II

Corpus Christi

Juni  September 1538

Wyatt ist dem Kaiser von den Küsten Spaniens nach Nizza gefolgt, wo Karl von Bord geht, um mit dem Papst und dem König von Frankreich zusammenzukommen. Es ist ein unglückseliges Treffen, wie aus heiterem Himmel, das wir weder vorhersagen noch verhindern konnten. Anfang Juni ist Wyatt in London und läuft in einem Raum in St. James’s auf und ab. Der Lordsiegelbewahrer sitzt in ein paar Strahlen schwachen Sonnenlichts und folgt ihm mit dem Blick.

»Ich habe Farnese gesehen«, sagt Wyatt, »er war nahe genug, um ihn anspucken zu können. Mit Polo, der an ihm hing und ihm seine Pläne ins päpstliche Ohr flüsterte. Ich hätte ihn aufspießen und in Scheiben nach Hause bringen sollen.«

Wohin auch immer der Kaiser fährt, Wyatt folgt ihm mit seinem Gefolge aus etwa zwanzig jungen Galanen: alle bewaffnet, alle Dichter, alle Liebhaber, alle Spieler. Karl hat ihn aus Nizza mit einem Angebot nach Hause geschickt: Wenn Lady Mary Dom Luís heiratet, wird er ihnen das Herzogtum Mailand überschreiben: Mailand, seine größte Beute, um die er und François über Jahre gekämpft haben.

»Aber er wird Mailand niemals aufgeben«, sagt Wyatt. »Bis zum Jüngsten Tag nicht. Und sie wollen eine ungeheure Mitgiftzahlung. Der König sollte zwei Drittel anbieten.«

Das ist immer eine gute Faustregel: Zieh ein Drittel ab und sieh, wie die Antwort ausfällt. Wyatt sagt: »Aber dann weiß ich wieder nicht, ob der König vorhat, Mary gehen zu lassen, ob er überhaupt selbst heiraten will oder einfach nur ein Spiel mit allen spielt und Hans beschäftigt hält.«

Er zuckt mit den Schultern: Ich habe keine Ahnung.

»Ich hasse Spanien«, sagt Wyatt. »Noch die mieseste Zelle in Newgate würde ich dem Land vorziehen. Und ich kann den Kaiser nicht verstehen. In keiner Sprache. Ich höre seine Worte, aber nichts, das in ihnen mitschwingt. Sein Gesichtsausdruck ändert sich nie. Manchmal empfängt er mich täglich, dann wieder lassen mich seine Bediensteten nicht vor. Ich denke, habe ich irgendeine ungeschriebene Regel missachtet? Ist es angemessen, zwei Tage vor seinem Audienzzimmer zu stehen oder drei oder bis sie mich mit dem Besen hinausfegen? Wenn sie mir sagen, ich soll sein Reich verlassen, zahle ich dann meine Rechnungen und verabschiede mich oder flüchte ich mit dem, was ich am Leib trage?«

»Das sind Fürstentricks«, sagt er. »Henry gibt den Franzosen drei Tage hintereinander Privataudienzen, um sie anschließend eine Woche lang zu ignorieren.«

»Wenn er mich nicht empfängt, schreibe ich meine Depeschen. Ich übersetze Seneca. Ich unterhalte mich nicht mit Frauen, was immer Sie hören mögen, sondern mit schlechtem Wein und dem Evangelium. In Spanien leben Frauen klösterlich abgeschieden, und Ehemänner töten Sie auf bloßen Verdacht hin. Wäre der Earl of Worcester Spanier, würden Sie und seine Frau längst mehrfach durchstochen im Grab schimmeln.«

»Ich hatte nie etwas mit Worcesters Frau zu tun«, sagt er. »Aber es ist genauso, wie wenn ich sage, ich bin kein Lutheraner. Niemand glaubt mir.«

»Für die Inquisitoren in Toledo sind alle Engländer Lutheraner. Sie haben versucht, Spione bei mir einzuschmuggeln, haben meinen Bediensteten Geld angeboten. Briefe wurden gestohlen.«

»Ich habe Sie gewarnt, verschließen Sie, was Sie schreiben. Ob Prosa oder Lyrik.«

Wyatt wirkt unsicher. »Erst dachte ich, es wären Sie.«

Er würde nicht abstreiten, dass er einen Mann bei Wyatt hat, genauso wie er Männer bei Gardiner in Frankreich hat. Er seufzt: »Es ist so sehr zu Ihrem eigenen Schutz wie zu allem anderen. Meine Männer stehlen Ihre Briefe nicht, sondern lesen sie nur an Ihrem Schreibtisch. Mich überrascht die Freiheit, die der Kaiser den Inquisitoren gibt. Provozieren Sie sie nicht. Sie sollten sich in der Kirche zeigen.«

»Es gibt keinen größeren Betenden«, sagt Wyatt. »Vorm Altar kann ich Grimassen schneiden wie die Besten von ihnen.«

Ketzerei kennt keine Grenzen, erklären die Inquisitoren. Kein Reisender einer anderen Nation ist von unseren Nachforschungen ausgenommen. Und was könnte der König von England unternehmen, wenn sie seinen Gesandten in ein Verlies sperrten? Erklärungen könnte er abgeben: aber unterdessen stechen sie diesem Nadeln durch die Zunge oder reißen ihm die Fingernägel herunter.

Ein Schreiber kommt mit einem Stapel Papiere herein. »Von Sir Richard Riche, Mylord. Er sagt, zögere nicht, gehe gleich hinein. Das hier wird Lord Cromwell freuen, meint er.«

Er sagt zu Wyatt: »Ich werde belohnt. Ich soll die Abtei in Michelham bekommen. Gregory und ich schreiben unsere Namen auf die Kreidehügel von Sussex. Auch Sie bekommen Ihre Belohnung.« Selbst wenn es posthum ist, denkt er.

Wyatt geleitet den Schreiber wieder hinaus. Er setzt sich. »Im letzten Jahr in Frankreich, Henry weiß das nicht, ist Pole an mich herangetreten. Er hat Geschenke geschickt. Und einen Brief, der um eine gute Flasche Wein gewickelt war.«

»Und?«

»Ich habe den Brief gelesen, Francis Bryan hat den Wein getrunken.«

»Ah, Francis. Wie hat ihm Nizza gefallen?«

»Gespielt hat er«, sagt Wyatt, »wie immer. Die Stadt stank wie der Teufel und war bis obenhin voll mit Papisten, aber Francis war in seinem Element. Er spielt um hohe Einsätze, mit den Kanzlern bedeutender Männer und deren Vertrauten, und er schläft mit ihren Frauen. Ohne ihn käme ich zu nichts. Ich würde nichts erfahren.« Wyatt zögert. »Mir scheint, ich könnte unseren guten Pole angehen. Ich könnte ein Treffen arrangieren.«

Er nickt. »Aber denken Sie daran, niemand hat Sie dazu ermächtigt, ihn zu kontaktieren. Ich nicht und der König auch nicht.«

Wyatt flucht. »Wenn ich mich einer Gelegenheit gegenübersehe, muss ich sie dann ablehnen? Was soll ich tun? Nach Westminster schicken und um Anweisung bitten? Hat Henry kein Vertrauen in mein Urteil? Wenn er einen Gesandten will, sollte er jemanden schicken, dem er vertraut, oder dem vertrauen, den er schickt. Und wenn er Worte und keine Taten will, soll er sich jemand anderen suchen. Ich würde Pole töten, sobald ich ihn zu Gesicht bekomme.«

»Nun, damit wäre Ihr Botschafterdasein fraglos beendet.« Er wendet sein Gesicht ab. »So wie es ist, wird Henry Sie zurückschicken, wie Sie auch schreien mögen.«

»Dann tun Sie eines für mich«, sagt Wyatt. »Holen Sie diesen Kümmerling Edmund Bonner zurück. Er ist mir von Spanien nach Frankreich hinterhergetrottet, und ich schwöre, das nächste Mal, wenn wir zusammen auf einem Schiff sind, werfe ich ihn über Bord.«

Der fette kleine Priester ist beim König seit Neuestem gut angesehen. »Wir haben Bonner geschickt, damit er Ihnen mit den Theologen hilft. Wir dachten, wir würden Sie damit stärken. Wir haben es gut gemeint, ich schwöre es.«

»Ich würde lieber in einem Rattennest leben, als mit ihm unter einem Dach zu nächtigen. Ich habe nie einen Mann erlebt, der so schnell beleidigt ist und so schnell nachgibt. Mir bricht vor Scham der Schweiß aus. Ich verstehe nicht, wie Sie oder der König ein solches wachsweiches Nichts fördern können.«

Er sagt dazu nichts. »Sie würden nicht stattdessen nach Frankreich gehen wollen? Um Gardiner zu ersetzen? Ich möchte einen Freund als Botschafter an seiner Stelle.«

Wyatt lächelt, als wäre er verblüfft: »Und ich bin dieser Freund?«

Es klopft an der Tür: Dick Purser. Er zieht die Mütze vom Kopf: »Master, das Geschenk aus Danzig ist hier.«

Er schlägt mit der Hand auf den Tisch. »Lebend?«

»Drei. Hoffen wir, sie sind nicht alle von einer Art. Keiner von uns ist gewillt, sie hochzunehmen, um zu sehen ob sie einen Zapfen haben.«

»Ich komme«, sagt er. Und zu Wyatt: »Wir sind damit fertig?«

»Wenn Sie wüssten, wie viele lange, leere Tage ich in Gedanken mit Ihnen spreche …«

»Dann bleiben Sie zum Essen.«

»Und wie viele lange, leere Nächte«, sagt Wyatt.

Die Geschenke aus Danzig sind traurige Fellhäufchen, ihre Augen leuchtende, feindselige Punkte. Sie zittern, als hätten sie Fieber. »Bringen Sie sie doch in den Teich«, sagt er bestürzt.

Wyatt mustert die Tiere. »Was sind das? Biber?«

»Seit der Zeit unserer Großväter bei uns nicht mehr zu sehen. Ich will sie neu verbreiten. Die Fischer werden dagegen sein.«

Er zuckt mit den Schultern. Es sind immer die falschen Dinge aus der Vergangenheit, die die Leute zurückwollen. Diese geschäftigen Tiere können mit ihren Dämmen Ströme umleiten und verlangsamen, die oft über die Ufer treten. Keine menschliche Geschicklichkeit kommt der ihren gleich, und es ist eine Schande, dass sie gejagt wurden. Wyatt fragt: »Was holen Sie als Nächstes zurück? Wölfe?«

Wir brauchen nicht noch mehr Räuber. Wir brauchen keine Wildschweine, wenn sie auch gute Jagdobjekte sind. Aber wir müssen unsere Flüsse in ihren Läufen halten, und wir müssen neue Bäume pflanzen, wenn wir die alten im gleichen Tempo weiter fällen: für neue Häuser von Handelsmännern, für Paläste von Fürsten und für Schiffe, um gegen den Papst und den Kaiser in See zu stechen. Die ganze Welt verbündet sich gegen uns.

Im langen Dämmerlicht sagt Wyatt zu ihm: »In Spanien habe ich etwas erfahren: Sie haben ein so starkes Gift, dass ein Tropfen davon auf einer Pfeilspitze töten kann. Ich frage mich, ob ich es für unsere Zwecke beschaffen sollte.»

»Oh, ich halte es eher mit einem ehrlichen Mord«, sagt er. Er stellt sich den gefällten Pole auf einer Straße vor, und seine Lakaien fliehen wie Ferkel vor dem Metzger. »Ich male mir aus, seinen Kardinalshut entzweizuhacken und ihm den Schädel zu spalten, wie sie es mit Becket gemacht haben.«

Draußen vor dem Fenster geht ein englischer Mond auf, gelb wie eine Scheibe Banbury-Käse. Wyatt sagt: »Ich muss hinunter nach Allington und mich um meine Angelegenheiten kümmern. Ich habe nicht Ihre Fähigkeit, mir Vertreter auszusuchen, die sich um meine Interessen kümmern. Mein Sohn ist jetzt fünfzehn, und was hätte ich ihm im schlimmsten Fall zu hinterlassen?«

»Auf dem Papier sind Sie reich.«

»Oh, das Papier«, sagt Wyatt. »Ich glaube, keine Schlange, sondern Papier und Tinte haben das Böse in die Welt gebracht. Über mich werden solche Lügen geschrieben, codiert und uncodiert, dass ich jedes Mal denke, jetzt wirft Thomas Cromwell mich hinaus. Aber das tun Sie nicht.«

Er antwortet nicht, und völlig unversehens sagt Wyatt: »Ich will Bess Darrell sehen.«

»Wenn die Courtenays in ihrem Haus in Horsley sind, könnten die Geschäfte des Königs Sie dorthin bringen. Sie ist gewitzt genug, Sie bei Tag oder Nacht sehen zu können.«

Wyatt hat nie von dem angeblichen Kind gesprochen, das ihm das Leben gerettet hat. Aber sein Fehlen lauert wie ein leichter Dunst hinter seinen Schultern, wo auch sein Schutzengel ausharrt.

Er steht auf. »Ich werde Sie nicht mehr sehen, bevor Sie wieder aufbrechen. Ich wünsche Ihnen eine gute Überfahrt. Ich bete für Sie.«

Sie treten hinaus in den warmen, dunstigen Abend. Am Tor sitzt Anthony mit der Wache. Er bietet einen schwermütigen Anblick mit seiner eingefallenen Brust, dem gesenkten Kopf und den dürren Beinen, die er vor sich hin streckt.

»Anthony, ich dachte, Sie wären in Stepney.« Zu Tom Wyatt sagt er unnötigerweise: »Das ist mein Narr.«

Anthony trägt seine Arbeitskleider mit Streifen und Flicken. Wyatt geht mit einem kurzen Blick auf ihn vorbei, und als der Narr grüßend den Arm hebt, klingeln seine silbernen Glöckchen.

Wyatt bricht direkt nach Fronleichnam auf, um seine Botschaftertätigkeit wiederaufzunehmen. Am einundzwanzigsten Juni schreibt er aus dem Hafen von Hythe. Kein Schiff kann auslaufen, die Winde sind zu stark. Den ganzen Tag schon stürmt es und es soll auch die Nacht hindurch so weitergehen, aber morgen, sagen die Seeleute, morgen wird es sich ausgeblasen haben. In der Frühe schon, hofft er, loszukommen.

Er, Lord Cromwell, denkt an ihren Abschied: Wyatts Augen bettelten darum, dass er sagte, Sie müssen nicht zurück nach Spanien, ich werde geltend machen, dass Sie Ihr Möglichstes getan haben. Aber Henry hätte geantwortet: »Ich beurteile das.« Der König weiß um Wyatts Nutzen. Wyatt vermag Seufzer zu lesen und Widersprüchliches auszudeuten. Und er drückt sich genauso aus, wie es ein Diplomat tun sollte: glasklar und unbestimmt wie Wasser.

Wyatt hält sich für scharfsinnig, doch er begreift nicht, was Freundschaft in der Welt heute bedeutet. Sie schwört, ewig zu bestehen und sich nicht zu ändern, aber ändert sich das Wetter, wechseln Männer ihre Mäntel. Nicht jeder von ihnen ist mit Geld zu kaufen: Manche verraten dich für ein freundliches Wort von einem großen Mann, andere sprechen sich von dir los, weil sie dich hinken sehen, wie du den Tritt verlierst oder von Zeit zu Zeit zögerst. Er sagt zu Rafe und Nennt-Mich, ich dränge euch beide, unternehmt nichts, ohne gründlich darüber nachzudenken: aber lernt, sehr schnell zu denken.

Der Kaiser und François haben in Abwesenheit des englischen Gesandten eine, wie sie sagen, zehnjährige Waffenruhe beschlossen. Erst im Juli kann er, Cromwell, an die Bedingungen der Abmachung kommen. Jetzt sehen er und die Räte, wie wenig England dabei in Betracht gezogen wurde. Wyatt schreibt dazu: »Der König ist hinten vom Karren gefallen.« Das lässt ihn lachen, der Gedanke, dass Henry für den Markt fertig gemacht, aber auf dem Hof vergessen wurde und jetzt verloren im Regen steht.

Unsere offizielle Reaktion auf den Vertrag ist Unglaube. Statt von einer zehnjährigen sprechen wir von einer zehnminütigen Waffenruhe. Henry sagt: »Warum denkt Karl, der König von Frankreich wird ihm die Treue halten, wenn er es bei mir nicht tut? Er hat jedes einzelne alte Abkommen zwischen seinem Reich und unserem gebrochen. Der König von Frankreich und der König von England haben immer die Rebellen des anderen ausgeliefert. Warum liefert er uns Pole nicht aus?«

Er, Lord Cromwell, seufzt: »Gardiner hat uns in dem Punkt schlechte Dienste geleistet. Es ist höchste Zeit, ihn zurückzuholen.«

»Wenn er kommt, schicken Sie ihn in seine Diözese«, sagt der König. »Wir wollen ihn nicht in der Nähe unserer Person.«

Alle meine Gesandten haben mich enttäuscht, beschwert sich Henry. Sie wissen, wie sehr ein Frieden unsere Interessen bedroht, und doch konnten sie ihn nicht verhindern. »Francis Bryan sagte, er würde Pole in eine Falle locken. Aber auch er hat mich enttäuscht. Wie Sie, Cromwell.«

Wenn der Vertrag hält, ist die Gefahr für uns extrem groß. Karl sieht sich immer schon als den Eroberer Konstantinopels. Eine Eroberung Englands ginge jedoch viel schneller, und mit Frankreich als Verbündetem wäre es einfach und billig. Denk nur an die Freunde, die auf ihn warten, sobald er seinen Fuß auf unsere Erde setzt: die alten Plantagenet-Familien mit ihren Leuten, die bewaffnet bereitstehen. Poles Leute, die Courtenays.

Wyatt hat sich vom Kaiser täuschen lassen. England ist sowohl vom Kaiser als auch von Frankreich getäuscht worden. Henry ist außer sich. Nichts kann ihn trösten, nur die Theologie.

Eine Delegation deutscher Fürsten kommt voller Hoffnung auf Freundschaft und Kompromisse, die es unseren Kirchen erlauben werden, sich gemeinsam gegen den Teufel und den Papst zu wenden. Zum Verhandlungsteam des Königs gehört der mit den Deutschen vertraute und gut mit ihnen auskommende Robert Barnes. Aber auch der Bischof von Durham ist dabei, Cuthbert Tunstall, der aus seiner Diözese im Norden geholt wurde, um diejenigen zu stärken, die sagen: »Langsam, langsam, manchmal ist keine Veränderung das Beste.«

Tunstall ist ein feinsinniger Mann, erfahren und angenehm. Es ist erschreckend, mit wie viel Wohlwollen der König ihm begegnet: wie er sich mit ihm austauscht, während sie von Haus zu Haus reiten. Er lässt sich von den frommen Deutschen seine Jagd nicht verderben. Dr. Butts sagt, vielleicht sollten wir dem König das Reiten erlauben, solange er dazu fähig ist. Aber in jedes Haus, in dem er bleiben will, schickt Butts einen Wundarzt.

