Donovan – vom Schmalspur-Dylan zum Musiker mit eigenem Profil

Stuttgart 2001

Zu den populären Folk-Ikonen der sechziger Jahre gehört neben Bob Dylan und Joan Baez der in Schottland geborene Donovan Phillips Leitch, kurz Donovan genannt. Die Kritiker und Pophistoriker gingen nicht immer zimperlich mit ihm um und erfanden Synonyme wie ›Schmalspur-Dylan‹ oder ›europäisches Äquivalent‹ zu Bob Dylan, wohl, weil auch Donovan zunächst Protest- und Antikriegslieder sang wie den »Universal Soldier«. Der stammte aber eigentlich aus der Feder der kanadischen Sängerin Buffy Sainte-Marie.

Mit seinen frühen eigenen Folksongs orientierte sich Donovan am gleichen amerikanischen Vorbild wie Bob Dylan, Woody Guthrie. In seiner britischen Heimat und auch bald in Europa avancierte Donovan zu einer der poetischen Leitfiguren der sechziger Jahre. Nicht so wortgewaltig wie Dylan, doch mit einer metaphorischen Song-Lyrik und einer starken Bühnenpräsenz, verstand es Donovan, auch sein Konzertpublikum zu fesseln. Den Friedensbotschaften folgten die Pop-Hits, die die Charts eroberten: »Sunshine Superman«, »Mellow Yellow«, »Hurdy Gurdy Man«, »Atlantis« oder »Jennifer Juniper«. Mit Donovan im Studio waren die späteren Led Zeppelin-Musiker Jimmy Page und John Paul Jones. Sein »Seasons Of The Witch« diente Led Zeppelin später als Aufwärmsong in Jamsessions und fand eine spektakuläre psychedelische Umsetzung durch Brian Auger, Julie Driscoll & The Trinity und viele andere Interpreten. Deep Purple coverten Donovans »Lalena« auf ihrem selbstbetitelten Album von 1969. Diese Serie ließe sich leicht fortsetzen und zeigt, wie anerkannt der schottische Sänger mit seinen Songs auch genreübergreifend war. Sogar die Beatles lernten von dem Pop-Poeten, als sie mit ihm gemeinsam bei ihrem Guru, dem Maharishi Mahesh Yogi, in Indien weilten, um dort Meditationskurse zu besuchen.

War es in den achtziger Jahren etwas ruhiger um Donovan geworden, meldete er sich 1996 mit seinem Solo-Album »Sutras« zurück, das bei den alten Fans gut ankam und dem Sänger eine neue Generation von Zuhörern erschloss. Produziert hatte Rick Rubin, der vor allem durch seine Arbeiten mit dem Spätwerk von Johnny Cash, Rappern wie Public Enemy und Hard-Rockern wie AC/DC bekannt geworden war.

2001 hörte man Donovans »Atlantis« in einer Version der deutschen Mädchenformation No Angels, mit denen er sogar im Deutschen Fernsehen, in »Wetten dass?« am 17. November 2001 in Böblingen, auftrat. Der Disney-Film »Das Geheimnis der verlorenen Stadt« lief in der Vorweihnachtszeit im Kino und der dazugehörige Soundtrack kam in den Verkauf. Donovan-Fans freuten sich über ein Lebenszeichen des Sängers, fanden für dessen Zusammenarbeit mit den No Angels aber keine lobenden Worte. Zu lieblos war diese »Atlantis«-Version zusammengebastelt worden. Nach dem Auftritt an jenem Samstag in Böblingen blieb Donovan noch für Interviews in Stuttgart und kam am folgenden Montag für ein Gespräch im SWR 1-Studio vorbei. Ich gebe zu, dass ich mich sehr auf diese Begegnung gefreut habe. Donovans Lieder waren, wie bei so vielen Altersgefährten, ein Teil des Soundtracks meiner eigenen frühen Jugendjahre. Sein Bravo-Poster hatte auch in meinem Zimmer gehangen, mit dem Wuschelkopf und dem verträumten Blick: »Hey Atlantis«.

