Der Kampf war ein blutiger Albtraum und eine schmerzliche Niederlage für die Jomswikinger gewesen, die Ivars teuflischer Taktik nichts hatten entgegensetzen können. Er hatte sie in eine verletzliche Position gebracht, indem er eingewilligt hatte, Eirik gegen einen Batzen Gold einzutauschen. Thork hatte die Summe gesammelt.
Verzweifelt erinnerte Thork sich an die Schlacht. So viele Verluste! So viele Freunde waren nach Walhalla oder in den Himmel gekommen. Er wusste nachdem, was er in den letzten Wochen gesehen hatte, nicht, ob er an beide glaubte.
Das Schlimmste war, dass Olaf gefallen war, dahingemetzelt von Ivar selbst. Verdammt sollte er sein! Thork hätte gerne sein eigenes Leben für das seines Freundes gegeben. Wahrscheinlich würde er ohnehin sterben. Die Wunde in seiner Brust kurz unterhalb des Herzens eiterte und hörte nicht auf zu bluten. Und seinen Gefangenen verweigerte Ivar ärztliche Hilfe, erst recht den Jomswikingern.
Heute, hatte Ivar angekündigt, würde erst die richtige Folter beginnen. Hah! Als wenn sie nicht schon genug gequält worden wären. Thork sah auf seine Hand, von der weitere drei Finger abgeschnitten worden waren, und zog eine Grimasse. Der Daumen hob sich grotesk davon ab.
»Gut, dass du mit der Rechten wenigstens noch ein Schwert schwingen kannst«, bemerkte Selik, der neben ihm auf dem Boden saß, trocken. Alle fünfzig Jomswikinger waren mit einem langen Seil zusammengebunden. »Aber meinst du, dass du so immer noch deine Frau befriedigen kannst?«
Bei dem schmerzvollen Gedanken, dass er Ruby nie wiedersehen würde, schloss Thork die Augen. Als er sich wieder gefasst hatte, versuchte er, Selik trotz seiner Schmerzen anzugrinsen.
»Ist das alles, an das du denken kannst? Ivar fängt heute mit den Hinrichtungen an, und du denkst an die Frauen! Beim Thor. Welche Frau würde dich denn jetzt noch ansehen mit dieser hässlichen Schramme im Gesicht?«
»Findest du sie hässlich?«, gab Selik arrogant zurück. »Ich finde, sie gibt mir erst den richtigen schurkischen Charme. Die Frauen werden mich nur noch mehr lieben.«
»Vielleicht hast du Recht«, gab Thork zu und betrachtete die Narbe von Seliks rechtem Auge bis zu seinem Kinn.
»Nun, wenigstens geht es Eirik gut. Ivar scheint ihm nicht noch mehr antun zu wollen.«
»Ja, hoffen wir es.« Thork seufzte. Er lebte nur noch dafür, Eirik in Sicherheit zu sehen. Seine eigene Haut zu retten schien ihm gar nicht mehr möglich. »Falls wir den Tag heute nicht mehr überleben sollten, Selik, musst du wissen, dass du mir immer ein guter und treuer Freund gewesen bist.« Er musste schlucken, ehe er weitersprechen konnte. »Vielleicht sehen wir einander im Himmel – oder in Walhalla – wieder, wo auch immer.«
Selik schluckte auch, fragte dann aber mit seinem üblichen Humor: »Bist du sicher, dass wir in diese Richtung gehen? Dann bist du doch mehr ein Heiliger als ich gedacht habe.«
Thork lächelte trotz seiner Schmerzen. Doch er wusste, dass sie vielleicht nie wieder Gelegenheit zu einem Gespräch hatten, deshalb musste er weitersprechen. »Falls du überlebst, Selik … versprich mir, dass du dich um meine Kinder kümmerst … und um Ruby.« Oh, Ruby, wir hatten so wenig Zeit zusammen, nur so wenig Zeit.
Dann kamen Ivars Soldaten und führten die Jomswikinger, die wie Perlen an einer Schnur aufgereiht waren, hinaus auf den Platz vor der Burg. Hunderte seiner Gefolgsleute waren zusammengekommen, um den Niedergang der berühmten Jomswikinger mit anzusehen und zu erleben, wie sich ihr Mut angesichts des Todes bewährte.
