I

Nonsuch

London, Winter 1537  Frühjahr 1538

»Mylord«, sagt ein Junge, »ein Totengräber ist da.«

Er sieht von seinen Papieren auf. »Sag ihm, er soll mich in zehn Jahren holen.«

Der Junge ist verlegen und weiß kaum, was er sagen soll. »Er hat einen Sack dabei. Ich schicke ihn herauf.«

Die Leute um Austin Friars denken, er ist für alles zuständig, vom Gesetzeschreiben bis zum Verputzen von Kellern und Säubern von Abflüssen. Geht zur Stadtverwaltung, sagt er, und sie sagen, ja, Sir, aber wenn Sie kurz um die Ecke kommen und einen Blick darauf werfen könnten? Denn ich schwöre, mein Grenzstein ist verrückt worden, mein Fundament birst, meine Fenster sind verdunkelt.

Heute wird man das Problem haben, dass sich die Leichen stapeln, denn der Boden ist zu hart, um Gräber auszuheben. Du solltest versuchen, nicht zum Jahreswechsel zu sterben. Überdauere die Zeit von Marzipan und heißem Ale. Vielleicht erlebst du sogar noch den Frühling.

Der Besucher nimmt den Hut ab. Er sieht sich um: ein schwach beleuchteter Raum mit niemandem darin bis auf Cromwell, der auf den Barbier wartet, hinter sich an der Wand die Königin von Saba. An die Decke gemalt die Sterne mit ihren Bahnen, auf seinem Tisch, wie eine tief stehende Herbstsonne, eine getrocknete Orange.

Der Totengräber hat die Tür hinter sich aufgelassen, und von unten dringt unverständliches Gerede herauf. »Es klingt, als hätten Sie die ganze Nachbarschaft mitgebracht. Was ist in Ihrem Sack?«

Der Mann drückt ihn an sich. Er will seine Geschichte erzählen, und das der Reihe nach. »Ich bin heute Morgen um vier aufgewacht. Ich kann nicht sagen, warum, aber in meinem Bauch ging es so drunter und drüber …«

Lord Cromwell zieht mit einem sanften Schnurren wie eine schwere Katze seine Felle um sich und stellt sich den Morgen des Mannes vor. Die Trägheit, mit der er die Decke von sich stößt und aus seinem Bretterbett steigt. Das stinkende Platschen seines Urins. Das eisige Wasser in seinem Gesicht. Sein gemurmeltes Gebet: Salve Regina, und: Gott schütze unseren König. Sein Hemd, sein Wams, den geflickten Mantel und den kleinen Krug Ale. Dann geht er hinaus, den Spaten in der Hand, um in der frühen Kälte die Erde aufzubrechen.

Auf dem Kirchhof sind ein Dutzend Leute versammelt. »Komm mit deiner Schaufel her«, rufen die Nachbarn. Eine ärmliche Fackel spendet ein flackerndes Licht. Der Gemeindediener zieht an einem Bündel, das halb in der Erde steckt.

Der Totengräber hastet hinüber. Ein Stich mit dem Spaten, und er hat das Bündel befreit. Es ist ein Laken, voller Erde, in das etwas eingewickelt ist. »Wir hielten es für ein Baby, Mylord. Gerade geboren und notdürftig begraben.«

»Ich würde keine Leiche entweihen. Auch eine ungetaufte nicht.«

Erdklumpen fallen auf den Boden, als der Mann den Sack auf den Tisch legt. Er öffnet ihn und zieht, einer Hexenhebamme gleich, ein Baby heraus, nackt und kalt. Es ist lebensgroß und aus Wachs.

Er, Lord Cromwell, steht auf. »Lassen Sie sehen.« Seine Hand folgt der Rundung des Schädels. Das Gesicht ist eine leere Fläche, die Züge sind heruntergeschält. Er berührt die stumpfen Hände, die zehenlosen Füße, die wie winzige Hufe sind. Unter der Rundung des Bauches ist das Wachs grob aufgeworfen und gerollt, um einen Penis und zwei Hoden zu formen. Eisennägel sind in das Fleisch getrieben worden, wo Herz und Lunge wären. Tief reichen sie hinein, und an den Rändern der Löcher bröckelt das Wachs.

Der Mann hat Angst. »Drehen Sie es, Sir.«

In den glatten Rücken hat sein Schöpfer eine Tudor-Rose geprägt.

»Es ist der Prinz«, sagt der Mann. Seine Stimme ist voller Ehrfurcht. »Es ist sein Abbild. Es soll ihn vernichten und töten.«

»Sie kennen Magier?«

»Ich nicht, Sir. Ich bin ein ehrlicher Mann.«

Er geht zur Tür. »Christophe. Ist Mr Wriothesley aus dem Bett? Meine Grüße an ihn, und würde er bitte mit diesem Mann gehen, um zu sehen, wo dieses Ding gefunden wurde? Und herausfinden, wer es dort verscharrt hat?«

Er zieht den Sack zurück über den Kopf des Babys. Sagt zum Totengräber: »Sagen Sie niemandem etwas davon.«

Christophe kommt herein. »Halb London weiß es bereits. Sie können die canaille unten hören, die klagt, als wären ihre Mütter tot.«

»Gib ihnen Brot und Ale, und sorge dafür, dass sie zurück an ihre Arbeit gehen.«

»Darf ich das Monster sehen?« Christophe linst in den Sack. Er verzieht das Gesicht.

Er, Lord Cromwell, tritt ans Fenster und öffnet den Fensterladen. Ein unsicheres Grau: Licht kann man das nicht nennen. »Christophe?«, sagt er. »Sag Mr Wriothesley, er soll sich warm anziehen.«

In weniger als zwei Jahren sind in England drei Königinnen gestorben, zwei davon den besonderen Umständen entsprechend ohne die üblichen nachfolgenden Riten. Seit der König seine Mutter verloren hat, was fünfunddreißig Jahre her sein muss, wurde am Hof nicht mehr offiziell getrauert. Glücklicherweise hat uns Henrys Großmutter Margaret Beaufort ausführliche Notizen dazu hinterlassen, was genau zu tun ist: Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen, sie wusste Bescheid. Der Herzog von Norfolk wird gerufen, um die Abläufe mithilfe des obersten Herolds zu überwachen. Der König trägt Weiß, seine Höflinge Schwarz.

Am Tag vor Allerheiligen, während die Königin noch aufgebahrt ist, kommt aus dem Tower die Nachricht vom Tod Lord Thomas Howards. Er war ohne Hoffnung, wie seine Wärter sagen, was ihn zum Opfer jeder neuen Unpässlichkeit gemacht hat. Der König erlaubt Lady Meg Douglas, der Geliebten Howards, zur Trauer um Jane an den Hof zu kommen. Wenn ihr Gesicht während der ersten Novemberwoche verquollen und tränengerötet ist, müssen wir nicht denken, dass sie immer noch dem verstorbenen Lord Thomas verbunden ist, sondern verstehen es als Trauer um unsere gütige Mistress. Alle Ladies werden für die Totenwache gebraucht, vornehm in Schwarz, die Köpfe gebeugt. Sie knien auf Seidenkissen, ihre geschlossenen Lider zucken, Weihrauch treibt in Wolken um sie herum. Sie halten sich an den Händen, es sei denn, zwei Finger tippen zart auf ihre Brust oder zeichnen ein Kreuz auf Stirn und Lippen. Auf welche Art sie für die verstorbene Königin beten, danach sollte niemand fragen. Der Körper der toten Frau wird niemals allein gelassen. Lady Mary führt die Gebete bei Tag an, nachts überlassen sie es den Priestern.

Als Jane für die Trauerfeier nach Windsor gebracht wird, geht vor den Toren das Gerücht um, dass der König sie hat aufschneiden lassen. Dass er, da sie ihr Kind nicht habe gebären können, befohlen habe: »Rettet meinen Sohn!« Von Cornwall bis Durham singen sie Balladen darüber, wie gut es dem Baby und seinem Vater geht, während die Mutter in der Erde liegt.

In den ersten Tagen der Trauer zieht sich der König zurück, wie er es sollte, und sieht niemanden bis auf seine Beichtväter und den Erzbischof, der mit ihm betet.

Der Rat erledigt seine Geschäfte allein. Wollen sie eine Frage stellen, und das dringend, sehen sie vornehm angespannt aus, als versuchten sie, einen Furz zurückzuhalten. Endlich meldet sich einer der Lords zu Wort: »Mylord Cromwell, wann mag unser edler Souverän, angesichts der prekären Lage seiner Nachfolge …?«

»Gut«. sagt er. »Soll ich gehen und ihn fragen?«

Er erhebt sich schwerfällig. »Achten Sie auf meine Unterlagen«, sagt er zu Edward Seymour. Nachdem er Nennt-Mich geholt hat, damit er ihm den Rücken deckt, macht er sich auf zu den königlichen Gemächern. An seiner Seite der Herzog von Norfolk: direkt bei ihm der Sohn des Herzogs, Surrey, durch das Schwarz so verlängert, dass seine Beine vervielfacht zu sein scheinen, wie die Beine einer Spinne.

»Nun«, sagt Norfolk, »es fällt Ihnen zu, ihn durch diese Sache zu bringen, Cromwell. Hindurch und auf der anderen Seite wieder hinaus, mit einer neuen Ehe. Das ist keine Respektlosigkeit vor unserem Prinzen, aber wir alle wissen, wie leicht ein Baby sein Leben aushaucht.« Er blickt düster drein. »Haben Sie eine Liste?«

»Natürlich hat er eine Liste«, sagt Nennt-Mich. »Aber die Andacht verbietet es ihm, sie schon hervorzuholen, Mylord.«

Surrey geht hinter seinem Vater. Wie Meg Douglas ist er mit zur Trauer gerufen worden, aber noch nicht wieder vom König gelitten. »Sprich den Lordsiegelbewahrer nicht an«, befiehlt Norfolk ihm. »Wirf nicht mal einen Blick auf ihn, Junge, oder du erregst mein Missfallen.«

Surrey sieht hinauf zu den vergoldeten Rosen an der Decke. Er zappelt herum, seufzt, verbirgt ein Stöhnen, tritt von einem Bein auf das andere, zupft an seinen Kleidern und legt die Hand auf den Dolch in seiner Scheide. Da er seinen Schwanz nicht herausholen und damit wedeln darf, gibt es sonst nichts, womit er seiner Anwesenheit Nachdruck verleihen könnte.

»Uns scheint«, sagt Mr Wriothesley, »dass der König noch nicht so weit ist, über eine neue Frau zu sprechen. Wie Ihre Lordschaft sagt, fällt die Last Mylord Cromwell zu, also lassen Sie ihn auch den Zeitpunkt bestimmen.«

»Aber hoffentlich bald«, fährt der Junge auf, »oder mein Vater wird es erzwingen.«

»Was habe ich dir gesagt? Sei still!« Norfolk blitzt seinen Sohn an. »Die Trauer des Königs. Natürlich trauert er. So eine reizende Lady, wer würde da nicht trauern? Aber der Kaiser und Frankreich nähern sich einem Vertrag, was für uns sehr unangenehm ist. Was würde sie schneller wieder in Streit bringen als eine Ehe? Lassen Sie Henry eine französische Braut wählen. Mit ihr können wir nicht nur eine hübsche Summe einfordern, sondern auch militärische Hilfe, sollte Karl etwas gegen uns zu unternehmen versuchen.« Er reibt sich die Nasenspitze. »Natürlich tut uns allen das mit der Königin sehr leid. Aber es könnte zu unserem Vorteil sein. Es ist alles möglich, Cromwell.«

»Nur für Sie nicht«, sagt Surrey.

»Ruhe, Bursche!«, tobt Norfolk.

 »Der Mylord Lordsiegelbewahrer würde es vorziehen …«, sagt Wriothesley.

Norfolk schneidet ihm das Wort ab. »Wir wissen, was er vorziehen würde. Eine Ehe mit der Tochter irgendeines Predigers. Aber dazu wird es nicht kommen, und wissen Sie, warum? Weil es die Ehre unseres Souveräns herabsetzt. Henry trägt eine kaiserliche Krone. Er ist niemandem verpflichtet, und die besten von diesen Deutschen sind einfache Fürstentöchter, und der Kaiser ist ihr Herr – was immer sie zu sein vorgeben.«

»Dem König steht es frei, eine Lady jedes Ranges zu heiraten«, sagt Wriothesley. »Er könnte sich eine seiner eigenen Untertaninnen aussuchen. Das hat es schon gegeben.«

Er sagt zu Norfolk: »Ich werde keinen Schritt in dieser Sache unternehmen, solange ich nicht den Rat hinter mir habe und auch das Parlament.«

»Oh, da vertraue ich Ihnen«, sagt Norfolk. »Ich glaube nicht, dass Ihnen Alleingänge vorschweben, Mylord Lordsiegelbewahrer.«

»Oder Ihnen fliegt der Kopf davon«, sagt Surrey.

»Mylord«, er wird ungeduldig, »ich muss zum König.«

»Lassen Sie mich mitkommen«, sagt der Herzog.

»Unangekündigt?«, fragt er. »Als Überraschung?«

»Sagen Sie, ich stehe vor der Tür. Sagen Sie, ich biete ihm meinen väterlichen Trost und Rat an.«

»Mylord Vater«, sagt Surrey, »lassen Sie sich von diesen Kerlen nicht daran hindern …«

Er ist verärgert. »Oh, versuchen Sie es.« Er legt Surrey eine Hand auf die Brust, was ihn jäh verstummen lässt. »Und sehen Sie, ich brauche keine Klinge«, sagt er.

Die beiden trollen sich. Er zuckt mit den Schultern. »Ich bin auch nur ein Mensch«, sagt er.

»Natürlich.« Nennt-Mich lässt es wie eine warmherzige Bestätigung klingen. »Was hören Sie aus Kleve?«

»Kein großes Lob, weder des Gesichts der Lady noch ihrer Person. Was mich jedoch nicht von ihr abbringt. Niemand hatte viel Gelegenheit, sie in Augenschein zu nehmen, diese Leute halten ihre Frauen ganz für sich. Sie klingt liebenswert, das Alter stimmt, und die Räte Kleves scheinen sehr dafür zu sein, wie ich höre.«

Sehr dafür, sie vom Markt zu halten. Anna. Zweiundzwanzig Jahre. Nie verheiratet.

