Kapitel 5

»Guten Tag, Herr Klingelhöfer«, sage ich freundlich.

»Ja bitte?« Der junge Mann lächelt mich an und wirkt sehr sympathisch.

»Ich bin es. Cosima von Troplowitz.«

Sein Gesicht kommt etwas näher an die kleine Öffnung. »Verzeihen Sie, gnädige Frau, ich kann mich nicht entsinnen, Sie schon mal gesehen zu haben.«

»Aber ich kaufe doch hier immer meine Medikamente«, flehe ich weinerlich. »Schon seit Jahren.«

»Das kann gar nicht sein«, sagt der junge Mann. »Die Apotheke wurde erst vorige Woche eröffnet.«

»Vorige Woche ... Ach so.« Ich nicke. »Aber Sie sind doch Dr. Klingelhöfer, richtig?«

»Der bin ich«, sagt er stolz.

»Haben Sie ... Haben Sie die Apotheke von Ihrem Vater übernommen?«

»Nein, mein Vater ist tot. Er ist im Krieg ... Nun, er ist ...«

»Oh, das tut mir leid. Entschuldigen Sie bitte. Das muss schwer für Sie sein. Haben Sie sonst noch Verwandtschaft?«

»Ja, einen Bruder, aber der lebt in Berlin«, sagt Klingelhöfer, und jetzt erinnere ich mich auch, dass er mir mal von ihm erzählt hat. Wenn ich mich recht erinnere, ist er 1965 bei einem Autounfall gestorben.

»Er ... also Ihr Bruder, er soll auf sich aufpassen«, sage ich ohne nachzudenken. »Gerade beim Autofahren soll er sich vorsehen. Wenn er ... Also, in elf Jahren, 1965, da sollte er vielleicht nicht fahren. Oder besser gesagt gar nicht rausgehen, verstehen Sie, was ich meine?«

»Nicht ganz.«

»Ihr Bruder wird sonst einen Unfall haben und ... sterben.« Er muss mich für verrückt halten, und jetzt sieht es auch ganz so aus, als würde er genau das tun.

»Es ist wohl besser, wenn Sie jetzt gehen«, sagt Dr. Klingelhöfer immer noch freundlich, aber längst nicht mehr so herzlich wie gerade eben noch.

Während ich mich abwende, höre ich, wie die kleine Scheibe in der Eingangstür hinter mir geschlossen wird.

»Wohin ... wohin soll ich denn gehen?«, murmle ich verzweifelt, und sofort schießen mir die Tränen in die Augen.

Nun stehe ich also wieder da und weiß nicht, wohin. Gedankenverloren laufe ich einfach weiter Richtung Klosterstern und bleibe an der Kreuzung zur Hegestraße stehen. Früher war hier das Petit Café. Ich meine später ... Also, heute ist hier kleines Lädchen, das Bonbons und anderen Süßkram verkauft. Bei dem Anblick läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Ich verspüre Hunger.

Ein Mann, der mir entgegenkommt, zieht seinen Hut und grüßt freundlich. Ansonsten ist die Straße menschenleer. Klar, alle sind in den Kneipen und feiern den Sieg in Bern.

Nur mir ist nicht nach Party zumute. Ich drehe gleich durch. Was hat diese Frau Nasila mir da angetan? Wann holt sie mich zurück? Wann hat dieser Spuk ein Ende? Es muss doch einen Weg zurück geben. Zurück in die Zukunft!

Ob ich zurück zum Hafen fahren sollte? An die Stelle, an der ich in der Vergangenheit gelandet bin? Ich muss mir jedenfalls schleunigst etwas einfallen lassen. Bald wird es dämmern, und wenn ich bis dahin kein Dach über dem Kopf habe ... Na dann, gute Nacht.

***

»Eigentlich vermieten wir nicht an alleinstehende Damen.« Frau Müller scheint sehr misstrauisch zu sein. »Ein Herr wäre uns lieber.«

Nachdem ich zurück zum Hafen gefahren bin, bin ich Richtung St. Pauli gegangen, über die Reeperbahn und schließlich in die Talstraße. Dort habe ich dann das Schild »Zimmer zu vermieten« an einem Hauseingang gesehen. Ich hatte das Geld im Portemonnaie gründlich gezählt und war zu dem Schluss gekommen, dass ich zwar kleine Brötchen backen muss, sehr kleine. Aber so teuer kann die Talstraße nun wirklich nicht sein. Das ist hier schließlich keine Adresse, in der man tausend Euro für ein Zimmer verlangen kann. Oder D-Mark.

