Kapitel 12

Chausey, Normandie

Zur gleichen Zeit

Louise stand hinter der kleinen Steinmauer, die den Weg hinab zum Anleger vor den Wellen schützte, und schaute über den Sound hinweg zu den kleineren Inseln, südöstlich der Grande-Île.

Es war Ebbe und so sah sie unzählige Sandbänke zwischen den Felsen, in der Ferne die aufgestellten Kästen der Fischer auf dem Schlick, die das Meer bei seinem Rückzug freigelegt hatte. Es war frisch, der Wind zerrte an ihren Haaren und ließ sie frösteln, trotz der dicken Jacke, die sie sich übergezogen hatte. Louise spürte den Winter in ihren alten Gliedern und sie umschloss mit ihren klammen Händen noch fester die warme Kaffeetasse, die sie aus ihrem Laden mit nach draußen genommen hatte. Es waren nur wenige Schritte von dort bis hinunter an die Anlegestelle. Granville mit seinen Klippen und dem großen Fort oben auf dem Felsen war an diesem Morgen gut zu sehen, die Luft war klar, der Himmel aufgeräumt.

Es war Sturm angekündigt, und sie hatte bereits jetzt das Gefühl, dass eine besondere Spannung in der Luft lag, die Möwen flogen schräger als sonst, die Ebbe hatte scharfe Rillen am Strand hinterlassen.

»Wenn der Sturm kommt, mein Kind«, hatte ihr Vater ihr beigebracht, »dann kündigt er sich an. In der Luft, zwischen den Felsen, auf dem Strand. Achte auf die Vögel, auf das Wasser, besonders auf die Gezeiten. Sie wissen so viel mehr als wir, die Gezeiten.«

Oh ja, das stimmte wohl, aber auch die Gezeiten konnten nichts ungeschehen machen, sosehr sie es sich auch wünschte.

»Na, Louise, wovon träumst du gerade?«

Sie zuckte zusammen und hätte fast ihre Tasse fallen lassen, als Bitrac, der alte Leuchtturmwärter, hinter ihr auftauchte. Er hob entschuldigend die Hände.

»Verzeih, ich wollte mich nicht anschleichen. Die Wellen sind laut heute Morgen, es wird Sturm geben.«

Sie beide kannten sich seit so vielen Jahren, sie waren gemeinsam hier aufgewachsen, sie hatten die großen Stürme überstanden und die Trockenheit auf der Insel vor einigen Jahren.

»Du warst schon immer ein Anschleicher«, schimpfte sie und hielt ihm ihre Tasse hin, aus der heißer Dampf aufstieg, der sich mit der kalten Luft vermischte. Bitrac nahm einen Schluck und gab die Tasse zurück.

»Und du schon immer eine Träumerin«, antwortete Bitrac.

Er trug eine dunkelblaue Jacke aus Segeltuch, darunter eine gelbe wasserfeste Fischerhose, seine Füße steckten in Gummistiefeln. Sie wusste, dass er gleich mit seinem kleinen Außenborder eine Runde um die Insel drehen würde. Im Auftrag einiger Fischer vom Festland würde er hinaus zu den Muschelbänken fahren, würde die Hummerkörbe überprüfen und später an der Bar im Hotel sitzen, um schweigend auf den Fernseher zu starren, aus dem die Nachrichten einer fernen Welt zu ihnen drangen.

»Feste Menschen brauchen kein festes Land«, würde er irgendwann murmeln und mit den wenigen Touristen Karten spielen oder sein Boot flicken.

Chausey bot kein besonders großes Freizeitprogramm.

»Also, wovon träumst du gerade?«, fragte er sie erneut.

»Wer sagt denn, dass ich träume?«

»Keiner sagt das. Du hast so nachdenklich ausgesehen, aber nicht unbedingt glücklich.«

Louise zuckte mit den Achseln.

»Ich dachte nur … vielleicht war es … na ja, eine Erinnerung eben. Etwas, das ich lieber vergessen möchte. Aber es gelingt mir eben nicht.«

»Eine Erinnerung woran?«

Louise lächelte müde.