Der König wartet: ernst, mit schwerem Blick. Er dreht den Kopf, und es wirkt wie eine Anstrengung. »Da sind Sie ja, Crumb.«

»Norfolk bittet um eine Audienz. Er droht damit, wie ein Vater mit Ihnen zu sprechen.«

»Tut er das?« Henry zwingt sich ein trauriges Lächeln auf das Gesicht. »Hoffen wir, dass etwas Besseres aus mir wird als der junge Surrey. Ich werde versuchen, ihm Ehre zu machen.«

»Er sagt, es ist Ihre Pflicht, wieder zu heiraten.«

Henrys Blick geht in die Ferne. »Ich könnte gut damit zufrieden sein, den Rest meiner Tage keusch zu bleiben.«

»Auch das Parlament wird eine Petition an Ihre Majestät richten.«

»Ich muss meine eigenen Wünsche hintanstellen, nehme ich an. Ein Junge ist nicht genug. Der Himmel segnet mich, aber widerwillig.«

Endlich wendet er sich ganz um und sieht seinen Minister mit geröteten Augen an: »Was hören wir von der Witwe, Madame de Longueville? Ich habe das Gefühl, wenn überhaupt, könnte ich mich für sie interessieren. Ich habe gute Berichte über ihr Wesen. Und sie ist fruchtbar. Und dem edlen Haus Guise würde eine Anfrage schmeicheln.«

Marie de Guise ist ihm beschrieben worden: eine agile, lebhafte Rothaarige mit zwei jungen Söhnen, ihr Ehemann vor sechs Monaten begraben: »Wie ich höre, ist sie sehr groß.«

»Ich bin auch sehr groß.«

Er denkt, wir könnten Hans schicken, um sie zu malen und gleichzeitig zu messen. »Es gibt da nur eine Schwierigkeit, Majestät. Der schottische König will sie.«

Henry sagt frostig: »Das würde ich keine Schwierigkeit nennen.«

»Ihre Familie mag wegen der Mitgift Probleme machen.«

»Was, mit mir das Feilschen anfangen?« Der König ist verärgert. »Es gibt noch andere Französinnen, und ich habe noch nicht einmal gesagt, dass ich überhaupt wieder heiraten werde. Eine Perle wie Jane werde ich nie wieder finden.« Er reibt sich die Augen. »Sprechen Sie in einer Woche wieder mit mir, Mylord. Ich werde versuchen, Ihnen dann eine bessere Antwort zu geben.«

Zurück von der Totenwache, mit steifen Knien, gelangweilt und mürrisch, hält Jane Rochford ihn auf. »Ich brauche Anweisungen.«

Er bleibt stehen, und ein Lächeln stiehlt sich auf sein Gesicht. »Werden Sie die annehmen?«

»Wir Ladies wissen nicht, was wir ohne Mistress zu tun haben. Bleiben wir oder gehen wir?«

Der Haushalt der Königin ist aufgelöst, und Lady Mary steht kurz davor, sich wieder nach Hunsdon oder an einen anderen Ort zurückzuziehen. Ohne eine Königin am Hof werden keine Frauen gebraucht. »Aber wenn alle weggeschickt werden«, fragt Lady Rochford, »was machen wir dann im Fall einer plötzlich auftauchenden neuen Braut?«

»Nehmen Sie die Weisungen der Älteren an«, sagt er. »Lady Surrey. Lady Rutland.«

»Wann werde ich alt genug sein, um zu zählen?« Sie ist gereizt. »Ich habe jetzt drei Königinnen gedient und vertraue darauf, es auch bei einer vierten zu tun.«

»Onkel Norfolk wünscht eine Französin«, sagt er.

Sie lacht. »Ich dachte, er würde eine Howard anbieten. Die Herzogin, die alte Witwe auf der anderen Seite des Flusses in Lambeth, sie hat ein Haus voller Mädchen.«

»Vielleicht weil noch keine von ihnen reif zur Fortpflanzung ist?«

»Ich wage zu sagen, dass der König versuchen würde, Bess Seymour zu heiraten, hätte die nicht schon Ihren Sohn. Eine Frau aus einer Familie reicht ihm nie. Hat Jane nicht noch andere Schwestern? Ich weiß, es gibt Bibeltexte, die dem entgegenstehen. Aber der König herrscht jetzt über die Kirche, und wir wissen, was er von der Schrift hält. ›Lest weiter, Masters, es gibt immer noch einen weiteren Vers!‹«

»Ihr unbekümmertes Gerede«, sagt er. »Ich mag nicht immer in der Lage sein, Sie zu retten.«

»Mich retten, Cromwell. Tun Sie das?« Jane Rochford schüttelt ihre schwarzen Röcke aus und reibt sich den schmerzenden Rücken. Manchmal liegt ein angespannter Ausdruck in ihren Augen, als versuchte sie zu ergründen, wo sie möglicherweise falsch abgebogen ist. Du hinterlässt eine Reihe Brotkrumen, und die Raben fressen sie. Du lässt ein paar Kirschkerne fallen, und sie werden zu Bäumen.

»Sind sie glücklich«, fragt sie jetzt wie nebenhin, »Ihre Frischvermählten? Bess hat etwas Verschlossenes an sich und den Schatten eines Doppelkinns. Wenn ich mich nicht täusche, sind Sie auf dem Weg, Großvater zu werden.«

Er ist in einem Alter, in dem man alte Freunde verliert. Im November wurde Humphrey Monmouth beerdigt. Er hatte selbst auch zum Begräbnis gehen wollen, aber Rafe sagte: »Vorsicht, Sir. Sie wissen, er war einmal Tyndales Beschützer: Bringen Sie den König nicht gegen sich auf, nehmen Sie das Risiko nicht für einen Toten auf sich.«

Andere Trauernde berichteten ihm, wie es war: ein einfaches Begräbnis, vor Tagesanbruch. Monmouth wollte keine Kerzen oder papistischen Embleme, hinterließ aber Geld für Predigten. Er wollte keine Totenglocke, sorgte aber dafür, dass die Glöckner ihr Geld bekamen: was typisch für ihn war, einen Mann, der an die Geringeren und Armen dachte.

Er, der Lordsiegelbewahrer, hatte den Silberkelch eingepackt, den Monmouth ihm vermacht hatte, und war nach Mortlake geritten, um Gregory und seine Frau zu besuchen. Er verkündete, dass er während der nächsten zwei Wochen keinerlei Geschäfte machen, sondern sich nur um die Angelegenheiten des Königs kümmern werde. Bis jetzt hatte er sich so wenig gegen Arbeit gewehrt wie ein Hund gegen Hammelfleisch. Aber er war angeschlagen: nicht nur durch der Verlust der Königin, sondern auch durch seine Unfähigkeit, Reynolds habhaft zu werden.

Henry sagt: »Sie haben versprochen, Pole ein Ende zu bereiten. Wenn er nach Italien zurückkehrt, haben Sie mir gesagt, werde ich ihn niederstrecken lassen, sobald er seine Unterkunft verlässt, oder wir legen ihm einen Hinterhalt auf der Straße.«

»Majestät, ich weiß nicht, wie ich einen Mann abfangen soll, der niemals ist, wo er erwartet wird. Meine Leute warten an einem gut ausgewählten Ort auf ihn, aber er fällt vom Pferd und wird in ein Refugium gebracht, wo er drei Tage seine Verletzungen pflegt. Wir erwarten ihn vor der nächsten Stadt, doch dann hören wir, dass er den falschen Weg eingeschlagen, sich im Kreis bewegt hat und wieder dort gelandet ist, wo er aufgebrochen war. Er ist zu töricht, um getötet zu werden.«

Henry sagt: »Da werden Sie wohl lernen müssen, ebenfalls töricht zu sein, oder, Crumb?«

Er muss sich am weihnachtlichen Hof in Greenwich sehen lassen, ob er sich nun besser fühlt oder nicht. Es ist ein kleiner Hof, immer noch in Schwarz, an dem Master Johan, der Akrobat, ein Lächeln auf die Gesichter zu bringen versucht. Statt Musik und Tanz gibt es Theaterstücke, die erdacht und entwickelt wurden, das Interesse des Königs zu erregen: Maskenspiele mit Fantasieschlössern und Prinzessinnen darin. Der Blick des Königs folgt der jungen Mistress Margaret Skipwith, einer munteren Hofdame, der Tochter eines Gentlemans. »Er würde doch noch nicht, oder?«, fragt der Lordkanzler. »Damit bekäme Lady Mary eine Stiefmutter, die jünger als sie selbst ist. Anne Bassett bietet einen angenehmen Anblick. Lady Lisles Mädchen.«

»Sie ist französisch erzogen«, sagt er. »Wie Anne Boleyn.«

Audley legt die Stirn in Falten. »Aber sie scheint ein fügsames Kind, und ich habe gesehen, wie er sie ansieht, und ihr Englisch ist gut genug.«

»Schreiben kann sie nicht auf Englisch«, sagt er. »Auf Französisch auch kaum.«

»Was?« Audley starrt ihn an. »Sie lesen ihre Briefe? Von der kleinen Anne Bassett?«

Natürlich tut er das. Er muss alles wissen, was nach Calais geht oder Calais verlässt. Um ungeschützte Informationen zu bekommen, erträgt er Berichte darüber, welche Knöpfe und Borten Mistress Bassett gerne möchte und was für Glücksringe und Bänder Lady Lisle schickt.

Er sagt: »Der König wird mit einer Sechzehnjährigen nicht glücklich sein, was immer er denkt. Er braucht eine Frau von kompetentem Alter, die sich ohne Umschweife an die Fortpflanzung macht und weiß, wie er in der Zwischenzeit zu unterhalten ist.«

Er wendet seine Aufmerksamkeit wieder dem Spiel zu. In diesem Jahr haben der Marquis von Exeter und Charles Brandon ihre Schauspieler geschickt. Es gibt eine Truppe junger Männer aus Eton und seine eigenen Leute, Lord Cromwells Truppe. Manchmal sprechen Stolz und Torheit, als wären sie Personen: Bescheidenheit und Guter Rat antworten ihnen in Versform.

Die einfachen Leute, die sich in Höfen von Gasthäusern und in Scheunen treffen, haben ihre eigenen Stücke. Es gibt kein Dorf, das nicht mit einem König Arthur auf einem Holzpferd auftrumpft oder mit Robin Hood. Robin Hood im Laubwald stand, / Ein guter Mann war er. Er trägt Kleider in der Farbe der Bäume und stiehlt sich wie ein Kobold durch Täler und Wälder. Er nimmt sich eine Marion zur Frau. Unter dem grünen Laubdach geloben sie einander Treue. Robin Hood legt Mönchen Hinterhalte, die vom gewohnten Weg abweichen, erkennt sie am Geruch billigen Weines und liederlicher Frauen, der ihnen durch die laue Luft vorausweht. Ihre Taschen sind voller Geld, das sie den armen Leuten abpressen, indem sie so tun, als würden ihnen so ihre Sünden vergeben.

Robin Hood singt Balladen über seine Taten, während er sie vollbringt. Hundertmal entkommt er Schlinge und Schwert. Am Ende wird er verraten und von einer falschen Äbtissin getötet. Er verblutet, sein Blut rinnt in die Erde, Rot in Grün, und ein neuer Robin schnellt aus dem Boden, trägt seine Jacke und einen Köcher mit Pfeilen auf dem Rücken.

Der Mann, der Robins Rolle spielt, muss breite Schultern haben, er muss mit einem gewissen gebildeten Akzent sprechen und darf seine Zeilen nicht wie Arthur Cobbler vor sich hin nuscheln. Spielt ein Mann beherzt in seinem Heimatdorf, wird er auch ins nächste geholt: und weiter in die Stadt, wo er berühmt wird.

Es gibt noch andere Gesetzlose, deren Taten bewundert werden: Clym of the Clough, Adam Bell, Will Scarlet, Reynold Greenleaf und Little John. Alte Geschichten können neu geschrieben werden. Es ist gut, Leute hineinzunehmen, die der Sache des Königs verpflichtet sind. Neben den grünen Männern rekrutieren wir alte Ritter wie Sir Bevis of Hampton und Guy of Warwick: Sie durchqueren Feld und Wald auf intelligenten, mitunter sprechenden Pferden.

Alle diese Männer haben Gründe, ihr Zuhause zu verlassen. Manchmal werden sie hinausgeworfen, durch die Bosheit einer Stiefmutter oder Hexe, manchmal wird ihnen zu Unrecht ein Verbrechen unterstellt. Die Verleumdeten werden alles tun, um ihre Namen reinzuwaschen, die Betrogenen finden keine Ruhe, bis sie Rache geübt haben. Im Laufe ihrer Abenteuer kämpfen sie mit Riesen. Werden an Piraten verkauft. Werden eingesperrt und sprengen die Türschlösser. Sie verstecken sich in den Höhlen von Einsiedlern. Führen Armeen gegen Rom. Manchmal verlieren sie den Verstand – kein Wunder. Sie bekommen das Mädchen und verlieren es wieder – oder die Erwählte verwandelt sich, bevor es zur Erfüllung kommt, in ein Tier, oder sie zerfällt zu Asche.

In den Geschichten werden die Ungleichheiten ausgeglichen. Der Teufel schlägt unseren Helden nieder, doch der steht wieder auf. Der Ausgestoßene erhält seine Rechte zurück. Der jüngste Bruder, den alle einen Simpel nennen, wird der Reichste von allen. Der mit Schleimbrei großgezogene Leibeigene labt sich am süßen Fleisch eines Rehs, und der Schweinehirt lässt seine Hütte zurück und baut sich einen Kristallpalast.