Die Lutheraner sagen zu Henry, Ihre Majestät weiß sehr gut, dass wir eine Liga gegründet haben: nicht um jemanden anzugreifen, sondern um uns vor dem Kaiser zu schützen. Wenn Sie sich beteiligen wollen, können Sie unser Oberhaupt werden. Wir machen Sie zum Schutzherrn unseres Bundes.

Den ganzen Sommer über verhandeln beide Seiten miteinander. Rafe Sadler führt Protokoll und berichtet dem König. Er selbst, Thomas Cromwell, bleibt auf Distanz zu ihrer Erfolgslosigkeit. Er weiß, dass der König niemals damit einverstanden sein wird, dass Priester heiraten dürfen und Laien Christus in Form von Brot und von Wein empfangen. Wir können uns nicht auf die Natur vom Körper Christi einigen, nicht darauf, was ein Faktum und was eine Allegorie, was menschlich und was göttlich ist. Kann Gott in Brot gebacken werden? Wenn wir die Hostie zu uns nehmen, warum hören wir dann nicht das Knacken von Knochen? Ist Er immer noch Gott, wenn Er durch unsere Eingeweide wandert? Und was, wenn Ihn ein Hund frisst, ist Er dann auch immer noch Gott?

Corpus Christi ist ein Wunder. Ein Geheimnis. Einmal geweiht, enthält die Hostie unseren Gott, lebend: der Wein ist sein Blut. Du kannst nicht darauf hoffen, es zu verstehen, du musst es glauben. Und wenn du es nicht glauben kannst, musst du den Mund halten, weil alles andere dich umbringen könnte.

Die Deutschen genießen ihren Sommer nicht. Sie beschweren sich, dass Ratten über die Böden ihrer Unterkünfte huschen, und sie schlafen neben der Küche und fürchten, ihre Kleider riechen nach Rauch und verbranntem Fett. Er könnte sie bei sich unterbringen, aber so weit will er nicht gehen, ganz und gar nicht mit Bruder Martin. Der schickt junge Männer nach Zürich, angezogen von den Lehren der gebildeten doctores dort. Hugh Latimer sagt, Englands Gott steht über allem, und unter ihm steht Cromwell. Aber der hält den Preis des Ganzen im Blick: die englische Bibel. Mit ihr in deinen Händen, spricht Gott zu dir wie ein Vater und eine Mutter, wie ein Kindermädchen, und wenn du nicht lesen kannst, werden dir andere vorlesen, in deiner dir so nahen, liebevollen, vertrauten Sprache.

Der König hat seine Zustimmung zur Bibel gegeben – sie muss nur noch gedruckt und verteilt werden. Er braucht eine in jeder Gemeinde, an einem Ort, zu dem jeder Zugang hat. Er braucht Tausende Exemplare, nicht ein paar Dutzend. Sein Freund, der Gelehrte Miles Coverdale, ist für eine Überarbeitung verantwortlich und will das Buch in Paris drucken lassen. Die französischen Drucker sind die schnellsten in Europa. Aber dort agiert auch die Inquisition.

Früher hätte er in Antwerpen gedruckt. Aber Karl ist der Herr der Stadt, und er ist in Mörderlaune. Du sitzt mit seinen Botschaftern zusammen, mit Mendoza, mit Chapuys. Du verbringst einen angenehmen Abend, redest über Bücher, genießt ein gutes Essen und etwas Musik. Aber vergiss niemals: Ihr Regime begräbt Frauen bei lebendigem Leib.

Als die Deutschen im September nach Hause zurückkehren, tun sie das mit dem Lob des Königs für ihre Frömmigkeit und Gelehrsamkeit. Sie sollten wiederkommen, sagt Henry, die Tür stehe weit offen. In diesem Monat erlässt er, der Vicegerent, neue Regelungen für die Kirche. Ein Ende der Pilgerreisen. Ein Ende des Angelusgebets, das die Leute auf den Feldern niederknien lässt. Keine Kerzen vor Statuen oder Bildern. Die Darstellungen selbst bleiben, abgesehen von den Götzenbildern, die von den Leuten mit Haferplätzchen und Ale versorgt werden, und den glitzernden, rotlippigen Jungfrauen, die silberne Schuhe tragen, während arme Frauen barfuß gehen.

In diesem Herbst führt er auch eine Art Volksregister ein. Jede Gemeinde muss anfangen, über Taufen, Eheschließungen und Begräbnisse Buch zu führen. Von jetzt an werden seine Landsleute wissen, wer sie sind und woher sie kommen, wer ihre Cousins und Cousinen sind und wie ihr Großvater hieß. Onkel Norfolk und der Adel haben Herolde, die ihnen ihre Ahnentafeln führen. Die Poles, die Courtenays, die Veres und die Talbots haben Wappen und Wahlsprüche. Ihre Vorfahren liegen unter ihren eigenen Statuen begraben, und noch bevor die Adligen schreiben lernten, hatten sie zahme Priester, die ihr Leben aufzeichneten. Aber der Metzger und der Landmann, der Hirte und der Schusterlehrling – soweit sie wissen, könnten sie auch wie Pilze im Wald aufgewachsen sein.

Seine Freunde fragen: »Was hören Sie aus Antwerpen, von Ihrer Tochter?«

Er wechselt das Thema. Er will nicht über Jenneke reden. Er denkt, ich mag kein guter Vater sein, aber sie weiß, wo sie mich finden kann. Wenn sie mir eine Nachricht schickt, erreicht sie mich. Vaughans Leute werden sie auf dem kürzesten Weg zu mir bringen. Der Name Cromwell ist jedoch kein Schutz für sie, eher das Gegenteil, und ihr Glaube – wenn sie denkt, dass wir die letzten Tage durchleben – ist eine Gefahr für ihn und die ganze Familie.

Im Hochsommer reitet er mit dem König durch Kent. In Dover treffen sie Lord Lisle, der herübergekommen ist, um Henry wegen der Klöster zu bedrängen. »Sprechen Sie mit Riche«, sagt der König gelangweilt.

»Riche?«, sagt Lord Lisle. »Es hat noch nie einen größeren Taschendieb gegeben! Der will einen Shilling dafür, dass er Ihnen einen guten Morgen wünscht!«

»Er ist Anwalt«, sagt der König, »wie sonst sollte er seine Shillinge verdienen?«

Der König hat ein entspanntes Verhältnis zu Lisle, der einmal ein freundlicher Onkel für ihn war. Aber Lisles rotes Plantagenet-Haar ist verblichen, über ein rötliches Gelb zu Grau, und das Alter hat ihn einfältiger werden lassen. »Nun, Cromwell«, sagt er und klopft sich auf die Taschen, als suchte er nach einer Münze, die er ihm geben könnte. »Ich bekomme täglich Briefe von Ihnen, aber wir sehen uns nicht oft, oder?«

»Leider nicht«, sagt er. »Ich hoffe, Ihrer Ladyschaft geht es besser?«

Lisle gelingt ein trübseliges Lächeln. »Ihr Bauch ist endlich wieder geschrumpft. Die Ärmste, ich habe niemals eine Lady erlebt, die enttäuschter war als sie.«

»Ich möchte ihr Land in Painswick kaufen«, sagt er. »Ich werde ihr ein gutes Angebot machen.«

Lisle findet das amüsant. »Sie denken, Sie könnten eine Scheibe von Gloucestershire brauchen, wie? Sussex befriedigt Ihren Appetit nicht ganz? Majestät, sind diese neuen Männer denn gar nicht mehr aufzuhalten?«

»Ich hoffe, nicht«, sagt der König. »Ich verlasse mich auf sie, Sir.«

Lisle lehnt sich nach hinten, auf die Fersen. »Ich weiß nicht, ob wir verkaufen.«

Der König lacht wie ein Junge. »Onkel, was Sie alles nicht wissen!«

Henry ist in leutseliger Stimmung, auch wenn er an Plänen für Festungen sitzt. Ich werde mit jedem reden, sagt er – Reden kostet nichts, solange es keine Treffen mit Königen verlangt, und selbst das, er denkt an eines mit François, könnte still und leise arrangiert werden: Warum treffen wir uns nicht außerhalb von Calais? Er ist immer noch daran interessiert, französische Bräute in Augenschein zu nehmen. Vielleicht könnte François eine Auswahl mitbringen?

Sein, Cromwells, Ton ist nüchtern. François, sagt er, sieht keinen Sinn in einem Treffen. Henry entgegnet: »Cromwell, François kommt seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nach. Er schuldet mir vier Jahre Pension. Sagen Sie den Franzosen, wenn sie nicht zahlen, marschiere ich bei ihnen ein.«

Die Räte hasten ihm verstört hinterher: »Cromwell, sagen Sie denen nichts Derartiges!«

An einem anderen Tag. »Rufen Sie Chapuys herein«, sagt der König. Gleich mehrere Ehen stehen zur Diskussion. Wenn Mary Dom Luís nimmt, geben wir nicht nur die junge Eliza noch mit dazu, sondern Lady Margaret Douglas kann einen Verbündeten des Kaisers heiraten, vielleicht in Italien. Der König wird auch Mary Fitzroy anbieten, die Witwe seines toten Sohnes. Chapuys und Mendoza werden ins Schloss in Richmond eingeladen, um einen Tag mit Lady Mary zu verbringen. Wieder spielt Mary die Laute. Chapuys berichtet: »Sie spricht liebevoll von ihrem Freund Cremuel«, und fügt mit einem Lächeln leise hinzu: »Sie scheint darauf zu vertrauen, dass er sie vor einem ungewollten Bräutigam schützen wird.«

Mit dem Besuch findet Mendozas Mission ihr Ende. Der König richtet ein Abschiedsbankett für ihn aus. »Der Kaiser hat ihm seine Londoner Ausgaben erstattet«, sagt Chapuys schmollend, »und ihn zweifellos reich entlohnt, während ich seit Monaten keinen Penny mehr gesehen habe und gezwungen bin, mir Geld zu leihen.«

Der französische und der kaiserliche Botschafter treffen sich und tauschen sich aus, nicht nur über den Geiz ihrer Fürsten, sondern auch über die Spielchen des englischen Königs und seiner Minister. Sie sagen, unsere Souveräne sind Verbündete, warum nicht auch wir? »Wir haben Neuigkeiten über den kleinen Edouard mitgeteilt bekommen«, sagt Castillon. »Es heißt, er hat vier Zähne. Wir sind verängstigt, Cromwell.«

Der König sagt, lassen Sie die Botschafter wissen, dass ich mit dem Herzog von Kleve über seine Schwester spreche. Wir wollen sie ein bisschen in Aufregung versetzen, sie alarmieren. Machen Sie ihnen klar, Cromwell, dass eine Verbindung mit Kleve viele Vorteile mit sich brächte.

Da unser Prinz bald zwölf Monate alt ist, wird es Zeit, ein Kindermädchen zu benennen. Als das getan ist, überlegt er, mit Mr Wriothesley und einem Blatt Papier, wie die Einkünfte des Königs auszugeben sind. Er will zwanzigtausend Mark für die Instandsetzung von Häfen und Festungen. Für die Armen und Kranken wird Henry die Hospitäler neu gründen müssen, die bisher von den Mönchen geführt wurden, und um das in Gang zu setzen, werden zehntausend Mark benötigt. Und dann hat er, Cromwell, vor, fünftausend Mark zu erbitten, mit denen er Männer zur Ausbesserung der Landstraßen einstellen will.

»Den Plan geben Sie einfach nicht auf«, sagt Wriothesley.

Er hat es bereits versucht, aber das Parlament wollte dem nicht zustimmen. Der König war der Sache durchaus zugeneigt. Es steht jedem Fürsten gut an, sich um die Mittellosen zu kümmern und ihnen ein ehrbares Leben zu ermöglichen. Wobei, sagt er zu Mr Wriothesley, sich König Arthur wahrscheinlich nie mit solchen Dingen befasst hat. In seinen Tagen setzten sich die Burgen selbst instand, und alle Bettler waren verkleidete Christusse.

Unser Mann in Brüssel, Hutton, ist gestorben. Mr Wriothesley muss hinreisen, sagt der König, Huttons Witwe helfen, ihre Angelegenheiten zu regeln und zurück nach England zu kommen: und das Vertrauen der Regentin des Kaisers zu erlangen, der Königin von Ungarn. Die Regentin mag ansehnliche Männer, und Mr Wriothesley ist von ansehnlicher Eloquenz. Und es ist an der Zeit, dass sich Hans wieder auf Reisen macht. Mit ihm geht Philip Hoby, einer der Kammerherren des Königs, um für seinen Monarchen den Liebhaber zu geben. Er muss Henrys Qualitäten darlegen: seine Liberalität, seine Nachsicht, seine friedliebende Natur. Ist Philip gut vorbereitet? Er, Cromwell, nimmt ihn beiseite.

»Philip, wenn Sie eine dieser Frauen aufsuchen – französisch, kaiserlich, es ist gleich –, müssen Sie, wenn Sie zu ihr geführt werden, tun, als brächten Sie vor lauter Staunen kein Wort heraus. Ihr Blick muss zu Boden fahren, wie in Panik, und dann heben Sie ihn langsam wieder, langsam, als trauten Sie sich kaum, sehen Sie ihr ins Gesicht.«

»Ja, ich verstehe«, sagt Philip Hoby.

»Und gleich wieder weg. Aber dieses Mal muss es sein, als schmerzte es Sie. Senken Sie den Blick, Philip, sehen Sie auf Ihre Stiefel und seufzen Sie tief.«

Philip kann nicht anders. Er seufzt.

»Dann stammeln Sie sich durch die Höflichkeiten. Aber wieder verlieren Sie die Fassung. Sie befühlen Ihren Körper, Ihre Taschen: ›Ah, hier ist, was ich zu sagen habe!‹ – und die ganze Zeit zittern Sie, Philip. Sie holen den Brief heraus. Ihre Finger wollen Ihnen kaum gehorchen. Sie lesen: ›Mein Master sagt‹ und so weiter, ›Unser Rat versichert …‹«

»Ich verliere immer wieder die Zeile, richtig?«

»Schließlich lassen Sie das Blatt sinken, wie etwas, das Sie verachten, und es platzt aus Ihnen heraus: ›Madam, ich muss es aussprechen. Berichte weisen auf das Leuchten Ihrer Augen, die Süße Ihrer Lippen und die Frische Ihres jugendlichen Teints hin. Doch diese Berichte vermögen auch nicht ansatzweise die Schönheit zu fassen, die zu betrachten ich in diesem Moment das Privileg habe.‹

An dem Punkt«, sagt er, »müssen Sie sich die Hand aufs Herz legen. Was sie begreifen muss, ist: ›Ah, dieser Gesandte ist in Liebe zu mir entbrannt!‹

Sie wird Sie anlächeln. Sie wird Sie bemitleiden. Tun Sie verlegen, aber lassen Sie sich von ihr aus der Reserve locken: ›Ach, Madam, Sie sind etwas für Fürsten, aber nichts für einen einfachen Mann wie mich. Doch es würde mich trösten, wenn ich Sie als Königin von England sähe – verbunden mit einem so edlen, mächtigen und gütigen Fürsten.‹ Und während sie noch erbebt, verlieren Sie keine Zeit. Bringen Sie sie dazu, einem Porträt zuzustimmen.«

»Ich hole Hans dazu«, sagt Philip. »Ich verstehe.«

Er klopft ihm auf die Schulter. »Ich vertraue Ihnen.«

Rafe sagt: »Jetzt, da ich höre, wie man diese Dinge anstellt, bin ich überrascht, dass Sie selbst keine Frau haben. Ich bin überrascht, dass Sie nicht tausend Frauen haben.«

Im Spätsommer reitet er hinunter nach Lewes, um Gregory und seinen Enkel zu besuchen. Die Pest hat nicht nur den Besuch des Königs verhindert, sondern auch den Haushalt seines Sohnes vom Gelände des Klosters weggezwungen. Aber Gregory hat nur wenige Meilen entfernt Zuflucht gefunden, wo es einige ruhige, geräumige Herrenhäuser gibt. Das Baby gedeiht prächtig. Die Ehe, so urteilt man, ist glücklich. Die arme Jane ist nicht mehr, aber ihre Schwester hält ihren Wert. Der junge Prinz braucht gute Onkel und Beschützer: Edward Seymour bleibt im Rat, und sein Bruder Tom ist Kammerherr des Königs.

Falls Gregory immer noch an das Missverständnis um seine Braut denkt, zeigt er keinerlei Verstimmung. Vater und Sohn reiten zusammen aus, die Sonne eine perfekte purpurne Kugel über dem sanft dahinschwingenden Hügelland. Der Himmel ist zu einem Spiegel geworden, vor dem sich die Sonne bewegt: Licht ohne Schatten, wie das Licht zu Beginn dieser Welt. Gregorys Erzählstrom versiegt. Das Knarzen des Zaumzeugs, der Atem der Pferde, alles wirkt wie gedämpft, und so reiten sie schweigend, silbrig umrandete Umrisse, groß vor dem Himmel, und als die Anhöhen in der bauschigen Ferne vergehen, fühlt er sich ins Nichts reiten, eine Leere, in der nur die Erinnerung lebt. Er denkt an jene, die er kannte und die im Feuer gestorben sind, als wären sie in die Sonne gefallen. Little Bilney, der mürrische, widerspenstige Tyndale, der junge, zarte John Frith.

Auf dem Weg zurück zum Abendessen hat das Licht die Farbe von Taubenfedern angenommen. Er gibt sein Pferd ab und schlüpft wieder in seine öffentliche Hülle. Die bessere Gesellschaft von East Sussex will bewirtet werden, früh wie spät. Bess ist eine erfahrene Gastgeberin, nachdem sie es für ihren ersten Mann schon sein musste. Gregory ist überschwänglich, ein guter Gesellschafter, hört aber nach wie vor aufmerksam zu, um zu lernen. Immer wieder geht sein Blick zu seinem Vater. »Ich wünschte, Richard wäre hier«, sagt Gregory. Aber Richard richtet sich in Huntingdonshire ein, wo ihm einige Klöster zugefallen sind. Im November, denkt er, werde ich Richard selbst brauchen, damit er mir im Tower hilft.

Ende August verhaftet er Geoffrey Pole. Er ist der Jüngste der Sippe und der, dem am wenigsten zu trauen ist – von seiner Familie, seinem Fürsten und ihm, Lord Cromwell, selbst.

Er hat keine Eile mit Geoffrey. Er wird unter Bedingungen untergebracht, die einem Gentleman angemessen sind, der der Cousin des Königs ist. Er ist sicher, Reginald Pole versteht das Zeichen, das er, Cromwell, damit aussendet. Reginald hat immer noch die Möglichkeit, seine Familie zu retten. Er kann nach Hause kommen und Henry von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten.

Unterdessen befragt er seine Erinnerung und seine Unterlagen. Er sucht nach Berichten von Leuten aus dem Umfeld der Poles: Kaplanen, Bediensteten, Boten und Mittelsmännern. Er sieht durch Papiere aus den Tagen, als die falsche Prophetin in Kent auftauchte und von den Courtenays aufgenommen wurde. Er geht durch die Aufzeichnungen seiner Gespräche mit Francis Bryan vor zwei Jahren im Tower. Francis ist eine wandelnde Unterstellung. Noch sein beiläufigstes Wort ist ein Füllhorn an Hinweisen für argwöhnische Geister.