Und mit diesem Blick stand er wartend am Empfang des Stuttgarter SWR-Funkhauses. Er streckte mir lächelnd die Hand entgegen, als hätten wir uns lange nicht gesehen, und nach einigen Worten waren wir auch schon im Studio auf Sendung und noch einmal beim Thema der Samstagabendshow zwei Tage zuvor. Die Quoten lagen inzwischen vor. 48 Prozent für »Wetten dass?« waren auch 2001 immer noch eine stattliche Zahl. Donovan war nicht zum ersten Mal Gast in Thomas Gottschalks Fernsehshow, aber ihm war nicht mehr bewusst gewesen, was für eine Dimension diese inzwischen hatte. Nicht wenigen Stars war ein Auftritt dort ein Katalysator für ihr Comeback oder den Verkauf ihrer aktuellen Platte gewesen. Es ist bekannt, dass Gottschalk bei der Auswahl der Stars ein Wörtchen mitredet. Donovan gehört zweifellos auch zu seinen Jugendidolen. Primär war aber der Kinostart des Disney-Films für diesen Auftritt ausschlaggebend und der dazugehörige Soundtrack auf CD. Donovan gab zunächst seiner Freude darüber Ausdruck, dass sein Song von 1968 in diesem Animationsfilm Verwendung fand, der ihn auch einem jungen Publikum vorstellte. Er hatte die No Angels zuvor nicht gekannt und war ihnen bei den Aufnahmen in einem Münchner Studio für die neue »Atlantis«-Version zum ersten Mal begegnet. Darüber sprach er mit einer so wohltuend beruhigenden Stimme, dass sich meine anfängliche Nervosität, die sich bis heute bei Begegnungen dieser Art meiner bemächtigt, sofort legte. Sie hätten sich auf Anhieb gut verstanden, die No Angels und er, erläuterte Donovan. Die Neuaufnahme von »Atlantis« fiele zusammen mit den Aufnahmen für sein neues Album, das er im nächsten Jahr auch in Deutschland auf einer Tour vorzustellen hoffe. So füge sich alles wunderbar zusammen. In der Musikbranche nenne man das »N’Sync«. (Alles ist in Harmonie und geht zum Nutzen aller Beteiligten auf. Eine US-Boygroup entlehnte daraus ihren Bandnamen.)

»Das hat ja auch seine Vorteile, wenn diese neue Version eines bekannten Songs von dir eine Zielgruppe anspricht, die jünger ist als deine eigenen Kinder«, wagte ich zu behaupten.

Donovan grinste und antwortete: »In der Tat sind meine zwei englischen Töchter Astrella und Oriole und meine amerikanische Tochter Ione älter als die No Angels und ihr Publikum. Schau mal, Günter, als meine Musik damals herauskam, war das eine sehr ungewöhnliche Sache. Die Beatles und die Stones hatten 1963 begonnen, ich kam 1965. In unserem Publikum waren damals Menschen mit großen Altersunterschieden. Da kamen die Jungen und Mädchen gemeinsam mit ihren Eltern. Vielleicht, weil sie in mir einen Fernsehstar sahen und weniger den Musiker. Ähnlich wie am Samstag bei ›Wetten dass?‹ gab es schon in den sechziger Jahren immer am Freitag bei uns die Fernsehshow ›Ready Steady Go‹ mit den aktuellen Hits der Woche. Da traten neben den neuen Popstars auch die Sängerinnen und Sänger für die Elterngeneration auf. Manchmal war ich drei Wochen nacheinander im Fernsehen. In fast jedem Haushalt gab es Kinder, Teenager, Väter und Mütter. Auf diese Weise lernten alle Altersgruppen meine Musik kennen. Ich empfinde es bis heute als ganz natürlich, dass die Jugend leicht Zugang zu meiner Musik findet. Es passierte erst im vorigen Jahr, dass mein Lied ›Mellow Yellow‹ in einem Werbeclip verwendet wurde. Das läuft dann überall auf der Welt. Da ging vor mir auf der Straße ein vielleicht 13-jähriges Mädchen und pfiff ›Mellow Yellow‹«. Donovan pfiff im Studio den bekannten Refrain zu »Mellow Yellow« und lachte: »Dabei hat sie wahrscheinlich noch nie von mir gehört und kennt nicht einmal meinen Namen, ha, ha.«