»Warum vermieten Sie nicht an Frauen?«

Sie starrt mich an, als wäre ich geisteskrank. Aber ich meine, das werde ich doch wohl noch fragen dürfen.

»Weil’s ein schlechtes Licht auf uns werfen kann. Weiß ja nich, was Sie so machen.«

Ja, das weiß ich im Moment leider auch nicht so genau. Ich kann ja schlecht sagen, dass ich in 50 Jahren Pressesprecherin eines Hotelkonzerns bin, der erst in zehn Jahren gegründet wird. Dann kann ich mich gleich wieder umdrehen und gehen.

Aber ich brauche jetzt erst mal eine Unterkunft.

»Äh, ich arbeite für die Brigitte«, sage ich schnell, weil mir die Sache mit der kleinen Maus plötzlich einfällt. Und ich bete, dass es das Magazin 1954 schon gab.

»Aha.« Die Frau scheint zu überlegen. »Das ist doch dieses neue Heft.«

»Genau.« Ich nicke ihr freundlich zu. Hoffentlich befand sich die Redaktion der Brigitte damals überhaupt in Hamburg. Andererseits traue ich Frau Müller nicht zu, dass sie sich mit Redaktionsstandorten deutscher Publikationen auskennt.

»Hm ... Na, dann kommen Sie halt mal rein.« Sie tritt zur Seite und lässt mich ein. »Aber natürlich hat das letztlich mein Mann zu entscheiden.«

»Ach, Ihr Mann entscheidet?«

»Ja, natürlich, wer denn sonst?«

»Na ja, ich ...« Sicher ist es besser, jetzt nicht zu diskutieren. Schweigend folge ich ihr durch den Flur.

Dunkel ist es hier. Und eng. Der Boden ist mit Linoleum verlegt, etwas, das ich noch nie verstehen konnte, denn darunter befinden sich doch bestimmt schöne Dielen. Die Küche, an der wir dann vorbeikommen, ist relativ geräumig und mit Holzmöbeln eingerichtet. Auf einem Kohleherd stehen Töpfe, an der einen Seite ein Buffet.

Im Wohnzimmer sitzt der Herr des Hauses und liest Zeitung. Trotz des lauen Sommerabends liegt eine karierte Decke über seinen Knien. Er raucht Pfeife, und da alle Fenster geschlossen sind, bekomme ich sofort Kopfschmerzen.

»Guten Abend«, sage ich und muss einen Hustenreiz unterdrücken.

Der kleine Raum ist bis obenhin vollgestopft. Auf der Fensterbank stapeln sich Blumentöpfe mit grauenhaften Pflanzen darin, die Fenster sind schmierig und die schwarzrot-grünen Vorhänge zerschlissen. Ein wuchtiger Schrank Marke Gelsenkirchener Barock steht an der einen Wand, an der anderen ein Sofa mit Zierkissen in gruseligen Brauntönen. Darüber hängt doch wirklich ein stümperhaft gemaltes Ölbild mit einem röhrenden Hirsch. Neben dem Gemälde wurden verschiedene Zinnteller an die Wand gehängt. In einer Ecke stehen eine Fernsehtruhe mit Häkeldeckchen und weiterem Nippes drauf sowie ein Barwagen mit verstaubten Gläsern und einer Flasche Likör. Eine Strukturtapete mit undefinierbarem Motiv an der Wand gibt dem Raum den gruseligen Rest. Das ganze Zimmer wirkt so trist, dass man heulen könnte. Lieblos. Arm. Die Leute tun mir leid.

»Vati, das is Frau ... Wie heißen Sie eigentlich?«

Vati? Was ist denn hier los?

»Äh, ich heiße ...« Mist, ich glaube, niemand hieß in dieser Zeit Cosima, obwohl ich gerade mal zwölf Jahre später auf die Welt gekommen bin. Der Name Cosima könnte also auffallen. Aber wie hießen bloß Mädchen, die ... Ich muss kurz nachrechnen ... Mädchen, die jetzt 44 sind, im Jahr ... O Gott, im Jahr 1910?

Hilfesuchend blicke ich mich um. Auf einem Nierentisch liegt ein Magazin: Constanze. Es muss passen.

