Kapitel 12

 

»Der schlampige Gärtner erntet mehr Obst als zweihundert Vegetarier«, rezitierte Meng Chiao. »Tatkräftig ist der Kobold, der die türkisfarbene Tapete fürchtet.«

»Wenn Sie meinen«, sagte Riker. Er warf die Karten verdeckt auf den Boden und beugte sich dann vor, um einen großen Haufen Goldmünzen zu sich heranzuziehen, die er einem schon sehr beeindruckenden Stapel hinzufügte. Es war ihm heute Abend sehr gut ergangen, vielleicht sogar zu gut; allmählich wurde es ihm peinlich, dass er fast jedes Spiel gewann. »Vielen Dank, meine Herren.«

Mit der Hand streifte er seine Karten und drehte sie dabei unbeabsichtigt um. Lord Li Po, der das nächste Blatt austeilen wollte, hob sie hoch und hielt dann inne. »Augenblick mal!«, sagte er entrüstet.

»Was ist los?«, fragte Riker.

»Dieses Blatt war nichts wert«, erklärte Li Po. Er legte die Karten offen auf den Boden und enthüllte dabei nichts weiter als zwei armselige Dreien.

»So sieht es aus, nicht wahr?« Riker grinste. »Aber Sie haben es mit abgekauft.«

»Sie haben gelogen?«, sagte der Erbe. »Sie haben sich mit einer Falschheit in den Besitz unseres Goldes gebracht?«

»Hm«, machte Riker. Er spürte ganz deutlich, wie die Stimmung umschlug. Seine Mitspieler schauten nicht mehr erheitert drein, und der Erste Offizier der Enterprise wurde sich plötzlich der Tatsache bewusst, dass er von über einem Dutzend Kriegern umgeben war, die alle zuviel getrunken hatten. Zum ersten Mal seit einigen Stunden fragte er sich, was aus seinem Phaser geworden war. »Beim Poker ist das keine Lüge«, beharrte er. »Man nennt es ›Bluff‹.«

»Mir kommt es wie eine Lüge vor«, sagte Li Po. Zuvor hatte er ganz umgänglich gewirkt, doch nun sah Riker den kalten Stahl unter dem angenehmen Äußeren des Mannes. Li Po war schließlich zweifellos ein Veteran und Überlebender des letzten Bürgerkrieges, was auch für alle anderen Männer im äußeren Harem des Erben galt.

»Ein besoffenes Stinktier ist nicht so blau wie die Katze eines lasterhaften Schriftgelehrten«, fügte Meng Chiao grimmig hinzu. Riker wusste zwar noch immer nicht, was er meinte, aber den Tonfall konnte er einordnen. Der begnadete Sprecher der Aphorismen war stinksauer.

»Ich habe Ihnen gegenüber nichts über den Wert meines Blattes verlauten lassen«, erklärte Riker. »Ich habe nur solange mitgeboten, bis der letzte von Ihnen ausgestiegen ist. Sie haben die Schlussfolgerung gezogen, dass ich gute Karten hatte.«

»Aber«, sagte Chuan-chi und richtete einen eisigen Blick auf Riker, »Sie haben keinerlei Anstalten gemacht, uns von der Vorstellung abzubringen, Sie hätten tatsächlich ein gutes Blatt auf der Hand.«

Riker zuckte – entwaffnend, wie er hoffte – mit den Achseln. »Das ist eine der Gestaltungsmöglichkeiten des Spiels.«

»Das ist kaum ehrenhaft«, widersprach Li Po. »Nur ein landloser Bauer würde bluffen.«

»Liegt die Kupferglocke in einem völlig leeren Zimmer, klingelt sie nimmer«, pflichtete Meng Chiao ihm bei.

Riker wünschte sich allmählich, er hätte den Zweiten Sohn begleitet. »Das ist nicht ganz richtig«, sagte er. Seine Gedanken rasten. »Mit einem Bluff bewirkt man lediglich, dass die anderen sich durch ihre eigenen Fehler und Fehleinschätzungen schädigen. Sie würden doch auch nicht einen feindlichen General über die Patzer in Kenntnis setzen, die ihm beim Aufmarsch seiner Truppen unterlaufen sind …«

»Das ist mehrmals geschehen!«, protestierte Li Po. »Vor zweitausend Jahren hat Lord Shen Fu genau das getan. Er zog es vor, den Sieg gegen einen Gegner davonzutragen, der sein Bestes gab.«

Das ist doch nicht zu fassen, dachte Riker. »Hat der General den Rat seines Gegners befolgt?«

»Natürlich nicht«, erklärte der Erbe ihm. »Es wäre unehrenhaft gewesen, lediglich wegen einer einzigen anderen Meinung zu so einem späten Zeitpunkt die Schlachtpläne noch zu ändern. Sein Heer wurde völlig aufgerieben.«

»Siebentausend Soldaten fielen«, fügte Lord Li Po hinzu.

»Die Fußabdrücke eines Nachtigall sind tiefer als der Geist eines Sterns«, erklärte Meng Chiao.

Trotz des Antirauschmittels, das Dr. Crusher ihm verabreicht hatte, drehte sich in Rikers Kopf alles. Man konnte glatt verrückt werden, dachte er, wenn man versuchte, dem komplizierten Ehrenkodex der Pai auf den Grund zu gehen. Sie schienen die Ehre so ernst zu nehmen wie ein Vulkanier die Logik und sie zu einem genauso absurden Extrem zu treiben. »Hören Sie«, sagte er, »was ist denn mit diesem Beispiel? Wenn Ihre Streitmacht der anderen unterlegen wäre, würden Sie das Ihrem Widersacher doch auch nicht auf die Nase binden, oder?«

»Das wäre auch völlig überflüssig«, erklärte Chuan-chi. »Es ist keine Schande, seine Nachteile nicht zur Schau zu stellen. Vielmehr ist man sogar verpflichtet, sich einen respektablen Anschein zu geben, ganz gleich, wie unterlegen man auch sein mag.«

»Na also!«, rief Riker. »Genau darum geht es bei einem Bluff! Die Streitkraft, über die man verfügt, ist unterlegen, und man verbirgt diesen Umstand, damit der Gegenspieler sich auf einen Kampf einlässt.«

»Hm«, erwiderte der Erbe skeptisch. »Das riecht noch immer nach Täuschung.«

»Es ist eine Täuschung«, sagte Riker. »Aber man gesteht seinem Gegenspieler keine Ehre zu, wenn man ihm nicht die Gelegenheit gibt, sie zu erkennen.« Ich hoffe, das hört sich einigermaßen logisch an, dachte er, zumindest nach den Maßstäben der Pai.

