Der alte Priester wollte absolut nicht zu sich kommen.
»Ist er tot?«, fragte Picard besorgt. Angesichts des fortgeschrittenen Alters des ehrwürdigen Greises war es durchaus möglich, dass die Aufregungen der letzten Viertelstunde ihm den Rest gegeben hatten.
»Nein«, erwiderte Dr. Crusher, die vor dem zusammengebrochenen Priester kniete. »Er will einfach nicht aufwachen.«
»Der arme alte Tsai-lung«, sagte der Drache seufzend. »Er hat schon meine erste Trauung vorgenommen, und die meines Vaters vor mir.«
»Wird er in absehbarer Zeit wieder zu sich kommen?«, fragte Picard zähneknirschend.
»Ach, das bezweifle ich«, erwiderte der Drache. »In letzter Zeit wacht er nur noch etwa einmal pro Jahr auf. Es waren mehrere Monate der Vorbereitung erforderlich, um ihn für diesen Anlass fit zu kriegen.«
Hätte Picard noch genug Haare dafür gehabt, hätte er sie sich gerauft. So aber konnte er nur den Kopf schütteln. Ich glaube das einfach nicht, dachte er. Das ist doch die reinste Farce. »Gibt es vielleicht noch andere Priester«, fragte er mit zusammengebissenen Zähnen, »die diese Zeremonie vollziehen könnten?«
Der Drache lachte. »Mein lieber Captain, haben Sie etwa den Eindruck, mein Palast sei ein Kloster? Unter uns gesagt, ich ziehe es vor, mir geistliche Führer vom Hals zu halten. Sie legen mir zu großen Wert auf Enthaltsamkeit und Mäßigung.«
»Vielleicht können wir einen herbeamen …?«, setzte Picard an, dann piepste sein Kommunikator und öffnete einen Kanal zu Data.
»Verzeihen Sie die Störung«, sagte die Stimme des Androiden, »aber ich möchte Sie darauf hinweisen, dass die Schiffe der G'kkau Angriffspositionen im Orbit um den Planeten eingenommen haben und die Fangzahn einen Angriff auf die Enterprise vorbereitet. Dürfte ich fragen, ob es an der Hochzeitsfront irgendwelche Fortschritte gibt?«
»Mr. Data«, sagte Picard brüsk, »ich verspreche Ihnen, ich werde diese beiden unter die Haube bringen, und wenn ich die Zeremonie persönlich durchführen muss!«
»In diesem Fall, Captain«, erwiderte Data, »lege ich Ihnen dringendst nahe, dies schnell zu tun. Die Fangzahn lädt gerade ihre Intervaller auf.«
Picard schüttelte den Kopf. »Das habe ich nicht wortwörtlich gemeint, Data. Ich wollte nur …« Er hielt inne, als ihm plötzlich eine Idee kam. Warum eigentlich nicht? »Mr. Data, bereiten Sie sich darauf vor, die folgenden Personen an Bord der Enterprise zu beamen …«
»Schilde deaktivieren«, befahl Data.
Melilli Mera stieß laut die Luft aus. Sie zögerte, und ihre Finger verharrten über den Kontrollen.
Auf dem Hauptbildschirm trieb die Fangzahn vor den fernen Sternen. Die geschwungene Spitze ihres scharlachroten Vorderteils schien direkt auf die Enterprise gerichtet zu sein. Ein kleineres Display, das in die linke untere Ecke des Schirms eingelassen war, bot eine schematische Darstellung der Positionen der vier anderen G'kkau-Kriegsschiffe. Als Vorsichtsmaßnahme hatte Data befohlen, die Koordinaten aller Schiffe zu erfassen und Photonentorpedos bereitzuhalten. Er wartete nur noch auf die Erlaubnis, sie auch abzufeuern.