Ich erinnerte Donovan daran, dass in den frühen Neunzigern eine neue englische Musikströmung, die Rave Bands, aufkamen, wie die Stone Roses, The Farm oder die Happy Mondays. Mit denen war er sogar auf Tour gewesen.

»Ach ja, die Happy Mondays«, sinnierte Donovan. »Die kamen aus Manchester, wie viele dieser neuen Bands Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre. Und weil die so verrückt waren, nannte man sie Madchester Bands.« (mad engl. für wahnsinnig, verrückt) »Was die an meiner Musik gereizt hatte, war der Sound bei meinem Lied ›Sunshine Superman‹. Sie verwendeten Ideen aus diesem Song in ihren eigenen. Heute nennt man das Sampling. Das passiert mir öfter, dass Elemente meiner alten Songs von jungen Musikern gesampelt werden. Ich fasse das als Kompliment auf.«

Ich wollte noch einmal auf Donovans Aussage zurückkommen, dass es ein Phänomen der sechziger Jahre gewesen sei, Popmusik generationenübergreifend zu erleben. Meine Erinnerung war da eine ganz andere. Sowohl ich als auch meine Klassenkameraden konnten sich die einzige Musiksendung des Deutschen Fernsehens in jener Zeit, den »Beat-Club«, nicht mit ihren Eltern ansehen, ohne bissige Kommentare wie: »Schalt doch diese Negermusik aus« zu erdulden. Lief in einem anderen Programm etwas von Interesse für die Elterngeneration, war ohnehin Schluss mit dem »Beat-Club«. Auch Donovan war damals in den Studios von Radio Bremen mit »Atlantis« aufgetreten.

»Musik im Fernsehen wurde immer mehr toleriert als im Radio«, widersprach Donovan. »Fernsehen war damals ein Medium für die ganze Familie mit nur zwei oder drei Programmen. In meiner Jugend, also Anfang der sechziger Jahre, gab es im Radio fast überhaupt keine Popmusik. Wenn ich das heute jungen Leuten erzähle, fragen die ungläubig, ja warum denn nicht? Die Antwort ist gar nicht so einfach. Ich sage dann immer, dass die BBC und andere Radiostationen ständig kontrollierten, was die Leute hörten. Das war so ein Überbleibsel aus den Kriegsjahren und der Propaganda dieser Zeit. Platten mit Popmusik wurden also nicht gespielt. Da mussten wir mit unseren neuen Liedern schon live im Fernsehen oder in einer Radioshow auftreten. So war das damals. Deshalb sind die sechziger Jahre ja auch als das Jahrzehnt der Veränderungen und des Aufbruchs in die Popgeschichte eingegangen. Wenn wir Popmusik im Radio hören wollten, mussten wir Radio Luxemburg hören. Das war zunächst die einzige Station, die unsere Musik spielte, bis dann die Piratensender aufkamen, die von Schiffen in der Nordsee sendeten. Da kam dann wirklich unsere Musik im Radio. Ich bemühte mich um Fernsehauftritte, weil das Radio meine Songs nicht spielte. Ich erinnere mich auch noch an den ›Beat-Club‹, der so ähnlich funktionierte wie ›Ready Steady Go‹ bei uns in London.«

»Wie kam es eigentlich dazu, dass du immer wieder mit Bob Dylan verglichen wurdest?«