Er lässt John Bale zu sich rufen, einen Karmeliter, so beredt wie verbittert, der seine Kutte abgelegt und eine Frau geheiratet hat. Könnten Sie, fragt er ihn, ein Stück über den schändlichen Erzbischof Becket schreiben, der seinem König getrotzt hat? Und sein trauriges Ende? Wie ihm von drei starken königstreuen Rittern wie einem Ochsen der Kopf eingeschlagen wurde?

»Ein Stück auf Englisch?«

»Latein hilft uns hier nicht viel.«

Bale bittet um Bedenkzeit. Am Hof treten Königin Janes Schauspieler zum letzten Mal auf, bevor ihre Truppe zerfällt.

Zu Lichtmess beendet der Hof seine Trauer, und die Rede geht von einer kaiserlichen Braut: Christina, Herzogin von Mailand. »Eine sehr hübsche kleine Witwe«, hat Chapuys gesagt: wurde mit zwölf Jahren mit Francesco Sforza verheiratet, verwitwete mit sechzehn und ist, so denkt man, noch Jungfrau.

Christinas Vater war einmal der König von Dänemark, wurde aber vor Jahren entthront. Gegenwärtig hat Dänemark einen lutherischen König, der die Bibel hat übersetzen lassen und bereits Verbindungen zu deutschen Fürsten aufgenommen hat. Der Kaiser hat vor, ihn zu stürzen und vielleicht durch Christina zu ersetzen. Wenn England auch den Verlust eines Verbündeten gegen den Papst beklagte, könnte es, durch Christina, nicht nur Dänemark, sondern auch Schweden und Norwegen gewinnen, jene weiten Schnee- und Eisfelder mit ihren Häfen und großen, schimmernden Fischschwärmen: ihren Gewässern, in denen sich tausend Wale an Kabeljau gütlich tun und noch tausend Freunde mitbringen könnten, und es gäbe dennoch dort morgen mehr Fisch als gestern. Und die Wälder, von denen wir hören, erstrecken sich in sanften Linien unter kahlen Bergen, mit viel Holz für den Schiffsbau.

Im Übrigen, sagen sie, hat sie das entzückendste Wesen und könnte zu ihm passen.

»Ich würde das Entzückende betonen«, sagt Fitzwilliam. »Der Rest ist reine Mutmaßung.« Er drückt sich die Nasenwurzel mit zwei Fingern. »Sie könnten das Terrain sondieren, Crumb.«

Manchmal hält der König mit einer Figur in der Hand beim Schachspiel inne, während er im Kopf einige vorgestellte Züge durchspielt, die er tatsächlich niemals probieren würde. Als Schwarz gegenüber seinem Weiß muss man einfach abwarten. Henry scheut das Risiko mehr, als er vorgibt. Nach langer Überlegung ist ein kurzer Zug mit dem Läufer alles, was er sich gestattet, oder der erlaubte Doppelschritt mit einem Bauern.

Jetzt sind die Verhandler des Königs bereit, die Kirchenrechtler und Linguisten, die Theologen und Buchhalter. In einem Dutzend Städte Frankreichs und der Niederlande, Europa von Lissabon bis Düsseldorf durchstreifend, treffen sie mit ihren Kollegen zusammen, ernsten, erfahrenen Männern, deren dunkle Kleidung allein von einer einzigen schweren Goldkette aufgehellt wird: Männern mit ihren eigenen Schreibern, Buchhaltern und Folianten, mit Landkarten und Privilegien, Ahnentafeln und Ranglisten. Wenn die Verhandlungen stocken, kann die Mannschaft durch Emissäre von zu Hause verstärkt werden, mit Nachrichten zur guten Gesundheit des Königs und seiner hoffnungsvollen Stimmung, um welche Verbindung es auch gehen mag.

Er, der Minister, muss an allen Fronten präsent sein, von Brett zu Brett eilen und sechs Königinnen auf einmal verschieben. Innerhalb von Stunden mag ein Spiel danebengehen. Man treibt die Verabredungen bis zu einem gewissen Punkt voran, nur um durch den Coup einer fremden Regierung an den Anfang zurückgeworfen zu werden. Oder die Frau stirbt, während du gerade die finanziellen Abmachungen unterschreibst. Manchmal sagt ein zurückgekehrter Gesandter: »Gehen Sie selbst, Lord Cromwell, Sie würden das alles beschleunigen.« Aber er stemmt sich dagegen. Sein Auftauchen in einer ausländischen Stadt würde Erstaunen und Verwirrung hervorrufen und zu übergroßen Erwartungen führen, was den zugehörigen Verhandlungen auf Kosten anderer zu viel Gewicht verliehe.

Februar: Der König schickt Philip Hoby nach Frankreich. Hoby ist ein Gentleman aus Henrys direktem Gefolge: ein Prediger, gut aussehend, eifrig und von ihm selbst, dem Lordsiegelbewahrer, bestens eingestellt. Der König denkt, er hat eine Chance bei Madame de Longueville, obwohl der schottische König behauptet, sie seien verlobt. Wobei es nicht schaden kann, sich auch ihre Schwester Louise anzusehen. Und es gibt sogar noch eine Schwester, Renée, die ins Kloster gehen soll. Vielleicht kann man sie mit der Aussicht, Königin von England zu werden, von ihrem Rosenkranz weglocken?

Und wenn Hoby schon in Übersee ist, könnte er auch die Tochter des Herzogs von Lothringen besuchen. Keine Sorge, erklärt er seinen Leuten, ihr müsst euch nicht an alle erinnern: erst, wenn der König sich eine aussucht und ihr Schicksal verändert. Sie sind alle irgendwie miteinander verwandt, der Großteil Papistinnen, und meist heißen sie Maria oder Anna.

Herzogin Christina ist am Hof in Brüssel und lebt mit der Regentin der Niederlande. Die Regentin ist die Schwester des Kaisers und Christinas Tante. Anfang März beauftragt er Hans, mit Hoby hinzureisen und sie zu malen. Am zwölften März wird Hans eine dreistündige Sitzung bewilligt.

»Ich denke«, sagt Henry, als er die Zeichnung sieht, »dass wir heute Abend ein wenig Musik haben sollten.«

Christina hält sich aufrecht, ist groß und hat einen klaren Blick, und wenn das Bild fertig ist, werden Sie sehen, dass sie so jung ist, sagt Hans, dass es scheint, sie trägt Tau auf sich. Sie ist ernst, sie ist ausgeglichen, aber da ist auch der Anflug eines Lächelns. Du stellst dir vor, sie könnte die Handschuhe ausziehen und ihre warme Hand auf deine legen. Unser Gesandter Hutton sagt, sie ist so gesund, wie sie aussieht, und spricht neben Latein noch drei weitere Sprachen. Sie spricht sie alle leise, mit sanfter Stimme und einem kleinen Lispeln.

Der König will sie bereits, sagen ihm die Kammerherren. Gestern Abend hat er von ihr gesprochen und gleich heute Morgen wieder. Er sagt, wir sollen bei unseren Gebeten an sie denken, als wäre sie schon unsere Königin.

Aber dann sagt er: »Madame de Longueville hat rotes Haar wie meine Plantagenets. Das gäbe mir das Gefühl, sie zu kennen – als gehörte sie zur Familie. Und sie hat einen erprobten Leib.« Er sieht Christinas Zeichnung wieder an. »Nein, ich weiß nicht, welche Lady ich lieben soll.«

»Jene Christina gleicht meiner Nichte Mary Shelton«, sagt Norfolk.

»Ich glaube, er hat genug von Ihren Nichten«, sagt Charles Brandon.

Aber Shelton ist noch frei. Henry hat sie immer gemocht. Er könnte sie sofort heiraten. Thomas Boleyn hat sich am Hof angekündigt, vielleicht um der Sache Nachdruck zu verleihen. Sie sind sich sehr nahe, diese Familien, sehr gierig. Boleyn ist trotz allem immer noch Earl of Wiltshire. Er ist grau und abgehärmt, mit weniger Fleisch auf den Knochen, als es die Ärzte gern sähen. Er trägt sein Ordensabzeichen und eine Goldkette, aber beides auf der dezenten Kleidung eines privaten Gentleman, und weder er noch jemand aus seinem kleinen Gefolge legt sich mit den Bediensteten der Seymours an. Er spricht in einem leisen, vertraulichen Ton mit dem Mylord Lordsiegelbewahrer, als wären sie alte Freunde. »Was für Zeiten haben wir erlebt, Lord Cromwell«, sagt er, »wenn ich mir überlege, was über England hereingebrochen ist, seit meine verstorbene Tochter ins Spiel kam – da sind in einer Woche Dinge geschehen, die Chronisten in normalen Zeiten zehn Jahre beschäftigt halten würden.«

Um keine Zeit zu verschwenden, beschließt er, Lord Cromwell, die Sache voranzutreiben: »Majestät, denken Sie an Mistress Shelton?«

Henry lächelt. »Vielleicht ist es an der Zeit, dass sie heiratet. Wenn auch nicht unbedingt mich.«

Er geht sich verbeugend hinaus. Der König ist nicht in der Stimmung, etwas zu bestätigen oder zu verneinen. Er denkt, Harry Norris selbst hatte eine Tochter, oder nicht? Sie muss jetzt in dem Alter sein, an den Hof zu kommen. Es nützt nichts, ihr zu sagen, bleibe weg: Bleibe auf dem Land, versuche, heil zu bleiben. Bräute tollen wie dumme Schafe zur Schlachtbank, wie Märtyrer in die Arena, wenn sie den Löwen brüllen hören.

Der neue französische Botschafter Castillon stellt sich vor. Er ist einer von den famosen Burschen, die ihre Ehrbarkeit demonstrativ vor sich hertragen und einem immer die offenen Hände zuwenden.

Er mustert ihn von oben bis unten. »Monsieur, ich glaube, Ihr Abkommen mit dem Kaiser ist nur ein winterlicher Waffenstillstand?«

Monsieur Castillon seufzt. »Wir müssen versuchen, einen dauerhaften Frieden zu schaffen, sobald die Chance sich bietet. Mein Master möchte der Welt zeigen, dass er ein christlicher König ist.«

»Meiner auch«, sagt er. »Aber ich wünschte, François würde unserer Heirat mit einer Französin etwas mehr Wärme zuteilwerden lassen.«

Castillon sieht ihn forschend an. »Sie sind nicht dagegen? Sie persönlich?«

»Ich möchte nur den König glücklich machen.«

Castillon sagt: »Ihr König muss sehr klar mit dem sein, was er anbietet.«

»Sie können mit mir reden. Ich bin für das Geld zuständig.«

»Aber ich spreche von einem Pakt, einer Militärallianz …«

»Fragen Sie Norfolk. Er hat die Soldaten unter sich.«

»Norferk ist weit freundlicher zu uns als Sie.«

»Vielleicht liegt es daran, dass Sie ihm mehr zahlen, Botschafter.«

Wenn er mit den Franzosen zu tun hat, hätte er immer noch gern Wolseys Rat. Die Franzosen hatten eine entsetzliche Angst vor ihm. Sie nannten ihn le cardinal pacifique, in der Hoffnung, dass er sie nicht zermalmen würde.

Seit dem neuen Jahr gehen im reichen und fruchtbaren County Kent Gerüchte vom Tod des Königs um, die zwischen den Stammgästen im Checkers in Canterbury ausgetauscht und von Fischverkäufern von Tür zu Tür getragen werden. Sie sagen, er sei an der Ruhr gestorben, einem Fieber, einem Husten, und wie schade es sei, dass er nicht schon vor sieben Jahren das Zeitliche gesegnet habe. Und sie sagen auch, es werde eine Steuer auf jedes gehörnte Tier erhoben werden, zusätzlich zu einer Kopfsteuer für ihre Besitzer, und beide würden hoch ausfallen, um Thomas Cromwell reich zu machen und ehrbare Bauern in die Knie zu zwingen.

Jeder, der solch ein Gerücht verbreitet, kann damit rechnen, am Markttag mit dem Ohr an den Pranger genagelt zu werden. Aber der Ursprung solcher Lügen ist selten auszumachen. Ebenso wenig hat er herausgefunden, von wem das Wachsbaby stammt. Mr Wriothesley ist allen möglichen Namen nachgegangen, aber immer nur vor verfallenen, leeren Häusern oder bei Männern gelandet, die einen solchen Gewittersturm an Unsinn hören lassen, wenn sie befragt werden, dass du aus ihren Werkstätten flüchtest, weil dir der Kopf von ihrem Geschwätz und den Quecksilberdämpfen schmerzt. Die Londoner Hexenmeister hegen einen Groll gegen Lord Cromwell – kein Wunder. Er beobachtet sie seit dem Tod des Kardinals. Er hat ihre Destillierkolben und Retorten konfisziert, ihre Schlangenhäute und geheimen Gläser mit Homunkuli, ihre Kugeln, Gewänder und Zauberstäbe. Er hat ihre Clavicula Salomonis zum Anrufen der Toten beschlagnahmt und ihre in Spiegelschrift verfassten Texte gelesen. Seinen Codebrechern hat er ihre Almanache in unbekannten Sprachen gegeben. Jeder, der mag, soll seine Truhen mit ihren Tarnmänteln inspizieren: die er, wie sie behaupten, jetzt für seine eigenen Zwecke benutzt.

Im Norden ist es zum Ende des Winters still. Doch dann kommt aus York der Bericht über eine gewisse Mabel Brigge, die versucht, Henry den Tod an den Leib zu zaubern. Sie ist eine Witwe, zweiunddreißig Jahre alt und so robust, dass ihre Nachbarn sie jedes Jahr zur Fastenzeit dafür bezahlen, für sie mit zu fasten. Gegen ein Entgelt fastet sie für gottgefällige Dinge wie die Gesundung eines kranken Kindes, aber auch für finstere Zwecke: so jetzt gegen den König und den Herzog von Norfolk. Jede Stunde, die Brigge nichts isst, werden auch der König und der Herzog weiter dahinschwinden.

»Sie fastet nicht gegen mich?«, fragt der Lordsiegelbewahrer. Er ist überrascht.