Er bereitet sich darauf vor, zwei der reichsten und edelsten Familien Englands zu Fall zu bringen. Sie besitzen Land überall in den südlichen und westlichen Counties. Falls der Kaiser einmarschiert, wird er einen von ihnen auf den Thron setzen: entweder Montague, Poles Bruder, oder Henry Courtenay, den Marquis von Exeter. Wenn sie beschließen, Mary zur Königin zu machen, tun sie es ihrer Mutter zuliebe. Sie werden sie in die eine oder andere Familie verheiraten und zu ihrer Marionette machen, die zwischen ihnen hin- und hertanzt.

Die Granden Englands behaupten, von Kaisern und Engeln abzustammen. Für sie ist Henry Tudor der Sohn walisischer Pferdediebe: ein Emporkömmling, ein Thronräuber, und Eide, die auf ihn geschworen wurden, darf man brechen.

Anfang Juli haben der König und er in Canterbury das neue Becket-Stück gesehen, von seinem Mann, John Bale, ersonnen und von Lord Cromwells Theatergruppe aufgeführt. Einige sind Überlebende von George Boleyns Truppe, junge Schauspieler, die keine Angst vor frischen Geschichten haben und nicht abergläubisch sind, wenn es darum geht, den Toten neue Sätze in den Mund zu legen.

Becket ist Englands Heiliger, dem Land näher als der heilige Georg. Im Unterschied zu einigen Heiligen, die in diesem Sommer zerstört wurden, hat es ihn wirklich gegeben. Er war Londoner, in Cheapside geboren. Vor seiner Geburt träumte seine Mutter, dass die Themse durch ihren Körper fließe. Sie träumte, ihr Baby sei bereits auf der Welt, liege auf einer purpurnen Decke und sehe hinauf zum Dach. Die Decke entfaltete sich, wuchs über das Bett und das Zimmer hinaus, und sie hielt den Saum, ging rückwärts bis an den Rand des Universums, zwischen Mond und Sternen.

Manche sagen, Beckets Mutter war eine sarazenische Prinzessin, wahrscheinlicher ist aber, dass sie die Tochter eines Tuchhändlers war. Ihr Sohn kam aus dem Nichts und stieg durch die Gunst des Königs zum Lordkanzler und Erzbischof auf. Einmal aufgestiegen, lehnte Becket jedoch Fürsten und Prinzen ab und glaubte der alten Lüge, dass die Päpste über allem stünden – und die Priester über dem Gesetz. Schließlich wandte sich sein König gegen ihn und schickte vier ihm ergebene Ritter nach Canterbury, um Becket seinen Irrtum begreiflich zu machen.

Die Ritter ließen ihre Ausrüstung unter einem Maulbeerbaum liegen und gingen unbewaffnet zum Erzbischof. Da er sich aber hochmütig, hartherzig und zu keiner Änderung bereit zeigte, holten sie ihre Schwerter und folgten ihm in die Kathedrale, die Schritte ihrer metallenen Füße hallten über den Steinboden. Becket hätte sich unter dem Dach oder in der Krypta verbergen können, doch er stellte sich vor den Altar des heiligen Benedikts und erwartete seine Tötung.

Die Ritter schlugen ihn mit der flachen Seite des Schwertes und befahlen ihn hinaus, weg vom heiligen Boden. Becket reckte die Arme, verdrehte die Augen zum Himmel und schwor, er werde sterben, wo er stehe. Der erste Schlag ließ Blut hervorquellen, das der Erzbischof mit dem Ärmel wegwischte. Ein zweiter Schlag spaltete ihm den Schädel und brachte ihn auf die Knie. Er stürzte nach vorne, aufs Gesicht, und das Schwert von Richard le Breton riss ihm die Schädeldecke herunter. Sir Hugh de Morville stellte einen Fuß auf den Nacken des sterbenden Mannes, kratzte ihm das Hirn aus dem Kopf und schmierte es über den Steinboden – und fügte, wie es ein verständiger Mann tun würde, hinzu: »Der steht nicht wieder auf.«

Sobald die Menschen in der Stadt von der Tötung erfuhren, versammelten sie sich in der Abtei, jammerten und klagten die Ritter an. Die Mönche packten den Leichnam in einen steinernen Sarg und begruben ihn in aller Eile. Dabei achteten sie darauf, die Stelle zu markieren, an der Becket gestorben war. Die Wunder begannen zwei Tage später. Gelähmte Arme zuckten an ihren Schultern, Krüppel tanzten, und heiß wie ein Teufelsfurz fuhr die Nachricht durch Europa, der Schurke sei ein Märtyrer unserer Heiligen Mutter, der Kirche, wo er doch tatsächlich ein Märtyrer seines eigenen Stolzes war. Innerhalb von zwei Jahren sprach der Papst ihn heilig, und das Gezeter um seine Reliquien begann. Sein Blut, so stark verdünnt, dass nur noch die Erinnerung daran übrig blieb, wurde in der ganzen bekannten Welt verkauft, die von den Mönchen markierte Stelle zu seinem Heiligtum. Selbst die Läuse aus seinem härenen Gewand waren heilig. Fünfzig Jahre nach seinem Tod wurden seine Überbleibsel in einem neuen, prächtigen Reliquienschrein auf einer Plattform hinter dem Hochaltar untergebracht. Bald schon hatten die Gläubigen ihn vergoldet und mit Edelsteinen übersät. Der König von Frankreich spendete einen Rubin von der Größe eines Hühnereis. Königin Katherine ist oft hergepilgert, und auch Kaiser Karl hat die Knochen schon angebetet.

Was die schuldigen Ritter betrifft, sie fuhren nach Rom und winselten um Vergebung. Der Papst schickte sie ins Heilige Land und wusste, sie würden nicht wieder zurückkommen. Becket war ein rachsüchtiger Mann, und seine Hassgefühle starben nicht mit ihm. In einer Stadt in Kent, deren Bewohner ihn verlacht hatten, sorgte er dafür, dass eine ganze Generation Kinder mit Schwänzen geboren wurde. Von einem anderen Ort, an dem er herabgewürdigt worden war, verbannte er alle Nachtigallen, sodass sie dort bis auf den heutigen Tag nicht mehr zu hören sind, weder von Verliebten noch von Dichtern.

Jedes Jahr spielen die Leute in Canterbury Beckets Tod nach: in der Mönchs-Version, weil bis heute keine andere verfügbar ist. Mengen füllen die Straßen, voller Aufregung, als könnte die Geschichte in diesem Jahr anders ausgehen. Heiße Pasties werden verkauft. Es gibt Prozessionen mit Trommlern und Flöten, und dann fängt das Stück an. Die Ritter bekommen zwei Pence und ein Bier, der Junge, der den Heiligen spielt, einen Shilling, denn die Ritter lassen ihn leiden und werfen ihn auf den Steinboden wie damals den alten Erzbischof. Während Becket Christus anruft, hockt ein Junge hinter dem Altar und bespritzt die Szene mit Schweineblut. Der Schauspieler wird weggetragen, dann betrinken sich alle.

September: Er selbst, Cromwell, kommt nach Canterbury und ruft die Würdenträger zusammen. Es sind keine einfachen Zeiten für Gentlemen, aber ihr müsst wissen, dass der König eure Heiligen hasst, und wenn ihr die Privilegien der Stadt behalten wollt, müsst ihr ihm eure Treue beweisen: Haltet die Straßen ruhig. Es stimmt, ihr verliert Geld, wenn keine Pilger mehr kommen. Aber, Gentlemen, baut euch ein anderes Geschäft auf: Weint euch nicht an meiner Schulter aus, ihr seid hier eine reiche Wollgegend, umgeben von großen Häfen. Ihr könnt mit diesem alle Vernunft beleidigenden Missbrauch nicht fortfahren, bloß weil die Leute zu Tausenden von überallher kommen und große Augen machen.

Die Stadt ist voller Menschen. Er wohnt in den Räumen des Priors – in den Gasthäusern der Stadt, im The Porpoise, The Dolphin and the Mitre, The Sun, The Crown und im The Checker, ist kein Zimmer mehr zu haben. Das Bull Inn hat selbst die schlechten Räume nach hinten hinaus gefüllt, die auf die Schlachtbänke der Butchery Lane hinausgehen. Die Mönche sind seit Langem vorgewarnt. Sie bieten keinen Widerstand. Sie sind nur froh, dass die Abtei selbst offen bleiben soll – oder besser: vom König neu gegründet werden soll. Beckets Schrein ist nicht der erste, der aufgebrochen wird. Das geht so vonstatten, dass zunächst alle wertvollen Metalle und Edelsteine geborgen, gewogen und geschätzt werden. Ihr Transport in die Schatzkammer des Königs wird arrangiert und der vermeintliche Heilige an einem ehrbaren, aber unbekannten Ort neu begraben.

An einem schönen Herbstabend räumen sie die Umgebung der Kathedrale. Prior Goldwell bittet darum, der Exhumierung fernbleiben zu dürfen, und geht zu Bett. Die Mannschaft des Vicegerent sitzt bis in die ersten Morgenstunden beim Feuer. Nach dem Nachtoffizium, als sich die Stunde der Laudes nähert, nickt er Dr. Layton zu, seinem Bevollmächtigten.

Ein junger Mönch führt sie über eine Abkürzung zur Grabstätte. Schlüssel werden hinter ihnen im Schloss gedreht, Riegel vorgeschoben, Balken in ihre Halterungen gelegt. Vor ihnen reicht das riesige Kirchenschiff ins Dunkel, eine schwarze, hallende Weite, in der er Männer mit Hunden verteilt hat. Er kann ihre scharrenden Pfoten hören, ihr Keuchen, mit dem sie an ihren Leinen ziehen. Es sind Kettenhunde. Mit Kiefern wie Schraubstöcke. Sie werden jeden Eindringling schnappen und zu Boden bringen. »Sweeper!«, rufen ihre Führer. »Sturdy! Diamond! Jack!«

Die Mönche der Vorhut haben Fackeln im Grabraum entzündet. Er geht auf das Licht zu und zählt seine Zeugen: Laytons Helfer, die ausgewählten Bürger der Stadt. Er will alle so, dass er sie sehen kann, niemanden, der sich im höhlenartigen Raum herumdrückt. »Macht die Hunde scharf.«

Innerhalb eines Atemzuges füllt sich die schwarze Leere mit Knurren. »Jesus«, sagt Christophe. »Die klingen ja wie umherstreifende Dämonen.«

Er streckt eine Hand aus und findet die Schulter des Jungen. »Bleib nahe bei mir.« Selbst der Franzose kennt die Legende des Heiligtums. Was die sich zusammendrückenden Zuschauer aus der Stadt angeht – Gildenführer, Ratsherren –, sie wurden mit Geschichten großgezogen, in denen jeder, der sich an den Reliquien von Heiligen verging, von Pest oder Lepra befallen wurde: Unsichtbare Schlingen legten sich ihnen um die Hälse, und sie landeten sich windend auf der Erde und erstickten.

»Wir sind so weit«, sagt er. Ein Mönch kommt auf ihn zu, und sein Auge fängt das Glitzern von Metall auf. Seine Hand fliegt an seine Brust, zu seinem Messer. Als der Mann jedoch ins flackernde Licht tritt, sieht er, dass es keine Waffe ist, die jener in der Hand hält, sondern Beckets Schädel. Er hält ihn gegen seine Kutte gedrückt, als wäre es ein scheues Tier, das die Kälte spürt.

»Geben Sie her«, sagt er. Eine Silberkappe hält die Bruchstücke des Knochens zusammen. Tausende Lippen haben diese Reliquie berührt, aber er ist ein Hurenbock, der keine Zeit für Küsse hat. Er hält Becket in die Höhe, Auge in Auge, und blickt in die leere Höhlung, dreht den Schädel, um zu sehen, wo er vom Rückgrat geschnitten wurde. Es gibt keine Aufzeichnung dazu, dass die vier Ritter Beckets Kopf vom Körper abgetrennt hätten. Das haben seine Bewunderer später getan.

»Sollen wir uns auch den Rest von ihm ansehen?«, fragt Dr. Layton.

Jetzt, wo die Edelsteine und das Gold heruntergebrochen sind, liegt auf den Steinplatten nur noch eine taugliche Eisenbrust, so wie unsere Vorväter sie vor ewigen Zeiten benutzt haben. Seine Fingerspitzen fahren darüber: einfacher Rost. »Himmel, Layton«, sagt er, »da haben die Mönche eine Chance verpasst. In jedem Frühjahr hätten sie den Rost abkratzen und für mehr verkaufen können, als Sie für Einhornpulver bekommen.«

»Licht, bitte«, sagt Layton.

Die Brust ist rundum mit Blei versiegelt. »Sehen Sie nach, ob noch alles richtig zu ist.« Ein Arbeiter geht in die Knie und fährt mit den Fingern über die Naht. Dr. Layton hockt sich neben ihn: »Man sollte schwören, dass da seit Jahren niemand mehr dran war, Mylord.«

Sie fürchten, die Knochen könnten von einem abweichlerischen Mönch gestohlen worden sein: dass sie mit einem Boten nach Rom geschickt wurden oder irgendwo in einem privaten Ossarium liegen, bis die alten Zeiten wiederkehren. Aber wenn das Siegel unbeschädigt ist … »Da hätte ich mich auch gut in mein Federbett legen können, Dr. Layton.«

»Oh, ich würde das nicht verpassen wollen«, sagt Layton. »Ich persönlich nicht.«

Der Arbeiter richtet sich auf. »Sollen wir den Deckel aufmachen, Sirs?«

Ein Mönch sagt: »Gott in seiner Güte schütze uns.«

Er bemerkt, dass einige der Zeugen aus dem Kreis zurückweichen. »Bleiben Sie, oder die Hunde gehen auf Sie los.« Der Arbeiter ist ein Steinmetz, und er hat seine Werkzeuge mitgebracht. Die, denkt er, hat alle ein Schmied gemacht. Und ein anderer namenloser Schmied hat vor drei Jahrhunderten das Blei für das Siegel geschmolzen, das wir jetzt aufbrechen werden. Er sagt, geben Sie mir den Meißel, befühlt die Spitze und reicht ihn zurück. Einige Schmiede verstehen sich nicht darauf, Meißel zu schmieden. Stanzen auch nicht. Sie müssen sie jedes Mal wieder neu schärfen. Walter sagte immer, du musst warten, warten, warten, bis die Farbe von Sonnenuntergangsrot zu Aschgrau verbleicht. Es sind die letzten drei Hammerschläge, die zählen.

Jeder Schlag dröhnt. Eins, zwei, drei. Er würde die Brust selbst aufreißen, aber die Würde seines Amtes verbietet es ihm: dem Stellvertreter des Königs, Cromwell von Wimbledon, Lordsiegelbewahrer. Ritter des Hosenbandordens.

Der Steinmetz atmet aus, als er sich aufrichtet. Er umkreist die Brust und geht erneut auf die Knie.

»Noch eine Fackel«, sagt er. Die Flammen lecken, wiegen sich, und hinter ihm ruft jemand: »Da oben!« Er wirbelt herum, eine schwarze Wolke aus Samt und Fell. Die Hunde fangen donnernd an zu bellen. Hoch oben schneidet ein Umriss durch den Raum. Er erkennt die Spitze eines Flügels – die Kontur eines großen Vogels oder einer Fledermaus.

Kapuzen tragende Mönche sinken auf die Knie. Ein Körper geht zu Boden, ein Kopf schlägt auf die Steine. Er ruft nach mehr Licht. Laternen tanzen im Kirchenschiff. Die Hundeführer reißen die Bestien zurück. »Oh, bei den Schenkeln Marias!«, ruft Christophe. Hoch unter dem Dach hat ein Arbeiter seinen Mantel an einem Gerüst hängen lassen. Er streckt die Arme, als schwömme er durch die schwarze Luft.

Der gestürzte Mann wird geohrfeigt und auf die Beine gehoben. Er zittert und wird von zwei Burschen weggeführt, die sich über Jahre für die Geschichte ihr Essen werden bezahlen lassen. Unsicheres Lachen ist zu hören.

»Ich nehme an, das ist nicht Ihr Mantel?«, fragt Layton den Steinmetz.

Der Mann schüttelt den Kopf. Er würde sich bekreuzigen, hielte er keinen Meißel in der Hand. »Bei der heiligen Barbara, ich schwöre, er hat sich bewegt!«, ruft ein Mönch.

Er sagt milde: »Masters, wie Sie sehen, ist es nur ein Stück Stoff.«

Sind das Engländer? Sind das die Eroberer von Azincourt? Angst fährt ihnen flohschnell unter die Haut. Jemand kommt mit einer langen Stange und einer Leiter und stochert nach dem Mantel, als wäre es ein Gehängter, der öffentliche Demütigungen zu erleiden hat.

Er sagt zum Steinmetz: »Master? Würden Sie weitermachen?«

Drei weitere Schläge. Jeder dröhnt tiefer in den Körper hinein und lässt dein Herz pochen. »Eine Brechstange«, sagt er.

Als sich der Panzer öffnet, dringt ein Geruch daraus hervor, ein Gestank wie aus einer Pestgrube. Es ist wie ein Schlag mit einem Knüppel. Alle weichen zurück. Er hat eine Flasche aqua vitae in der Tasche, nimmt einen Schluck und gibt sie Christophe. Der Junge trinkt, hustet. »Ich brenne«, sagt er dankbar. »Warum haben Sie mir das noch nie gegeben?«

»Auf geht’s«, sagt der Steinmetz. »Helfen Sie mir, Sirs?«

Eins-zwei-drei: Master und Mann hieven den Deckel zur Seite und kippen ihn auf den Boden. Dr. Layton ist direkt neben ihm. In den Schatten scharren die Mönche mit den Füßen, schniefen und beten laut.

In der Brust ist nicht genug, um einen Mann zusammenzusetzen. Die Rippen des Heiligen sind weg, es sei denn, sie sind das, was untendrunter diese Ablagerung gebildet hat. Seine Finger fahren hindurch. Die langen Knochen liegen über Kreuz da – Unterarme, Wadenbeine, Schenkel- und Oberarmknochen. Sie bilden ein Viereck, in seiner Mitte ein Schädel.

Der Steinmetz sagt: »Allmächtiger! Soll ich, Sir? Oder wollen Sie?«

»Sie«, sagt er. »Halten Sie ihn hoch, damit ihn alle sehen können. Wenn ich es tue, werden sie es nicht glauben. Dann denken sie, es ist ein Zaubertrick.«

Den Arm in die Luft gereckt, zeigt der Arbeiter den Schädel herum. Die Zeugen schnappen nach Luft. Die Hunde fangen erneut an zu knurren. Ihre Umrisse tauchen weg und schießen vor. »Sitz, sitz!«, rufen ihre Führer. Nur der Stoffmann hängt ruhig über ihnen.