»In der Tat«, sagte Li Po schließlich. »Da hat der Commander durchaus recht. Ich muss meine Ehre selbst erlangen, indem ich die herausfordernde Illusion eines Bluffs durchschaue. Machen wir weiter!«

Riker gratulierte sich insgeheim. Entweder lerne ich allmählich, wie ein Pai zu denken, oder mir gelingt es einfach besser, nur so zu tun. Als die anderen Spieler ihre Einsätze machten, warf er einen verstohlenen Blick auf den verdächtig großen Stapel der Goldmünzen, die er gewonnen hatte. Der Captain wird es mir nicht danken, wenn ich alle anderen ausnehme. Und ich sollte eine weitere mögliche Explosion von vornherein vermeiden. »Wissen Sie was, ich schaue die nächsten paar Runden einfach nur zu.«

»Das dürfen Sie nicht!«, sagte Lord Li Po. »Sie müssen uns Gelegenheit geben, unser Gold zurückzugewinnen.«

Oha, dachte der Erste Offizier. Er betrachtete die winzigen Stapel Goldmünzen, die seinen Mitspielern noch verblieben waren. Bei der Geschwindigkeit, mit der sie die Finessen des Spiels kapierten, würde er sie wahrscheinlich um Haus und Hof bringen, bevor sie das nötige Geschick entwickelt hatten, ihn zu schlagen. Es gab nur eine Möglichkeit, wie er vermeiden konnte, sie bis auf das letzte Hemd auszunehmen.

Absichtlich verlieren.

 

»Enterprise an das Flaggschiff der G'kkau. Ich wiederhole: Enterprise an das Flaggschiff der G'kkau.«

»Noch immer nichts, Lieutenant Melilli?«, fragte Data. Es war schwieriger als erwartet, die sich nähernde Flotte zu kontaktieren, doch Data hatte schon vor langem gelernt, dass Beharrlichkeit oftmals durch positive Ergebnisse belohnt wurde.

Der bajoranische Offizier verzog angesichts des Rauschens, das aus den Kommunikationskanälen drang, das Gesicht. »Es ist nicht einfach, den Nebel zu durchdringen, aber ich glaube, wir haben uns den Weg endlich freigeboxt.« Sie lauschte konzentriert dem harten Summen des Hintergrundrauschens. »Ja, wir bekommen eine Antwort.«

Der Bildschirm an der vorderen Brückenwand flackerte. Ein dunkles, schmutzig-trübes, schäumendes Bild zeichnete sich darauf ab. »Tut mir leid, dass es so unklar ist, Sir«, sagte sie. »Ich werde versuchen …«

Data erinnerte sich an das erste Gespräch zwischen Captain Picard und dem Kommandanten der Fangzahn. »Weitere Korrekturen sind überflüssig, Lieutenant«, sagte er. »Das ist eine genaue Darstellung des Inneren eines Schiffs der G'kkau.«

Dickte Wolken aus tintigem Rauch stiegen in Schwaden auf dem Bildschirm empor, und der Androide machte eine verschwommene, reptilienhafte Gestalt aus, die sich fast vollständig in dem Halbdunkel verlor. »Hier ist die Fangzahn«, zischte eine Stimme über die Subraumverbindung. »Ich bin Gar; man erachtet Sie nicht für würdig, mit Meister Kakkh zu sprechen, dem Anführer unserer ruhmreichen Flotte. Was wollen Sie?«

Interessant, dachte Data. Bei ihrem ersten direkten Kontakt mit den G'kkau hatte Meister Kakkh persönlich auf den Ruf des Captains reagiert. Diese Änderung in ihrem Verhalten ließ darauf schließen, die G'kkau wussten, dass Captain Picard und die anderen Senioroffiziere sich im Augenblick auf Pai und nicht an Bord der Enterprise befanden. Noch während er sich an Gar wandte, überlegte er, auf welche Weise die G'kkau in den Besitz dieser Information gelangt waren. »Ich bin Lieutenant Commander Data vom Raumschiff Enterprise«, sagte er.

»Warum belästigen Sie uns mit Ihren Funksprüchen? Wir werden nur mit Ihrem befehlshabenden Offizier sprechen.« Gars Stimme hob sich zu einem schrillen Zischen, das wie das eines altmodischen Teekessels klang, in dem das Wasser kochte.

»Ich bin derzeit der befehlshabende Offizier der Enterprise«, erklärte der Androide ruhig. Da die Logik gebot, dass den G'kkau dies bereits bekannt war, verriet er ihnen mit diesem Eingeständnis wohl nichts Neues. »Ich darf des weiteren darauf hinweisen, dass Sie nicht der befehlshabende Offizier sind.«

»Das ist etwas ganz anderes«, erwiderte Gar. »Wir sind von Natur aus überlegen; Sie sind Abschaum.«

»Mein internes Wörterbuch definiert diesen Begriff als unbrauchbaren Rückstand, der aus einem großen Kessel abgeschöpft wird«, erwiderte Data. »Das trifft auf mich eindeutig nicht zu. Wie dem auch sei, ich habe im Namen des Drachenreichs und der Vereinten Föderation der Planeten Kontakt mit Ihnen aufgenommen, um Sie aufzufordern, Ihren Angriff auf Pai aufzugeben.«

»Abschaum«, wiederholte Gar. »Es ist töricht von Ihnen, uns auf diese Weise zu warnen, und ehrlos.«