Aber seine Informanten sagen: »Sie hat den Herzog von Angesicht zu Angesicht gesehen. Deshalb denkt sie, sie kennt ihn. Sie sagt, er hat den Norden verdorben.«

Wenn der Herzog davon erfährt, wird er nach Norden eilen, um Brigge höchstpersönlich aufzuhängen. Der König hat ausreichend Fleisch am Leib, um jede Witwe den Fastentod sterben zu lassen, aber der Herzog hat kein Gramm zu viel auf den Knochen. Sie kennen meinen letzten Willen, schreibt Norfolk, den ich Ihnen in einer Schachtel gegeben habe? Schicken Sie ihn mir zurück, Crumb, ich muss ihn neu verfassen. Ich bin so knapp bei Kasse, ich werde Land verkaufen müssen, was mir schwerfällt. Um Himmels willen, überschreiben Sie mir ein paar Klöster.

Er, Lord Cromwell, hätte den Brief vor Wut fast zerrissen. Hat er dem Herzog nicht gerade das Kloster in Castle Acre überlassen? Kann dieses Untier denn nichts befriedigen?

Der Februar endet mit stürmischem Wetter, das den westlichen Pier in Dover zerstört. In fernen Landen bereiten sie sich auf einen Krieg vor: Die Venezianer und der Kaiser sollen mit lauter Unterstützung des Papstes gegen die Türken ziehen. Aber mit dem Duft des Frühlings in der englischen Luft fühlt er, Lord Cromwell, sich wieder mehr wie er selbst. Im Rat ist er der ruhende Pol, wobei der König auch weiter sprunghaft und eigenwillig bleibt. Henry sagt: »Ich bin für alles offen«, und du kannst sehen, wie er eiligst seine Meinungen abschottet und in Sicherheit bringt, als müsste er sie gegen Diebe verteidigen. Er sagt: »Scheuen Sie sich nicht, frei heraus alles zu sagen«, und du merkst, wie er dir bereits die Rechnung dafür schreibt. Gregory sagt: »Schließlich ist er der König, und er denkt nicht so wie wir. Er weiß nicht, was wir wissen, und ich hätte Angst, mit ihm so zu streiten wie Sie, Vater, Angst, dass Gott mich zermalmt.«

Ich sage das alles, entgegnet er, damit er mir widerspricht: um ihn dazu zu bringen, dass er sagt, was er denkt und was er will. Seit sieben Jahren stehe ich nun neben ihm, während er den Kurs vorgibt. Ich habe ihn ohne den Kardinal, den Kapitän seines Schiffes, in flachem Wasser vorgefunden, guten Rates beraubt, geplagt von zwischenzeitlichen Lüsten, enttäuscht von seinen Ratgebern, gelähmt von seinen eigenen Gesetzen. Ich habe ihm seine Kasse gefüllt, seine Münze gesundet, habe ihn von seiner alten Frau befreit und ihm eine neue seiner Wahl verschafft: und ihn währenddessen beruhigt und mit Scherzen aufgeheitert. Wenn ich wie eine Prinzessin im Märchen ein Kind aus Stroh hätte spinnen können, hätte ich ein Jahr lang nachts durchgearbeitet. Aber jetzt hat er seinen Prinzen. Er hat für ihn gezahlt, aber Glück kommt niemals umsonst. Es ist an der Zeit, dass er das begreift. Es ist an der Zeit, dass er erwachsen wird.

Im Übrigen gibt es Grund zu guter Laune. Selbst wenn der König den Wunsch äußert, allein zu sein, ruft er nach Cromwell, um über einen Text zu debattieren oder einfach für ein Würfelspiel. Ihm sind nur jene Räte unwillkommen, die sich gebärden wie auf einer Treibjagd oder mit einem einsamen, trauernden Mann reden, als säßen sie zu Pferde vor einer Truppe Soldaten. Er braucht leise Stimmen und offene Ohren: Wenn er erzählt, wie ihn die Frauen haben leiden lassen, braucht er niemanden, der ihn ungläubig anstarrt.

Wenn du dich fragst, ob Lord Cromwell Erfolg hat, sieh nur, wie er und seine Leute befördert werden. Mr Richard wird das Besitzrecht an Klöstern im County Huntingdon übertragen. Er hat vor, sich in der Abtei Hinchinbrooke niederzulassen, nach den nötigen Renovierungsarbeiten natürlich, und im County als ein Fanal der Königstreue zu wirken. Gleiches trifft auf Mr Gregory in East Sussex zu.

Zum großen Kloster in Lewes gehört eine schöne Anzahl Häuser und reicher Grundbesitz. Gregory wird als Friedensrichter vereidigt werden und alle Hilfe und allen Rat bekommen, den er braucht, während er sich in seine Rolle als einer der wichtigen Gentlemen der Region einfindet. Das Ziel ist, dass er den König im Sommer beherbergen kann, bei den Bauarbeiten ist also keine Zeit zu verschwenden. Giovanni Portinari sammelt seine Abrissmannschaft, bereit, die Kirche zu sprengen. Er, Lord Cromwell, stellt sich vor, wie die Apfelblüten von ihren Ästen fliegen und die Tauben aus ihren Schlägen flüchten. Steinerne Teufels- und Engelsköpfe werden wie Kanonenkugeln in die Luft gefeuert werden, ihre Bruchstücke die Erde bedecken. Das Metall der Glocke allein sollte siebenhundert Pfund einbringen.

Im März wird sein Enkel Henry geboren und im alten Taufbecken in Mortlake getauft. Nun, Master Gregory, sagt der König, sie sind ja mit großer Schnelligkeit Vater geworden! Das Kind ist gesund, die Mutter bester Dinge, und Lady Mary ist die Patin. Sie kommt nicht selbst nach Mortlake, aber schickt einen goldenen Kelch und Geschenke für Hebamme und Schwestern.

Lady Bryan kümmert sich bestens um unseren Prinzen. Er ist so fest in seine goldenen Tücher gewickelt, dass kein Nagel und keine Nadel zu seinen Rippen vordringen können. Wenn Edward der König von England ist, hoffen wir, dass Henry Cromwell an seiner Seite ist, sein direkter Cousin.

Im März ist der Kaiser bereit, Gespräche über Christina zu eröffnen. Die beiden kaiserlichen Gesandten, Chapuys und Mendoza, werden nach Hampton Court eingeladen, über Nacht, als Ehrengäste. Sie besuchen den Prinzen und machen Lady Mary und Lady Elizabeth ihre Aufwartung. Lady Mary spielt auf ihrer Laute, doch als sie um ein persönliches Gespräch gebeten wird, lehnt sie höflich ab. Eliza sagt einen hübschen lateinischen Vers auf, den sie mit der von ihm ernannten Cat Champernowne eingeübt hat.

Am nächsten Tag sendet ihm Chapuys ein Geschenk. Zweihundert süße Orangen. Er schickt die Hälfte nach Sussex zu seinem Sohn und Enkel und verteilt den Rest in Whitehall. Der Bischof von Tarbes, gerade angekommen, trifft ihn in einer Luft an, die von ihrem Duft durchdrungen ist.

»Tun Sie nicht so, als freuten Sie sich, mich zu sehen, Cremuel«, sagt der Bischof. »Ich weiß, die Kaiserlichen machen Ihnen große Angebote …«

»Sie schenken mir Orangen«, sagt er.

»Wie ich höre, sind Sie sehr viel reicher jetzt, weil Sie Klöster und Mönche plündern – Sie, Ihr Sohn und Ihr Neffe, Mr Richard. Sie schreiben Gesetze, die den Räubern dienen.«

Botschafter Castillon legt seinem Begleiter beruhigend eine Hand auf den Arm und dreht sich, froh über die Ablenkung, auf dem Absatz um. »Milord Norferk!«

Norfolk nickt zur Tür zum Privatgemach des Königs hinüber. »Ist er da drin, Cromwell? Nehmen Sie mich mit hinein.«

Er sagt zu den Franzosen: »Mylord ist dieser Tage wie ein armes Findelkind, das ständig bittet und bettelt: Nehmen Sie mich mit, nehmen Sie mich mit

Norfolk fährt auf, als hätte ihn jemand mit einer Ahle gestochen. »Macht Ihnen das Spaß, Cromwell? Verstellen Sie mir den Weg, damit mir die Galle ins Blut läuft?«

»Das schaffen Sie auch so«, sagt er kühl.

»Wer sind Sie, um zu einer königlichen Gattin zu raten? Sie sind nichts als ein alter Witwer, der keine Frau findet, weil er denkt, dass er eine Prinzessin verdient, und es darunter nicht machen will.«

Er sieht aus dem Augenwinkel, wie die beiden Franzosen Blicke tauschen, und sagt zum Herzog: »Soll der König in Heiratsdingen besser von einem, der seine Frau verprügelt, beraten werden?«

Schweiß rinnt von Norfolks gefurchter Stirn. So weit ist es gekommen, trotz aller Freundschaft, die sie sich im letzten Herbst geschworen haben – hier stehen sie, vor den Gemächern des Königs, und werfen sich Beleidigungen an den Kopf.

»Platz da, Platz da!«, rufen die Saaldiener. Von seiner Wache umgeben, kommt Henry vorbei. Er sieht Norfolk an. Der Herzog sinkt auf ein Knie. Der König ignoriert ihn. »Messieurs, Mylord Cromwell – kommen Sie herein.«

Sie beginnen durchaus gut. Castillon deutet an, dass er eine Überraschung hat. »Einen Vorschlag zu Lady Mary, der, wie ich denke, sehr befriedigend für Ihre Majestät sein wird.«

»Ich bin ganz Ohr«, sagt Henry. »Lord Cromwell ebenfalls.«

»Majestät«, sagt Castillon, »unser Kronprinz ist bereits verheiratet, aber könnte Lady Mary nicht den zweiten Sohn meines Masters ehelichen?«

Der König stöhnt. »So weit waren wir schon, Cromwell. Sagen Sie ihm das.«

Er sagt: »Ihr Master wollte eine Garantie, dass Lady Mary die Thronfolgerin ist.«

Castillon verbeugt sich. »Jetzt haben Sie natürlich einen Sohn und Nachfolger. Aber Lady Marys Tugenden sind in der gesamten christlichen Welt bekannt, und mein Master sieht sie genau. Was könnte angenehmer sein als eine Doppelhochzeit? Dem König wird es eine Ehre sein, Ihnen jede französische Lady zu geben, die Sie wünschen.«

Der König sagt: »Nicht mal ausgenommen seine Tochter Marguerite?«

Darauf ist der Botschafter vorbereitet. »Mit ein oder zwei Jahren Wartezeit, bis sie sechzehn ist, vielleicht …«

»Ich bin sechsundvierzig«, sagt Henry. »Ich suche keine Gesellschafterin für meine alten Tage. Wenn ich heirate, dann jetzt. Madame de Longueville würde mir passen. Sie kann doch nicht wirklich den schottischen König heiraten wollen. So einen törichten, bettelarmen Schurken …«

Castillon ist bestürzt. »James wird Madame de Longueville noch vor dem Sommer heiraten. Das Versprechen ist verbindlich.«

»Aber auch aus freien Stücken gemacht?«, fragt Henry. »Herzen sollten frei wählen. Milord Cremuel wird es Ihnen bestätigen. Er ist ein großer Verfechter von Liebesheiraten.«

Tarbes sagt: »Versuchen Sie es zu verstehen. Mein König betrachtet James von Schottland wie einen eigenen Sohn. Er wird das Versprechen nicht brechen, das unsere beiden Länder in ihrer alten Freundschaft aneinanderbindet.«

Castillon drängt: »Warum ziehen Sie nicht die Herzogin von Vendôme in Betracht?«

Er wartet nicht auf den König, sondern antwortet für ihn: »Der schottische König hat sie gesehen und mochte sie nicht. Warum sollten wir?«

Der König sagt tröstend: »Ich möchte keine Lady, die ich nicht gesehen habe. Das Ganze berührt mich zu sehr.« Der König hebt einen Finger und legt ihn genau unter das Schlüsselbein, auf das weiße Leinen, das aus dem Butterblumengelb seiner Jacke hervorragt. »Vielleicht könnte sie mit einigen anderen Ladies zusammen nach Calais kommen? Dann würde ich hinüberfahren und ein oder zwei Stunden mit jeder sprechen.«

»Was?« Castillon kann nicht länger an sich halten. »Denken Sie, das ist ein Pferdemarkt? Sie wollen, dass wir sie Ihnen wie Füllen vorführen, die vornehmsten Damen Frankreichs? Vielleicht will Ihre Majestät sie auch besteigen, bevor Sie Ihre Wahl treffen?«

Er sagt ganz ernst: »Wir würden uns um sie kümmern und sie jungfräulich zurückschicken, ich schwöre es. So, wie sie gekommen sind.«

 »Entschuldigung«, sagt Tarbes knapp. Rot im Gesicht treten die Botschafter zur Seite, murmeln etwas. Jetzt wünscht er sich doch, dass Norfolk mit hereingekommen wäre, um dieses Theater mit anzusehen.

Die Botschafter wenden sich wieder ihnen zu. »Nein«, sagt Tarbes. »Kein Treffen.«

»Wie schade«, sagt er, »da der König und ich auf jeden Fall nach Calais fahren. Wir werden von dort auf das Territorium des Kaisers hinüberwechseln, um uns mit der Herzogin von Mailand und ihren Beratern zu treffen. Wir wollen Lady Mary mitnehmen – und auch Lady Eliza, wenn ihre Hüterinnen nichts dagegen einzuwenden haben.«

Er spürt, wie sich Henrys Blick auf ihn legt: haben wir, werden wir?

»Dann wünsche ich Ihnen viel Glück mit der Herzogin von Mailand«, sagt Castillon. »Wie ich höre, ist sie voller Angst vor dem, was sie erwartet, und bettelt den Kaiser an, sie überallhin zu verheiraten, nur nicht nach England. Hat sich Ihre Majestät schon überlegt, dass es schwierig sein mag, überhaupt eine Lady für Sie zu finden?«

»Warum?«, fragt der König.

»Weil Sie Ihre Frauen umbringen.«

»Nehmen Sie das zurück«, sagt er. Er steht, genau wie die Botschafter. Er denkt, ihr mögt zu zweit sein, aber ich töte Riesen.

