The original Comets – Rock around the Clock

Stuttgart 2004

Die älteste Band, die ich je interviewt habe, sind die Comets, die Band von Bill Haley. Inzwischen haben die Musiker fast alle die 80 überschritten. Ich traf sie 2004, als sich die Welt anschickte, den 50. Geburtstag des Rock’n’Roll zu feiern. Und da sind wir schon beim Problem. Wann ist das eigentlich? Seit wann ist der Rock’n’Roll in der Welt? Gab es einen Urknall mit einem Lied, einer Platte oder einem Konzert?

Wie so oft hatte sich auch dieses Phänomen allmählich entwickelt mit dem Blues, Country-Musik und Jazz als Keimzellen. Chuck Berry wäre der King of Rock’n’Roll geworden, hätte er eine weiße Hautfarbe gehabt. So bekam Elvis die Krone. Und die Chronisten suchten sich ein Datum aus, mit dem alles begann. Man kam auf den 12. April 1954, weil an diesem Tage in einem Studio in New York »Rock Around The Clock« von Bill Haley und seiner Band, den Comets, aufgenommen wurde. Über hundert Musiker haben unter dem Namen Comets gespielt. Doch bei mir im SWR-Studio waren die Männer versammelt, die alle dabei waren, am 12. April 1954. Nur Bill Haley fehlte, denn der war schon 1981 an einem Gehirntumor gestorben.

Ein Bus fuhr auf den Parkplatz des SWR-Gebäudes, dem eine Gruppe alter Herren entstieg. Gebeugt gingen sie, teilweise mit Strickjacken. Eine Rentnergruppe, die das Funkhaus besucht, hätte man denken können. Doch zu ihrer Musik wurde das Mobiliar des Berliner Sportpalastes zertrümmert und viele andere Säle, auch in Stuttgart und Karlsruhe. 1958 war das. Als die Herren im Studio rund um einen Tisch Platz genommen hatten und das Rotlicht zum Zeichen für die offenen Mikrofone aufleuchtete, verwandelte sich die Rentnergruppe in eine Rockband. Ich spürte regelrecht, wie die Energie hochfuhr.

Da saßen der Bassist Marshall Lytle (geb. 1933), den die Band zum Wortführer gemacht hatte. Der Gitarrist Franny Beecher (geb. 1921), der schon mit Benny Goodman gespielt hatte, ein Jahrhundertzeuge. Schlagzeuger Dick Richards (geb. 1924), Saxophonist Joey D’Ambrosio, Johnny Grande, der Pianist, und der Engländer Jacko Buddin, der auf der Bühne die Rolle Bill Haleys übernahm.

Im Decca-Studio des Pythian-Temple, ein bekanntes Gebäude, das 1927 in Manhatten errichtet worden war, machte die Band damals ihre Aufnahmen, darunter »Rock Around The Clock«, das aber zunächst als Füller für die B-Seite einer Single gedacht war mit »Thirteen Women (And Only One Man In Town)« als A-Seite. Darauf seien mehr als zwei Stunden verwendet worden, erzählte Marshall Lytle.

»Dann könnt ihr noch diese Rocknummer machen, sagte uns der Toningenieur. Dafür hatten wir noch 35 Minuten. Gott sei Dank hatten wir ›Rock Around The Clock‹ in Bills Studio in Pennsylvania die letzten Tage immer wieder geprobt, und so glückte uns in der kurzen Zeit schon beim zweiten Take das Meisterstück, das noch heute in den Radioprogrammen der ganzen Welt läuft.« »Und das feiern wir in diesen Tagen als die Geburtsstunde des Rock’n’Roll«, fügte ich hinzu.

»Eigentlich war das schon viel früher, im Jahre 1952«, belehrte mich Marshall Lytle. »Da waren wir in einer Live-Sendung des DJs Alan Freed in Cleveland, Ohio, und er spielte unseren Song ›Rock This Joint Tonight‹. Während die Platte lief, hatte er das Mikrofon offen gelassen und rief ›Rock’n’Roll everybody, Rock’n’Roll‹. Danach riefen immer wieder Leute an und verlangten, er solle noch einmal diese Rock’n’Roll-Nummer spielen. Und das war der Tag, als der Rock’n’Roll seinen Namen bekam.«

Die Comets wiesen jedoch darauf hin, dass die Ursprünge des Rock’n’Roll im Rhythm & Blues liegen und eigentlich die Afroamerikaner die Erfinder dieser Musik sind, die wir heute einfach Rock nennen. Die Plattenfirma Atlantic hatte schon 1949 Aufnahmen veröffentlicht wie »Drinkin’ Wine Spo-Dee-O-Dee« von Stick McGhee & His Buddies, die schon alle Kriterien eines Rock’n’Roll-Songs erfüllten.

»Rock Around The Clock« wurde 1954 noch kein Hit, eben weil es nur die B-Seite war und allenfalls aus Versehen im Radio gespielt wurde, wenn der DJ die Seite verwechselte. Auf diese Weise sollten in den folgenden Jahrzehnten immer wieder Songs zum Hit werden, die eigentlich nur als Flip Side oder Throw Away gedacht waren, wie die B-Seiten auch genannt wurden. (Beispiele: »The Witch« von den Rattles, »Kung Fu Fighting« von Carl Douglas).

Erst durch die Verwendung von »Rock Around The Clock« in dem Film »Saat der Gewalt« von 1955 wurde das Interesse an diesem Song geweckt. Die Verkäufe schossen in die Höhe und brachten die Nummer im Mai 1955 für acht Wochen an die Spitze der US-Charts. Es war die erste Rock’n’Roll-Single auf der Spitzenposition. Ein neues Zeitalter hatte begonnen.