Data ignorierte die Beleidigung. »Bitte erläutern Sie diese Bemerkung.«

»Ihr eigenes Föderationsgesetz«, schnaubte Gar, »gewährleistet unsere Sicherheit, sobald wir uns im Territorium des Drachenreichs befinden.«

Data kam zum Schluss, dies sei der richtige Augenblick, um seinen Bluff zu versuchen; er hoffte, dass Lieutenant Melilli genau auf jedes seiner Worte achtete. »Die Föderation und das Drachenreich haben einen Vertrag geschlossen, der es uns erlaubt, das Territorium des Reiches gegen jeden feindlichen Angriff zu schützen.«

»Hah«, schnaubte Gar. Dampf stieg aus seinen Nasenöffnungen empor und gesellte sich zu den anderen trüben Dünsten, die die Brücke der Fangzahn verdunkelten. »Wir wissen alles über diesen Vertrag, und wir wissen auch, dass er noch nicht ratifiziert wurde.«

»Aber man wird ihn bald ratifizieren«, sagte Data. »Wollen Sie das Risiko eingehen, obwohl Sie wissen, dass Captain Picard und der Drache vielleicht genau in diesem Augenblick die Vereinbarung unterzeichnen?«

»Trotzdem«, sagte Gar hämisch, »können Sie gar nichts tun, bis die Hochzeit stattgefunden hat. Dann wird Pai schon in Schutt und Asche liegen, und Ihr kostbarer Vertrag ebenfalls.«

»Ich muss erneut darauf bestehen, dass Sie Ihren Vorstoß abbrechen«, sagte Data.

»Und wie wollen Sie uns daran hindern?« Das Reptil lachte und gab ein nasses, zähes Geräusch von sich, das klang, als klatsche man einen feuchten Teppich auf einen Steinboden. Dann unterbrach es die Verbindung, bevor der Androide Gelegenheit bekam, auf die Frage zu antworten. Auf dem Bildschirm war wieder der Planet Pai zu sehen. Die blaugrüne Kugel, über die zahlreiche Wolkenwirbel hinwegzogen, erinnerte ihn an die komplizierten Verzierungen im Kaiserlichen Palast. Er nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit eine vergleichende Analyse dieses astronomischen Anblicks und der von Humanoiden vorgenommenen Verzierungen in den Palasträumen vorzunehmen.

»Er hat Ihren Bluff durchschaut«, sagte Lieutenant Melilli.

»Vielleicht«, erwiderte Data. »Doch es ist uns gelungen, das Ausmaß der Geheimdienstaktivitäten der G'kkau auf Pai zu erfahren, das beträchtlich zu sein scheint. Wir müssen davon ausgehen, dass die G'kkau einen humanoiden Komplizen im Palast selbst sitzen haben, womit eine Verbindung zwischen der Annäherung der Invasionsflotte der Reptilien und den versuchten Attentaten auf den Drachen wahrscheinlich wird.«

»Also ist ein Verräter auf Pai«, sagte Melilli. »Aber die Flotte wird Pai erreichen, Sir, bevor wir irgend etwas unternehmen können.«

»Ihre Analyse trifft zu«, gestand Data ein. »Daher müssen wir das Vorankommen der Flotte verzögern.«

»Aber wie?«, fragte sie. Der Androide stellte fest, dass Lieutenant Melilli – wie die meisten Bajoraner – nur allzu schnell bereit war, jede Autorität in Frage zu stellen.

»Ich habe eine Idee«, sagte er. »Bitte fordern Sie Lieutenant LaForge auf, sich auf der Brücke zu melden.«

 

Die Suche nach den Hochzeitsgeschenken ging nur langsam voran. Obwohl viele Adlige der Pai auf der Junggesellenparty des Erben weilten, waren ihre Bediensteten in den Quartieren geblieben. Sie bewachten sie, als hinge ihr Leben davon ab, und ausnahmslos bedurfte es viel Überredungskunst, bevor sie einen Suchtrupp in das Quartier ihres jeweiligen Herrn einließen. Chih-li musste jedes Mal bis in die kleinste Kleinigkeit erklären, warum die Durchsuchung keine Schändung der Ehre des betreffenden Adligen darstellte.

Worf frustrierte die gesamte Aktion zusehends. Ehre mochte von großer Bedeutung sein, aber das galt auch für ein schnelles Vorgehen, und darum scherten die Pai sich einen Dreck.

»Erklären Sie mir noch einmal«, sagte ein zerbrechlicher, graubärtiger Diener zum Minister für Innere Sicherheit, »wieso Ihr niederträchtiges Eindringen in diese Gemächer auf der Suche nach gestohlenen Gegenständen kein schlechtes Licht auf die Ehre der angesehen Persönlichkeit wirft, der zu dienen ich die Ehre habe.«

Der alte Pai, den Worf mit einem Atemzug zur Seite hätte blasen können, stand zwischen dem Suchtrupp und dem Eingang einer großen Suite von Gemächern, die zur Zeit von einem gewissen Lord Li Po bewohnt wurde, der anscheinend die Junggesellenparty des Erben besuchte und deshalb – darauf bestand der Alte zumindest – erst am Morgen der Hochzeit selbst gestört werden konnte. Worf knurrte ungeduldig; die Zeit lief ihnen davon, und sie hatten noch nicht einmal ein Viertel des Kaiserlichen Palasts durchsucht. Nicht zum ersten Mal wünschte er, sie könnten den gesamten Palast einfach von Bord der Enterprise aus scannen und die verschwundenen Geschenke auf diese Weise ausfindig machen; doch dieselben Schilde, die den Palast vor ungenehmigten Transporterstrahlen schützten, blockierten leider auch die Sensoren der Enterprise. Sie mussten die Suche auf altmodische Weise vornehmen, Raum für Raum.