Castillon wendet sich Henry zu. Seine Stimme zittert. »Sie sagen, Ihre erste Frau ist eines natürlichen Todes gestorben, aber viele glauben, dass Sie sie vergiftet haben. Ihre zweite Verbindung wurde weitgehend missbilligt, aber niemand dachte, dass sie von Ihnen mit einer Enthauptung beendet würde. Und jetzt heißt es, selbst von Cremuel, tatsächlich besonders von ihm, dass Ihre dritte Frau vernachlässigt im Kindbett gestorben ist.«

Er sagt: »Das hätte ich nie sagen sollen.«

»Nein, das hätten Sie nicht«, sagt Henry milde. »Meine lieben Botschafter, Sie können nicht wissen – Sie kennen unseren Hof und unsere Gepflogenheiten nicht –, wie sehr sich Cremuel für meine Ehe mit Jane eingesetzt hat. Das ganze Königreich hat Grund, ihm dafür dankbar zu sein. Cremuels Sohn ist zudem mit der Schwester der Königin verheiratet. Er fühlte für sie wie für sein eigenes Blut. Nach ihrem Tod haben ihn sein Schock und seine Trauer veranlasst, voreilig zu sprechen. Niemand wurde vernachlässigt. Wie hätte das möglich sein sollen?«

»Wir stehen auf dem …«, beginnt Tarbes.

»Sie stehen auf dem Boot zurück nach Frankreich«, sagt er, »es sei denn, wir hören sofort eine demütige Entschuldigung.«

Henry hebt eine Hand. »Friede. Die Botschafter haben einiges Recht auf ihrer Seite. Ich bin vom Unglück verfolgt.« Er neigt den Kopf und sieht unter seinen Brauen her. »Aber es mangelt mir nicht an Angeboten.«

Er sagt: »Seien Sie versichert, Gentlemen, wir sind an einem Punkt angelangt, mit der Herzogin von Mailand …«

»An einem Punkt?« Castillon ist außer sich. »Cremuel, warum packen Sie nicht Ihre Taschen und präsentieren sich dem Kaiser als sein wahrer, eigentlicher Diener? Sie dienen ihm besser als dem König von England.«

Henry sagt trocken: »Ich bin zufrieden.«

Er sagt: »Wenn mein König Christina nicht nimmt, heiratet er in Portugal ein. Und Lady Mary vermählt sich mit Prinz Dom Luís. Was könnte angenehmer sein als eine Doppelhochzeit?«

Es ist schwer zu sagen, ob die Botschafter entlassen werden oder sich selbst entlassen. Aber auf der Schwelle bleibt Castillon noch einmal stehen und sagt trotzig: »Mein Master und der Kaiser wollen ihren Waffenstillstand bis zum Mittsommer ausdehnen. Mary wird ihre Chance verlieren. Dom Luís wird die Tochter meines Masters heiraten – die ihn, ich sage es Ihnen, entzücken wird.«

Sie sind weg. Die Tür schließt sich hinter ihnen. Der König sagt: »Die beiden sollten aufhören zu versuchen, mich zu erschrecken. Ich bin seit fast dreißig Jahren König, und sie sollten wissen, dass es zu nichts Gutem führt.«

Sie haben Französisch gesprochen und tun es auch weiter, während sich die Schritte draußen entfernen.

»Nun, Cremuel«, sagt Henry, »ich hoffe, Sie laufen nicht zu Karl, sondern bleiben.«

Henrys Blick ruht auf seinem Porträt, seiner wuchtigen Gestalt auf der Wand. Seine, Cromwells, Augen wandern ebenfalls auf das Bild seines Masters. »Was sollte ich beim Kaiser, und wenn er der Kaiser der Welt wäre? Ihre Majestät ist der einzige Fürst. Der Spiegel und das Licht anderer Könige.«

Henry wiederholt den Ausdruck, als gefiele er ihm: der Spiegel und das Licht. Er sagt: »Wissen Sie, Crumb, ich mag Sie von Zeit zu Zeit rügen. Ich mag sie herabsetzen. Vielleicht sogar grob werden.«

Er verbeugt sich.

»Es ist nur vorgetäuscht«, sagt Henry. »Damit man denkt, wir sind uns uneins. Verstehen Sie es richtig. Was immer Sie hören, zu Hause oder im Ausland, ich setze mein Vertrauen in Sie.« Er lächelt. »Wenn man Französisch spricht, stellt man fest, dass man Cremuel sagt. Dem ist schwer zu widerstehen.«

»Und Norferk«, sagt er. »Und Guillaume Fitzguillaume.«

Die tote Königin zwinkert ihm zu, hinter ihren zerbrochenen Spiegeln hervor.

Hast du je vom heiligen Derfel gehört? Es ist keine Schande, wenn nicht. Er wird »der Starke« oder »der Tapfere« genannt und war einer von Arthurs Rittern. Er hat in Wales viele Kirchen gebaut, zog sich schließlich in ein Kloster zurück und starb in seinem Bett.

In einer Kirche der Diözese St. Asaph steht sein Abbild, ein Riese aus bemaltem Holz, rittlings auf einem mächtigen Hirsch. Derfel ist aus Einzelteilen zusammengesetzt, mit beweglichen Augen. Die Waliser glauben, er vermag Seelen aus der Hölle zu holen, und an seinem Festtag im April kommen sie, fünfhundert Mann, mit Vieh, Pferden, Frauen und Kindern, die gesegnet werden sollen. Für die Priester ist das eine erstklassige Gelegenheit, Geld zu machen.

Hugh Latimer hat vorgeschlagen, in St. Paul’s, Tyburn oder Smithfield Statuen zu verbrennen. Aber Derfel ist ein besonderer Fall. Die Legende besagt, wenn du ihn ansteckst, wird ein Wald niederbrennen. Aus Sicherheitsgründen könnte man ihn einfach zerhacken, aber nicht vor den heimischen Leuten.

Er schickt seinen Mann, Elis Price, der sich darum kümmern soll. Elis entstammt einer walisischen Adelsfamilie. Zu Zeiten des Kardinals hat er, Lord Cromwell, mit seinem Vater zusammengearbeitet. Bringen Sie mir nur Derfel, hat er gesagt, lassen Sie den Hirsch, wo er ist.

Die Klöster fallen schnell in diesem Frühjahr. Beaulieu. Battle. Robertsbridge. Woburn und Chertsey. Lenton, wo der Prior wegen Hochverrat hingerichtet wird. Die Mönche präsentieren sich, als hätten sie wie Bettler gelebt, in zerschlissenen, geflickten Kleidern und ohne Feuerholz- oder Essensvorräte. Natürlich haben sie das Feuerholz verkauft, haben das Getreide verkauft, und wenn du ihnen nicht schnell genau auf die Finger siehst, versetzen oder vergraben sie all ihre Reichtümer.

Einzelne aufgespürte Objekte werden ihm geschickt: Siegel mit den Gesichtern von Äbtissinnen und bärtigen Landbesitzern, ein Bischofsstab mit einem Elfenbeinkopf und dem Gesicht Christi, Kräuterbücher und Messbücher, lange gehortete Silbermünzen mit den Köpfen unbedeutender Könige. Er behält eine Karte der Welt für sich, auf deren vier Ecken Löwen prangen. Er behält sie als eine Erinnerung an die Welt, wie sie zu sein pflegte.

Sie bringen ihm Kompendien voller abergläubischer Geschichten, die Geisterbücher der Mönche. Nach dem Abendessen lesen sie in Austin Friars (wo er sich in diesem Frühjahr aufhält) laut daraus vor, und als die Nächte heller werden, können selbst die Ängstlichen damit umgehen. Was da steht, lässt ihn lachen: ein Geist in Form eines Heuschobers? Ein Geist, der einem armen Mann einen Sack Bohnen tragen hilft?

Im Allgemeinen dienen diese Geistergeschichten der Erpressung. Sie sollen das arme Volk so erschrecken, dass es für Gebete und Amulette zahlt, die es beschützen. Er liest von einem Mann, der auf einer Pilgerreise nach Spanien den halb ausgebildeten Leichnam seines Sohnes trifft, den die Mutter im sechsten Monat verloren hat. Der Pilger weiß nicht, dass es sein Kind ist, aber das Kind, ein talgfarbenes Objekt in einem Leichentuch, vermag zu sprechen und behauptet, dass er sein Vater sei.

Er rollt das Pergament zusammen und sagt, zerstört diese Geschichte. Und lasst uns dafür Dank sagen, dass wir wenigstens einen lebenden Prinzen haben.

Er denkt an Derfel und seine Macht. Warum solltest du die Verdammten aus der Hölle zurückholen wollen? Es gibt einen Grund, warum Gott sie dorthin gebracht hat, wo sie sind.

Ende April bitten die Ärzte des Königs um eine Unterredung mit bestimmten Räten: mit zwei Earls und ihm selbst, dem Lordsiegelbewahrer. Fitzwilliam sagt: »Geht es um das kranke Bein?«

»Die Wunde Seiner Majestät, des Königs«, korrigiert ihn Dr. Butts. »Wir versuchen sie offen zu halten. Aber sie will sich schließen.«

»Es ist die Natur«, erklärt Dr. Cromer. »Wir fürchten, dass wir auf eine Krise zusteuern. Tote Materie wird darin eingeschlossen.«

»Wozu raten Sie?«, fragt Edward Seymour.

Die Ärzte sehen sich an. »Wozu wir immer raten. Wir müssen sein Blut verdünnen. Leichte Kost. Verlängern Sie seinen Wein. Und nur sanfte Bewegung.«

»Das ist hoffnungslos«, sagt Fitz. »Die Jagdsaison beginnt.«

Der König plant seine Route. Essex, dann nach Norden bis Hunsdon, um den kleinen Prinzen zu sehen.

»Er muss sein Bein hoch lagern«, sagt Cromer. »Können Sie nicht mit ihm reden, Lord Cromwell? Sie verstehen sich dieser Tage sehr gut mit ihm, sagen alle.«

»Das sagen sie.« Klingt Fitzwilliam gereizt, oder ist das nur Einbildung?

Er sagt: »Es gab einmal einen Professor in Padua, der ein Rezept für ein langes Leben ausgearbeitet hat.«

»Ich nehme an, dazu gehörten keine Ausflüge nach Essex«, sagt Cromer.

»Man muss das Fleisch einer Viper essen, das nahrhaft und leicht ist. Und Blut trinken.«

»Tierblut?« Edward Seymour ist angewidert.

»Nein, Menschenblut. Und wenn Sie Ihren schäumenden Becher vor sich haben, müssen Sie es mit Edelsteinpulver bestreuen, so wie man Milch mit Muskat bestreut. Der Professor wurde nach Konstantinopel gerufen, wo …«

»Wo er hundertzwanzig Jahre alt und Sultan wurde?«, fragt Fitzwilliam.

»Traurigerweise nein. Eine seiner Behandlungen misslang, und die Ottomanen sägten ihn in zwei Stücke.«

»Der heilige Lukas beschütze uns!«, ruft Cromer.

Er denkt, ich muss auf Henrys Tod vorbereitet sein. Aber wie? Es ist nicht vorstellbar.

In Abwesenheit des Königs macht er sich an neue Pflichten. Im ganzen Reich werden unsere Schlösser und Burgen begutachtet und instand gesetzt. Der König reitet zehn Meilen, die Gedanken seines Ministers durchstreifen dreihundert. Befestigungen kosten Geld, und er muss es auftreiben.

Thomas Cranmer kommt zu ihm. »Zwei Dinge, Thomas.«

»Wie geht es Ihnen?«, fragt er. Der Erzbischof sieht aus, als hätte er Schmerzen hinter den Augen.

Cranmer legt seine Folianten ab: kein Geplauder. »Erstens: Mary Fitzroy. Ihr Mann Richmond ist jetzt ein Jahr tot, und es gibt noch keine Einigung. Der König sagt mir: ›Hören Sie, Mylord Erzbischof, Sie wissen doch, dass die Ehe nie vollzogen wurde? Damit waren sie und mein Sohn nicht wirklich verheiratet, und ich muss nicht zahlen.‹«

»Was haben Sie darauf geantwortet?«

»Ich sagte: ›Natürlich waren sie verheiratet – vor Gott und den Menschen. Sie müssen zahlen, was Sie ihr schuldig sind, und das schnell.‹ Daraufhin schmollte er.« Cranmer öffnet eines seiner Bücher. »Es heißt, als sein Vater älter wurde, hat er sich nur noch um Geld gesorgt. Henry entwickelt sich in die gleiche Richtung.«

Selbst der Kardinal hatte seine Illusionen, was Henry betraf. Wie es aussieht, ist Cranmer frei davon. Dennoch ist er bereit, sich um Henrys Gewissen zu kümmern, was Last genug für eine ganze Bank voller Bischöfe wäre.

»Zweitens: Father Forest«, sagt Cranmer, »Katherines Beichtvater, als sie Königin war. Er preist die papistischen Zeremonien und predigt eindeutig gegen die Schrift. Er hat die Geduld des Königs in den letzten fünf Jahren missbraucht und mehr. Jetzt, fürchte ich, muss er brennen. Ich werde ihn nach Paul’s Cross bringen. Hugh Latimer bittet darum, ihn zur Umkehr zu bewegen – er glaubt, er kann den Sünder zu Gott führen. Wenn es Hoffnung gibt, werden wir ihn gehen lassen.« Cranmers Ton ist nüchtern, genau, aber seine Hände zittern. »Ich hoffe, er wird seinen Irrlehren abschwören. Er ist fast siebzig.«

Er hat Forest über Jahre beobachtet. »Der König würde seiner Reue nicht trauen. Wenn Sie ihn nicht verbrennen, werde ich ihn hängen.«

Cranmer sagt: »Der Rat muss seinem Tod beiwohnen. Damit er den Botschaftern bewusst wird und der Rauch auch in Rom zu riechen ist. Sie selbst müssen dabei sein. Und Bischof Stokesley.«

»Oh, der Bischof von London wird kommen«, sagt er. »Zweifeln Sie niemals an ihm. Er wird die Augen schließen, wird den Gestank einatmen und sich vorstellen, dass Sie, ich und Robert Barnes dort auf dem Scheiterhaufen brennen. Ich traue ihm genauso wenig wie Stephen Gardiner.«

Gardiner kommt nach Hause. Er ist ein solches Ärgernis für die Franzosen, dass wir uns nicht trauen, ihn als Gesandten dort zu lassen. Der Streit bedeutender Männer wird auf die Straße getragen. Gardiners Jungen werden auf der Straße verspottet: »Ihr nennt euch Kämpfer? Scheu wie Mäuse seid ihr. Kommt mit einer Armee her und lasst euch von einem Mädchen hinauswerfen.«

»Ja«, rufen die englischen Jungen, »und wir haben eure Hexe Jeanne verbrannt. All ihre Siege haben sie nicht vor dem Feuer gerettet.«

Jeanne d’Arc, die Jungfrau von Orléans, wurde 1431 verbrannt. Man sollte denken, sie finden einen neueren Anlass für ihren Spott. Selbst die Marktweiber verfluchen unsere Botschafter und bewerfen sie mit Dung, wenn sie in ihren besten Kleidern hervorkommen.

