Kapitel 5

 

Das Hochzeitsbankett näherte sich dem Ende, und Picard konnte es kaum abwarten. Die Rahgidaugen waren so übel gewesen, wie er befürchtet hatte, und mehrere danach folgende Gerichte hatten seiner Verdauung nur noch größere Probleme beschert. Der Drache schien entschlossen, Picard Magen auf die härteste nur vorstellbare Probe zu stellen. Er hoffte nur, dass Beverly etwas in ihrem Medikit hatte, das seinem Verdauungstrakt später Linderung verschaffen konnte.

Fette, schwarze Wolken zogen über den Himmel hinweg und schütteten gewaltige Regenmengen aus. Zuerst hatte Picard angenommen, das Bankett werde deshalb unterbrochen, doch offensichtlich wurde der Hof von einem unsichtbaren Kraftfeld vor Witterungseinflüssen geschützt. Zahllose Wassertropfen prallten auf das Feld und flossen dann in ein verborgenes Reservoirs ab. Er bewunderte, wie anmutig und effizient die Pai sich mit ihrer Umgebung befasst hatten. Trotz all ihrer Exzentrizitäten konnten sie mit Recht stolz auf ihre Errungenschaften und ihren offensichtlichen Schönheitssinn sein. Es wäre wirklich eine Tragödie, wenn die G'kkau all diese luxuriöse Pracht in Schutt und Asche legen würden, wie sie es bei so vielen anderen Zivilisationen getan hatten.

Neben ihm hatten Riker und Kan-hi ein lebhaftes und ausführliches Gespräch über die unterschiedlichen Trinkgewohnheiten auf Pai und in Alaska begonnen, wobei sie die Theorie in die Praxis umsetzten, indem sie zahlreiche Schlucke eines Getränks zu sich nahmen, das noch dampfte, wann immer ein Diener ihre Tassen auffüllte. Picard war froh, dass sein Erster Offizier sich mit der jüngeren Generation der Adligen von Pai angefreundet hatte, wenngleich er von Minute zu Minute dankbarer wurde, dass Beverly so vorausblickend gewesen war, Riker vor der Wirkung von allzu viel örtlichem Alkohol abzuschirmen. Chuan-chi, der verdrossene Bräutigam, bemühte sich gelegentlich pro forma, etwas zum Gespräch beizutragen, wenngleich man ihm anmerkte, dass er lieber woanders gewesen wäre. Picard vermutete, dass der Erbe diese ›Vorletzte Bestäubung des ungezähmten Samens‹ nur abhielt, weil die Tradition es verlangte. Erneut tat die bedauernswerte Perle ihm leid.

Zu seiner angenehmen Überraschung hatte Lu Tung Beverlys Angebot, der Perle am heutigen Abend Gesellschaft zu leisten, bereitwillig akzeptiert. »Meine ehrenwerte Frau, ihre Mutter, ist vor vielen Jahren gestorben«, erklärte der ehemalige Rebell, »und meine … Aktivitäten in den letzten paar Jahren haben mich davon abgehalten, eine würdige Nachfolgerin zu suchen. Ich habe natürlich meine Konkubinen, welcher Mann hat die nicht, aber keine davon ist reif genug, um einer Braut von der Bedeutung meiner Tochter die nötige Führung geben zu können. Es ist nicht richtig, dass eine Braut unvorbereitet in ihre Hochzeitsnacht geht, und vor Ihrem freundlichen Angebot habe ich in der Tat schon befürchtet, ich müsste bestenfalls auf eine Konkubine des Fünften Rangs zurückgreifen, damit sie die traditionellen Pflichten der Mutter der Braut wahrnimmt. Sie sagen, Ihre ›Dr. Crusher‹ sei eine Frau von Ehre und Erfahrung?«

»Ich kann sie nicht genug empfehlen«, erwiderte Picard mit völliger Aufrichtigkeit. »Sie ist eine angesehene Ärztin, ein wertvoller Offizier, und sie hat einen guten und aufrechten Sohn großgezogen.« Und ist durchaus imstande, fügte er im Geiste hinzu, Ihre Tochter vor einem Angreifer aus dem Hinterhalt zu schützen.