Für einen kurzen Moment zog Donovan ein gequältes Gesicht, setzte dann aber wieder seine freundliche Miene auf und erzählte in entspanntem Plauderton: »Als in Amerika das Folk-Revival zur Blüte gelangte (gemeint sind die Jahre von 1940 bis 1970) mit Pete Seeger oder Peter, Paul & Mary, mit Joan Baez als Königin und Bob Dylan als König, da lernten wir in Großbritannien diese Musik erst kennen und kopierten den Stil der Amerikaner. Da habe ich in den Ohren der Leute für fünf Minuten wie Bob Dylan geklungen und wurde so zu seinem europäischen Äquivalent. Es stimmte ja auch, weil ich genau wie Bob von Woody Guthrie fasziniert war. Ich war damals ein Teil der Jugend- und Protestbewegung, die neue Ideale an die Generation der Nachkriegsjugend weitergeben und auch ein Teil von ihr sein wollte. Insofern war ich eine Weile die Stimme der Bewegung in Europa, die Bob Dylan für Amerika war.«

»Ihr seid euch auch persönlich begegnet, wie man in dem Pennebaker-Film ›Don’t Look Back‹ von 1967 sehen kann.«

»Das hat aber alles schon 1965 stattgefunden. Es fing damit an, dass ich die Sängerin Buffy Sainte-Marie traf, die mich Joan Baez vorstellte. Die war damals mit Bob Dylan befreundet. Ich sagte zu Joan, ich muss Bob kennenlernen. Im Mai 1965 war Bob auf Tour mit seiner ersten Single in den britischen Charts: ›The Times They Are A-Changin’‹. Ich war gleichfalls auf Tour wie Bob und Joan. Sie stellte mich schließlich Bob Dylan in dessen Suite vor, am letzten Drehtag von diesem Pennebaker-Film, der auch der letzte Konzerttag seiner Großbritannien-Tour war. Er wirkte auf mich sehr ruhig, ja introvertiert. Das Zimmer war spärlich beleuchtet. Ich setzte mich also hin und bemerkte weitere vier Personen im Raum. Es war alles sehr still. Dann kam Bob Dylan auf mich zu und fragte, ob ich diese Jungs schon kennen würde. Es waren alle vier Beatles. Im zarten Alter von 19 Jahren machte ich an einem Abend die Bekanntschaft von Bob Dylan und den Beatles. Da hatte ich das Gefühl, jetzt bist du angekommen.«

Donovan schwieg und schaute mich grinsend an. Diesen Moment ließ ich drei Sekunden auch für uns noch einmal stehen.

»Die Beatles und Donovan«, nahm ich den Faden wieder auf, »bringen uns zur transzendentalen Meditation mit dem Maharishi Mahesh Yogi. Das war damals sehr in Mode. Du und die Beatles, ihr wart 1968 beim Maharishi in Indien. Da entstanden viele Beatles-Songs, die wir dann auf dem ›Weißen Album‹ hören konnten.«

»Das war die Zeit, als sich nicht nur die britische und amerikanische Popkultur verbanden, es gab auch die Verbindung der Literatur beider Kulturen. John Lennon las gerade im tibetanischen Totenbuch, ich las das Diamant-Sutra des Buddhismus, George Harrison las Hindu-Klassiker und Werke der indischen Yogis, Pete Townshend (The Who) las Sufi-Texte. All diese philosophischen Quellen hatten schon Eingang in unsere Musik gefunden, bevor wir den Maharishi trafen. Aber als wir ihm dann persönlich begegneten, spürten wir, dass er uns Mantras lehren könnte. Nach all den Pillen und Drogen der Mods, nach all dem Marihuana der Bohemians, nach dem Meskalin und dem LSD der psychedelischen Ära waren wir bereit herauszufinden, was es mit dem Meditieren auf sich hat. Hier hatten wir offensichtlich das Wahre gefunden, von dem wir alle profitieren konnten, nicht zuletzt unsere Musik. Ich habe den ›Hurdy Gurdy Man‹ in Indien geschrieben und die Beatles das ›Weiße Album‹. Da hört man die Einflüsse unserer Zeit in Indien ganz deutlich.«