Chih-li verbeugte sich vor dem älteren Bediensteten. Da er den Helm in der Hohen Halle der Zeremoniellen Erhabenheit zurückgelassen hatte, hing sein schwarzes Haar bis auf den Rücken hinab. »Ihre lobenswerte Sorge um die Ehre Ihres Herrn gereicht auch Ihnen zu großer Ehre«, sagte er. »Doch falls ein ehrloser Schurke sein Diebesgut in den Räumen Ihres ehrenwerten Herren verborgen haben sollte, wird auch Ihr Herr entehrt, falls man die gestohlenen Güter nicht finden sollte.«

Der alte Mann kratzte sich – sichtlich verwirrt – am Kopf. »Aber wie kann mein Herr denn entehrt werden, falls man sie nicht findet?«, fragte er. »Und welche Ehre gewinnt man, indem man die Ehre eines Herrn verteidigt, dessen Ehre nicht in Zweifel gezogen wird?«

Worfs scharfe Eckzähne knirschten verärgert aufeinander. Er ballte die Fäuste so fest zusammen, dass die Nägel sich in die Handflächen gruben. Unter den Knochenwülsten seiner Stirn pochte es heftig. Das ist lächerlich, dachte er wütend. Wenn es so weiterging, würden sie die gestohlenen Geschenke erst bei der Hochzeit der Urgroßkinder der Grünen Perle finden. »Ich muss gehen«, erklärte er verdrossen und stapfte von dem alten Mann und Chih-li davon. Wenn ich noch eine Minute lang bleibe, reiße ich beiden die Köpfe ab.

»Ehrenwerter Worf«, rief der Minister. »Wohin wollen Sie?«

»Den Tatort untersuchen!«, fauchte er. Diese Entscheidung hatte er in dem Augenblick getroffen, in dem er sie verkündete. Warum nicht?, dachte er. Es brachte ihn nicht weiter, den Palast zu durchsuchen und mit jedem untergeordneten Domestik, auf den sie trafen, über die feineren Nuancen der Ehre der Pai zu diskutieren. Vielleicht hatte er in der Hohen Halle der Zeremoniellen Erhabenheit einen entscheidenden Hinweis übersehen. Je mehr er darüber nachdachte, desto größer wurde seine Überzeugung, dass an dem gesamten Szenario etwas nicht stimmte. Selbst wenn einem ein großes Gefolge an Dienern zur Verfügung stand, die die schweren Gegenstände schleppten, war es fast unmöglich, solch eine schwindelerregende Menge an Geschenken aus dem Raum zu entfernen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.

Als Worf durch die breiten, geräumigen Gänge im Palast des Drachen schritt, kam er an zahlreichen männlichen und weiblichen Pai vorbei, die ihren Aufträgen nachgingen. Offensichtlich schlief der Palast nicht; trotz der späten Stunde sah er Bedienstete, die durch die Korridore eilten, Wäsche trugen, Besen, Lappen, Schallbohnermaschinen und letzte Dekorationen für die bevorstehende Hochzeit herbeischafften. Worfs Anblick – er marschierte entschlossen weiter, die dunklen Augen lodernd, die zusammengeballten Fäuste an seine Seiten gepresst – schüchterte die furchtsamen Pai-Bediensteten jedes Mal ein. Sie wichen ihm aus, drückten sich oft gegen die nächste Wand, bis er vorbeigegangen war, und flüsterten hinter ihm dann aufgeregt. Worf nahm keinen Anstoß an ihrer Reaktion; er hatte vielmehr damit gerechnet und wäre enttäuscht gewesen, hätten die Pai sich anders verhalten. Sie taten gut daran, dachte er, einen wütenden Klingonen zu fürchten.

Der ständige Strom von Dienern irritierte ihn jedoch. Irgend etwas an dieser nächtlichen Aktivität störte ihn, doch es dauerte eine Weile, bis er das Problem erkannte. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Wie war es den Dieben gelungen, ihre Beute durch diese belebten Gänge zu tragen, ohne entdeckt zu werden? Es war einfach nicht logisch. Schließlich hatten sie nicht den gesamten Palast mit irgendeinem Gas außer Gefecht gesetzt; also hätte doch irgend jemand einen gewaltigen Aufmarsch von Dieben bemerken müssen, die alle möglichen extravaganten Geschenke durch die Gänge des Palastes schleppten. Und doch hatte offenbar niemand sie gesehen. Als Worf darüber nachdachte, wurden die Furchen auf seiner Stirn noch tiefer. Lass einmal außer acht, wo die Geschenke jetzt sind, dachte er. Wie sind sie dorthin gekommen?

Er beschleunigte seine Schritte, um schneller zur Hohen Halle der Zeremoniellen Erhabenheit zu gelangen. Hätte er doch nur einen Turbolift zum Tatort nehmen können …! Er stand ganz kurz vor der Aufklärung des Falles, das ahnte er. Noch vor Anbruch der Dämmerung würde er die Geschenke aufgetrieben und damit ein für alle Mal bewiesen haben, dass die klingonische Direktheit der endlosen verbalen Weitschweifigkeit überlegen war, die die Pai fälschlicherweise mit Ehre zu verwechseln schienen. Der Pai faselt nur von Ehre, dachte er, doch der Klingone erwirbt sie. Ein wildes Grinsen umspielte seine Mundwinkel. Der Sieg war in Reichweite. Er konnte ihn geradezu in der Luft riechen, trotz des widerlich süßen Parfums, mit dem die Pai sogar ihre Atmosphäre vergifteten. Er freute sich unbändig darauf, den leeren Tatort noch einmal zu untersuchen, und in der Tat war er fast schon da …

Sein Kommunikator piepste dringlich. Keine fünfzig Meter vor der riesigen Doppeltür der Hohen Halle der Zeremoniellen Erhabenheit blieb er abrupt stehen. »Hier Worf«, fauchte er.