»Ich ... ich heiße Constanze.« Hoffentlich passt das von der Jahreszahl her. Jetzt muss schnell noch ein Nachname her. Von Troplowitz geht auch nicht. »Constanze Philipp«, platzt es aus mir raus, weil ich gerade an meinen Sohn denken musste. Ob der mich schon vermisst? An meinem Geburtstag hatte er ja mal wieder vergessen anzurufen. Aber wie sollte er mich hier erreichen?

»Die Frau interessiert sich für das Zimmer, Vati«, beeilt sich Frau Müller noch zu erklären.

»Mhm«, brummt ihr Mann und legt seine Zeitung beiseite. »Ham Sie keine Koffer?«

»Ich ... doch ... ich habe die Sachen momentan bei einer Bekannten untergebracht. Es ist so, dass ich aus meiner alten Wohnung herausmusste, da bestand Einsturzgefahr ...«

Er scheint mir zu glauben. »Mhm«, brummt er wieder. »Mhm.« Dann nickt er seiner Frau zu und vertieft sich wieder in seine Zeitung.

»Ich zeig Ihnen das Zimmer«, wendet sich Frau Müller wieder ganz geschäftig mir zu.

Herrje. Wie schrecklich ist das denn? Bitte, bitte, ich will mein altes Leben zurück!

Aber erst mal folge ich meiner Vermieterin durch den dunklen Flur in einen ungefähr zwei Quadratmeter großen Raum.

»Wenn unser Paul zurückkehrt, müssen Sie aber gleich raus«, erklärt sie knapp.

»Natürlich. Wann kommt er denn?«, frage ich neugierig.

Sie schaute mich an, als hätte ich ihr vorgeschlagen, sich zu entkleiden. »Wenn ich das wüsste, wär ich froh.«

Der Sohn der Müllers gilt seit 1945 als vermisst, wie ich gleich darauf erfahre. Am liebsten möchte ich sofort wieder gehen. Aber ich nicke nur schockgefrostet und sehe mich verlegen um.

In dem kleinen Zimmer steht ein schmales Bett mit einer ausgeleierten Matratze, darüber hängt ein Regal, das mit Comicheften bestückt ist. Dann gibt es noch einen schmalen Schreibtisch, einen Holzstuhl sowie einen noch schmaleren Schrank, den ich aber nur zur Hälfte benutzen darf, weil die Sachen vom Paul noch drinliegen.

»Im Bad woll’n wir niemand Fremdes haben«, erklärt Frau Müller, und ihr Ton klingt verdächtig nach Militärschule. »Waschen könn’ Sie sich inner Küche, und zwar morgens zwischen fünf und sechs, danach brauch ich die Küche zum Frühstückmachen.«

»Aha.« Was soll man zu der charmanten Einladung sonst noch sagen?

»Besuche dulden wir nich. Schon gar nich Herrenbesuche. Ich will nicht wegen Kuppelei angezeigt werden. Und nach zehn is die Tür unten zu. Weiß ja nicht, was Sie abends so treiben, aber eine anständige Frau is ja sowieso nich allein unterwegs, wenn Sie mich fragen. Wenn Sie also mal später als wie nach zehn kommen, gibt’s Beschwerde.«

»Natürlich.«

»Und für zwei Monate will ich die Miete im Voraus. Sechzig Mark.«

Eilig krame ich mein Geld hervor und reiche ihr die ausgemachte Summe. Frau Müller legt noch einen Stapel kratzige Bettwäsche auf den Stuhl, dann verschwindet sie schneller, als ich das Wort Quittung aussprechen kann.

Jetzt hocke ich also hier. In dieser Muffelbude, in der zum letzten Mal wahrscheinlich im Jahr 1945 gelüftet wurde.

Ich will gerade das Fenster aufreißen, als es in meiner Handtasche klingelt.

Mein Handy!?

Hektisch springe ich auf und rase zu meiner Tasche. Ich habe Angst, Frau Müller oder ihr Mann könnten das Telefon hören und dumme Fragen stellen.

Tatsächlich, da ist es. Ganz unten in der Tasche hatte es sich versteckt, und ich muss es beim Durchwühlen schlicht übersehen haben. Erleichtert lasse ich mich aufs Bett fallen. Jetzt wird alles gut.