»Die Beatles brachten aber noch eine andere Erfahrung aus Indien mit. Von Donovan haben sie das Fingerpicking gelernt, eine besondere Technik des Gitarrespielens.«

»Stimmt«, lachte Donovan. »George kannte schon diesen Chet-Atkins-Stil, den viele Country-Musiker in Amerika spielen. Paul schaute mir über die Schulter und versuchte so, mir diese Technik abzuschauen. John war der Einzige, der mich geradeheraus fragte, wie man diese Technik hinbekommt. Ich erklärte ihm, dass dies eine bestimmte Fingertechnik ist, die man auch Clawhammer nennt. Er sagte: Brings mir bei. Ich kannte diese Technik von einem Typen namens Dirty Hue aus England. Ich war damals 16, und ich brauchte drei Tage, um diese Technik hinzukriegen. John Lennon schaffte es in zwei Tagen in Indien. Mit diesem Stil hat er dort zwei sehr schöne Stücke für das ›Weiße Album‹ geschaffen: ›Dear Prudence‹ über Mia Farrows Schwester, die auch dort war, und eines über seine eigene Mutter: ›Julia‹. Man kann diese neuen Ideen und Einflüsse also wirklich hören. George brachte die Sitar aus den umliegenden Dörfern in Indien mit und brachte mir einige Griffe auf diesem komplizierten Saiteninstrument bei. Im Gegenzug lernte er von mir einiges über Folk, was wiederum dem ›Weißen Album‹ zugute kam.«

»Was ist für dich der bleibende Wert jener Tage in Indien? Waren es die Lehren und Lektionen des Maharishi? War es das Gemeinschaftserlebnis mit den anderen Musikern und Freunden oder war es der kreative Einfluss auf eure Musik?«

»Damals schaute die ganze Welt auf eine kleine Schar von Musikern, die daran glaubte, im fernen Osten Inspiration zu finden, die uns allen nützen würde. Wir wollten der Welt nichts anderes mitteilen als die Botschaft von Frieden und Brüderlichkeit unter den Nationen. Als wir nach Indien aufbrachen, folgte uns ein riesiger Medientross aus der ganzen Welt. Wir fanden dort die Erkenntnis, die schon die Astronauten gewonnen hatten: es gibt nur diese eine Atmosphäre, nur einen Wald, einen Ozean und nur eine Erde. Ich habe erkannt, dass diese Botschaft auch Eingang in unsere Songs gefunden hat. Diese Reise nach Indien hat Millionen Menschen inspiriert, selbst zu meditieren. Das sind die bleibenden Werte unserer Indienerfahrung.«

»Sind diese Erfahrungen über die Jahre eine Quelle deines Schaffens als Musiker und Songschreiber geblieben? Ich denke da an dein Album ›Sutras‹ von 1996.« Donovan merkte bei der Nennung dieses Titels lebhaft auf.

»Ja, das war 1996 in Amerika. Der Produzent Rick Rubin gab mir die Möglichkeit, all diese Ideen, die wir eben gerade besprochen haben, einer neuen Generation seiner und meiner Fans vorzustellen: Selbstachtung, innere Einkehr, die Welt als Einheit, das ist es, wovon Sutras handelt. Vor dem Hintergrund ist es auch interessant, wie ›Atlantis‹ jetzt wieder auftaucht. Die Ideen des Songs ›Atlantis‹ von 1968 sind ja relativ klar umrissen in den Schlusszeilen des Liedes: (rezitiert): »And as the elders of our time choose to remain blind / Let us rejoice and let us sing and dance and ring in the new age and hail Atlantis!« (Übers.: Und während es unsere Vorfahren vorziehen, blind zu bleiben, wollen wir jubeln, singen, tanzen und eine neue Zeit einläuten, gepriesen sei Atlantis.)