»Lass es gut sein, Bitrac. Es ist nett von dir, aber manche Dinge muss man mit sich selbst ausmachen. Es ist lange her. Und vielleicht beschäftigt mich auch einfach nur die Insel und das, was mit ihr passiert. Alles verändert sich, Bitrac, und ich befürchte, nicht zum Guten.«

Der Leuchtturmwärter holte eine Packung Zigaretten aus den Tiefen seiner Jacke und zündete sich eine an, die Flamme seines Feuerzeuges mit der hohlen Hand gegen den Wind schützend.

Sie wusste, was er dachte.

Sie hatten oft darüber gesprochen, in letzter Zeit. Aber auch die anderen auf der Insel beschäftigte dieser eine Gedanke immer mehr: Marie-Claude und ihr Mann Germain, die den Hof hinter der Kapelle bewirtschafteten, Lucas und Françoise, die immer öfter das »Hôtel de la Marée« schlossen, um die Enkelkinder in Paris zu besuchen, aber auch André, Tony und Gravelec, die als Fischer auf der Insel lebten, so wie ihre Eltern zuvor. Die Zukunft von Chausey lag nicht in ihren Händen und sie war ungewisser denn je. Und so war es kein Wunder, dass jeder von ihnen immer wieder auf das Meer hinausblickte, auf das Festland, auf die weite Welt jenseits des kleinen Archipels am Rande der Normandie, und sich fragte, was die Zukunft wohl bringen würde.

Chausey blutete aus, das war die Wahrheit. Vor allem, seit die Regionalregierung die Fördermittel radikal gekürzt hatte, um das Geld in größere Fährschiffe zu stecken. Es waren die Touristen, die Chauseys Zukunft sichern sollten, ob es den Anwohnern der Insel nun passte oder nicht.

»Wir werden sehen, was geschehen wird«, murmelte Louise und nahm einen kräftigen Schluck aus ihrer Tasse.

 

Ein dumpfer, lang gezogener Ton unterbrach ihre Gedanken und ließ zwischen den Felsen einige Basstölpel erschrocken hochflattern.

»Irgendwann sind wir eben nur noch ein Museum«, murmelte Bitrac und sah hinüber zu dem kleinen Fährschiff, das in diesem Augenblick in den Sound einbog.

»Aber ein gut besuchtes«, fuhr er fort. »Wir beiden Alten sind dann Geschichte, und im Sommer trampeln sie über unsere Gräber und lassen uns nicht mal im Tod genug salzige Luft zum Atmen.«

Sie hieb ihm in die Seite.

»Genug gejammert, alter Poet! Fahr raus zu den Muscheln, ich kümmere mich um meinen Laden. Seien wir erst mal froh, dass die Fährgesellschaft die neuen Schiffe noch nicht in Betrieb hat.«

Bitrac nickte grimmig.

»Dieses verdammte Pack«, zischte er und schaute zornig hinüber zu dem dicken Rumpf des Fährbootes. »Doppelt so große Schiffe, Ausweitung des Fahrplans, wir sind doch nicht der Louvre! Wir werden hier an den Touristenmassen ersticken.«

Für einen Augenblick schwiegen sie beide.

Louise sah nur wenige Passagiere an Deck, es würde ein einigermaßen ruhiger Tag auf der Insel werden.

»Warten wir es ab«, murmelte sie und lächelte ihn an. »Wir werden sehen, ob es so kommt, wie wir fürchten. Oder doch ganz anders. Vielleicht passiert ja noch etwas, das den Wind wieder zu unseren Gunsten dreht.«

»Und was soll das sein?«, fragte der alte Leuchtturmwärter argwöhnisch.

