bei den Hallenturnieren, mein Papa hat mich mitgenommen, und da spielte dieser große Junge, viel größer als die anderen – und was den Fußball angeht, mindestens so verrückt wie mein Papa. In den kurzen Phasen, wenn es mal nicht um das Ergebnis, den Freistoß, den Fallrückzieher ging, lernten wir uns kennen. Die erste Liebe, die Liebe für immer.

Ich habe Franks Weg von den absoluten Anfängen begleitet, die ersten Erfolge, die Spiele in der Jugendnationalmannschaft, als klar wurde, dass er Profi wird, die Jahre in Wien, Aachen und Nürnberg – und dann natürlich die vielen Jahre als Trainer. Ja, wir sind ein bisschen herumgekommen, und bei den nicht immer einfachen Stationen als Profi habe ich gelernt: Dieses Leben ist anders – denn mein Mann lebt mit jeder einzelnen Faser für den Fußball. Als unsere erste Tochter in Aachen auf die Welt kam, musste Frank am nächsten Tag zum Auswärtsspiel und ich musste schauen, wie ich aus der Klinik nach Hause kam.

Inzwischen nenne ich ihn Teilchenbeschleuniger. Denn Frank ist einer, der unwahrscheinlich viel Energie in seinem Umfeld freisetzen kann. Ich kenne tatsächlich keinen Menschen, der von seinem Beruf so motiviert ist und so diszipliniert seinen Weg geht. Ich sehe, wie hart er jeden Tag arbeitet, wie viel er und die anderen in den Sport investieren.

Es gibt das Beispiel mit dem Eisberg, man sieht nur die Spitze, aber was alles drunter ist, wie viel Arbeit drinsteckt, was man täglich dafür machen muss, ist nicht zu sehen. Keiner weiß, dass er an seinem freien Tag Spielnachbereitungen und Spielvorbereitungen macht, keiner weiß, wie viele Stunden er jeden Tag weg ist, ja dass er praktisch jedes Wochenende weg ist. Im Grunde geht es bei Frank die ganze Zeit um Fußball – aber mir ist gleichzeitig klar: So ist der Profisport. Da brauche ich mir nichts anderes einbilden.

Das Gute ist: Wir haben uns. Wir kennen uns sehr lange. Wir wissen, dass wir alles gemeinsam durchstehen. Als ihn schwere Verletzungen zurückwarfen, als er mit Mannheim abgestiegen ist, als er nicht aufgestellt und sogar aussortiert wurde, haderten wir nicht. So sind wir nicht. Wir jammern nicht, wir stehen das durch und verzweifeln nicht. Wie mein Mann ziehe ich Kraft aus der Natur, aus dem Umgang mit Tieren, auch aus unserer Heimat. Wir leben hier sehr gerne. Ich war nie diese Art von Spielerfrau, die sich über die Leistung des Mannes definiert, deren Wohlbefinden von Sieg oder Niederlage abhängt.

Geholfen hat mir, dass ich immer gearbeitet habe, als Krankenschwester, anderen Menschen helfen; ich arbeite heute noch in der ambulanten Pflege, es macht etwas mit einem, wenn man anderen hilft, wenn man nicht nur auf sich selbst schaut. Das hilft mir auch, diese sehr unberechenbare Welt des Fußballs besser auszuhalten. Für mich gab und gibt es einige Dinge, die schöner sind als Fußball, trotzdem unterstütze ich meinen Mann komplett. Dann verkraftet er auch, dass ich nicht immer konzentriert bei der Sache bin. Früher, im alten Albstadion, da haben wir mit den Kindern auf der Tartanbahn gespielt, sind zu den Tieren, während Frank mit seinem Team auf dem Platz stand. Er hat mich dann hinterher gefragt, ob ich dies oder jenes gesehen hätte, meist wusste ich aber nicht einmal, wie das Spiel ausgegangen war. Heute schaue ich mir die meisten Spiele zu Hause an, mit Kaffee und Kuchen, meine Mutter schaut mit. Nicht immer gehe ich ins Stadion.

Natürlich fiebere ich mit, natürlich haben es Frank, der Verein, die Spieler, die ganze Region verdient, dass sie jetzt aufgestiegen sind. Aber ich fürchte mich ein wenig davor, wenn sie nächste Saison in der Bundesliga spielen, dann droht vielleicht jede Woche eine Niederlage und sie stehen mit wenigen Punkten hinten in der Tabelle, das würde ich ihnen nicht wünschen. Zumal ich weiß, wie Niederlagen Frank mitnehmen, da muss man ihm erst recht den Rücken freihalten. Tatsächlich weiß ich nicht, was stressiger ist: ob sie nun um den Aufstieg mitspielen oder gegen den Abstieg. Er stünde wahrscheinlich genauso unter Stress. Das fängt zwei Tage vor dem Spieltag an, ganz schwierig.

Wir sind in vielen Dingen auch unterschiedlich, er liebt beispielsweise Urlaube, ich bleibe lieber zu Hause. Und während er sehr genau über die Entwicklung im Verein Bescheid weiß, bekomme ich vieles gar nicht mit. Dann sprechen mich Leute an, ob ich schon gehört habe, wer geht, wer kommt, und ich weiß nichts, das lese ich oft auch erst in der Zeitung. Vielleicht ist die Perspektive einfach eine andere, wenn man seit langer Zeit in der Pflege arbeitet. Was mich freut: dass unsere beiden Töchter ebenfalls eine Pflegeausbildung gemacht haben, das erdet. Die Töchter, die heute 21 und 25 Jahre alt sind, haben Frank vielleicht nicht so oft gesehen, dafür haben sie mitbekommen, wie es ist, für eine Sache zu brennen, etwas durchzuhalten, an sich zu glauben, etwas mit Leidenschaft zu tun – und gleichzeitig auf dem Boden zu bleiben.

1988

Ein erster Höhepunkt meines jungen Fußballerlebens: Ich werde erst in die Bezirksauswahl eingeladen – später noch in die württembergische U15-Auswahl. Der Wahnsinn! Die anderen Auswahlspieler kommen entweder vom VfB Stuttgart oder von den Stuttgarter Kickers, damals auch ein großer Verein in Württemberg. Ich aber bin immer noch bei der TSG Giengen, im Vergleich zu den württembergischen Giganten ein Miniverein. Der Junge von der Alb lässt sich davon nicht beeindrucken, ich mache auch in der Auswahl meine Buden.

1989

In Duisburg-Wedau spielen traditionell die Auswahlmannschaften bei einem Sichtungslehrgang des DFB gegeneinander. Aus allen Teilen Deutschlands reisen die Teams an, ich bin das erste Mal dabei – und es läuft sehr gut. Wir, die Württemberger, kommen ins Finale und spielen im Endspiel gegen die Auswahl von Westfalen. Wir verlieren zwar 0 : 1, mir gelingt kein Tor, aber ich falle auf und bin plötzlich auf dem Radar der Auswahltrainer.

Bernd Stöber, damals Bundestrainer der Jugendmannschaften, beruft mich kurz nach dem Lehrgang in die U15-Nationalmannschaft.

Nationalmannschaft! Gerade noch Garagenkick und Pommes im »Blauen Hund« in Giengen und jetzt Nationalmannschaft. Das geht so rasend schnell. Plötzlich bin ich Jugendnationalspieler, werde zu Länderspielen eingeladen.

Der absolute Höhepunkt ist ein Länderspiel im Wembley-Stadion.

1989

Wembley-Stadion! London! Länderspiel gegen England!

Ein Klassiker! Mit der U15-Nationalmannschaft darf ich ein Jahr nach meinem Debüt in der Jugendnationalmannschaft mit nach London reisen.

In meinem Team sind ausschließlich Spieler aus den großen Vereinen, Bayer Leverkusen, Bayern München, VfB Stuttgart – und ich, aus der Jugend der TSG Giengen. Ich werde respektiert: Erstens bin ich geschätzt zwei Köpfe größer als die anderen und zweitens mache ich ständig Tore, ich bin ein »richtiger Neuner«, der von Flanken lebt und Bälle versenkt.

Beim Länderpokal habe ich in jedem Spiel getroffen, auch deshalb hat mich Bundestrainer Bernd Stöber in die Jugendnationalmannschaft berufen. Auch dort hat »der Lange« (ich) gleich getroffen. Bei meinem ersten Länderspiel gegen die U15 von Frankreich habe ich aus 30 Metern ein Kopfballtor gemacht: Weiter Abschlag unseres Torwarts Uwe Gospodarek (später Profi bei Bayern und Bochum), der französische Torwart läuft mir entgegen, ich erwische den Ball mit dem Kopf und der fliegt fast durch die komplette gegnerische Hälfte ins Tor. »Der Lange« hat wieder zugeschlagen. Mit 1 : 0 gewinnen wir gegen Frankreich.

Wembley sollte das nächste Highlight werden. Es ist noch das alte Stadion, in dem das legendäre Nichttor gegen Deutschland fiel. Die Umkleidekabinen sind groß wie Sporthallen, überall stehen Schilder mit besonderen Regeln:

»No warming-up on the pitch«.

Also kein Warmmachen auf dem heiligen Rasen. Sehr ehrfürchtig gehen wir vor dem Spiel am Rasenrand entlang. Das Stadion ist voll, Zehntausende Schülerinnen und Schüler haben freibekommen und dürfen kostenlos zuschauen. Eine tolle Stimmung, »Gänsehaut« würde man sagen, ein Fußballfest für Jugendnationalspieler – und als Pointe ein typisches Frank-Schmidt-Ende.

Bei einem Kopfball rassle ich mit einem englischen Verteidiger zusammen, es rumpelt fürchterlich, unsere Köpfe prallen direkt gegeneinander. Ein deutscher Dickschädel gegen einen englischen Dickschädel. Ich bleibe zunächst benommen liegen, versuche weiterzuspielen, bin aber völlig neben der Spur, torkle ein bisschen über den Platz, dann nimmt mich der Trainer runter.

Ich muss wirres Zeug erzählt haben, weit wirrer als das, was ich sonst erzähle. Jedenfalls packen sie mich in einen Rollstuhl und fahren mich aus dem Stadion Richtung Krankenhaus.

Dort diagnostizieren sie eine massive Gehirnerschütterung, vom Spiel selbst weiß ich gar nichts mehr, auch nicht vom Zusammenprall. Ich weiß nur, wie ich nach zwei, drei Stunden in einem Londoner Krankenhaus aufwache. Aber die anderen im Team bestätigen es mir: Du warst dabei! In Wembley! Und noch viel wichtiger, wir haben 3 : 1 gewonnen. Mit der Gehirnerschütterung im legendären Wembley-Stadion deutet sich an, was mich noch lange begleiten sollte: Wenn es gerade gut läuft, wirft mich eine Verletzung zurück. Die Hochs und Tiefs liegen bei mir immer sehr nah beieinander.

Nach Wembley erhole ich mich schnell. Und Holger Osieck, der die U16-Nationalmannschaft betreut, holt mich, obwohl ich noch 15 bin, wenig später sogar in diese. Insgesamt mache ich in meiner Karriere als Fußballer 25 Jugend- und Juniorenländerspiele und schieße zehn Tore.

VERLETZUNG AM KOPF

Der ganze Fußball ist sensibler geworden, was Kopfbälle und Kopfverletzungen angeht. Das Risiko, sich schwere Schäden zuzuziehen, ist groß, nicht zuletzt haben eine Reihe von Studien nachgewiesen, welchen Einfluss Verletzungen am Kopf auf das spätere Leben haben. Deshalb wird im Kinderbereich teilweise auf Kopfbälle verzichtet. Im Profibereich müssen wir uns inzwischen an ein klares Return-to-Play-Protokoll halten. Im Zweifel hat der Arzt das letzte Wort. Früher hat es gereicht, wenn der Spieler nach einem Zusammenprall auf die Frage, wie er heißt und wann er geboren wurde, halbwegs die richtige Antwort parat hatte. Heute hat der Mannschaftsarzt das letzte Wort: »Schön, dass du deinen Namen noch weißt, ich nehme dich trotzdem vom Platz und schicke dich ins MRT.«

Ich kann mich an einen Spieler von uns erinnern, der auch einen Zusammenprall hatte, mit einem Brummschädel weiterspielte und unser Mannschaftsarzt Mathias Frey nach dem Spiel darauf beharrte, ihn ins MRT zu schicken. Irgendetwas gefiel ihm nicht. Und sein Gefühl sollte ihn nicht trügen. Beim Medizincheck in der Röhre wurde zufällig ein Tumor entdeckt. Er war gutartig, konnte operiert werden und der Spieler erholte sich, er arbeitet heute als Torwarttrainer im Trainerstab eines Bundesligisten. Ich selbst habe mir bei Kopfballduellen insgesamt sieben Mal die Nase gebrochen, aber im Hinblick auf die Vielzahl an anderen Verletzungen waren das eher die harmloseren. Unkaputtbar. Sie wissen schon!

1990

Mit den Auftritten im Jugendnationalteam kommen auch Angebote, von den ganz großen Vereinen. Ich soll nach Bayer Leverkusen wechseln. Das ist mir und meiner Familie noch zu früh und zu weit weg. Ich will nicht in ein Fußballinternat, ich will noch die Banklehre in Giengen fertig machen. Als nächsten Schritt wechsle ich erst mal zum SSV Ulm 1846 in die Jugend, die Herren spielen in der Oberliga Baden-Württemberg. Ulm ist knapp 40 Kilometer von Giengen entfernt. Das ist machbar, da lassen sich die Trainingsfahrten für meine Eltern organisieren. Doch mit diesem Wechsel wird mir und meiner Familie zum ersten Mal klar: Ich kann Profi werden. Ich habe das Zeug dazu.

Und dann kommt alles anders.

1991

Der Rückschlag. Eigentlich läuft es perfekt. Meine Fußballkarriere hatte ordentlich Fahrt aufgenommen. Aus meiner Faszination für Bälle war eine echte Leidenschaft geworden, voll Leistungssport. Jetzt, 1991, spiele ich in Ulm, beim SSV Ulm 1846 in der U19. Es läuft super, ich fühle mich sehr wohl. Ulm ist der kluge nächste Schritt auf einem Weg, der direkt in den bezahlten Fußball zu führen scheint – und dann passiert, was nicht passieren sollte:

Mein Kreuzband reißt in einem Freundschaftsspiel.

Doch so einfach ist die Diagnose bei einem Frank Schmidt nicht. Zunächst werde ich mit Verdacht auf Kreuzbandriss in das Rehabilitationsklinikum Ulm eingeliefert, wo man eigentlich das Knie zunächst aufmachen und schauen will, wie es um die Bänder steht. Ich kann jedoch nicht umgehend operiert werden. Es gibt eine Verzögerung bei den Operationen. Außerdem rede ich mir – Sie werden es bereits ahnen – ein, ich hätte ja gar keinen Kreuzbandriss. Da hat der bereits erwähnte Selbstmanipulator seinen ersten großen Auftritt.

Am Abend vor der geplanten Operation will ich mir selbst beweisen, dass alles o. k. ist. Statt in meinem Krankenzimmer vor mich hin zu dämmern, jogge ich über den leeren Krankenhausflur, imitiere immer wieder Bewegungen, als wolle ich schießen, lasse das kaputte Bein nachschwingen. Das geht gut, oder besser: Ich bilde mir ein, dass es gut geht. Locker schüttele ich mein Bein aus.

»Da ist nichts, da ist überhaupt nichts«, rede ich mir ein. »Die haben sich geirrt, nächste Woche bin ich wieder im Training.« Und überhaupt: Es tut nicht weh, man sieht fast nichts, da ist alles in Ordnung.

Da ist sich der Selbstmanipulator sehr sicher.

Am nächsten Tag werde ich in einen alten Hörsaal gebracht. Ich sitze unten und in den aufsteigenden Sitzreihen haben sich junge Männer und Frauen in weißen Kitteln versammelt. Das ist ein bisschen Furcht einflößend. Der behandelnde Professor will den Studierenden und angehenden Ärzten zeigen, woran man erkennen kann, ob das Kreuzband gerissen ist – und ich bin das Testobjekt.

Er macht den berühmten Schubladen-Test, um allen zu demonstrieren, dass das Band durch ist. »Sehen Sie! Ganz eindeutig!«

Mir fährt es durch die Glieder. Aber dann denke ich: »Nein, das kann nicht sein, ich bin ja gestern über den Gang gejoggt, ich habe Schussübungen gemacht, das habt ihr alle nicht gesehen, ich habe keinen Kreuzbandriss, ihr irrt euch!« Meine Verzweiflung ist riesengroß. Mein Selbstmanipulator weiß auch nicht mehr weiter. Ich schaue auf die Dutzenden von weißen Kitteln. Ich habe Angst.

Als ich nach der OP aufwache und hoffe, dass ich keine große Narbe habe, und ich dann diesen 15 Zentimeter langen Schnitt, der mit gefühlt tausend Stichen genäht wurde, betrachten muss, da, in diesem Augenblick, bricht für mich eine Welt zusammen. Invasive OPs sind noch nicht die Regel, mein Knie wurde komplett aufgeschnitten, eine komplizierte Operation, ein übles Gemetzel. Mein bis dahin unverwüstlicher Körper zeigt seine Verletzlichkeit. Die lange Narbe ist ein bitteres Indiz dafür. Ich bin zutiefst erschüttert.

Heute kann das Kreuzband meist minimalinvasiv operiert werden. Es bleiben zwei kleine Narben, kaum sichtbar. Und Kreuzband-OP bedeutet nicht mehr den drastischen Einschnitt wie früher.

Im Jahr 1991 ist jedoch sofort klar: Nun wird die Karriere anders verlaufen.

Vorher wollten mich alle, jetzt will mich kein großer Verein mehr. Das wird schnell deutlich. Die Angebote bleiben aus, und was die Nationalmannschaft betrifft, kann ich nur aus der Ferne beobachten. Ich bekomme zwar die schriftlichen Einladungen, aber hinter meinem Namen steht: verletzt. Das ist alles niederschmetternd. Die große Karriere, die großen Clubs, die großen Meisterschaften – alles vorbei?

Oder doch nicht?

1991

Ich liege im Krankenhaus und wegen des großen Schnitts muss ich dort weitere sechs Wochen bleiben. Auch so ein Wahnsinn. Heute bleibt man höchstens drei Tage in der Klinik, wenn überhaupt, meist wird der Eingriff ambulant vorgenommen. Doch die Reha erweist sich als Glücksfall – denn plötzlich kehrt der Unkaputtbare wieder zurück. Nach den ersten Übungen mit den Physiotherapeuten bin ich sicher:

Ich komme zurück, stärker als je zuvor.

Ich trainiere wie ein Wahnsinniger, mache immer noch mehr und noch mehr. Bisher ging es immer nach oben, nun muss ich hoffen, dass es überhaupt noch weitergeht. Und es geht weiter. Eine neue, unerwartete Türe öffnet sich.

Obwohl ich noch schwer verletzt bin, obwohl ich noch nicht wieder auf dem Platz stehe, verpflichtet mich der 1. FC Nürnberg, damals mit Andreas Köpke im Tor und Willi Entenmann als Trainer. Sie sehen, dass ich früh, vor meiner Verletzung, performt habe, wollen mich wieder dahin führen. Sie legen sich ins Zeug für mich. Sie kümmern sich nicht nur um meinen Heilungsprozess, sondern verschaffen mir noch eine Lehrstelle als Bankkaufmann, um meine Lehre, die ich bei der Giengener Volksbank eG begonnen habe, fortzusetzen. Das ist alles großartig.

Ich soll die Reha bei ihnen fortsetzen. Und ich gebe alles dafür. Jeden Tag kann ich das Frankenstadion sehen – und jeden Tag sage ich mir: Da will ich hin. Da will ich als Profi spielen. Doch natürlich ist die Reha eine Herausforderung. An einem Tag fühlst du dich bombig, am nächsten Tag klappt irgendwas nicht oder du spürst Schmerzen, ständige Rückschläge, Hoffnung und zurück. Da brauchst du mentale Stärke und den Glauben, dass es gut ausgeht.

Und ich bin erst 18.

1992

Es dauert zehn Monate. Zehn lange Monate. In der Zeit sehe ich, wie die anderen Jugendnationalspieler zu Länderspielen eingeladen werden und ich nicht. Das ist belastend. Aber ich tue alles dafür, um wieder eingeladen zu werden. Doch beim Club in Nürnberg sind die Leute fantastisch. Sie unterstützen mich.

Aber die wichtigste Nachricht ist: Ich bin wieder zurück. Alles passt: Auch wenn ich in Nürnberg bei den Profis nur in Freundschaftsspielen und nur ein Mal im DFB-Pokal zum Einsatz komme, ich werde einmal eingewechselt und spiele ansonsten meist in der A-Jugend. Aber das Knie hält!

DER ERSTE ZWEIKAMPF

Das Wichtigste nach einer Kreuzband-OP, heute und früher, ist der erste Zweikampf. Wenn ein genesener Spieler mit 100 Prozent wieder in einen Zweikampf geht, wenn es zum ersten Mal wieder richtig scheppert und das Band hält, ist es geschafft. Aber diesen ersten Zweikampf braucht es, um zu verstehen, dass das Band hält.

Danach geht es ganz schnell bei Profisportlern. In der Regel hat sich bei den Spielern der Gedanke festgesetzt, für das verletzte Knie mehr zu machen. Wenn die OP, die Reha gut verliefen, dann werden ordentlich Muskeln aufgebaut. Oft wird sogar erreicht, dass man so viel für das kaputte Knie getan hat, dass es nun stabiler ist als das gesunde Knie. Bei mir war es so, bei anderen war es so. Tatsache ist, dass die meisten deshalb stärker zurückkommen. Mir hat – bei allen Verletzungen – immer geholfen, auf Vorbilder zu blicken. Lothar Matthäus war immer ein großes Vorbild für mich. Der hatte so viele Verletzungen: Kreuzband, Achillessehne, alles Mögliche. Er fiel oft monatelang aus und doch kam er immer wieder zurück. Bis heute ist er Rekordnationalspieler. Das wäre er niemals geworden, hätte er nicht diesen Willen entwickelt, nach Verletzungen zurückzukehren. Ja, auch das hat mich getragen, wenn man sieht, dass es bei anderen geht.

Aber sagen wir so: Die OP hat einen wichtigen Anteil bei der Heilung, gerade bei einem Kreuzbandriss. Aber nicht weniger wichtig ist die Reha. In der zeigt sich, mit welcher Einstellung du den Heilungsprozess angehst. Hätte damals schon einer »unkaputtbar« über mich gesagt, hätte das gestimmt. Aufgeben war noch nie eine Option für mich. Insgesamt habe ich in den vergangenen Jahren elf schwere Operationen gehabt, die ganzen Nasenbeinbrüche nicht mitgezählt, aber ich bin immer wieder zurück auf den Platz. Das hat sicher mit meinen Anfängen zwischen den Garagen zu tun, aber das ist auch eine Lebenseinstellung: Arbeite und jammere nicht so viel.

So habe ich schon als kleiner Steppke gedacht, als mich die Zehnjährigen auf dem Platz wegboxen wollten.

1. März 1993

Ich spiele in der U19 des 1. FC Nürnberg und bekomme wieder eine Einladung. Eine besondere Einladung. In Australien findet die FIFA-U20-Juniorenweltmeisterschaft statt und ich werde von Trainer Rainer Bonhof ins Team berufen. Und das nach meinem Kreuzbandriss. Das habe ich nicht erwartet. Ich bin wieder zurück. Zunächst stehe ich nur auf Abruf, aber als sich ein Stürmer verletzt, werde ich nachnominiert.

Im Team sind Spieler wie Dietmar Hamann, Maxi Eberl, Carsten Ramelow, André Breitenreiter, im Tor Dimo Wache und als absoluter Stammstürmer: Carsten Jancker. Gemeinsam reisen wir nach Australien und schon im Flugzeug ist mir klar: An Jancker wird es schwer, vorbeizukommen. Ich hoffe natürlich, dass ich Einsatzzeit bekommen werde. Bei einer Weltmeisterschaft dabei zu sein, kommt schließlich nicht häufig vor.

6. März 1993

Im ersten Spiel gewinnen wir 1 : 0 gegen Portugal, Tor: Jancker. Ich darf ein paar Minuten spielen, ohne besonders aufzufallen. Im zweiten Spiel gibt es ein 2 : 2 gegen Ghana, Jancker macht ein Tor, das später in der Sportschau zum Tor des Monats gewählt wird. Es ist ein fantastischer Fallrückzieher, Carsten liegt förmlich waagerecht in der Luft. Er sieht allerdings auch die zweite Gelbe Karte und ist für das letzte Gruppenspiel gegen Uruguay gesperrt. Dennoch sind wir guter Dinge.

Eigentlich ist das nächste Spiel nur Formsache, wir haben vier Punkte, planen gedanklich schon den Umzug von Brisbane nach Melbourne für das Viertelfinale.

Für mich gibt es eine gute Nachricht: Weil Carsten Jancker gesperrt ist, darf ich von Anfang an spielen. Bei der WM! Ich bekomme Einsatzzeit! Es bleibt bei der Vorfreude. Denn statt Melbourne geht es nach Hause. Wir verlieren 1 : 2 gegen Uruguay, ein unterirdischer Kick, vor allem auch von mir. Ich habe keine gute Aktion, keine einzige Torchance. Das Spiel rauscht komplett an mir vorbei. Was mich wieder ins Blickfeld der großen Clubs führen soll, was mich wieder auf die »große Bühne« bringen soll, endet betrüblich.

Das Fachblatt Kicker setzt noch einen drauf.

März 1993

Ich werde für das Scheitern mitverantwortlich gemacht. Weil mir im Spiel gegen Uruguay nichts gelungen ist, bin ich für den Kicker der »Verlierer der WM«. Ein Stürmer »ohne eine einzige Offensivaktion«.

Ich bin gerade 19 Jahre alt, gerade von einer schweren Verletzung genesen, habe mich wieder an die Spitze herangekämpft und der Kicker stempelt mich zum Looser ab. Eine Reise zum Vergessen. Aber mit Folgen: Denn nach der missglückten Weltmeisterschaft werde ich umgeschult.

April 1993

Peter Gebele, Trainer bei der zweiten Mannschaft des 1. FC Nürnberg, hat eine Idee. Nach der WM funktioniert er mich zum Defensivspieler um. Denn die FIFA-Junioren-Weltmeisterschaft hat schonungslos gezeigt: Ich bin zu langsam. Bis dahin haben mir meine Größe, meine Kopfballstärke und meine Technik geholfen. Dagegen hat die Schnelligkeit nie eine Rolle gespielt, ich habe mich ja immer durchgesetzt.

Doch nach dem Kreuzbandriss fehlen mir ein paar PS. Und Schnelligkeit wird im Profifußball immer entscheidender. Bei mir hieß es früher schon, nicht ganz ernst gemeint: Bei Antritt Endgeschwindigkeit. Auch deshalb werde ich Defensivspieler.

Der Trainer verkauft mir die innerbetriebliche Versetzung allerdings sehr gut. Er sagt: »Wir müssen den Laden hinten in Ordnung bringen.« Das macht mich stolz, weil er mich dafür in Betracht zieht.

Und weiter: »Du bist kopfballstark, du hast keine Angst vor dem Zweikampf, außerdem hast du dann das ganze Spiel vor dir.«

Er betont auch, dass wir das nächste Spiel gewinnen müssen.

Wir gewinnen: 5 : 4. Vier Gegentore – so viel zu meinen Defensivqualitäten. Jedenfalls bleibe ich hinten, erst Libero – und nach Abschaffung des Liberos spiele ich als Innenverteidiger. Das war aus der Not geboren, aber es war die richtige Entscheidung, die mir neue Chancen bietet.

Denn eine weitere Entscheidung erweist sich in diesem Jahr als richtig: Ich wechsle zum TSV Vestenbergsgreuth.

1. Juli 1994

Der TSV Vestenbergsgreuth hat einen Durchmarsch hinter sich. Sie haben fast ganz unten angefangen, ein kleiner »Dorfverein«. Nun sind sie in der Regionalliga angekommen und wollen weiter für Furore sorgen. Es hört sich alles ziemlich gut an. Für mich ist es der nächste logische Schritt. Also wechsle ich als Defensivspieler nach Vestenbergsgreuth. Was zum Zeitpunkt meines Wechsels noch nicht abzusehen ist:

Wir sollten wenige Wochen später Geschichte schreiben.

14. August 1994

Auf der anderen Seite steht Lothar Matthäus. DER Lothar Matthäus – Weltmeister, Weltfußballer, Weltfranke. Mein Vorbild, an dem ich mich während meiner Verletzung orientiert habe. Ich bin 20 Jahre alt, nach meiner Station beim 1. FC Nürnberg bin ich im Sommer 1994 im Team des TSV Vestenbergsgreuth gelandet. Ich bin nicht mehr als Stürmer im Einsatz, sondern nun endgültig in der Defensive angekommen. Vestenbergsgreuth ist ein Dorf mit ein paar Hundert Einwohnern, alles ist klein, familiär, überschaubar – aber in der ersten Runde des DFB-Pokals ziehen wir das ganz große Los: den FC Bayern München.

Der Hammer!

Es ist das erste Pflichtspiel von Giovanni Trapattoni als Bayern-Trainer. Im Tor steht Oliver Kahn, als rechter Verteidiger spielt Jorginho, der ein paar Wochen zuvor mit Brasilien Weltmeister geworden ist. Thomas Helmer ist dabei, Dietmar Hamann, Mehmet Scholl, alle Legenden, und eben Lothar Matthäus, mein großes Vorbild, der in der Nähe von Vestenbergsgreuth aufgewachsen ist.

Das Spiel findet im Frankenstadion in Nürnberg statt, weil unser Stadion viel zu klein ist. Vor dem Match schlottern ein bisschen die Knie, so ganz locker ist keiner von uns. Aber im Grunde haben wir nichts zu verlieren.

Dann passiert, was keiner erwartet: Kurz vor der Halbzeit gehen wir durch Roland Stein mit 1 : 0 in Führung – und verteidigen diese mit aller Macht bis zum Schluss.

Die Bayern kesseln uns ein, das Spiel geht nur noch in eine Richtung, ein ständiges Anrennen der Bayern, doch ohne Erfolg. Wir gehen als Sieger vom Platz.