»Mr. Worf«, sagte Captain Picards Stimme. »Wir haben einen Notfall. Die Grüne Perle ist verschwunden.«

 

Der Harem war in reinstem Aufruhr. Hübsche Dienerinnen und spärlich bekleidete Konkubinen kreischten voller Panik, als Picard, begleitet von Lord Lu Tung persönlich, an den massiv bewaffneten Wachen vorbeiging, durch die weihrauchgeschwängerten Gänge, vorbei an einer Vielzahl geöffneter Türen, die kurze Blicke in Dutzende luxuriöser Boudoirs zuließen, bis er schließlich das Herz von Lu Tungs Harem erreicht hatte. Dem Captain fiel die üppige Pracht der Gemächer kaum auf; vielmehr drehten seine Gedanken sich ausschließlich um die schrecklichen Implikationen dieser schockierenden neuen Entwicklung. Er bedachte seine Umgebung jedoch mit genug Aufmerksamkeit, um festzustellen, dass nicht allein seine Anwesenheit für die offensichtliche Bestürzung und Aufregung verantwortlich war, die im Harem herrschte. Die Nachricht vom Verschwinden der Perle verbreitete sich rasend schnell. Er konnte nur hoffen, dass die G'kkau noch nichts von der Abwesenheit der Braut erfahren hatten – vorausgesetzt natürlich, dass sie nicht direkt dafür verantwortlich waren.

Picard hatte die Küche des Drachen gerade verlassen, als Dr. Crusher ihn informierte, dass die Perle vermisst wurde. Eigentlich war er auf der Suche nach der Krankenstation des Palasts gewesen, um sich wegen seiner Magenbeschwerden behandeln zu lassen. Alle Hoffnung auf Beruhigung seines Magen- und Darmtrakts löste sich abrupt auf, als er erfuhr, dass die Braut – der Achsnagel des Friedensabkommens der Pai – auf geheimnisvolle Weise verschwunden war. Magensäure fraß sich durch seine Eingeweide, während er durch den Palast lief und unterwegs Lu Tung traf. Picard fragte sich unwillkürlich, wieso der Lord nicht in seinem Quartier gewesen war, besonders zu dieser späten Stunde, doch ihm fiel keine taktvolle Möglichkeit ein, einen Vater zu verhören, dessen einzige Tochter vielleicht entführt worden war.

Lu Tung blieb vor einer furchteinflößenden Eisentür stehen, die mit dem Bild eines grimmigen Drachen geschmückt war. Picard sah zu, während der ehemalige Herrscher der Rebellen irgendeinen Laser benutzte, der in einem Ring verborgen war, um das Schloss zu öffnen. Rubinaugen funkelten in dem Schädel des Drachen, dann verschwand die gesamte Tür. Lu Tung starrte den nun offenen Eingang mit verwirrtem Gesichtsausdruck an.

»Das ist unmöglich«, erklärte er. »Die Augen des Drachen haben dieses Portal von dem Moment an bewacht, in dem ich den Harem verließ. Niemand konnte diesen Raum betreten oder verlassen. Niemand!«

Picard war geneigt, ihm zu glauben. Lu Tung schien vom Verschwinden seiner Tochter ehrlich schockiert zu sein. Sein ehedem unversöhnliches Gesicht verriet nun Anzeichen von Trauer und Zorn und war fast so rosa wie die Wände hinter dem Eingang. Seine Hände zitterten, als er sprach, auch wenn der Captain nicht sagen konnte, ob vor Furcht oder Zorn.

Er fragte sich kurz, ob vielleicht Q für das unerklärliche Verschwinden der Grünen Perle verantwortlich war. Dieser Vorfall schien seine Handschrift zu tragen; es könnte durchaus seinem komischen Sinn für das Perverse entsprechen, eine Braut am Vorabend einer entscheidenden Hochzeit zu entführen. Aber nein, tadelte der Captain sich; er durfte es sich gar nicht erst angewöhnen, Q für jedes bizarre Rätsel verantwortlich zu machen, auf das er stieß. So lästig Q auch sein konnte, er war wohl kaum die einzige Quelle für chaotische Ereignisse im Universum. Träfe das zu, wäre mein Leben viel einfacher, dachte Picard.

Er machte Dr. Crusher in der Mitte eines in überwältigendem Rosa gehaltenen Raums aus. Ein verdrossen dreinschauendes heranwachsendes Mädchen hockte neben ihr auf einem Stapel rosafarbener Brokatkissen. Einen Moment lang gab Picard sich der Hoffnung hin, die Grüne Perle sei wohlbehalten wieder aufgetaucht, doch der besorgte Ausdruck auf Beverlys Gesicht zerschlug diese Vorstellung sofort wieder. Die Ärztin deutete auf das Mädchen. »Hsiao Har«, stellte sie vor, »die Tochter des Erben von seiner ersten Frau. Sie hat Yao Hu Gesellschaft geleistet.«

»Yao Hu?«

»Die Grüne Perle«, sagte Dr. Crusher. Sie atmete tief ein, als der Vater des verschwundenen Mädchens zu ihr ging. Sie freute sich bestimmt nicht auf diese Begegnung, drehte sich jedoch um und sah dem Mann ins Gesicht. »Lord Lu Tung, es tut mir sehr leid. Ich habe sie nur einen kurzen Moment allein gelassen.«

Picard rechnete halbwegs damit, dass Lu Tung die Ärztin anschrie, sie verfluchte und beschimpfte, die fremde Frau für das Unheil verantwortlich machte, das über die Pai gekommen war. Statt dessen tat er ihre Entschuldigung mit einer Handbewegung ab. »Ich bedauere, dass sie in unser privates Leid verstrickt wurden«, sagte er. In Lu Tungs ernster Miene kämpften Gefühle mit nüchterner Würde. Picard musste sich fragen, wie aufrichtig die Trauer des Kriegsherrn war; hatte Lu Tung selbst das Verschwinden der Perle arrangiert, um den Frieden zu sabotieren? Nur Lu Tung schien Zutritt zum Harem zu haben. Wer sonst hätte an dem Drachen in der Tür vorbeikommen können?