»Warten wir es einfach ab.«

 

Tatsächlich war es nur ein knappes Dutzend Touristen, das sich an diesem Vormittag auf den Weg nach Chausey gemacht hatte, einige Unverbesserliche, die trotz Kälte und Wind die zugige Fähre bestiegen hatten. Sie würden sich auf der Insel verteilen, sie umrunden, im Uhrzeigersinn, so jedenfalls machten es die meisten. Louise stand mit ihrer Kaffeetasse zwischen den zum Trocknen abgestellten Hummerkörben am Rande des Weges, der sich hinter ihr gabelte: links hinauf zum Hotel und zu ihrem kleinen Laden gegenüber und rechts zur Kapelle und zur Bucht der Blanvillais. Die meisten würden sich vermutlich erst mal oben im Gastraum des Hotels einen heißen Tee holen oder eine Schokolade, bevor sie sich auf den Weg machen würden, den kleinen Pfad oberhalb des Sounds entlang, an den schönsten Häusern der Insel vorbei, die nur wenige Meter oberhalb des glitzernden Wassers lagen und die jetzt leer standen, weil ihre Besitzer sie längst nur noch als Ferienhäuser nutzten.

 

Louise lächelte ein junges Paar mit Rucksack und Wanderstöcken an, half einem weiteren Ehepaar, das direkt zum Strand von Port-Marie wollte, und winkte schließlich Augustin zu, der oben an Bord der Fähre stand und sich mit einem Besatzungsmitglied über eine Gezeitenkarte beugte. Der Kapitän der »Saint-Michel« trug eine Wollmütze auf seinem kahlen Schädel und eine dicke Jacke gegen die Kälte, die trotz der Sonne, die heute Morgen auf die Insel schien, überall hineinzukriechen schien.

»Salut, kleine Möwe!«, rief er ihr zu und machte ihr ein Zeichen, doch auf einen Kaffee an Bord zu kommen. Bitrac hatte mittlerweile seinen kleinen Außenborder gestartet und lenkte sein Boot langsam in Richtung La Fourche und Grand Romont. Am Horizont waren blass die Umrisse von Jersey zu erahnen.

 

»Guten Morgen, Louise«, erklang leise eine freundliche Stimme, als sie über eine Holzplanke die »Saint-Michel« betrat und das Hinterdeck erreichte, von dem aus an beiden Seiten des Schiffes eine steile Eisenleiter auf das Oberdeck führte. Sie drehte sich um und blinzelte, geblendet vom gleißenden Licht, das vom Wasser reflektiert wurde. Im Innenraum konnte sie einen schmächtigen Schatten ausmachen, der sich zwischen den Sitzbänken hindurch in ihre Richtung schob.

»Bonjour, Adrienne«, sagte Louise und gab kurz darauf der zierlichen Frau, die ihr gegenüberstand und sie schüchtern anlächelte, einen Kuss auf die Wange.

»Na, nicht zu sehr gefroren auf der Fahrt?«, fragte sie und betrachtete die schmalen Schultern und die dünnen Arme, die aus einer Steppweste hervorschauten. Adriennes Hände steckten in Fingerhandschuhen, ihr Atem hing als weiße Wolke in der Luft.

»Wenn man sich schnell bewegt, dann geht es«, sagte sie und rieb sich die Hände. »Bei so wenigen Passagieren komme ich zwar nicht ins Schwitzen, aber es geht schon.«

»Na, dann soll Augustin gefälligst die Heizung hier unten hochdrehen, das ist ja eine Zumutung!«, ereiferte sich Louise.

»Das macht er schon, keine Sorge, Louise. Auch wenn er es eigentlich nicht darf.«

»Diese verfluchte Fährgesellschaft«, zischte Louise verächtlich, »die versuchen wirklich, überall zu sparen. Es ist schon schlimm genug, dass du hier alleine arbeiten musst, sie sollten wirklich …«

»Nein, es geht schon, wirklich. Mit dem Kapitän habe ich es ja gut getroffen, und die Gäste waren heute auch alle nett. Ich mag die Wintergäste, sie … sie freuen sich anders auf die Insel, sie behandeln Chausey besser. Wenn du verstehst, was ich meine.«

»Oh ja, das stimmt.«

Louise kannte Adrienne seit einigen Jahren, seitdem diese als Kellnerin, Küchenhilfe und Putzfrau für die Fährgesellschaft arbeitete. Unterbezahlt und oft übermüdet, hatte sie doch immer ein Lächeln auf den Lippen und ein nettes Wort für die Touristen und die Besatzung.