Was für eine Story: die Truppe von Welttrainer Trapattoni blamiert von einem Dorfteam mit einem merkwürdigen Namen. Einer der großen David-Goliath-Momente des deutschen Fußballs. Und für mich ein absolut prägendes Ereignis mit einer klaren Erkenntnis: Kein Gegner ist »übermächtig«, kein Spiel ist vor dem Anpfiff schon entschieden. In jedem Spiel können enorme Kräfte freigesetzt werden, wenn Wille und Leidenschaft stimmen. Das einmal erlebt zu haben, lässt einen hoffen, auch in aussichtslosen Situationen. Die Medien sprechen dann oft von einem »Wunder«. Für mich eher eine Frage der Einstellung: Wenn es im Kopf eines Spielers ankommt, dass es auch gut ausgehen kann, dann ist alles möglich.

In Vestenbergsgreuth gibt es übrigens einen Stein und eine Gedenktafel mit dem Ergebnis und den Namen aller beteiligten Spieler.

23. Oktober 1995

Eine Fusion findet statt. Aber sie ist nicht einfach, es gibt viel Unmut. Die Nürnberger Nachrichten melden im Oktober 1995: »Das neue Gebräu aus Teeblatt und Kleeblatt stößt manchem sauer auf.« Was ist gemeint?

Nun, die SpVgg Fürth, ein deutscher Traditionsverein, deutscher Meister in den Jahren 1914, 1926 und 1929, steht mit dem Rücken zur Wand. Schulden drücken den Verein, die Führung ist zerstritten und sportlich ist die Talfahrt nicht aufzuhalten.

Deshalb entscheiden sich die »Kleeblätter« (Vereinslogo) für einen Zusammenschluss mit dem TSV Vestenbergsgreuth, der unter anderem vom Tee- und Kräuterfabrikanten Martin Bauer gesponsert wird. Der »Teeklub« wurde zwar erst 1974 gegründet, hatte aber einen Durchmarsch bis hin in die oberste Amateurklasse hingelegt und mit der 1 : 0-Pokalsensation gegen Bayern München auch überregional für Aufsehen gesorgt. Skepsis gibt es auf beiden Seiten, schließlich müssen auch zwei Fangruppen zusammengeführt werden. In Vestenbergsgreuth erinnert man sich noch verbittert an das »rüpelhafte Verhalten« der Fürther Fans bei einem Spiel. Auch die Fürther werden zunächst nicht richtig warm mit dem Dorfclub. So wird es eine Vernunftehe. Aber eine stabile Vernunftehe. Sie erweist sich bis heute als erfolgreich.

Die SpVgg Greuther Fürth ist fester Bestandteil der 2. Liga und mit Alexander Zorniger steht gerade ein alter Bekannter als Trainer am Spielfeldrand.

Sommer 1996

Jedenfalls, nachdem die Fusion vollzogen war, beschließen die Vereinsoberen, aus jedem Club sieben Spieler zu nehmen und eine neue, schlagkräftige Truppe für die Regionalliga zu bauen. Für die Saison 1996/97 wird noch Armin Veh als Trainer für die SpVgg Greuther Fürth verpflichtet. Jener Veh, der später mit dem VfB Stuttgart Deutscher Meister werden sollte.

Ich gehöre zu den sieben und bin für das neu formierte Team vorgesehen – für die Defensive. Bei Vestenbergsgreuth habe ich Libero gespielt, doch Veh lässt von Anfang an Viererkette spielen, was für mich eine Umstellung ist. Doch so ist die Zeit, der Libero stirbt aus.

Das ist allerdings nicht die einzige Neuerung.

Kurz vor Saisonbeginn wird noch Rainer Zietsch verpflichtet. Zietsch ist ein erfahrener Profi, 32 Jahre alt, der viele Jahre beim VfB Stuttgart und bei Bayer Uerdingen in der Bundesliga gespielt hat – und der leider auf meiner Position spielt. So wie es aussieht, ist für mich kein Platz mehr im Team. Da steht jetzt einer auf dem Platz, der deutlich erfahrener und abgezockter ist als ich. Ich bin maximal ungeduldig, spiele aber in der gesamten Hinrunde nur fünf Mal. Natürlich will ich öfter spielen, viel öfter, ich bin im besten Alter, 23, und eigentlich muss es jetzt nach oben gehen. Keine Zeit für die Bank. Zeit also für Hans Adolf Pieper – meinen Spielerberater, ein alter Hase, vermittelt von meinem Schwiegervater Christof.

Pieper hat von einem spannenden Projekt gehört.

Anfang 1997

Ein iranischer Geschäftsmann, ein von allen nur »Dr. Sharif« genannter Mann, will 1997 in Wien geschäftlich Fuß fassen. Man legt ihm nahe, dass es für eine Etablierung in der Wiener Geschäftswelt sinnvoll wäre, sich als Sponsor im Bereich Sport zu engagieren, zum Beispiel Fußball.

Also geht Dr. Sharif zum Wiener SC und entwirft einen großen Plan mit dem Club aus Hernals, dem 17. Bezirk.

Mit drei österreichischen Meistertiteln und einem Cup-Sieg gehört der Wiener Sport-Club zu den erfolgreichsten Fußballvereinen des Landes. Legendär ist das bis heute in der österreichischen Fußballgeschichte einzigartige 7 : 0 im Meistercup 1958 gegen Juventus Turin. Doch das ist lange her. Der traditionsreiche Zweitligist aus Hernals darbt nach zwei Insolvenzen Anfang der 1990er-Jahre und soll nun in die österreichische Bundesliga aufsteigen und möglichst bald wieder international spielen.

Dr. Sharif träumt sogar von der Champions League.

Vor allem will er alles bezahlen, auch sollen neue Spieler verpflichtet werden. In Hernals ist man glücklich über den reichen Iraner.

1997/1

Weil Sharif in Freiburg studiert und viele positive Erfahrungen mit deutschen Studierenden gemacht hat, ihn die deutsche Mentalität so beeindruckt, ist seine Bedingung, dass für den Wiener SC auch drei deutsche Fußballprofis geholt werden. Zwar denkt er an Leute wie Jürgen Klinsmann, aber als sie ihm erklären, was das ungefähr kosten könnte, lässt er den Plan erst mal fallen.

Aber er will auf jeden Fall drei deutsche Spieler.

Und so wird es gemacht.

Im Winter 1996 wechseln Lothar Sippel, Karsten Böttcher und ich nach Wien. Uns wird ein ordentliches Fixgehalt in Aussicht gestellt, eine Wohnung will der Verein auch finanzieren und insgesamt hört sich das nach einer spannenden Sache an. Ich finde alles super, wollte schon immer ins Ausland und Wien ist eine tolle Stadt. Nicht zuletzt überzeugt mich, dass ich dort als Stammkraft eingeplant bin, dass ich spielen werden. Vienna calling!

1997/2

Es fängt schon richtig kacke an. Wir, Nadine und ich, haben alles gepackt und kommen mit dem 7,5-Tonner und unseren ganzen Sachen in Wien an. Mein Vater ist mit von der Partie, wir wollen den Umzug rasch zu Ende bringen. Doch in Wien kommt die erste Ernüchterung. Die Wohnung, die uns in Aussicht gestellt wurde, gibt es gar nicht. Was generös als »frei wohnen« angekündigt wurde, stimmt schon mal nicht. Wir müssen die ersten Tage ins Hotel. Der Mietvertrag für den Lastwagen wird verlängert, unsere Sachen lagern auf einem Parkplatz. Parallel beginne ich mit den ersten Trainingseinheiten. Abends treffen wir uns im Hotel und schimpfen ein bisschen auf diese lausige Organisation.

Einige Tage später ziehen wir in eine Wohnung. Sie sieht zwar nicht aus wie versprochen, aber immerhin ist es eine Wohnung.

1997/3

Die Wohnung wird nicht bezahlt. Das erfahre ich jedoch erst viel später. Eigentlich wollte der Verein die Miete übernehmen, doch sie bleiben sie schuldig. Es müssen sich zwischenzeitlich sehr hohe Mietschulden angesammelt haben. Wir wohnen in einer Wohnung, wissen aber nicht, dass keiner dafür bezahlt.

1997/4

Ein Novum für mich: Das monatliche Gehalt, das ich beim Wiener SC erhalte, wird nicht auf ein Konto überwiesen. Das Gehalt gibt es in bar. Am Ende des Monats wird uns ein Umschlag mit Geld überreicht. Es heißt, die österreichischen Spieler wollten das so. Das Gehalt werde korrekt versteuert, aber – so sagt man uns »Deutschen« – die österreichischen Spieler wollen das Geld in bar, damit deren Frauen nicht wissen, was die Spieler zusätzlich an Prämien verdient haben. Als gelernter Bankkaufmann verstehe ich das nicht so ganz. Ich denke gleichzeitig an die Bedürfnisse des Finanzamts. Aber es wird vertraglich vereinbart, dass alles versteuert wird. Merkwürdig ist nur, dass man auf einer Liste den Erhalt des Geldes quittieren muss und dabei sehen kann, was die anderen verdienen. Nicht unbedingt förderlich für den Teamgeist.

1997/5

Ein Spieler von uns erleidet beim Training eine schwere Verletzung. Er muss ins Krankenhaus. Dort angekommen, wird festgestellt, dass er nicht krankenversichert ist. Der Verein hat es vergessen, obwohl es eigentlich abgesprochen war. Im Krankenhaus will man ihn schon abweisen.

Am Ende wird er operiert. Wer die Rechnung bezahlt hat, ist mir bis heute nicht bekannt.

1997/6

Das Gehalt wird jetzt nicht mehr bezahlt. Nach den ersten monatlichen Gehaltszahlungen war noch alles in Ordnung. Jetzt gibt es keine Barzahlungen mehr.

1997/7

Der Verein scheint weit über die finanziellen Verhältnisse gelebt zu haben.

Dr. Sharif pumpt zwar Geld in den Klub, aber irgendwie versickert es und kommt nicht bei den Spielern an. Es kommt zwangsläufig zum Spielerstreik. Vormittags am Spieltag sitzen wir in der Kabine und ein paar Spieler sagen: »Erst unser Gehalt, dann spielen wir wieder.« Die Champions League scheint in weite Ferne gerückt.

1997/8

Zum Glück ist Nadine keine klassische Spielerfrau. Sie ist, wie bereits erwähnt, gelernte Krankenschwester und findet schnell einen Job. Sie arbeitet in der »Krankenanstalt zum Göttlichen Heiland« (ja, die heißt so) im 17. Bezirk, findet Anschluss, während es in meinem Job beim Wiener SC, bei dem in den 1980ern der österreichische Nationalheld, der »Goleador« Hans Krankl, gespielt hat, weiter drunter und drüber geht.

1997/9

Was gut ist: Wien. Ich liebe diese Stadt. Wien – das ist die große, weite Welt, die Prachtbauten, die Kaffeehäuser, der Wiener Schmäh. Ich habe viele wunderbare Menschen kennengelernt, habe mich sehr wohlgefühlt. Es dauert zwar einige Zeit, bis sie dich, gerade als Deutschen, akzeptieren. Aber wenn sie erkennen, dass du nicht überheblich bist, wenn du nicht dem klassischen Piefke-Klischee entsprichst, dann fangen sie an, dich zu mögen, und dann darfst du mit auf die Streifzüge durch Wien.

1997/10

Was ich auch an Wien mag: die zahlreichen Skurrilitäten. So gibt es im Stadion des Wiener SC eine Friedhofstribüne. Nicht, weil dort Menschen beerdigt werden. Sondern weil direkt dahinter der Friedhof ist. Es entspricht dem morbiden Wiener Charme, es nicht wie üblich als »Nordtribüne« oder »Ostkurve« zu bezeichnen – sondern eben als »Friedhofstribüne«.

1997/11

Jetzt wird auch noch der Trainer des Wiener SC entlassen. Er hat nicht den erwünschten Erfolg gebracht. Das Chaos ist perfekt. Wir bekommen nicht nur kein Gehalt, leben nicht nur in unbezahlten Wohnungen, sondern verpassen als Zweiter auch knapp den Aufstieg. Eine gebrauchte Saison.

In der Summe habe ich in dieser Zeit beim Wiener SC gelernt, wie Profifußball nicht funktioniert. Gelernt habe ich, wie wichtig es ist, dass es im Verein grundsätzlich stimmen sollte, und zwar im ganzen Verein, von oben bis ganz unten.

Das erkennt auch Dr. Sharif und entschließt sich zu einem drastischen Schritt.

1997/12

Nun beschließt Dr. Sharif, dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen.

Er wolle mit dem Wiener SC nichts mehr zu tun haben, sagt er – und geht einfach zum nächsten Verein. Diesmal zum First Vienna FC 1894, 18. Bezirk, Döbling, aber auch 2. Liga. Praktischerweise nimmt er als Sponsor die halbe Mannschaft und den neuen Trainer mit. Also wechseln wir vom 17. in den 18. Bezirk und spielen ab sofort dort Fußball. Mein Chef bleibt Dr. Sharif. In Wien erlebe ich alles, was ich bis dahin für nicht vorstellbar gehalten habe. Aber First Vienna ist eine coole Adresse.

1998

Der First Vienna FC 1894 ist der älteste Fußballverein Österreichs. Mit dem Verein hat, man kann es so sagen, das Fußballspielen in Österreich begonnen.

Am 15. November 1894 spielte die Vienna das erste offizielle Fußballmatch auf Wiener Boden gegen den mit Engländern bestückten Vienna Cricket and Football. Das historische Spiel fand vor etwa 300 Zuschauern auf der Kuglerwiese statt – und gilt als Geburtsstunde des österreichischen Fußballs.

Im Jahr 1998, als ich mit Dr. Sharif und den anderen andocke, heißt der Verein offiziell: »Honda Hawelka Vienna«, weil in Österreich die Sponsoren schon sehr früh im Vereinsnamen auftauchen dürfen. Unser härtester Konkurrent um den Aufstieg in die 1. Liga ist unter anderem: »Puch Pioneer Steyr«.

Das Bemerkenswerte am FC Vienna ist die Spielstätte. Dazu ein kurzer historischer Exkurs: Nachdem der FC Vienna nach dem Ersten Weltkrieg die sogenannte Kuglerwiese verlassen musste, errichtete man 1921 auf der Anlage Hohe Warte ein riesiges Naturstadion für 90 000 Zuschauer. Statt klassische Tribünen wurden jeweils grüne Wiesenhänge hochgezogen. Am 19. Juni 1921 wurde die Naturarena Hohe Warte eröffnet – und sie ist heute noch Heimspielstätte der Vienna und ein einzigartiger Stadionbau.

In diesem phänomenalen Stadion läuft es deutlich besser für uns. Das Gehalt kommt nun regelmäßig – und dann passiert, was mir immer passiert, wenn meine Fußballerkarriere Fahrt aufnimmt: Ich verletze mich, erleide einen Bänderriss und falle ein paar Monate aus. Obwohl ich mich in Wien gut eingelebt habe und wir uns eigentlich wohlfühlen, wird klar:

Hier kann es nicht weitergehen, vor allem sportlich. Denn: Wir haben den Aufstieg in die erste Liga als Tabellendritter am Ende der Saison verpasst, wieder ein Misserfolg, keiner weiß, was Dr. Sharif als Nächstes plant. Denn auch beim FC Vienna rückt die Champions League in weite Ferne.

Sommer 1998

Mit Nadine stehe ich am Ufer der Donau. Sie ist im vierten Monat schwanger. Wir wissen nicht so recht, wie es weitergehen soll. Ich bin 24, bin weit weg vom Schuss. Den Frank Schmidt, der Jugendnationalspieler in Deutschland war, der bei der Juniorenweltmeisterschaft in Australien mit Carsten Jancker und Dietmar Hamann zusammengespielt hat, der einst zahlreiche Angebote von Fußballbundesligisten hatte – den kennt keiner mehr in Deutschland, zumindest hat mich keiner auf dem Radar. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Eine bittere Erkenntnis.

So ziehen wir schonungslos Bilanz am Donauufer. Schließlich geht es um die Zukunft und darum, was aus uns als Paar, als Eltern werden soll. Es ist ja nicht so, dass ich im Fußball so üppig verdient und für alle Zeit ausgesorgt habe, ganz im Gegenteil.

Sicher, in Wien habe ich tolle Leute kennengelernt, auf der anderen Seite ein heilloses Chaos erlebt, was die Vereinsführung angeht. Das darf so nicht weitergehen. Die großen Wiener Clubs, Rapid Wien und Austria Wien, haben kein Interesse an mir, auch sonst scheine ich in Österreich am Ende der Fahnenstange angekommen zu sein.

Während wir auf die träge dahinfließende Donau blicken, klingelt das Handy.

1998

ALEMANNIA AACHEN!

1998

ALEMANNIA AACHEN! Hans Adolf Pieper hat Alemannia Aachen klargemacht. Ich soll nach Aachen wechseln. »Die wollen dich«, sagt Pieper. Ich bin außer mir vor Freude. Natürlich muss ich nicht lange überlegen. Aachen ist ein Traditionsverein, zwar noch in der Regionalliga West/Südwest, aber sie wollen aufsteigen. Ich sage ihm, dass ich das auf jeden Fall machen will. Vor allem ist der Trainer der Aachener ein weiteres, gewichtiges Argument:

Werner Fuchs. Von ihm habe ich nur Gutes gehört, mit ihm will ich auf jeden Fall zusammenarbeiten.

Was für ein Tag!

Gerade an der Donau stehen wir Trübsal blasend da, wissen nicht so recht, wie es weitergeht. Und nun wird die Karriere in Deutschland fortgesetzt.

Eine Karriere, die im Morast zwielichtiger Fußballmäzene drohte stecken zu bleiben. Ich bin euphorisch!

1. Juli 1998

In Aachen werde ich als Neuzugang aus Österreich vorgestellt. Die meisten halten mich für einen Österreicher. So lange bin ich schon weg. Dabei war ich mal deutscher Jugendnationalspieler. Das klärt sich aber schnell.

DAS JAHR 1998

Im Jahr 1998 passiert alles im Zeitraffer. Alle wegweisenden Entscheidungen in meinem Leben scheinen sich in diesem 1998 zu ereignen. Anfang des Jahres spiele ich noch in Wien, bei der First Vienna, zur neuen Saison, zum 1. Juli, wechsle ich zu Alemannia Aachen, einem der großen Traditionsvereine des deutschen Fußballs.

Nicht die einzige gute Nachricht: Meine Frau Nadine, mit der ich zusammen bin, seit ich 14 Jahre alt bin, ist schwanger mit unserer ersten Tochter. Nadine hat mit mir in Wien gelebt und muss nun während der Schwangerschaft den Umzug von Österreich nach Aachen organisieren, während ich standesgemäß mit meinem Kulturtäschchen als Reisegepäck vorgefahren bin und bereits die Vorbereitung in Aachen mitmache. Der Aachener Trainer Werner Fuchs ist eine erstaunliche Persönlichkeit. Das passt von Anfang an. Ich fühle mich richtig wohl.

Nach den ersten Wochen in Aachen, noch vor der Geburt der Tochter, beschließen meine Frau und ich, zu heiraten. Am 18. September 1998 heiraten wir im Standesamt Laurensberg, ein großes Fest ist es nicht, die Saison hat begonnen, ich kann jetzt nicht groß feiern. Bei der standesamtlichen Hochzeit sind die engsten Verwandten da und meine neue Mannschaft steht Spalier, als wir frisch getraut aus dem Rathaus kommen. Ein großartiges Gefühl, jetzt mit meiner Jugendliebe verheiratet zu sein. Am 28. Oktober kommt unsere Tochter Julia zur Welt. Ein wunderbares Ereignis. Und am 19. Dezember bekomme ich meine erste Rote Karte im Profifußball.

Spätsommer 1998

Werner Fuchs ist für mich eine echte Autorität. Kurze Geschichte: Meine Frau ist hochschwanger. Wir sind von Wien hergezogen nach Aachen, wir sind frisch verheiratet. Ich bin noch im siebten Himmel, und die Freude darüber, bei der Alemannia zu spielen, ist riesengroß – bis mich Trainer Werner Fuchs zur Seite nimmt und sagt:

»Ich will nicht noch mal sehen, dass deine Frau den Bürgersteig fegen muss.«

Was? Das hat er gesehen, dass Nadine gekehrt hat? Wann hat er das gesehen? Wie hat er das mitbekommen?

Meine Frau hat alles gemacht, hat mir den Rücken freigehalten trotz Schwangerschaft – irgendwie ist das so eine unausgesprochene Vereinbarung zwischen uns. Aber offenbar ist Fuchs auf dem Weg zum Training öfter bei uns zu Hause vorbeigefahren – und nun macht er mir klar, dass es auch für Fußballprofis keinen Grund gibt, alles die Frau machen zu lassen. Dass man sich als Profi nicht zu fein sein darf, zu putzen und zu kehren. Das sei eine Frage des Anstands, sagt Fuchs. Für mich ist das eine Lehre fürs Leben.

18. Dezember 1998

Julia ist seit ein paar Wochen auf der Welt. Die Geburt ist ein wunderbares Ereignis. Die Wochen danach sind eine Herausforderung. Mit einem Schreikind. Sie schreit ganze Nächte durch, schreit und schreit, meine Frau ist mit den Nerven runter, ich schlafe kaum noch. Grundsätzlich schlafe ich immer und überall, mein Schlaf ist meine Energiequelle und Probleme mit dem Schlaf habe ich bis heute nicht. Bis auf damals, kurz vor Weihnachten 1998: Wir wissen nicht mehr weiter, unsere Tochter schreit und wir können sie einfach nicht beruhigen.

Eben ein Schreikind.

Es ist Freitag, morgen haben wir unser letztes Spiel vor der Winterpause, zu Hause gegen den 1. FC Saarbrücken, es wäre sehr wichtig, dass wir gewinnen. Eigentlich müsste ich schlafen. Doch die Tochter schreit. Und wir sind wach – und nicht mehr in der Lage, etwas Vernünftiges zu tun.

Komplett am Ende, fahren wir mitten in der Nacht ins Krankenhaus, irgendjemand muss uns jetzt helfen, sonst drehen wir komplett durch. Wir sind stundenlang im Krankenhaus, es gelingt, sie zu beruhigen. Im Morgengrauen kehren wir nach Hause zurück. Schlafen kann ich nicht mehr. So eine Spielvorbereitung ist alles andere als optimal. Komplett ausgelaugt komme ich schließlich zum Stadion. Werner Fuchs stellt es mir frei, zu kicken. Ich will unbedingt spielen, auch wenn ich nicht geschlafen habe.

19. Dezember 1998

Hätte ich mich mal schlafen gelegt. Es läuft schlecht, richtig schlecht. Wir verlieren zu Hause 0 : 2 gegen den 1. FC Saarbrücken. Und es kommt noch schlimmer: Als ich in der 33. Minute sehe, wie es meinen Mitspieler nach einem Foul an ihm wortwörtlich aus den Schuhen haut, kann ich mich nicht mehr beherrschen, ich nehme 30 Meter Anlauf, gehe energisch auf den Gegenspieler zu.

Böse Zungen behaupten heute noch, ich wäre ihm an die Gurgel gegangen. In den TV-Bildern sieht es auch ein bisschen danach aus. Ich habe es allerdings nur als leichtes Schubsen in Erinnerung. Jedenfalls bekomme ich eine Rote Karte, ich fliege vom Platz. Dass der Schiri mir einfach Zeit, mehr Zeit zum Schlafen, gönnen wollte, ist ein Gerücht.

Was für ein trüber Jahresabschluss.

Januar 1999

Als Geschenk zum 50. Geburtstag von Werner Fuchs machen wir als komplettes Team mit Frauen und Familien einen Ausflug nach Obertauern zum Skifahren.

Fuchs hat sich das unbedingt zum Geburtstag gewünscht und der Verein hat schließlich eingewilligt. Es läuft unter dem Begriff Teambuilding und wir erleben ein unvergessliches Ereignis. Weil ich Rot gesehen habe, muss ich bei einem Hüttenabend vor der ganzen Mannschaft Abbitte leisten. Es wird ein Stuhl auf einen Tisch gestellt, auf den ich mich setzen muss. Die anderen dürfen mich beschimpfen, dann muss ich noch ein Lied singen. Ein kleines Spektakel.

Ich sehe noch vor mir, wie Werner Fuchs an diesem Abend strahlt und sich über sein Team freut. Das Bild werde ich immer in Erinnerung behalten.

Er sollte nur noch wenige Monate leben.

MIT JEDER FASER BEIM SPIEL

In Aachen, so sagt man, würde es reichen, das Flutlicht anzumachen, und die Leute würden kommen, weil sie glauben, gleich geht es wieder los, geht irgendwas los. Diese Energie, diese Begeisterung haben mich geprägt. Das ist das, was ich als Trainer entfachen möchte. Wenn die Brust fast zerspringt, wenn es zur Sache geht. Wenn alle im Stadion mit jeder Faser ihres Körpers beim Spiel sind.

Es gibt kein Gestern und kein Morgen, es gibt keine Post vom Finanzamt oder Stress in der Ehe, es gibt nur dieses Spiel und die ganze Bandbreite menschlicher Emotionen: maximale Enttäuschung, wenn es nicht klappt, und die überschäumende Freude, das Hüpfen auf den Rängen, die Gesänge, wenn am Ende gewonnen wird.

Das ist eben nicht nur ein Unterhaltungsprogramm, sondern ein Teil des Lebens, vielleicht das Leben selbst. Ich liebe diese Momente, wenn das Stadion ausrastet. Wie es immer öfter bei uns in Heidenheim zu spüren ist: Die Fans in der Voith-Arena stehen alle hinter dir, das gibt dir ein enormes Gefühl der Stärke. Jetzt kannst du alles erreichen. Wenn es gelingt, Menschen zu begeistern und als Gemeinschaft erfolgreich zu sein, ist alles erreicht.

25. April 1999

Ein ganz wichtiges Spiel. Regionalliga West/Südwest, wir sind in der Saison 1998/1999, es ist der 29. Spieltag, Alemannia Aachen gegen SC Verl. Es geht um den Aufstieg – und es ist eines der geilsten Spiele, die ich bei Aachen erleben darf. Ich bin Innenverteidiger. Zur Halbzeit sieht es übel für uns aus, Verl ist uns in allen Belangen überlegen, obwohl sie in der Tabelle drei Plätze hinter uns stehen. Sie hätten in den ersten 45 Minuten locker schon zwei oder drei Tore machen können. Wir kommen nicht ins Spiel, der Trainer von Verl ist stinksauer, weil sie schon hoch führen müssten.

Auf der Tribüne sitzt Egidius Braun, damals noch tadelloser DFB-Präsident und Ur-Aachener. In der Pause gibt es von Trainer Werner Fuchs die Ansage, aggressiver zu werden.

Er pusht uns und wir alle haben ordentlich Puls. Ich bin voll Adrenalin. In einem Zweikampf ramme ich einen Gegenspieler so vehement an der Seitenlinie, dass er krachend auf die Ersatzbank fliegt, auf unsere Ersatzbank, und die Bank tatsächlich zusammenbricht. Der Gegenspieler muss mehrere Minuten behandelt werden, weil er mit dem Rücken auf die Ersatzbank geflogen ist, mir ist ein wenig mulmig. Da sind die Holzbretter gesplittert, als er auf die Bank geknallt ist. Alle Verler Fans, alle Spieler und Funktionäre haben natürlich ab jetzt ein ganz klares, eindeutig identifizierbares Feindbild: mich.

Für den Schiri ist der Ersatzbank-Kracher nur eine Gelbe Karte wert, zum Glück. Ich hätte mich nicht beschweren können, wenn er mich vom Platz gestellt hätte.

Aber das ist nicht mein einziger Tiefpunkt in diesem Spiel. Bis zur 81. Minute steht es 0 : 0, doch bei einem Zweikampf mit dem eingewechselten Ulf Raschke vom SC Verl schiebe ich den Ball aus fast 20 Metern blitzsauber ins eigene Tor, ein fürchterliches Eigentor, das – wenn man es heute auf YouTube anschaut – tatsächlich aussieht wie Absicht. Verl führt also kurz vor Schluss 1 : 0 auf dem Aachener Tivoli und schuld war: ich.

Doch das Spiel ist noch nicht zu Ende. In der 86. Minuten wird im Verler Strafraum unser Stürmer Stephan Lämmermann gefoult. Es gibt Elfmeter, ganz eindeutig, keine Diskussion. Ich bin der etatmäßige Elfmeterschütze, für mich ganz klar, dass ich schießen werde. Also mache ich mich auf den Weg zum Punkt. Da ich von hinten komme, sind es fast 70 Meter bis zum Elfmeterpunkt – und mit jedem Meter spüre ich die Anti-Stimmung im Stadion:

Der wird doch jetzt nicht den Elfmeter schießen?

Der hat gerade ein Eigentor fabriziert, der hat seinen Gegenspieler per Bodycheck auf die Ersatzbank katapultiert, der ist heute nicht gut drauf. Wegen diesem Typen werden wir noch unsere Saisonziele verpassen – der wird doch nicht schießen? Bei 0 : 1? Haltet den doch auf!

Ich spüre die Stimmung, ich sauge sie auf, sie ist mir komplett egal. Ich schnappe mir den Ball, schieße den Elfmeter – und treffe, rechts unten:

1 : 1.

Von heute aus betrachtet war das ein sehr wichtiger, wenn nicht der wichtigste Schuss in meiner Karriere. Wenn ich den Elfmeter versemmelt hätte, wäre vieles anders gekommen, da bin ich mir sicher. Dass Mario Krohm in der 89. Minute noch zum 2 : 1 für uns trifft, ist der wahnsinnige Abschluss eines komplett verrückten Spiels.

Wir gewinnen, wir steigen wenig später auf, für mich die beste Saison in Aachen – und gleichzeitig auch die schlimmste Saison. Nur zwei Wochen nach diesem Verl-Spiel stirbt Werner Fuchs beim Waldlauf, er bricht einfach zusammen.

25. April 1999

Der Spieler aus Verl, den ich dazu brachte, unfreiwillig unsere Ersatzbank zu zertrümmern, war übrigens mein Namensvetter Roger Schmidt, später Trainer bei Bayer Leverkusen, PSV Eindhoven und derzeit sehr erfolgreich bei Benfica Lissabon. Einer der deutschen Toptrainer, in Portugal inzwischen fast gefeiert wie ein Fußballgott. Roger Schmidt war auch Teilnehmer bei meinem DFB-Trainerlehrgang 2010/2011. Dass man sich im Fußball immer zwei Mal sieht, wird damit eindrucksvoll untermauert. Roger Schmidt hat seine Ersatzbanklandung nicht vergessen. Beim Trainerlehrgang habe ich mich aufrichtig entschuldigt, zwölf Jahre später.