Thork entdeckte Eirik in einer Gruppe anderer Gefangener an der Seite stehen. Ruckhaft hob er das Kinn, um seinem Sohn zu signalisieren, dass er den Mut behalten sollte. Eirik hob den Kopf und bemühte sich um jungenhaften Stolz, um seinem Vater zu gefallen. Beim Thor! Er war viel zu jung, um das Folgende mit anzusehen.
Ivars Männer lösten die ersten drei Jomswikinger von der Fessel und führten sie dem Scharfrichter zu, der ihre Haare mit Stöckchen hochsteckte, um den Nacken für die Axt frei zu haben.
Ivar trat vor. Wenn er wüsste, wie sehr er seinem Feind Sigtrygg ähnlich war. Beide waren riesig und mit Narben aus zahllosen Schlachten übersät. Beide waren sie arrogant und böse in ihrer Haltung. Beide waren sie hässlich wie die Nacht.
»Ich höre seit Jahren, wie tapfer ihr Jomswikinger seid«, begann Ivar laut. »Ich bin gespannt, ob ihr auch anders sterbt als normale Krieger«, höhnte er und wandte sich dann an den ersten Jomswikinger, der nach vorne gebracht wurde. »Was hältst du davon, dass du jetzt sterben wirst?«
Ingolf, ein Veteranenkrieger der Jomswikinger, sah Ivar verächtlich an. »Jomswikinger fürchten den Tod nicht, nur die Feigheit.« Dann legte er seinen Kopf auf den Block, wo er sauber mit einem Schlag vom Rumpf getrennt wurde.
Der nächste Jomswikinger, Gaut, spuckte vor Ivar aus und knurrte: »Ich sterbe im Ruhm, du aber wirst in Schande leben.« Auch Gaut wurde enthauptet.
»Ram!«, rief Hedin, der dritte Jomswikinger, und dann: »B-a-a-a-a, B-a-a-a, B-a-a-a-a.« Ivar fiel dem Scharfrichter verwirrt in den Arm. »Was soll das heißen?«, bellte er.
Hedin hob den Kopf vom Block und sah Ivars Truppen an: »Sind das denn nicht Schafe, die dir folgen?«
»Du Bastard!«, brüllte Ivar mit Speichel im Mundwinkel und wies den Scharfrichter an, sein Werk zu tun.
Als Ulf, ein Trinkkumpan Seliks, nach vorne gebracht wurde, kommentierte er tapfer. »Ich sterbe gerne, so wie meine Kameraden. Aber ich will nicht wie eine Kuh geschlachtet werden. Lieber sehe ich den Schlag kommen.«
Der Scharfrichter schlug ihm die blutige Axt ins Gesicht.
Als der zehnte Jomswikinger zum Scharfrichter trat, war Ivar sichtlich aufgeregt, weil es nicht so lief, wie er sich das vorgestellt hatte. Er wollte die Elite der Wikinger um Gnade winseln sehen. So aber wandte die Menge sich gegen ihn und murmelte Bekundungen der Bewunderung für die tapferen Wikinger. Nicht einmal seine eigenen Krieger jubelten noch über die Toten.
Doch Ivar fragte beharrlich den nächsten Mann. »Was hältst du vom Sterben?«
»Ich würde vorher gerne noch pinkeln.«
Thork schüttelte über Jogeirs trotzige Vulgarität den Kopf. Ivar wurde rot vor ungläubiger Wut, nickte aber, dass er das tun dürfe. Als Jogeir sich ungehemmt vor aller Augen erleichtert hatte, bemerkte er lässig: »Das Leben nimmt eine andere Wendung als erwartet. Ich hatte vorgehabt, deine Frau zu vögeln, ehe ich nach Jomsborg zurückkehre.« Zum Lachen der Menge schüttelte er arrogant sein Glied und zog sich dann die Hose wieder hoch. Nachdem er die Hose zugeschnürt hatte, war sein Kopf ab.
Thork schloss gequält die Augen, als Selik vortrat. Ein paar Frauen unter den Zuschauern seufzten laut angesichts seiner Schönheit. Anscheinend hatte Selik Recht, die Narbe tat seiner Attraktivität keinen Abbruch.