»Nun«, sagt Dr. Layton, »entweder ist der Silberschädel der von Becket oder der hier. Kein Heiliger ist so etwas Besonderes, dass er zwei Köpfe hat.«

Der Gestank, fällt ihm auf, verflüchtigt sich oder löst sich in der allgemeinen Fäulnis auf: dem ankühlenden Angstschweiß, dem hungernden Atem des frühen Morgens. Er könnte schwören, dass sich einer der Mönche eingepisst hat – oder lass uns sagen, es war eines der Viecher im Kirchenschiff. Er kann jetzt ihre Umrisse ausmachen, ihre muskulösen, lebhaften Körper, die offenen Schnauzen, die heraushängenden Zungen. Er dreht den Schädel in seinen Händen. Seine Finger erforschen das Schädeldach, dringen aus den zerschlagenen Augenhöhlen. »Nun – woher kommt diese zweite Reliquie?«

Wenn das hier Beckets Schädel ist, wer war dann der namenlose Kerl mit der Silberkappe, öfter tot als lebendig geküsst, Prinzessinnenlippen auf seiner Rübe spürend? Ist er an einem Fieber gestorben? An einem Pflaumenkern erstickt? Haben die Mönche gesagt: »Niemand erhebt Anspruch auf diesen Burschen, lasst uns ihn zu einem Becket machen«? Um ihn dann in den Hof zu werfen und mit einem Beil auf ihn loszugehen?

Er legt den nackten Schädel zurück in die Brust, zwischen die gekreuzten Knochen. Dieser Schrein ist der reine Betrug, kaum vorstellbar, sagt er. Wir wissen nicht mal, ob das Beckets Knochen sind, diese Oberschenkel, diese Waden. Es kann hier jede Menge vertauschte Leichen geben.

Wie kalt es geworden ist: als wäre das Jahr vom fallenden Laub in den Advent vorgeschnellt. Dr. Layton reibt sich die Hände. »Sind wir fertig, Mylord? Ich werde aufschreiben, was wir gefunden haben. Was ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe.«

Die Glocke für das Morgengebet läutet. Als sie nach draußen treten, können sie ihren Atem in der Luft sehen. Die Sterne verbleichen um sie herum. »Mylord Cromwell«, sagt einer der Mönche. »Wir haben ein anderes Grab vorbereitet …«

»Es wird keines gebraucht. Der König will die Knochen.«

Der Mann starrt ihn an. Allein die lange klösterliche Disziplin hält ihn davon ab, verzweifelt aufzuschreien. »Er wird nicht hier beerdigt?«

»Brechen Sie das Silber vom Schädel«, sagt er. »Lassen Sie es wiegen und setzen Sie es mit auf die Liste. Legen Sie die Knochen zu dem anderen Schädel, genau wie alles, was sonst noch auftauchen mag. Es würde mich nicht überraschen, wenn der betrügerische Schurke sechs Köpfe gehabt hätte. Ich werde den Brustpanzer mitnehmen. Geben Sie ihn Monsieur Christophe hier. Sie müssen ihn neu versiegeln.«

Die Hunde werden weggeführt – jaulend und knurrend, aber sie wedeln mit ihren coupierten Stummelschwänzen. Nach der nächtlichen Arbeit wollen sie ihr Frühstück. Wie wir alle, wenn wir das Gift aus unseren Kehlen heraushusten können. »Geben Sie mir noch einen Schluck?«, fragt Christophe.

Er gibt ihm die Flasche. »Behalte sie.« Er zieht den Jungen nahe an sich heran. »Schaffe die Knochen nach Austin Friars. Wenn jemand fragt, wo sie sind, sage, sie sind auf einen Karren geladen worden und du hast sie nicht wiedergesehen.«

Er denkt, ich will in der Lage sein, den Schurken ohne lange Vorwarnung hervorzuholen. Im Augenblick spuckt der König auf Becket, aber gib ihm ein, zwei Jahre: Vielleicht ändert er da seine Meinung und macht ihn wieder zu einem Heiligen. Es ist traurig, aber so sind die Zeiten.

Der König hat in diesem Monat ein paar neuen Verfügungen zugestimmt. Die Bibel muss gelesen werden, die Leute müssen ihre Gebote und ihr Glaubensbekenntnis auswendig lernen, die Priester sollen sie unterrichten, Stück für Stück, Woche für Woche. »Aber, Mylord Cromwell«, sagt der König, »entfremden Sie die Menschen nicht von meiner Kirche. Behalten Sie die verehrungswürdigen Bilder bei. Behalten Sie alle löblichen Zeremonien bei. Empören Sie meine Untertanen nicht mit neuen, fremden Praktiken.«

Die Deutschen sagen: »Wir wissen, Sie sind auf unserer Seite, Cromwell, ganz gleich, wie vorsichtig Sie sich verhalten.« Hugh Latimer sagt: »Unter Ihnen sind in diesen letzten fünf Jahren mehr ehrbare Leute befördert worden als in den hundert Jahren davor.« Thomas Cranmer sagt: »Sie haben alles für die Schrift getan, haben alles aufs Spiel gesetzt, alles, was Sie haben und sind.« Robert Barnes sagt: »Angenommen, der König verliert die Nerven?«

Er hat das Gefühl, ihrer aller Worte hallen in seinem Kopf wider. Er geht davon. Er ist sehr müde: todmüde, sagt er sich. Er fragt sich, wo ist meine Tochter Jenneke heute Morgen? Er fühlt sich wie betrunken, als hätte er die Flasche selbst ausgetrunken, erinnert sich an einen Tag in Putney, das Flussufer, vor langer Zeit, wie er in der Dämmerung nach Hause geht. Er sieht sich selbst, wie von oben aus den Baumkronen, wie er von einer Seite zur anderen wankt, eine kleine, voranstrebende Gestalt im weißen Licht, mit dem Geschmack von Erbrochenem im Mund.

Der Oktober bringt Stephen Gardiner. Er kommt mit seinem Gepäck aus Dover, im Bewusstsein, dass seine Rückkehr aus Frankreich von einem Verdacht überschattet wird. Bess Darrell, die den Gesprächen in Papistenhäusern lauscht, ist sicher, dass jemand aus unserer Botschaft in Frankreich im letzten Jahr Kontakt zu Reginald Pole hatte und ihn instruiert hat, wohin er sich bewegen müsse, um den Agenten des Königs auszuweichen. Es wäre gut herauszufinden, dass Stephen der Verräter war. Der Bischof ist immer entschlossen dafür eingetreten, dass der König das Oberhaupt der Kirche ist. Aber die, die ihn lange genug kennen, sagen, dass das, was er sagt, nicht das ist, was er denkt.

Es war gut, Gardiner drei Jahre lang von England fernzuhalten. Jetzt setzt er Bonner, der ihm als Gesandter nachfolgt, daran, in Stephens Akten nach Spuren jener Missgeschicke zu suchen, zu denen es im Leben eines Diplomaten nun mal kommt. Bonner macht sich mit Genuss an seinen Auftrag. Um ihm den nötigen Rang zu verschaffen, ist er zum Bischof von Hereford ernannt worden. Er kann sein Glück kaum fassen. Seine Briefe aus Frankreich sind froh gelaunt und doch voller Groll und Beschwerden, die in Sätze gebettet sind, die den Mylord Lordsiegelbewahrer lachen lassen. Sein Vorgänger, berichtet er, war eher hinderlich bei der Übergabe und hinterlässt eine Gästeliste, die zeigt, wie sehr er papistische Gesellschaft genossen hat. Und sein gewohntes Thema beim Tischgespräch war, wie sich der König mit Rom versöhnen ließe, ohne sein Gesicht zu verlieren: und dass er, Stephen Gardiner, Bischof von Winchester, der Mann sei, um es herbeizuführen.

»Hör zu«, sagt er zu Rafe: er gibt ihm Bonners Brief. Welche Raupen diese Männer sind, die alles vor ihnen verdauen, die sich am Wohlwollen des Königs mästen und schartige Löcher ins Gemeinwohl fressen. Sie verpuppen sich in staubigen Ecken, und eines Tages werden sie ihren Kokon aufbrechen und mit ihren römischen Gewändern protzen.

Bonner beschwert sich auch über Wyatt. Wyatt war grob zu ihm, als sie in Spanien waren, unerträglich in Nizza. Verschwieg ihm Dinge. War unbeeindruckt, wenn es gefährlich wurde. Seine Haushaltsführung ist zügellos. Huren gehen in den Unterkünften seines Gefolges ein und aus. Im Übrigen, sagt Bonner, hegt Wyatt einen Groll gegen den König wegen seiner Inhaftierung vor zwei Jahren, einen Groll, dem er oft Luft macht.

Er findet das glaubhaft. Er findet es natürlich. Ein Kleingeist wie Bonner wird einen ungezwungen handelnden und sich ausdrückenden Mann wie Wyatt niemals verstehen können. Es hat mich immer überrascht, sagt Richard Riche, dass Wyatt ein Botschafter sein soll. Für mich scheint er aus einer früheren Zeit zu stammen, als diese Art Galanterien nicht in den Konten des Königs auftauchen mussten.

Francis Bryan kommt zurück nach England gekrochen und ist so krank, dass er sterben könnte. Der König hat ihn aus seinem direkten Gefolge entfernt, obwohl Bryan schwört, dass all seine Exzesse im Dienste Englands erfolgt seien. Seine Leute schaffen ihn aufs Land und schreiben Lord Cromwell mit der Bitte um ein freundliches Wort. »Sie wissen, dass Sie ihn schmerzlich vermissen würden«, sagt Richard Cromwell. »Jedes Mal, wenn Sie nicht wissen, was Sie machen wollen, sagen Sie: ›Verhaftet Sir Francis Bryan!‹«

Er hat persönlich nichts gegen Francis. Es ist eher eine Art Zuneigung, aus der heraus er ihn einen »Höllenpfarrer« nennt. Und es ärgert ihn, dass sich Männer noch vor seinem Tod um seine Ämter bewerben. Er schreibt ihm einen Brief, um ihn zu ermutigen weiterzuleben, und bittet Dr. Layton, ihm ein paar von den ausgezeichneten Birnen zu schicken, die er bei seinem Pfarrhaus in Harrow-in-the-Hill züchtet.

Mr Wriothesley, der durch Antwerpen kommt, trägt einen Brief zu Jenneke. Ihn, Lord Cromwell, überrascht es nicht, als er keine Antwort erhält: falls sie ein Risiko sieht, das sie nicht eingehen sollte. Er denkt an sie, sieht sie unter dem Wandteppich mit ihrer eingewebten Mutter sitzen, sieht sie deutlich und klar, wo ihre Mutter nur mehr ein verblichener Text ist. Ihr Besuch markiert ihren Platz im Buch seines Lebens – einem Buch, das in lose Seiten zerfällt. Drucker können in einem Spiegel lesen. Das ist ihr Geschäft. Ihre Finger sind geschickt, ihre Augen scharf. Aber blättere aufmerksam durch ein Buch, welches auch immer, und du wirst sehen, dass manche Buchstaben auf dem Kopf stehen, manche vertauscht sind.

November: die Feste Allerseelen und Allerheiligen. In den letzten paar Tagen war William Fitzwilliam sechsmal im Tower bei Geoffrey Pole. Fitzwilliam hat ihm nicht wehgetan, aber die Möglichkeit erwähnt, dass er es tun könnte. Nach dem ersten Verhör hat sich der Gefangene, der sich irgendwie eine Klinge verschafft hatte, in die Brust gestochen.

Neffe Richard besucht ihn. Er fügt Fitzwilliams Überzeugungen die eigenen hinzu. Sagen Sie uns nur alles, sagt er zu Geoffrey. Es könnte einfacher nicht sein. Öffnen Sie Ihr Herz, und überantworten Sie sich der Gnade des Königs. Tun Sie es, bevor mein Onkel Sie besucht.

Endlich kommt er, Lord Cromwell, selbst. »Wie geht es Geoffrey heute?«

Der Wärter Martin sagt: »Ganz gut für einen Mann mit einem Loch in sich.«

Sie hatten einen Wundarzt gebracht, der die Verletzung zu einem Nichts erklärte und meinte, in einer Woche werde kaum noch etwas davon zu sehen sein. Sie hatten auch Geoffreys Frau, Lady Constance, geholt. Nach dem Besuch fuhr sie mit dem Boot davon und rief tränenüberströmt und völlig aufgelöst, Geoffrey werde die ganze Familie ruinieren. Fitzwilliam sagte: »Wir sollten Constance vor den Rat bringen, sie weiß eindeutig, was ein guter Handel ist. Aber erst sollte der Mylord Lordsiegelbewahrer mit ihr reden, er macht immer Fortschritte mit den Ladies.«

Geoffrey war während dieser Wochen gut untergebracht. Niemand hat ihn beleidigt oder anders als ehrerbietig mit ihm gesprochen. Mit Beginn der Verhöre ist er jedoch weiter nach unten gebracht worden, und in seiner Kammer hängt ein abgestandener Geruch. Er isst nicht mehr, und seine Augen liegen eingefallen in ihren Höhlen. Als er den Besucher sieht, müht er sich von seinem Bett hoch. Gute Manieren, Furcht? »Cromwell«, sagt er.

»Wie ich höre, haben Sie sich eine Stichwunde zugefügt.« Er schüttelt den Kopf. »Mein Gott, Geoffrey, was haben Sie sich dabei gedacht? Müssen Sie sich wieder hinlegen, oder können Sie sitzen?«

Geoffrey sieht zweifelnd zu seinem Hocker, als könnte es ein Trick sein. Martin hilft ihm hinüber.

»Fitzwilliam war hier«, sagt Geoffrey. »Mit neunundfünfzig Fragen. Wer stellt neunundfünfzig Fragen? Warum nicht sechzig?, frage ich mich. Er hatte eine Art Muster auf seinem Papier und schrieb zwischen den Linien. Ich sagte mir, das ist ein Trick Cromwells.«

Es scheint, die Linien auf dem Papier haben den Gefangenen mit Angst erfüllt, waren unverständlich für ihn wie ein Heptagramm oder eine andere magische Figur. »Das ist nur für die Schreiber«, sagt er. Er setzt sich Geoffrey gegenüber und zieht seinen Mantel fester um sich. »Es hilft ihnen mit dem Wann und Wo und wer anwesend war, als der Verrat begangen oder ein verräterischer Akt in Gang gesetzt wurde. Und es hilft uns allen, wenn es sich um eine große Verschwörung handelt. Besonders, wenn viele der Schufte miteinander verwandt sind und ähnliche Namen haben. Erinnern Sie sich an die Heilige Maid? Bei ihrer Befragung haben wir es auch so gemacht.«

»Diese Frau, diese Barton? Darauf reiten Sie immer noch herum? Sie ist längst gehängt worden.«

Es ist Geoffreys erster Geistesblitz. Seine Hände liegen zitternd auf dem Tisch.

»Ja, sie ist mausetot«, sagt er. »Ein armes, einfaches Mädchen vom Land, das niemals an Verrat gedacht hätte, hätten die Mönche in Canterbury sie nicht verdorben. Sie sagte den Tod des Königs voraus und den der damaligen Königin ebenfalls. Und auch meinen. Wir würden alle sterben, sagte sie, und wir seien verdammt – ich, meine kleinen Nichten, die Magd, die ihr das Essen brachte, als sie bei mir wohnte, und sogar der Spaniel, der nachts auf ihren Füßen lag und sie warm hielt.«

»Sie haben sie bei sich aufgenommen?« Geoffrey ist schockiert. »Das wusste ich nicht. Was haben Sie mit ihr gemacht?«

Er beugt sich vor. »Ihre Familie hat Glück, dass Sie nicht alle mit ihr gehängt wurden. Sie steckten bis zum Hals mit in Bartons Plänen, Sie und auch die Courtenays. Der König war gnädig, weil er Ihr altes Blut respektierte. Aber Sie wissen, was ich davon halte. Ich respektiere es nicht mehr als Ihren Dung.« Er hebt den Blick. »Martin, ich hätte gern zwei Kerzen, bitte.«

Es ist ein schöner Nachmittag, und auch wenn das Fenster klein ist, fällt ein schwaches Silberlicht herein. Geoffrey zuckt zusammen. »Himmel, verbrennen Sie mich nicht!«

»Bienenwachs, Martin«, sagt er. »Kleine Kerzen.«

Talg würde reichen, um einen Mann zu verbrennen. Er sieht, wie sich Geoffreys Schultern entspannen, als er das begreift. Er sagt: »Ich dachte, Sie und ich, wir verstehen einander.«

»Wer kann Sie verstehen, Cromwell?«

»Ich habe Sie jahrelang bezahlt. Und jetzt stelle ich fest, es war reine Verschwendung. Ich habe Sie dafür bezahlt, Ihre Familie zu beobachten, und doch scheinen Sie nichts über sie zu wissen. Ist es Nachlässigkeit, Unfähigkeit, oder hintergehen Sie mich?« Als der Mann nicht antwortet, sagt er: »Nehmen Sie es als Frage sechzig.«

Martin bringt die Kerzen und einen Ständer, und er sagt: »Geoffrey, die französischen Händler haben eine Sitte, die sie die vente à la bougie nennen. Nehmen Sie an, Sie haben etwas zu verkaufen. Es können ein paar Ballen Wolle sein, ein Buch, vielleicht auch eine Burg. Alle interessierten Leute versammeln sich, es gibt eine Diskussion, vielleicht ein Glas Wein, und dann beginnt das Bieten und geht so lange, wie die erste Kerze brennt. Martin, könnten Sie eine anzünden?«

»Ich weiß nichts über diese Sitte«, sagt Geoffrey, »ich habe nie davon gehört.«

»Deshalb erkläre ich es Ihnen. Wenn die erste Kerze heruntergebrannt ist, wird das Bieten unterbrochen. Aber wer will auch schon übereilt einen Handel schließen? Käufer wie Verkäufer, ein Mann braucht Bedenkzeit. Eine zweite Kerze wird entzündet. Es mag jetzt höhere Gebote geben. Wenn die zweite Kerze verlöscht, ist der Handel perfekt.«

Ein grelles Lachen. »Wissen sie nicht, was sie wollen, diese Händlerfreunde von Ihnen?«

»Oh, es sind nicht meine Freunde«, sagt er unschuldig. »Es sind einfach irgendwelche Franzosen, ich kenne sie nicht persönlich. Aber ich weiß, wie es funktioniert. Die zweite Kerze neigt dazu, die Gebote in die Höhe zu treiben. Ein Mann denkt, ich habe mein bestes Angebot abgegeben … Doch als er sieht, wie seine Chancen dahinschmelzen, überkommt ihn Bedauern. Er durchsucht seine Taschen, bittet seine Freunde um ein Darlehen und stellt fest, dass er ein weit besseres Angebot machen kann, als er dachte. Bis jetzt haben Sie uns nur ein paar Pence angeboten, Geoffrey. Ich denke aber, dass Sie für tausend Pfund gut sind. Gehen Sie in sich und sehen Sie, was Sie für mich haben, das mich überzeugt.«

»Was bekomme ich dafür?«, fragt Geoffrey.

»Caveat emptor«, sagt er. »Das ist das Gute daran. Sie machen ein blindes Angebot.«

Er hat eine Mappe mit Papieren dabei. Während die Kerze herunterbrennt und Geoffrey schwitzt, nimmt er einen Teil davon heraus und legt ihn auf den Tisch. Martin kommt und geht mit Tinte und Sand, und immer, wenn er wieder verschwindet, folgt ihm Geoffrey mit dem Blick, als böte ihm Martins Anwesenheit eine Art Schutz. »Vergeben Sie mir«, sagt er zu Geoffrey, »wenn ich die Zeit nutze. Da ist ein Brief, um den ich mich kümmern muss, von Bischof Latimer. Er ist in Hales Abbey und klärt eine Ihrer Betrügereien auf. Was Sie das Heilige Blut nennen.«

Geoffrey Poles Hand zuckt. Als dieses so heilige Überbleibsel genannt wird, will er sich bekreuzigen, hält es dann aber nicht für klug.