11. Mai 1999

Training bei Alemannia Aachen, Dienstagnachmittag. Wir sind Tabellenführer in der Regionalliga, der Aufstieg steht unmittelbar bevor, noch ein Spiel. Die Mannschaft macht einen Waldlauf. Der Trainer wartet am Startpunkt, von wo aus das Team loslaufen und nach einer Runde wieder zurückkehren wird. Mein Teamkollege Henri Heeren und ich bleiben auf dem Trainingsgelände, wir sind etwas angeschlagen, leicht verletzt und sollen auf dem Platz unsere Runden drehen. Die anderen sind im Wald – und kommen ewig nicht zurück. Es vergeht eine Stunde, es vergehen zwei, fast drei Stunden. Henri und ich sind längst fertig mit unserem Lauftraining und weit und breit keine Teamkollegen. Dann kommen die Ersten endlich zurück, sie sagen, der Trainer sei »umgefallen«. Umgefallen? Er ist ein paar Wochen zuvor am Knie operiert worden, vielleicht hielt das Knie noch nicht?

Doch es gibt neue Informationen: Der Trainer habe eine Herzattacke gehabt.

Er sei tot. Fuchs tot? Das kann ich nicht glauben. Er war doch vorher noch fit. Er kann doch nicht tot sein.

Christian Schmidt, unser Torwart, der nebenbei Medizin studiert, habe noch versucht, ihn wiederzubeleben, berichten die anderen, doch keine Chance. Der Notarzt ist gekommen, per Hubschrauber ist Fuchs in die Klinik gebracht worden. Sie haben alles versucht. Aber Werner Fuchs ist tot. Das ist ein heftiger Schlag für uns alle. Er ist nur 50 Jahre alt geworden. Einfach aus dem Leben gerissen.

Es ist unbegreiflich.

16. Mai 1999

Nach drei Tagen Trauer bereiten wir uns auf das nächste Spiel vor. Als Mannschaft beschließen wir, es durchzuziehen. Unser Mittelfeldspieler André Winkhold, der Erfahrenste von uns, früher Profi bei Borussia Mönchengladbach und Hertha BSC, trainiert uns.

Wir schwören uns ein: Für Werner Fuchs!

Wir wollen den Aufstieg. Am Sonntag spielen wir auswärts gegen die SpVgg Erkenschwick, 6000 Aachen-Fans sind mitgereist – doch keiner schreit, keiner singt, keiner jubelt, während wir uns aufwärmen. Eine groteske Situation in einem Fußballstadion. Erst nach einer Schweigeminute fangen die Fans an, uns anzufeuern.

Wir ziehen es durch und gewinnen 2 : 0 bei Erkenschwick, der Aufstieg ist uns nicht mehr zu nehmen – wir sind zurück in der 2. Liga. Ein Höhepunkt und gleichzeitig ein schmerzvoller Tiefpunkt meiner Zeit in Aachen.

TRAINER SIND MENSCHEN

Werner Fuchs war als Trainer und Mensch ein Vorbild, ein feiner Mensch, mein Leuchtturm zu jener Zeit. Für mich war sein Tod ein maximaler Schock. Ich bin einer der Sargträger. Er bekommt eine Zeremonie im Aachener Dom, eine ungewöhnliche, aber aus meiner Sicht absolut verdiente Würdigung eines Mannes, der bis heute in Aachen hoch angesehen ist. Er hat mir beigebracht, dass man auch und gerade im Sport füreinander da sein muss, dass ein Trainer als Mensch funktionieren muss, dass er mit den Spielern spricht, dass er sie in den Arm nehmen kann, wenn sie versagt haben – dass ein Trainer Mensch sein muss.

März 2000

Fußball ist – ich kann es nicht oft genug betonen – die Leidenschaft meines Lebens. Ich stehe wieder im endlos langen Kabinengang am Aachener Tivoli, neben mir Willi »das Kampfschwein« Landgraf. Willi, der »Mister 2. Liga«, vor der Saison zu Aachen gewechselt, nur 1,66 Meter groß, aber jeder Zentimeter geballte Energie. Seit 1998 spiele ich bei Alemannia Aachen und genieße jeden Moment im Gang. Wir trippeln auf der Stelle, draußen brüllen 20 000 Fans ein lang gezogenes »Aaaachen – Aaaachen – Aaaachen« und Willi hat das Weiße in den Augen, gleich geht es hier so richtig los. Es riecht nach Bratwurst, nach Kippenqualm, nach diesem Dampf eines Stadions. Du weißt, es wird symbolisch eine Art von »Gemetzel«, aber die draußen stehen bedingungslos hinter dir, die maximale Identifikation mit einem Verein. Aachen ist so lange wunderbar, bis ein neuer Trainer kommt.

4. April 2002

Unsere zweite Tochter Lara kommt zur Welt. Zufällig war der Schwiegervater gerade bei uns zu Hause, sodass wir in der Nacht ins Krankenhaus fahren konnten. Früh kehrten wir zurück. Mit Lara, übrigens kein Schreikind, keine Gefahr für den zweiten Platzverweis in meiner Karriere.

4. August 2002

Neue Saison in Aachen, meine vierte hier. Ich bin ein etablierter Spieler. Doch nun gilt es, eine neue Erfahrung zu bewältigen: Die Legende spricht nicht mit mir. Jörg Berger, der unseren Trainer Eugen Hach abgelöst hat, trainiert nun Alemannia Aachen. Berger hat zuvor schon Vereine wie Frankfurt, Schalke oder Köln betreut, hat sich als Trainer einen Ruf als harter Hund erarbeitet, war meist erfolgreich, hat einige Mannschaften vor dem Abstieg bewahrt.

Ein »Feuerwehrmann« in der Sprache des Fußballs. Ich bin Kapitän der Mannschaft in Aachen, Eugen Hach hatte mich nach dem Aufstieg in die 2. Liga dazu ernannt, und eigentlich ist ein Kapitän unverzichtbar.

Jörg Berger sieht das anders, er hält mich sehr wohl für verzichtbar, sagt es mir aber nicht. Ich erfahre es auf die bittere Art. Das letzte Vorbereitungsspiel, eine Woche vor der neuen Saison, steht an, gegen Roda Kerkrade. Berger ist aber nicht da, er muss zur Hochzeit seines Sohnes, völlig o. k., da sollte man als Vater auf jeden Fall hin. Sein Co-Trainer Frank Engel coacht uns bei diesem Spiel. Kurz vor dem Match ist die Aufstellung raus: Ich sitze nur auf der Bank. Ich, der Kapitän. Beim letzten Test vor der neuen Saison. Das ist ein Zeichen.

Ich habe keine Ahnung, warum. Jörg Berger hat zuvor nichts gesagt. Einfach: zack, draußen. Die Demütigung besteht aber weniger darin, dass ich zum Ersatzspieler degradiert werde, das kommt vor. Wirklich demütigend ist, dass du es nicht wert bist, dass man dir einen Grund dafür nennt, dass mit dir nicht schon im Vorfeld darüber gesprochen wurde, dass ich als Spieler nicht weiß, woran ich bin.

Nach dem Spiel, beim nächsten Training, sagt er zu mir immerhin: »Ich weiß, Sie sind enttäuscht, dass Sie nicht gespielt haben.« Und einige Zeit später, in einer Teamsitzung, setzt er noch einen drauf. In dieser Sitzung gibt Berger jedem Spieler ein weißes Blatt Papier. Er sagt, jeder solle seine Wunschaufstellung daraufschreiben. Schließlich sammelt er die Blätter ein und schaut sie sich aufmerksam an. Er kommt zu mir und sagt: »Schauen Sie, Frank, nur vier Spieler hatten Sie in der Aufstellung, andere sind einfach besser.«

Es war maximal demotivierend, als Kapitän so vorgeführt zu werden. Und das in einem Verein, für den ich alles gegeben habe, für den ich gelebt und geliebt habe. Plötzlich werde ich fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel.

Eine Lehre fürs Leben. Ich würde es als Trainer nie so machen. So würde ich nicht mit einem Spieler umgehen, kein Mensch will, dass so mit einem umgegangen wird. Aber diese Erfahrung hat mich geprägt. So will ich als Trainer in puncto Menschenführung nicht sein. Es gibt keinen Grund, nicht mit Spielern zu reden. Du kannst nicht immer nett sein. Du kannst dich auch mal im Ton vergreifen – aber rede mit ihnen. Sei ein Ansprechpartner, nimm dir Zeit für ein Gespräch. Du willst, dass sie immer und immer wieder an ihre Grenzen gehen, alles für den gemeinsamen Erfolg investieren, dann sollten sie es wert sein, dass du mit ihnen sprichst.

31. Januar 2003

Bei Alemannia Aachen hat sich die Stimmung endgültig gegen mich gedreht. Trainer Jörg Berger und Manager Jörg Schmadtke lassen mich wissen, dass mein im Sommer auslaufender Vertrag nicht mehr verlängert wird. Ich bin bereits als Kapitän abgesetzt worden, als Spieler spiele ich kaum noch eine Rolle. Eine bittere Erfahrung. Ich schaue mich um.

Walter Pradt, lange Jahre Torwart beim SV Waldhof Mannheim, ist inzwischen Trainer bei Mannheim und steht vor einer schwierigen Rückrunde in der 2. Liga. Waldhof ist bereits drei Punkte von einem Nichtabstiegsplatz entfernt – und ich soll mithelfen, den Abstieg abzuwenden.

Die Karriere geht weiter und kurz vor der Schließung des Transferfensters wechsle ich nach Mannheim. Nadine und meine beiden Töchter – die zweite Tochter Lara ist gerade ein Jahr alt – bleiben in Aachen.

2. Februar 2003

Das zweite Training in Mannheim. Ich denke mir: Wie soll diese Mannschaft den Klassenerhalt schaffen? Das ist keine Einheit. Bei den kleinsten Konflikten, bei Minifouls stehen die Spieler sofort Brust an Brust oder Kopf an Kopf.

Die Stimmung ist richtig mies. Ständig müssen Streits geschlichtet werden, ständig wird gemotzt und gestänkert. Das ist absolut keine Mannschaft, wie ich sie bisher kannte, das ist nicht einmal eine Interessengemeinschaft. Das sind ein paar Leute, die zufällig für denselben Arbeitgeber tätig sind. Natürlich werden die Spiele verloren und nicht selten beenden wir das Spiel mit einem Mann weniger, zu viele Platzverweise, zu viele Disziplinlosigkeiten. Alles nicht gut im Abstiegskampf. Auch ich muss mir eingestehen, dass meine Leistung nicht gerade zweitligatauglich ist.

März 2003

Walter Pradt ist ein toller Mensch. Aber er geht nicht in den Konflikt, haut nicht dazwischen. Und die Ergebnisse stimmen nicht. Nach einem 0 : 5 gegen die SpVgg Greuther Fürth wird er am 26. Spieltag entlassen. Ich fühle mich mitverantwortlich, schließlich hat er mich geholt, wollte mich unbedingt. Mit meiner Nichtleistung, mit meinem Versagen habe auch ich dazu beigetragen, dass er gehen muss.

Dann kommt Stefan Kuntz, Ex-Nationalspieler, heute Nationaltrainer der Türkei. Er soll aufhalten, was im Grunde nicht aufzuhalten ist. Doch auch unter Trainer Kuntz wird es nicht besser. Die Mannschaft ist im Grunde nicht schlecht, es gibt ein paar wirklich gute Einzelspieler, da ginge etwas.

Aber es ist eben keine Gruppe, die bedingungslos zusammenhält. Es ist kein Team, in dem alle gemeinsam in eine Richtung ziehen. Alle stehen nur zufällig gemeinsam auf dem Platz. Die Entfernung zu den rettenden Plätzen wird immer größer. Der Abstiegskampf ist unerbittlich. Ich bin wieder verletzt, kann dem Team nicht mehr helfen. Ehrlich gesagt konnte ich das auch nicht, als ich noch spielte.

25. Mai 2003

Der Abstieg ist besiegelt. Seit dem 28. Spieltag standen wir auf Platz 18. Daran hat sich nichts mehr geändert. Mein erster Abstieg. Die Waldhof-Fans sind richtig sauer. Der Frust entlädt sich, einige Ultras stehen hinter dem Stadion und sagen uns recht deutlich, was sie von uns halten. Wir werden übelst beschimpft. Zwar kommt es nicht zu Übergriffen, aber die Situation, eingekesselt von Mannheim-Ultras, ist schon beängstigend.

Wenn du als Spieler merkst, welche Emotionen deine nicht erbrachten Leistungen hervorrufen. Wie die Begeisterung in Wut umschlagen kann, weil du sie enttäuscht hast, weil es eben nicht nur um deine Leistung auf dem Platz geht, sondern weil ihr als Team nicht in der Lage wart, deren Träume zu erfüllen. Sicher, Fußball ist immer auch ein Ventil zum Frustabbau. Es ist immer sehr viel Emotion im Spiel. Aber das am eigenen Leib zu erfahren, das will ich nicht oft haben.

Nach Ende der Saison will jeder nur noch eins – weg. Auch für mich ist danach schnell Feierabend. In Mannheim will ich nicht mehr bleiben.

26. Mai 2003

Ich breche meine Zelte in Mannheim ab, gleich am nächsten Tag. Ich habe insgesamt nur acht Spiele absolviert, die restlichen Spiele bin ich wegen Verletzung ausgefallen. Als Krönung dieser verkorksten Saison habe ich den ersten und einzigen Abstieg meiner Profikarriere erlebt. Einen berechtigten Abstieg im Übrigen. Vor allem habe ich meine Familie vier Monate allein in Aachen gelassen. Das hält keiner aus. Seitdem weiß ich, wie wichtig es für Sportler ist, dass ihr Umfeld stimmt, dass die Familie in der Nähe ist.

31. Mai 2003

Wie soll es weitergehen? Mannheim hat mir den Rest gegeben. Meine Karriere als Profi ist auf der Zielgeraden angekommen. Was soll noch kommen? Was kann noch kommen? Nach meinen unzähligen Operationen bin ich offenbar nicht mehr fit genug für die 2. Liga. Die Angebote bleiben aus.

In einem halben Jahr werde ich 30 Jahre alt. Eigentlich noch kein Alter für einen Fußballprofi. Zwar gibt es noch Angebote aus der Regionalliga. Da könnte ich noch ein Jahr dranhängen, wir müssten aber umziehen. Doch ich will meine Familie nicht weiter im Stich lassen. Sie saßen während meiner trüben Zeit in Mannheim vier Monate allein in Aachen.

Wohin also?

Es reift der Gedanke, zurück in die Heimat zu gehen. Auf die Ostalb. Nach Heidenheim, nach Giengen. Wo unsere Eltern leben, wo wir herkommen, wo wir nach der turbulenten Zeit im bezahlten Fußball wieder Ruhe finden. Tatsächlich kommt ein Angebot, über das ich als Heidenheimer eigentlich nicht sprechen darf.

Denn der VfR Aalen will mich verpflichten.

Der ewige Ostalb-Rivale fragt bei Schmidt an? Aalen?

Der VfR spielte damals in der Regionalliga Südwest, ist als Verein ein paar Nummern größer als der Verbandsligist Heidenheimer SB. Auf jeden Fall hat der Verein Potenzial. Und eigentlich kann ich es mir auch vorstellen. Aber dann schicken sie aus Aalen ein Fax, der Präsident wünsche sich einen anderen Spieler auf meiner Position.

So drohen immerhin keine diplomatischen Verwicklungen auf der Ostalb.

Und genau zu diesem Zeitpunkt wird Heidenheim aktiv. Schließlich kommt es zu einem Treffen mit Holger Sanwald am Jahnplatz in Heidenheim.

Das Treffen wird zur entscheidenden Weggabelung.

15. Juni 2003

Holger Sanwald begrüßt mich in seinem Büro. Wobei »Büro« bedeutungsvoller klingt, als das, was ich vorfinde, es ist ein drei mal drei Meter großer Raum, ohne Fenster, zwei Stühle, ein Tisch, auf dem sich Papier und Ordner türmen. Es ist eng, man kann sich kaum bewegen, wir zwängen uns an den schmalen Tisch, etwas zu trinken kann er mir nicht anbieten, aber er ist sehr offen, außerordentlich interessiert an dem, was ich zu erzählen habe.

Sanwald ist damals ehrenamtlicher Abteilungsleiter des Heidenheimer SB und das Büro entspricht ungefähr dem Stellenwert des Vereins. Der HSB spielt in der Verbandsliga, hat aber Großes vor, zumindest sagt das Sanwald, was jedoch in dieser Abstellkammer etwas anmaßend klingt.

Doch die Augen von Sanwald leuchten.

Er bringt damit in mir etwas zum Leuchten.

WAS HOLGER SANWALD SAGT, TEIL 1:

»Frank Schmidt war schon damals in Fußballkreisen sehr bekannt in der Region. Er ist in Heidenheim geboren und aufgewachsen in Giengen, ich bin in Giengen geboren und aufgewachsen in Heidenheim, er war einer von uns und schon mit 15 Jahren Nationalspieler, ein Megatalent und auf dem Sprung, ein großer Star zu werden. Ich hatte auch gekickt, beim damaligen Heidenheimer SB in der Landesliga, war aber nicht ansatzweise so talentiert wie Frank. Auch bin ich ein paar Jahre älter als er. Getroffen haben wir uns jedoch nie, nur indirekt. In den Ferien habe ich beim Paketversand Hermes gejobbt, Pakete sortiert und verteilt. Dort bei Hermes hat auch Franks Mutter gearbeitet und sie hat erzählt, wie sie mit ihm nach München ins Olympiastadion gefahren ist, Bayern gegen Frankfurt, weil der Frank ›unbedingt Lajos Détári‹, den ungarischen Spielmacher von Frankfurt, spielen sehen wollte.

Aus der Ferne habe ich in den 1990er-Jahren seinen Weg verfolgt, der großartige Sieg von Vestenbergsgreuth gegen Bayern München. Dann das österreichische Abenteuer und die sehr gute Zeit in Aachen. Mein Weg in den Fußball war ein anderer.

Ich habe bis 1991 in Augsburg Wirtschaftswissenschaften studiert, danach als Sales Manager in der Exportabteilung der Paul Hartmann AG meine berufliche Laufbahn gestartet. Fußball habe ich, unterbrochen von einem Jahr in Oberkochen, immer als Hobby beim Heidenheimer SB gespielt. Mit 27 Jahren, im Jahr 1995, habe ich dann ehrenamtlich die Leitung der Fußball-Abteilung beim Heidenheimer SB übernommen. Wir hatten 150 Zuschauer bei unseren Heimspielen und einen Jahresumsatz von 80 000 DM. Wir waren Lichtjahre entfernt vom Profifußball. Aber ich hatte schon die Vision, in meiner Heimat einen Fußballverein aufzubauen, der sich zunächst in der Oberliga etablieren sollte. Über die Jahre habe ich dann viele Menschen und Mitstreiter für unseren Verein begeistern können, mit denen irgendwann später die Vision von der 2. Bundesliga reifte – ein Gemeinschaftswerk der gesamten Region und ohne »Weißen Ritter« von außen als Geldgeber.«

Juli 2003

Ich bin 29 Jahre alt nach der frustrierenden Zeit bei Waldhof Mannheim. Die hallt noch nach. Mannheim fällt ins Bodenlose, erhält keine Lizenz für die Regionalliga und ist sportlich, wirtschaftlich und überhaupt am Ende. In gewisser Weise fühle ich mich auch verantwortlich, aber ich muss das jetzt hinter mir lassen. In Mannheim habe ich erlebt, wie eine Mannschaft zerfällt, ja, wie ein Verein zerfällt. Für mich eine sehr prägende Zeit, auch wenn sie bitter endet.

Und jetzt kommt Holger Sanwald. Er hat sich das alles sehr genau ausgedacht.

Und bietet mir einen Dreijahresvertrag als Fußballer für den Heidenheimer SB in der Verbandsliga, zusätzlich könne er eine Arbeitsstelle bei der Paul Hartmann AG organisieren, einem global tätigen Hersteller für Verbandsmittel. Das klingt gut. So könnte das neue Leben aussehen.

Selbstverständlich möchte ich bei Hartmann arbeiten. Schon als Kind bin ich an der Fabrik mit den Worten vorbeigegangen: »Da will ich mal arbeiten.« Doch so einfach ist es nicht. Es geht um einen richtig guten Job, es gibt sehr qualifizierte Mitbewerber und meine Qualifikation besteht in erster Linie aus sieben Jahren Profifußball, was nur bedingt dem Anforderungsprofil entspricht. Aber im Vorstellungsgespräch überzeuge ich. Das scheine ich nicht schlecht gemacht zu haben. Es klappt.

Ich bin wieder zurück in der Heimat, in Heidenheim, und habe einen Job bei einem großen Konzern – und spiele ab jetzt in der Verbandsliga.

WAS HOLGER SANWALD SAGT, TEIL 2:

»Wir Schwaben, gerade wir Schwaben von der Alb, neigen dazu, uns zu verstecken, uns kleiner zu machen, als wir sind. Positiv gesprochen ist es Demut und Bescheidenheit, negativ gesprochen könnte man es als Minderwertigkeitsgefühl bezeichnen.

Dabei gibt es keinen Grund, nicht auf das stolz zu sein, was wir zu bieten haben. Unsere Region ist einer der führenden Wirtschaftsmotoren, nicht nur in Baden-Württemberg. Wir haben hier sowohl global agierende Großkonzerne als auch zahlreiche erfolgreiche Familienunternehmer und Mittelständler. Hier –zwischen Stuttgart und Augsburg gelegen – leben Hunderttausende von Menschen, natürlich haben wir das Potenzial für einen großen Fußballklub. Natürlich gibt es hier genügend potenzielle Fans. Mir hat am Anfang nur keiner richtig geglaubt.

Bis Frank kam. Ich war damals auf dem Weg zu einem Sponsorentermin und kann mich auch noch genau an den Augenblick erinnern, als mich der Anruf erreicht hat, wir spielten in der Verbandsliga und nach ganz großem Fußball sah das alles nicht aus. Zu unseren Heimspielen kamen mittlerweile ein paar 100 Zuschauer, es gab eine schmale Tribüne, die selten voll besetzt war, direkt am Spielfeld befand sich ein Streichelzoo, da grasten Esel und Ziegen, was nicht unbedingt unser Ansehen steigerte.

Über unseren damaligen Wirtschaftsbeirat Rechtsanwalt Ehrlinger, erfuhr ich, dass Frank zurück in die Region wollte. Ich war elektrisiert. Frank war genau das fehlende Puzzleteil. Wie gesagt, wir kannten uns nicht, ich hatte ihn nie persönlich kennengelernt und eigentlich konnte ich mir nicht vorstellen, dass sich ein gestandener Zweitligaprofi die Verbandsliga antun würde, mit Eseln am Spielfeldrand und einem ambitionierten Feierabendteam, zumal er noch keine 30 Jahre alt war.

Und doch hat es gepasst. Es hat sofort Klick gemacht. Seine Offenheit, seine positive Art und dass er sich von etwas überzeugen lässt. Er sagte: ›Ich brauche aber einen Job, von dem ich leben kann.‹ Er war verheiratet, hatte zwei Kinder. Über unseren damaligen Wirtschaftsbeirat Hans Kahlich organisierten wir ihm einen Job bei unserem damaligen Hauptsponsor, der Paul Hartmann AG und ich konnte es immer noch nicht fassen, dass der Frank, der Frank Schmidt, eines der größten Talente der Ostalb, bei uns anheuerte und an meine Überzeugung glaubte, etwas Großes zu schaffen oder zumindest in die Oberliga aufzusteigen.«

1. August 2003

Bei der Paul Hartmann AG, einem, um es jetzt mal offiziell zu benennen, weltweit führenden Anbieter von Systemlösungen für Medizin und Pflege, arbeite ich nun in der Treasury-Abteilung. Als gelernter Bankkaufmann bin ich für das »Front Office«, für die interne Konzernverrechnung und den Devisenhandel zuständig. Es ist ein guter Job. Wir sind ein kleines, aber effizientes Team in einem international agierenden Konzern.

Alles ist gut. Am Wochenende habe ich die Spiele in der Verbandsliga, unter der Woche einen guten Job, das Leben pendelt sich ein, es wird ruhiger. Der Fußball, der lange Teil meines Lebens war, ist es nicht mehr in diesem vollen Ausmaß. Mein Leben scheint in eine neue Phase zu treten.

Doch der Plan geht nicht ganz auf.

EIN VORBILD?

Ein Vorbild ist für mich jemand, der zeigt, was er kann, sich aber nie wichtiger nimmt, als er ist. Wer sich aufgrund seiner Leistung etwas einbildet, eignet sich nicht als Vorbild. Ein Vorbild zeichnet ein hohes Maß an Empathie aus – und entscheidend für ein Vorbild ist, dass es vorlebt, was für ihn oder sie wichtig ist. Sei es in der Lebenseinstellung, sei es bei der Ausübung des Berufs. Als Trainer, und dann noch als einer, der immer da ist und Erfolg hat, kann man zum Vorbild gemacht werden. Das kann unangenehm sein. Vor allem, wenn man gehypt wird – und viele dann fast ehrfürchtig vor einem stehen.

Meine Frau sagt immer zu mir: »Du musst die Menschen verstehen, für die ist es etwas Besonderes, wenn sie dich sehen und du mit ihnen sprichst.« Nur, dass ich mir darauf nichts einbilden darf.

Wenn mir gelingt, dass ich nicht abhebe, eigne auch ich mich als Vorbild. Am meisten würde mich freuen, wenn man unser Team und den 1. FC Heidenheim als vorbildhaft betrachtet. Wir sind Arbeiter und können uns unheimlich stark auf den Moment fokussieren. Alles andere sind Träumereien, die uns nicht nach vorne bringen. Wenn wir alles so gemacht hätten, wie es uns zugetragen wurde, dann würden wir heute noch in der Oberliga spielen – oder wieder. Eine unserer Stärken ist, dass wir von uns überzeugt sind. Wir sind so selbstbewusst, zu sagen, dass wir unseren Weg weitergehen werden.

So müssen Vorbilder sein.

Herbst 2003

Die Hinrunde in der Verbandsliga mit dem Heidenheimer SB ist eine derbe Erfahrung. In den ersten Monaten muss ich ein viermonatiges Traineeprogramm bei der Heidenheimer Volksbank eG absolvieren, um mich in den neuen Job einzufinden. Danach arbeite ich acht bis zehn Stunden am Tag bei der Paul Hartmann AG. Parallel dazu muss ich drei-, viermal die Woche auf dem Fußballplatz trainieren.

Meine Leistungen in den Spielen im Herbst 2003 sind grottenschlecht. Statt ein Leistungsträger zu sein, bin ich eher eine Belastung für das Team. Vor allem, weil ich denke, die anderen müssten sich an mich anpassen – bis ich irgendwann begreife, dass ich mich den anderen anpassen muss. Auch an den Kulturschock nach dem Spiel in der Kabine muss ich mich gewöhnen:

Wöchentlich wird immer eine Kiste Bier reingestellt. Man trinkt zusammen, quatscht, bleibt teilweise stundenlang noch hocken. Das kenne ich nicht. In meiner Welt bin ich immer noch Profi. Bier in der Kabine unter der Woche wäre ein No-Go! Aber ich gewöhne mich daran. Dann wird es bisweilen lustig.

Richtig lustig.

Frühling 2004

Wenn wir gewinnen, gehen wir nach dem Spiel erst mal zum Kiosk im Stadion, damals hat Liko noch gelebt, der den Kiosk betrieben hat. Bei Liko gibt es erst mal ein paar Bier und Bratwürste. Dann geht es entweder ins Jack’s oder in den legendären »Mohren« (den es nicht mehr gibt und der heute nicht mehr so heißen dürfte). Dort mache ich als DJ Frankie hinter der Theke Musik. Es sind legendäre Abende. Die Handballer kommen noch, andere Heidenheimer, es wird gefeiert bis morgens um vier. Dann ruft meine Frau an, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe und wo ich eigentlich bleibe. Die Musik wird abgedreht und ich fahre mit dem Taxi nach Hause. Amateurfußball eben!

Siege werden gefeiert, wir haben eine tolle Kameradschaft. Und am Ende der Saison steigen wir trotzdem in die Oberliga auf. Auch wenn nicht alle daran geglaubt haben – vor allem nicht die Spieler.

Juni 2004

Die Fahrt nach Mallorca ist fest gebucht. Gegen Ende der Saison haben wir beim Heidenheimer SB keine große Hoffnung mehr, noch in die Oberliga aufzusteigen. Der Zug ist abgefahren. Zwei Spieltage vor Saisonende haben wir vier Punkte Rückstand auf den Relegationsplatz, das würden wir nicht mehr packen, da glauben wir alle nicht daran.

Unser Trainer Helmut Dietterle gibt die Hoffnung auf den Aufstieg allerdings nicht auf, das ehrt ihn, doch die anderen winken ab. Konsequenterweise bucht unser Kapitän Wolfram Eitel rechtzeitig die Abschlussfahrt nach Mallorca. Drei Tage Party auf der Insel, direkt nach dem letzten Saisonspiel, das hört sich für alle gut an. Mallorca, Sonne, Party.

Doch dann geschieht das Unerwartete: Wir gewinnen die beiden letzten Spiele, holen sechs Punkte. Die Konkurrenz zeigt Nerven, sie verlieren Punkte und plötzlich stehen wir auf einem Relegationsplatz.

Jetzt haben wir ein richtiges Problem.

Zwischen letztem Spieltag und erstem Relegationsspiel gegen den Drittletzten der Oberliga sind eigentlich drei Tage Mallorca geplant. Jeder hat bereits bezahlt, Reiserücktritt ist schwierig. Vor allem aber ist der Trainer bisher nicht in unsere Inselpläne eingeweiht. Wir sind in einer Zwickmühle: Wie bringen wir das alles unserem Trainer bei? Denn als Schwaben können wir eine gebuchte Reise nicht verfallen lassen, logisch. Andererseits: der sportliche Erfolg. Oberliga würden wir auch gerne spielen. Ambitionslos ist keiner von uns. Also geht unser Kapitän zum Trainer.

Nun, ja, Dietterle fällt aus allen Wolken. Er will sogar hinschmeißen, als er erkennt, dass seinem Team eine dämliche Fahrt nach Mallorca wichtiger ist als der Aufstieg. Es gibt Stress, es werden Krisengespräche geführt, es wird hektisch debattiert, parallel gewinnen wir gegen Ofterdingen 5 : 1. Das interessiert uns weniger, Mallorca ist das Thema.

