Auf dem Weg über die Innocentiastraße nach Eppendorf gewinne ich meinen Optimismus wieder. Ich fühle mich zum ersten Mal seit langer Zeit richtig gut. Die Aussicht auf unsere Frauen-WG lässt mich schmunzeln.
Ich finde, wir sind ein schönes Kleeblatt!
Eines, das was auf die Beine stellen wird und ...
Plötzlich wird mein Arm gepackt und verdreht. Vor Schreck lasse ich den Einkaufskorb fallen, den ich mitgenommen habe.
»Na, ein Glück, dass ich dich gefunden habe.« Vor mir steht Billes Mann und funkelt mich an. »Wo ist meine Frau, wo mein Kind? Steckst du dahinter, du Luder?«
»Erlauben Sie mal!« Ich versuche, mich loszureißen, aber Heinrich Petersen ist nun mal leider kräftiger als ich. Und stinkwütend.
»Antworte mir«, fährt er mich an.
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.« Hilfesuchend sehe ich mich um. Warum gehen die Leute bloß alle weiter? Niemand bleibt stehen, um mir beizustehen oder zu fragen, ob ich Hilfe brauche. Das ist wirklich nicht nett.
»Das ist schon komisch«, zischt er, »kaum taucht so ein Flittchen wie du auf, schon ist meine Frau samt Kind wie vom Erdboden verschluckt. Was hast du mit ihr gemacht, du Hexe?«
»Ich habe gar nichts mit ihr gemacht«, erkläre ich ihm so ruhig wie möglich. »Und wenn Sie mich nicht sofort loslassen, schreie ich.«
Er lacht laut auf und verstärkt den Druck auf meinen Arm. »Dir werde ich zeigen, was ...«
Mit der freien Hand hole ich aus und gebe ihm eine gepfefferte Ohrfeige. Sofort lässt er meinen Arm los, weil der Schlag ihn ins Taumeln gebracht hat.
Ein paar Hausfrauen bleiben erschrocken stehen und betrachten das Schauspiel mit wohligem Gruseln. Bestimmt denken sie, dass ich seine Frau bin.
»Das wagst du nicht nochmal!«, zischt er gefährlich leise.
»Darauf würde ich mich nicht verlassen.« Ich denke wieder an meinen Selbstverteidigungskurs und bin guter Dinge. Immerhin konnte ich Herrn Müller auch k. o. schlagen. »Lassen Sie Ihre Frau in Ruhe und vögeln Sie ruhig weiter in der Weltgeschichte herum. Bille kann gut auf Sie verzichten.«
Nun wird er blass.
Schade, dass ich keine Waffe habe, mit der ich ihn bedrohen kann. Das wäre sicher noch überzeugender. Ich würde ihm solche Angst machen, dass er auf dem Boden herumkriecht und vor Angst wimmert. Dann könnte ich mit erhobenem Haupt vor ihm stehen wie Meggie Cleary vor Ralph de Bricassart in Die Dornenvögel, nachdem sie ihm gesagt hat: »Dane war auch dein Sohn. Deiner und meiner.« An der Stelle bricht der Pater zusammen und streckt noch die Hand nach ihr aus, aber sie dreht sich einfach um und verlässt das Gelände des Familiengrabs.
Für Herrn Petersen muss die Ohrfeige allerdings fürs Erste genügen. Außerdem scheinen meine Worte auch ohne weitere Schläge zu fruchten. Denn Heinrich Petersen dreht sich um und geht.
Erst jetzt merke ich, wie mir die Beine schlottern.
***
»Tscha, von so’n büschen Salat mit Huhn wird man doch nich satt.« Die Kaufmannsfrau sieht mich entgeistert an. »Das is doch was für’n hohlen Zahn.«
Ich habe langsam keine Lust mehr auf diese Diskussionen. Wo bitte steht geschrieben, dass man grundsätzlich enorme Portionen Fett zu sich nehmen muss, um satt zu werden? Erst wollte sie mir Schweinenacken andrehen, den ich »mit viel Fett braten soll«, dann irgendwelche Nieren und Lebern und Herzen, die in Zwiebeln und ordentlich Butter brutzeln sollen. Und als ich Salat verlangte, hat sie mir natürlich Mayonnaise-Salate angeboten. Außerdem hat sie mir noch Wurstebrei und gekochtes Kalbshirn empfohlen.