»Ausgezeichnet«, sagte Lu Tung, wenngleich sein steinerner Gesichtsausdruck kaum etwas von seinen Gefühlen verriet. »Auf dem Schlachtfeld habe ich großen Respekt vor den Heilkünsten von Frauen gewonnen. Ich glaube, dieses Geschlecht hat eine natürliche Begabung für die Medizin.«

Dieser stoische Adlige, dachte Picard, war ganz anders als der überschwängliche und temperamentvolle Kaiser, den er zu stürzen versucht hatte. Kein Wunder, dass sie nicht miteinander auskamen. Lu Tungs ernstes Benehmen erinnerte Picard an den Vulkanier Sarek, zumindest, bevor das Alter und die Krankheit diesen großen Mann seiner emotionalen Kontrolle beraubt hatten. Er hoffte, dass Lu Tung sich nicht als der Attentäter erweisen würde.

Der Drache hatte noch immer nur Augen für Data. Der Kaiser hatte darauf bestanden, dass der Androide sich zu ihnen auf das Podest gesellte, und beharkte Data nun mit endlosen Fragen über seine Bauweise und Natur. Picard argwöhnte fast, dass der Drache herausfinden wollte, wie man einen Androiden konstruierte. Zum Glück hat Data keine echten Gefühle, dachte Picard, denn bei der überwältigenden Neugier des Drachen wäre fast jedem anderen Wesen sehr schnell unbehaglich geworden.

»Erstaunlich, erstaunlich«, sagte der Drache und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen Datas Haut. »Eine ungewöhnliche Beschaffenheit. Warum hat man Ihnen nicht eine unauffälligere Hautfarbe gegeben?«

»Das weiß ich nicht, Eure Exzellenz. Mein Schöpfer, Dr. Soong, hat es mir nie gesagt, und ich habe ihn nie gefragt.«

»Und er hat Sie mit keinerlei Oberflächenverzierungen ausgestattet?«, fragte der Drache.

»Nein, Eure Exzellenz. Das erschien ihm überflüssig.«

»Na ja, dem könnte man leicht Abhilfe schaffen.« Der Drache legte den Kopf auf eine Seite und betrachtete Data blinzelnd, als wäre er ein in der Entstehung begriffenes Kunstwerk. »Ein wenig Silber, ein paar biolumineszierende Intarsien, vielleicht ein paar kleine Schmuckkacheln auf den Gesichtsflächen … Die Stirn schreit geradezu danach, graviert zu werden, und die Augenfarbe ist viel zu schlicht … Man fragt sich, warum das nicht schon längst durchgeführt wurde …«

»Ich habe es nie für eine praktische Möglichkeit gehalten«, gestand Data ein.

Gefühle hin oder her, Picard fühlte sich verpflichtet, zugunsten Datas einzugreifen. Er entschuldigte sich bei Lord Lu Tung und beugte sich zu dem Drachen und dem Androiden hinüber. »Mr. Data ist Raumschiffoffizier«, erklärte er dem Kaiser. »Jede überflüssige Verzierung wäre unnötig, ja sogar ein Verstoß gegen seine und unsere Absichten.«

»Verstanden, Captain«, erwiderte der Kaiser, »aber wäre er irgendwo anders … zum Beispiel an einem kaiserlichen Hof … dann könnte man so etwas doch in Erwägung ziehen, meinen Sie nicht auch?«

O nein, dachte Picard, als ihm klar wurde, was das Interesse des Kaisers an Data tatsächlich zu bedeuten hatte. Natürlich hielt ein unangefochtener Herrscher wie der Drache es nicht für notwendig, auch nur der Höflichkeit halber um einen Gegenstand zu bitten, den er begehrte. Normalerweise genügte es, wenn er einfach seine Bewunderung für den betreffenden Gegenstand zum Ausdruck brachte, und dessen Besitzer würde ihm das Objekt seiner Begierde zum Geschenk machen, so sicher, als hätte er es befohlen. Und der Drache hatte mehr als nur bloßes Interesse an Data zum Ausdruck gebracht, bei dem es sich in seinen Augen einfach um ein von Menschen hergestelltes Artefakt handeln musste. Wahrscheinlich wundert er sich, dachte Picard voller Abscheu, warum ich ihm Data nicht schon längst angeboten habe. Außer, er geht davon aus, dass Data morgen als Hochzeitsgeschenk überreicht werden soll.