Holger Sanwald, damals noch Abteilungsleiter, nimmt Dietterle zur Seite und redet ihm gut zu, erklärt ihm, dass das Team sich auf die Relegation einschwören würde, redet ihm einen Rücktritt aus und wie so oft erkennt er das Positive in der Situation.

Es findet sich ein Kompromiss: Wir fahren nach Mallorca, versprechen dem Trainer aber hoch und heilig, dass wir uns am dritten Abend »zurückhalten« werden. Er gibt sein O. k., wenn auch sehr, sehr widerwillig.

Es haut hin.

Nach der Reise auf die Balearen gewinnen wir das erste Aufstiegs-Relegationsspiel auswärts gegen Offenburg 3 : 0. Das Rückspiel in Heidenheim gewinnen wir 2 : 0 und ziehen in die Oberliga ein. Ein super Abschluss der Saison! Die dritte Nacht auf Mallorca war – jetzt kann ich das Geheimnis ja lüften – die heftigste von allen, wir haben kaum geschlafen. Aber dass wir die Saison so astrein zu Ende bringen, zeigt, was wir für eine gute Kameradschaft im Team haben.

WAS HOLGER SANWALD SAGT, TEIL 3:

»Die ersten Monate waren nicht so leicht für Frank, er musste sowohl im Job als auch bei uns neu anfangen. Die Doppelbelastung stresste ihn. Und dass in der Kabine nach dem Spiel ein Kasten Bier stand, daran musste sich der ehemalige Profi Frank Schmidt auch erst mal gewöhnen. Doch wir beide, und das verbindet uns, mögen zwar sehr ungeduldig sein – aber wir beide wissen: Alles geht, Schritt für Schritt.

Prompt stiegen wir auf, wir waren in der Oberliga – und dann machten wir 2004 einen Plan: Vision 2. Liga. Da wollten wir hin. Und wir wollten Zuschauer begeistern, wir wollten etwas entfachen. Dazu brauchten wir Platz.

Ich ging gemeinsam mit meinem Freund Klaus Mayer zum damaligen Oberbürgermeister Bernhard Ilg, der heute unser FCH-Aufsichtsratsvorsitzender ist.

›Wir müssen das Stadion ausbauen! Es ist zu klein.‹

Der OB sagte: ›Zu euch kommen doch nur ein paar Hundert Leute, warum sollten wir da was ausbauen.‹

›Wie viele müssen kommen, damit es ausgebaut wird?‹

›1000 Zuschauer sollten es schon regelmäßig sein.‹

Also rief ich alle möglichen sozialen Einrichtungen und Vereine in der Gegend an und verschickte vor den Heimspieltagen Hunderte von Freikarten. Die meisten kamen, das Stadion war voll und so überzeugten wir die Stadt von einem ersten Ausbau. Und viele derjenigen, die damals kostenlos kamen, sind geblieben, das war ein weiterer Nebeneffekt.

Im Grunde ist es immer so geblieben: Wir hatten eine Idee, wo wir hinwollten – und wir setzten sie dann Stück für Stück um, auch wenn es nicht wenige gab, die gesagt haben: ›Ihr habt doch einen Vogel!‹

Wir zweifeln nicht an unserem Plan. Ich zweifle nicht an unseren Plänen. Wir kommen über die Philosophie, dann kommt der Erfolg und dann das Geld. Stein auf Stein. Es gibt keinen »Weißen Ritter« im Hintergrund, der uns finanziert, keinen Investor, der Geld in den Verein pumpt. Alles ist organisch gewachsen, auch unsere Finanzen.

Wir haben in fast 30 Jahren seit meinem Amtsantritt in der Landesliga mit viel Geduld und Ausdauer ein Netzwerk von 500 Sponsoren aufgebaut, darunter auch viele kleine Unternehmen, Arztpraxen, Bäckereien, Werkstätten. Wir sind ein Verein für die Leute hier, von den Leuten hier. Ja, wir haben uns alles erarbeitet. Ja, wir mussten Spieler verkaufen, immer wieder unsere besten Spieler, doch wir haben sie ersetzt und sind weitergegangen. Nie haben wir den Aufzug nach oben genommen, wir sind immer Schritt für Schritt über jede einzelne Treppenstufe gegangen. Dieser Geist trägt unseren Verein bis heute.«

17. September 2007

Geschichte wird gemacht: Aus der ausgegliederten Fußballabteilung des SB Heidenheim wird der 1. FC Heidenheim 1846 e. V. Man hat große Ziele. Und als ich von Holger Sanwald gefragt werde, sage ich zu, ab der neuen Saison als Co-Trainer im Team von Trainer Dieter Märkle zu arbeiten. Zum 1. August habe ich mich auch beruflich verändert, habe zugesagt, bei einem Freund in dessen Allianz-Versicherungsagentur einzusteigen – er ist einverstanden mit meinem Job beim Heidenheimer SB. Mit dem aktiven Spielen habe ich aufgehört, ich will dem Verein auf der Trainerseite verbunden bleiben. Fußball gehört einfach zu meinem Leben.

Das Problem: Nach dem Aufstieg läuft es in der Oberliga Baden-Württemberg nicht so richtig. Eigentlich haben wir uns viel vorgenommen, gerade nach der Neugründung des Vereins sollte es direkt weiter nach oben gehen, aber es hakt. Unser Ziel ist es, einen Platz unter den ersten vier in der Liga zu erreichen. Die ersten vier Mannschaften können sich dann direkt für die neu gegründete Regionalliga Süd qualifizieren. Doch die ersten Spiele sind durchwachsen, schließlich verlieren wir zu Hause 1 : 4 gegen den SSV Ulm 1846. So sicher, wie wir geglaubt haben, wird der Aufstieg doch nicht. Holger Sanwald weiß, dass irgendetwas passieren muss. Nach dieser Niederlage trennt sich der Verein von Trainer Dieter Märkle.

Zu mir sagt Holger Sanwald: »Frank, könntest du zwei Spiele als Interimstrainer einspringen? Wir brauchen Zeit, wir müssen einen neuen Trainer suchen.«

Okay, warum nicht. Zwei Wochen? Kein Thema. Mein Kollege bei der Versicherungsagentur gibt mir die zwei Wochen frei.

22. September 2007

Ich sitze das erste Mal auf der Trainerbank. 7. Spieltag. Wir gewinnen 2 : 1 gegen Normannia Gmünd. Trainer auf der anderen Seite ist Alexander Zorniger, der später Bundesligatrainer beim VfB Stuttgart wird und heute die SpVgg Greuther Fürth trainiert. Der Sieg ist ein guter Einstand.

Die Spieler haben das gemacht, was ich ihnen gesagt habe. Ich denke: Das ist sicher auch für meinen Nachfolger gut, dass die Mannschaft wieder in die Spur gefunden hat. Es ist eine gute Truppe.

29. September 2007

8. Spieltag, Oberliga Baden-Württemberg. Wir gewinnen zu Hause 9 : 1 gegen den VfL Kirchheim/Teck. Heilandsack!

Der höchste Sieg in der Vereinsgeschichte in einem Punktspiel, bis heute. Vierfacher Torschütze ist übrigens einer meiner beiden heutigen Co-Trainer, Dieter Jarosch. Er bekommt den Spitznamen »Beton«. Bis heute hat er einen Körper wie eine Felswand und kann härter köpfen, als mancher andere schießen kann.

2. Oktober 2007

9. Spieltag. Wir gewinnen auswärts 4 : 1 gegen Schwieberdingen. Das ist schon eine kleine Serie. Eigentlich sind die zwei Wochen vorbei, aber man sagt zu mir: »Du, Frank, läuft doch gerade gut, mach doch bitte noch ein bisschen weiter!«

Die Idee ist, dass ich noch die drei Monate bis zur Winterpause absolviere.

»Dann sehen wir, wie wir dastehen.«

O. k. Aber jetzt habe ich ein Problem im Versicherungsbüro. Wolfgang Rummel, mein Chef, hatte nur für zwei Wochen eingewilligt. Also treffen Holger Sanwald, unser damaliger Präsident Klaus Mayer und ich uns bei Wolfgang. Er willigt ein, mich bis zur Winterpause freizustellen. Danach sollte ich endgültig wieder bei ihm im Büro einsteigen. Es gibt aber noch ein Problem. Nadine, meine Frau. Sie will zunächst nicht, dass ich als Trainer weitermache.

Also müssen Holger Sanwald und Klaus Mayer bei ihr um »Freigabe« bitten.

Sie sagen: »Schau, Nadine, er hat drei Spiele hintereinander gewonnen.«

»Ach, das war nur Zufall«, antwortet Nadine!

»Aber wir brauchen ihn.«

»Ich brauche ihn auch.«

Es sind zähe Verhandlungen. Am Ende lenkt Nadine ein.

23. Dezember 2007

Wir stehen auf einem der vier ersten Plätze. Wolfgang, mein Chef, gibt die Hoffnung auf, dass ich zurückkehre. Ich bleibe Trainer in Heidenheim. Wir sind auf dem Weg nach oben.

DER EIGENE WEG

Ich bin nun seit fast 16 Jahren Trainer beim 1. FC Heidenheim. Ich bin der, der immer da ist: Während ich mitbekomme, wie viele andere meiner Kollegen im bezahlten Fußball entlassen, neu eingestellt, wieder entlassen werden, wie manche Vereine zwei, drei Trainer pro Saison beschäftigen, wie manche Teams mehr als 20 Trainer seit 2007 anstellten, wie immer wieder »Neustarts« und »Umbrüche« ausgerufen werden, wie immer wieder gesagt wurde, das Team brauche »neue Impulse«, blieb ich in Heidenheim auf der Bank sitzen. Für »neue Impulse« bin ich auch zuständig, anders ginge es ja nicht.

Ich erlebe es oft, dass Trainer nach einem Spiel oder bei Trainertagungen auf mich zukommen und sagen, dass sie mich beneiden würden, dass sie auch gerne dieses Vertrauen und den Rückhalt des Vereins spüren würden. Die Gespräche können wir dann selten weiterführen, weil sie beim nächsten Mal oft nicht mehr auf der Bank sitzen. In der Hire-and-Fire-Welt des Fußballs, in der am Ende immer der Trainer schuld ist, gehen wir in Heidenheim zum Glück einen anderen Weg.

Wir lassen uns nicht zermürben von den Gesetzmäßigkeiten einer oft knallharten Branche. Wir gehen unseren eigenen Weg. Und wir setzen auf Vertrauen.

Juni 2008

Wir steigen auf in die Regionalliga Südwest.

Januar 2009

Wir sind im Trainingslager in der Türkei. Der Aufstieg in die 3. Liga ist unser Ziel. Aber wegen der Witterung, wegen Schnee und Eis sind einige unserer Spiele ausgefallen. Der Staffelleiter meldet sich bei unserem Chef Holger Sanwald und sagt: »Wir takten eure Spiele schnell durch, bei euch geht es um nichts mehr, ihr seid ja quasi durch.« Doch so einfach kann man Sanwald nicht abbügeln, zumal er Wettbewerbsverzerrung vermutet. Er antwortet: »Am Ende wird eine Mannschaft vorne stehen, und das werden wir sein, aber nur, wenn wir jetzt eine faire Taktung der Nachholspiele hinbekommen.«

Die gibt es dann – und wir verlieren bis zum Aufstieg nur noch ein einziges Spiel. Wir sind offensivstark, wir haben einen fast schon unglaublichen Zusammenhalt im Team. Selbst, wenn ein Spiel abgesagt wird, treffen sich die Spieler zum Mannschaftsabend. Und mit Dieter Jarosch ist einer im Team, der uns mit Wucht nach oben köpft.

Vor allem aber: Ich bin jetzt endgültig Trainer. Man könnte einerseits sagen: Sie haben keinen anderen gefunden. Oder man könnte andererseits sagen: Was ich bis dahin gemacht habe, war nicht verkehrt. Ich selbst fühle mich inzwischen sehr wohl auf der Bank, mir macht es Spaß, eine Mannschaft auf ein Spiel vorzubereiten, sie heißzumachen in der Kabine.

20. Mai 2009

Die schlimmsten »Befürchtungen« könnten jetzt wahr werden. Eine megaerfolgreiche Saison liegt hinter uns. Wir sind in die 3. Liga aufgestiegen, eine sensationelle Entwicklung. Holger Sanwalds Plan scheint aufzugehen. Nun gehören wir zu den ein bisschen größeren Vereinen in Deutschland. So weit, so gut – doch es gibt einen nicht unbedeutenden Wermutstropfen: Unser Stadion ist nicht drittligatauglich! Es ist zu klein, genügt nicht den Anforderungen der 3. Liga. Es gibt zwar einen Ausweg, doch der klingt für jeden in Heidenheim nicht gerade verlockend.

Für unsere Heimspiele müssten wir nach Aalen ausweichen, ins dortige Stadion. Das wäre groß genug.

Aber: nach Aalen!

»Heimspiele« in der Höhle des Löwen? Heimspiele beim ewigen Ostalb-Rivalen? Das wäre, wie wenn Düsseldorf seine Heimspiele in Köln spielen müsste oder umgekehrt – einfach undenkbar. Für alle in Heidenheim ist klar: Dieser territoriale Supergau muss verhindert werden. Er wird verhindert.

25. Juli 2009

Erstes Heimspiel in der 3. Liga gegen den Wuppertaler SV – und zwar in Heidenheim. Wir haben es geschafft. Hinter uns liegen zwei hammerharte Monate. Aus einem alten Stadion haben wir ein drittligataugliches Stadion gemacht. Wer hier alles über seine Grenze gegangen ist … Natürlich »Holle« (Holger Sanwald), unser Präsident Klaus Mayer, aber auch alle beteiligten Baufirmen und Gewerke und alle freiwilligen Helfer.

Ab dem 20. Mai war es ein Wettlauf mit der Zeit, aber es gelingt: Aus dem ehemals heimeligen Albstadion mit Streichelzoo am Spielfeldrand wird in Rekordgeschwindigkeit eine Arena gebaut.

Auch wenn es kurz vorher noch nicht danach aussah.

Am Donnerstag vor dem Spiel sagt der Bauleiter zu uns: »Ich habe hier das Kommando, und wenn ich sage, bis Sonntag ist das Stadion fertig, ist das Stadion fertig, da haben Sie mein Wort drauf.«

Er hält Wort, auch wenn es knapp wird. Es ist dann so, dass hinten die Bauarbeiter rausgehen und vorne die Zuschauer reinkommen. Die ganze Gegend um das Stadion ist ein einziges Chaos. Wegen der Baufahrzeuge gibt es dauernd Stau. Riesige Fertigteile werden angeliefert, die dann mit drei Kränen versetzt werden.

Unser größter Fehler ist jedoch: Wir haben eine Webcam installiert, um die Baufortschritte in den zwei Monaten auf der Internetseite zu übertragen. Wir gehen davon aus, dass die Bilder vor allem in Heidenheim geschaut werden, von neugierigen Fans und Einheimischen.

Wer leider auch schaut, sind die Verantwortlichen beim Deutschen Fußball Bund (DFB). Die haben wir nicht auf der Rechnung. Etwas entsetzt ruft der DFB drei Tage vor dem Spiel gegen Wuppertal an und sagt: »Da ist ja überhaupt kein Rasen im Stadion!« Was der Wahrheit entspricht. Das ganze Stadion ist bis kurz vor dem Saisonauftakt eine riesige Baustelle. Der Rasen soll am Schluss verlegt werden.

Beim DFB machen sie uns die Hölle heiß. Wir versuchen, unsere Leute zu beruhigen. Holger Sanwald sorgt dafür, dass rasch ein Rasen verlegt wird, der natürlich bis zum Spiel nicht richtig anwächst und sich schon während des Spiels nach und nach auflöst.

Aber – und das ist die Hauptsache –: Das Stadion ist am 25. Juli 2009 drittligatauglich. 4780 Zuschauer kommen zur Drittliga-Premiere – wir spielen 2 : 2. Noch wichtiger als der Punktgewinn ist die Erkenntnis: Wow, was hier möglich ist, wenn alle mitziehen! Das lässt hoffen. Oder wie es Holger Sanwald gesagt hat: »Diese Geschichte hat gezeigt: Wenn es gilt, können wir uns aufeinander verlassen.«

22. August 2009

Nach dem guten Start im neuen Stadion sieht es inzwischen nicht mehr so gut aus. Wir haben zwei Punkte nach vier Spielen, kein guter Start in die 3. Liga. Nun kommt der FC Bayern II, mit Mehmet Scholl als Trainer und David Alaba im Mittelfeld. In der Sprache der Branche: »Der Topfavorit ist zu Gast.«

Eine schwierige Ausgangssituation.

Mir ist bewusst, dass wir so langsam den ersten Sieg nach dem Aufstieg einfahren sollten. Deshalb beschließe ich, die Mannschaft vor dem Spiel ganz stark und groß zu »motivieren«. In der Mannschaftsbesprechung kurz vor dem Spiel geht’s zur Sache: »Die Frage ist nicht, ob wir heute gewinnen, die Frage ist, in welcher Höhe wir gewinnen werden!«

Selbst gegen einen Oberligisten wäre das eine Anmaßung, in der 3. Liga, mit kaum Punkten auf dem Konto, hat es Züge von Wahnsinn. Hätte sich ein Nicht-Heidenheimer in die Kabine verirrt, er hätte sich an den Kopf gefasst: »Was ist mit dem Schmidt los? Dreht er jetzt völlig durch?«

Es wäre absolut nachvollziehbar.

Doch was dann passiert, gibt mir recht: Vom Anpfiff an geht es nur in eine Richtung, auf das Tor der Bayern. Nach 20 Minuten steht es 3 : 0 für uns, sie haben keine Chance, wir lassen dem FC Bayern II keine Luft zum Atmen, gewinnen schließlich 4 : 2.

Ja, es waren die richtigen Worte und für mich eine Schlüsselszene, die sehr viel aussagt über meine Trainerphilosophie: in einer angespannten Situation eine Entscheidung treffen, mit der keiner rechnet, auf den Bauch hören – und vor allem nie den Moment verpassen, das völlig Unvorhersehbare zu sagen und auch zu machen.

Ein Albtraum für jede künstliche Intelligenz. Ein Albtraum für Datenanalysten.

In jedem Fall maximales Risiko, wenn es danebengegangen wäre. Ist es aber nicht.

2010

Woran erkennt man, dass wir ein schwäbischer Verein sind? Nun, man muss von der VIP-Tribüne aus nach rechts hinten schauen, dann sieht man, dass wir ein schwäbischer Verein sind. Hä?

Im Jahr 2010 wird unser Stadion noch einmal vergrößert. Wir erleben größeren Zuspruch beim Publikum, die Zeiten, als in Heidenheim vor ein paar Hundert Zuschauern gespielt wurde, sind endgültig vorbei. Also werden neue Ränge hochgezogen, neue Tribünen gebaut. Was beim Umbau allerdings fehlt, ist eine Stadiontafel, eine elektronische Stadionanzeige, auf der die Spielstände und Aufstellungen angezeigt werden.

Woher nehmen? Die Dinger sind teuer.

Weil ich lange in Aachen gespielt habe, habe ich noch gute Verbindungen dorthin. Und da zur gleichen Zeit der Aachener Tivoli umgebaut wird, stelle ich den Kontakt zu den alten Kollegen her, ob sie uns mit einer Tafel weiterhelfen können. Es ist schließlich Holger Sanwald, der anfragt, ob wir unter Umständen ihre alte Stadiontafel bekommen könnten, wir hätten keine, sie würden uns aus der Bredouille helfen, was man eben so macht, damals noch Geschäftsführer, heute Vorstandsvorsitzender.

Jedenfalls: Wir können die Stadiontafel haben, sie verkaufen sie uns zu einem guten Preis. Sie wird von Aachen auf die Ostalb transportiert. Und so nutzen wir seit 2010 die alte Tafel aus Aachen. »Nix verkomma lasse«, sagt der Schwabe.

2011

Ich sitze im Zug zwischen Ulm und Köln. Es ist eine harte Zeit. Seit September 2007 bin ich Trainer in Heidenheim, wir sind zweimal hintereinander aufgestiegen, nun spielen wir in der 3. Liga. Auf der Trainerbank mache ich, was ich für richtig halte. Ich bin Autodidakt. In meiner Karriere als Profi habe ich ein paar Trainer erlebt, zum Beispiel den unvergessenen Werner Fuchs, von ihm habe ich eine Menge gelernt, vor allem, wie man mit Menschen umgeht. Von anderen habe ich gelernt, wie man nicht mit Menschen umgeht.

Bei mir funktioniert der Trainerjob meist über die Ansprache, die Emotion. Ich spreche mit allen, pushe sie. Und das mit Erfolg, der Durchmarsch in die 3. Liga sollte eigentlich Nachweis genug für ein gewisses Coachtalent sein. Doch auf der Bank sitze ich noch ohne den notwendigen Schein, also ohne die UEFA Pro-Lizenz, die höchste Lizenz, die man erlangen kann und die ab der 3. Liga erforderlich ist.

Es führt kein Weg vorbei, ich brauche diesen Trainerschein. Und das macht mein Leben fortan sehr stressig. Denn ich muss irgendwie organisieren, von Sonntagabend bis Mittwoch in Köln beim Lehrgang zu sein und mich von Mittwochabend bis zum Spiel am Wochenende intensiv um die Mannschaft zu kümmern. Ein wahnsinniger Spagat.

Mit mir im Trainerlehrgang sitzen die Ex-Profis Thomas Schneider, später Assistent von Jogi Löw bei der Fußball-Nationalmannschaft, Markus Weinzierl, später Trainer bei Augsburg, Schalke und Stuttgart, Michael Wiesinger, früher Profi bei Bayern München, und auch Tayfun Korkut, später unter anderem Trainer beim VfB Stuttgart und bei Hertha BSC.

2011

Immer, wenn wir am Samstag ein Spiel haben, ist am Sonntagvormittag Training und Spielanalyse angesetzt. Danach fährt mich meine Frau mit beiden Kindern im Schlepptau zum Bahnhof in Ulm, von dort fahre ich mit dem Zug weiter nach Köln. Untergebracht sind wir dort in einem Judo-Heim, die Zimmer sind einfach und schlicht, mein Mitbewohner ist Michael Wiesinger. Es ist ein Gefühl wie früher in der Jugendherberge. Auf dem Bett liegend, fragen wir uns im Dunkeln die relevanten Themen ab, aus der Trainingslehre oder auch zu neuen Erkenntnissen der Ernährungswissenschaft. Wenn einer was weiß, was der andere nicht weiß, wird die Lampe angeknipst und das Buch aufgeschlagen. Jederzeit stehen unangekündigte Tests im Raum. Es ist wie in der Schule.

2011

Mein mentales Problem bei der Trainerausbildung: Wir sind 24 Teilnehmer und ich glaube, dass 23 die besseren Trainer sind als ich.

RAT AN JUNGE TRAINER

Entwickelt eure eigenen Ideen, schaut nicht nach links und rechts, wenn ihr versucht zu kopieren, läuft etwas komplett falsch. Seid euch eurer Sache sicher, auch wenn es Gegenwind gibt. Seid bei euch, macht euch Gedanken, was ihr für richtig haltet. Ich bin schon von Kollegen angerufen worden, die wollten von mir eine Meinung zu einem Gegner einholen, gegen den wir schon gespielt hatten. Ich mache so etwas nicht. Ich denke jeden Tag über mein Team, über eine Strategie, über Lösungen nach. Wir müssen selbst wissen, wie wir spielen.

Manchmal, bei der Vorbereitung auf einen Gegner, bei der Videoanalyse, kann es sein, dass man Dinge sieht, die dieses Team gut macht, einen guten Einfall, dann kann man prüfen, ob das nicht auch zu unserem Team passt. Aber im Grunde braucht es vor allem einen eigenen Kopf und Entscheidungsstärke. Denn die Entscheidungen eines Trainers, die nimmt dir keiner ab. Während des Spiels, wenn du sofort auf eine neue Spielsituation reagieren musst und du wechselst den nicht passenden Spieler ein oder deine Umstellung funktioniert nicht, dann bist du verantwortlich – weil man eben bei solchen Aktionen nicht einen Arbeitskreis einberufen und die Sache erst mal ausdiskutieren kann, sondern rasch handeln muss. Genau deshalb ist es so wichtig, eine klare Disposition im Kopf zu haben.

2011

Wenn wir nicht Theorie büffeln, setzen wir Teambuilding-Maßnahmen um. Einmal müssen wir zu sechst durch den Wald laufen und gemeinsam eine mit Fäden verbundene Kugel transportieren. Die Idee ist, es handle sich um eine Ladung Dynamit, die wir sicher durch den Wald tragen müssen. Sie darf nicht herunterfallen, nicht den Boden berühren, also müssen wir die Spannung in den Seilen so straff halten, dass es nie ein Abwärts gibt. Auf der Strecke liegt auch ein Golfplatz und uns war eingeschärft worden, nicht über den Golfplatz zu gehen. Natürlich gehen wir über den Golfplatz, weil wir viel zu spät dran sind, die Übung ist verloren.

Ich bin nie ein großer Freund von Teambuilding-Maßnahmen gewesen. Sie sind schwierig in Heidenheim, vor allem auch aus Kostengründen, wir können nicht einfach nach Schweden fahren und dort Flöße bauen oder mit einem Motivationscoach über Kohlen gehen, das kostet alles wahnsinnig viel Geld. Ich glaube außerdem nicht, dass sich darüber eine Siegermentalität entwickeln lässt. Da kann man auch Darts werfen, das ist billiger und hat den gleichen Effekt. Wir machen im Sommer immer eine kleine Olympiade im Trainingslager, das hat eine nachhaltigere Wirkung.

In der Trainerausbildung machen wir Rollenspiele. Bei einem dieser improvisierten Spiele versage ich total: Ich spiele einen Trainer, der sich in einem Fernsehinterview nach einem verlorenen Spiel einem kritischen Journalisten stellen muss. Mein Gegenüber, auch ein Trainer, Jan Moritz Lichte, spielt den Journalisten und nimmt mich im Interview auseinander, als gebe es kein Morgen mehr. Einer seiner Hauptkritikpunkte ist, dass ich zu viel auf junge Spieler setzen würde und dass das der Grund sei, warum wir das Spiel verloren hätten. Ich nehme mir das wahnsinnig zu Herzen, werde in dem Gespräch sehr emotional und belle entsprechend zurück.

Er hat einen wunden Punkt getroffen.

Das vermeintlich fiktive Interview entwickelt sich zu einer unangenehmen Hakelei. Wäre dieses Interview je irgendwo gesendet worden, hätte ich gute Chancen gehabt, meinen Ruf in Deutschland komplett zu ruinieren. Vermutlich wäre es noch heute ein Lehrfilm für Nachwuchstrainer, ganz nach dem Motto: »So bitte niemals ein Interview führen!« Da ich unsachlich geworden bin, habe ich diesen Infight klar verloren. Es ist ein nach wie vor betrübliches Dokument, wie mich ein paar kritische Fragen aus dem Gleichgewicht bringen können. Schwachpunkt!

FELDWEBEL?

Im Grunde sehe ich Medienschulungen für Trainer immer noch etwas zwiespältig. Ich will ein gutes Spiel nicht schlechtreden und ein schlechtes Spiel nicht gutreden. Glattgebügelte Antworten liegen mir nicht, und wenn ich sauer bin, weil ein ZDF-Reporter mich fünf Minuten nach der verlorenen Relegation gegen Werder Bremen und dem damit verbundenen Nichtaufstieg in die Bundesliga als Trainer von »Hoffenheim« anspricht, dann verzeihe ich diesen Versprecher nicht, ich muss ihn erst mal maßregeln. Punkt.

Das hat mir den Ruf eingebracht, ein »Feldwebel« zu sein. Frank Wormuth, Trainerausbilder beim DFB, hat das einmal über mich gesagt – ich würde sprechen wie ein »Feldwebel«. Auch andere, die meine Traineransprachen gehört haben, finden »Feldwebel« als Bezeichnung für meinen Stil nicht ganz unpassend. Das ist insofern amüsant, weil ich damals ausgemustert wurde und nie bei der Bundeswehr war, also nie einen Feldwebel aus der Nähe erleben durfte.

Außerdem würde ich nie von mir behaupten, etwas Militärisches zu verfolgen. Aber dass mir vor Augen geführt wird, wie mein oft zackiger Stil nach außen wirken kann, ist nicht verkehrt.

2011

Das Gute an der Trainerausbildung: Ein hoher Anteil an Trainern kommt aus dem Schwabenland, unter anderem Markus Gisdol, Thomas Schneider, Tayfun Korkut, ich – eine richtige Schwaben-Connection ist das.

DAS ENDE VON »GEHT’S RAUS UND SPIELT’S FUSSBALL!«

Wir müssen in der Ausbildung Spiele schauen und analysieren, meist in Kleingruppen. Bei der abendlichen Gruppenarbeit meint ein Trainerkollege: »Ich habe das alles hinter mir, kenne das und außerdem habe ich heute noch etwas vor.« Manchmal müssen wir auf eine Art »Heißen Stuhl«, wir werden nach unserer Spielphilosophie befragt und wie wir uns den Fußball vorstellen. Meine Ansage: »Ich setze auf einen intensiven, schnellen Fußball. Meine Mannschaft soll schnell umschalten, soll den direkten Weg zum Tor suchen und schnell abschließen. Schnell umschalten gilt auch nach Ballverlust, schnellstmöglich den Ball zurückerobern, auf jeden Fall mit maximaler Gegenwehr unser Tor verteidigen. Alle. Immer. Sofort. Maximale Intensität, da wollen wir in jeder Liga Maßstäbe setzen. Das alles funktioniert nur, wenn jeder für den anderen bedingungslos auf dem Platz einsteht. Dazu braucht man ein Team.«

Pause.

Ich schaue die anderen an und warte auf Reaktionen. Denn gerade habe ich meine innerste Überzeugung präsentiert, ihnen das geschildert, was mich als Trainer ausmacht. Das ist meine Spielphilosophie.

Das predige ich meinen Teams, das sollen sie verinnerlichen.