»Hallo?«

»Frau von Troplowitz, sind Sie das?«

»Ja, und wer ist da?«

»Wie gut, dass ich Sie endlich erreiche!«, erklärt eine weibliche Stimme atemlos. »Es ist mir so unangenehm, wirklich, das müssen Sie mir einfach glauben!«

Jetzt erkenne ich die Stimme. Es ist Frau Nasila. Meine Rettung!

»Frau Nasila!«, kreische ich fast. »Was ist denn überhaupt passiert? Was um alles in der Welt ...«

»Eigentlich ist es gar nicht so schlimm«, sagt Frau Nasila bemüht ruhig.

»Nicht so schlimm?« Ich springe auf und gehe ans Fenster, um besseren Empfang zu haben. Gleichzeitig frage ich mich, wieso ich mit dem Gerät hier überhaupt telefonieren kann. Es gab doch in den 5oern noch gar keine Handys und in den meisten Haushalten ja nicht mal Festnetzanschlüsse.

Mein Herz rast. »Es ist nicht schlimm?«, keuche ich. »Es ist also nicht weiter schlimm, dass heute der 4. Juli 1954 ist, nein? Es ist nicht schlimm, dass ich im Hochsommer Nylonstrümpfe und ein unbequemes Kostüm trage, das furchtbar kratzt? Von meinem komischen Hut mal ganz abgesehen ... Frau Nasila, es gibt hier eine Straßenbahn, wo eigentlich gar keine mehr sein dürfte, falls Sie verstehen, was ich meine. Ich bin dann offenbar 1910 geboren worden und wohne jetzt zur Untermiete in einer Art Verschlag. Für dreißig Mark im Monat. Und wenn der vermisste Sohn aus der Kriegsgefangenschaft zurückkommt, muss ich gehen. Wenn er überhaupt jemals zurückkehrt. Ich bin hier in etwas reinkatapultiert worden, das ich nicht verstehe und das ich nicht will. Und da sagen Sie, es sei eigentlich gar nicht so schlimm?«

»Nun beruhigen Sie sich doch bitte«, fleht Frau Nasila. »Sie haben doch mitbekommen, dass ich ein wenig durcheinander war und meine Sachen nicht gleich gefunden habe. Mit der Ordnung hab ich’s eben einfach nicht so.«

»Das ist mir egal. Holen Sie mich zurück!«

»Tja, wenn das so einfach wäre«, seufzt sie. »Aber ich finde den Code nicht.«

»Was?«

»Wegen der Unordnung«, sagt Frau Nasila verzweifelt. »Der Zettel ist weg. Einfach verschwunden. Ich habe überall nachgeschaut, auch in der Restmülltonne, obwohl ich meinen Müll trenne. Aber im Altpapier war er auch nicht.«

»Erklären Sie mir sofort, was hier eigentlich los ist.« Ich bin furchtbar aufgebracht. Meine Stimme überschlägt sich. Woher hat Frau Nasila überhaupt meine Handynummer?

»Die Sache ist die«, beginnt Frau Nasila zögerlich. »Dass Sie sind, wo Sie jetzt sind, ist ein Versehen. Eigentlich sollte sich dort jetzt jemand anderes befinden. Jemand, der sich für das Projekt offiziell zur Verfügung gestellt hat.«

»Ja, dann rufen Sie denjenigen doch an. Er soll zu Ihnen kommen, und dann wird getauscht. Das kann doch nicht so schwierig sein!«

»Wenn ich doch bloß den Code wüsste.« Jetzt heult sie fast. »Aber er fällt mir nicht ein.«

»Um was handelt es sich bei diesem Projekt denn genau, Frau Nasila?«, versuche ich es jetzt ganz ruhig. Sonst wird Frau Müller gleich kommen und sich über den Lärm beschweren. Und dann werde ich hinausgejagt und kann sehen, wo ich bleibe.

»Ein Vergangenheitsprojekt«, erklärt Frau Nasila. »Ein Buddhist aus Unawatuna hat sich jahrelang in einer Höhle sitzend mit telepathischer Zeitreise beschäftigt. Ein wirklich netter Mann, zwar schon steinalt, aber ...«

»Und wo ist dieser Mann?«, unterbreche ich sie.

»Nun, bis eben war er noch hier und hat mir das alles erklärt. Dann wollte er ein bisschen an die frische Luft und ... Hoffentlich hat er sich nicht verlaufen.«

»Wieso haben Sie ihn denn überhaupt gehen lassen?« Ist es denn zu fassen? Ich werde gleich wahnsinnig.