»Latimer sagt, es ist eine Art Harz. Aber wenn es die Münzen einfacher Leute sieht, wird es flüssig.« Er kehrt zu Hughs Brief zurück. »Zögern Sie nicht, mich zu unterbrechen, wenn Sie so weit sind, ein Angebot zu machen.«

Das nächste Papier auf seinem Stapel richtet sich eigentlich an Richard Riche vom Court of Augmentations, da es um die Aufgabe des Nonnenklosters in Malling geht. Aber daran steckt eine Nachricht an ihn, von der Äbtissin persönlich. Es ist Margaret Vernon, Gregorys alte Lehrerin: sie, die ihm so sanft beigebracht hat, seinen Namen zu schreiben und sein Ave zu beten. Ich komme zu Ihnen, schreibt sie. Ich komme am Freitag. Ich schaffe es von Kent herauf nicht an einem Tag. Ich werde alt. Ich werde bei Ihnen übernachten müssen.

»Martin«, sagt er, »ich spüre in meinen Knochen, dass mein Freund mir bald schon ein Angebot machen wird. Bringen Sie mir Lord Southamptons Interrogatorien. Damit ich sie gleich zur Hand habe.«

»Southampton.« Geoffrey spricht das Wort mit einem höhnischen Grinsen aus. »Ich habe ihn aus der Fassung gebracht, als ich ihn mit seinem einfachen Namen, Fitzwilliam, angesprochen habe.«

»Das verstehe ich. Wenn ich zu einem Earl gemacht würde, erwartete ich auch, dass Sie mich als solchen ansprechen.«

»Sie?«, sagt Geoffrey lachend. »Das wäre eine Welt, in der Fische reden.«

»Und Bäume singen«, stimmt er ihm zu. »Ich werde Ihnen jetzt einige Fragen stellen: Sie werden mir Antworten anbieten, und ich werde sehen, ob ich sie akzeptieren kann.«

»Sie haben keine Beweise«, bricht es da aus Pole heraus. »Alles, was Sie unterstellen, sind Worte, Worte, Worte. Aber Sie können nicht beweisen, dass auch nur eines davon je wirklich gesagt wurde.«

»Ich habe Briefe.«

»Mein Bruder verbrennt seine Briefe.«

»Ihr Bruder Montague? Ich frage mich, warum. Ein Haufen Asche kann sehr beredt sein.«

Es ist jetzt später Nachmittag. Er sieht durch Fitzwilliams Notizen und schweigt. Es wird still, und er spürt, wie Pole ihn beobachtet. Die erste Kerze ist heruntergebrannt, und Martin, mit einem Blick um Erlaubnis fragend, zündet die zweite an ihrem Stummel an. »Das nennt man le dernier feu. Während ihr Licht leuchtet, nehme ich Angebote an.«

»Ich spiele Ihr Spiel nicht mit.«

»Es ist eine ernste Transaktion, ich versichere es Ihnen. Ich bin noch auf dem Markt. Helfen Sie mir, die Linien zu füllen. Ein Teil ist bereits so weit, aber Sie sehen«, er hält das Papier in die Höhe, »es gibt Lücken. Ich biete Ihnen Ihr Leben, wir müssen sie nur schließen. Und ich bestimme die Bedingungen, nicht Sie. Es wird ein ruhiges Leben sein, fern vom Hof. Ich bin kein hartherziger Mensch. Sie werden ein Auskommen haben. Genug, um ein Leben als Gentleman zu führen.«

Lass Pole daran kauen. Er nimmt Margaret Vernons Brief. Sie möchte einen Handel. Lassen Sie mich eine der Liegenschaften des Klosters verkaufen. Damit zahle ich den Schwestern ihre jährlichen Pensionen und kümmere mich um die Bediensteten. Was übrig bleibt, fällt mir zu. Genug für eine alleinstehende Frau. Ich kenne Leute, die mich bei sich aufnehmen werden.

Er denkt, ich scheine nicht in der Lage zu sein, Frauen zu helfen. Dorothea. Meiner Tochter. Lady Rochford. Sie kommen mit ihrem Schmerz und ihrer Sehnsucht. Sie sagen, sie sind verloren und verwirrt, vaterlos und ohne Hoffnung. Ich gebe ihnen Geld. Oder, im Fall der Tochter des Königs, ein Pferd, ein Schmuckstück, einen Rat.

Die Sonne ist weggeglitten. Le dernier feu brennt orangefarben. »Sprechen Sie, Geoffrey. Wenn die Flamme verloschen ist, sitzen wir in der Finsternis. Dann breche ich Ihnen die Beine. Und das ist nur der Anfang.«

Pole springt von seinem Hocker auf. Er stößt gegen den Tisch, und der Luftzug lässt die Flamme zucken. Er, der Lordsiegelbewahrer, greift nach dem Kerzenständer. Es ist ein billiges Ding, gefärbtes Zinn. »Ruhig!«, sagt er. »Verkürzen Sie Ihre Zeit nicht. Sie können immer noch handeln. Nein? Dann holen Sie den Rahmen, Martin?«

»Den Rahmen?«, fragt Geoffrey. »Was ist das?«

»Eine Art Schraubstock, in den wir die Gliedmaßen spannen, die gebrochen werden sollen.«

Martin, unsicher, rührt sich nicht. »Ich bin sicher«, sagt er zu Pole, »dass Sie Mylord die Mühe ersparen wollen.«

»Geben Sie auf die Kerze acht«, sagt er.

»Mutter Maria, schütze mich«, sagt Pole.

»Das wird sie nicht.« Er klingt gelangweilt. Draußen geht der Mond auf. Seine Gedanken wandern immer wieder zurück zu Margaret und ihrem Brief. »Wissen Sie«, sagt er zu Geoffrey, »ich bin es leid. Holen Sie gleich auch die Hämmer, Martin.«

Er wendet sich wieder seinen Papieren zu. Worum Margaret Vernon bittet, ist ungewöhnlich, aber nicht unsinnig. Ihre Bedingungen sind klar – sie ist eine Frau, die etwas von Gesetzen versteht –, und ihre Zahlen sehen auf den ersten Blick solide aus. Geoffrey auf seinem Hocker versucht sich klein zu machen. Seine Schultern sind hochgezogen, die Augen geschlossen. Wenn du eine Hand auf ihn legtest, spürtest du jeden Pulsschlag in seinem Körper.

Martin kommt herein. »Ist es das, was Sie brauchen, Sir? Die Rahmen sind unterwegs.«

Er hatte sich einen Holzhammer vorgestellt, mit kurzem Griff, für die Keile, um Bein oder Arm zu arretieren. Martin hat ein ganz anderes Instrument gebracht, eine Waffe, kein Werkzeug, mit einem drei Fuß langen Griff. »Damit lässt sich der Schädel eines Schotten einschlagen«, sagt er bewundernd, steht auf und greift nach dem Hammer. »Nur der eine? Fürs Erste sollte er reichen.«

Der Kopf des Hammers liegt schwer und kalt in seiner Hand. Er prüft sein Gewicht und hält ihn im rechten Winkel zum Steinboden vor sich hin. Dann lässt er den Arm fallen und schwingt den Hammer versuchsweise hin und her. Er mag das Gefühl. Das angenehme Wiegen des Körpers: den Moment des Gleichgewichts, die Kontrolle, den wachsenden Impuls, die Bewegung von den Fersen herauf. Sie trägt dich in ein wohltuendes Schwindelgefühl, so wie man es mit einer Frau verspüren mag: die Leichtigkeit, wenn du den Punkt erreichst, von dem an es kein Zurück mehr gibt.

Der Lärm, mit dem der Hammer auf die Wand trifft, reicht, um Tote zum Leben zu erwecken. Er reißt den Hocker unter Geoffrey weg, der auf die Beine springt. »Allmächtiger!«

Während die Flamme noch zittert, es in ihren Ohren noch hallt, sagt er: »Wir können auch ohne die Rahmen anfangen. Vielleicht werden sie gerade anderswo gebraucht. Martin, könnten Sie die Papiere einsammeln? Da geht es um die Geschäfte des Königs, und ich will kein Blut darauf.« Mit der rechten Hand hält er den Hammer, mit der linken drückt er die Kerze aus.

Später, draußen, lehnt Martin zitternd an der Wand. »Sie sagten, hole die Rahmen, und ich dachte, heilige Muttergottes, was meint er damit? Ich kenne keine Rahmen.«

»Es gibt solche Dinger. Ich sah sie in anderen Gefängnissen.«

»Ich kann sie mir vorstellen«, sagt Martin.

»Das konnte Geoffrey auch.«

Im Raum hinter ihnen weint der Gefangene. Er hat keine Verletzung, nicht einmal einen Kratzer auf den Schienbeinen. »Aber würden Sie es tun?«, fragt Martin.

Es gibt nur wenig Licht: Einzig eine Fackel brennt in ihrer Halterung. Irgendwo tropft Wasser und zerfrisst Stein. Der Geruch ist das Schlimmste an Orten wie diesem, abgestandene Luft, der metallische Geschmack frischen Blutes in ihr, der saure Gestank von Pisse. »Ich meine«, fragt Martin, »könnten Sie einem Mann die Glieder zerschlagen, nach Hause gehen und mit Ihrer Familie zu Abend essen?«

»Ich habe keine Familie.«

»Nein«, sagt Martin. »Ich bitte um Entschuldigung. Ich weiß, das haben Sie nicht.«

»Obwohl«, sagt er, »ich jetzt Großvater bin.«

»Ich habe gesehen, wie Leute aufgehängt wurden«, sagt Martin.

»Früher oder später sehen Sie alles.« Er spürt ein Gewicht auf seiner Brust, ein dumpfes Gewicht in Form des Hammers. Er wünscht sich die Zeit zurück, bevor Geoffrey zu reden begonnen hat. Er will den Hammer wieder schwingen. Der Kopf war groß und traf so glatt auf die Wand, dass er kaum ruckte.

»Wenn sie an den Handgelenken aufgehängt werden, quält sie ihr eigenes Gewicht«, sagt Martin. »Man kann sagen, dass sie sich dann selbst foltern.«

Innerhalb von zwanzig Minuten bringen die Fesseln ein Ergebnis. Wie aus einem Wasserhahn bricht der kalte Schweiß aus dem Mann hervor. Wenn du wenig Zeit hast, kannst du ihm Gewichte an die Beine hängen. Du sitzt auf der anderen Seite des Raums, die Feder schreibbereit. Es gibt keinen Grund, sich von den Körperflüssigkeiten überschwemmen zu lassen. Wenn du die ersten jungfräulichen Worte seines Geständnisses aufgenommen hast, grüne, süße Worte, kommen die Wärter und wischen den Rotz weg, die Tränen, den losen Stuhl, der ihm die Beine herunterrinnt.

»Es gibt da eine Streckbank.« Martin nickt mit dem Kopf in eine Richtung. »Sie wird benutzt. Ich war schon in Hörweite.«

Es ist eine heikle Frage. Lässt du den Kerl schreien? Manche Leute, die an die Arbeit gewöhnt sind, sagen, es ist das eigene Jammern des Gefangenen, das ihn in die Panik treibt und sprechen lässt. Andere meinen, es ist es nicht wert, weil es andere aufregt: Es sind immer irgendwelche Angestellten, Gentlemen oder Räte in der Nähe, denen der Lärm an die Nieren geht. Aber man kann Dinge nutzen, die den Lärm dämpfen, immer kurz davor, den Gefangenen zu erwürgen. Er sagt: »Wenn die Spanier einen verbrennen, der für sie ein Ketzer ist, präsentieren sie die arme Seele vorher in den Straßen der Stadt. Sie hüllen ihn in ein weißes Tuch und rasieren ihm den Kopf, manchmal auch die Augenbrauen, damit er eher einer Puppe als einem Mensch gleicht. Dann drücken sie ihm eine Kerze in die Hand, als würde er sein Feuer selbst entzünden. Über das Pflaster treiben sie ihn, mit blutenden Füßen und an den Körper gehefteten Zetteln, die seine Ketzerei beschwören. Hinter ihm kommen die Mönche mit ihren Silberkreuzen und ihren Psalmen. Viele Menschen verfolgen das Spektakel. Aber wenn ihn alle gesehen haben, verbrennen sie den Ärmsten abgeschieden auf einem Gefängnishof, mit einem Knebel im Mund.«

»Waren Sie mal in Spanien, Sir?«

»Nein, aber Thomas Wyatt hat es mir erzählt, und wenn er das tut, ist es so gut, als wäre man selbst dabei gewesen.«

Martin sieht ihn ehrerbietig an. »Wenn sich Ihre Lordschaft erinnert, hatte ich das Privileg, Master Wyatt zu bedienen, als er zuletzt in Haft war. Wohlwollend und großzügig.«

»Zu großzügig«, sagt er. »Hören Sie, Geoffrey darf sich nicht noch einmal verletzen. Durchsuchen Sie ihn aufs Genaueste und sorgen Sie dafür, dass er nicht mal eine Nadel hat. Er wird uns keine Schwierigkeiten mehr machen. Der König wird niemandem aus einem Adelshaus Schmerzen zufügen. Ich denke nicht, dass es je dazu gekommen ist, nicht unter seiner Regentschaft. Aber können sie sich darauf verlassen? Der König hat schon eine Reihe Dinge getan, die nie zuvor getan worden sind.«

»Er hat nie in einem Kerker gearbeitet«, sagt Martin.

Oder den Boden nachher aufgewischt. Auf dem Richtplatz das hängen gebliebene Fleisch von den Ketten geschüttelt. Er fragt: »Was hat Sie in dieses Gewerbe gebracht?«

»Ein Mann muss von etwas leben.«

»Sie hätten ein ehrbarer Bauer werden können.«

»Schweine schlachten?«

Die Saat ausbringen, das meint er. Die Ernte einbringen. Es gibt eine reine, saubere Welt, in der Männer von Milch und Äpfeln leben und Brot, so weiß und weich, dass es ist, als äße man Licht. Er sagt: »William Fitzwilliam ist auf dem Weg hierher. Und Richard Riche und Neffe Richard. Jetzt, da Geoffrey redet, werden sie die Linien füllen, und wir können mit seinen Verwandten verfahren, wie wir wollen. Einen erfolgreichen Tag nenne ich das.« Und alles durch einen einzigen Schlag mit dem Hammer gegen die Wand. »Wenn wir fertig sind, bringen Sie Geoffrey nach oben. Geben Sie ihm zu essen, wenn er essen kann. Schneiden Sie ihm sein Fleisch klein.«

Martin wirkt nachdenklich. »Als wir ihm das Messer weggenommen haben, hat er damit gedroht, sich an einem Balken zu erhängen.«

»Das fürchte ich nicht.« Es würde eine Entschlossenheit erfordern, die er Geoffrey nicht zutraut. »Und falls er es tut, ist es auch keine große Sache. Es muss nur klar sein, dass er es selbst getan hat.«

»Wollen Sie, dass ich ihm einen Strick gebe?«

»So weit würde ich nicht gehen.«

Bald kommt die Verstärkung, mit Schreibern, die Tintenfässer und Papier dabeihaben. »Ihr bleibt draußen an der frischen Luft«, erklärt er ihnen. »Oder ihr geht mit Martin hier, der euch Ale gibt. Richard Riche, Sie schreiben für uns, ja? Ich habe noch weitere zweiundsechzig Fragen an Geoffrey. Wenn wir müde werden, pfeifen wir nach euch.«

Die Schreiber scheinen dankbar. Er verfolgt, wie sie den Gang hinuntergehen, und wartet, bis sie die Wendeltreppe hinaufsteigen. Er sagt: »Geoffrey wird sich nicht festlegen wollen. Er wird Sie mit Aussagen überschütten wie: ›Ich schwöre, es war Oktober, aber es kann auch März gewesen sein‹, oder: ›Ich glaube, es war in Sussex, sonst war es in Yorkshire‹, und: ›Es kann meine Mutter gewesen sein, aber vielleicht auch die »Frau aus Bath«.‹ Nagelt ihn auf Drohungen gegen den König selbst fest: Drohungen gegen seine Räte sind nichts Neues: Wir wissen, dass sein Bruder Montague uns hasst. Chapuys ist einer der Hauptfaktoren in ihren Plänen, und das wissen wir auch. Aber ich glaube, der französische König steckt tiefer in der Sache, als es ein Brudermonarch tun sollte.«

»Wenn François einmarschierte«, sagt Richard Cromwell, »glaube ich, würde er den schottischen König auf den Thron setzen.«

»Ja, aber das wissen Exeters Leute nicht. Oder die Poles. Sie sind so stolz auf sich, dass sie denken, sie werden alle Könige.«

»Ich fürchte, wir haben nicht genug Beweise gegen Exeter«, sagt Fitzwilliam. »Er ist ein vorsichtiger Mann, der seine Spuren vernichtet. Geoffrey wird uns genug gegen seine eigene Familie liefern, aber …«

»Es wird sich strecken lassen«, sagt Riche. »Es ist bekannt, dass sie Verbündete sind, die beiden Häuser.«

»Sie erinnern sich, dass ich eine Frau bei den Courtenays habe«, sagt er.

Riche sagt: »Was, eine Wäschemagd?«

Fitz lacht. »Lassen Sie Cromwell seine Methoden.«

Riche sagt: »Ich sehe nicht, wie Lady Mary dieses Mal herausgehalten werden kann. Wenn sie planen, sie für ihre Zwecke zu benutzen, muss sie etwas darüber wissen.«

»Das wäre sehr schade«, sagt Fitzwilliam. »Die Prinzessin vernichtet zu sehen, auf einen Verdacht hin.«

Er sagt: »Sie missbrauchen ihr Vertrauen. Sie würde niemals etwas gegen ihren Vater unternehmen.«

»Das haben wir schon erlebt«, sagt Riche. »Sie sind zu nachsichtig. Sie sehen nicht, was für ein Mensch sie ist, Sir.«

»Was haben Sie mit Geoffrey gemacht?«, fragt Fitzwilliam.

Er klemmt sich seine Unterlagen unter den Arm. Sie sind mit Zwirn zusammengebunden, Margaret Vernons Nachricht mit dem Rest. Er ist ihre Zahlen im Kopf durchgegangen, während Pole gestanden hat. »Ich bin laut geworden«, sagt er.

Er denkt, ich habe mich in seinem Leib eingenistet. Was mache ich überhaupt jemals?

Eine Woche später wird er hören, was die Londoner sagen: dass Geoffrey Pole im Tower gefoltert wurde: dass er auf einen Rost gefesselt wurde: dass er geröstet wurde wie der heilige Laurentius, der Märtyrer. Dass Thomas Cromwell das alles getan hat.