2011

Die Trainerausbildung beim DFB zahle ich selbst, sie dauert zehn Monate. Für mich eine herausfordernde Zeit, weil ich weder bei meiner Mannschaft noch im Lehrgang, noch bei meiner Familie so richtig 100-prozentig sein kann. Ich lerne im Zug von Köln nach Ulm Fußballtheorie, in den Pausen beim Lehrgang telefoniere ich mit meinem Co-Trainer. Ich muss erfahren, wie es läuft, wer verletzt ist, wer spielen kann, wer sich wie im Training zeigt. Dann geht es zum Auswärtsspiel, nach Erfurt beispielsweise, abends wieder zurück, am anderen Morgen Training, dann in den Zug wieder zurück nach Köln.

Zehn Monate lang.

2011

Für mich ist die Ausbildung unverzichtbar. Ich bekomme endlich Struktur in meinen Beruf als Trainer. Perfekte Bausteine, um Training und Spielvorbereitung systematisch aufzubauen. Ich lerne, dass Training kein Selbstzweck ist, sondern Mittel zum Zweck. Ich nehme echtes Know-how mit, fußballtaktisches Wissen, Tipps zur Belastungssteuerung der Spieler. Nicht zuletzt bietet es mir die Möglichkeit, mich intensiv den Fragen zu widmen:

Wie willst du genau spielen lassen?

Was sind deine Schwerpunkte im Training und im Spiel?

Was ist deine Handschrift als Trainer?

Wie willst du als Trainer handeln?

Tatsächlich habe ich so etwas wie einen roten Faden für meine Arbeit bekommen. Eine Dramaturgie, damit sich meine Mannschaft vom Aufwärmen über das Hinführen bis zur Ausgestaltung und zum Abschluss taktisch entfalten kann. Bis dahin hatte ich mich eher am legendären Beckenbauer-Konzept orientiert: »Geht’s raus und spielt’s Fußball!«

Nun hatte ich viele relevante Bausteine, die ich zusammenfügen konnte – für mich eine ideale Ergänzung zu meiner bisherigen Arbeit. Emotional hatte ich bereits eine Sprache gefunden, um Spieler zu erreichen, nun hatte es Hand und Fuß.

HEUTE SCHAUEN WIR VIDEOS VON MANNI KALTZ

»Wir verlieren die Basis, die Kinder müssen abspielen lernen, dürfen sich nicht mehr im Dribbling ausprobieren, sie kriegen nicht mehr die richtigen Hinweise, warum ein Pass nicht gelingt, warum ein Dribbling nicht gelingt, warum der Zweikampf verloren wurde. Stattdessen können sie 18 Systeme rückwärtslaufen und furzen.«

Mit diesen Worten hat sich Ex-Nationalspieler Mehmet Scholl vor Jahren ordentlich in die Nesseln gesetzt. Die Trainerausbildung bezeichnete er zudem als »elfmonatige Gehirnwäsche«. Den jungen Trainern würde beigebracht, den Fokus nur auf das System und die Theorie zu legen und die individuelle Entwicklung der Spieler zu vernachlässigen. Wie gesagt, mir hat die Trainerausbildung sehr viel Struktur gebracht – und es steht außer Frage, sich als Trainer mit Grundordnungen auseinanderzusetzen und das mit der Mannschaft intensiv zu besprechen und zu diskutieren.

Tatsächlich aber mache ich mir viele Gedanken zur Individualisierung. Denn es ergibt keinen Sinn, dass jeder Spieler in jedem Training genau dasselbe macht. Deshalb trainieren wir in Gruppen: Defensive, Offensive, Mittelfeld. Um den Grad der individuellen Entwicklung der Spieler zu steigern, braucht es mehr Spezialisten. Beim FC Liverpool hat Jürgen Klopp vor einiger Zeit einen Einwurftrainer eingestellt, der mit Spielern nur Einwürfe trainiert. Das können wir uns nicht leisten. Als kleinstes Trainer- und Funktionsteam in der Liga versuchen wir, die Trainingseinheiten mit möglichst vielen individuellen Elementen zu füllen. Da haben wir sicher auch noch Potenzial in der Zukunft. Dazu gehört auch, dass meine Spieler etwa auf YouTube Videos von Manfred »Manni« Kaltz und seinen Bananenflanken anschauen müssen.

»Wer? Kaltz? Nie gehört, Trainer.«

So wie es bei uns auch noch dazugehört, ein Kopfballpendel zu nutzen. Eigentlich ist das Pendel inzwischen verpönt, vielleicht ein oder zwei andere Vereine haben noch eins. Wir aber trainieren mit dem Kopfballpendel, eine alte Methode, aber man kann am Pendel perfekt sein Kopfballspiel verbessern. Nachweislich: Wir gewinnen die meisten Kopfballduelle und haben 2022/23 die meisten Kopfballtore der Liga gemacht.

2011

Mit einer schriftlichen sowie mündlichen und praktischen Prüfung wird der Trainerlehrgang beendet. Schriftlich und mündlich läuft es bei mir ganz o. k., mein Durchschnitt liegt bei zehn Punkten. Und dann kommt die praktische Lehrprobe. Es gibt ein Team, in unserem Fall war es die U17 des 1. FC Köln. Man bekommt eine Aufgabe zugelost, die man mit der Mannschaft umsetzen muss. Ich bin als zweiter Prüfling dran. Der erste Trainer tut sich sehr schwer, die Jungs wirken auf mich lustlos, sie scheinen keinen Bock auf das zu haben, was ihnen der Prüfling vorgibt.

Mir ist das absolut unverständlich, wie sie das so torpedieren können. Denn es ist nicht so, dass sie mit Absicht lustlos sein sollen, sozusagen als zusätzliche Prüfungshürde. Jedenfalls erkenne ich schnell, dass es zu einem echten Problem werden würde, wenn sie nicht machen, was ich will. Wenn ich mit Null-Bock-Jungs etwas reißen will, kann das schlecht für mich ausgehen.

Dann bin ich an der Reihe.

Bevor ich mit der Übung beginne, trommle ich das Team zusammen. Ich halte eine kleine Ansprache: »Mein Name ist Frank Schmidt, ich bin Trainer beim 1. FC Heidenheim 1846, ich werde mit euch die Lehrprobe machen, aber ich habe gesehen, dass ihr gerade absolut keine Lust habt. Das hört jetzt auf, das werdet ihr bei mir nicht machen! Für mich kommt jetzt der wichtigste Teil der Ausbildung und ich habe nicht zehn Monate in diese Ausbildung investiert, damit ihr das in 20 Minuten vergeigt. Und eins müsst ihr wissen: Im Fußball sieht man sich immer zwei Mal, ich merke mir hier jeden Namen, und wer nicht das Beste aus sich herausholt und mitmacht, dem werde ich das nie vergessen, irgendwann werden wir uns wiedersehen.«

Okay, bei der Prüfung eine solche Drohung rauszuhauen, ist vielleicht grenzwertig, aber es wirkt. Sie machen, was ich ihnen gesagt habe.

15 Punkte. Maximalpunktzahl.

Ich fahre sehr glücklich nach Hause. Die stressige Zeit ist fast vorbei. Denke ich. Doch nichts ist vorbei. Zu Hause wartet ein richtiges Drama. Am Telefon beschwichtigt meine Frau: »Es ist alles in Ordnung, wir kriegen das hin.« Ich habe ihr von der erfolgreichen Prüfung erzählt, merke jedoch trotz meines Überschwangs, da stimmt was nicht.

»Was ist los?«, frage ich. Sie will offensichtlich, dass ich mir keine Sorgen mache und sicher nach Hause komme. »Alles o. k., fahr in Ruhe hierher, dann können wir reden.« Doch ihre Beschwichtigung macht alles noch dramatischer.

»Was ist los?!?« Sie sagt es mir. Unsere Tochter ist vom Pferd gefallen. Und nicht nur das. Das Pferd ist auf sie gefallen, ein 700 Kilo schweres Tier. Was für ein Drama. Alle Knochen im Beckenbereich meiner Tochter sind gebrochen, man nennt es Beckenringfraktur. Sie ist schwer verletzt. Dann erfahre ich noch, dass der Notarzt erst zum falschen Ort gefahren ist, sodass meine Tochter erst mit großer Verzögerung in die Klinik gebracht werden konnte.

Alles, was ich an diesem Nachmittag erreicht hatte, wirkt nun leer und sinnlos.

Was ist der Trainerschein gegen die Gesundheit meiner Tochter? Was ist überhaupt Fußball? Was Taktikschulung und Viererketten? Was wirklich zählt, hat nichts mit einem Ball und Toren zu tun.

Statt wie geplant meine bestandene Prüfung mit einem schönen Essen zu feiern, rase ich von Köln in Richtung Uniklinikum Ulm. Es folgen furchtbare Stunden, wir bangen um die Gesundheit unserer Tochter, es steht im Raum, dass sie nie wieder wird gehen können. Doch sie hat sehr viel Glück. Sie wird notoperiert. Sie bekommt im Anschluss einen externen Fixateur – und vier Monate später sitzt sie wieder auf dem Pferd. Es ist noch mal gut gegangen. Glück und Leid, so nahe beieinander – dieses Sprichwort, ja, ich weiß, was es bedeutet.

WAS HOLGER SANWALD SAGT, TEIL 4:

»Neben den Strukturen im und um den Verein haben wir auch die Qualität auf dem Spielfeld Schritt für Schritt weiterentwickelt. Wir haben unser Auge und unsere Seele geschult, um besser zu erkennen, wer zu uns passt, sowohl als Spieler als auch menschlich für das Umfeld. Dabei haben wir viele gute Charaktere finden können, die sich mit dem Verein identifizieren. Auch wir haben uns weiterentwickelt. Frank als Trainer, ich als Vorstandsvorsitzender. Was wir erreicht haben, hat uns selbstbewusst gemacht, aber nicht überheblich. Vor allem haben wir uns das Gespür bewahrt, zu erkennen, wer zu uns passt.

Spieler in persönlichen Gesprächen: Wir fragen nach der Herkunft, nach ihren Geschwistern. Wir wollen wissen, was für eine Persönlichkeit vor uns sitzt, wir fragen direkt, unverstellt, wollen uns ein Bild machen, ob es für ihn nur eine Station ist oder ob er heiß ist, in der Provinz etwas zu reißen.

Wir können ehrlichen Sport bieten, einen gerechten, ja einen aufrichtigen Umgang miteinander, aber kein üppiges Nachtleben und keine Fashion Weeks. In Heidenheim kann es abends schnell ruhig werden und die Flagship-Stores der großen Marken haben sich bis jetzt auch nicht angesiedelt.

Aber in Heidenheim haben die Spieler einen Trainer, der jeden respektiert, der ihnen auf Augenhöhe begegnet, der loyal und mit Empathie mit Spielern umgeht, der aber auch mal aus der Haut fahren kann, der eben menschlich ist. Der darauf achtet, dass wir alle nie gegeneinander agieren, sondern miteinander und im besten Fall sogar füreinander.

Das ist nicht einfach, durchzuhalten. Wir sind im Haifischbecken Profifußball, es gibt Berater, die Stimmungen anheizen, Wechsel provozieren und Zwist in ein Team tragen wollen. Die Spieler selbst sind hungrige Wölfe, die an die Fleischtöpfe wollen, und da werden eben manchmal die unruhig, die zu lange und zu oft auf der Ersatzbank sitzen. Da muss Frank moderieren, Angebote machen, richtig handeln.«

30. Juli 2011

An diesem Tag lernt Fußball-Deutschland unseren Verein kennen. Und zum ersten Mal erleben wir eine Riesenbegeisterung in der Voith-Arena. Es ist DFB-Pokal, erste Runde, der Bundesligist Werder Bremen ist zu Gast, mit Tim Wiese im Tor und Trainer Thomas Schaaf auf der Bank.

Wir, der Drittligist, spielen auf Augenhöhe, Bremen geht zwar in Führung und unser Torwart Frank Lehmann hält noch einen Elfmeter vor der Halbzeit, doch nach der Pause gibt es in der 56. und 58. Minuten einen Doppelschlag: 1 : 1 Christian Sauter und 2 : 1 Marc Schnatterer. Dieses 2 : 1 – schließlich auch das Endergebnis – sorgt für eine richtige Eruption auf dem Schlossberg. Ein irrer Jubel bricht los, tatsächlich liegen sich »wildfremde Menschen« in den Armen. So etwas gab es bis dahin nicht in Heidenheim.

Der Schwabe geht nicht so leicht aus sich heraus, er guckt mal rechts, mal links, ansonsten erwartet er, dass die Mannschaft liefert – aber der Pokalsieg gegen Bremen hebt die Fanbegeisterung auf ein ganz anderes Niveau.

Für mich ist dieses Spiel bis heute ein Meilenstein. Diese Initialzündung haben die Menschen gebraucht auf der Ostalb, nein, wir haben es gebraucht, der Verein.

Es ist »in«, FCH-Fan zu sein. Die Fans sind stolz, die Stadt ist stolz, der Verein ist stolz.

ERGEBNISSE ODER ENTWICKLUNG?

Ich darf Fehler machen. Das ist das Beste, das dir als Trainer passieren kann: Fehler machen und daraus lernen. Viele Kollegen von mir haben nicht das Glück, man gibt ihnen keine Zeit, sie können sich nicht entwickeln. Sie wissen: Wenn ihre Spielidee nicht gleich funktioniert, »beginnt die Trainerdiskussion«, und wenn »die Trainerdiskussion beginnt« und medial befeuert wird, dauert es nicht mehr lang bis zur Entlassung.

Diese ständige Furcht vor dem Ende lässt keine Entwicklung zu, weder die Entwicklung der Mannschaft noch die Entwicklung des Trainers. Vor allem kannst du dich nicht in den kleinen Dingen entwickeln: Früher neigte ich dazu, die Mannschaftsbesprechung zu überladen. Neben einem langen »Feldwebel«-Monolog, manchmal bis zu einer Stunde, bei dem die wenigsten der Spieler wirklich bis zum Schluss zuhörten, zeigte ich viele Videos zur Spielanalyse. Dann haben wir bis zu 60 Videos angeschaut, hinterher wusste keiner mehr, was daraus zu ziehen ist, wir verhedderten uns in Details über den Gegner.

Aber, wie gesagt, das waren Fehler, aus denen ich lernen durfte. Um Fehler machen zu können, braucht es Vertrauen vom Vorstand, vom Verein, von den Gremien. Bei denen wiederum braucht es Stärke, um auch schwierige Phasen durchzustehen. Ich sehe andere Vereine, die in den vergangenen Jahren zigfach die Trainer gewechselt haben und immer noch auf der Stelle treten. Es geht ihnen immer nur um Ergebnisse, es geht ihnen nicht um Entwicklung, die man am Ende für die Ergebnisse braucht.

25. Oktober 2011

DFB-Pokal, zweite Runde, Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach, ausverkauftes Haus. Heidenheim sorgt weiter für Furore. Gladbach kommt mit Dante in der Abwehr, Marc-André ter Stegen im Tor und Marco Reus im Sturm. Also wieder geht es gegen einen vermeintlich übermächtigen Gegner. Wir, der Drittligist, lassen uns aber nicht beeindrucken und bringen sie an den Rand der Niederlage, es ist ein harter Fight in der Voith-Arena. Nach 90 Minuten steht es 0 : 0. Es gibt Verlängerung. Wir geben alles, kämpfen weiter, haben eine große Chance kurz vor Ende der Verlängerung, aber immer noch: 0 : 0. Es folgt Elfmeterschießen.

Objektiv, mathematisch und statistisch betrachtet erleben wir nun die größte Wahrscheinlichkeit, einen Bundesligisten aus dem Pokal zu kegeln.

Wir sind nahe dran, in die dritte Runde einzuziehen.

Und dann überraschen mich meine Spieler – und zwar negativ.

Fast keiner will schießen, sie ducken sich weg. Als ich frage, wer einen Elfer schießen will, meldet sich keiner. Wir haben Elfmeterschießen nicht trainiert, das scheint aber nicht der Grund zu sein. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Sicher, sie sind alle kaputt, auch nervös oder haben Angst, danebenzuschießen. Trotzdem.

Ich würde immer einen Elfmeter schießen, immer, ich lasse mir doch so eine Chance nicht entgehen. Elfmeter sind Megachancen. Vor allem bringe ich einen mit Stars besetzten Bundesligisten nicht an den Rand der Niederlage, um mich im entscheidenden Moment, wenn ich eine Riesenchance habe, mich selbst belohnen kann, wegzuducken.

Das sind harte Minuten für mich. Alle drehen sich weg, wenn ich auf sie zugehe. Es ist schwer für mich, überhaupt ein paar Schützen zu finden. Bei uns treten schließlich diejenigen an, von denen ich sage, dass sie zwar mutig, aber weniger gute Schützen sind.

Den entscheidenden Elfmeter verschießt Florian Tausendpfund, ein astreiner und absolut zuverlässiger Innenverteidiger, der hinten alles weghaut, was es wegzuhauen gibt, der die Abwehr zusammenhält und in jedem Spiel alles gibt, der aber kein besonders guter Schütze ist. Wir verlieren das Pokalspiel gegen Mönchengladbach mit 3 : 4. Bitter.

Für mich ist das Spiel eine Lehre, es wird wieder klar, wie viel mehr es beim Fußball auf Mentalität und Persönlichkeit ankommt. Aber auch, dass ich alle im Blick haben muss, auch das Elfmetertraining vor einem Pokalspiel.

2013

Der Filmemacher Aljoscha Pause dreht eine Doku über »Trainer«. Es kommen viele zu Wort, Jürgen Klopp, Armin Veh, Thomas Schaaf – und ich. Die Kamera ist immer dabei, in der Kabine, beim Spiel. Vor allem aber begleitet Aljoscha drei Trainer eine ganze Saison lang. Einer der drei Trainer bin ich, die anderen sind Andre Schubert und Stephan Schmidt. Es geht ihm darum, zu zeigen, wie das ist, wenn man bei Siegen gefeiert wird und bei Niederlagen der letzte Depp ist. Er will zeigen, wie gnadenlos das Geschäft ist, wie sehr der Druck die tägliche Arbeit steuert, was für ein Wahnsinn die Arbeit als Trainer überhaupt ist und warum diese Arbeit nur an Ergebnissen gemessen wird.

In seiner Doku ist zu sehen, wie so Typen wie ich damit umgehen. Man sieht, wie ich Spieler an der Seitenlinie am Kragen packe, wie ich hektisch an der Seitenlinie entlangtigere, wie ich fuchtle und schreie. Einmal verspreche ich den Spielern bei einem Sieg zwei Tage Urlaub. An einer anderen Stelle sieht man mich, wie ich meine Spieler vor einem entscheidenden Spiel in der Kabine anbrülle: »Schwarz oder Weiß, Tal der Tränen oder Triumphzug, wir rennen um unser Leben, vergesst aber nicht die taktische Ausrichtung!«

Im Interview sage ich, dass ich selbst meine beiden Töchter beim Mau-Mau nicht gewinnen lasse. Die Doku halte ich für eine der besten zum Thema Fußball, nicht, weil ich auch mitspiele, sondern weil sie zeigt, was ein Trainer überhaupt den ganzen Tag macht, wie es ihm ergeht in der Ausübung seines Berufes und er mit der Tragik umgeht, wenn er am letzten Spieltag den dritten Platz zum möglichen Aufstieg in die 2. Bundesliga verspielt, wie bei uns geschehen. Sehr empfehlenswert.

Sommer 2013

Es geht um Philipp Heise und um die Frage, welche Typen man als Trainer fördern sollte. Folgende Szene: Philipp spielt in einem Testspiel gegen den VfB Stuttgart kurz vor Ligastart. Das Spiel läuft gut, Philipp steht rund 30 Meter vom gegnerischen Tor entfernt, eine eher schlechte Schussposition. Dennoch fasst er sich ein Herz, zieht ab. Der Ball fliegt deutlich übers Tor. Das kann passieren.

Etwas später, der Ball ist wieder bei Philipp, wieder keine gute Schussposition.

Das hält ihn nicht davon ab, wieder schießt er – und der Ball fliegt noch etwas höher übers Tor. Nun ja, denkt man als Trainer, vielleicht hätte er abspielen sollen. Und wie ich das noch denke, startet Philipp schon wieder einen Versuch.

Diesmal fliegt der Ball sogar übers Stadiondach. Oh Gott, denke ich.

Klar, als Trainer schmerzen die vergebenen Chancen. Andererseits: Was ist das für ein Selbstvertrauen?! Er ist neu im Team statt sich zu verstecken, haut er zweimal deutlich drüber – um dann noch einen draufzusetzen und den Ball aus dem Stadion zu knüppeln.

Respekt! Der hat sich getraut, drei Mal aufs Tor zu schießen. Genau solche Typen passen zu uns. Die sich etwas trauen. Die riskieren, auch mal einen richtigen Mist zu bauen. Solche Typen sind mir oft lieber als viele Spieler, die aus den Nachwuchsleistungszentren kommen, die es gewohnt sind, dass alles für sie getan wird, die sich im entscheidenden Augenblick aber nicht selten wegducken.

Verantwortung sollen lieber die anderen übernehmen. Manche dieser NLZ-Spieler scheinen es für selbstverständlich zu halten, dass wir Trainer und Vereine nur da sind, ihnen möglichst schmerzfrei den Weg zum Ballon d’Or zu bahnen – angetrieben von Spielerberatern und ehrgeizigen Eltern. Sie kennen zwar alle Grundordnungen des Spiels, sie sind taktisch einwandfrei geschult, sind aber auch Produkte, bisweilen sogar Opfer einer Verwissenschaftlichung des Sports. Wir brauchen andere Typen. Typen, die bereit sind, über den Tellerrand zu blicken. Die im Training auch dann laufen, wenn der Trainer nicht schaut, die sich was trauen – und nicht nur, wenn sie vom Trainer gebeten werden, sich etwas zu trauen.

10. Mai 2014

Der Pokal wiegt achteinhalb Kilogramm, ist 63 Zentimeter hoch und hat einen Wert von etwa 40 000 Euro. Drei ineinander versetzte Halbschalen bilden bei der Trophäe eine dynamische, stufenförmige Skulptur. Oder wie es der Designer Christian Dorfmüller sagt: »Der Pokal der 3. Liga verkörpert die eiserne Leidenschaft der neuen Spielklasse des DFB.« Jedenfalls: Am 10. Mai 2014, nach einem 2 : 0-Sieg gegen Unterhaching, streckt Marc Schnatterer bei uns im Stadion, in der Voith-Arena, die silbernen Flügel in die Höhe: Wir sind Meister der 3. Liga – vor RB Leipzig! Ja, RB Leipzig! Ab jetzt 2. Liga! Und alle schreien: »Nie mehr 3. Liga!« Eine Riesenfeier schließt sich dem letzten Spiel an. Schon im Stadion wird getanzt, gesungen, gefeiert. Eine Feier, wie sie Heidenheim noch nicht erlebt hat.

11. Mai 2014

Wir feiern noch.

12. Mai 2014

Alle noch selig. Heidenheim im FCH-Fieber.

13. Mai 2014

Die Ersten beginnen nun wieder: »Mmmh, fraglich, ob ihr euren Weg in der 2. Liga beibehalten könnt.« Und gleich noch eins drauf: »In der 2. Liga weht ein anderer Wind.« Auch klassikerverdächtig: »Fraglich, ob das gut geht, wenn ihr euch nicht ändert.«

Diese Aussagen begleiten uns seit Jahren. Immer, wenn wir auf unserem Weg, mit unseren Entscheidungen Erfolg hatten, hieß es: »Ihr müsst etwas ändern.« Als wir aus der Oberliga aufgestiegen sind: »Glückwunsch zum Erfolg, aber jetzt, in der Regionalliga, müsst ihr was ändern!« 3. Liga? »Super, aber …«

Und das gilt auch für die 2. Liga. »Schön und gut, aber nun müssen sich ein paar Sachen ändern.« Nein, das müssen sie nicht. Warum sollten wir etwas ändern, wenn wir Erfolg damit haben? Warum sollten wir uns infrage stellen, wenn wir mit unserem Kurs maximalen Erfolg hatten? Wir wissen nicht, ob unser Weg zum Erfolg führt, aber wir werden es probieren und herausfinden.

Ein Ratschlag ist immer: »Ihr müsst jetzt erfahrene Spieler kaufen!«

Warum?

WER PASST ZU UNS?

Wir suchen uns die Spieler aus, die zu uns passen. Meist melden sich auch Spielerberater, die einen »gestandenen Profi« anbieten wollen, weil: »In der 2. Liga weht ein anderer Wind.« Genau.

Holger Sanwald und ich, wir würden am liebsten sagen: Spielerberater müssen erst gar nicht anrufen. Wenn, dann rufen wir den Spielerberater an. Aber so einfach ist es nicht: Ohne Berater funktioniert das Geschäft leider nicht. Für mich ist aber das erste Gespräch mit dem Spieler sehr wichtig. Er soll hören, was ich denke und welchen Plan ich verfolge, und ich will hören, welche Vorstellung der mögliche Neuzugang hat. Zu unserem »Beuteschema« zählen auch Spieler, die Schwächen haben. Die ein schwaches Jahr hinter sich haben, die auf der Bank saßen, die bei einem anderen Verein mit Vorschusslorbeeren bedacht wurden und dann nicht zündeten. Oder welche, die intelligent sind und wissen, dass Heidenheim der entscheidende nächste Schritt sein kann – wie beispielsweise Niklas Dorsch.

Er kam von Bayern München, wir waren lange an ihm dran, dann wurde er aber gegen Ende der Saison von den Bayern eingesetzt, war im Champions-League-Kader, und da war uns eigentlich klar: Er wird jetzt nicht mehr zu uns kommen, obwohl es vor ein paar Monaten noch gut ausgesehen hatte. Doch er kam zu uns, hat uns im Gespräch gesagt, dass er »Bock hat, hier meinen nächsten Schritt zu gehen«. Weil er wisse, ihm fehle noch was in seiner Entwicklung und »das bekomme ich bei diesem Trainer, bei diesem Verein«. Vor allem setzt er auf die Spielpraxis in einer sehr intensiven Liga. Für uns eine klasse Entscheidung, er war auch gut von seinen Beratern beraten worden. Und tatsächlich hat es für beide Seiten absolut gepasst. Er ist jetzt ein gestandener Profi beim FC Augsburg in der Bundesliga.

Kurzum: Wir machen uns eher selbst ein Bild, ob einer zu uns passt oder nicht, ob er bereit ist, unseren Weg mitzugehen. Evolutionär gesehen heißt »Survival of the fittest« ja nicht, dass die Stärksten überleben, sondern die Anpassungsfähigsten. Es gibt stärkere Mannschaften. Es wird immer stärkere Spieler – und ja, auch bessere Trainer – geben. Aber wir brauchen Spieler, die in der Lage sind, sich angstfrei, mutig und leidenschaftlich immer wieder neuen Situationen zu stellen. Diese Spieler finden wir meist selbst.

2015

Dr. Mathias Frey, unser damaliger Mannschaftsarzt, hat mir bei einer Besprechung einen neuen Begriff genannt: Resilienz. Das Wort musste ich erst mal googeln, ich habe den Begriff noch nie gehört. Nun weiß ich, Resilienz bedeutet Widerstandsfähigkeit, bedeutet: gegen Widerstände anzugehen, bedeutet: nicht aufzugeben, auch wenn man mit dem Rücken zur Wand steht. Jetzt hat das also einen Namen, was ich schon seit 2007 mache: resiliente Teams aufbauen.

Teams, die angreifen, wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen.

Teams, die sich durch nichts und niemanden aus dem Konzept bringen lassen. Teams, die an sich glauben.

Teams, die unkaputtbar sind.

20. Oktober 2017

0 : 3-Niederlage gegen den FC Ingolstadt 04. Höhepunkt einer Negativserie. Wir haben nach elf Spieltagen nur acht Punkte. Das Torverhältnis: 12 : 23. Wir steuern in Richtung Abstieg. Es sieht nicht gut aus.

Das ist die erste kritische Situation für Heidenheim in der 2. Liga – und der Knackpunkt für mich als Trainer. Und jetzt springen Medien und Fans, selbst bei einem kleinen Verein wie Heidenheim, darauf an: »Ist Frank Schmidt noch der richtige Trainer?«

»Erreicht er die Mannschaft noch?«

»Wie lange kann er sich noch halten?«

Spieler erhalten von Journalisten WhatsApp-Nachrichten mit folgendem Inhalt:

»Der Schmidt wird doch bald entlassen, oder?«

Und in den sozialen Netzwerk, auf Facebook und Co., ist das Urteil schon gefällt: »Schmidts Zeit ist abgelaufen.«

20. Oktober 2017

Was mache ich jetzt? Was mache ich jetzt? Was mache ich jetzt?

Immer noch 20. Oktober 2017

Bei der Busfahrt zurück aus Ingolstadt wälze ich einige bedrohliche Gedanken. Die Gefahr ist real, dass ich die Mannschaft verliere. Es droht, dass wir in diesen Strudel gezogen werden, nichts mehr gelingt, wir verlieren Punkt für Punkt. Soll das alles, was wir aufgebaut haben, innerhalb weniger Wochen kaputtgehen? Es lässt mir keine Ruhe.

Klar ist, wenn ich mich morgen nach dem Spiel wieder hinstelle, einen Monolog halte und analysiere – wen interessiert das? Was würde das bringen? Wir sind in einer solchen Scheißsituation, da muss etwas anderes kommen als die übliche Traineransprache. Ich muss dafür sorgen, dass die Mannschaft versteht, dass wir jetzt etwas verändern müssen.

Der 20. Oktober 2017 mag nicht enden

Das ist der kritischste Punkt meiner Trainerkarriere. Jetzt gilt es. Ich bin jetzt zehn Jahre Trainer bei Heidenheim. Diese Zeit könnte bald vorbei sein.

Endlich 21. Oktober 2017

Sonntagmorgen: Ich habe eine Idee. Sie ist mir auf der Busfahrt von Ingolstadt gekommen und über Nacht gereift. Keine Ahnung, woher sie kam: Intuition, gesunder Menschenverstand, aus der Seele? Oder haben sich einfach die Synapsen im Kopf perfekt verschaltet? Aber sie ist da, ich sehe sie vor mir – und ich bin mir fast sicher, dass sie funktioniert.

Ich weihe niemanden ein, nicht meine Co-Trainer, nicht Holger Sanwald, keinen aus dem Verein, niemanden.

Wir treffen uns in der Mannschaftskabine in der Voith-Arena und ich bitte, dass alle kommen. Die Spieler natürlich, aber auch der Vorstand, die Co-Trainer, das ganze Funktionsteam, Teammanager, Zeugwart, Physiotherapeuten, einfach alle. Insgesamt sind knapp 40 Leute in der Kabine, es ist recht eng, die Spannung ist hoch. Dann erkläre ich meine Idee.