»Na, wenn er doch rauswollte«, rechtfertigt sich Frau Nasila. »Jedenfalls meinte er, wir bräuchten den Code, den er in der Höhle erarbeitet hat. Nur mit Hilfe dieser Formel kann alles rückgängig gemacht werden.«

»Aber wer hat denn diese Formel jetzt?«

»Na, er natürlich. Das heißt, ich hatte sie ja auch ... also, den Code ... also, die Formel. Ach, ich weiß ja auch nicht mehr, wie das genau war.«

In diesem Moment wünsche ich mir, dass Frau Nasila einen langsamen und qualvollen Tod stirbt. Aber vorher soll sie mir noch die Formel oder den Code geben.

»Oh, es klingelt bei mir«, sagt sie dann. »Das wird der Weise aus Unawatuna sein. Ich melde mich bald wieder.«

»Halt!«, schreie ich. »Nicht auflegen!«

Aber es ist zu spät, die Verbindung ist bereits unterbrochen. Ich kann nur hoffen, dass Frau Nasila meine Nummer nicht verschludert. Sonst bin ich aufgeschmissen. Sie ist meine einzige Hoffnung. Denn mein Handy zeigt mir keinen Empfang an. Merkwürdig.

Ob es draußen besser ist?

Ich beschließe, noch mal rauszugehen. Auch weil ich mittlerweile sehr hungrig bin. Ich habe noch genau hundertzwanzig Mark in diesem blöden Portemonnaie, sechzig musste ich schon Frau Müller geben. Irgendwo werde ich schon noch ein nettes Lokal finden. Gutes Essen ist jetzt das Einzige, was meine Laune aufbessern kann.

***

»Es gibt Sülze mit Bratkartoffeln und Mayonnaise, Schweinefilets mit Paprikasauce und Mayonnaise, gebackenes Fischfilet mit Mayonnaisesalat, Bockwurst mit Mayonnaisesalat, Eiersalat mit Mayonnaise ...«

»Haben Sie auch etwas ohne Mayonnaise?«, unterbreche ich den Vortrag des Wirts. Meine Kopfschmerzen sind kaum zum Aushalten, weil auch in dieser Spelunke geraucht wird. Aber wenigstens werde ich hier als Frau ohne männliche Begleitung überhaupt reingelassen.

Der Wirt sieht mich an, als hätte ich ihn gefragt, ob ich ihm einen blasen soll. Er wischt seine Hände an der schmuddeligen Schürze ab und sieht mich missbilligend an.

»Was mit Käse?«, fragt er.

»Nein.« Ich hasse Käse, und bestimmt kommt er mit einem Toast Hawaii um die Ecke. Schmelzkäse gepaart mit Ananas oder eine Frikadelle mit Schmelzkäse verursachen bei mir Würgereiz.

Ich kann es einfach nicht verstehen, dass die Leute so ungesund essen können.

»Erst mal was zu trinken?«, knurrt er.

»Ja, ein Bier, bitte.«

Plötzlich verstummen die Gespräche in der Kneipe. Alle Männer starren mich an, und ich werde rot.

»Bier gibt’s hier nich«, brummt der Wirt.

»Aber es trinken doch alle Bier.«

»Ich hab gesacht, es gibt kein Bier.«

Nun werde ich zornig. »Dann nehme ich ein Glas Weißwein. Nein, ich nehme gleich eine ganz Flasche.« Herausfordernd schaue ich in die Runde. »Mag sich vielleicht jemand zu mir setzen? Ich hab nichts gegen Gesellschaft.«

Nun beugt sich der Wirt zu mir hinunter. »Gehen Sie«, zischt er. »Das is hier ’ne ordentliche Kneipe und kein ... Etablissement.«

»Das sehe ich«, nicke ich ihm zu. »Da gäbe es nämlich keine Mayonnaise.«

»Raus hier.«

»Aber ...«

»Ich sagte: Raus hier.« Er deutet zur Tür. »Da ist der Ausgang. Am Hafen werden Sie bestimmt jemanden finden, der sich zu Ihnen setzt und Ihnen dafür sogar noch Geld gibt. Aber nich hier.«

Er hält mich für eine Prostituierte?! Ich bin fassungslos und verlasse wutentbrannt den Laden.

Oder muss sich eine Frau, die mit 44 noch für eine Nutte gehalten wird, schon geschmeichelt fühlen? Immerhin traut der Typ mir ja noch Freier zu ...