»Meine Neuaufnahme von ›Atlantis‹ mit den No Angels für eine ganz neue Generation fällt in eine Zeit, da die Welt in eine weitere dunkle Phase von Gewalt und Chaos zu stürzen droht. (Der 11. September war erst wenige Monate her.) Mein Song ›Atlantis‹ symbolisiert das Licht und die Weisheit als den Ausweg aus der Dunkelheit, ebenso wie der Animationsfilm über Atlantis nur ein Kristall ist. Hinter diesem Symbol aber stecken als Lösung unserer Konflikte die Brüderlichkeit und die Verständigung zwischen den Völkern und den Religionen der Erde. Wenn ihr diesen Film anseht, werdet ihr das begreifen.«

»Damals in den Sechzigern war die Welt vielleicht einfacher zu begreifen. Freund und Feind waren erkennbar. Die Völker waren in verfeindete Systeme eingebunden. Der Vietnamkrieg war schlecht, der Frieden gut, und manchmal sah es so aus, als würde alles bald besser werden. Heute unterstützen Rockmusiker den Krieg in Afghanistan. Das ist schwer zu verstehen.«

»Aus philosophischer Sicht werden Konflikte aus Ignoranz und Missverständnissen geboren. Eines dieser Missverständnisse ist die Existenz verschiedener Nationen. John Lennons Lied ›Imagine‹, ich weiß nicht, ob du das weißt, wird zur Zeit in Amerika von einigen Radiostationen nicht gespielt, weil darin nicht die Rede davon ist, dass eine Nation die andere bekämpft, oder deutlicher gesagt, dass kein Krieg stattfinden kann, wenn es keine Länder mehr gibt. Der Frieden, den John Lennon, George Harrison oder auch ich in den Liedern Ende der sechziger Jahre besangen, war ein Frieden der Zukunft. Erst wenn die Widersprüche zwischen den Völkern, Religionen und gesellschaftlichen Klassen beseitigt sind, kann es Frieden geben. Oder wie es der Dalai Lama formuliert, all diese Konflikte sind von Menschen gemacht und können auch nur von Menschen gelöst werden. Das klingt wie eine Utopie oder ein Klischee. Aber es gibt nur eine Welt und nur ein Volk. Wenn du heute Nachrichten hörst, ist das alles eine große Traurigkeit.«

Wieder folgte ein kurzes Schweigen, denn ich musste Donovans philosophischen Exkurs erst einmal verdauen. Bei allem, was er sagte, behielt er seine völlig entspannte und ruhige Erzählweise bei. Keine emotionale Aufwallung war erkennbar. Ob das auch Teil seiner meditativen Erfahrungen sei, wollte ich von ihm wissen. Zu meiner Überraschung begann er mit folgenden Worten:

»Als ich meine ersten Songs einspielte, waren mit mir die Jungs im Studio, die später als Led Zeppelin auch den amerikanischen Markt erobern sollten. Das taten sie aber nicht nur mit harten Rock-Songs, die ihre stilistischen Quellen in Amerika haben, sondern auch mit Liedern voller keltischer und angelsächsischer Folklore. Die Dichter und Poeten jener Epoche vertreten die Ansicht, dass nicht nur in der Musik eine große emotionale Kraft steckt, sondern auch in der Stimme des Vortragenden. Nach dem Glauben der keltischen Vorfahren ist die Stimme in der Lage, den Zuhörer in einen Zustand der Meditation oder Trance zu versetzen, der ihn zur Ruhe kommen lässt. Das ermöglicht besseres Selbstverständnis und natürlich auch Verständnis für die Dinge dieser Welt. Da ist auch Magie mit im Spiel bei dem, was ich tue.«

»Und mir hilft es, meinen Job zu machen«, warf ich ein. Wie bei kaum einem anderen Interview zuvor hatte ich das Gefühl für die Zeit fast völlig verloren. Sonst schaute ich immer mal wieder auf die Uhr, um zu sehen, wie viel Zeit mir noch blieb, das vorgenommene Pensum zu beackern. Das hatte ich im Gespräch mit Donovan kein einziges Mal getan.