Jeder der Anwesenden, wirklich jeder, soll nach vorne kommen, sich vor alle hinstellen und sagen, was aus seiner Sicht verkehrt lief, wie es besser gehen müsste – und sagen, was er bereit ist, in Zukunft für die Mannschaft zu leisten.

Im besten Fall soll jeder ein Versprechen abgeben, was er für Team und Verein künftig leisten will. Ich halte das für den besten Weg, damit man nicht hintenherum übereinander spricht, sondern dass alle miteinander sprechen und jeder hört, was der andere denkt. Ich fange an.

Es ist ein großes Risiko. Es kann komplett danebengehen. Es kann alles in blöden Anschuldigungen und im Streit enden. Vor allem ist es auch für mich ein Risiko. Ich mache mich in dem Moment im übertragenen Sinn »nackt«, lasse die Hosen runter und spreche über eigene Fehler. Das kostet Mut. Aber es signalisiert auch: Ich bin bereit, Verantwortung zu übernehmen. Ich sage, was ich glaube, nicht richtig gemacht zu haben, und verspreche, die Mannschaft mit meiner ganzen Energie zu unterstützen. Das hat eine deutliche Signalwirkung.

Ich übe Selbstkritik, in einem Maße, wie es sehr ungewöhnlich ist für Führungskräfte. Vor allem aber mache ich klar, was jeder Einzelne von mir in Zukunft erwarten kann – und dass ich absolut überzeugt bin, dass wir den Turnaround schaffen.

Nach meiner Rede geht es weiter. Jeder stellt sich hin. Auch diejenigen, die nicht gerne vor der Mannschaft sprechen. Manches ist überraschend. Unser Torwarttrainer beispielsweise, der eher ein stiller Mensch ist, stellt sich hin und sagt, wir sollen aufhören zu jammern und jeder müsse sein Ego zurücknehmen. Ersatzspieler sprechen, der Präsident, einfach alle.

Robert Strauß, heute Bereichsleiter Sport beim 1. FC Heidenheim 1846, damals noch Spieler, sagt: »Ich verspreche euch alle, mein letztes Hemd für diesen Verein zu geben, weil ich mit meiner Familie 40 Kilometer von hier ein Haus gebaut habe. Ich komme aus dieser Region, ich bin hier beim FCH angekommen und zu Hause, ich werde auf keinen Fall mehr umziehen in meiner Fußballkarriere. Und das bedeutet, dass das hier der letzte Verein meiner aktiven Karriere sein wird. Bislang bin ich noch nie abgestiegen und das wird auch dieses Mal nicht passieren. Erst recht nicht, weil es meine Heimat ist. Aus diesem Grund könnt ihr euch voll auf mich verlassen, dass ich in den kommenden Spielen alles geben werde.«

Holger Sanwald ergänzt: »Jetzt dreht euch alle um, da hinten, seht ihr das? Das ist die Tür. Und bevor der [er deutet auf mich] hier durch die Tür geht, werde ich dafür sorgen, dass jeder Einzelne von euch vorher durch die Tür geht, und wer das infrage stellt, der geht am besten jetzt raus!« Unser Chef, Holger Sanwald, der »Uli Hoeneß der Ostalb«, Mastermind des FCH und bester Vorstandsvorsitzender aller Zeiten, sagt noch den Satz: »Bevor bei uns der Trainer entlassen wird, schmeiße ich zehn Spieler raus!« Gut zu wissen, dass und vor allem wie er hinter mir steht.

Mehr Details kann ich leider nicht berichten. Es war einer der intimsten Momente, die ich als Trainer bei Heidenheim erlebt habe – und es ist wichtig, dass das in der Mannschaft bleibt. Wichtig ist aber auch, dass alles ganz sachlich und konstruktiv ablief. Und wichtig ist zu guter Letzt, dass wir die Wende geschafft haben.

Noch heute bekomme ich Gänsehaut, wenn ich an diesen Tag denke. Diese Idee hat alles geändert. Nicht ich, der in 99,99 Prozent der Fälle den Weg vorgibt und die Mannschaft ausrichtet, sondern alle haben sich eingeschworen, gemeinsam einen Weg zu gehen. Und ich?

Ich habe zugehört. Endlich zugehört. Ich habe mitbekommen, was wem wichtig ist, wer wie denkt.

Zuhören – absolut entscheidend für Führungskräfte. Was denken die Leute über dich? Was denken die Leute über die Situation? Und sind sie bereit, Verantwortung für die Situation zu übernehmen? Ja, das war eine meiner besten Ideen als Trainer. Es war wie der Impuls, wenn ein neuer Trainer kommt. Er stellt sich hin und alles ist anders. In unserem Fall war es nur so, dass der neue Trainer der alte war. Für mich als Trainer war es ein Meilenstein. Ich bin All In gegangen. Aber ich wusste, wenn nichts passiert, wird es eng für mich, aber auch für den Verein, abzusteigen, besonders, wenn die Ergebnisse weiter ausbleiben. Vor allem aber hat diese Besprechung eine enorme Energie freigesetzt. In diesem stickigen Raum, in dem es nach zwei Stunden nach Schweiß roch, in den sich 40 Männer zwängten, in dem offen und schonungslos alles angesprochen wurde, in dem der Trainer Fehler eingestanden hat, herrschte am Ende eine unglaubliche Dynamik.

Rückblickend war das einer meiner klügsten, wichtigsten und besten Entscheidungen als Trainer. Und es beschreibt am besten meinen Führungsstil als Trainer. Wenn ich das beim Trainerlehrgang als Rollenspiel angeboten hätte, wäre mir mit hoher Wahrscheinlichkeit abgeraten worden. Ein Trainer kann sich nicht so verletzlich zeigen.

Tatsächlich wurden in der Besprechung die Verbundenheit und der Zusammenhalt der Mannschaft und des ganzen Teams deutlich.

29. Oktober 2017

Heimsieg, 1 : 0 gegen den 1. FC Nürnberg. Treffer: Robert Glatzel. Wir sind wieder da. In den nächsten zwölf Spielen liegt unsere Punktzahl bei zwei Punkten im Schnitt, das ist der Punkteschnitt von Aufstiegsmannschaften. Eine maximale Bestätigung. Als ich extern bereits angezählt war und es drohte, intern zu bröckeln, hatte ich den Mut, dieses Ding durchzuziehen.

Beliebte Fragen, die ich ungern beantworte,
Folge 21:

WELCHEN SPIELER WÜRDEN SIE MAL GERNE TRAINIEREN?

Zunächst, ich bin jedem Spieler, der nach Heidenheim kommt und sagt: Ich möchte mit diesem Trainer in dieser Stadt bei diesem Verein arbeiten, sehr dankbar! Das ist mir viel wichtiger, als hypothetische Diskussionen über mögliche Spieler und Verpflichtungen, Träume und Journalistenideen zu führen.

Heidenheim ist eine Chance für viele Spieler. Wir entscheiden uns oft für Spieler, die woanders gescheitert sind, bei denen es bisher nicht rundlief, die eigentlich vielversprechend gestartet sind und deren Karriere ins Stocken geraten ist. Das sind sehr gute Voraussetzungen – sowohl für den Spieler als auch für uns. Denn es ist nicht nur menschlich, jemandem eine zweite Chance zu geben, in der Regel zahlen sie es zurück.

Und wenn ich wirklich die Wahl hätte: Ich glaube, von den gegenwärtigen Spitzenspielern würde am ehesten Thomas Müller vom FC Bayern zu uns passen. Der wirkt noch normal, nicht abgehoben, der würde sich vermutlich auch in Heidenheim wohlfühlen.

Wen ich auf jeden Fall immer noch gerne trainieren würde (und wen ich immer auch ein wenig vermisse), das sind die Spieler, die uns in der Vergangenheit verlassen haben, beispielsweise Niklas Dorsch, Robert Andrich oder Robert Glatzel. Natürlich wäre es klasse, wenn sie noch bei uns wären. Aber das Geschäft ist so, sie können woanders mehr verdienen. Und ich trauere ihnen nicht nach, ich bin sehr glücklich mit meiner jetzigen Mannschaft, wie ich mit meinen vergangenen Mannschaften und auch mit meinen zukünftigen Mannschaften glücklich war, bin und sein werde. Vor allem auch, weil ich daran beteiligt war, sie zusammenzustellen. Und Fragen nach Wunschspielern sind mir zu fiktiv, mit so etwas beschäftige ich mich nicht.

Also: Bitte nicht mehr nach Wunschspielern fragen. Danke!

1. Dezember 2017

»Sever« sagt es schon wieder: »Frank, ich bin schon Champions League, da musst du erst noch hinkommen.« »Sever«, eigentlich Severin, ist unser Grillmeister in der Voith-Arena, berühmt für seine »Feuerwürste«, die er vor, während und nach dem Spiel anbietet. Denn es ist so: Wir haben einen Kiosk im Stadion. Oder besser gesagt: Wir haben das neue Stadion sozusagen um den Kiosk herum gebaut. Denn der Kiosk war schon da, als früher nur ein paar Hundert Leute zum Zuschauen kamen und wir nur die eine schmale Tribüne hatte. Likos Kiosk, benannt nach seinem inzwischen verstorbenen Ex-Besitzer Liko, ist nicht wegzudenken aus unserem Stadion.

Als wir jedoch aufstiegen, als mehr Leute kamen, als wir aufstocken und umbauen mussten, stand es nie zur Debatte, dass wir so bauen, dass der Kiosk quasi in den Stadionbau integriert wird, dass die neuen Tribünen um Severs Reich herum errichtet werden.

So sind wir das einzige Stadion mit integrierter Imbissbude mit Sicht zum Spielfeld, fast direkt am Spielfeldrand. In St. Pauli haben sie einen Kindergarten im Stadion, wir haben unseren Sever. Überhaupt ist der Platz rund um Likos Kiosk ein beliebter Stehplatz für Stammgäste, mein Bruder zum Beispiel schaut immer von dort das Spiel. Heute gewinnen wir 3 : 2 gegen den 1. FC Kaiserslautern und bei »Sever« gibt’s hinterher noch eine seiner »Feuerwürste« – und ich frage wieder: »Biete doch mal Pommes an?« – »Warum sollte ich?« – »Pommes sind leicht verdientes Geld.« – »Nein, mache ich nicht.«

Sever halt. Stattdessen 2000 Feuerwürste pro Spieltag. Er bezeichnet sich inzwischen selbst als Legende und ist sich fast sicher, dass die Leute nicht wegen unseres Kicks ins Stadion kommen, sondern wegen seiner Würste.

2018

Ich habe eine Idee. Wir könnten doch Code-Wörter während des Spiels verwenden, quasi eine ausgeklügelte Geheimsprache. Damit der Gegner nicht weiß, was wir vorhaben. Die Idee ist mir beim Mountain-Bike-Fahren gekommen. Da kommen mir oft gute Ideen. In einer Teambesprechung schlage ich sie vor. Ein Spieler sagt: »Da glaube ich nicht dran, das haben wir in meiner alten Mannschaft probiert, es gab dann totales Chaos.« Damit ist die Idee tot. Es wäre schwer, das in der Mannschaft durchzusetzen. Vielleicht war es auch keine gute Idee.

5. Februar 2019

Pokalspiel gegen Bayer Leverkusen. Achtelfinale. Es ist diese wahnsinnige Pokalsaison 18/19, in der wir gefühlt jeden schlagen können. Auch wenn es in der ersten Halbzeit gegen Leverkusen nicht danach aussieht. Julian Brandt bringt den Bundesligisten in der 44. Minute in Führung. Aber um bei uns zu gewinnen, muss man die zweite Halbzeit überstehen.

Und das ist schwer, sehr schwer, vor allem, wenn, wie an diesem Abend, der Nebel über der Ostalb aufzieht. Das haben schon sehr viele Vereine erfahren müssen. Nach der Pause wird im Stadion eine unfassbare Energie freigesetzt, auch auf den Rängen – was nicht nur an Severs Feuerwürsten liegen dürfte.

Kurz nach der Pause steht es 1 : 1. In der 72. Minute machen wir das 2 : 1. Und dabei bleibt es. Der Niederländer Peter Bosz ist Trainer bei Bayer Leverkusen. Nach der Niederlage wird er in der Pressekonferenz hart angegangen, unter anderem geht es um Mentalität und dass eben diese doch seiner Mannschaft gefehlt habe. Bosz ist genervt: »Mentalität, ihr immer mit eurer Mentalität! Mentalität kann man nicht trainieren!«

Und ich sitze daneben und denke: »Bitte, bitte, fragt mich, bitte fragt mich nach der Mentalität«. Aber keiner fragt mich. Dabei bin ich anderer Meinung.

MENTALITÄTSTRAINING

Natürlich kann man Mentalität trainieren. Man kann direkt und geradeheraus sein. Man kann als Trainer Mentalität vorleben. Ob eine Mannschaft Mentalität zeigt, hat immer mit Führung zu tun und wie man mit Menschen umgeht. Wenn ich sie von oben herab behandle, werden sie keine Mentalität entwickeln. Wenn ich die Kommunikation mit ihnen verweigere, werden sie keine Mentalität zeigen.

Wie ich mich als Trainer gebe, wirkt sich auf die Mannschaft aus. Und wenn ich immer gewinnen will, will auch die Mannschaft immer gewinnen. Wenn ich im Training etwas schleifen lasse, wenn ich Kleinigkeiten durchgehen lassen, wirkt sich das aus.

Eine Siegermentalität kann ich nicht an- und abschalten, sie muss immer da sein. Wir haben schon öfters gegen einen unterklassigen Gegner in einem Vorbereitungsspiel mehr als 20 Tore geschossen, man hätte es schleifen lassen, ihnen vielleicht sogar ein Ehrentor gönnen können. Nein, das bekommen die nicht, war meine Ansage, wir reichen denen nicht den kleinen Finger. Wenn die ein Tor schießen wollen, wenn sie es wirklich wollen, dann müssen sie es sich verdienen. Meine Spieler wissen, dass es nichts zu verschenken gibt, nicht auf dem Feld, weder im Training noch im Spiel. Wenn sie den Ehrentreffer erzielen wollen, müssen sie es sich verdienen.

Es geht darum, nicht nachzulassen, niemals, zumindest nicht in den 90 oder 120 Minuten, die ein Fußballspiel dauert. Nicht nachlassen. Das stärkt die Mentalität. Wenn es mir egal wäre, selbst wenn ich ein Trainingsspiel drangeben würde, schwächt das die Mentalität. Mentalität kann man trainieren und vor allem kann man sie vorleben.

3. April 2019

Was für ein Spiel! Der Wahnsinn. Dieses Pokalspiel bringt uns endgültig auf die große Fußball-Landkarte, obwohl ARD und ZDF entschieden hatten, die Bayern dieses Mal nicht live im Fernsehen zu zeigen. Allianz-Arena München. Wir gegen die Bayern, gegen den FC Bayern München. Bei den Bayern sind alle dabei: Müller, Goretzka, Süle, der nach 13 Minuten mit Rot vom Platz fliegt. Wir sind der größtmögliche Außenseiter Deutschlands und führen zur Pause 2 : 1. Unser Stürmer Robert Glatzel ist in Überform.

Wir bringen sie an den Rand einer Niederlage, leisten Widerstand, mit dem die Bayern nicht im Geringsten gerechnet hatten. Zur Pause bringt Bayern-Trainer Nico Kovac seinen Stürmer Robert Lewandowski, eigentlich soll er aus gesundheitlichen Gründen geschont werden, weil ein paar Tage später das Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund ansteht. Doch jetzt muss aus Bayern-Sicht der Sieg her.

Es ist schließlich auch Lewandowski, der kurz vor Schluss das 5 : 4 schießt, nachdem wir ihnen bis dahin ein 4 : 4 abgetrotzt hatten. Ein furioses Spiel und für mich das beste Beispiel: Du brauchst Mut. Aber Mut kann man sich nicht kaufen, man muss ihn sich erarbeiten, das hat etwas mit dem Glauben an die eigenen Stärken zu tun und nicht mit dem Denken an die eigenen Schwächen. Dann kannst du alles gewinnen.

»Wir müssen bereit sein, ihnen heute an die Gurgel zu gehen«, habe ich meinem Team vor dem Spiel gesagt. Ja, es ist Fußball, ja, in der Kabine geht es nicht immer feingeistig zu. Aber es wirkt. Da der FC Bayern, hier der 1. FC Heidenheim. Und den Mutigen gehört die Welt. Das ist auch meine Trainerphilosophie – nicht allzu viel abwägen, nicht so viel auf die Bedenken der anderen hören, sondern mitten aus dem Leben heraus sagen: »Die packen wir heute.« Seid überzeugt von euch, ich glaube an euch, beschränkt euch nicht selbst. Alles ist möglich! Auch in der Allianz-Arena.

Sommer 2019

Bei einer Veranstaltung mit Partnern und Sponsoren dürfen die Teilnehmer noch Fragen an den Trainer stellen. Erst wird keine Frage gestellt, dann kommt doch eine: »Warum ist der Trainer immer so schlecht rasiert?« Ich sage: »Wenn das unser einziges Problem ist, kann es nicht so schlimm sein.«

2019

Wir sind ein Verein, der sich noch im Aufbau befindet. Dazu gehört, dass wir ein offenes Ohr für kleinere Vereine haben, wir regelmäßig den Kontakt dorthin suchen und sie unterstützen. Es sind unsere sogenannten Vereinsfreunde, wir haben mittlerweile 200 und bald 250 davon. Wir unterstützen sie, indem wir ihnen beispielsweise Warmlaufshirts, Bälle oder Freikarten zur Verfügung stellen, außerdem bieten wir ihnen bei Themenabenden einen exklusiven Einblick in die Arbeit eines Profivereins.

Zu diesem Kreis zählen unterklassige Vereine bis hin zu Kreisligisten. Zweimal im Jahr laden wir sie zu uns ein. Es geht jedes Mal um ein anderes Thema rund um einen Fußballverein. Insgesamt bis zu 300 Teilnehmer kommen dann nach Heidenheim.

Dann stellen wir uns den Fragen der Kollegen. Ein Trainer von einem Kreisligisten fragt: »Wie macht ihr das mit der Belastungssteuerung?«

Das ist jetzt eine schwierige Situation. Am liebsten würde ich ihm antworten: »Belastet doch erst mal, bevor ihr Steuerung macht.«

Aber wir sind nicht überheblich, deshalb wird auch das erklärt.

FÜHRUNGSSPIELER, LEISTUNGSTRÄGER, ERGÄNZUNGSSPIELER

Ein Führungsspieler ist für mich ein Spieler, der, wenn es schlecht läuft, nicht nach den anderen schaut, sondern den anderen signalisiert: Kommt mit, ich weiß, wo es langgeht. Führungsspieler beweisen sich, wenn der Wind entgegenbläst. In einem Team muss und kann es nicht viele Führungsspieler geben, ich würde sagen: Eine Mannschaft hat maximal zwei bis drei Führungsspieler. Sie haben eine feste Meinung, nutzen den Umstand, dass sie immer spielen, nicht aus, ruhen sich nicht auf ihren Verdiensten aus, vertreten außerhalb des Platzes die Interessen der Mannschaft – und geben in jedem Training Gas. Und wenn die Fans sauer sind, muss der Führungsspieler am Zaun stehen und mit den Fans reden.

Ein Leistungsträger ist ein Spieler, der nicht auf den fahrenden Zug aufspringt, sondern den Zug zieht. Leistungsträger bringen permanent ihre Leistung auf einem bestimmten Niveau; vielleicht spielen sie ein oder maximal zweimal pro Saison nicht auf diesem Niveau, aber sonst kann man als Trainer immer auf sie zählen. Sie sind absolut verlässlich, geben immer alles und bilden damit das Fundament für ein erfolgreiches Spiel. Deswegen sind sie auch Stammspieler, stehen regelmäßig in der Startelf oder kommen fast immer zum Einsatz.

Ergänzungsspieler sind nicht regelmäßig in der ersten Elf, manchmal sind sie nicht mal im Kader. Es braucht viele Einzelgespräche, um sie davon zu überzeugen, nicht immer dabei und dennoch wichtig zu sein. Verletzungen bei den Mitspielern, eine Rot-Sperre oder eine Leistungssteigerung können dazu führen, dass sie einen Konkurrenten auf ihrer Position verdrängen – und plötzlich sind sie im Kader, plötzlich stehen sie auf dem Platz und haben die Chance, Mentalität zu zeigen und über Leistung ihren Platz im Kader zu finden. Fußball ist ein Wettkampf und muss auch innerhalb eines Teams geschürt werden.

30. Juli 2019

Ich bin kein Psychologe. Aber was ich mache, hat viel mit Psychologie zu tun. Mehr noch hat es mit Ehrlichkeit zu tun. Nur Ehrlichkeit bringt mich weiter. Meiner Mannschaft kann ich nichts vormachen, einem einzelnen Spieler kann ich nichts vormachen. Wenn einer Scheiße baut, muss ich ihm das sagen. Genauso muss ich ihn loben, wenn er in guter Verfassung ist und Leistung zeigt. Aber Kommunikation hat nicht nur eine erzieherische Funktion. Wenn einer frustriert ist, muss ich mit ihm sprechen. Ich darf ihn nicht alleine lassen, als Trainer muss ich mit allen sprechen, auch und gerade mit denen, die gerade keinen Erfolg haben.

Spieler schätzen es sehr, wenn man mit ihnen spricht, ruhig, auch konfrontativ, wenn man sagt, was verkehrt läuft und worin wir als Trainerteam eine Lösung sehen. Oft fallen Spieler in diesen Gesprächen aus allen Wolken. Wir hatten einmal einen Spieler, der war vollkommen zufrieden mit sich und seiner Performance auf dem Platz – wir aber nicht, wir wussten, er kann mehr. Offenbar hatte ihm noch nie jemand in aller Deutlichkeit gesagt, dass er dringend aus seiner Komfortzone herausmüsste. Und dann kam mehr, viel mehr. Heute spielt er in der Bundesliga, nicht mehr bei uns.

Denn auch das ist Realität in Heidenheim. Wir müssen aus ökonomischen Gründen Spieler verkaufen. Das ist unser Los. Wir können nur begrenzte Gehälter bezahlen und leben davon, dass ein Spieler wie Robert Glatzel im Juli 2019 für sechs Millionen Euro zu Cardiff City wechselte, die höchste Ablösesumme, die wir bisher für einen Spieler erzielen konnten.

Dabei war Robert in seinem ersten Jahr der Grund für ordentlich Stress mit den Fans. Er kam 2017 vom 1. FC Kaiserslautern, hatte dort gerade 19-mal in der 2. Liga gespielt, vier Tore erzielt – und bei uns lief es im ersten Jahr auch nicht besonders gut. Das sorgte dafür, dass sich die Fans auf ihn einschossen, wenn wir schlecht spielten. Robert Glatzel war der Sündenbock. Nach einem Spiel gab es sogar Sprechchöre gegen ihn. Dann bin ich direkt zu den Fans gegangen, habe sie kritisiert, dass sie sich einen Sündenbock herausgesucht hätten, und ihnen auch klargemacht, dass wir zusammen gewinnen und verlieren. Später, vor seiner zweiten Saison bei uns, bei einem Fantreffen, wurde dieses Thema wieder angesprochen und ich habe die Fans gebeten, Robert ein halbes Jahr Zeit zu lassen und ihn zu unterstützen. In diesem Jahr hat er dann »gezündet« und eine bärenstarke Saison gespielt. Schnell wurde aus dem Sündenbock ein »Wir haben es doch immer schon gewusst!«. Robert hat genau das gebracht, was wir von ihm erwartet haben. Vor allem ein Spiel bleibt unvergessen: Als er im Viertelfinale im DFB-Pokal bei der knappen 4 : 5-Niederlage gegen den FC Bayern München drei Tore schoss. Hinterher wussten alle, auch die vehementesten Kritiker, was Robert für ein echt Guter ist.

Robert ist ein gutes Beispiel für meine Philosophie. Erstens messe ich Stürmer nicht nur an den Toren, die sie schießen, sondern wie viele Chancen sie sich erarbeiten, und vor allem, wie sie sich nach vergebenen Torchancen verhalten und sofort weitermachen. Und zweitens stehe ich dafür, Menschen eine zweite Chance zu geben, nicht gleich den Stab über sie zu brechen. Ja, dafür nehme ich in Kauf, von den eigenen Fans angegangen und kritisiert zu werden.

Das war ein paar Jahre zuvor bei Florian Niederlechner ganz ähnlich. Auch er ging später für eine erhebliche Transfersumme in die Bundesliga. Da kämpfe ich wie ein Wolf vor seinem Rudel. Ja, der Verkauf von Spielern gehört bei uns dazu. Spielen wir erfolgreich und spektakulär, stechen einige Spieler hervor, dann dauert es nicht lange, bis größere Vereine anklopfen und Spieler kaufen wollen. Mit dem üblichen Medienreflex: »Nun bricht die Mannschaft auseinander« – was sie aber nie tut. Wir suchen die nächsten Spieler, die zu uns passen, und helfen ihnen bei ihrer Entwicklung.

Dass Spieler gehen, schmerzt. Vor allem, wenn es Spieler sind, die uns weiterbringen, die dem Team guttun, die anständige Kerle sind. Aber das ist unser Los.

25. September 2019

Der Rotary-Club in Heidenheim hat mich eingeladen. Ich soll über unseren Weg sprechen, was uns von anderen Klubs unterscheidet, was ich unter Führung und Leadership verstehe. Als ich ein paar Minuten spreche, sehe ich, wie ein Zuhörer die ganze Zeit auf sein Handy schaut. Ich frage ihn: »Stimmt was nicht?« Er versucht, sich kurz zu rechtfertigen, ich mache aber umgehend weiter.

Das ist mir wichtig. Wenn es um eine Sache geht, kann ich nicht noch zwölf andere Sachen nebenbei machen. Ich kann mich beispielsweise nicht daran erinnern, dass jemals ein Spieler in der Kabine oder während einer Besprechung sein Handy gezückt hätte. Das ist ein absolutes No-Go, das ist so no-go, dass es bisher noch nicht vorgekommen ist. Den Spielern dürfte klar sein, dass ich das nicht akzeptieren würde. Das heißt nicht, dass ich immer der harte Hund sein muss, immer autoritär, dann würde es nicht nachhaltig funktionieren. »Kommunikation beginnt beim Empfänger«, hat uns der ehemalige CEO der Paul Hartmann AG, Dr. Rinaldo Riguzzi, gesagt. Wenn ich Menschen dazu bewegen will, dass sie in meinem Sinne handeln, muss ich das beherzigen.

GEWINNEN WOLLEN DIE ANDEREN AUCH

Ich halte immer wieder Vorträge in Unternehmen unserer Partner und Sponsoren. In letzter Zeit wird es etwas konfrontativer. In vielen Unternehmen setzt man neuerdings auf flache Hierarchien, auf kooperatives Führen, auf die Meinung der vielen. Exakt auf das, womit eine Fußballmannschaft aus meiner Sicht nicht funktionieren würde.

Ich glaube an Hierarchien. Ein Verein muss immer eine Hierarchie haben. Flache Hierarchien führen nicht zum Ziel. Es braucht einen, der eine Entscheidung trifft, und das ist im Hinblick auf Aufstellung, Spielausrichtung und Taktik auf den nächsten Gegner eben der Trainer. Und je klarer er vermittelt, was Sache ist, desto besser ist die Chance auf ein gutes Resultat.

Im Grunde sind meine Vorträge simpel: Ich habe nicht studiert, ich kopiere niemanden und alles, was ich in Heidenheim mache, habe ich nicht woanders vorher ausprobiert. Es ist mein Weg und ich bin davon überzeugt, dass jeder etwas darin für sich findet, eine Anregung, vielleicht einen Impuls für seinen eigenen Weg. Wichtiger als die Vorträge vor Unternehmen ist die Mitgliederversammlung beim 1. FC Heidenheim e. V. Da spreche ich aus, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dass wir so erfolgreich sind. Ich bemühe mich aber, mehr über das Erreichte und weniger über das Verpasste zu sprechen.

Wir neigen dazu, gerade wir Ostälbler, eher zu sehen, was nicht läuft, statt zu würdigen, was wir erreicht haben. Dennoch breche ich nicht in Überschwang aus. Mir geht es nicht darum, die Erwartungen zu dämpfen, eher um einen realistischen Blick auf das, was möglich ist. Ja, wir wollen jedes Spiel gewinnen, ja, wir wollen die Saison so gut wie möglich abschließen – aber das wollen die anderen Mannschaften auch.

7. Oktober 2019

Trainertagung in Mönchengladbach. Ein wichtiger Termin, rund 30 Trainer aus dem bezahlten Fußball kommen einmal im Jahr zusammen, plus ein paar »alte Hasen« wie Peter Neururer oder Ewald Lienen. Früher war ich meist Zuhörer, inzwischen hört man mir zu. Man redet über neue Trainingsmethoden, über Belastungssteuerung, dann wird ein Bundesligaspiel angeschaut, man diskutiert über Taktiken und Entscheidungen. Viele Meinungen treffen aufeinander. Es ist immer spannend, in diesem geschützten Raum über Dinge zu sprechen, für die sonst keine Zeit wäre. Von erfahrenen Trainern will ich wissen, wie sie mit den »englischen Wochen« umgehen, wie Spieler regenerieren.

Es geht aber auch um Fragen wie: Welchen Einfluss haben Sportdirektoren? Wie kann man mit ihnen erfolgreich kooperieren? Dann diskutieren wir über Schiedsrichter und Schiedsrichterleistungen – und wie wir als Trainer mit den Schiedsrichtern umgehen sollen. Richtig Ärger hatte ich nur ein Mal mit einem berühmten Schiedsrichter, der inzwischen außer Dienst ist. Er musste zu uns nach Heidenheim, es war kalt, hatte geschneit, und weil er sich bei der Anreise verkalkuliert hatte, kam er erst kurz vor Spielbeginn in der Voith-Arena an. Man merkte ihm an, dass er keine richtige Lust hatte, bei dieser Affenkälte seinen Samstagnachmittag in der 2. Liga zu verbringen. Das sprang auf das Spiel über, es wurde hektisch und ruppig. Wir machten unserem Unmut von der Bank aus Luft, man muss sich auch wehren dürfen. Die Stimmung kippte jedoch zu unseren Ungunsten. Der besagte Schiedsrichter schickte meinen Co-Trainer und unseren Athletiktrainer auf die Tribüne, mich verwarnte er, auch bei mir fehlte nicht viel zum Tribünenplatz. Ein Spieltag zum Vergessen.