»Meine Gesichtszüge wurden allerdings gelegentlich aus taktischen Gründen modifiziert«, sagte Data, um die Neugier des Drachen vollends zu befriedigen. »Einmal habe ich mich zum Beispiel als Romulaner ausgegeben. Theoretisch gibt es eigentlich keinen Grund, warum mein Aussehen nicht wesentlich ästhetischer gestaltet werden könnte.«

»Genau!«, rief der Drache begeistert. »Ganz meine Meinung. Captain Picard, Sie müssen mir erlauben, Sie zu dieser erstaunlichen Schöpfung zu beglückwünschen. Selbst mit seinem derzeitigen schlichten Äußeren ist er eine Zierde für jedes Schiff oder jeden Hof.«

Picards Gedanken rasten, doch ihm wollte einfach nicht einfallen, wie er Data aus dem begehrlichen Griff des Drachen befreien konnte. Die Föderation hatte der Enterprise zwar einige sehr großzügige Geschenke für das Drachenreich mit auf den Weg gegeben, doch im Augenblick war es eher unwahrscheinlich, dass der Drache irgendeinen Ersatz für Data akzeptieren würde, ganz gleich, wie attraktiv oder nützlich er sein würde. Daher war es unbedingt erforderlich, Data so schnell wie möglich von dem Drachen zu entfernen, bevor es völlig unumgänglich wurde, den Kaiser zu beleidigen, indem er ihm Data klipp und klar verweigerte. Aus den Augen, aus dem Sinn. Picard hoffte, dass die alte Maxime auch in diesem Fall zutreffen würde.

»Mr. Data«, sagte er scharf, »haben Sie vergessen, dass Commander LaForge um Ihr augenblickliches Erscheinen auf der Brücke gebeten hat?«

»Verzeihung, Captain«, setzte Data an, »ich wusste nicht …«

Der Blick des Drachen wanderte von Data zu Picard. Ein misstrauischer Ausdruck legte sich auf sein Gesicht. Der Captain kam zum Schluss, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als die Sache durchzuziehen und sich später mit den Konsequenzen zu befassen.

»Auf die Brücke, Mr. Data«, wiederholte er. »Kehren Sie sofort auf die Enterprise zurück.« Kommen Sie schon, Data, dachte er, Sie haben schon oft genug Poker gespielt. Sie müssen doch einen Bluff erkennen, wenn Sie einen sehen.

»Aber ich sollte doch Commander Riker auf die Party des Erben begleiten?«, sagte Data.

»Ich mache diesen Befehl rückgängig«, sagte Picard. Riker würde eben auf zwei Prinzen aufpassen müssen. Picard wollte nicht, dass Data sich auf demselben Planeten aufhielt wie der Drache. »Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe, Commander.«

Endlich zeigte sich Verständnis auf Datas Gesicht. »Natürlich, Sir«, sagte er unter dem forschenden Blick des Drachen. »Ich hatte Commander LaForge ganz vergessen.« Er erhob sich und berührte seinen Kommunikator, der daraufhin leise zirpte. »Eine Person hochbeamen«, sagte er.

Eine Sekunde später umgab ein vertrautes goldenes Leuchten den Androiden. Datas Gestalt flackerte leicht und löste sich dann vollständig in einer schimmernden Lichtsäule auf. »Warten Sie!«, protestierte der Drache, aber es war zu spät. Das Leuchten verblasste, nahm Data mit und ließ nur ein paar Funkenrückstände übrig, die noch kurz in der Luft verweilten. Bevor der Drache nur ein einziges weiteres Wort sagen konnte, verblassten auch die Funken.

»Eure Exzellenz, verzeihen Sie Mr. Datas plötzlichen Aufbruch«, sagte Picard, »doch er muss an Bord der Enterprise einer wichtigen Aufgabe nachgehen, die lebenswichtig für das Gelingen unserer Mission ist.«

»Ich weiß nicht so recht, Picard«, sagte der Drache und schmollte unter seinem buschigen weißen Bart. »Ihr von der Föderation habt für meinen Geschmack viel zu viele dringende Aufgaben zu erledigen. Ihr lauft immer davon, obwohl ich nur versuche, gastfreundlich zu sein …«

»Und Ihre Gastfreundschaft ehrt uns«, warf Picard schnell ein. Ich muss das Thema wechseln, dachte er, und ihn von Data ablenken. Ganz gleich, wie. »Und da wir gerade von Ihrer legendären Gastfreundschaft sprechen … wollten Sie mir nicht noch etwas über die außergewöhnlichen Delikatessen erzählen, die Ihre Küche für uns bereitstellt?«