»Ich hatte ein gutes Leben«, verkündete Selik stolz und warf sein Haar über die Schulter. »Ich möchte nicht länger leben als meine tapferen Kameraden, die schon vor mir gefallen sind, aber gewährt mir die Würde, von einem Krieger zum Tode gebracht zu werden, nicht von einem bloßen Sklaven.« Verächtlich maß er den Scharfrichter, der aussah, als wenn er Selik am liebsten mit bloßen Händen umbringen würde. »Und erspart mir den hässlichen Stock in meinem Haar.« Er fuhr sich mit den Fingern durch die silberblonden Strähnen, und Thork sah, wie einige Frauen ihn mit offenem Mund anhimmelten. »Haltet mir stattdessen das Haar aus dem Gesicht und zieht den Kopf nach hinten, damit kein Blut meine Locken beschmutzt. Ich will in voller Schönheit nach Walhalla eingehen.«
Die Menge seufzte bewundernd angesichts seines Mutes und seiner Schönheit. Der dumme Narr! Selbst angesichts des Todes riss er seine Witze. Thork blinzelte die Tränen weg.
Selik gefiel der Menge so gut, dass sie zu jubeln und auf die Schilde zu schlagen begann, damit Ivar ihm seinen Wunsch gewährte. Widerstrebend gab er nach und rief einen hesir zu Hilfe. Selik kniete sich hin und beugte den Kopf, bis seine Stirn auf dem Block lag. Der Soldat ergriff sein Haar und wickelte es sich um die Hand, das er dann schmerzhaft nach oben riss. Der Scharfrichter hob die Axt, aber im letzten Moment bewegte Selik absichtlich den Kopf, sodass die Axt ausrutschte und der Arm des Soldaten am Ellbogen abgetrennt wurde.
Der verletzte Mann schrie und umklammerte den blutenden Stumpf. Wütend ergriff Ivar das Schwert des Scharfrichters und schickte sich an, Selik selber zu enthaupten. Doch der Menge gefiel Seliks Kühnheit, und sie drängte nach vorne.
»Wie heißt du?«, fragte Ivar durch zusammengebissene Zähne, ein Auge auf die Menge gerichtet.
»Selik.«
»Wie alt bist du?«
»Achtzehn.«
»Willst du meinen Truppen beitreten?« Unsicher musterte Ivar die Menge, die sich jetzt klar gegen ihn gestellt hatte.
»Nein, das könnte ich nicht, aber …« Selik zögerte und schätzte die Stimmung der Menge ab, ehe er kühn hinzusetzte: »Aber wenn du mich und meine Kameraden freilässt, und Eirik dazu, würde ich einen Eid ablegen, dass wir dein Land verlassen und nie mehr zurückkommen.«
Ivar wandte sich als Richter an die aufgebrachte Menge und fragte: »Soll der Jomswikinger Selik begnadigt werden?« Jubel und Schildgeklapper stimmten für Seliks Leben.
Thork blinzelte ungläubig. Selik würde nicht sterben. Darüber hinaus sollten alle begnadigt werden, die hier noch lagen und auf ihre Hinrichtung warteten. Er begann zu lächeln, sah dann aber Ivar herankommen. Sein hässliches Gesicht war vor Hass zu einer Fratze verzogen. Er stellte sich vor Thork auf und knurrte: »Bring diese Botschaft zu Sigtrygg: Ich werde ihn tot sehen.« Zur Bekräftigung trat er Thork mit dem Stiefel in die Brust.
Thorks Wunde öffnete sich erneut, und er fiel in Ohnmacht.
Wochenlang übten Aud und Ruby ihr Wäschegeschäft nur noch mechanisch aus. Es kamen fortlaufend neue Aufträge herein, und dank Ellas überraschender Verwandlung in eine Managerin erfüllten sie sie auch.
Als Ruby wieder einmal einen Sack Münzen aus dem Verkauf ihrer Wäsche erhielt, fragte sie Dar, ob sie Ella freikaufen könne. Dar lehnte ihr Geld ab und erklärte, Ella sei ein Geschenk an sie, mit dem sie verfahren könne, wie sie wolle.