Der Lord warf einen ernsten Blick auf das junge Mädchen auf den Kissen. »Hat sie etwas gesagt?«

»Kein einziges Wort«, erwiderte Dr. Crusher. »Ich wollte sie überreden, mir zu erzählen, was passiert ist, doch sie hält den Mund. Ich vermute, sie schützt Yao Hu – oder glaubt es zumindest.«

Das lässt Gutes für die Perle erhoffen, dachte Picard, denn es lässt darauf schließen, dass das Mädchen freiwillig geflohen ist. Ein überraschendes Durchbrennen kompliziert die Angelegenheit, war aber immer noch besser als eine Entführung. Mit etwas Glück war die Grüne Perle noch wohlauf, wenngleich der Captain sich fragte, wie lange das so bleiben würde, während Attentäter und außerirdische Invasoren ganz Pai bedrohten. Ausreißer standen oft vor größeren Problemen, als sie erwartet hatten.

Lord Lu Tung baute sich drohend vor dem Mädchen auf. »Hsiao Har, Tochter des Chuan-chi, Enkelin des Kaiserlichen Drachen«, knurrte er mit tiefer Stimme, »ich fordere dich bei deiner Ehre auf, mir alles zu sagen, was du über den Verbleib meiner Tochter weißt.«

Die Tochter des Erben schaute zu ihm hoch; auf ihrem Gesicht stand offener Trotz. »Fahr doch zu irgendeiner der fünfundzwanzig Höllen«, sagte sie. »Vielleicht zur gefrorenen Hölle der allzu ehrgeizigen Väter. Da wärest du richtig aufgehoben.«

Lu Tungs Gesicht lief dunkelrot an. »Das ist kein Scherz, Mädchen!«, sagte er und hob die Hand, als wolle er Hsiao Har schlagen.

»Sir!«, protestierte Picard und trat dazwischen. Bevor einer der beiden Männer noch zu einer weiteren Bewegung ansetzen konnte, stürmte der Drache in den Raum. Troi folgte ihm auf dem Fuße. Der Kaiser trug nur eine einzige safrangelbe Robe, die sich um seine buddhaähnlichen Proportionen spannte. Mit nackten Füßen trat er Kissen beiseite; Picard fiel auf, dass die Zehennägel des Drachen nicht annähernd so lang waren wie seine extravaganten Fingernägel. Es überraschte ihn, den Kaiser wach zu sehen; er hatte gedacht, das romulanische Ale hätte ihn für diese Nacht aus dem Spiel gezogen.

»Was für eine üble Hinterlist ist das?«, brüllte er. »Wo haben Sie Ihre Tochter versteckt, Lu Tung?«

»Versteckt?« Der Lord drehte sich zum Drachen um und vergaß Hsiao Har für den Augenblick. »Wie können Sie es wagen, auch nur anzudeuten, das sei mein Werk? Ich bringe meine einzige Tochter guten Glaubens hierher und vertraue sie dem Schutz Ihres Palastes an, und was ist aus ihr geworden? Mein eigen Fleisch und Blut im Schutz der Nacht geraubt! Sprechen Sie mir gegenüber nicht von Hinterlist, Nan Er.«

Der Drache sah aus, als hätte man ihm einen besonders schleimigen und widerlichen Gegenstand ins Gesicht geschlagen. »Verräter!«, rief er. »Sie haben nicht das Recht, mich mit meinem Geburtsnamen anzusprechen. Ich bin der Drache – Ihr Drache – und hätte Ihren falschen Friedensbeteuerungen niemals Glauben schenken dürfen. Aber ich hätte nie gedacht, dass Sie Ihre eigene Tochter opfern würden, um unsere Allianz zu sabotieren.«

»Opfern?«, schrie Lu Tung zurück. »Was für ein größeres Opfer könnte es geben, als meine Tochter diesen kaltblütigen Fisch heiraten zu lassen, den man wohl kaum als Erben bezeichnen kann?«

»Meine Herren«, sagte Picard laut und trat zwischen die beiden Männer, bevor sie sich prügeln konnten. »Das führt uns nicht weiter.«

»Aber er ist ein Lügner und Verräter!«, rief der Drache. »Hätte ich mein heiliges Schwert …«

»Und Sie sind ein Narr, Nan Er«, sagte Lu Tung. »Sie sind schon immer einer gewesen.« Er betrachtete den Drachen mit ausgemachter Verachtung. Picard sah schon, wie ein schwer errungener Frieden vor seinen Augen zerbrach.

»Exzellenz, bitte!«, sagte er. »Lord Lu Tung, wir haben keine Zeit für diese sinnlosen Beschuldigungen. Wir müssen an die Perle denken!«

Sein Argument traf ins Schwarze. Lu Tung trat von Picard zurück und wandte sich von dem Starfleet-Captain und seinem langjährigen Kaiser und Widersacher ab. Picard sah, dass die Schultern des Lords von der Anstrengung zitterten, die nötig war, um seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Als er sich schließlich wieder zu Picard umdrehte, hatte der Rebellengeneral den Großteil seiner Würde und Haltung zurückgewonnen. Und wenn ich jetzt auch den Drachen beruhigen kann … dachte der Captain.

Doch Troi war ihm weit voraus. »Erhabener«, sagte sie und ergriff seinen Arm. »Sie müssen Ihren mächtigen Zorn im Zaum halten, bis wir die Wahrheit herausgefunden haben. Beherrschen Sie sich, um des armen, unwürdigen Mädchens willen, um dessen Sicherheit wir alle so besorgt sind!«

»Na ja«, sagte der Drache, »vielleicht kann ich meine Raserei noch etwas hinauszögern. Aber ich werde trotzdem unter meinem eigenen Dach keine Täuschung dulden.«

»Das sollen Sie auch gar nicht«, sagte Picard. Gut gemacht, Deanna, dachte er. Er bemerkte, dass ihr blaues Gewand zwar noch intakt war, aber noch unordentlicher als zuvor wirkte. Er schob die Angelegenheit erst einmal beiseite und wandte sich mit festem Tonfall an den Kaiser. »Zuerst müssen wir die genaue Natur dieser Täuschung herausfinden.«

»Tja, ich habe nichts mit dem Verschwinden des Mädchens zu tun«, beharrte der Drache.