Bei der Trainertagung kann man von solchen negativen Erfahrungen berichten. Es ist ein sehr vertraulicher Austausch. In den Spielen sind wir Konkurrenten, bei der Tagung ist man abgeschottet und kann in Ruhe darüber sprechen, warum bei jeder Erfolglosigkeit immer der Trainer schuld sein soll und wie man als Trainer damit umgeht, ständig kurz vor der Entlassung zu stehen. Ich muss in der Regel erklären, wie wir es schaffen, immer wieder Leistungsträger abzugeben und dennoch vorne mitzuspielen. Dabei halte ich mich an einen Satz von Bernd Stöber, der einst mein Trainer in der U15-Nationalmannschaft war und der auf einer Trainertagung einmal gesagt hat: »Erfolg ist ganz einfach: Du musst es nur schaffen, den Erfolg nicht zu verhindern.« Fußball kann so simpel sein.

30. Juni 2020

Da klopft doch etwas. Da ist ein Geräusch. »Hört ihr das nicht?« frage ich mein Trainerteam. Wir schauen gerade zur Vorbereitung ein Bundesligaspiel an, Werder Bremen, und die ganze Zeit ist ein Klopfen zu hören. Erst schauen die anderen ungläubig, dann hören sie es auch. Wir rätseln, woher das Klopfen kommt, schauen den Ausschnitt immer wieder an.

Es sind besondere Zeiten. Die ganze Welt ist erfasst von der Coronapandemie: Nachdem im März und April alles gestoppt wurde, Schulen und Restaurants geschlossen wurden, der Kampf um Klopapier in vollem Gang war, begann der Fußball Mitte Mai wieder einen vorsichtigen Neubeginn.

Die Saison in den oberen Fußball-Ligen wurde zu Ende gespielt, die Stadien waren zwar leer, Fans durften nicht dabei sein, aber allein, dass wieder Fußball gespielt wurde, war ein Zeichen für Normalität. Für uns war die Saison 2019/2020 aber weit mehr als Normalität, sie war ein Höhepunkt der Vereinsgeschichte, wir wurden mit 55 Punkten Dritter der 2. Liga und Werder Bremen 16. der Bundesliga.

Nun stehen, einige Wochen verspätet, die beiden Relegationsspiele an – und die beiden Mannschaften stehen sich mit einer komplett anderen Haltung gegenüber. Wir sind in der Relegation, weil wir die Saison über etwas Außergewöhnliches erreicht haben. Bremen dagegen geht in die Relegation mit dem Bewusstsein: Mit zwei Spielen können wir unsere Mistsaison retten.

1. Juli 2020

Wir wissen jetzt, woher das Klopfen kommt. Wir haben immer und immer wieder das Video angeschaut und einmal ist kurz am Rand zu sehen, wie die Physiotherapeutin von Werder Bremen, auf der Tribüne sitzend, mit einem länglichen Gegenstand auf eine Kiste haut, quasi als Support. Tock, tock.

Es sind keine Fans im Stadion, es ist totenstill und so sorgt sie für rhythmische Unterstützung. Das bringt uns auf eine Idee.

2. Juli 2020

Das erste Spiel ist in Bremen, im leeren Weserstadion. Vom Anpfiff weg sind wir gut drauf, wir sind beweglich, schnell, wir pressen und lassen das gewohnte Ballbesitzspiel des Gegners nicht zu. Vor allem aber haben wir Unterstützung: Um dem Bremer Physio-Klopfen im leeren Stadion etwas entgegenzusetzen, tönt von der Haupttribüne eine Kuhglocke.

Eine Heidenheimer Kuhglocke.

Ein Bekannter von uns hat einen Bauernhof, er hat uns die Glocke geliehen und einer der – wegen Corona – wenigen zugelassenen Heidenheim-Offiziellen schwenkt die ganze Zeit die Glocke auf der Tribüne. Das ist unsere Lärmantwort. Und vielleicht sehe ich es zu sehr aus der Vereinsbrille, aber das hat die Bremer irritiert: dass im Weserstadion 90 Minuten lang in einem leeren, hallenden Stadion eine Kuhglocke zu hören war. Die Kuhglocke war dann auch Thema in allen Medien. Wenn über das Spiel berichtet wurde, wurde die Glocke erwähnt und gezeigt.

Die Idee war ein voller Erfolg. Das Spiel selbst geht 0 : 0 aus. Wir sind die bessere Mannschaft, wir attackieren sie Mann gegen Mann, Kevin Sessa nimmt den holländischen Nationalspieler Davy Klaassen komplett aus dem Spiel. Klaassen hat einen Marktwert von 30 Millionen Euro. Zusammen kommen wir nicht mal annähernd auf diesen Betrag. Es läuft gut, aber wir versäumen, das 1 : 0 zu machen. Die beste Möglichkeit auf das einzige Tor der Partie haben wir durch Timo Beermann in der Nachspielzeit, er vergibt knapp nach einem Eckball. Bei der damals noch geltenden Auswärtstorregel hätten wir durch das Tor beste Aufstiegschancen gehabt.

6. Juli 2020

Das Rückspiel bei uns zu Hause verläuft enttäuschend. Beim Einlaufen verletzt sich Timo Beermann, unser Stamm-Innenverteidiger. Kurzfristig muss ich für das Rückspiel Norman Theuerkauf als Innenverteidiger aufbieten. Schnell geraten wir unter Druck, Theuerkauf ist noch nicht richtig im Spiel auf seiner neuen Position. Schon nach wenigen Minuten schießt ausgerechnet er ein Eigentor. Jetzt müssen wir schon zwei Tore machen, weil Auswärtstore noch doppelt zählen. Das ist fast nicht zu stemmen, obwohl wir an unsere Chance glauben. Als Anfeuerung für uns steht ein Mann mit Kochschürze auf der Tribüne und haut mit einem Kochlöffel auf eine Bratpfanne, das nächste Kapitel im Lärmwettstreit mit Bremen.

In der 85. Minute macht Tim Kleindienst das 1 : 1. Es wird noch mal hektisch.

Doch in der Nachspielzeit fällt das 1 : 2. Das 2 : 2 von Tim Kleindienst in der achten Minute der Nachspielzeit kommt zu spät. Es ist vorbei. Unentschieden.

Tatsächlich haben wir 2 : 2 verloren, steigen nicht auf und Werder Bremen nicht ab. Die Enttäuschung ist sehr groß.

Ich bin angefressen. Wir haben in Bremen fantastisch gespielt, wir waren als Team nahe dran am Aufstieg, am Ende hat sich dann die individuelle Qualität durchgesetzt. Es gelingt ihnen nicht, uns zu schlagen, und dennoch gewinnen sie. Ich stehe in der leeren Voith-Arena, es ist Juli, die Sonne scheint und es ist ein trister Tag. Gefühlsmäßig hat einen die Pandemie schon ziemlich heruntergezogen, jetzt auch noch diese Niederlage, die eigentlich keine ist. Und dann stellt mich der ZDF-Reporter noch als Trainer von »Hoffenheim« vor.

DIE 2. LIGA

Seit 2014 spielen wir mit Heidenheim ununterbrochen in der 2. Liga. Wir sind, bezogen auf die letzten fünf Jahre, die erfolgreichste Mannschaft der 2. Liga in der Saison 2022/2023. Wir haben die Liga inhaliert, wir können 2. Liga, wer hier aufsteigen will, muss an uns vorbei. Oder wir steigen eben auf. Die Liga ist faszinierend und vor allem spannend. Anders als in der 1. Bundesliga ist die Diskrepanz zwischen den Spitzenmannschaften und den Abstiegskandidaten nicht so groß. Ich sage immer: »95 Prozent kann jeder in der 2. Liga, die letzten fünf Prozent entscheiden, ob du oben oder unten stehst.«

Die Teams sind qualitativ nahe beieinander und die vermeintlich kleineren Mannschaften haben »Waffen«, mit denen sie den vermeintlich größeren Mannschaften sehr wehtun können. Zumal es immer ein wenig Zeit beansprucht, bis eine »große« Mannschaft in der 2. Liga angekommen ist.

Das haben wir in den vergangenen Jahren bei Traditionsvereinen wie den Hamburger SV oder Schalke 04 gesehen.

Die »Ankunft« in Liga 2 folgt in der Regel einer ähnlichen Dramaturgie: Wenn eine große Mannschaft absteigt, ist die Stimmung am Boden, es werden Leistungsträger verkauft, meist kommt auch ein neuer Trainer und für das erste Jahr in der 2. Liga werden nicht nur Topleute verpflichtet. Man hofft, irgendwie durchzukommen und »direkt wieder aufzusteigen«. Das hoffen die Gremien, das hoffen die Spieler, das hoffen die Fans.

Doch zunächst muss der Verein die Liga kennenlernen, das braucht Zeit – vor allem müssen sie lernen, dass einem die individuelle Qualität einzelner Spieler in der 2. Liga zunächst gar nichts nützt. Das Anforderungsprofil der Liga beginnt mit Defensivverhalten, Mentalität, Zweikampfverhalten, Laufleistung. Und endet mit Rennen, Rennen, Rennen. Wer sich das zu Herzen nimmt, in dessen Team wird sich mittelfristig auch die individuelle Qualität durchsetzen. Wer glaubt, es werde schon gut gehen, man müsse die Herausforderung nicht annehmen, läuft Gefahr, weiter nach unten durchgereicht zu werden. Auch dafür gibt es genügend Beispiele.

7. Oktober 2021

Das Fußballmagazin 11 Freunde nennt mich eine »rumpelnde Motivationsmaschine«. Damit kommentieren sie meine Vertragsverlängerung in Heidenheim bis 2027 und fragen sich, wann ich vom »Zweitligafußball in der ostwürttembergischen Provinz« genug habe. Genug? Ich?

FEHLER DÜRFEN PASSIEREN, WENN SIE LEIDENSCHAFTLICH PASSIEREN

Jedenfalls geht es nie ohne Kommunikation. Manchmal brauchen Spieler jemanden, der sie in den Arm nimmt, und manchmal brauchen sie bei Bedarf einen Schuh in den Hintern. Diese Balance zu finden, sehe ich als meine Aufgabe. Was die Spieler definitiv nicht brauchen, ist Schweigen, falsches Lob oder das Wecken unrealistischer Hoffnungen. Offen und geradeheraus, das ist unsere DNA und bisher habe ich noch keinen Spieler erlebt, der sich darüber beklagt hätte. Sicher, sie müssen schon schlucken, wenn wir ihnen sagen müssen, dass es nicht reicht oder sie sich steigern müssen. Immer noch besser, als gar nicht zu reden.

Diese Gesprächskultur übertragen wir auf die Vertragsverhandlungen. In der Regel sagen wir den Spielern, deren Verträge im Sommer auslaufen, mit Beginn der Vorbereitung zur Rückrunde, meist im Winter-Trainingslager, wie wir die Situation einschätzen. Ob wir verlängern wollen, ob wir abwarten und schauen, was die nächsten Wochen bringen. Und wir klären, ob der Spieler sich verändern will und wie der Verein dazu steht. Dass dies bereits zu Beginn der Rückrunde geschieht, hat den positiven Effekt, dass die Spieler die ganze Rückrunde Zeit haben, um sich zu zeigen und Leistung zu bringen. Würden wir die Gespräche erst im Frühjahr führen, hätten sie fast keine Chance mehr, ihre Situation zu verändern. Auch das ist etwas, was Spieler sehr schätzen.

Die Gespräche, die wir mit den Spielern führen, werden übrigens dokumentiert. Wir protokollieren, was wir im Detail mit jedem Spieler besprochen haben. Das ist für beide Seiten wichtig, so können wir dem Spieler sagen, was wir vereinbart haben, und der Spieler kann sich darauf berufen, was ihm in Aussicht gestellt wurde. Noch mal, offen und ehrlich, das ist unsere DNA. Im Schwäbischen gibt es den Ausdruck: »den Rauch reinlassen«. Das heißt so viel wie: ordentlich herumbrüllen, Stress machen, Krach schlagen. Auch das ist nötig.

Fußball ist ein Spiel, es ist keine Arbeit. Und Spiel heißt: Es kann alles passieren. Exakt vorhersehen lässt sich gar nichts. Wir hatten das Woche für Woche in unserem Aufstiegsrennen selbst erlebt. Jede Woche haben die Experten hochgerechnet, wer am Ende aufsteigt oder nicht. Doch wer zu viel auf die Tabelle starrt, verliert den Blick auf das Wesentliche. Auf das Spiel, auf die eigenen Stärken. Es geht darum, sich zu fokussieren und Energie für den Fokus einzusetzen. Die Konsequenz eines Ergebnisses vorher auszublenden und voller Überzeugung ein Spiel zu spielen, um das geht es. Und nicht zuletzt dürfen wir nicht vergessen, dass bei allem, was wir tun, egal, wie optimal unsere Vorbereitung, unser Training, unsere Spielidee sind, es immer einen Gegner auf dem Platz gibt, der einfach mal besser sein kann. Auch wenn das Auseinanderfallen die absolute Ausnahme sein muss, auch die mentale Abwesenheit sollte dir als Trainer nicht allzu oft passieren, aber es ist eine wichtige Erfahrung. Denn wir lernen nicht nur im Erfolg, wir lernen vor allem aus den Misserfolgen.

Für mich sind es ohnehin die besten Situationen: Wenn wir mit dem Rücken zur Wand stehen, wenn es schlecht aussieht, fühle ich mich in meinem Element. Jetzt muss mir eine Lösung einfallen. Und es gibt nichts Schöneres, als mit einer neuen Idee eine schwierige Situation zu entkräften. Vor allem den Spielern das Gefühl zu geben, ihr dürft Fehler machen, Fehler dürfen passieren, wenn sie mutig und leidenschaftlich passieren.

1. Juli 2021

Marc Schnatterer verlässt den 1. FC Heidenheim. Unser Kapitän. Unsere Legende. Unser Aufstiegsheld. Nach 13 Jahren geht er. Marc ist genau die Persönlichkeit, die du dir als Trainer wünschst. Er versteht, was du willst. Er trägt auf den Platz, was für dich wichtig ist, und sorgt dafür, dass es alle im Team kapieren. Mit kaum einem Spieler hatte ich so ein Vertrauensverhältnis wie mit Marc Schnatterer. Damals war er 35 Jahre alt, aber er war eben kein Mann für die Bank, er musste immer spielen. Ich habe bei ihm immer schon Parallelen zu mir gesehen: selbst in Trainingsspielen alles geben, es kann nie um nichts gehen, nicht im Training, nicht bei einem Freizeitkick, nie; immer ein bisschen jähzornig, aber immer 100 Prozent. Er wird wiederkommen, in einer neuen Rolle als Trainer in unserem Nachwuchsbereich. Er ist einer, der dem FCH auch in Zukunft nach seiner aktiven Karriere helfen wird. Und mittlerweile steht das auch fest.

13. März 2022

Hertha BSC entlässt Tayfun Korkut. Beide Seiten gehen »ab sofort getrennte Wege«. Wieder einmal wird ein Trainer entlassen. Er war erst seit November 2021 Trainer, damals musste Pal Dardai gehen, der jüngst im Abstiegskampf wieder zurückgeholt wurde. Ja, mit Tayfun habe ich den Trainerschein gemacht und so eine Meldung trifft mich. Denn der Trainerlehrgang ist das eine, da bekommst du Rüstzeug und Struktur für deine Arbeit. Es hilft dir in der täglichen Arbeit. Worin deine Herausforderung besteht: Du musst erfolgreich sein, du musst dich behaupten können.

Und du musst dich unterscheiden. Du musst einen eigenen Weg gehen, einen eigenen Stil als Trainer finden. Bei einer Vielzahl sehr ähnlicher Trainertypen ist es leichter, sie auszuwechseln, eine Schablone kann durch die nächste ersetzt werden. Wenn es nur so einfach wäre. Es gibt nämlich Trainer, die für etwas stehen, die eine eigene Trainermarke sind, wie Steffen Baumgart vom 1. FC Köln oder Christian Streich vom SC Freiburg. Von ihnen profitieren Mannschaften, profitiert jeder einzelne Spieler, weil sie etwas besitzen, was mehr und mehr fehlt in unserer Branche: Persönlichkeit.

Trainerpersönlichkeiten mit einem hohen Maß an Charakterstärke, die etwas durchziehen können und sich nicht aus dem Konzept bringen lassen. Die, und darauf kommt es an, auch charakterstarke Spieler integrieren können. Mir fehlen ein wenig die Typen, die vor dir stehen und du erkennst sofort, das ist ein authentischer Typ, bei ihm geht es nicht nur um Trainingslehre, Taktik oder Grundordnung. Persönlichkeit und Empathie sind unabdingbar, wir müssen erkennen, was der Spieler als Mensch benötigt und nicht nur als Fußballspieler in Bezug auf seine Stärken und Schwächen.

Die tägliche Herausforderung besteht darin, auszubalancieren, wie viel Bolzplatzmentalität es auf dem Platz braucht, damit ein Spieler seinen Freiraum hat, und wann es gilt, dass sich Spieler diszipliniert an eine Grundordnung halten.

2022

Die Daten nach jedem Spiel sprechen eine deutliche Sprache: Die Spieler des 1. FC Heidenheim laufen in der 2. Liga die meisten Kilometer auf dem Platz, insgesamt im Schnitt mehr als 120 Kilometer, das sind circa zwölf Kilometer pro Spiel mehr als der Letzte in dieser Statistik. Wir ziehen die meisten Sprints an, insgesamt 235 pro Spiel, der Letzte in dieser Kategorie macht 180 Sprints. Wir kommen immer wieder zurück, wir lassen die wenigsten Großchancen für die anderen Teams zu. Statistisch gesehen sind wir eine Macht.

Was damit zu tun hat, dass wir die Basis im athletischen Training legen. Entscheidend ist jedoch die Bereitschaft, immer wieder an die Grenzen zu kommen und sie manchmal auch zu verschieben. Natürlich nicht aus Selbstzweck laufen. Man kann auch viel falsch laufen. Es hat vielmehr mit unserer Spielauffassung zu tun. Hohes Pressing, teilweise auch mannorientiert. Aufgeben gilt nicht. Alles findet am Ende im Kopf statt. Geht nicht gibt’s nicht, ja, man kann Mentalität trainieren, schulen und vorleben. Wenn der Kopf aufgibt, haben es die Beine schon längst getan. Jeder bei uns weiß, hier setzen wir Maßstäbe in der Liga, jeder muss dafür immer bereit sein.

Was dich in diesen letzten Minuten wirklich trägt, ist die Mentalität, so lange zu kämpfen, bis der Schiedsrichter abpfeift. Du musst bei den Spielern die Bereitschaft wecken, ihre eigenen Grenzen zu verschieben.

August 2022

Wir sind mitten in der Saisonvorbereitung. Modern ist heutzutage, meist mit dem Ball zu trainieren. In Trainingsformen mit dem Ball sollen die Spieler ihre spielbezogene Fitness steigern. Gutes Konzept. Reicht mir aber nicht. Mir ist ebenso wichtig, dass sie auch durch den Wald laufen. Für mich ist es sogar ein Weg, aus dieser Alles-dreht-sich-um-Fußball-Blase herauszukommen. Wenn sie durch die Gegend rennen, treffen sie andere Menschen, vielleicht Rentner, die vorbeispazieren, Mütter mit Kinderwagen, Jugendliche, die ihre Idole kennen, und erleben Augenblicke, in denen sie die Vögel zwitschern hören.

Ich halte es für wichtig, dass sie nicht nach Anweisung unterwegs sind, sondern sich auf sich selbst einlassen, Erfahrungen machen, vielleicht Gespräche führen. Es ist der Weg, um sich als Teil einer Region zu erleben und nicht nur als Teil einer Fußballwelt. Sie sollen wissen, für wen sie kicken. Sie sollen sich mit der Gegend identifizieren. Wenn ich auf der Trainertagung erzähle, dass ich meine Spieler zum Waldlauf schicke, ernte ich von anderen Trainern oft mitleidige Blicke, ganz nach dem Motto:

»Ach, der Schmidt. Waldläufe sind doch total out, was hat das mit modernem Fußball zu tun?« »Sehr viel«, erwidere ich dann lächelnd. »Natürlich ist das die Ausnahme mit den Waldläufen, die eine oder andere Einheit wird aber so durchgezogen.«

1. Oktober 2022

»Buschi« ist nicht im Kader. Unser rechter Verteidiger Marnon Busch ist verletzt, er muss passen für das Spiel gegen St. Pauli. Es gibt ein Back-up. Derjenige aber passt taktisch nicht zum Gegner. Im Trainerteam haben wir eine Idee: »Wir probieren es mit Lenny!« Ich spreche also mit Lenny.

Lennard »Lenny« Maloney ist in Berlin geboren, Sohn eines US-Airforce-Veterans und einer Deutschen, er ist seit Sommer 2022 bei uns, eigentlich ein Innenverteidiger. Ich sage ihm, dass ich ihn nicht nur innen, sondern auch auf der Außenbahn sehe, dass er da auch viel Potenzial habe, dort jederzeit spielen könne und dass wir gegen St. Pauli mit ihm planen, ob er sich das vorstellen könne – nachdem ich ihm meine Erwartungen an dieses Spiel mitgeteilt habe. Lenny sagt nur: »Yes, Sir!« Mehr nicht. Keine Diskussion, kein: »Aber Trainer …« Nein, nur: »Yes, Sir!«

Lenny macht seine Sache schließlich sehr gut. Wir lassen in der Defensive kaum etwas zu und spielen: 0 : 0.

9. Oktober 2022

Buschi ist wieder fit. Allerdings haben wir vor dem Spiel gegen Hannover 96 ein anderes Problem. Unser etatmäßiger Sechser fällt aus. Wer soll da spielen? Im Trainerteam diskutieren wir wieder. Irgendwann kommt mir die Idee: »Lenny?«

Lenny? Die anderen schauen mich fragend an.

Ich also wieder zu Lenny: »Ich weiß, ich habe dir letzte Woche erzählt, dass du Potenzial auf der Außenbahn hast, und du hast deine Sache gegen St. Pauli wirklich super gemacht, aber gegen Hannover brauchen wir jetzt einen auf der Sechs. Ich bin überzeugt, dass wird wieder gut mit dir auf der Sechser-Position.« Ich erkläre ihm, wie er spielen soll, was die Mannschaft auf dieser Position braucht. Lenny schaut mich an und sagt nur: »Yes, Sir!«

Lenny also auf die Sechs, super Spiel, wir gewinnen 2 : 1. Yes!

Wenn ich beschreiben soll, welche Spieler letztlich zu uns passen, erzähle ich gerne die Geschichte von Lenny. Fußball ist eine Welt, in der nahezu jeder mitreden kann, in Medien und Internetforen wird über Spieler, über deren »Marktwert« und »Daten« diskutiert, bis ins kleinste Detail werden »Statistiken« ausgewertet, in welchem Spiel hat wer wann warum am besten »performt«, wie viele Zweikämpfe wurden gewonnen, welche Pässe haben den Mitspieler gefunden und in welcher Phase eines Spiels sind die Kräfte geschwunden? Bescheid zu wissen in diesem Sport, mitzuquatschen und alles besser zu wissen, hat in einem exponentiellen Maße zugenommen, dass einem schwindelig werden kann.

Dabei brauchst du als Trainer oft nur einen Spieler, der »Yes, Sir« sagt und der vor allem versteht, warum er es machen soll. Ich halte es durchaus nicht für verkehrt, Spieler in einen größeren Spielplan einzuweihen. Ihnen nicht nur mitzuteilen, was sie machen sollen, sondern auch zu erklären, warum.

1. November 2022

Um mich zu verstehen, muss man die Geschichte mit der Kuh kennen. Ich bin eher impulsiv bei meinen Entscheidungen, treffe viele aus dem Bauch heraus, sowohl im Training als auch im Spiel.

Ich habe immer meine fünf Punkte, meine »Rules of five«, diese sind keineswegs feststehende Leitsätze. Die »Rules« kann ich ändern, anpassen, ergänzen, vor allem, wenn ich etwas Interessantes entdecke, von dem ich glaube, dass es meinen Spielern hilft. Zum Beispiel das Bild mit der Kuh.

Ich schmücke meine Ansprachen vor den Spielern bisweilen mit dem Thema Milch aus. Ich weiß nicht genau, warum, aber wenn es um den allseits bekannten »Druck« geht und wie wir mit ihm umgehen sollen, betone ich immer: »Druck hat der Milchmann, weil er seine Milch zu einem guten Preis loswerden muss.« Das ist so ein halb guter Spruch, aber er gehört zu mir wie die besagte Faust. Wer mit mir länger zusammenarbeitet, hat ihn schon dutzendfach gehört. »Druck hat der Milchmann …« Und alle wissen Bescheid.

Wie so oft habe ich mit Sever Backgammon gespielt, neben dem Mountainbike-Fahren ein anderes wichtiges Hobby. Außerdem gehe ich mit meiner Frau und einer meiner Töchter, die leidenschaftliche Reiterinnen sind, ab und zu mit in den Pferdestall. Dort gibt es ein nettes Reiterstübchen und eine gute Kameradschaft, da fühle ich mich wohl und kann abschalten.

Zurück zu Sever: Wir spielen Backgammon – mit Einsatz – und Sever sagt, nachdem es für ihn gut läuft: »Man muss die Kuh melken, solange sie Milch gibt.« Er hätte auch sagen können: Man muss die Tonne rausstellen, solange es regnet. Aber er sagt das mit dem Melken, muss ich mir unbedingt merken.

DER MENSCHENSCHLAG

Das Klima ist rauer. Die Temperaturen liegen bis zu fünf Grad niedriger als etwa in Stuttgart. Tatsächlich zählt die Schwäbische Alb zu den kältesten bewohnten Gegenden Deutschlands. Damit es uns wärmer wird, arbeiten wir mehr und intensiver. Die Region Ostalb ist eine stark von Industrie und Mittelstand geprägte Gegend. Konzerne wie Voith, Zeiss oder Paul Hartmann AG geben den Takt vor – und wenn Politiker Wirtschaftsleistungen hervorheben wollen, verweisen sie gerne auf die »Mittelständler von der Schwäbischen Alb«.

Hier wird gepowert, auch wenn es rauer zugeht. Denn rau ist nicht nur das Klima (wer einmal, wie bereits erwähnt, erlebt hat, wie sich bei uns im Stadion der Nebel senkt, weiß, was ich meine), rau sind in gewisser Weise auch die Menschen.

Übrigens: Es dauert hier etwas, bis man mit jemandem warm wird – aber wenn, hält die Bindung fürs Leben. Auch wenn unsere Generation und vor allem auch die Generation unserer Kinder gewohnt sind, in die Ferne zu ziehen, zu reisen, offen zu sein, zieht der Geist der Alteingesessenen durch die Gassen wie der Nebel durch die Voith-Arena. Dann haben es Nichteinheimische schwer. Oder auch diejenigen, die zurückkehren.

Ich war Fußballprofi, habe in Nürnberg, Wien und Aachen gespielt. Daraus resultiert mein Blick über den Tellerrand. Ich habe überall ganz eigene Erfahrungen gemacht. Etwa, wenn die Kneipe fast leer ist, setzt sich der Rheinländer zu dir an den Tisch, fängt an zu quatschen, ihr seid Freunde für den Abend.

Der Älbler bleibt lieber unter sich, und wenn an jedem Tisch einer sitzt, geht er wieder raus und sucht sich die nächste Kneipe, als mit einem »wildfremden Menschen« ein Gespräch zu beginnen. Als ich mit meiner Familie zurückkehrte, erlebten wir hautnah, was es für Menschen bedeutet, nicht von der Ostalb zu kommen. Ich hatte noch ein Aachener Kennzeichen am Auto, und weil ich einen älteren Mann auf dem Fahrrad angeblich zu knapp überholte, stellte mich dieser an der nächsten Ampel, ich kurbelte das Fenster herunter und er rief, ich solle »am besten dahin zurück, wo ich herkomme!«. Ich komme aus Giengen. Aber die Jahre »in der Fremde« haben die Einstellung und den Charakter verändert. Ich glaube, dass ich das Glas – im Gegensatz zum traditionellen Ostälbler – eher halb voll sehe.

Sparsamkeit ist ein weiteres Riesenthema in allen Gegenden Schwabens. Von der Generation unserer Großeltern hast du lernen können, dass ein Brot acht Tage reicht, wenn es sein muss. Da fuhr man nicht in den Urlaub und das Haus wurde wortwörtlich selbst gebaut.

Wenn einem etwas gelingt oder man sich über etwas sehr freut, wird das nicht gezeigt. Wie man auch nicht zeigt, dass man sich eine Businesskarte beim 1. FC Heidenheim 1846 leisten kann. Es gab zu Beginn nicht wenige, die kauften sich zunächst günstigere Stehplatztickets, um zu begutachten, »ob sich das überhaupt lohnt«. Das drückt dann auch ein wenig die Stimmung im Stadion. Wie gesagt, es war das Pokalspiel im Juli 2011 gegen Bremen, als der Schlossberg »explodierte«. Da lagen sich »wildfremde Menschen« in den Armen, das war völlig untypisch für die Ostalb.

Darauf bin ich stolz, dass wir es geschafft haben, Euphorie zu entfachen. Zuletzt beim Heimsieg in der Rückrunde gegen Darmstadt – das 1 : 0 kurz vor Schluss hat die Alb beben lassen.

Das »Problem« ist nur: Die Erwartungshaltung steigt. Nach der Skepsis kommt die kurze Freude, dann wieder: Jetzt müsst ihr aber öfter 5 : 0 gewinnen! Und am liebsten wären nicht wenigen Fans am Ende der Saison zwei Relegationsspiele gegen den VfB Stuttgart. Dass die Landeshauptstadt wegen uns aus der Bundesliga flöge, da ginge hier manchen das Herz auf. Aber wir sind ja kein Bestellservice. Dass jeder einzelne Punkt harte Arbeit ist, scheint noch nicht bei jedem angekommen zu sein.