»Ich kann nicht glauben, dass du das für mich tun willst«, weinte Ella, als Ruby sie frei ließ. »Es gibt nichts in der Welt, das ich nicht für dich tun würde.«
»Es gibt etwas, Ella … wenn Thork etwas zustoßen sollte«, Ruby schluckte, »und ich plötzlich verschwinden sollte, dann versprich mir, dass du immer für Tykir … und Eirik da bist. Sie werden deine Hilfe vielleicht brauchen.«
Doch dann war Ruby diejenige, die Ellas Hilfe brauchte, um auf ihr Zimmer zu gelangen, als folgende Nachricht eintraf:
Thork ist schwer verletzt. Eirik und ich bringen ihn so schnell wie möglich nach Hause. Haltet Salbe bereit. Sieht nicht gut aus. Olaf ist tot.
Selik
Am nächsten Tag reisten sie nach Jorvik, um Gyda und ihrer Familie in ihrer Trauer beizustehen und auf Thorks Schiff zu warten. Nachdem sie die Mädchen zu Bett gebracht hatten, erzählte Gyda Ruby mit verweinten Augen: »Sieht so aus, als wenn unser Gespräch vor langer Zeit für mich wahr würde.«
»Was meinst du?«
»Weißt du noch, wie du mich gefragt hast, ob ich danach strebe, als gleichberechtigter Partner an der Spitze der Familie zu stehen, so wie Olaf? Ich hatte damals gesagt, dass ich sehr wohl in der Lage sei, unsere Geschäfte auch alleine zu führen, sie aber lieber meinem Mann überließe.«
»Ja, jetzt erinnere ich mich. Wir sprachen über die Identität der Frau.«
»Ja, das war es.« Gyda fuhr sich abwesend durch die Haare, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten. »Jetzt habe ich keine Wahl mehr. Jetzt bin ich Gyda, nicht mehr Olafs Frau.«
Dann weinte Gyda und ließ all die aufgestaute Trauer heraus, die sie vor den Kindern bislang verborgen hatte. Ruby versuchte zwar, sie zu trösten, musste sich aber fragen, ob es ihr nicht genauso ergehen würde, wenn Thork zurückkam. Bis es so weit war, wollte sie Tykir helfen, so gut sie konnte.
»Ich wünschte, ich wäre älter«, erklärte der ängstliche kleine Junge wild und versuchte, nicht zu weinen. »Dann wäre ich schon ein Jomswikinger und könnte meinen Vater retten. Ivars Kopf würde ich so einfach abschneiden.« Er fuhr anschaulich mit dem Arm durch die Luft.
Jetzt kam Aud hinzu, und beide trösteten sie den Jungen.
»Was immer auch passiert, Tykir und Ruby, ihr habt bei uns in Northumbria immer ein Zuhause. Wir sind eine Familie und müssen zusammenbleiben. Familie ist das, was zählt.«
Eine Woche später brachte Dar neue Nachrichten. »Thorks Schiff ist im Morgengrauen im Humber eingelaufen und wird gegen Abend hier sein.«
Ruby und Aud gingen in die Kirche von St. Mary und beteten stundenlang. Am Abend dann schritt die ganze Familie ernst zum Hafen. Immer mehr Leute kamen herbei, bis Hunderte schweigend am Kai standen, um den gefallenen Kriegern die letzte Ehre zu erweisen. Selbst Byrnhil und Sigtrygg standen mit dem Hofstaat respektvoll ganz vorne.
Schweigen empfing das Drachenschiff, als es anlegte. Gydas Weinen wurde lauter, als der erste verhüllte Leichnam auf einer Bahre von Bord gebracht wurde. Olafs Schwert lag oben drauf. Gyda und ihre schluchzenden Töchter folgten dem Leichnam zu einem wartenden Wagen.
Ruby klammerte sich fest an Tykirs Hand, als Dutzende von Kriegern folgten, denen teilweise Arme und Beine fehlten, viele schrecklich verwundet und mit leeren Blicken.
Endlich erschien Thork, von Eirik und Selik gestützt. Er war kaum bei Bewusstsein, und Blut sickerte durch einen Verband um seine Brust. Sein einst glänzendes goldbraunes Haar war jetzt stumpf und verschmutzt.
Sein benommener Blick glitt ängstlich suchend über die Menge. Als er Ruby sah, lächelte er. Selbst das schien ihm Schmerzen zu bereiten.