»Ich auch nicht«, sagte Lu Tung verdrossen, »wenngleich diese Bemerkung eigentlich überflüssig ist.«

Die beiden mächtigen Lords der Pai beäugten sich argwöhnisch, erweckten aber nicht mehr den Anschein, als wollten sie einen blutigen Krieg erklären, wenigstens nicht sofort. Dem lieben Gott sei Dank auch für kleine Gefälligkeiten, dachte Picard. Er nutzte das kurze Nachlassen der Feindseligkeiten, um sich näher an Troi zu schieben. Die Betazoidin rückte ein wenig vom Drachen zurück. »Wir sind sofort gekommen, als wir das von der Perle hörten, Captain«, flüsterte sie. »Der Drache hat darauf bestanden.«

Er musterte sie sorgfältig. Ihr Aufenthalt in den Privatgemächern des Drachen schien keine Folgen gehabt zu haben. »Ich hoffe, es war nicht allzu unangenehm. Ihr Abend mit dem Kaiser, meine ich.«

»Der Drache ist ein bemerkenswerter Mann«, erwiderte sie, und ein gespielt schüchternes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Und voller Überraschungen.«

Picard fiel auf, dass ihre Antwort ungewohnt verschwommen war, doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um der Sache auf den Grund zu gehen.

»Also?«, sagte der Drache bockig. »Was sollen wir jetzt tun?«

»Vielleicht«, schlug Picard in der Hoffnung vor, ein Mindestmaß an Vernunft wiederherzustellen, »sollte jemand den Erben benachrichtigen?«

»Warum?«, fragte der Kaiser und schaute ob dieser Vorstellung überaus erstaunt drein. »Er kennt das Mädchen doch kaum. Soll er seine Party genießen.«

 

»Mal sehen, ob ich das richtig verstanden habe«, sagte Geordi LaForge. »Wir können die G'kkau nicht direkt angreifen, und wir können nicht mal Photonenminen an den Grenzen des Drachenreichs auslegen, ohne gegen die Erste Direktive zu verstoßen. Ist das richtig?«

»Sie haben unsere Zwangslage ziemlich präzise zusammengefasst«, bestätigte Data. »Wir müssen also auf eine andere Möglichkeit zurückgreifen, und zwar am besten auf eine, mit der wir die Schiffe der G'kkau flugunfähig machen, aber nicht zerstören.«

Sie haben gut reden, dachte LaForge. Er hatte noch immer nicht herausgefunden, wie er ein Feuerwerk inszenieren sollte, das die verwöhnten Pai beeindrucken würde. Und nun benötigte Data eine entschieden indirekte Methode, eine vollständige Flotte flugunfähig zu machen. Das Leben eines Starfleet-Ingenieurs war wirklich nicht einfach … Er betrachtete den Hauptbildschirm durch das VISOR. Darauf wurde der Anflug der Invasionsstreitmacht der G'kkau durch den Nebel dargestellt. Ein jedes Kriegsschiff wurde durch ein kleines gelbes Dreieck symbolisiert, das sich vor einem wirbelnden violetten Hintergrund abzeichnete. Zumindest kam es LaForge so vor; er wusste, dass seine Farbwahrnehmungen manchmal lebhafter waren als die normaler humanoider Augen. Auf diesem graphischen Display erinnerte die Flotte der G'kkau an einen Schwarm summender Hornissen, die unterwegs nach Pai waren. Es muss doch irgendeine Möglichkeit geben, sie aufzuhalten, dachte er. Irgendeine interstellare Fliegenfalle. »Was für einen Antrieb benutzen sie?«, fragte er.

Lieutenant Melilli antwortete ihm. »Einen primitiven Hammerantrieb, Sir. Ein Beta-Neutrino-Antrieb, der Geschwindigkeiten von höchstens …«

»Ich kenne den Antrieb«, sagte LaForge ungeduldig. Vorlesungen über alternative Warpquellen brauchte er so dringend wie einen Kropf – außer, sie brachten ihn auf eine Idee, wie er bis Sonnenaufgang ein tolles Feuerwerk über dem Kaiserlichen Palast inszenieren konnte.

Die Bajoranerin bedachte LaForge mit einem eisigen Blick.

Autsch, dachte LaForge und fügte Melilli im Geiste der langen Liste von Frauen hinzu, die er vor den Kopf gestoßen hatte. »Auf jeden Fall leiden die Beta-Neutrino-Triebwerke unter der Tendenz, auf überaus unangenehme Art und Weise mit Hochenergieplasma und positiv geladenen Partikeln zu interagieren. Deshalb hat Starfleet sie auch praktisch fallenlassen.« Seine Augen wurden hinter dem VISOR größer. »Aber genau das findet man in einem einigermaßen umfangreichen Nebel!«

»Die G'kkau scheinen keine Probleme damit gehabt zu haben«, wandte Melilli ein.

»Sie müssen einen Niederfrequenz-Sender als Puffer benutzen«, sagte LaForge. »Ja, das würde genügen, solange es ihnen gelingt, die Frequenz so zu modulieren, dass sie die Beta-Emissionen unterdrückt, die ja mit der Substanz des Nebels reagieren.«

»Interessant«, sagte Data. Er erhob sich aus dem Sessel des Captains und ging zu LaForge hinüber. »Geordi, wäre es möglich, ihre Neutrinotriebwerke dem Einfluss des Nebels zu unterwerfen?«

LaForge kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Ich glaube schon. Es kann kein großes Problem sein, die Photonenminen so umzurüsten, dass sie die Pufferwirkung neutralisieren. Danach könnten ihre eigenen Beta-Emissionen eine Kettenreaktion auslösen, die die Triebwerke der G'kkau völlig ausschaltet.« Er dachte über die Bedingungen nach. »Aber sie müssten den Minen schon ziemlich nah sein.«

»Das lässt sich arrangieren«, sagte Data. LaForge bewunderte die Zuversicht des Androiden; sein positronisches Gehirn schien nur selten unter Unentschlossenheit zu leiden, vielleicht, weil er all seine Möglichkeiten schneller analysieren konnte als LaForge oder irgend jemand sonst. »Wann können die Minen einsatzbereit sein?«