Ein guter Geist, hatte Augustin einmal gesagt. Die kleine, zierliche Frau war Ende dreißig, sie wohnte in einem kleinen Studio in Granville, und Louise freute sich jedes Mal, sie zu sehen.

Jetzt jedoch war ihr Bick müde, sie fuhr sich fahrig durch ihr kurzes, strähniges Haar.

»Es war schrecklich, Louise«, sagte sie leise, ihren Blick auf den Boden geheftet, der noch feucht war, weil sie gerade gewischt hatte.

»Monsieur Marchand … er und seine Frau … sie sind so …«, stotterte sie, suchte nach Worten. »Sie waren immer so nett zu mir. Und jetzt ist er tot. Es ist schrecklich.«

Adrienne zitterte und Louise nahm sie in den Am und drückte sie an sich.

»Es ist schrecklich, ich weiß. Ich mochte ihn auch gern, er war immer höflich und gut gelaunt.«

Für einen Moment schwiegen sie. Nur die Möwen über der Fähre waren zu hören und die leise Stimme des Kapitäns auf dem Oberdeck.

»Ich habe es gar nicht richtig mitbekommen«, sagte Adrienne. »Er hat sich wohl plötzlich übergeben, ganz fürchterlich, dann ist er auf dem Oberdeck zusammengebrochen. Es war … so schlimm … als ich nach oben kam, da standen schon alle um ihn herum. Seine Frau war … Sie hat nicht geweint. Sie stand einfach nur stumm da. Hilflos.«

»Es ist gut, Adrienne«, flüsterte Louise. »Es ist ganz schrecklich, was passiert ist. Ich werde seiner Frau eine Karte schreiben, wenn du möchtest, schreiben wir zusammen, ja? Ich bringe sie heute Nachmittag vorbei. Ist das in Ordnung?«

Adrienne wischte sich einige Tränen aus den Augen.

»Ja, vielen Dank. Das wäre sehr nett.«

»Und ich werde mit Augustin reden. Du arbeitest zu viel.«

»Louise, es ist kein Problem für mich, ich kann …«

»Keine Widerrede. Mach dir einen Kaffee, Kindchen, und ruh dich ein bisschen aus. Die Rückfahrt ist erst in einer Stunde.«

 

Louise stieg vorsichtig die Eisenleiter hoch und blinzelte in die Sonne, als sie das Oberdeck erreichte. Behutsam setzte sie ihre Füße auf den rutschigen Untergrund.

»Eine alte Frau hier heraufzulocken ist keine feine Geste«, rief sie dem Kapitän zu, der soeben sein Gespräch mit einem der Besatzungsmitglieder beendet hatte.

Augustin lachte: »Ich sehe hier keine alte Frau! Ich sehe eine ganz wunderbare, behände Inselbraut, die sich auf den Weg gemacht hat, den Kerl vom Festland zu verzaubern.«

Sie umarmten sich, der Kapitän musterte sie von Kopf bis Fuß.

»Ich muss schon sagen, Louise, du wirst mit jedem Jahr jünger. Für eine 68-Jährige …«

»73«, korrigierte Louise, »und das weißt du ganz genau. Und tu nicht so, als hättest du mich seit Jahren nicht gesehen, du warst gerade mal zwei Wochen in Urlaub. Wie war es im Süden?«

»Zu warm«, lachte Augustin und seine weißen Zähne blitzten. Er nahm seine Wollmütze vom Kopf und fuhr sich über den Schädel.

»Du weißt doch, ich brauche den Wind, das Meer, die Möwen. Im Süden gibt es auch Möwen, aber das sind verwöhnte Bälger, die schlendern mehr über die Promenaden, als dass sie durch die Luft segeln.«

Für einen Moment tauschten sie sich aus, über das Leben auf der Insel, über Louises Pläne zur Renovierung ihres Ladens, über Granville und seine steigenden Immobilienpreise. Schließlich sah Louise über den Sound hinweg zu den kleinen Inseln, an die die Flut sich langsam wieder heranwagte.

»Schlimme Sache mit Rémy«, sagte sie schließlich. »Ich meine, auf dem Schiff … einfach so. Was ist nur passiert?«

Augustin schien kurz zu überlegen, dann sah er sich um, um sicherzugehen, dass niemand sie hörte.