Ruby spürte selber den Schmerz, als sie Thorks Verwundung sah, die Schrammen, das Blut und die verletzte Hand. Sie keuchte auf und schloss kurz die Augen, um nicht in Ohnmacht zu fallen.
Wenn er nur lebte, mehr wollte sie nicht.
Tykir rannte zu seinem Vater und schlang ihm schluchzend die Arme um den Leib. Mühsam tätschelte Thork ihm die Schulter.
Dann folgte Ruby, legte Thork die Hände auf die Wangen und küsste ihn sanft auf die trockenen Lippen, während ihr die Tränen über die Wangen rannen. Sacht streichelte sie die Schramme in seinem Gesicht.
»Du scheinst jedes Mal zu weinen, wenn ich dich sehe, Mädchen«, neckte er sie mit zittriger Stimme. Auch in seinen Augen standen Tränen. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich zurückkomme. Hast du etwa daran gezweifelt?« Dann zog er sie an sich und vergrub sein Gesicht an ihrem Hals.
Ruby schluchzte und konnte nicht sprechen.
Thork wich zurück und studierte ihr Gesicht, besorgt über ihr verhärmtes Aussehen. »Wie siehst du denn aus, Frau«, witzelte er schwach. »Hat dir jemand gefehlt, der dich in deinen süßen Po kneift? Vielleicht bist du deshalb so weinerlich.«
»Oh, Thork!« Ruby lächelte. »Komm mit, lass dich nach Hause bringen.«
Ein paar Männer, darunter Selik, den eine schreckliche Narbe verunstaltete, halfen Thork zu einem strohgefüllten Wagen, in dem er zu Sigtryggs Schloss gebracht werden sollte. Die Reise zu Dar hätte er nie geschafft.
Als sie dort eintrafen, hatte Thork hohes Fieber. In den folgenden Tagen schwankte er zwischen Fieberfantasien und schwachem Bewusstsein. Dann wollte er immer mit Ruby sprechen, die nicht von seiner Seite wich.
»Wir werden ein Baby haben, Thork«, erzählte sie ihm bei der ersten Gelegenheit. »Ich weiß, dass du keine Kinder mehr wolltest, aber –«
»Oh, Rube«, hauchte er ungläubig und ergriff ihre Hand. »Wir haben zusammen ein Baby gemacht.«
»Dann bist du nicht wütend?«
»Nein, Süßes.« Er lächelte. »Es war unvermeidlich, dass mein Samen in deinen Bauch gelangt ist. Ich war so oft zu Besuch dort.« Er drückte ihr die Hand. »Es ist ein Wunder, dass wir ein Kind gemacht haben. Das Baby wird großartig sein, wette ich.«
Schon die wenigen Worte kosteten ihn viel Kraft, und er sank zurück in die Kissen und schloss die Augen. Als er schlief, spielte ein Lächeln um seine Lippen. Ruby hoffte, dass er von ihrem Kind träumte.
Am nächsten Tag erklärte er ihr: »Wenn ich sterbe, wird mein Bruder Eric nachgeben. Nein, Ruby, hör mir zu. Wenn ich nicht mehr bin, hat Eric keinen Grund mehr, hinter meinen Söhnen her zu sein.«
Beim nächsten Mal, als er erwachte, erklärte er fiebernd: »Ich liebe dich, Süßes. Ich wusste gar nicht, wie sehr, bis ich dich verlassen habe. Ich will deinen Rat beherzigen und für den Moment leben. Wir hatten nur so wenig gemeinsame Zeit, Ruby. So wenig Zeit. Es hätte mehr sein sollen.«
Am dritten Tag traf König Athelstan ein, ohne sich vorher angekündigt zu haben. Mit seiner reich gekleideten Garde kam er zusammen mit Sigtrygg in Thorks Zimmer. Zum Glück war Thork gerade bei Bewusstsein.
Athelstan setzte sich auf einen Stuhl am Bett, nickte Ruby zu und ergriff dann Thorks fingerlose Hand. »Es tut mir so leid, mein Freund. Es ist meine Schuld, dass der Junge entführt wurde, als ich verantwortlich für ihn war. Ob du lebst oder stirbst – ich hoffe auf ersteres – der Junge ist mir immer willkommen, und ich verspreche, dass ich ihn diesmal mit meinem eigenen Leben bewachen werde.«
»Es ist an Eirik, das zu entscheiden.« Dann schlief Thork wieder ein.