»Delikatessen? Ach ja.« Der Tonfall des Drachen hellte sich auf, wurde fröhlicher und nicht mehr so nörgelig. »Natürlich, Sie haben ja noch gar nichts probiert, mein lieber Captain. Wenn Ihnen die kandierten Rahgidaugen schon so gut geschmeckt haben, warten Sie nur ab, bis Sie eine Mundvoll gefüllte Ragojieingeweide kosten. Sie sind einfach unbeschreiblich.«

Darauf gehe ich jede Wette ein, dachte Picard verdrossen. Unwillkürlich fragte er sich, womit die Eingeweide gefüllt waren.

 

Nach dem Abschluss des Banketts – und den unvermeidlichen und zwangsläufig schrecklichen gefüllten Eingeweiden – bot der Drache sich an, Picard und die verbliebenen Offiziere durch den Palast zu führen. In der Hoffnung, nach dem peinlichen Vorfall mit Data in der Gunst des Kaisers wieder zu steigen, stimmte Picard bereitwillig zu. Er vertraute noch immer darauf, dass sich für ihn und Troi irgendwann die Gelegenheit ergab, allein mit dem Drachen zu sprechen, um ihn zu überzeugen, den Vertrag zu unterzeichnen, doch das musste nun bis nach der Besichtigung warten. Im Augenblick tröstete er sich mit der Tatsache, dass es für den unbekannten Attentäter nicht einfach war, irgendein Mitglied der Gruppe zu töten, solange sie geschlossen durch die luxuriöse Pracht des Kaiserlichen Palastes marschierten. In der Tat kam Picard jeder Raum üppiger und großzügiger vor als der vorhergegangene. Kein Wunder, dachte er, dass die G'kkau dermaßen versessen darauf waren, Pai zu erobern. Allein die Schätze des Palastes machten das Drachenreich zu einer lohnenden Beute für jede gierige und skrupellose Spezies. Es überraschte ihn, dass bislang noch kein Ferengi den Weg nach Pai gefunden hatte.

Vom Pavillon des Smaragdpfauen führte der Zeremonienmeister die Gruppe durch ein Dutzend Räume des Palastes, die immer noch exotischere Namen als der vorherige hatten, und jedes Mal setzte er zu einer dröhnenden Rede über den Raum, die Einrichtung und seine Geschichte an, während der Drache eher sachlichere Bemerkungen einfließen ließ. Lord Lu Tung verabschiedete sich im Denkwürdigen Raum der Großen Couch und nahm Beverly mit in seine Gemächer, um sie der Grünen Perle vorzustellen. Bevor sie ging, wünschte Picard ihr viel Glück.

Der Erbe, der Zweite Sohn und Riker überstanden noch die Kammern der Erniedrigten Priester (die obere, mittlere und kleinere) und die Galerie der Leisen Treffen, gaben aber im Salon der Vergessenen Kappe auf und zogen los, um die Gäste der beiden Prinzen bei der Vorletzten Bestäubung des ungezähmten Samens zu treffen. Picard vermutete, dass Riker alle Hände voll damit zu tun haben würde, die Söhne des Drachen daran zu hindern, gegenseitig übereinander herzufallen, ganz zu schweigen von dem unbekannten Attentäter.

So standen schließlich nur noch Picard, Troi, Mu und der Drache vor einer mit gravierten Goldplatten beschlagenen Doppeltür, die so groß war, dass ein Shuttle hätte hindurchfliegen können. »Bereiten Sie sich darauf vor, die Hohe Halle der Zeremoniellen Erhabenheit zu betreten«, intonierte Mu ernst.

»Wo wir die Geschenke aufbewahren«, fügte der Drache hinzu. Er schaute sich etwas sehnsüchtig um, als hoffe er, Data würde plötzlich auftauchen. Picard hingegen war froh, dass der Androide sich wieder auf der Enterprise befand.

»Ah«, sagte der Captain, als er die breiten, vergoldeten Türen vor ihm betrachtete. Mu drückte auf einen unauffälligen Knopf im Griff seines Fächers, und die schweren goldenen Türen schwangen aus eigener Kraft auf. Picard hörte, wie irgendwo dahinter laut ein Gong geschlagen wurde. Automatischer Pomp und Firlefanz, dachte er, mit einem asiatischen Flair. In der Hoffnung, einen weiteren Grund für ein Kompliment zu finden, spähte er durch die Türöffnung. Er hatte mittlerweile eine ganze Reihe opulent eingerichteter Räume gesehen, und bei jedem neuen fiel es ihm schwerer, etwas Originelles darüber zu sagen.