Stephen sollte lernen, gegen Beleidigungen immun zu sein, sagt er. Sehen Sie mich an, ich nehme derlei Dinge als Kompliment. Norfolk sagt, ich habe schlechtes Blut. Im Norden nennen sie mich einen Ketzer und Dieb. Der Aaljunge in Putney sagte immer zu mir: »Ja, Thomas Cromwell, du erbärmlicher Galgenstrick, du Hirnversehrter, du Restbestand, du Krümel: Deine Mutter ist lieber gestorben, als dich länger ansehen zu müssen.«

Wie der Herzog von Norfolk sagen würde, die alten Beleidigungen sind die besten.

»Ihr Iren«, sagte der Aaljunge, »ihr kommt direkt aus Satans Schmiede, ich reiß euch den Schwanz ab, ich filetiere euch, ich flämme euch die Haare weg.«

Er hat ihm nie etwas darauf geantwortet. Er hat nie gesagt: »Ich spieße dich auf, ich ersteche dich, ich schneide dir dein dreckiges Herz bei lebendigem Leib aus der Brust.«

Bis er es getan hat.

Der König ist auf dem Land, als die Nachricht von seinem Zusammenbruch kommt. Er, Cromwell, nimmt sich eine Eskorte und reitet sofort los.

Natürlich kommt ihm der Gedanke: Reite an die Küste, bevor sie die Häfen blockieren. Wenn Henry stirbt, welche Freunde hast du dann noch? Wohin immer du dich bewegst, du könntest gestoppt werden. Von den Courtenays, wenn sie schnell genug sind und Truppen für Mary sammeln. Von Margaret Pole, ihrem Sohn Montague. Von Norfolk und seinen übers Land galoppierenden Streitkräften.

Das hatten wir schon: der König tot oder doch fast tot, auf dem Turnierplatz in Greenwich, im Januar 1536, mit dem aus seiner Rüstung geholten Henry: das Brüllen seines verletzten Pferdes, die Rufe und Gebete, das verurteilende, beschuldigende Geschrei. Wieder spürt er die nadelspitze Panik unter seinem Brustbein.

Aber am Ende der Reise kommt nur eine einzelne Person heraus, um ihn zu begrüßen: Butts, der todmüde aussieht: »Er lebt noch«, sagt er.

»Heiliger Herr im Himmel.« Er fällt aus seinem Sattel.

Butts trocknet sich die Hände mit einem Leinentuch, dessen Saum mit einem Immergrün-Muster bestickt ist. »Seine Majestät hat sich vom Tisch erheben wollen und ist unter ihn gerutscht. Wir haben ihn hervorgezogen, sein Gesicht war angelaufen, der Atem ging kurz und schnell. Er hustete Blut heraus, und ich glaube, das hat ihn gerettet, denn dann atmete er tief ein. Sie können nicht hinein. Er ist zu schwach.«

»Lassen Sie mich vorbei«, sagt er.

Der seidengewandete Rüpel Culpeper steht in einer Wolke aus Ärzten und Geistlichen um den König herum. Er muss daran denken, wie Henry einmal gefragt hat: »Warum ist eigentlich immer ein Howard im Raum, wenn es zu einer Katastrophe kommt?«

Der Junge sagt verschlagen: »Wir hätten Sie früher gebraucht, Lord Cromwell. Ich habe gehört, wie Sie Seine Majestät vor Jahren in Greenwich von den Toten erweckt haben.«

»Ich hatte die Ehre«, sagt er knapp.

Es riecht nach Tinkturen und Weihrauch. Henry sitzt gegen einen Berg Kissen gelehnt da, sein verbundenes Bein liegt unförmig unter einer Damastdecke. Seine Wangen sind eingefallen, die Gesichtsfarbe ist ungesund. Er blinzelt: »Cromwell, da sind Sie ja.« Seine Stimme ist schwach. »Ich fürchte, wir sind während Ihrer Abwesenheit gestürzt.«

Das königliche »wir«. Niemand anders ist mit ihm gestürzt.

»Haben Sie Nachricht von Wyatt?« Henry schiebt die Decke zur Seite. Sein Bein ist dick verbunden. »Ich habe diese Woche nichts bekommen. Auch nicht von Hutton aus Brüssel. Hält da jemand unsere Boten auf, oder schreiben sie dieser Tage direkt an Sie? Wer ist der König, Sie oder ich?«

Unser Souverän ist zurück, denkt er, eine Stunde lang sprachlos nach Luft schnappend, aber jetzt gebieterisch: das Spiegelbild aller Herrscher, sein flackerndes Licht kaum sichtbar in der Sonne des Maimorgens.

Henry sagt: »Cromwell, ich erinnere mich an Greenwich. Als ich … als Sie …« Es fällt ihm nicht leicht, von seinem Tod zu sprechen. »Ich erinnere mich nicht an den Sturz. Nur an die Schwärze. Ich dachte, ich sei ausgelöscht. Meine Sinne waren gestoppt. Ich glaube, ich habe Engel gesehen.«

Er denkt, damals haben Sie gesagt, das hätten Sie nicht.

Der König lag in voller Länge in einem Zelt ausgestreckt, bleich wie Papier. Henry Norris stimmte die Totengebete an. Der Herzog von Suffolk heulte wie ein zahnendes Baby. Draußen vor dem Zelt riefen die Boleyns ihre eigenen Namen, und Onkel Norfolk bellte, dass er jetzt das Sagen habe: »Ich, ich, ich.«

»Gestern«, sagt der König, »waren Sie weit weg, und ich dachte, ich müsste alleine sterben.«

Er erinnert sich an die schreiende Flut Bediensteter und Lords, seinen lauten Ruf nach Ruhe: seine Hand auf der Brust des Königs, das Pochen des eigenen Herzens. Dann unter dem Pferdehaarpolster der königlichen Jacke ein Fibrillieren, wie das Trippeln einer Spitzmaus. Eine Sekunde später keuchte Henry, er ächzte, hustete wild und brachte ein »Thomas Cromwell« hervor. Die schockierten Lords jammerten: »Bleiben Sie liegen, bleiben Sie liegen!«, aber Henry kämpfte sich hoch. Seine Augen drehten sich, er nahm die Szenerie in den Blick. Zurück im Leben, betrachtete er England. Er sah die dunklen Täler und grünen Felder, die breiten silbernen Ströme, die Nachtigallwälder. Er sah die gerechten Gesetze, die freien Menschen und hörte ihre Gebete.

Dr. Butts ist zurück, eine Urinflasche in der Hand. »Majestät, Sie dürfen nicht daran denken, heute Regierungsgeschäfte zu erledigen.«

»Nein?«, fragt Henry. »Wer herrscht dann, Doktor Butts?«

Es klingt wie eine höfliche Frage, doch der Arzt weicht zurück.

»Wir sprechen gerade von meinem Sturz in Greenwich«, sagt Henry. »Schwelgen in Erinnerungen.« Er spuckt die Worte aus.

Butts sagt: »Gott schütze Ihre Majestät.«

»Das hat er«, sagt Henry. »Ich hörte, dass alle im Zelt glaubten, ich sei tot, bis auf Cromwell. Er stand über mir und tastete nach dem Schlag meines Herzens, als sämtliche anderen mich bereits aufgegeben hatten.«

Er denkt, ich konnte es nicht erlauben, dass Sie tot waren. Wen hätten wir als Souverän bekommen? Mary, eine Papistin, die Ihre Minister umgebracht hätte? Eliza, die noch in der Wiege lag? Das ungeborene Kind in Annes Leib? Und was ist jetzt besser? Ich habe immer noch keinen Plan, weiß keinen Ausweg, bin ohne Zugehörigkeit, ohne Unterstützer. Ich habe keine Truppen, keine Rechte, keine Ansprüche. Er denkt, Henry sollte mir eine Regentschaft übertragen, jetzt. Es niederlegen und mit seinem Siegel versehen: in mehreren Kopien.

Der König sagt: »Ich nehme an, jetzt werden die Botschafter wieder in aller Welt verbreiten, dass ich tot bin.«

»Wenn Sie mich erübrigen können, reite ich zurück nach Westminster, besuche alle persönlich und versichere ihnen, dass ich Sie mit eigenen Augen lebend gesehen habe.«

»Oh, und Ihnen werden sie glauben«, sagt der König. Ein Hustenanfall schüttelt ihn. Butts sagt: »Mylord Lordsiegelbewahrer, genug für den Moment.«

»Die giftigen Dämpfe von der Wunde sind mir direkt ins Gehirn gestiegen«, sagt Henry. »Aber sagen Sie ihnen … ich weiß nicht, sagen Sie ihnen, ich hatte eine Migräne. Bin gefallen, erschrocken. Sagen Sie ihnen, ich werde in ein paar Tagen wieder im Sattel sitzen.«

Henry hebt die Hand, um ihn zu entlassen. Sobald eine Geschichte erzählt wird, entstehen Varianten über Varianten. Er kennt seine eigene Version: in Greenwich, das königliche Herz flatterte, schwach wie ein Hauch Gottes in einer Glaskugel. Er erinnert sich, dass er gebetet hat, andere sagen, dass er fest genug mit der Faust auf die Brust des Königs geschlagen hat, um ihm die Rippen zu brechen. Und Christophe, der in der elendigen Stunde an seiner Seite war, behauptet, er hat den König bei den Schultern gepackt und geschüttelt, ihn bei den Ohren gefasst und ihm ins Gesicht gebrüllt: »Atme, du Scheißkerl, atme!«

Der Mai kommt, und der König plant eine Dynastie. »Wenn ich Madame de Longueville bekommen könnte, bin ich sicher, sie würde mir ein Haus voller Söhne schenken, was ein großer Trost für England wäre, sollte Edward etwas zustoßen. Unser erster gemeinsamer Sohn würde Herzog von York. Der nächste Herzog von Gloucester. Und unser dritter, denke ich, Herzog von Somerset.«

Fitzwilliam sagt: »Haben Sie vergessen, dass sie Schottland versprochen ist?«

Henry vergisst nie etwas. Aber manchmal denkt er, die Laune eines Königs kann alles verändern.

Der König von Frankreich, so heißt es, reist nach Nizza, wo er den Kaiser treffen wird. Es scheint, die einzige Möglichkeit, das Einvernehmen der beiden zu stören, besteht darin, dass Henry eine Braut von einer Seite wählt und so die andere beleidigt.

Seine Räte sind vorsichtig. »Keine Eile, Majestät. Sobald Sie heiraten, büßen Sie einen Vorteil ein. Sie können nur eine Ehe eingehen.«

»Ist das so?«, murmelt Fitzwilliam. »Wir reden hier von Henry.«

Henry sagt: »Cromwell, ich will, dass Sie Castillon einladen. Sie waren zu brüsk zu ihm mit Ihrer Drohung, ihn niederzuschlagen. Das müssen Sie wieder in Ordnung bringen. Ich möchte, dass Sie sanfte Worte benutzen. Bewirten Sie ihn festlich. Wenn Sie etwas aus meiner Vorratskammer dazu brauchen, ein Wort genügt.«

Zuletzt hat er Thurston mit einem Entwurf für einen Spieß gequält, der von einer Apparatur aus Rädern und Riemen betrieben wird, die den Zug des Feuers nutzt, um das Fleisch mit beständiger Geschwindigkeit zu drehen. »Voilà«, sagte er und spießte ein Hühnchen auf. Aber Thurston zog die Mundwinkel herunter: Es gibt ausreichend Küchenjungen, wozu eine Maschine?

Küchenjungen produzieren verbrannte Stellen, sagt er. Einiges ist gar, anderes nicht. So haben Sie eine kontrollierte Bewegung. Fachen Sie das Feuer stärker an, dreht sich der Spieß schneller. Ziehen Sie es auseinander …

Das geht so noch nicht, Master, sagte Thurston. Die Maschinerie ist so viel größer als das bedauernswerte Hühnchen.

Als Castillon und die Räte des Königs kommen und bei ihm zu Tisch sitzen, gibt es zunächst Steinbutt, gebackenes Perlhuhn und einen Kressesalat mit Essig und Öl. Der Lachs wird mit Orangenschale gebraten und ein junger Vogel entbeint und in, wie die Engländer sie nennen, langobardische Pasteten gefüllt, wobei er nie einen Langobarden erlebt hat, der je davon gehört hätte.