Ehe Eirik an Athelstans Hof ging, war er ein zurückgezogener, verschlossener Junge gewesen. Jetzt stand er schweigend am Bett seines Vaters, ein Zehnjähriger, aber kein Kind mehr. Niemand wusste, was er bei Ivar hatte durchmachen müssen.
»Ich werde zu St. Cuthbert für ihn beten«, wandte sich der junge König an Ruby, ehe er mit Eirik und Sigtrygg wieder ging. In den folgenden zwei Tagen kam er mehrmals wieder, um mit Thork zu reden, aber er konnte nichts für ihn tun und reiste schließlich wieder ab.
Trotz Rubys Gebeten und den wirksamen Salben, die Thork bekam, wurde er von Tag zu Tag schwächer. Dar und Aud waren wie gelähmt vor Kummer. Tykir durfte nicht zu seinem Vater, weil er sich so aufregte, dass es seinen Vater erschreckte. Eirik verbarg den Aufruhr in seinem Inneren gut. Ruby hörte nicht auf zu hoffen.
Eine Woche nach Thorks Rückkehr kam es vor der Burg zu einem großen Aufruhr. Ruby war zu verzweifelt, um ans Fenster zu gehen und hinauszublicken. Bald waren laute Stimmen und das Laufen von Füßen zu hören.
»Wo ist mein Sohn?«, brüllte jemand ungeduldig.
Ruby sah auf und entdeckte einen enormen, bärengleichen Mann in der Tür stehen.
Wütend zischte sie: »Raus hier! Siehst du nicht, dass hier ein Kranker liegt?«
Der Riese regte sich nicht. »Wer bist du, Mädchen?«, wollte er arrogant wissen.
»Ich bin Thorks Frau. Und wer zum Teufel bist du?«
»Ich bin Thorks Vater.« Er betrachtete sie aus blassblauen Augen genau – Augen wie die von Thork.
Verblüfft sah Ruby den Mann an. Er war so groß wie Thork, aber viel breiter gebaut und trug einen schwarzen Samtmantel mit Goldstickerei und Juwelenbesatz. Seine weißen Haare hingen ihm bis auf die Schultern und wurden durch einen goldenen Stirnreif gehalten.
Hinter ihm standen viele gut gekleidete Adelige im Flur, wahrscheinlich Begleiter aus dem Hofstaat König Haralds von Norwegen. Selbst Sigtrygg hielt sich respektvoll im Hintergrund. Doch Ruby war nicht beeindruckt. Das war derselbe Mann, der seinen Sohn jahrelang vernachlässigt hatte und der versagt hatte, als er Schutz vor seinem bösartigen Bruder gebraucht hätte, und der ihm nie auch nur ein bisschen Liebe gezeigt hatte.
Harald ging zum Bett und setzte sich daneben auf den Stuhl, als nähme er auf einem Thron Platz. Dann legte er Thork die Hand auf die Brust und begann erstaunlich sanft: »Thork, dein Vater ist hier, um dich zu sehen.«
Thork schlug langsam die Augen auf und blinzelte erstaunt. »Vater! Was machst du denn hier? Bin ich schon tot und in der Hölle?«
Harald lächelte schwach. »Nein, du lebst, und das soll auch so bleiben, wenn ich helfen kann. Ich habe meinen Heiler mitgebracht. Ich bin gekommen, sobald ich es erfahren habe.«
Thork hob ungläubig eine Braue.
»Hat dein Bruder Eric etwas damit zu tun?« Haralds Lippen bildeten eine dünne Linie.
»Nein, diesmal nicht«, antwortete Thork mit einem kurzen Lachen über die verspätete Sorge seines Vaters um Erics todbringende Spiele. »Das war Ivar.«
»Ich verspreche dir, Sohn, dass Ivar innerhalb des nächsten Monats tot sein wird, den Blutadler auf dem Rücken und deinen Namen in die Brust geritzt.«
Thork versuchte, den Kopf zu schütteln, aber die Kraft verließ ihn wieder. »Töten ist nicht mehr wichtig, das ist alles umsonst.«
»Kein Mann verwundet meinen Sohn und lebt weiter, um damit zu prahlen«, schwor der norwegische König ernst.