Margaret Vernons Anblick erschreckt ihn. Es ist befremdend, sie wie eine Bürgersfrau angezogen zu sehen, obwohl er selbst geraten hat, dass Nonnen ihren Habit ablegen. Die Mode ändert sich. Frauen zeigen wieder ihr Haar. Das von Margaret ist silbergrau. Er fragt sie: »Welche Farbe hatte es vorher?«

»Keine besondere Farbe. Mausgrau.«

Sie sind im Salon in Austin Friars. Sie hat auf ihn gewartet. Er hat das Gefühl, er hätte sich umziehen sollen. Er hat das Gefühl, es könnte Blut auf seinen Kleidern sein, auch wenn im Tower kein Blut vergossen wurde. Geoffrey hat zugegeben, dass er vorgehabt hat, mit einer Gruppe Männer ins Ausland zu gehen, um zu seinem Bruder Reginald zu stoßen. Er hat von in Hinterzimmern und Gartenlauben geschlossenen Bündnissen gesprochen, beim Essen und nach Messen geschmiedeten Plänen. Von zweifelhaften Gesprächen, die er mitgehört hat: mit Thomas Mores Familie, mit Bischof Stokesley. Die Wellen breiten sich aus, mit jedem geflüsterten Satz. Als er seine Aussage unterschreibt, bittet er um die Gnade des Königs. Unten auf die Seite kritzelt er: Geoffrey Pole, Ihr demütiger Sklave.

Margaret sagt: »Sie sind fülliger, Thomas. Sie sehen aus, als bekämen Sie keine frische Luft.«

»Manchmal versuche ich, mit meinen Falken hinauszukommen«, sagt er. »Aber der König kann mich jeden Moment zurückrufen. Die Venezianer, wissen Sie, die versehen ihre Boote mit Linien, um sicherzugehen, dass sie sie nicht überladen. Ich habe keine solche Linie. Jedenfalls keine, die der König sehen könnte.«

»Sie haben nicht genug Hilfe? All die jungen Männer …«

Er denkt, niemand kann helfen. Es ist einfach Henry oder Cromwell, Cromwell oder Henry. »Ich habe mir einmal an Michaeli freinehmen wollen, weil es ein Festtag der Anwälte ist, aber der König hat es abgelehnt. Seine Begründung war, er hat auch nie einen Tag frei, er muss immer regieren. Ich sagte, aber Majestät, Sie sind vom Himmel gesalbt, Sie genießen die besondere Gnade, niemals müde zu werden. Er sagte: Es ist jetzt dreißig Jahre her, dass ich gekrönt wurde. Da muss sie zur Neige gegangen sein, die Gnade.«

»Sie sollten eine Frau haben.«

»Nun, besorgen Sie mir eine. Wenn Sie eine angenehme Person kennen, schicken Sie sie zu mir. Ich will sie nicht des Geldes wegen, sie muss keinen Penny mitbringen. Sie muss auch nicht besonders geistreich sein oder jung. Ich verlange nur, dass sie keine Papistin ist, die meinen Haushalt unterwandert.«

Margaret lacht. »Wie schade, denn es wird bald schon viele junge Frauen geben, die aus ihren Klöstern geworfen werden. Allerdings fürchte ich, dass sich einige von ihnen an Rom klammern. Ich nicht. Ich habe meinen Eid auf den König abgelegt, und ich meine es ernst.«

Er sagt: »Ich glaube, der König wird Frauen nicht erlauben zu heiraten, wenn sie Nonnen waren. Nicht, wenn sie ihr Gelübde abgelegt haben und in einen Orden aufgenommen wurden.«

»Wo sollen meine Schwestern seiner Meinung nach also leben? In Southwark, im Bordell?«

Fast bittet er sie, nicht wütend zu werden. Mein Leben ist voller wütender Menschen. »Sie sollten gehen und Gregory besuchen. Wenn Sie ein Zuhause brauchen, wird er Sie willkommen heißen. Ich bin sicher, er würde sich freuen, wenn Sie seinen Sohn unterrichteten, wie Sie ihn unterrichtet haben.«

Sie schüttelt den Kopf. »Ich werde mit einigen meiner Schwestern einen eigenen Haushalt begründen. Wir werden widerspenstige Frauen sein, ohne Master.«

»Das wird ein Skandal«, sagt er.

»Dafür sind wir zu alt. Die Leute werden uns bedauern und uns Äpfel vor die Tür legen. Sie werden zu uns kommen, weil sie Wickel und Glücksbringer wollen. Trotzdem«, ihre Züge werden weicher, »würde ich meinen kleinen Jungen gerne wiedersehen.«

»Meine Frau, Elizabeth, sie war immer eifersüchtig auf Sie.«

Margaret sagt ruhig: »Dafür gab es keinen Grund.«

Er denkt, wenn festgestellt werden konnte, dass Katherine von Aragón keine Ehefrau war, wenn festgestellt werden konnte, dass Anne Boleyn keine Ehefrau war, könnte dann nicht herausgefunden werden, dass Margaret Vernon keine Nonne war? Könnten wir nicht in den Papieren einen Fehler finden? Dann wäre sie frei.

Aber wozu?, denkt er. Sie würde sterben und mich verlassen. Oder ich würde sterben und sie verlassen. Es ist es nicht wert. Niemand ist es wert.

In der ersten Novemberwoche verhaftet er Lord Montague und den Marquis von Exeter. Er nimmt Constance fest, Geoffreys Frau, und Gertrude, die Marquise, sowie einige andere alte Freunde des Königs. Er schickt Fitzwilliam zu Margaret Pole in ihre Burg in Sussex. Bleiben Sie hartnäckig, sagt er: Befragen Sie sie Tag und Nacht, wenn es sein muss.

Aber Fitzwilliam bekommt nichts aus der Gräfin heraus. Ihre Antworten, sagt er, kommen ernst, vehement und präzise. Sie streitet jedes Fehlverhalten und jede Absicht ab, etwas Falsches getan zu haben. Als Fitzwilliam ihren Sohn Reginald einen undankbaren Bastard nennt, sagt sie, kein Bastard, nein: Ich war dem Mylord, meinem Mann, immer treu, ich war eine untadelhafte Ehefrau.

Sie gibt zu, ihrer Erleichterung Ausdruck gegeben zu haben, als sie erfuhr, dass Reginald seinen Verfolgern entgangen war: schließlich ist sie seine Mutter. Ja, sie weiß, dass er sie dafür verachtet, den Tudors die Treue zu halten. Weiß sie, dass er gesagt hat, er wird sie mit den eigenen Füßen zermalmen? Sie presst die Lippen aufeinander. »Ich weiß es und muss es ertragen.«

Fitzwilliam sagt Margaret Pole, sie soll ihre Sachen packen. Er wird sie mit einer Sänfte in sein Haus in Cowdray bringen. Als er ihr erklärt, dass eine Inventarliste ihres Haushalts gemacht werden soll, begreift sie, dass es mit ihrem lang anhaltenden Glück zu Ende geht. Das Rad hat sich gedreht, und sie kommt zu Fall. Zum ersten Mal, sagt Fitz, zeigt sich Bestürzung in ihrem Gesicht. Aber das ist nichts gegen die Bestürzung von Lady Fitzwilliam, als er ihr sagt, dass die Gräfin von Salisbury bei ihnen wohnen wird. Für wie lange, weiß keiner.

Er selbst, Cromwell, verhört im Tower Margarets ältesten Sohn. Gleichgültig und herablassend verweigert Montague immer wieder eine Antwort. »Mylord, Zeugen haben Sie sagen hören, Sie hätten den König noch nie gemocht, von Kindesbeinen an.«

Montague zuckt mit den Schultern: als wollte er sagen, das ist mein gutes Recht.

»Aus Ihrem Haushalt sind falsche Berichte über Gemeindekirchen, die zerstört werden sollten, in Umlauf gebracht worden. Sie wissen, dass es keine zielgerichteteren Gerüchte gibt, um einfache Leute zu den Waffen greifen zu lassen. Warum sind Sie nicht dagegen vorgegangen?«

»Es ist schwer, Gerüchte zu stoppen«, sagt Montague. »Wenn Sie es können, lassen Sie mich wissen, wie Sie es machen. Ganz sicher war ich es nicht, der sie in Gang gesetzt hat.«

»Haben Sie gesagt«, er sieht in seine Unterlagen, »dass der König seine erste Frau durch Lieblosigkeit umgebracht hat? Dass er dann eine Hure geheiratet hat? Dass er einen Bastard in die Welt gesetzt hat?«

»Weiberkram.«

»Haben Sie gesagt, der Türke ist ein besserer Christ als der König?«

»Hat Geoffrey Ihnen das erzählt?« Montague lacht.

Er drängt weiter: Hat Montague mit Lord Exeter besprochen, wie viele Männer sie gemeinsam aufbieten können? Hat er gesagt, es reicht nicht, die Räte des Königs zu töten, sondern dass sie auf ihr Oberhaupt zielen müssen? Und ist das nicht reiner Hochverrat?

»Ich nehme an, das wäre es«, sagt Montague.

Er geht zum Marquis von Exeter. Bei ihm hält er weniger Karten in der Hand, und Exeter weiß das. Aber sowohl die Poles als auch die Courtenays haben in den letzten Jahren alle Bediensteten hinausgeworfen, die sie verdächtigten, mit den neuen Lehren zu sympathisieren oder die Bibel zu lesen. Dadurch haben sie eine tiefe Quelle der Verbitterung geschaffen, die ihm, Cromwell, jetzt zugutekommen könnte. Es wird etwas dauern, den Eimer von unten heraufzuholen.

Er sagt: »Lord Exeter, Sie waren in einer Gesellschaft, in welcher der König eine Bestie genannt wurde.«

Exeter seufzt: »Besseres wusste der arme Geoffrey nicht?«

»Sie haben gesagt, der König und Cromwell sind genau gleich, beide pfeifen auf das gesamte Reich, um zu bekommen, was sie wollen.«

Exeter verdreht die Augen.

»Haben Sie nicht gesagt, alle vorgetäuschte Autorität des Königs kann sein wundes Bein nicht heilen? Haben Sie nicht gesagt, sein Bein wird ihn eines Tages umbringen? Und: Wenn Henry stirbt, dann gute Nacht, Master Cromwell?«

Exeter antwortet nicht.

»Haben Sie nicht gesagt, wir haben einen Prinzen, doch der wird bald tot sein, weil auf den Tudors ein Fluch lastet?«

Exeter wirft den Kopf in den Nacken: »Ich gebe mich nicht mit Flüchen ab.«

»Nein«, sagt er. »Das ist Weiberkram. Vielleicht tut es Ihre Frau?«

Richard Cromwell meldet sich zu Wort. Hat Lord Exeter keinen Klosterbesitz angenommen?

Doch.

Aus eigenem freien Willen?

Ja.

Sich dafür mit den Worten entschuldigt, Gott werde ihm vergeben, da eines Tages alles wieder an die Mönche zurückfallen werde?

Schweigen.

»Wie soll das gehen?«, fragt Richard.

»Durch eine Umkehr der Politik«, sagt Exeter. »Der König könnte es bereuen.«

»Oder sich wieder mit Rom zusammentun?«

»Das können Sie nicht ausschließen.«

Er schlägt mit der Hand auf den Tisch. »Glauben Sie mir, das kann ich.«

Er spricht mit Gertrude, Exeters Frau. Sie ist der Mann im Haus, eine entschiedene, rührige Frau, unablässig damit beschäftigt, die Familie, in die sie eingeheiratet hat, voranzubringen. Ihre Mutter war Spanierin, eine von Katherines Ladies: Kein Wunder, dass sie sich, wie er beobachtet, zum kaiserlichen Botschafter Chapuys hingezogen fühlt. Kein Wunder, dass sich die beiden einander anvertrauen.

Es ist schwer, Gertrude in Verlegenheit zu bringen. Er hat sie früher schon vom Haken gelassen, und deshalb denkt sie, er hat ein weiches Herz. »Ich bitte den König, sich zurückzuhalten«, erklärt er ihr. »Gott weiß, Mylady, dass er sich in Ihrem Fall als gnädig erwiesen hat. Ich selbst hoffe immer, dass die Menschen sich bessern.« Er sieht sie traurig an. »Ich werde oft enttäuscht.«

Er geht hinaus, sagt zu seinen Leuten: »Wir brauchen das Kind. Ich meine Exeters Sohn.«

Sie starren ihn an. Er sagt: »Wann hat der König je einem Kind etwas angetan? Dennoch – holt es.«

Richard Cromwell sagt: »Wir dürfen es nicht riskieren, dass Exeters Erbe aus dem Land gebracht wird, um im Ausland Unterstützer zu sammeln.«

»Und bringt auch Montagues Sohn«, sagt er. »Henry Pole ist im gleichen Alter.«

Es ist eine Verheerung. Sie gehen nieder, die großen Familien, sie fallen wie Kegel durch die Kugel eines Riesen, werden wie Krüge bei einem Erdbeben aus den Regalen gefegt.

Bess Darrell wird zum Tower gebracht. Niemand hebt eine Braue deswegen, da sämtliche Frauen Gertrudes befragt werden. Bess ist ganz der gewohnte Engel: mit ihrem goldenen Haar und den kornblumenblauen Augen. Sie gibt ihm alle Briefe, die sie kopiert hat. Sie gibt ihm gestickte Beispiele des Verrats: die Stiefmütterchen für Pole, die Ringelblume für Mary. Aber als er mit ihr fertig ist, fragt sie: »Was jetzt? Muss ich zurück und unter diesen Menschen leben? Was soll ich antworten, wenn sie mich fragen, was ich Cromwell gesagt habe?«

»Sagen Sie, Sie haben mir Ihre Träume erzählt.«

Sie legen großen Wert auf Träume, diese Familien. Sie schreiben sie auf und schicken sie einander, versiegelt und mit schnellen Boten. Immer wieder träumen sie, wie es scheint, dass der König tot ist. Manchmal träumen sie auch, Jane Seymour kommt in ihrem Leichentuch, um dem König zu sagen, dass sie ihn hasse und er verdammt sei.

Er sagt: »Sie können nicht zurück zu den Courtenays, weil es sie nicht mehr geben wird. Sie gehen von hier nach Allington.«

Sie hebt den Blick. »Und was mache ich da?«

»Dort leben Sie ruhig und erregen keine Aufmerksamkeit.«

»Bringen Sie Wyatt zurück nach Hause?«

Er nickt. »Allerdings kann ich nicht sagen, wann.«

»Es heißt, der König ist nicht mit ihm zufrieden.«

»Er ist mit keinem von uns zufrieden.«

Er denkt, wir wissen nicht einmal, ob Wyatt noch lebt. Aber ich vertraue auf seine Fähigkeit, Gefahren auszumachen und ihnen aus dem Weg zu gehen. Oder nicht, wenn still stehen zu bleiben das Beste ist. So hat er es gemacht, als ihn eine Löwin belauerte.

Bess Darrell sagt: »Lord Montague nennt England ein Gefängnis. Das ist es seit sechs Jahren, sagt er.«

»Ein zu schöner Kerker, um ihn zu verlassen. Diese Leute machen mich krank«, sagt er. »Diese Feiglinge. Wäre er übers Meer zu Reginald geflohen, würde ich ihn achten können. Dann hätte er sich als Mann erwiesen, dem mit Waffen zu begegnen ist.«

»Das hätte es für Sie leichter gemacht«, sagt Bess. »Dann gäbe es keinen Zweifel an ihrem Verrat. Aber abgesehen von dem, was ich Ihnen gebracht habe, verfügen Sie über nichts als Geoffreys Unsinn, Gerüchte, das, was Leute gehört haben wollen, und Küchenjungengeschwätz. Sie werden Ihnen den Gefallen nicht tun, Montague und Exeter, es sei denn, Sie entreißen ihnen ihr Geständnis mit Gewalt, und das können Sie nicht.«

»Ich bin sehr einfallsreich«, sagt er traurig. »Und Ihre Aussage ist eine große Hilfe.«

»Aber überlegen Sie, Mylord, wenn Sie jeden als Verräter behandeln, der einmal seinem Missfallen über den König oder seine Maßnahmen Ausdruck gegeben hat, wer bleibt dann noch am Leben?«

»Ich«, sagt er. Henry und Cromwell. Cromwell und Henry.

»Exeter denkt, die Welt wird sich wandeln«, sagt Bess. »Er weiß, dass Henry sich vor der Exkommunikation fürchtet. Er denkt, eine Machtdemonstration wird ihn Rom wieder zuführen.«

»Er wird nicht umkehren«, sagt er. »Zu viel ist in England gesagt und getan worden. Der König kann dem Wandel nicht widerstehen, selbst wenn er es wollte. Lassen Sie mich noch ein, zwei Jahre leben, und ich werde dafür sorgen, dass das, was wir getan haben, nie wieder rückgängig zu machen ist, von keiner Macht auf Erden. Und selbst wenn Henry sich dreht, ich werde es nicht. Ich werde mir treu bleiben. Ich bin nicht zu alt, um ein Schwert in die Hand zu nehmen.«

»Sie würden gegen Henry zu den Waffen greifen?« Sie scheint eher amüsiert als schockiert.

»Das habe ich nicht gesagt.«

Sie blickt auf ihre Hände und Wyatts Ring, den sie trägt. »Oh, ich denke schon, dass Sie das haben.«

Mitte November: Mit dem ersten üblen Wetter kannst du einen Mann aus Cambridge sehen, einen Priester, der einen langsamen öffentlichen Selbstmord begeht. Einen Mann, der sich dem König entgegenstellt: einen mickrigen Herausforderer des Riesen, einen Mann, nicht mehr als ein Krümel, mit Waffen aus Stroh.

Sein Name ist John Lambert, obwohl er als ein Nicholson geboren wurde. Er war ein ordinierter Priester und kannte Little Bilney, der ihn zur Schrift bekehrte. Er ging nach Antwerpen, als Kaplan für englische Handelsleute, und sein Pfad kreuzte den aller gefährlichen Männer, Tyndale eingeschlossen. Thomas More, sagt er, täuschte ihn und lockte ihn zurück nach England. Dann bekam ihn der alte Erzbischof Warham – das war Canterbury – wegen Ketzerei beim Kragen und klagte ihn in fünfundvierzig Punkten an, die er alle zurückwies. Ja, gab er zu, er habe Luthers Arbeiten studiert und davon profitiert. Er stimme Luther zu, dass es nicht gegen das Gesetz sei, wenn ein Priester heirate. Die Frage des freien Willens nannte er ein zu schwieriges Thema, zu schwierig, als dass ein einfacher Mann sie beantworten könne. Aber er glaube, nur Christus, kein Priester, könne Sünden vergeben. In der Schrift steht alles, was wir brauchen, sagte er. Die zusätzlichen Regeln Roms brauchen wir nicht.

Mitten in der Anhörung starb Warham. Der Fall verlief im Sande. Aber die folgenden vier, fünf Jahre haben Lambert nicht vorsichtiger gemacht. In Austin Friars, ohne Schreiber, ohne Protokolle, hat Thomas Cranmer mit ihm debattiert. Und er, Thomas Cromwell, aufs Heftigste. Robert Barnes stand dabei, das Gesicht vor Missfallen und Angst verkniffen, und am Ende brach es aus ihm heraus: »Sie, wie Sie sich auch nennen mögen, Lambert, Nicholson, Sie werden uns alle vernichten.«

Cranmer sagte: »Wir stellen Ihre Ansichten nicht infrage …«

»Doch, das tun wir«, sagte Barnes.