LaForge seufzte. Er hätte sich lieber erneut dem Feuerwerk gewidmet; wenn er erstmal eine Herausforderung angenommen hatte, wollte er sie gern ohne jede Ablenkung bewältigen. Doch offensichtlich war es wichtiger, die G'kkau aufzuhalten. »In einer Stunde. Höchstens in anderthalb.«

»Sir«, sagte Lieutenant Melilli. »Ich muss Sie darauf hinweisen, dass selbst dieser passive Versuch als Verletzung der Autonomie des Drachenreichs aufgefasst werden könnte.«

»Das ist korrekt, Lieutenant«, gestand Data ein. »Daher werden wir die Minen weit außerhalb des Territoriums des Drachenreichs platzieren.«

»Aber, Sir …« Sie hielt inne, als sei ihr klargeworden, dass sie ihre Befugnisse überschritt. Als Data nickte, fuhr sie trotzdem fort. »Dazu müssen wir uns weit von Pai entfernen!«, wandte sie ein. »Warum sollten die G'kkau von ihrem Kurs abweichen und die sichere Vernichtung des Drachenreichs aufschieben, nur um ein Raumschiff der Föderation um ein Minenfeld herumzujagen?«

Das habe ich mich auch schon gefragt, dachte LaForge.

»Wir müssen ihnen einen Anreiz geben, Lieutenant.« Data drehte sich zum Navigationspult um. »Lieutenant Tor, bitte berechnen Sie einen Kurs zum Epsilon-Sektor. Computer, stelle alle Informationen zusammen, die über das Vokabular und die Sitten und Gebräuche der G'kkau bekannt sind.«

LaForge war gespannt, was Data im Sinn hatte. Das wird sehr interessant werden, dachte er.

 

Zwei muskulöse Pai-Krieger standen zwischen Worf und dem Eingang zum Harem Lord Lu Tungs. Jeder trug stolz je ein Krummschwert und einen verdrossenen Gesichtsausdruck zur Schau. Sie waren auch mit Energiepistolen bewaffnet, hatten sie aber noch nicht gezogen. Der Klingone fragte sich kurz, ob er seinen eigenen Phaser ziehen konnte, bevor die beiden Wachen zum Schuss kamen; es hätte ihn schon interessiert, die klingonischen Reflexe mit denen der Pai zu vergleichen. Doch falls die Grüne Perle tatsächlich verschwunden war, blieb keine Zeit für ein weiteres Duell, ganz gleich, wie reizvoll die Aussicht auch sein mochte.

Was für eine Schande, dachte Worf. Zwei gegen einen … in der Tat eine ehrenvolle Perspektive.

»Treten Sie zurück«, fauchte er die Wachen an. »Mein Captain hat mich hierher befohlen.«

»Weder Mensch noch Tier«, erwiderte einer der Wachposten, als wisse er nicht genau, in welche Kategorie Worf fiel, »darf das Verbotene Heiligtum Lord Lu Tungs betreten.«

Der Pai-Krieger grinste den Klingonen auf eine Weise höhnisch an, die Worf höchst beleidigend vorkam. Der Sicherheitsoffizier war versucht, dem Pai das eigene Krummschwert zu fressen zu geben, kam aber zum Schluss, dass ein Schuss mit dem Phaser die Sache schneller beenden würde. Natürlich war die Waffe auf Betäubung und breite Fächerung eingestellt. Seine Hand näherte sich dem Halfter …

Sein Kommunikator piepste. »Lieutenant Worf?«, sagte Picards Stimme.

»Ja, Captain?«, erwiderte Worf und schenkte Picard seine volle Aufmerksamkeit. Er musste sich noch einen Augenblick gedulden, bis er die beiden Wachen betäuben konnte.

»Wo sind Sie jetzt?«, fragte Picard.

»Vor dem Harem«, erwiderte Worf und warf den Wachen einen finsteren Blick zu. »Lu Tungs Wachen scheinen mich nicht in die Frauengemächer einlassen zu wollen, doch ich werde die Angelegenheit in Kürze geklärt haben.«

»Sparen Sie sich die Mühe«, sagte der Captain. »Chih-li übernimmt die Ermittlung hier im Harem. Ich befürchte, Ihre Anwesenheit würde den Drachen nur provozieren; er würde sie sicher als Affront gegen die Ehre seiner Sicherheitskräfte auffassen. Die Pai sind in dieser Hinsicht sehr empfindlich.«

»Das habe ich auch herausgefunden«, bestätigte Worf. »Der Minister für Innere Sicherheit hat mich bereits zu einem Duell herausgefordert, doch wir sind übereingekommen, unseren Kampf bis nach der Hochzeit zu vertagen.«

»Was?« Der Captain klang beunruhigt über diese neue Entwicklung.

»Es besteht kein Grund zur Besorgnis, Captain«, erwiderte der Klingone. »Der Minister und ich sind uns ebenbürtig. Es wird ein ehrenhafter und ruhmreicher Kampf werden.«

Es folgte ein langes, unbehagliches Schweigen, bis Picard schließlich fortfuhr. »Mr. Worf, ich habe weder Zeit noch Lust, mich jetzt damit zu befassen. Ich schlage vor, dass Sie Ihre Aktivität darauf beschränken, nach den verschwundenen Geschenken zu suchen.«

»Nach den Geschenken?«, wiederholte Worf. »Die Grüne Perle geht doch bestimmt vor.«

»Ich wäre keineswegs überrascht«, sagte Picard, »wenn die beiden Vorfälle im Zusammenhang stünden. Finden Sie die Geschenke, und Sie werden wahrscheinlich auch das Mädchen finden.«

»Zu Befehl, Captain«, sagte Worf. Er musterte die beiden massigen Pai-Wachen, die ihn ihrerseits mit blutdürstiger Erwartung zu betrachten schienen. Aber offensichtlich war es nicht mehr nötig, sich den Weg freizukämpfen. Sehr schade, dachte er, aber die Pflicht ruft …

Er wandte dem Harem und seinen Bewachern den Rücken zu und marschierte schnellen Schrittes zum Tatort zurück.