»Schilde deaktivieren«, wiederholte Data, »und zwar für jenen Sekundenbruchteil, der nötig ist, um die gesamte Hochzeitsgesellschaft in die Bar auf dem zehnten Vorderdeck zu beamen. Dann die Schilde mit voller Kapazität wieder aufbauen.«
»Na schön«, sagte LaForge, der hinter der taktischen Konsole stand. »Glauben Sie, wir kommen damit durch?«
»Vielleicht«, sagte er. Seine Speicherschaltkreise erinnerten ihn an die Vorbereitungen für die Hochzeit von Miles und Keiko O'Brien, während derer er eine romulanische Spionin entlarvt hatte. »Sind alle menschlichen Hochzeiten so gefährlich?«
»Wollen Sie meine ehrliche Meinung hören?«, sagte LaForge. »Ich habe schon jede Menge katastrophale Hochzeiten erlebt, aber die hier übertrifft alles.«
Als sie an Bord der Enterprise materialisierten, schien der Boden unter Picards Füßen zu zittern. Zuerst ging er von einer Fehlfunktion des Transporters aus. Dann wurde ihm klar, dass der Boden tatsächlich zitterte. Die Enterprise wurde angegriffen.
»Schnell, jeder an seinen Platz!«, befahl er. Alle Menschen und Pai im Tempel waren an Bord gebeamt worden, einschließlich des ehrwürdigen Tsai-lung, der nun hinter Guinans Bar lang ausgestreckt auf dem Boden lag.
Zehn-Vorne, wie der Gesellschaftsraum kurz und knapp genannt wurde, war buchstäblich verlassen. Alle Mannschaftsmitglieder hatten ihre Positionen an den Kampfstationen eingenommen. Picard fragte sich kurz, wo Guinan war. Dann räumte er vorn in dem großen Raum ein paar Tische beiseite. Dr. Crusher, die die Rolle der Mutter der Braut übernommen hatte, schob schnell Lu Tung und die Perle zu Picard hinüber. Sowohl Vater als auch Tochter sahen sich mit weit aufgerissenen Augen in Zehn-Vorne um und blickten überwältigt in den Sternenhimmel, der durch die Fenster des Gesellschaftsraums zu sehen war; die Ärztin musste Lu Tungs Arm über den Yao Hus legen. Mittlerweile hatte Riker sich zum Trauzeugen befördert und links von Kan-hi aufgebaut. Die Hände des Bräutigams waren noch gefesselt, aber daran konnten sie auf die Schnelle nichts ändern. Deanna hielt Hsiao Har an den Schultern, um zu verhindern, dass der eifersüchtige Teenager sich wieder Riker an den Hals warf. Der Drache schien überhaupt nicht mehr zu wissen, wie ihm widerfuhr, und ließ sich in einen der zahlreichen Sessel fallen. Das stämmige Gebilde aus einer Duraniumlegierung ächzte unter seinem Gewicht. »Ich kapiere das nicht«, sagte der Kaiser. »Was machen wir hier überhaupt?«
»Als Captain der Enterprise«, erklärte Picard, »bin ich berechtigt, an Bord dieses Schiffes Trauungen vorzunehmen. Und im Augenblick müssen wir das so schnell wie möglich tun.«
»Ach so. Dann geht das ja wohl in Ordnung.« Der Drache lehnte sich auf seinen Tisch, anscheinend zufrieden damit, von jetzt an nur noch Zuschauer zu sein.
Ein weiterer Stoß schüttelte die Enterprise durch. Der Boden neigte sich abrupt und richtete sich dann wieder auf. Riker hielt Kan-hi fest, den neuen Drachenerben, während Dr. Crusher die Grüne Perle stützte. Hsiao Har fiel auf Deanna, doch es gelang beiden, sich ohne allzu große Schwierigkeiten wieder aufzurichten. Picard machte durch die steuerbordseitigen Fenster einen grünen Blitz aus. Die Schilde schienen zu halten, aber wie lange noch?