Sie haben schließlich noch nicht erlebt, wenn ein Verein absteigt, was das für inzwischen 450 Angestellte bedeuten würde, in die 3. Liga zu gehen. Da müssten Menschen entlassen werden. Das ist der Fluch der guten Tat. Unsere Erfolge sind zur Selbstverständlichkeit geworden. Ich kann nur antworten: »Bitte, schaut auf eure Eintrittskarte, da steht nicht drauf, dass Heidenheim 1 : 0 oder 5 : 0 gewinnen wird.«

4. November 2022

Teamsitzung vor dem nächsten Spiel. Ich zeige den Spielern das Bild einer Kuh und frage: »Was hat das mit uns zu tun?« Einer winkt müde ab: »Ja, ja, Trainer, Druck hat der Milchmann wissen wir.« Ich schüttle den Kopf. »Nein, mir geht es um etwas anderes: Warum sind wir Kuh?« Jetzt also wieder einer dieser Momente, bei denen ein Außenstehender denken würde: »Mein Gott, was ist mit dem Schmidt los? Hat er seine Tabletten nicht genommen?«

Aber meine Spieler tappen weiter im Dunkeln. Ich sage: »O. k., 100 Euro für den, der es errät.« Einer redet noch, dass wir »die halb volle Milchkanne« sehen sollen, aber auch verkehrt. Sie kommen nicht drauf. Also ich wieder: »Wir müssen die Kuh melken, solange sie Milch gibt, heißt soviel wie: Wir müssen punkten, solange es geht, nicht nachlassen. Wir dürfen nicht im Ansatz eine Zufriedenheit entwickeln – noch ist die Kuh nicht gemolken.«

Daran sollen sie denken, wenn sie auf dem Platz Widerstände überwinden sollen. »Denkt an die Kuh!!« Sie sollen das Bild von der Kuh im Kopf haben. Und wenn es nur hilft, ein Prozent draufzulegen, kann es das eine Prozent sein, um das Spiel zu gewinnen. Das mag schräg klingen. Aber ich will, dass solche kleinen Sachen in die Köpfe der Spieler gelangen. Wenn es sein muss, mithilfe einer Kuh, wenn es sein muss, mit ungewöhnlichen Maßnahmen.

Das Spiel gegen Paderborn haben wir mit 3 : 0 gewonnen.

NICHTS IST SELBSTVERSTÄNDLICH

Wenn ich von meinen Spielern will, dass sie auf und neben dem Platz Verantwortung übernehmen, darf ich mich nicht selbst aus der Verantwortung stehlen. Seit vielen Jahren gehe ich in unserem Stadion ein und aus, und wenn vor der Türe am Stadion eine große Kiste mit Tischdecken von der Weihnachtsfeier steht, kann ich nicht vorbeigehen und hoffen, dass irgendjemand die Kiste ins Gebäude bringt. Dann stelle ich sie rein, ich gehe nicht daran vorbei.

Oder: Wir waren mal im Trainingslager im Allgäu und haben den Rasenplatz des lokalen Vereins ziemlich malträtiert. Also habe ich alle 25 Spieler gebeten, im Anschluss an das schweißtreibende Training mit mir gemeinsam die Löcher im Rasen zu stopfen – und zwar mit den Händen. »Aber das müssen Sie nicht machen«, hat einer der Gastgeber gesagt. Doch, das müssen wir. Mir ist wichtig, dass die Spieler nicht glauben, es gebe immer jemanden, der hinter ihnen aufräumt. So lernt man Verantwortung, so schafft man eine Mentalität.

Nicht zuletzt sehe ich es auch als Teil der Identifikation. Denn man schätzt etwas nur, wenn man es pfleglich behandelt. Wer bei uns spielt, wer bei uns im Stadion ein und aus geht, muss auch die Reinigungskraft und deren Leistung für den Verein respektieren. Wir fühlen uns auch deshalb wohl, weil sie die Kabine in Schuss hält. Alles gehört mit allem zusammen und alles ist es wert, geachtet und geschätzt zu werden. Fast gerührt bin ich, wenn bei der Weihnachtsfeier der Kapitän und der Mannschaftsrat auf der Bühne stehen und sie sich in der Dankesrede ausdrücklich bei allen, auch der Reinigungskraft, bedanken und betonen, dass ihr Job aus Sicht der Mannschaft keine Selbstverständlichkeit ist. Das ist wunderbar, vor allem, wenn es nicht vom Trainer kommt.

9. November 2022

2. Liga, Auswärtsspiel gegen den SV Sandhausen. Endstand: 4 : 3 für uns. Es ist sehr knapp am Schluss, wir haben bis zur 76. Minuten 4 : 1 geführt, dann kommen die immer näher ran, fast hätte es noch den Ausgleich gegeben. Dann schaue ich mir die Berichte in den Medien an, einer schreibt: »Heidenheim hat der Biss gefehlt.« Da bin ich richtig sauer geworden. Warum schreibt der so etwas? Wir sind vielleicht leichtsinnig geworden, wir haben vielleicht den Fokus aus den Augen verloren – aber der Biss, der Biss hat uns ganz bestimmt nicht gefehlt. Wir haben auswärts 4 : 1 geführt! Wir haben immer Biss! Uns zu unterstellen, uns würde der Biss fehlen, betrachte ich als Beleidigung. Wir haben Biss, unsere Einstellung stimmt, immer, Punkt.

10. Dezember 2022

Die Schwäbische Zeitung will in einem Interview wissen, warum unser Stadion nicht immer Riesenalarm macht, warum angesichts der Erfolge das Stadion oft nicht ausverkauft sei. Ich antworte: »Ich bin schon ein wenig enttäuscht darüber. In anderen Bundesländern sind die Stadien voll, da lechzen alle nach einem Stadionbesuch. Vielleicht hat das mit der Region zu tun, vielleicht lassen sich die Menschen hier mehr beeinflussen durch Corona oder den Ukraine-Krieg. Im Ruhrgebiet ist man es gewohnt, dass nicht alles im Leben rundläuft, deswegen geht man unter anderem zum Fußball. Hier ist es vielleicht umgekehrt. Wir sind noch ein junger Profiverein, müssen mehr Geduld haben – am Sportlichen kann es ja nicht liegen.«

27. Dezember 2022

Kurz nach Weihnachten bin ich mit meiner Frau und meinen beiden Töchtern auf einer Ü30-Party. Das ist eher die Ausnahme. In Berlin oder Hamburg würde man mich nicht erkennen, oder wenn man mich erkennen würde, ließe man mich in Ruhe.

In Heidenheim bin ich eine kleine Berühmtheit. Man kennt mich, auf der Straße, im Restaurant. Ich bin seit Jahren Trainer des örtlichen Vereins, der ab und zu auf sich aufmerksam macht, der sogar im Fernsehen sichtbar ist – und das bedeutet: Ihn darf man ansprechen. Immer und bei jeder Gelegenheit.

Wenn ich auf eine Party gehe, muss ich nicht lange warten und es kommt einer auf mich zu: »Ihr braucht einen neuen Stürmer, so kann das nicht weitergehen.« In solchen Augenblicken will ich auch weitergehen, und zwar nach Hause.

Kurz innehalten: Wir sind jetzt, an Weihnachten 2022, Dritter in der 2. Liga, haben vier Punkte Vorsprung auf den vierten Platz. Im Fünf-Jahres-Vergleich aller aktuellen Zweitligisten stehen wir auf Platz 1, wir haben die letzten Jahre immer oben mitgespielt. Wer die 2. Liga gewinnen will, muss uns erst mal schlagen.

Sicher, man muss deswegen nicht in Ehrfurcht erstarren und vor mir niederknien, aber dass ich nur zu hören bekomme, was alles falsch läuft, betrübt mich. Nichts davon sage ich. Wenn ich bei solchen Gesprächen schlagfertig bin, schaffe ich, auf die Ansage »Ihr braucht einen neuen Stürmer!« zu antworten: »Wir brauchen vor allem Fans, die uns vertrauen, dass wir es richtig machen.«

Führungskompetenz und Sozialkompetenz – das sind Trainerkompetenzen.

28. Dezember 2022

Ich habe noch nie bei einem anderen Trainer hospitiert. Ich konnte es schlichtweg nicht, da ich noch nie entlassen wurde und damit Zeit gehabt hätte, mich umzuschauen, wie sie es bei Chelsea oder bei den Bayern machen. Mich würde es interessieren, sicher. Wobei für mich nicht so entscheidend ist, wie es andere machen. Oft lassen sich die Sachen nicht auf Heidenheim übertragen und umgekehrt, nicht nur wegen des fehlenden Geldes.

Unsere Organisation ist einfach eine andere, kleiner. Wir haben das kleinste Trainer- und Funktionsteam im bezahlten Fußball. Längst beschäftigen Zweitligisten zwei Leute, die Spielanalysen machen. Bei uns macht es der Co-Trainer. Auch sonst haben wir lange nicht so viele Ämter und Posten vergeben, wie das heute üblich ist.

29. Dezember 2022

Es ist immer noch Pause. Vor ein paar Tagen ist Argentinien Fußball-Weltmeister geworden. Anders als in England pausiert der deutsche Profifußball noch. Zeit, um unser Trainer- und Funktionsteam vorzustellen, das mit Abstand kleinste Trainer- und Funktionsteam der Liga.

1. Der Manu Henck oder »Kann ich dein Trikot haben?«

Manuel Henck, genannt »Manu«, hat bis vor einiger Zeit in einer großen Wäscherei gearbeitet. Ein absolut zuverlässiger Zeitgenosse. Manu war bei den Heidenheim-Ultras. Vor allem aber hat Manu damals von seinem nicht gerade üppigen Gehalt die 1846 Euro berappt, um lebenslanges Mitglied beim 1. FCH zu werden, als einer der Ersten, die sich für eine lebenslange Mitgliedschaft entschieden haben. Und als wir 2016 einen neuen Zeugwart suchten, konnte es nur auf Manu hinauslaufen. Oder sagen wir so: Wir mussten ihn null überreden, zu uns als Zeugwart zu kommen. Wobei Zeugwart nicht mehr richtig ist, heute sagt man »Kit-Manager«.

Kit-Manager heißt: Manu kümmert sich um Schuhe, Trikots, um die Beflockung der Trikots, um Trainingsjacken. Andere Vereine, auch in der 2. Liga, haben zwei oder drei Kit-Manager, wir haben Manu. Er sitzt mit auf der Bank, hat Ersatztrikots, wenn ein Trikot vollgeblutet oder gerissen ist. Manu ist immer da. Wenn wir nach einem Auswärtsspiel wie im April 2023 gegen den 1. FC Kaiserslautern nachts um 3.30 Uhr mit dem Bus in Heidenheim ankommen, geht Manu nicht schlafen, sondern wirft die Waschmaschine an und schaut, dass am nächsten Morgen beim Training die Klamotten wieder perfekt sind. Ins Bett geht Manu erst, wenn alles vorbereitet ist.

Eine Herausforderung sind die Trikotwünsche. Dutzende Plakate werden inzwischen von Kindern im Stadion in Richtung Spielfeld gehalten, bunt, mit Schreibschrift und Smileys, der Text meist eindeutig: »Tim, kann ich dein Trikot haben?« Oder: »Beste, bitte Trikot!«

Die Spieler könnten inzwischen zehn oder 20 Trikots pro Spiel verschenken. Da schaut Manu aber genau hin. Denn die Spieler müssen jedes verschenkte Trikot selbst bezahlen. Wer es im Jubel auf die Tribüne schleudert, wird von Manu zur Kasse gebeten. Das ist völlig o. k. Die Spieler bezahlen die Trikots, auch ich verschenke pro Saison bis zu 50 Trikots. Wenn die Trikots nicht zu den Fans fliegen, werden sie gewaschen, zusammengelegt und wiederverwendet, wir sind ja nicht Real Madrid. Noch ein Wort zu Manu: Sein zeitlicher Aufwand ist immens, seine Identifikation mit dem Verein riesengroß.

2. Unsere Physios oder »Auf der Matte singen sie alle«

Insgesamt sind wir neun Leute im »TuT«, im »Team ums Team«. Neben Manu, der festangestellt ist, arbeiten bei uns zwei Physiotherapeuten. Den einen habe ich mal nach dem Urlaub auf dem Flughafen in Mallorca getroffen: Marc Weiß. Damals habe ich ihm zugerufen: »Wir arbeiten irgendwann mal zusammen.«

Marc war in einigen Fußballvereinen, er weiß, wie das ist, als »Physio« mit Fußballern zusammenzuarbeiten. Der Physio knetet nicht nur Muskeln, lockert Muskelverhärtungen, arbeitet sich mit verletzten Spielern wieder an die Spielpraxis heran. Der Physio ist auch eine Vertrauensperson. Wenn ein Spieler bei ihm auf der Liege liegt, ist das wie beim Friseur, dann singt er die ganze Klaviatur herunter. Im Grunde weiß der Physio alles. Aber er behält – zum Glück für alle Beteiligten – das meiste für sich. Wenn die Spieler mitbekämen, dass der Physio – nachdem sie ihm alles erzählt haben, was sie bedrückt – direkt zum Trainer gehen würde, könnte er gleich kündigen. Sie würden nicht mehr kommen.

Es gibt vermutlich wenige Menschen in einem Profiverein, die so ein umfassendes Wissen über die Mannschaft haben wie die Physiotherapeuten. Ich will nicht wissen, was dort alles besprochen wird. Das war schon immer so, schon zu meiner Zeit: Der Physio ist ein Seelentherapeut, ausgestattet mit viel Geheimwissen. Ein erfahrener Physio kann sehr genau einschätzen, was man dem Trainer sagt und was man ihm besser nicht sagt. Nicht wenige Spieler kennen die Frage: »Sag mal, Physio, spiele ich am Wochenende oder nicht?« Jedenfalls, als wir einen neuen Physiotherapeuten suchten, bekamen wir 30 Bewerbungen.

Der andere Physiotherapeut ist Roland Bosch. Er hat selbst noch Fußball gespielt, er kommt aus der Region. Auf das, was Marc und Roland mir sagen, verlasse ich mich, sagen wir, zu 95 Prozent. Ob ein Spieler angeschlagen ist, ob er wieder fit ist, da höre ich natürlich auf das, was die beiden sagen. Aber es gibt noch diese paar Prozent, diese besonderen Fälle, da kann es sein, dass ich mich über deren Meinung hinwegsetze, dann, wenn es einfach am Wochenende funktionieren muss. Das ist aber spielerabhängig. Nicht jeder Spieler hat die gleiche Schmerzgrenze. Das weiß ich als Trainer, auch ich kenne meine Spieler.

Dann wird mitunter entgegen den Physios eine Entscheidung getroffen, eine Entscheidung, die dem klaren Therapieplan womöglich entgegensteht. Das steht in meiner Verantwortung. Das ist riskant, es kann danebengehen, aber es kann auch klappen und dann hat sich mein Gespür dafür, dass es der Spieler doch packt, ausgezahlt. Gratwanderung!

MEIN FÜHRUNGSSTIL IM TUT

Der zeitliche Aufwand bei der Betreuung einer Profimannschaft ist nicht immer genau vorherzusehen. Weil wir ein kleines Team sind, müssen wir darauf achten, dass die Leute nicht ausbrennen. Deshalb setze ich auf eigenverantwortliches Arbeiten. Wenn der Job getan ist, sollen sie nach Hause gehen und Zeit mit ihren Familien verbringen. Denn alle, die im TuT arbeiten, haben ja in der Regel kein Wochenende, Freitag bis Sonntag stehen wir unter Strom. Deshalb muss ich den Leuten mehr freie Hand lassen bei der Zeiteinteilung. Ich halte es für kontraproduktiv, wenn Menschen nicht ausgelastet sind und sie an einer Arbeitsstelle nur ihre Zeit absitzen.

3. Unser Teammanager oder »Der Schlangenmann im Einsatz«

Als ich 2003 nach Heidenheim zurückkehrte, um in der Verbandsliga zu spielen, gab es einen Mitspieler, der beherrschte zwei Dinge. Erstens: Er konnte sich durch die gegnerischen Reihen wie durch Slalomstangen schlängeln, viel täuschen, viele Finten machen, der Ball blieb immer am Fuß, ohne dass er die Orientierung oder sein Gleichgewicht verlor, er war unser »Schlangenmann«. Der Musiala von Heidenheim.

Das Zweite, womit er unser Spiel bereicherte: Er konnte Doppelpässe mit dem Gegner spielen. Das war der Wahnsinn, wie er tatsächlich den Gegner »benutzte«, um in Richtung Tor zu kommen. Das können nicht viele, aber Alex kann es.

Alexander Raaf ist aus Schwäbisch Gmünd, er ist der gleiche Jahrgang wie ich und jetzt auch schon ewig unser Teammanager. Als er damals aufhörte mit dem Fußball, war klar, dass er bei uns bleiben muss. Erst war er Co-Trainer, hatte aber nicht die Motivation, einen Trainerschein zu machen und aufwendig eine Lizenz zu erwerben. Aber wir brauchten den Alex. Also ernannten wir ihn zum Teammanager, zum Kümmerer. Er organisiert das Trainingslager, bucht Hotels, Busse, er organisiert, was es zu essen gibt, bringt uns alle dahin, wo wir sein müssen. Alexander kümmert sich auch um das Management während des Spiels, ist Spieltagsmanager, sitzt natürlich auf der Bank, bereitet die Auswechslungen vor, ist immer ansprechbar – und kurvt so lässig durch die Herausforderungen wie einst durch die gegnerische Abwehr.

DAS KLEINSTE TEAM

Warum wir das alles mit viel weniger Leute schaffen? Die Frage kann man auch umdrehen, von wegen: Warum brauchen die anderen Teams so viele Leute in ihren Trainer- und Funktionsteams? Der Vorteil eines kleinen Teams ist, dass wir kurze Wege haben, dass es weniger Störfaktoren gibt. Dass bei uns jeder zu 100 Prozent ausgelastet ist. Das ist wichtig. Wenn sich Leute in einem aufgeblähten Team langweilen, besteht die Gefahr, dass in dieser hitzigen Welt des Profifußballs irgendetwas passiert: Einer spricht mehr als nötig mit den Medien, harmlose Konflikte werden unnötig hochgekocht. Mit einem kompakten Team, in dem jeder seine Aufgabe kennt, jeder ausgelastet ist, jeder seinen nachvollziehbaren Teil zum Ganzen beiträgt, ist es einfacher, alle auf ein Ziel einzuschwören. Bei uns kommt noch hinzu, dass wir uns größtenteils schon sehr lange kennen und zusammenarbeiten.

4. Der Torwart-Trainer oder »Die Autokorrektur kann seinen Namen nicht«

Wenn man bei Microsoft Word die Buchstabenkombination »W«, »e«, »n«, »g« tippt, wird daraus nicht »Weng«, sondern sofort das Wort »wenig«. Das ist eine Steilvorlage für unser Team. Unser Torwarttrainer, der schon seit 32 Jahren im Verein ist, damals noch in der Landesliga mitgespielt hat, heißt Bernd Weng. Und wenn Sie jetzt versuchen, Weng zu schreiben, wird das Word-Programm umgehend »wenig« daraus machen (gerne mal ausprobieren).

Jedenfalls heißt unser Bernd, seitdem einer von uns das Word-Dilemma herausgefunden hat, nur noch »Herr Wenig«.

Herr Wenig ist mit Abstand der Geselligste im Team, in seiner Gegenwart bleibt keiner lange durstig, keiner schlecht gelaunt und keiner von uns könnte mit so wenig Schlaf so viel Leistung erbringen. Er ist ein absoluter Kumpeltyp, der auch mit den Spielern auf einer Kumpelebene umgehen kann, das ist sehr wertvoll. Vor allem aber hat er, was das Torwartspiel angeht, eine ganz klare Haltung – und die steht meiner Meinung manchmal diametral entgegen. Mit keinem meiner Trainerkollegen diskutiere ich so häufig und so kontrovers wie mit Herrn Wenig. Am Ende vertraue ich ihm, er ist der Experte und hat beim Torwartspiel deutlich mehr Ahnung als ich.

Meine beiden Co-Trainer und ich, wir sehen das Gesamtpaket, Bernd sieht die Torhüter. Die Rolle des Torwarts hat sich im modernen Fußball am meisten verändert. Beim Württembergischen Fußballverband spricht man ohnehin nur noch vom »Torspieler«. In diesem Begriff steckt, was neu ist: Das Spiel mit dem Ball hat sich für den Torwart (ich sage immer noch Torwart) verändert, die Spieleröffnung hat sich verändert, der Abstoß hat sich verändert, auch die Spielauffassung. Es gibt heute Torhüter, die stehen 30 Meter vor ihrem eigenen Tor und beteiligen sich ganz selbstverständlich am Spielaufbau und haben teilweise mehr Ballkontakte als ein Feldspieler.

Bernd hat zuletzt die höchste Trainerausbildung für Torhüter gemacht, tauscht sich mit Kollegen aus, gemeinsam arbeiten wir an Lösungen, wie beispielsweise, ob unsere Torhüter in der Torraumbeherrschung noch aggressiver werden müssen – und mittendrin der Herr Wenig, seit gerade mal 32 Jahren.

5. Said Lakhal oder »Von Atlanta nach Heidenheim«

1996 bei den Olympischen Spielen in Atlanta sollte seine große Stunde schlagen. Der Leichtathlet Said Lakhal wollte für sein Heimatland Marokko beim 800-Meter-Lauf starten. Leider verletzte sich Said kurz vor dem Rennen und konnte nicht antreten. Wenige Jahre später wurde er Teil eines Teams, das sich – auch dank ihm – vor allem durch Laufstärke und enorme Fitness auszeichnet.

Im Jahr 2000 zog Said aus beruflichen Gründen nach Heidenheim, hielt sich auf der Tartanbahn im damaligen »Albstadion« fit. Also am Rand der Heimspielstätte des Heidenheimer SB. Das fiel Holger Sanwald auf. Immer und immer wieder sah er diesen professionell trainierenden Läufer im heimischen Stadion.

Und wer sich sportlich betätigt und ins Visier von »Holle« gerät, kann davon ausgehen, bald mit ihm gemeinsam am Traum im Profifußball zu arbeiten. So auch Said, der nun seit vielen Jahren Athletiktrainer bei uns ist – auch weil er sich dem Werben von Holle nicht widersetzen konnte.

Er arbeitet individuell mit den Spielern, ob im Kraftraum oder bei den Laufeinheiten. Immer ist es positionsabhängig, wie trainiert wird, mit den Stürmern werden beispielsweise mehr Sprints trainiert. Grundsätzlich umfasst Athletiktraining Kräftigung, Kondition, Ausdauer sowie fußballspezifische Trainingsmethoden. Super ist, dass ich mit Said ständig sprechen kann, dass er sich ständig weiterentwickelt, das Training anpasst. Sein Credo »Mehr zu trainieren« führt nicht automatisch zu besseren Ergebnissen, man muss auch »smart trainieren«.

Vor allem aber verfügt Said über ein umfassendes Wissen des menschlichen Körpers. Wenn bei einem Spieler nichts mehr geht, wenn weder Physiotherapeut noch Arzt eine Lösung haben, dann fällt Said immer noch was sein. Zusätzlicher Benefit: Er ist Physiotherapeut und Osteopath. Vor allem aber verdanken wir Said die atemberaubende Fitness, die wir an den Tag legen, Sie wissen es bereits: die meisten Kilometer, die meisten Sprints und die meisten intensiven Läufe pro Spiel. Immer überdurchschnittliche Werte.

MEINE SPIELPHILOSOPHIE

Wenn ich meine Spielphilosophie umschreiben müsste, wenn ich erklären müsste, wann eine Mannschaft eine Mannschaft ist, oder wenn ich meinen Spielern sagen will, was mich umtreibt, sind folgende Fragen entscheidend:

Wie wollen WIR Fußball spielen?

Für was stehen WIR? Worin besteht der Wiedererkennungswert unserer Mannschaft?

Mit welchen Typen wollen WIR unser Vorhaben umsetzen?

Auf diese Fragen muss ich schlüssige Antworten finden. An diesen Fragen orientiere ich mich Saison für Saison. Aus diesen Fragen leite ich ab, was am Wochenende auf dem Platz passiert – und welches Ziel wir verfolgen.

6. Meine Co-Trainer oder »Mit Beton und einem Pädagogen auf der Bank«

Meine beiden Co-Trainer, Dieter Jarosch und Bernhard Raab, ergänzen das Team. Dieter war in der Regionalliga einer meiner wichtigsten Spieler, hat uns buchstäblich in die 3. Liga geköpft, hat ein Tor nach dem anderen gemacht und ist heute noch der Fitteste im Trainerteam. Sein Spitzname als Fußballer war »Beton«, weil an ihm mehr oder weniger alles abgeprallt ist.

Ursprünglich kommt er aus der Jugend vom SC Freiburg, trainierte damals unter Christian Streich und hat einfach den Fußball im Blut. Dieter ist 42 und altersmäßig noch nah am Team, er ist der Kumpel, der weiß, wie die Spieler ticken, der ihnen informell einen Rat geben und im vertraulichen Einzelgespräch erklären kann, was der Trainer wieder wortgewaltig und umfassend in der Kabine erläutert hat.

Der andere Co-Trainer ist Bernhard Raab. Ein so wichtiger Mann für mich. Er ist älter als ich, hat mehr Lebenserfahrung, war Bundesligaprofi beim Karlsruher SC – und vor allem ist er studierter Lehrer. Als Pädagoge geht er anders mit den Spielern um, verständnisvoller, ausgleichender. Während ich oft als der strenge Vater meinen Standpunkt klarmache, nimmt der Bernie auch mal einen Spieler in den Arm, spricht mit ihm, zeigt ihm Lösungswege auf.

So unterschiedlich wir als Charaktere sind, so gut harmonieren wir als Team. Wir stehen im ständigen Austausch. In den meisten Fragen, auch was die Strategie für die nächsten Aufgaben betrifft, sind wir uns einig. Wenn ich einen Vorschlag habe, dann frage ich die Meinungen ab. Was ist eure Meinung? Könnt ihr damit leben? In rund 80 Prozent der Fälle ist es deckungsgleich, zehn Prozent der Fälle diskutieren wir und bei den restlichen zehn Prozent lasse ich mich umstimmen und übernehme deren Meinung.

Das betrachte ich als gutes Zeichen, dass sie manche Dinge anders sehen, dass es Widerspruch gibt. Kritik äußern zu können, das verstehe ich unter Wertschätzung. Sicher, es ist ein schmaler Grat: Einerseits kann es Schwäche sein, von seiner Meinung abzurücken, auf der anderen Seite kann es als Stärke angesehen werden. Letztlich bin ich verantwortlich, letztlich fällt alles auf mich zurück. Deshalb bin ich manchmal sehr direkt und konfrontativ.

Mein Signal an jeden Spieler ist immer: Wenn ich euch kritisiere, ist das ein gutes Zeichen, dann beschäftige ich mich mit euch. Wenn ich das nicht mehr tue, wenn mir alles egal ist, sollten die Alarmglocken angehen.

WAS WIR MACHEN

»Das haben wir schon immer so gemacht« – das ist ein Satz, der inzwischen quer durch das Land einen schlechten Ruf hat. »Das haben wir schon immer so gemacht«, da würden Beraterinnen und Berater, Coaches und Vordenker abwinken: Genau, und deshalb passiert nichts in Deutschland. Und das stimmt ja vielleicht auch, wenn die Methoden verkrustet und erfolglos sind. Auf der anderen Seite bietet genau dieser Satz Stabilität und Orientierung. Das haben wir schon immer so gemacht – genau! Und genau deshalb sind wir erfolgreich in Heidenheim. Weil wir uns treu bleiben, weil Spieler wissen, woran sie sind. Weil wir für etwas stehen, weil wir machen, was wir schon immer gemacht haben. Auch das gibt Vertrauen.

30. Dezember 2022

Das schönste Kompliment für meine Mannschaft lautet: »Die geben dem Gegner keine Luft zum Atmen.« Das trifft es. Dass wir unermüdlich sind, dass wir Widerstände brechen, die der Gegner – und vor allem auch unsere eigenen. Und dass wir Persönlichkeiten sind, die gewinnen wollen. Ein Team, das »unkaputtbar« ist, wie es Lukas Kwasniok gesagt hat. Das gefällt mir immer noch am besten, weshalb es auch der Titel dieses Buches ist: Unkaputtbar. Von mir aus auch resilient. Aber dass man uns nicht kaputtkriegt, egal, was passiert, trifft es am besten.

31. Dezember 2022

Bei uns arbeitet kein Sportpsychologe. Brauchen wir nicht. Obwohl ständig welche anrufen. Einer hat mich sogar einmal beim Einkaufen abgepasst und gefragt, ob wir im Verein nicht einen Sportpsychologen bräuchten, jeder Verein hätte doch welche. Andere sind zu mir nach Hause gefahren, haben ihre Angebote in meinen Briefkasten geworfen oder mich auf meiner Privatnummer angerufen. Rein psychologisch gesehen wenig überzeugend. Vielleicht brauche ich irgendwann einmal einen Psychologen, sollte ich das Gefühl haben, die Mannschaft verstehe mich nicht mehr.

Wir sprechen mit unseren Spielern, das Trainerteam ist offen, wir machen nichts »Hählinga«, wie man im Schwäbischen sagt, wir sind geradeheraus, direkt und ehrlich. Und wir haben die Größe, wenn wir danebenhauen, uns zu entschuldigen. Zum Beispiel nach der Niederlage gegen Erzgebirge Aue im Herbst 2021, die aus meiner Sicht vermeidbar gewesen wäre, war ich keineswegs sachlich und viel zu emotional, man kann sagen, ich habe mich im Ton vergriffen, so wie ich mich damals bei der Roten Karte gegen Saarbrücken falsch verhalten habe. Ich habe mich komplett vergessen, herumgebrüllt und sie angezählt. Danach war mir sofort klar: Ich bin deutlich über das Ziel hinausgeschossen. Das war falsch und letztlich auch kontraproduktiv. Bei der Aufarbeitung mit dem Mannschaftsrat habe ich mein Ansinnen erklärt und mich für mein Verhalten entschuldigt.

DIE FÜNF BESTEN DINGE IM LEBEN VON FRANK SCHMIDT, DIE NICHTS MIT FUSSBALL ZU TUN HABEN.

1. Familie.

2. Familie im Urlaub.

3. Zeit mit den wenigen Freunden.

4. Einsamkeit in der Natur, mit meinem Mountainbike. Nach einer Stunde auf meinem Bike kann ich alles hinter mir lassen. Der Kopf ist frei. Es geht mir nicht um die Zahl der Kilometer, nicht um die absolvierte Zeit, nicht um einen Rekord – es geht darum, möglichst viele Vögel zu hören, möglichst einsam zu sein, mit sich selbst zu sein.

5. Schlafen. Ich schlafe richtig gut und lange. Geschätzt habe ich vermutlich bisher ein Drittel meines Lebens verschlafen.