Dass hier die Hochzeitsgeschenke gelagert wurden, war eigentlich eine überflüssige Bemerkung, denn der Raum war mit Gegenständen jeder Größe vollgestopft. Die kleineren waren auf niedrigen Tischen an den Wänden des Raums angeordnet, die größeren standen in der Mitte auf einem bunt bestickten Teppich von der Größe des Gesellschaftsraums im zehnten Vorderdeck der Enterprise. Wachen in Rüstungen, sowohl mit Schwertern als auch mit Energiepistolen bewaffnet, standen in den vier Ecken des Raums. Picard inspizierte die ausgestellten Schätze und sah auf den vielen Tischen zahlreiche Keramikschüsseln, Teller, Vasen, Pfeifen, Kisten und Statuen, alle von der besten Qualität. Handbemalte Seidentücher waren achtlos aufeinander gestapelt, und daneben stand ein Replikator, der aus reinem Gold zu bestehen schien. Ein fünfstöckiger Miniaturtempel mit Hunderten winziger Mönche, die nicht größer als Fingernägel waren, war aus Elfenbein geschnitzt, während ein Thron aus kostbarem dunklen Holz poliert worden war, bis er buchstäblich strahlte. Neben dem Modelltempel sah Picard die unbezahlbare Vase aus der Mingdynastie, die – gemeinsam mit zahlreichen anderen Artefakten aus der gesamten Föderation – das eigentliche Geschenk der Enterprise an das Drachenreich war. Es waren viel zu viele Geschenke, um sie alle auf einmal zu überblicken, doch als Picard sich umdrehte, sah er – nacheinander – fünf detailliert gearbeitete Bronzedrachen, sechs Porzellanschildkröten, zwei lackierte hölzerne Schmuckschatullen, die mit Radierungen erotischer Motive geschmückt waren, vier Stapel in Gold gepresstes Latinum und einen vollständig mit Perlen besetzten Minicomputer. Und dann war da natürlich noch der lebensgroße Jadeelefant, der auf vier gewaltigen grünen Beinen mitten im Raum stand.

»Gott im Himmel!«, rief Troi. Als Tochter eines der herrschenden Häuser von Betazed gehörte schon einiges dazu, um sie zu beeindrucken, doch Picard überraschte ihre Reaktion nicht. Sie hatten buchstäblich den Drachenhort gefunden. Oder zumindest einen davon.

»Ihre Frau hat einen guten Geschmack«, versetzte der Drache, »aber Frauen lassen sich natürlich leicht von hübschen Dingen beeindrucken.«

Es war Picard zwar bewusst, dass bis zu diesem Augenblick weder der Drache noch sein Vertrauter, der Zeremonienmeister, ein direktes Wort mit Troi gewechselt oder sie auch nur zur Kenntnis genommen hatte. Offensichtlich kam es ihnen völlig natürlich vor, dass eine attraktive Untergebene hinter ihm hertrottete, während er den Palast besichtigte. Er hingegen war der Ansicht, dass Troi eine Geduld an den Tag legte, die weit über die normale Pflichterfüllung hinausging.

»Exzellenz, Großer Hofkämmerer, darf ich Ihnen Counselor Deanna Troi vorstellen, eine unentbehrliche Angehörige meines Stabes.«

Der Drache lachte herzlich. »Tja, ich weiß nicht, ob ich irgendeine Frau als unentbehrlich bezeichnen würde, aber mir ist klar, warum Sie sie so sehr schätzen.« Er musterte Troi so anerkennend, dass Picard sich fragte, ob sie vielleicht nicht doch mehr Kleidungsschichten abgelegt hatte, als es sich für diese Kultur schickte. Nach dem Standard der Föderation war das Gewand, das sie noch trug, durchaus geziemend, aber wer konnte schon sagen, was die Pai von ihrem derzeitigen Aufzug hielten? Er hoffte, dass Troi nicht als die Frau in die Geschichte eingehen würde, die das Drachenreich schockiert hatte, doch wenn er sich selbst gegenüber ganz ehrlich war, kam ihm das Grinsen des Kaisers eher unverhohlen lüstern als abgestoßen vor. »Wirklich sehr schön«, sagte er. »Was die Qualität Ihrer Frauen betrifft, gibt es an der Föderation sicher nichts auszusetzen.«