»Captain«, sagte Counselor Troi atemlos, »ich empfehle die kurze Zeremonie.«
»Einverstanden«, erwiderte Picard. Er sah die beiden jungen Pai an und kam direkt zur Sache. »Wollen Sie, Kan-hi, Sohn und Erbe des Drachen, diese Frau zu Ihrem rechtmäßig angetrauten Weib nehmen?«
»Ja!«, sagte Kan-hi. Er wollte Yao Hus Hand ergreifen, doch seine Ketten ließen es nicht zu.
»Wollen Sie, Yao Hu, genannt die Grüne Perle von Lu Tung, diesen Mann zu Ihrem rechtmäßig angetrauten Gatten nehmen?«
»Überaus gern!«, hauchte die Braut. Sie schien außer sich vor Freude zu sein.
Grüne Energie schlug, nur teilweise von den Schilden abgewehrt, über die Backbordseite des Gesellschaftsraums hinweg. Picard hielt sich an einer Tischkante fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Braut und Bräutigam prallten gegeneinander und stützten sich gegenseitig. Die Deckenbeleuchtung flackerte kurz und setzte dann wieder ein. Picard wurde klar, dass die Enterprise einiges einstecken musste. Selbst ein Rudel Eidechsen kann einen Drachen ins Verderben ziehen – wenn der Drache gefesselt ist und sich nicht wehren kann.
Hier und jetzt gab es nur eine Möglichkeit, den Drachen zu befreien …
»Kraft der Befugnis, die die Vereinte Föderation der Planeten mir verliehen hat, erkläre ich Sie hiermit in Übereinstimmung mit dem derzeitigen Herrscher des Drachenreichs zu Mann und Frau.«
Das war's, dachte er. Die Heirat ist rechtmäßig, der Vertrag tritt in Kraft.
Er berührte seinen Kommunikator. »Mr. Data, feuern Sie nach eigenem Ermessen!«
Durch die breiten Vorderfenster von Zehn-Vorne konnte er genau verfolgen, wie ein halbes Dutzend Photonentorpedos aus den Eingeweiden der Enterprise schossen. Zwei dieser Torpedos hielten auf das G'kkau-Schiff zu, das sich unmittelbar vor der Enterprise befand. Das muss die Fangzahn sein, dachte er und verspürte eine gewisse Befriedigung, als die Waffen in das Flaggschiff der G'kkau einschlugen. Blauweiße Energiebänder loderten wie Blitze an der Hülle der Fangzahn auf und ließen deren leuchtend grüne Oberfläche eingedellt und vernarbt zurück. Dieser ›Fangzahn‹ würde nach dem Ende des Kampfes einige Füllungen benötigen. Er bezweifelte, dass die G'kkau sich noch einmal dem Drachenreich nähern würden, sobald sie wieder das Bedürfnis verspürten, ihr Territorium auszudehnen.
Die Enterprise ließ den Torpedos einen langanhaltenden Beschuss mit Phaserfeuer folgen. Das ist doch ein Feuerwerk, dachte er und fragte sich, ob das, was Geordi sich ausgeheckt hatte, mit diesem Schauspiel mithalten konnte. Picard wandte sich vom Fenster ab und stellte fest, dass Kan-hi und Yao Hu ihn noch immer erwartungsvoll ansahen. Was ist denn jetzt noch?, fragte er sich. Ich dachte, wir wären fertig.
Im hinteren Teil des Raum machte Troi, die noch immer Hsiao Har festhielt, ihn auf sich aufmerksam und spitzte dann die Lippen.
»Ach ja«, sagte er. »Das hätte ich fast vergessen. Sie dürfen die Braut jetzt küssen.«
»Wirklich?«, fragte Kan-hi. Er schien sein Glück kaum fassen zu können. Das war durchaus verständlich, dachte Picard, wenn man sich überlegte, dass er in einer knappen Stunde vom entehrten Verbrecher zum Ehemann und zukünftigen Drachen aufgestiegen war.
»Nun machen Sie schon«, sagte er.