»Es kommt alles wieder, nicht wahr, Vater«, klagte sein Sohn ihn müde an. »Warum hast du zugelassen, dass mein Bruder mich so verfolgt?«
König Haralds Gesicht wurde hart, und seine Lippen zitterten vor Wut bei der Anklage. Schließlich sagte er: »Ich habe ihn auf dich losgelassen, damit du stark wirst, und es hat gewirkt. Du bist der stärkste von all meinen Söhnen – der beste im Wurf.«
»Im Wurf!« Thork war empört. Ruby sah Harald wütend an und versuchte ihm zu signalisieren, dass er seinem Sohn so nicht half. »Das war alles, was ich je war«, murmelte Thork schwach, »einer von deinen vielen Welpen, nicht wichtiger als ein Hund.«
Harald sog scharf die Luft ein und sagte dann fast entschuldigend: »Das stimmt nicht, Thork. Ich habe dich immer gemocht, und ich verspreche dir: Wenn du stirbst, wird Eric deinen Söhnen niemals etwas antun.«
Jetzt wurde sein Sohn aufgeregt und versuchte, sich aufzusetzen. »Wage es nicht, einen von ihnen mit dir zu nehmen. Halt dich aus ihrem Leben heraus. Ich werde nicht zulassen, dass du ihr Leben so ruinierst, wie du meines ruiniert hast.«
Harald sprang auf und schien mit Thork streiten zu wollen, hielt dann aber inne. »Na gut. Aber du hast mein Wort. Ich werde überall verbreiten lassen, dass jeder, der den Jungen etwas tut, es mit mir zu tun bekommt.«
Thork sank zurück und sah Ruby an. Er streckte ihr die Hand hin, und sie ergriff sie und streichelte sacht darüber.
»Dann sind die Jungen jetzt sicher, Süßes. Was mein Vater auch sonst ist – er hält immer seine Versprechen.«
Auch Haralds persönlicher Heiler konnte Thork nicht helfen. Die meiste Zeit verbrachte Thork jetzt im Delirium, die Lippen ausgetrocknet, die Augen geschlossen. Am zwanzigsten Tag stand Ruby morgens blicklos am Fenster und liebkoste die Drachenbrosche, die er ihr gegeben hatte. Abwesend steckte sie sie in ihre Jeanstasche, die sie wieder trug, solange König Harald da war, weil sie ihn damit wütend machen konnte.
Plötzlich setzte Thork sich mit einem Ausruf im Bett auf und sah Ruby an. »Ich habe uns gesehen«, erklärte er, »ich habe alles gesehen. Erst kam ein langer Tunnel, und am Ende war alles hell. Dann sah ich dich … und mich. Zumindest sah der Mann aus wie ich … wenn auch ein bisschen anders.«
Schweiß trat ihm auf die Stirn, und Ruby versuchte, ihn wieder hinzulegen. Doch er weigerte sich.
»Leg dich hin, es war nur ein Traum«, beruhigte ihn Ruby und versuchte, ihn zurück zu legen.
»Nein, Rube, hör zu. Es ist wichtig«, stieß er hervor, als wenn er Schmerzen hätte. Eisern umfasste er ihren Arm. »Die Bilder am Ende des Tunnels … du und ich … zusammen. Das war so kostbar. Das Herz schwoll mir vor Glück. Verlier es nicht, Ruby. Was immer du tust … verlier … es … nicht.«
Dann fiel er zurück, immer noch ihre Hand haltend. Ruby brauchte nicht seine Brust zu berühren, um zu wissen, was geschehen war.
Thork war tot.
Ruby schrie und warf sich über ihn, schüttelte ihn, um ihn aufzuwecken. Dann war es, als erhebe sie sich aus ihrem Körper, und sie sah Dar, Aud, Tykir und Eirik um sich stehen, und alle weinten sie.
Irgendwoher hörte Ruby einen lauten Schrei, der greller und greller wurde und dann explodierte.
Vollkommene Stille umhüllte sie wie ein Kissen.