»Der Drache ist zu freundlich«, erwiderte Troi und ignorierte dabei völlig den Geist, der hinter der Bemerkung des Kaisers steckte. »Ich bin sicher, Sie werden feststellen, dass die Föderation den Pai viel zu bieten hat.«

»Und was genau haben Sie anzubieten, meine Hübsche?«, sagte der Drache mit einem anzüglichen Blick.

Am besten wechseln wir das Thema, dachte Picard, bevor der Drache von mir erwartet, dass ich ihm nicht nur Data, sondern auch Troi zum Geschenk mache. Er warf einen Blick zu den mit Rüstungen bekleideten Kriegern hinüber, die den Hort der Hochzeitsgeschenke bewachten; sie standen so steif und reglos da, als wären auch sie aus Jade oder Elfenbein geschnitzt. Ihre Rüstungen schienen aus überlappenden Plättchen aus poliertem Stahl zu bestehen, die mit Ziermustern kämpfender Drachen und Greife beprägt waren. Silberfiligran umriss jedes Plättchen, während Ringe aus bunt bemaltem Gummi die Biegsamkeit der Gelenke gewährleistete. Ein jeder trug in einer Scheide an der Seite ein Schwert und hielt ein leuchtendes Metallgewehr an die Brust gedrückt. Ihre starre Haltung und der strenge Gesichtsausdruck, soweit er unter dem mit Gold und Perlen geschmückten Helm auszumachen war, erinnerten Picard an Lieutenant Worf, wenn er sich wieder einmal besonders wie ein Klingone fühlte.

Ihm kam eine Idee.

»Exzellenz«, begann er. »Im Namen der Föderation würde ich gern eine Ehrenwache abstellen, die diese wunderbare Ansammlung von Schätzen hütet.«

Der Drache schaute angesichts von Picards Vorschlag verwirrt drein. »Aber wie Sie sehen, tun das doch schon meine eigenen Wachen«, protestierte er. »Chih-li, mein Minister für Innere Sicherheit, hat die Sicherheitsvorkehrungen für die gesamte Hochzeit persönlich überwacht.«

»Und sie sind bestimmt mehr als ausreichend«, sagte Picard schnell. »Ich schlage lediglich eine Höflichkeit vor, die man aus altem Brauch Staatsoberhäuptern wie Ihnen erweist. Ich würde mich entehrt fühlen, würden Sie mir nicht erlauben, eine kleine Ehrenwache als Zeichen der Besorgnis der Föderation um Ihre Sicherheit und Ihr Wohlergehen abzustellen.«

»O je! Das wollen wir vermeiden.« Das Gesicht des Drachen hellte sich auf. »Ich weiß schon. Sie können Ihren Mr. Data kommen lassen. Ich würde mich glücklich schätzen, wenn er hier bei den Geschenken Posten bezieht.«

Das will ich gern glauben, dachte Picard. »Eigentlich hatte ich einen anderen Offizier im Sinn. Lieutenant Worf. Als Leiter der Sicherheitsabteilung scheint er die logische Wahl zu sein …«

»Unsinn«, beharrte der Drache. »Data ist das perfekte Geschenk … ich meine, der perfekte Wachposten.«

Offensichtlich würde der Drache sein Interesse an Data nicht so schnell vergessen. Picard kam zum Schluss, dass es an der Zeit war, das Thema direkt anzusprechen. »Exzellenz, ich muss klarstellen, dass Mr. Data ein intelligentes und voll empfindungsfähiges Wesen ist und daher als Geschenk nicht in Betracht kommt.«

»Aber wir verschenken doch ständig empfindungsfähige Wesen«, sagte der Drache, »falls man Frauen als solche betrachten kann.«

»Es ist ebenfalls ein Offizier bei Starfleet«, sagte Picard.

»Und Starfleet möchte, dass ich zufrieden bin, nicht wahr?«, stellte der Drache klar.