Als sie allein sind, legt der Botschafter seine Serviette wie jemand zur Seite, der die Waffenstillstandsfahne ausmustert. »Das Bein wird nicht heilen, wissen Sie. Das nächste Mal wird er nicht mehr so ein Glück haben und Sie auch nicht.«

Er antwortet darauf nicht, und es scheint, dass sein Schweigen Castillon etwas zu selbstsicher macht. Als er das nächste Mal beim König ist, benimmt er sich wie ein Kneipenkumpan und empfiehlt Madame Louise, die Schwester von Madame de Longueville. »Nehmen Sie sie, Majestät. Sie sieht besser aus als ihre Schwester. Im Übrigen ist die Ältere Witwe, die Jüngere noch Jungfrau. Sie werden als Erster an sie herankommen. Da können Sie die Öffnung nach Ihrem Maß formen.«

Henry lacht laut auf und klopft dem Botschafter auf die Schulter. Dreht sich weg und kehrt dem Franzosen den Rücken zu, jedes Lächeln ist von seinem Gesicht verschwunden. »Ich ertrage kein derbes Gerede«, flüstert er und sagt über seine Schulter: »Entschuldigen Sie, Botschafter, wenn ich Sie verlasse. Meine Geistlichen warten mit der Messe auf mich.«

Ein oder zwei Tage später ist der König wieder zum Jagen unterwegs. Rafe ist bei ihm, und Richard Cromwell hält die Verbindung, reitet mit Briefen und Nachrichten hin und her, die besser keinem Papier anvertraut werden. Als Richard nach Waltham kommt, wird ihm gesagt, dass der französische Botschafter vor ihm da war, und er warten muss: dann, dass verschiedene Räte zum König bestellt wurden: dann, dass er über Nacht zu bleiben hat.

Rafe entschuldigt sich zahllose Male, nimmt Richards Briefe und sagt, er wird sie dem König persönlich übergeben. Richard sagt: »Entschuldige dich nicht für ihn, Rafe. Es ist nicht dein Fehler. Was denkt er, was er da macht?«

Richard kann es nicht glauben. Das gab es noch nie, dass Cromwells Angelegenheiten hintangestellt wurden.

Am nächsten Tag reitet er mit den beantworteten Briefen zurück. »Das gefällt mir nicht, Sir«, sagt er. »Norfolk war an der Seite des Königs und stolzierte herum wie ein Möchtegern-Herrscher, nur zu gern hätte ich ihm den Hals umgedreht. Surrey gleich mit, dem Mistkerl. Beide verkündeten, wie unzufrieden der König damit sei, dass Sie den Kaiser so bevorzugen. Norfolk hakte den Franzosen unter. Sie hätten nur noch einen Fiedler gebraucht, um ein Tänzchen zu wagen.«

Was hat Henry vor? Ich mag Sie herabsetzen, hat er gesagt. Ich mag Sie rügen. Aber lassen Sie sich nicht in die Irre führen. Ich setze mein Vertrauen in Sie.

Er nimmt das Buch Henry. (Er hält es unter Verschluss.) Er fragt sich, ob er irgendwelchen Rat für sich hinterlassen hat. Aber er sieht nur, wie viel unbeschriebenes Papier da ist. Leere Seiten.

Zu Father Forests Hinrichtung sind neben ihm selbst anwesend: Thomas Cramer und der Lord Mayor von London, Audley, der Lordkanzler, Charles Brandon, der Herzog von Suffolk, Thomas Howard, der Herzog von Norfolk, Edward Seymour als Earl of Hartford und natürlich Bischof Stokesley. Um acht Uhr morgens sind sie in Smithfield. Forest wird aus Newgate gebracht, in seiner Franziskanerkutte auf ein Gitter gebunden. Er wird auf eine Plattform gestellt, um Hugh Latimers Predigt zu hören.

Hugh redet eine Stunde lang, könnte aber genauso gut in den Wind pinkeln. Forest hat die Kraft, seine Worte zu erwidern, sagt, seit seinem siebzehnten Lebensjahr ist er Mönch, katholisch seit seiner Taufe, und dass er, Latimer, kein Katholik sei, denn nur die, die dem Papst gehorchen, sind Mitglieder der großen Familie Gottes: was die Menge ächzen lässt. Der Rest dessen, was er sagt, ist nicht gut zu verstehen. Und dann holen sie ihn von der Plattform und tragen ihn zum Scheiterhaufen, die Füße in der Luft. Kraftlos hängt er da und murmelt Gebete.

Fanfaren erklingen, Trommeln, und das walisische Götzenbild Derfels wird in die Arena getragen. Acht Mann tragen es, was nicht nötig ist, aber es macht mehr her. Um seine vorgebliche Stärke zu verspotten, ist Derfel mit Seilen gefesselt. Die Menge lacht und singt. Es heißt, Derfel kann einen Wald abbrennen: Lasst uns sehen, ob er es tut. Ein Befehl, und er wird abgestellt, aufrecht. Ein weiteres Wort, und seine Glieder zucken, seine Augen blinzeln, und seine Arme recken sich flehend zum Himmel. »Zum Teufel mit ihm«, ruft die Menge. Die Männer zerteilen Derfel, nehmen ihre Äxte und machen Feuerholz aus ihm.

Father Forest hat jede Chance fahren lassen, die der König, Cranmer und Hugh Latimer ihm angeboten haben. Er hat ein schreckliches Ende gewählt und muss es erdulden. Thomas More sagte immer, dass es einen Mann kaum tapfer mache, seiner Verbrennung zuzustimmen, wenn er erst auf den Scheiterhaufen gebunden würde. Er, der Lordsiegelbewahrer, ruft laut: »Forest! Bitten Sie den König um Gnade!«

Denn das hat Forest unterlassen. Das ist es, was jeder Verurteilte tut, auch wenn er sich für unschuldig hält, schon um den Zorn abzuschwächen, der sich auf die richten mag, die er zurücklässt: damit der König ihre Bitten erhört und ihnen nicht nimmt, was sie besitzen.

Aber Forest hat ein zölibatäres Leben geführt. Er hat keine Söhne oder Töchter, zumindest keine, von denen er weiß. Und er ist ein Mönch ohne persönliche Besitztümer, er hat nichts, was der König sich nehmen könnte. Alles, was er besitzt, ist seine Kutte, jetzt zerrissen, sind seine Haut, seine Muskeln, sein Fett und seine Knochen.

»Bitte deinen König um Gnade!«, ruft er, Cromwell. Er weiß nicht, ob Forest ihn hören kann.

Er denkt, es ist zu spät, um es noch zu stoppen. Ein Märtyrer kann schnell oder langsam verbrennen. Das Reisig mag trocken und hoch aufgestapelt sein, sodass er vor der Menge verborgen ist, die Flammen ihn in Minuten erfassen und er im Aufbrausen der Hitze stirbt. Aber da Forest jedes Wort der Reue verweigert, wird es ein langsames Verbrennen werden. Der Bruder ist mit einer Kette um den Leib gefesselt, das Feuer wird zu seinen Füßen entfacht.

Trockenen Auges sieht er zu, und er sieht alles. Er hat keinen verstohlenen Blick für die Gesichter der übrigen Räte. Er denkt, es muss einen Punkt gegeben haben, an dem wir mit Forest hätten verhandeln können. Es muss etwas gegeben haben, das wir ihm hätten anbieten und das er hätte akzeptieren können, um sich die Qualen zu ersparen. Es entspricht nicht seinem Wesen zu denken, dass kein Handel möglich ist. Jeder will etwas, und wenn es nur das ist, dass der Schmerz aufhören soll.

Als ihn die Hitze erreicht, zieht Forest die mit Blasen bedeckten nackten Füße an. Er krümmt sich, schreit, kann die Beine aber nur dem Feuer überlassen. Noch einmal zieht er sie an, windet sich in seiner Kette, brüllt, und Derfel knistert fröhlich vor sich hin: Dieses Stadium scheint lange anzuhalten, die Flammen lecken immer höher, und die Anstrengungen des Mannes, ihnen zu entkommen, werden schwächer, bis er endlich dahängt, nicht weiter widersteht und sein Oberkörper zu brennen beginnt. Der Bruder hebt die Arme, die nicht gefesselt sind, als wollte er den Himmel fassen. Die Fasern seines Körpers verkürzen sich und schrumpfen zusammen, seine Glieder verkrümmen sich ohne sein Zutun, und das, was wie ein Akt der Anbetung seines papistischen Gottes aussieht, ist nichts anderes als ein Zeichen dafür, dass er sich in extremis befindet: und auf ein Signal hin treten die Henker vor, fahren mit langen Eisenstangen in die Flammen, ziehen den brutzelnden Leib aus der Kette und stoßen ihn in das Feuer darunter. Das geschieht unter einem Aufschrei der Zuschauer, einem Rauschen und Aufbäumen der Flammen, dann hören wir nichts mehr von Father Forest. Nichts mehr vom Krieger Derfel, dem großen walisischen Götzen. Er ist Asche. Cranmer sagt nahe bei seinem Ohr: »Es ist vorbei, glaube ich.«

Edward Seymour sieht aus, als wollte er sich übergeben. »Haben Sie so etwas noch nicht gesehen?«, fragt er ihn. »Ich schon viel zu oft.«

Die offizielle Versammlung beginnt sich zu zerstreuen. Was fängst du jetzt mit dem Rest des Tages an? Arbeiten natürlich. »Ein grausamer Tod«, sagt einer der Zunftgenossen. »Ein grausames Leben, Bruder.«

An dem Tag, als er eine Frau brennen sah, wie alt war er da? Acht? Er war davongelaufen, oder er stellte es so für sich dar: von seinem Zuhause in Putney, zu Fuß und auf Karren, hatte die Nacht in einer Hecke verbracht. Am nächsten Tag erbettelte er sich an einer Hintertür etwas Brot und Milch und wurde von einem Boot mitgenommen, das ihn am Anleger unter dem Tower absetzte. Er wollte auf ein Schiff und Seemann werden, doch als er die Menge sah, die sich in bester Laune versammelte, vergaß er sein Vorhaben und fragte: »Ist das das Bartholomew-Fest?«

Ein Mann lachte ihn aus, aber eine Frau sagte: »Er ist doch noch klein, Will.« Sie sah auf ihn hinab. »Heilige Maria, dein Gesicht könnte eine Wäsche vertragen.«

Er sagte nicht, dass er in einer Hecke genächtigt hatte. Will fragte: »Wie heißt du?«

»Harry.« Er hielt ihm die Hand hin. »Ich bin Schmied von Beruf. Und Sie, Will?«

Der Mann ergriff seine Hand und drückte sie. Er begriff zu spät, dass Will ihn quälen wollte, es war seine Vorstellung von einem Spaß. Er dachte, seine Knochen würden brechen, behielt aber seinen Ausdruck höflichen Gleichmuts bei. Will ließ seine Hand verärgert los. Bist ein zäher Bursche, sagte er.

Die Frau sagte: »Komm mit uns, junger Master Harry, halte dich an mich.«

Sich an der Schürze der Frau festhaltend, stand er mitten in der Menge. Sie klopfte ihm auf die Schulter und ließ ihre Hand dort liegen – als wäre sie seine Patin oder jemand, der ihm wohlwollte. »Da kommt die Stadt!«, rief der Mann. Eine Trompete kündete einen Zug an: ehrbare Männer mit Amtsstäben und Goldketten. Er hatte so etwas noch nie erlebt, höchstens im Traum. Er sah das Schwingen von Goldstoffen und das Schimmern samtener Mäntel. Ein Bischof erschien wie ein plötzliches Sonnenlicht, vor ihm trug jemand ein goldenes Kreuz. »Hast du schon mal einen hängen sehen?«, fragte Will.

»Oh, schon oft«, gab er an.

Will sagte: »Nun, heute wird hier keiner aufgehängt.«

Als sie die alte Frau heranzerrten, geschlagen, gefesselt, sah er zu seiner Patin auf und sagte: »Was hat sie verbrochen?«

»Harry, du musst sie brutzeln sehen«, sagt sie. »Sie ist ein Loller.«

Will sagte: »Ein Lollarde. Sag es richtig.«

Seine Frau ignorierte ihn. »Sie ist des Teufels, achtzig Jahre alt und von Sünde erfüllt.« Sie erhob die Stimme über den allgemeinen Lärm. »Lasst diesen Jungen durch!«

Einige machten Platz, da sie es für fromm hielten, einem Kind eine Verbrennung zu zeigen. Es wurde immer noch voller. Einige beteten, andere aßen Hefebrötchen. Seine Beschützerin hinter ihm roch nicht länger nach frischer Wäsche, sondern nach Aufregung und Hitze. Er drehte sich zu ihr um. Er wollte sein Gesicht in ihrer Taille vergraben und seine Arme um sie legen. Aber er wusste, das durfte er nicht, sonst würde Will ihm den Nacken drücken wie vorher die Hand – und als Will sah, wie er sich umwandte, dachte er, er versuche wegzulaufen, und versetzte ihm einen Stoß: »Dieser Junge hier ist ein Heide. Aus welcher Gemeinde kommst du?«

Aus Vorsicht sagte er: »Ich habe keine Gemeinde.«

»Jeder hat eine Gemeinde«, höhnte Will. Doch jetzt begann die Menge Gebete zu brüllen, und ein Prediger schrie darüber hinweg. Er rief, der Schmerz irdischen Feuers sei nicht mehr als ein Federstrich, ein Maimorgen, eine mütterliche Liebkosung, verglichen mit dem Schmerz in den Flammen der Hölle.

Als das Feuer entzündet wurde, trug ihn die Menge nach vorn. Er versuchte gegen die Strömung anzuschwimmen und rief nach seiner Beschützerin, doch seine Stimme verhallte. Er sah die Rücken der Leute und roch menschliches Fleisch. Man musste es einatmen, bis sich der Wind drehte. Einige schwächere Gemüter jammerten, andere spuckten sich vor die Füße.

Als die Aufregung vorüber war, die Lollerin nur mehr Knochen und Kleister, als die Würdenträger verschwunden waren, begannen sich auch die gemeinen Zuschauer zu zerstreuen. Einige waren betrunken, hielten sich aneinander fest, wedelten mit den Armen, johlten, pumpten mit den Fäusten und schrien wie bei einem Stierkampf. Andere wirkten nüchtern und sammelten sich in murmelnden Gruppen. Sie alle hatten ein Zuhause, in das sie zurückkehren konnten, er nicht. Putney schien so fern, als wäre es ein Ort in einer Geschichte. »In einem Dorf an einem Fluss lebte einst ein gewisser Thomas Cromwell mit seinem Vater und seinem Hund. Eines Tages lief er von zu Hause fort, um sein Glück in einem fremden Land zu machen …«

Er fragte sich, wie lange er brauchen würde, um die Geschichte rückgängig zu machen. Putney lag auf der anderen Seite Londons, und du hast nicht immer Glück, es nimmt dich nicht immer jemand mit: und wenn sie erfuhren, wo er gewesen war und was er gesehen hatte, würde ihn jeder Mann und jede Frau sicher verfluchen.