»Nun, dann tun wir es – aber die Hauptsache ist, seien Sie besonnen. Haben Sie Geduld.«

»Was, ich soll warten, bis Sie in meine Richtung gekrochen kommen? Seien Sie ein Mann, Cranmer, treten Sie für die Wahrheit ein. Sie kennen sie, tief in Ihrem Herzen.«

Barnes sagte: »Lambert, Sie stellen selbst die Taufe infrage …«

»Es gibt die Taufe in der Schrift. Aber nicht für Kleinkinder.«

»… und die Eucharistie, das Sakrament des Altars. Wenn Sie das tun, und vor allem, wenn Sie es offen tun, kann und werde ich Sie nicht schützen, und er«, er deutet auf den Erzbischof, »ebenfalls nicht, genauso wenig wie …«, sein Blick richtet sich auf den Lordsiegelbewahrer, »… wie er.«

»Ich will Ihnen sagen, was ich tun werde«, sagte Lambert. »Ich werde Ihnen die Quälerei ersparen. Ich gehe eins höher. Ich werde dem König selbst meine Sichtweise vortragen. Lassen Sie Henry urteilen.«

Der König – niemand soll sich wundern – stellt sich der Herausforderung. Er wird in Whitehall öffentlich mit Lambert debattieren. »Cromwell, kommen die Botschafter?«

Europa nennt den König einen Ketzer, also lass Europa sehen und hören, wie er unseren gemeinsamen Glauben verteidigt. Pole behauptet, er ist Männern wie More und Fisher, mögen sie in Frieden ruhen, was die Gelehrsamkeit angeht, unterlegen. Er wird das Gegenteil beweisen. Bankreihen werden für die Zuschauer aufgestellt.

»Beten wir zu Gott, dass der König nicht unterliegt«, sagt Rafe Sadler. »Lambert ist sprachkundig. Er kann die Schrift in alten und modernen Sprachen zitieren.«

Er ist verzagt. »Ich habe dem König immer gesagt, Englisch reicht aus.«

Er denkt, für jeden Punkt, in dem Lambert die Oberhand behält, werde ich leiden.

Er hat sein Bestes getan, um Henry von diesem Spektakel abzubringen. Er muss Lambert nicht antworten, hat er ihm gesagt – er hat Bischöfe, die sich darum kümmern. Aber Henry hört nicht zu. Erst am Tag vor der Debatte spürt er das Unbehagen seiner Räte. »Was, haben Sie Angst um mich? Ich bin absolut in der Lage, jedem Ketzer entgegenzutreten. Und ich muss die Fackel des Glaubens hoch in die Luft recken, wo Freunde und Feinde sie sehen können.«

Er sagt, und wann wird Ihre Majestät sie entzünden? »Gegen Mittag«, sagt Henry. »Und wenn es zu dämmern beginnt, sollten wir fertig sein.«

Frühmorgens vor der Debatte empfängt er Lisles Frau, die aus Calais gekommen ist. Bis auf Gardiner gibt es niemanden, den er weniger gern vor dem Frühstück sehen würde.

Er weiß, Lady Lisle mag ihn nicht. Sie mag nicht, was er ist, für sie hat er sein Amt nicht verdient. Sie lässt ihn spüren, dass seine Art und sein Auftritt sein wahres Ich verraten: dass er kaum mehr als ein schmutziger kleiner Lakai ist. Dennoch schwatzt sie aufgeräumt darüber, zu welchen Konditionen sie ihm ihren Besitz in Gloucestershire verkaufen wird. Man sollte denken, in Calais liefe alles bestens: kein Wort über den Strom unzufriedener Informanten, die an die Türen seiner verschiedenen Häuser klopfen, einige von ihnen noch grün im Gesicht von der Überfahrt, kein Wort über die Leute im Tower, von denen einige gewiss mit ihr verwandt sind. Diese Leute sind alle miteinander verwandt. Sie sagt nur: »Ich höre, Sie sind sehr beschäftigt, Lord Cromwell. Aber nie zu sehr, um etwas Land zu kaufen, wie? Ich habe zu meinem Mann gesagt, verlass dich darauf, Cromwell wird sich Zeit für mich nehmen. Er will etwas, das mir gehört.«

»Wie geht es Mylord Lisle? John Husee sagt, er ist melancholisch.«

»Es würde ihn aufmuntern, für seine langen Dienste belohnt zu werden.«

»Der König hat ihm zweihundert Pfund im Jahr angeboten.«

»Ich wünschte, es wären vierhundert.«

Er unterdrückt ein Lächeln. »Ich werde fragen. Ich verspreche nichts.«

»Wenn der König gut mit dem Ketzer vorankommt, wird er heute Abend in Geberlaune sein. Nun«, sie steht auf, »ich muss selbst sehen, dass ich vorankomme. Es wird Mylord gefallen, wenn ich schnell wieder in Calais bin. Er sagt, er verlöre lieber hundert Pfund, als eine Woche ohne mich zu sein.«

»Wenn er das Geld hätte«, sagt er, ohne darüber nachzudenken.

»Das hängt ganz von Ihnen ab«, sagt sie. »Sie geben Ihr Bestes, oder, Master Cromwell?« Sie lacht und entschuldigt sich. »Mylord, sollte ich sagen.«

»Ja, das sollten Sie«, sagt er. »Mittlerweile sollten Sie es wissen.«

»Ich will nichts herabsetzen. Das, wozu der König Sie gemacht hat, das sind Sie. Aber Sie wundern sich, dass Mylord sich elend fühlt? So viele Niemande werden reich gemacht, während wir am Hungertuch nagen.«

Lady Lisle kann keine Frauen finden, die sie bedienen wollen, sie ist so anstrengend. Aber der alte Lisle liebt sie, denkt er: seine harte, intelligente, egoistische Frau.

Es ist nach zehn. In Westminster warten die Bischöfe, die Mitglieder des königlichen Rates, die Gentlemen aus den Gemächern des Königs, der Bürgermeister, die Ratsherren, die Oberen der Londoner Gilden. Christophe hilft ihm in seinen Mantel. »Bischof Gardiner wird auch da sein«, erinnert er ihn. »Heute wird er sich gut unterhalten, denn dieser Lambert wird doch brennen? Wer kann der Taufe widersprechen? Bevor der heilige Christophe getauft wurde, war er ein hundeköpfiger Kannibale, und er hieß nicht Christophe, sondern der ›Abscheuliche‹. Nach der Taufe wurde er zum Menschen und konnte beten, vorher nur bellen.«

Er sagt: »Ich weiß, dass du nicht wirklich Christophe heißt. Du hießt vorher anders. Fabrice, richtig?«

»Christophe war mein Name in Calais. In der Calkwell Street. Vor Fabrice hieß ich Benoît und war ein braver kleiner Junge. Aber es ist egal, auf welchen Namen ich getauft wurde. Ich habe es vergessen.«

Er denkt, es ist nicht die Taufe, die Lambert zu Fall bringen wird, es ist Corpus Christi, der Leib Gottes.

Stephen Gardiner kommt hereingeeilt: wird langsamer, sie bleiben stehen, bauen sich auf. Sie lüften die Hüte voreinander, respektvolle Männer, ausgesprochen höflich. Aber mit Stephen hält die Höflichkeit immer nur einen Moment.

»Ich weiß nicht, was Sie in meiner Abwesenheit gemacht haben«, sagt Gardiner. »Ich weiß nicht, wie Sie einen Wiedertäufer tolerieren können. Es sei denn, Sie sind selbst einer.«

In seiner Vorstellung zieht er seinen Mantel aus. Er krempelt sich die Ärmel auf und schlägt Stephen die Nase blutig. Es beunruhigt ihn, dass Stephen drei Jahre weg war, und der Drang, ihn niederzuschlagen, ist stärker denn je.

»Halten Sie das für wahrscheinlich?«, fragt er. »Diese Leute, die Sie Wiedertäufer nennen, verweigern alle Eide. Sie dienen keinen Königen, und nicht nur, dass sie sich dem Gemeinwohl verweigern und der Obrigkeit ihren Gehorsam, sie verwehren dem Kind auch sein Buch. Sie lieben den Unverstand. Sie sagen, wir durchleben die letzten Tage, warum also noch etwas lernen? Warum sich um die Felder kümmern, warum Korn einlagern? Wir müssen nichts mehr ernten.«

»Nun ja«, sagt Gardiner, »man kann sie verstehen, wenn die Wiederkunft Christi unmittelbar bevorsteht. Was ich nicht glaube. Aber ich dachte, Sie vielleicht.«

»Sie wissen, dass ich mit dieser Sekte nichts zu tun habe.«

»Vielleicht nicht.« Stephen lächelt. »Schließlich kümmern Sie sich auffällig um das Morgen. Sie sammeln irdische Reichtümer an, nicht wahr? Tatsächlich tun Sie kaum etwas anderes.«

»Jetzt, da Sie wieder im Land sind«, sagt er, »werden Sie sehen, womit ich mich beschäftige.«

Gegen Mittag kommt der König, angekündigt durch Trompeten. Es ist ein dunkler Tag, aber Henry ist von Kopf bis Fuß in Weiß gekleidet. Er sieht aus wie ein Berg in einer Fabel, ganz aus Eis.

Der König nimmt seinen Platz auf dem Podium ein, unter seinem Baldachin. Die in Stufen aufgestellten Bänke sind eng besetzt. Die Geistlichkeit sitzt zur Rechten des Königs, seine Edelleute sitzen zur Linken. Die Halle ist prächtig geschmückt mit Standern und Flaggen überall, und ein Wandteppich ist aus dem Magazin gebracht worden, sodass riesige biblische Gestalten die Szene überblicken: Daniel, Hiob, Salomo, ohne die Königin von Saba.

Er, der Vicegerent, nimmt ebenfalls seinen Platz ein. Bischof Tunstall nickt ihm höflich zu. Bischof Stokesley funkelt ihn wütend an. Dr. Barnes wirkt wie ein Götzenbild. Cranmer scheint geschrumpft. Hugh Latimer ist überall und nirgends, läuft hierhin und dorthin, klopft auf Schultern, flüstert und verteilt Zettel. Er sagt zu Cranmer: »Hat Hugh den König vorbereitet?«

»Wir alle haben das.« Cranmer scheint überrascht. »Sie nicht?«

»Das würde ich mir nicht anmaßen. Er ist Gott näher als ich.«

Sie bringen John Lambert herein, dessen Schritt fest ist, der Ausdruck entschlossen. Als er sich jedoch umblickt, kannst du sehen, dass ihn die Pracht der Halle überwältigt. Er starrt den König an, seine glänzende Fülle, und beginnt eine Verbeugung – er weiß nicht, ob er sich verbeugen oder niederknien soll.

Er, Thomas Cromwell, sieht Dr. Barnes lächeln. Er hört Stokesley auf seiner Bank herumrutschen, ein selbstgefälliges Rascheln. Er dreht sich um und sagt: »Etwas Nachsicht?«

»Still«, sagt Cranmer.

Sie haben eine Plattform aufgebaut, sodass Lambert für alle in der Halle zu sehen ist. Er bleibt davor stehen wie ein Pferd, das einen Schatten in den Bäumen gesehen hat. Gedrängt, seinen Platz einzunehmen, schleppt er sich die Stufen hinauf, als wäre es ein Schafott. Er sieht den König an. Sein Kopf dreht sich, er sucht nach Gesichtern, die er kennt, aber als er sie im düsteren Mittagslicht findet, sehen sie wie versteinert zu ihm hin.

Henry lehnt sich vor. So eine Begegnung gab es noch nie, und deshalb gibt es auch keine Regeln dafür, aber der König hat beschlossen, wie bei Gericht vorzugehen. »Ihr Name?«

John Lambert ist es gewohnt, sich in kleinen Räumen zu verteidigen. Er ist mutig, aber er ist kein Mann, der sich je außergewöhnlichen Situationen gewachsen zeigen musste: und hier ist der König, der eine derartige Situation schafft.

Seine Stimme wirkt schwach, als käme sie aus einer anderen Zeit. »Ich wurde als John Nicholson geboren. Aber man kennt mich als John Lambert.«

»Was?« Der König ist schockiert. »Sie haben zwei Namen?«

Lambert schreckt zurück. Er sinkt auf ein Knie.

Gardiner murmelt: »Eine weise Reaktion, Junge.«

Der König sagt: »Ich würde keinem Mann mit zwei Namen trauen, selbst wenn er mein eigener Bruder wäre.«

Lambert verblüfft die einfache Ausdrucksweise des Königs. Hat er eine eingeübte Rede erwartet? Die wird kommen: Henry bewegt sich zielsicher auf den Kern ihrer Auseinandersetzung zu. »Das Corpus Christi. Ist es im Sakrament anwesend?«

Als der König Corpus Christi sagt, legt er ehrfürchtig die Hand an den Hut.

Lambert beobachtet die Geste. Seine Schultern krümmen sich. »Ihre Majestät ist so gelehrt, ein Fürst von seltener Weisheit …«

»Lambert, Nicholson«, sagt der König, »ich bin nicht hier, um Schmeicheleien entgegenzunehmen. Beantworten Sie meine Frage.«

»Der heilige Augustinus sagt …«

»Ich weiß, was Augustinus sagt. Ich will es von Ihnen hören.«

Lambert zuckt zusammen. Er kniet jetzt und weiß nicht, wann er wieder aufstehen kann. Es ist eine Art selbst zugefügter Folter. Der König starrt ihn an. »Nun? Was sagen Sie? Ist es Christi Fleisch, sein Blut?«

»Nein«, sagt Lambert.

Stephen Gardiner schlägt sich leicht aufs Knie. Bischof Stokesley sagt: »Da können wir ihn auch gleich anstecken. Warum es lange hinauszögern?«

Das Gesicht des Königs läuft rot an. »Was ist mit Frauen, Lambert – ist es rechtmäßig, dass eine Frau lehrt?«

»Wenn es notwendig ist«, sagt Lambert. Die Bischöfe ächzen.

Und das Wort »Geistlicher«, will der König wissen, was bedeutet es seiner Meinung nach? Das Wort »Kirche«? Und »Buße«? Sollten die Gläubigen vertrauliche Beichten ablegen? Denkt er, Priester dürfen heiraten?

»Ja«, sagt Lambert, »jeder Mann sollte es, wenn er nicht die Gabe der Keuschheit besitzt. Der heilige Paulus ist in dem Punkt eindeutig.«

Robert Barnes sagt, entschuldigen Sie mich. Er steht auf und stolpert über die Füße der gelehrten Geistlichen.

»Mylord Erzbischof«, sagt der König, »würden Sie aufstehen und Lambert oder Nicholson erklären, warum er unrecht hat?«

Cranmer erhebt sich. Cuthbert Tunstall beugt sich vor: »Mylord Cromwell, warum hat Lambert zwei Namen? Es scheint den König so zu quälen wie seine Ketzereien.«

»Ich glaube, er hat ihn geändert, um der Verfolgung zu entgehen.«

»Hmm.« Tunstall lehnt sich wieder zurück. »Da hätte er besser seine Ansichten geändert.«

Erzbischof Cranmer ist auf den Beinen, er wirkt zögerlich. »Bruder Lambert …«

Die Leute hinten rufen, sie können nichts hören.

Robert Barnes kommt zurück. Entschuldigen Sie mich, Mylords, vergeben Sie mir: stolpert wieder über ihre Füße. Er sieht blass aus. Vielleicht hat er sich übergeben müssen. Cranmer sagt: »Bruder Lambert, ich werde Ihnen ein paar Passagen aus der Schrift vorlesen, die Ihre Ansichten, wie ich glaube, widerlegen, und wenn Sie meine Einwände für gut begründet halten, dann, denke ich, müssen Sie meiner und der Meinung des Königs nachgeben. Aber wenn Sie …«

Stephen Gardiner rutscht auf seinem Stuhl herum. Während Cranmer seine Argumente liefert, gibt er pausenlos Kommentare ab, zweifellos zu leise, als dass der König sie hören könnte. Bischof Shaxton bedeutet ihm, still zu sein. Hugh Latimer blitzt ihn an. Stephen ignoriert beide, und noch bevor Cranmer zum Ende kommt, hat er sich erhoben.

Cuthbert Tunstall sagt: »Mylord von Winchester, ich glaube, ich stehe als Nächster auf der Liste.«

Gardiner bleckt die Zähne.

Tunstall sieht sich nach Unterstützung um. »Gentlemen?«

Cranmer fällt auf seinen Platz zurück. Hugh Latimer sagt: »Vielleicht kommt erst der Vicegerent?«

Er, Cromwell, hebt eine Hand: Ich nicht.

Bischof Shaxton wedelt mit der Liste durch die Luft. »Sie sind Nummer sechs, Gardiner. Setzen Sie sich!«

Der Bischof von Winchester beachtet ihn nicht. Er macht stur weiter, redet einen Mann in den Tod, lässt ihn straucheln und führt ihn in die Flammen, wo er schreien und bluten wird.

Zwei Uhr. Der König ist gebieterisch. Er ist wendig, er ist bissig, mitunter demütig. Er will Lambert nicht tot sehen, das interessiert ihn nicht. Er will ihn mit Argumenten vernichten, sodass er am Ende zusammenbricht und gesteht: »Sir, Sie sind der bessere Theologe. Ich fühle mich von Ihnen belehrt, erleuchtet und gerettet.«

François würdest du nie mit einem Untertan debattieren sehen, er wäre dazu nicht fähig. Du würdest den Kaiser nicht um das Leben eines armseligen Untertanen kämpfen sehen. Sie würden ihre Inquisitoren schicken und in der Folterkammer Lamberts Willen brechen.

Er, Cromwell, denkt an ein Turnier, die Ergebnistafel, die Aufzeichnung jedes Treffers: auf dem Körper zerbrochen. Jedes Mal, wenn der König sein Pferd neu ausrichtet, die Lanze senkt, hält er inne und macht Lambert eine Art Angebot. Eine Aussicht auf Gnade. Dein Leben – wenn du dich zurückziehst, nachgibst, bettelst. Gefragt, ob er an das Fegefeuer glaube, sagt Lambert: »Ich glaube an die Große Trübsal. Man mag in dieser Welt durchs Fegefeuer gehen.«

»Das ist ein Trick«, murmelt Hugh Latimer. »Der König glaubt selbst nicht an das Fegefeuer.«

»Nun, heute nicht«, sagt Gardiner.

Drei Uhr: Pinkelpause. Origenes ist zitiert worden, der heilige Hieronymus, Chrysostomos, der Prophet Jesaja. Draußen sagt Gardiner: »Ich kann nicht verstehen, warum die alten Vorwürfe gegen Lambert je fallen gelassen wurden. Der Wechsel eines Erzbischofs ist keine Entschuldigung. Sie hätten das im Auge behalten sollen, Cromwell.«

Stokesley sagt: »Sie scheinen sich nicht besonders für den Fall zu interessieren, Mylord Lordsiegelbewahrer.«

»Ich frage mich, warum«, sagt Gardiner. Er erspäht Latimer. »Was ist mit Ihnen, profitieren Sie von der Gelehrsamkeit des Königs?«

Hugh knurrt, wie ein Terrier einen Bullen anknurrt.