Picard fühlte, wie er an Boden verlor. »Äh, ja, aber …«

Troi räusperte sich. »Verzeihen Sie mir, dass ich Sie unterbreche, aber Herr und Meister Picard erinnert sich bestimmt daran, dass Lieutenant Commander Data unter Unannehmlichkeiten mit seiner Positronik leidet.«

Herr und Meister? Picard konnte nur hoffen, dass Deanna nicht zu dick auftrug. »Natürlich«, sagte er. »Die Unannehmlichkeiten.« Verdammt, worauf wollte sie hinaus?

»Meine Mandarine werden ihn sich gern ansehen«, bot der Drache hilfsbereit an.

Wenn sie ihn einmal haben, sehen wir ihn nie wieder, dachte Picard.

Troi räusperte sich erneut und zwinkerte dem Kaiser zu. Der Captain bemerkte, wie geschickt Deanna den Drachen manipulierte; offensichtlich hatte seine Counselor das eine oder andere von ihrer Mutter gelernt. »Obwohl die Wissenschaftler seiner überaus erhabenen Exzellenz zweifellos imstande wären, solch ein Problem zu lösen, gehe ich davon aus, dass die Föderation derart kurz vor einem so gesegneten Ereignis wie der morgigen Hochzeit nicht für irgendwelche Todesfälle verantwortlich sein möchte.«

»Todesfälle?«, sagten der Drache und sein Zeremonienmeister gleichzeitig. Picard widerstand der Versuchung, diese Frage ebenfalls zu stellen.

»Ein nicht richtig funktionierender Androide kann gefährlich sein«, erklärte Troi. »Unser Commander LaForge ist sich der Risiken natürlich bewusst, die die Reparatur Datas mit sich bringt. Ich bin durchaus zuversichtlich, dass er überleben wird.«

Der Zeremonienmeister schluckte deutlich hörbar, und sogar der überschäumende Drache schaute angesichts der Vorstellung, ein mordlüsterner Androide könne Amok laufen, ein wenig erschüttert drein. »Vielleicht war ich ein wenig zu voreilig, was diesen Worf betrifft«, sagte der Kaiser. »Sie sagen, er ist es gewohnt, im Auftrag von Starfleet für Sicherheit zu sorgen?«

»Seine Funktion wäre rein zeremoniell«, beharrte Picard, »und kein Kommentar zu Ihrer Ehre.« Doch wenn sich hier ein Attentäter herumtreibt, hätte ich Worf gern in der Nähe. Data kann auf der Brücke das Kommando übernehmen. Vielleicht war der Minister für Innere Sicherheit Argumenten zugänglicher als sein Kaiser und würde Worf erlauben, dem Drachen als auch seinen Schätzen diskret zusätzlichen Schutz zu gewähren.

»Ihr Großmut ist weithin bekannt«, fügte Troi hinzu und verbeugte sich leicht. Nun, da sie den Großteil der hinderlichen Kleider abgelegt hatte, waren ihre Bewegungen so anmutig wie eh und je. »Bitte gewähren Sie uns die Ehre, zumindest so zu tun, als könnten wir auf bescheidene Weise zu Ihrer Sicherheit beitragen.«

»Na schön«, gab der Drache sich geschlagen. Picard konnte nicht sagen, ob seine Argumente oder Trois Schmeicheleien ihn überzeugt hatten. »Lassen Sie Ihren Worf und seine Männer in diese Halle bringen. Mu, benachrichtige Chih-li, dass sich einige Wachposten von Starfleet zu den unseren gesellen werden.«

Endlich mache ich ein paar Fortschritte, dachte Picard. Mit Deannas Hilfe hatte er Data aus einer peinlichen Lage befreit und es Worf ermöglicht, zum Schutz des Palasts beizutragen. Und wenn ich den Drachen jetzt nur noch dazu bringen kann, sich auf den Vertrag zu konzentrieren, kann ich meine Mission vielleicht ohne weitere Komplikationen beenden.

»Hören Sie, Picard«, fuhr der Drache fort, »habe ich Ihnen schon gesagt, wie sehr ich Ihre Frau bewundere?« Der Blick des alten Mannes wanderte gemächlich über die wohlgeformten Konturen von Trois letztem purpurfarbenem Gewand. »Wunderschön, pflichtbewusst und scharfsinnig. Sie ist wirklich eine Zierde für jeden Captain … oder Kaiser«, deutete er plump an.

Picard verdrehte die Augen gen Himmel. Er ahnte, dass es eine lange Nacht werden würde.