Es kam ihm in den Sinn, sich unter der Tribüne zu verkriechen, auf der die Würdenträger gesessen hatten, und dort wie in einem Haus zu leben. Niemand hielt ihn davon ab. Niemand hielt ihn auf. Die zugeschnittenen Planken als Dach über sich, saß er mit überkreuzten Beinen auf der nassen Erde. Zeit verstrich. Er war sich der Leute bewusst, die am Rand des Spektakels standen, als warteten sie darauf, dass sich der Platz endgültig leerte. Einer hielt eine Schüssel in der Hand, einer einen Korb. Immer noch standen sie wie verängstigt da. Die Henker kamen mit ihren Eisenstangen zurück, pfeifend, zerschlugen die übrig gebliebenen Knochen und harkten durch die Asche.

In seiner neuen Behausung hockend, beobachtete er sie wie aus großer Entfernung. Sein Körper fühlte sich verkrampft und kalt an. Die Knochen seiner rechten Hand, die Will so zerdrückt hatte, pochten. Es fing an zu regnen, und das Wasser tropfte durch die Planken über seinem Kopf. Er zählte die Tropfen. Er fing sie in seiner hohlen Hand und trank sie. Spürte, wie sie in ihm hinabrannen und gefroren.

Als die Knochen gut genug verstreut waren, wischten die Henker ihre Stangen im Gras sauber, zogen sich ihre Kapuzen über den Kopf und verließen das Feld. Sie sahen nicht direkt zu denen mit der Schüssel und dem Korb. Aber einer von ihnen sagte über die Schulter: »Der Rest gehört euch, Brüder.«

Die Brüder genannten Männer begannen zusammenzukratzen, was noch auf der Erde lag. Er kroch hervor, sagte, wie er hieß – Master Harry, Schmied –, und berichtete, was geschehen war. Das wissen wir, sagten sie, wir haben es gesehen. Sie sagten, diese Lady ist für das Wort Gottes gestorben, Harry, und wir wollen einsammeln, was von ihr übrig ist. Sie schmierten einen langen Streifen fettigen Ruß auf seine Hand. Vergiss diesen Tag nicht, sagten sie, solange es Gott gefällt, dich leben zu lassen.

Er erwiderte, was der Priester über die schwache Natur irdischen Feuers gesagt hatte und dass es ein kühlender Luftzug im Vergleich zu den unter ihnen wütenden Flammen sei. Er schob seinen Ärmel hoch und zeigte ihnen das runzlige Fleisch, wo er sich am Schmiedefeuer versengt hatte. Eine Frau sagte, das muss fürchterlich wehgetan haben, Schatz. Er sagte, es ist kein Ungemach für einen Mann, eine Narbe zu haben. Mein Dad hat viele. »Geh jetzt nach Hause, Sohn«, sagte ein Mann zu ihm.

Er sagte: »Ich weiß nicht, wie.«

Sie gingen ihrer Wege. Er kehrte in seine Behausung unter der Tribüne zurück. Seine Übelkeit war vergangen, und er hatte Hunger. Er dachte, das Ende eines Laibes Brot würde mir reichen. Er wusste, dass er sich früher oder später aufmachen musste, um sich etwas zu stehlen, aber fürs Erste hatte er sich ruhig und still zu verhalten, denn was, wenn die Männer zurückkamen, um sein Haus abzureißen? Vielleicht zogen sie ihn daraus hervor und sagten: »Hier ist ein Lollarde-Junge.« Vielleicht fachten sie ein weiteres Feuer an und warfen ihn darauf, wie ein Mann ein letztes Bündel auf einen Karren wirft.

Niemand kam. Das Licht verging. Er hatte keine Angst vor dem Geist der alten Frau, war sich aber einer anderen Gesellschaft bewusst. Im immer noch dahängenden Rauch vermochte er gewisse Formen auszumachen, niedrig und schleichend. Entfernt, aber näher kommend, die Hunde Londons.

Ihr Anblick erzählte ihre Geschichten. Nicht einer von ihnen, nahm er an, hatte einen Namen, ein Zuhause oder einen Master. Sie lahmten, waren verschorft und vernarbt, geduckt und ausgelaugt, nur mehr Schatten. Stundenlang mussten sie in der Ferne ausgeharrt haben, die Mäuler auf den Pfoten, sabbernd. Als die Henker noch da gewesen waren, hatten sie sich nicht getraut näher zu kommen, aus Angst vor Steinen oder einem Schleudergeschoss, das ein Auge traf. Sie zitterten vor Angst, doch der Hunger gab ihnen Mut: Der Geruch verbrannten Fleisches lag immer noch schwer in der Luft und ließ sie alles riskieren.

Erst kamen sie auf ihren Bäuchen, hoben sich dann in die Hocke, die Rücken immer noch nach unten gedrückt, bebend, doch immer weiter kreisförmig vorwärtsstrebend. Sie hoben die Nasen und hielten sie in den Wind. Sie leckten sich die Lefzen. Kamen näher. Ihre Blicke strichen über ihn. Vor den städtischen Würdenträgern hätten sie Angst gehabt, aber nicht vor ihm, einem zerlumpten Jungen. Der Kreis wurde enger. Bei jedem Geräusch duckten sie sich, erstarrten. Trotzdem kamen sie näher.

Die Tote war keine Beute. Da war kein Fleisch, kein Fett mehr. Wenn sie begriffen, dass da nur noch ihr Geruch war, würden sie sich dann gegen ihn wenden? Ein Stück Putney-Fleisch: Einer kann ihm die Kehle durchbeißen und sein Blut auflecken.

Der Raum unter der Tribüne war hoch genug, um aufzustehen. Die Hunde sträubten die Nackenhaare. Sie zögerten einen Moment, kamen dann aber mit gebleckten Zähnen heran.

Seine Taschen waren leer. Er hatte keine Waffe, nicht mal einen Stein. Er holte tief Luft und sprang schreiend vor: »Verschwindetihrbiesterverschwindetundkrepiert!«

Die Hunde verharrten. Flüchteten, stürzten zurück. Doch dann hielten sie inne. Schmolzen in ihre geduckten, klumpigen Umrisse und beobachteten ihn. Formten aufs Neue einen Kreis und begannen sich auf ihn zuzubewegen, flach über die Erde, die Nasen auf ihr Ziel gerichtet. Will hatte ihn gefragt: Was machst du so weit von zu Hause, ein Kind wie du? Ein Priester hatte gesagt: »Gott sieht in das redliche Herz. Er führt uns nach Sion.«

Er riss die Arme in die Luft, schrie und fluchte. Kam unter der Tribüne hervor, ließ den linken Arm durch die Luft wirbeln und richtete den rechten auf sie, als wollte er sie segnen: zeigte ihnen aber die Teufelshörner und die Feige.

Er kehrte dem Hinrichtungsort den Rücken zu und entfernte sich stolpernd von diesem Tag: verstört, weiter nach Westen, wusste, dass er gestern die Sonne im Rücken gehabt hatte, bis die Welt leichtfertig verschwamm, ihn die Menge umspült und aufgesaugt hatte und er von einer Beschützerin bei der Hand genommen worden war, die ihn vorangezogen und gesagt hatte: »Lasst das Kind nach vorne, es muss sie leiden sehen, so wird es zu einem Heiligen.«

Es war nicht das erste Verbrechen, das er gesehen hatte, aber die erste Bestrafung. Viel später erfuhr er den Namen der Frau: Joan Boughton. Sie war keine Bettlerin gewesen, wie sie ausgesehen hatte, sondern eine gebildete Frau. Einen Lord Mayor von London hatte es sogar unter ihren Leuten gegeben.

Nichts schützt dich, nichts. Ganz zuletzt, kein Rang, kein Blut. Da gibt es nichts zwischen dir und dem Feuer.

Ein, zwei Tage später kam er zurück nach Putney. Es waren die ersten Nächte, die er im Freien verbracht hatte, aber nicht die letzten. Zu Hause hatten sie ihn nicht vermisst. Sein Vater verprügelte ihn, doch das war normal. Was für ein Versäumnis ihn auch hatte davonlaufen lassen, sie hatten es vergessen. Bald schon verschwand es hinter seinem nächsten Fehler, weil er nicht anders konnte, er musste sündigen: Er sei von allen Wesen Gottes, sagte sein Vater, das elendste. Er erwartete nicht, dass der Priester ihm mehr dazu erzählte: Er hatte Walters Brüllen im Ohr.

Es dauerte Jahre, bis er begriff, dass der Junge, der bis nach Smithfield gekommen war, nicht der war, der Tage später zurück nach Hause kam. Das Kind Thomas hockte immer noch unter der Tribüne, aufmerksam wie die Hunde, die Hände geöffnet, um das Regenwasser aufzufangen, die eisigen Tropfen auf seiner Haut. Zurückzugehen und sich dort wiederzufinden, die Mühe hat er sich nie gemacht. Er kann die schmale Gestalt dort sehen, am falschen Ende der Zeit, spürt, wie sich ihre Rippen heben, als sie ohne ein Wort zu schreien versucht. Er kann sie sehen und fühlen, ohne das Kind zu bemitleiden: und nur denken, um die Straßen sauber zu halten, sollte jemand hingehen und es nach Hause schicken.

Der Sommer kommt. Der französische Botschafter sagt: »Sie hinken, Mylord Cremuel?«

»Ich habe mich vor langer Zeit im Dienst für Ihr Land verletzt. Manchmal lässt mich das Bein noch im Stich.«

Castillon sagt: »Ich frage mich, ob Ihr König nicht denkt, dass Sie ihn nachäffen.«

Überlass das dem schottischen König. In der zweiten Juniwoche landet Madame de Longueville in der Stadt Fife und wird von James und seinem Adel empfangen. Sie sieht prächtig aus. Sie hatte eine weit angenehmere Reise als Prinzessin Madeleine. Mit dem Segen und Zuspruch ihrer beider Landsleute reiten sie und James zur Hochzeit.

Unterdessen scheint der Kaiser das Projekt unserer Heirat mit Christina nicht mehr so zu favorisieren. Der König erklärt unserem Mann in Brüssel, an Geld auszugeben, was immer nötig ist, um es dennoch geschehen zu lassen. Aber den Engländern wird erklärt, da der König zuvor mit Katherine von Aragón verheiratet gewesen sei, einer nahen Verwandten Christinas, bräuchten sie einen päpstlichen Dispens. Was das betrifft, sagt Botschafter Mendoza, könnten Sie jedoch feststellen, dass Sie sich da Steine in den Weg gelegt haben.

Erzbischof Cranmer sagt, ich wünschte, diese ganze Diplomatie würde aufhören, dieses Herumschicken von Master Hans in alle vier Winde und dieses Gerede über die Ehre von Frauen. Der König sollte eine Braut finden, die er kennt und glaubt, lieben zu können. Weil Henry denkt, Ehen sollten nicht ohne Liebe geschlossen werden. In Katherines Tagen pflegte er ein Lied zu singen: Ich verletze niemanden, fehle nicht, / Liebe, wen ich geheiratet …

Der Rat sagt jedoch, heiratet ein König einmal im Leben aus Liebe, schätze ihn glücklich. Er kann nicht erwarten, es wieder und wieder zu tun.

Da der König keine Frau findet, stürzt er sich in Bauvorhaben. Ein neuer Palast soll in Surrey entstehen, nicht weit von Hampton Court, und über viele Meilen reichende Jagdgründe erschließen. Erst scheint es, dass ein bescheidenes Landhaus ausreichen könnte, doch dann beschließt der König, es solle eines der Weltwunder werden. Er verpflichtet italienische Handwerker und lässt sämtliche bei der Zerstörung von Merton Abbey angefallenen Steine holen. Er reißt das Herrenhaus ab, das dort noch steht, und mit ihm alle Höfe, Scheunen und Ställe sowie die alte Gemeindekirche. Er kauft das Land angrenzender Güter auf, bestellt tausend Ladungen Holz und errichtet Brennöfen für Ziegel.

Thomas Lord Cromwell, Vicegerent und Lordsiegelbewahrer, hat nicht länger die Zeit, die Bauvorhaben des Königs zu überwachen. Er kann bei der Auswahl der Italiener helfen, doch dem König gefällt es, Rafe Sadler die Verantwortung für das Projekt zu übertragen. Alles, was Cromwell für den König tut, können auch Sadler und Thomas Wriothesley übernehmen, zur rechten Zeit und gemeinsam. Er hat sie ausgebildet, gefördert und zu Versionen seiner selbst gemacht: Rafe im Klartext, Mr Wriothesley codiert.

Der Bau des Wunders zieht sich durch den Sommer 1538. Wenn der König eine neue Frau hat, wird er sie hierher bringen, ein Juwel in einer neuen Fassung. Währenddessen, durch den schmalen Meeresstreifen von uns getrennt, beobachten die Ladies Europas unser nebliges Land durch Kristallspiegel. Über blumengesäumte, sich windende Pfade reiten die Boten des Königs auf weit ausgreifenden weißen Rössern. In den alten Geschichten sind Prinzessinnen niemals zu alt oder zu jung oder zu papistisch. Sieben Jahre und länger warten sie geduldig auf ihren Prinzen, während er seine Heldentaten vollbringt, spinnen ihr Schicksal mit einem einzigen Faden und lassen derweil ihr güldenes Haar wachsen.

Manchmal beweint der König seine verstorbene Frau. Wo soll ich eine so liebevolle, sanftmütige und wohlgestalte Lady wie Jane finden? Da er es nicht kann, lenkt er sich mit dem Bau eines neuen Palastes ab, wie man ihn noch nicht gesehen hat: und sein Name ist Nonsuch.