Es dauert eine Weile, bis alle Zuschauer ihre Plätze wieder eingenommen haben, zu husten aufhören und sich beruhigen. Dann richten sich alle Augen auf ihn, den Vicegerent des Königs. Er kommt auf die Beine. »Majestät, ich habe Ihre Darlegungen gehört und die der Bischöfe und habe dem nichts hinzuzufügen. Ich denke nicht, dass noch etwas fehlt.«

»Was?«, sagt Gardiner hinter ihm. »Es fehlt nichts? Los doch, Cromwell, sagen Sie etwas zu dem Fall. Sie denken, niemand will Sie hören? Ich will Sie hören.«

Der König funkelt ihn an. Gardiner ringt die Hände, als wollte er sich entschuldigen.

Lambert ist an der Reihe, und die Reihenfolge wird eingehalten – nur von Stephen nicht. Lambert hat es von den Knien auf die Beine geschafft, aber vier Stunden sind verstrichen, und niemand hat ihm einen Stuhl angeboten. Zwielicht: Seine Schultern sacken ein. Fackeln werden hereingebracht. Als ihr Licht auf den Gesichtern der Bischöfe spielt, sagt der König: »Es ist Zeit, Lambert. Sie haben all diese gelehrten Männer gehört. Was denken Sie jetzt? Haben wir Sie überzeugt? Werden Sie leben oder sterben?«

Lambert sagt: »Ich gebe meine Seele in Gottes Hand. Meinen Körper in die Ihrer Majestät. Ich unterwerfe mich Ihrem Urteil. Ich übergebe mich Ihrer Gnade.«

Nein, denkt er, die bekommt er nicht.

Henry sagt: »Sie halten das Sakrament der Eucharistie also für ein Puppenspiel?«

»Nein«, sagt Lambert.

Der König hebt eine Hand. »Sie sagen, es ist eine Illusion. Dass es nur ein Bild oder Symbol ist. Ein Satz widerlegt Sie, Jesu Worte: Hoc est corpus meum. Es ist der klarste Satz überhaupt. Ich werde kein Oberhaupt von Ketzern sein. Mylord Cromwell, verlesen Sie das Urteil gegen diesen Mann.«

Er nimmt seine Unterlagen. In solchen Fällen werden sie im Voraus ausgestellt. Stokesley sagt, er allein hat fünfzig Ketzer verbrannt, und selbst wenn er aufschneidet, es gibt eine Vorlage für den nächsten Schritt dieser Prozedur, der gut eingeübt ist. Er steht auf.

»Sprechen Sie laut und deutlich«, sagt Stokesley. »Lassen Sie uns endlich Ihre Stimme hören, Mylord Cromwell. Lassen Sie den Unglücklichen nicht im Zweifel über sein Schicksal.«

Nachdem er das Edikt, dass Lambert zu verbrennen ist, verlesen hat, wird der Mann hinausgebracht. Der König neigt seinen Kopf zum Publikum hin, mit der nüchternen Frömmigkeit des Kirchenmannes, der er heute Nachmittag war. Als er das Kinn wieder hebt, ist sein Ausdruck erhaben.

Auf ein Signal hin treten die Trompeter in die Halle. Sie blasen die Fanfaren, um den König hinauszugeleiten. Sechs Trompeter. Sechzehn Pence pro Person. Acht Shilling aus der Staatskasse. Der König denkt daran, eine neue Wache zu formen, genannt die Gentlemen Spears, mit neuer Livree. So wie er geht, wird er ständig Trompeter wollen.

Es ist kaum sechs, aber draußen herrscht schwarze Nacht. Der Winter hat die Welt in seinem eisigen Griff. »Das war hart«, sagt Rafe.

Er stimmt ihm zu. »Armer Kerl.«

Rafe sagt: »Ich meine nicht Lambert. Der hat es sich selbst zuzuschreiben.«

»Ich glaube, es ist Gardiner zuzuschreiben.« Er ist wütend. »Er senkt seine Krallen zurück in englischen Boden, und das jetzt passiert. Er wird hinter meinem Rücken beim König gewesen sein. Ich denke, er hat ihn am Ärmel gezupft und ihm gesagt, wie empört die Franzosen über unsere Reformation sind, wie entsetzt der Kaiser ist und dass er sich als im Herzen guter Römer erweisen muss. Als wäre diese große Veränderung ein dummer Streit, der sich in vierzehn Tagen beilegen ließe, und sieben Jahre Arbeit sind abgetan wie …«

»Jetzt ist es zu spät für eine Rede«, sagt Rafe.

Seine Haushaltswache ist da, um ihn nach Austin Friars zu bringen. Die Menge zerstreut sich. Die Fanfaren haben ihren Dienst getan, die Trompeter trollen sich. Er ruft sie herüber, greift in die Tasche und gibt ihnen ein Trinkgeld. Sie fahren sich mit den Fingern an die Mützen. Er wendet sich wieder Rafe zu. »Ich hoffe, es schien nicht so, als hätte ich die Mühen des Königs gering geschätzt. So war es nicht. Er hat sehr gut argumentiert.«

Rafe sagt: »Es schien so, als wüssten Sie nicht, was Sie tun sollten.«

Er denkt, ich wusste es. Aber ich habe es nicht getan. Ich hätte für Lambert eintreten oder wenigstens den Raum verlassen können.

»Barnes hat den Scheinheiligen gegeben«, sagt er. »Aber ohne Gottes Gnade stünde er selbst als Angeklagter da.«

Rafe sagt: »Rob hat sich heute nicht geschadet.«

Den Rest lässt Rafe ungesagt. Sie treten hinaus in die Kälte. Er denkt, ich hätte Stellen anführen, zitieren können. Wozu war all mein Lesen gut?

Er legt Rafe einen Arm um die Schultern. Rafe wird nie Fleisch ansetzen, er ist kein Jäger oder Tennisspieler: mager wie ein Junge, zerbrechlich. »Keine Angst«, sagt er. »Wir werden es weit bringen, Sohn.« Der Frost beißt ihnen in die Gesichter.

Es sind nicht viele Tage, bis Lambert verbrannt werden soll. Er schickt ihm Essen und Getränke, Worte des Trostes und des Mitleids, fragt sich aber, wie kann er sie aufnehmen? Er weiß, dass ich nicht für ihn eingetreten bin. Ich habe mit unter all diesen hartherzigen, Blut witternden Eiferern gesessen und nicht einen Finger gerührt. Meine Stimme erst erhoben, als das Urteil zu verlesen war. Aber wenn der König mich nicht konsultieren will, was kann ich dann tun? Im gesamten Buch Henry gibt es kein Beispiel dafür.

John Lamberts Ende ist ein großes Ereignis. In Smithfield sind Tribünen für die Würdenträger aufgebaut, vollgehängt mit englischen Wappen und mit Plüschkissen ausgestattet. Alle Räte, die nicht krank im Bett darniederliegen, sind vertreten: Sie tragen ihre Amtsketten um den Hals, die Elite das Abzeichen des Hosenbandordens. Die Plätze mit dem besten Blick sind für die beiden wichtigsten Botschafter reserviert, Castillon und Chapuys.

Der Tag ist ein Fest der Schmerzen. Er hat nie einen Mann so leiden sehen. Ein Zuschauer kann seine Augen nicht erblinden lassen. Er kann sie nur für Momente schließen. Er denkt, Gott sei Dank ist Gregory sicher unten in Sussex. Er konnte nicht hinsehen, als Anne Boleyn starb, und das dauerte nur einen Herzschlag: weniger.

Lamberts Sterben dauert eine Stunde. An seiner Seite, dem Mylord Lordsiegelbewahrer aufwartend, ist ein kleiner Junge, Thomas Cromwell alias Harry Smith. Er hat einen Aschefleck auf dem nackten Arm, sein Körper unter dem Wams ist voller blauer Flecke.

Nachts, im Schein der Sterne, kommt Cranmer ihn besuchen. Ein seelsorgerischer Besuch. »Es geht Ihnen nicht gut?«

Er will es nicht zugeben. »Ich bin ständig wach«, sagt er. »Es ist der Master Verräter Pole, er verursacht so viel Papierkram mit seinen Machenschaften.«

Der Erzbischof wirkt selbst hilflos und erschöpft. Er, Lord Cromwell, ruft nach Wein für ihn, nach Essen, wenn er es denn annimmt: einen Kapaunflügel, Pflaumen. Cranmer rutscht auf seinem Stuhl herum, putzt sich die Nase und sagt: »Sie wissen, was wir angefangen haben, wird nicht in der ersten Generation fruchten. Sie sind über fünfzig, und ich bin nicht viel jünger.«

»Gardiner fragte, ob ich denke, dass wir in den letzten Tagen dieser Welt leben.«

Cranmer wirft ihm einen Blick zu. »Aber das tun Sie nicht. Sicher nicht.« Der Erzbischof beißt sich auf die Lippe, wie ein Mann, der mit einer Nadel einen Splitter anhebt.

»Ich kann verstehen, warum gute Männer glauben wollen, dass Christus wiederkehrt. Wir wollen Gerechtigkeit, seine Gerechtigkeit, die so lange auf sich warten lässt.«

»Denken Sie, Lambert ist keine Gerechtigkeit widerfahren?«

Er hebt den Blick. Es ist keine Falle.

»Sie haben nicht die freie Auswahl, wenn Sie einem Fürsten dienen, Woche für Woche, Fall für Fall. Manchmal kann man nur den Schaden begrenzen. Aber in diesem Fall haben wir versagt.«

Cranmer sagt: »Wir dürfen nicht Thomas Mores Fehler machen. Er dachte, er könnte Henrys Gewissen bestimmen.«

Die Tür öffnet sich. Cranmer zuckt zusammen. »Ah, Christophe …«

Christophe stellt eine Platte ab. »Ich denke, mein Master sollte Urlaub bekommen.«

»Das übersteigt meine Möglichkeiten«, sagt Cranmer mit schwacher Stimme. »Wissen Sie, als Kind, da habe ich immer angenommen, ein Erzbischof könnte alles tun. Ich dachte, er könnte Wunder wirken.«

»Darüber habe ich nie nachgedacht«, sagt er. »Christophe, bringe Obst.«

Der Junge trabt hinaus. Er sagt: »Das Licht Christi führt uns an einige düstere Orte.«

Der Erzbischof betrachtet sein gebratenes Stück Kapaun und sagt: »Ich kann kein Fleisch anrühren. Nicht heute Abend.«

Er sagt: »Haben Sie je einen Falken weiter auf seine Beute einhacken sehen, wenn sie tot ist?«

Cranmer zuckt zusammen. »Nein«, sagt er, »nein, ich denke, der König war … er hat mich überrascht … er war besonnen, mitunter fast … väterlich.«

Reißend und trampelnd, Wut im Blick. Blut aus der Körperhöhlung trinkend, dann wieder auf das Fleisch einstechend.

»Väterlich«, sagt er. »Ja, das war er.«

Er denkt, nachdem ich Joan Boughton brennen gesehen hatte, bin ich nach Hause in mein kleines Leben zurückgekehrt und wusste nicht, ob ich es wirklich gesehen oder nur geträumt hatte. Ich fragte mich, ob ich sie nicht vielleicht auf der Straße wiedersehen würde, eine ältliche Person, die mit ihrem Korb am Arm Gewürznelken und Äpfel für einen Kuchen kaufen ging.

Cranmer sagt: »Aber was hätten wir tun können? Lambert hat seine Antworten gegeben. Er hätte auch anders gekonnt.«

»Das glaube ich nicht.«

Cranmer überdenkt das. Um das Schweigen zu füllen, sagt er: »Wie geht es Ihrer Frau?«

»Grete?« Cranmer sagt das, als hätte er noch andere Frauen, ein oder zwei. »Grete hat Angst. Und sie ist das Versteckspiel leid. Als ich sie mit nach England gebracht habe, habe ich ihr versichert, dass der König seine Meinung ändern werde und wir frei wie jedes Paar leben könnten. Aber so, wie es ist …«

Seine Stimme versiegt. Unsere Tage sind gezählt, wir leben in kleinen Zimmern, eine Tasche ist immer gepackt, ein Ohr immer gespitzt. Unser Schlaf ist unruhig, und in manchen Nächten schlafen wir fast gar nicht.

Er sagt zu Cranmer: »Also was jetzt? Nach dieser Geschichte? Wenn der König diesen Mann auf den Scheiterhaufen schicken kann, dann auch uns. Was soll ich tun?«

»Bleiben Sie weiter an entscheidender Stelle, solange Sie können. Um der Schrift willen werde ich das Gleiche tun.«

»Was hilft uns das, wenn wir Männer wie John Lambert nicht retten können?«

»Wir haben John Frith nicht retten können. Aber sehen Sie doch, was wir sonst alles haben tun können, seit er ins Feuer gegangen ist. Wir konnten Tyndale nicht retten, aber sein Buch.«

Es stimmt. Tote arbeiten weiter. Sie selbst sind verloren, doch hinter dem Rauch setzt sich fort, was sie begonnen haben.

Als Cranmer gegangen ist, versorgen ihn seine Bediensteten mit Kerzen und Wein und ziehen die Tür zu. Sie senken ihre Stimmen und gehen so leise, als trügen sie Filzpantoffeln. Er nimmt ein leeres Blatt Papier und schreibt einen Brief. An meinen sehr lieben Freund, Sir Thomas Wyatt, Ritter, Botschafter des Königs beim Kaiser.

Er schreibt: Seine Majestät, der König, Seine Gnaden, der Mylord Prinz, die Myladies, seine Töchter, und der Rest des Rates, alle froh und in bestem Wohlergehen …

Als ich jung war, denkt er, brauchte ich all meine Kraft für mich. Mitleid war ein Luxus, den ich mir womöglich eines Tages würde leisten können, wie feines weißes Brot oder ein Buch: ein solides, dichtes Dach über dem Kopf, eine Lampe aus bernsteinfarbenem oder blauem Glas, einen Ring für meinen Finger: eine Elle perlenbesetzten Brokat, eine Laute, ein Buchenholzfeuer: eine sichere Hand, um es zu entzünden.

Den XVIten Tag dieser Gegenwart …

Origenes sagt, Gott legt für jeden Menschen eine Schriftrolle an, die im Herzen verborgen liegt. Gott schreibt mit einer Feder, einem Schilfrohr, einem Knochen.

… Seine Majestät, der König, in Ehrfurcht vor dem heiligen Sakrament der Eucharistie …

Er denkt daran hinzuzufügen, unser Monarch trug Weiß. Er leuchtete von Kopf bis Fuß. Wie ein Spiegel. Wie ein Licht. Er schreibt: Ich wünschte, die Fürsten Europas hätten sehen und hören können … mit welchem Ernst er sich um die Bekehrung dieser armen Jammergestalt bemüht hat …

Die Hand bewegt sich über das Papier, die Tinte folgt seinen Bewegungen. Das Feuer im Kamin knistert, die Flamme der Kerze beugt sich und verwischt. Er erinnert sich, wie er mit Gregory unter einem Silberhimmel durch die Downs geritten ist: das Licht ohne Schatten, wie das Licht zu Beginn der Welt.

Wären jene Fürsten heute hier gewesen, schreibt er, hätten sie über Henrys Gelehrsamkeit gestaunt, wären Zeugen seiner Urteilskraft und seiner Politik geworden: hätten ihn erkannt als – er hebt seine Feder für einen Moment von der Seite – den Spiegel und das Licht aller anderen Könige und Fürsten der Christenheit.

Unter seinen Papieren ist immer noch eine Strophe aus der Feder von Tom Truth. Sie hat sich vom Rest des Gedichts gelöst, aber er kennt es auswendig.

Doch lässt mein Wahn mich sie so sehen,

Treibt meine Freundschaft außer Sicht,

Lässt mich in Schatten wandernd gehen,

Und and’re Neigung bleibt im Licht.

Selbst den schlechtesten Dichtern gelingt von Zeit zu Zeit eine glückliche Formulierung. Du kannst das Flackern sehen, wie sich die menschliche Gestalt durchs Licht ins Dunkel und wieder zurück bewegt. Er sieht sich im Zimmer um. Das sanfte Schimmern des türkischen Teppichs. Seine in Ziegen- und Kalbsleder gebundenen Bücher. Das Silber, in dem er sich spiegelt: den Spiegel und das Licht aller Räte der Christenheit.

Er senkt die Feder, denkt, dieser Brief funktioniert so nicht, morgen fülle ich die Lücken, oder vielleicht auch nicht, morgen wollen sie mich im Tower. Er ist zu müde, zu erschüttert, zu zerrissen von Schrecken und Elend, um die Verurteilung Lamberts genauer zu beschreiben, geschweige denn seinen Tag. Er schreibt: Ich bezweifle nicht, dass Ihnen einige Ihrer Freunde, die über die nötige Zeit verfügen, den gesamten Diskurs im Einzelnen beschreiben werden …

Lass sie. Er schließt die Augen. Was sieht Gott? Cromwell in seinem vierundfünfzigsten Lebensjahr, mit all seinem Gewicht und seiner Gravitas, eingehüllt in Wolle und Fell? Oder nur ein Aufflackern, eine Illusion, einen Funken unter einem Schuh, einen Tropfen in einem Ozean, eine Feder in einer Wüste, einen Hauch, ein Trugbild, eine Nadel im Heuhaufen? Wenn Henry der Spiegel ist, ist er der blasse Schauspieler, der keinen eigenen Glanz verbreitet, sondern sich im Spiegellicht dreht. Bewegt sich das Licht weiter, ist er nicht mehr.

Als ich in Italien war, denkt er, sah ich auf jeder Mauer gemalte Jungfrauen, auf jedem Fresko das blutgetränkte Gewand Gottes. Ich sah die sich um einen Ast windende Versucherin und das Gesicht des in Versuchung geführten Adam. Ich sah, die Schlange war eine Frau, und ihr Gesicht war von silbrig-goldenen Locken umrankt. Sah sie auf dem grünen Ast züngeln, sah, wie er sich unter ihren Windungen bog. Ich sah das Klagen des Himmels ob des Gekreuzigten, sah Tränen vergießende, dahinfliegende Engel. Sah behände Peiniger Steine auf den heiligen Stephanus werfen, sah das gelangweilte Gesicht des den Tod erwartenden Märtyrers. Ich sah ein in Bronze gegossenes totes Kind, das über seiner eigenen Leiche stand: und all diese Bilder, Darstellungen habe ich als eine Art Prophezeiung oder Zeichen in mich aufgenommen. Aber ich habe Männer und Frauen getroffen, bessere Menschen als ich und der Gnade näher – tief in den Anblick eines Splitters vom Kreuz versunken, bis sie vergessen, wer und was sie sind, nur das Blut sehen, das die Fasern des Holzes durchdringt. Bis sie sich nicht länger als Gefangene von Unglück und Verbrechen verstehen, nicht länger als Sklaven eines sinnlosen Opfers in einem fernen, fremden Land. Bis sie im Kreuz Christi den Baum des Lebens sehen, die Wahrheit in ihnen aufblüht und sie gerettet sind.

Er streut Sand auf das Papier, legt die Feder zur Seite. Ich glaube, aber ich glaube nicht genug. Ich habe zu Lambert gesagt, ich bete für Sie, doch am Ende bete ich nur für mich und dafür, dass ich nicht den gleichen Tod erleide.