»Äh, ich möchte lediglich ein bisschen Hähnchenbrust. Ohne Fett«, wiederhole ich nun zum vierten Mal. »Und auch keinen fertigen Salat, sondern einen frischen Kopfsalat, Radieschen, Tomaten und Gurken. Die Soße rühre ich selber an.«
»Dafür brauchen Sie dann natürlich noch Eier.«
»Nein, wieso?«
»Ich mein, für die Mayonnaise.«
Wenn ich noch einmal das Wort Mayonnaise höre, werde ich irre.
Beleidigt packt die Frau die Sachen ein, und ich kann endlich gehen.
Die Leute scheinen so froh darüber zu sein, dass es endlich wieder Fett gibt, dass sie gar nicht genug davon bekommen können.
***
»Berit Michaelsen hat versprochen, dass übermorgen die neuen Handzettel fertig sind«, berichtet mir Murmel erfreut, als ich mit den Einkäufen zurückkomme.
Bille und Marie haben es sich im Garten gemütlich gemacht und tanken etwas Sonne. Die beiden blühen richtig auf.
»Diesmal wird bestimmt nichts schiefgehen«, fügt Murmel noch hinzu.
Das hoffe ich auch. Immerhin sind wir diesmal so schlau, keine Adresse mehr auf den Flyern abzudrucken. Und bis irgendwelche Ämter herausgefunden haben, dass wir hier eine Frauen-WG aufgemacht haben, kann einige Zeit vergehen.
»Wir müssen trotzdem aufpassen«, sage ich und verstaue die Sachen im Kühlschrank. »Ich hatte eben ein unschönes Zusammentreffen mit Billes Mann.«
»Er weiß, wo wir sind?«, fragt sie panisch.
»Nein, nicht genau. Aber vor allem kein Wort zu Bille. Sonst regt sie sich nur unnötig auf.«
»Und wenn er irgendwann mit einer Schrotflinte vor der Tür steht?«
»Murmel, du hast du zu viele schlechte Filme gesehen. Wir müssen positiv denken.« Ich sehe sie ernst an. »Es darf einfach nichts schiefgehen.«
»Wie sollte ich denn bitte zu viele schlechte Filme gesehen haben bei dem Angebot, dass das eine Programm hergibt?«, fragt Murmel giftig.
Bei der nächsten Versammlung werden wir uns nicht in der Apotheke treffen, sondern im Keller der Druckerei von Berit. Das hatte sie Murmel angeboten.
»Ab fünf Uhr nachmittags ist in den meisten Fällen keiner mehr da«, erklärt Murmel. »Es sei denn, Berit hat Sonderaufträge. Aber sie meinte, sie werde das schon einrichten.«
»Gut, dass sie auf unserer Seite ist!«
Die nächste Zusammenkunft ist für kommenden Freitag geplant. Das heißt im Klartext, dass wir eine knappe Woche Zeit haben, um die Zettel zu verteilen. Das wird dieses Mal kein Schnellschuss, und das kann nur Gutes bedeuten.
***
Am Montag beginnen wir mit dem Verteilen der Flugblätter.
Ich weiß nicht, woran es liegt, aber die Frauen wirken zugänglicher als beim letzten Mal. Vielleicht hat sich »unsere Sache« ja auch schon rumgesprochen. Fast jede Frau will die Adresse wissen, und kaum eine wirft den Zettel weg.
Vielleicht treten wir aber auch einfach ruhiger und souveräner auf. Oder es liegt daran, dass wir zu viert zusammenarbeiten. Auch Lob bekommen wir reichlich. Dass wir mutig sind, wird uns mehrfach gesagt. Und dass es an der Zeit ist, dass sich etwas ändert.
Nachdem ich am Hafen war und dort Zettel verteilt habe, tun mir die Füße weh, und ich beschließe, mich noch ein wenig an den Landungsbrücken zu setzen und auf die Elbe zu schauen.
Ein leichter Wind weht, und ich halte mein Gesicht in die Sonne.
Plötzlich ist ein Schatten über mir.
»So trifft man sich wieder«, sagt ein Mann.
Es ist Paul.