»Hör zu … ich war ja gestern nicht dabei … aber es muss tatsächlich dramatisch gewesen sein. Er ist wohl hier oben zusammengebrochen, sein Körper muss gezuckt haben, ganz fürchterlich. Es tut mir wahnsinnig leid für seine Frau.«

Louise sah ihn an.

»Weiß man, woran er … Ich meine, war es ein Herzinfarkt? Ein Schlaganfall?«

Wieder warf der Kapitän einen Blick über die Schulter, schüttelte den Kopf und flüsterte: »Es war Gift.«

»Was?« Louise starrte ihn entgeistert an. »Gift? Willst du damit sagen, dass …?«

»Nicht so laut!«, zischte Augustin. »Das ist nicht für jedermanns Ohren bestimmt.«

»Aber das würde ja bedeuten, dass er ermordet wurde«, zischte Louise und Augustin nickte knapp.

»Ich habe es von einem Freund, der bei der Polizei in Granville arbeitet. Offenbar wurde er einige Stunden zuvor vergiftet und ist dann auf der Rückfahrt zusammengebrochen. Seine Frau sagt, er habe sich schon den ganzen Tag unwohl gefühlt. Es ist schrecklich.«

Louise ließ sich auf eine der Bänke fallen.

»Aber wer würde denn Rémy Marchand umbringen wollen? Ich meine, er war doch immer …«

»Nett, ich weiß. Und er war der Chef der Fährgesellschaft. Mein Chef. Zumindest bis zum Sommer, seitdem ist er ja in Rente gewesen.«

»Glaubst du, sein Tod hat etwas mit der Fährgesellschaft zu tun? Oder sogar mit …«

»Den Plänen, die Fähren deutlich zu vergrößern und noch mehr Menschen nach Chausey zu bringen?«, unterbrach Augustin sie mit ernster Miene. »Genug Feinde hat ihm das eingebracht.«

Louise funkelte ihn an.

»Und ich war eine davon.«

»So habe ich es nicht gemeint.«

»Ich bleibe trotzdem dabei. Diese Pläne sind der Tod für Chausey.«

Nun war er es, der sie streng anblickte.

»Pass auf, was du sagst, Louise. Der Tod hat bereits vorbeigeschaut, vergiss das nicht.«

Für einen Augenblick schwiegen sie, das Wasser gluckste gegen die Bordwand, in der Ferne war das Tuckern eines Außenborders zu hören. Louise sah, dass sich einige Tagesgäste bereits mit einer heißen Tasse Tee am großen Panoramafenster des Hotels niedergelassen hatten, andere liefen den Pfad in Richtung des Leuchtturms hinauf. Bitrac würde ihnen später den Turm zeigen. An guten Tagen konnte man von dort bis nach Saint-Lunaire sehen.

Es war ein ganz normaler Wintertag auf Chausey. Zumindest wünschte Louise sich das.

Dann sah sie der Kapitän von der Seite an: »Übrigens habe ich erfahren, dass die Schiffe bereits bestellt sind. Die großen, meine ich. Da führt kein Weg mehr dran vorbei.«

Louise lächelte jetzt, während sie nach Granville hinübersah.

»Es gibt viele Wege, Herr Kapitän. Und jeder einzelne führt irgendwohin.«

 

Als sie kurz darauf über den Anleger zurück auf die Insel ging, sah sie in der Ferne eine schlaksige Gestalt, die auf einem Pfad Richtung Westen unterwegs war. Mit seinem Tropenhut auf dem Kopf war Olivier Bechandre auf dem Weg zu einem Gebäude, das ihm in den nächsten sechs Monaten als Zuhause dienen würde.

Louise sah dem Ornithologen eine Weile hinterher, bis er hinter dem kleinen Hügel verschwand, auf dem die Kapelle stand. Direkt dahinter türmten sich die dunklen Wolken so hoch auf, dass es schien, als würde eine Wand auf sie zukommen.

Das Wetter hatte sich gedreht, so wie es oft geschah, hier draußen auf dem Meer.

Und genau das machte ihr Mut.