Marianne Faithfull – bei einer Ikone im heimischen Wohnzimmer

Paris 2009

Zum Starensemble der sechziger Jahre, hoher Glamourfaktor inklusive, gehört zweifellos die britische Sängerin Marianne Faithfull. Zu Unrecht reduziert sie mancher Chronist auf ihre Rolle als Dauergeliebte von Stones-Boss Mick Jagger. In dem Zusammenhang wird auch oft ihr Satz zitiert, geschlafen habe sie mit allen Stones (außer Charlie), aber geliebt habe sie nur Mick. Davon mag sie heute nicht mehr viel erzählen, weil sie meint, das alles mit ihrer Autobiografie »Marianne Faithfull« abgeschlossen zu haben.

Bekannt sind ihre frühen Erfolge, beginnend mit dem von Mick Jagger und Keith Richards geschriebenen »As Tears Go By«. Es folgten der Totalabsturz am Ende der sechziger Jahre, die Wiederauferstehung mit »The Ballad Of Lucy Jordan« von ihrem großartigen Album »Broken English«, auch das Comeback als Schauspielerin in Filmen wie »Intimacy«, »Marie Antoinette« oder »Irina Palm« und schließlich die Live-Präsenz der großen kleinen Dame auf den Konzertbühnen, wie 2009 bei den Stuttgarter Jazz Open.

Dieses Konzert zu unterstützen war die Aufgabe von SWR, am besten mit einer »Leute«-Sendung im Vorfeld des Termins. Der war im Frühjahr 2009 schwer zu finden, erst war ich im Urlaub und dann Marianne. Aus ihrer französischen Residenz ließ sie verlauten, sie könne ein längeres Interview in ihrer Privatwohnung in Paris anbieten. Bei einem Star dieser Größenordnung war es für mich ein Novum, dass da jemand zum Gespräch in sein Allerheiligstes bat. Natürlich gab es gleich das obligatorische »Oho!« von den Kollegen. Interviews finden gerne auch auf Hotelzimmern statt, aber da ist dann extra ein Zimmer für diesen Zweck angemietet oder ein Konferenzraum gebucht. Selbst in Privathäusern oder Villen der Plattenfirmen trifft man sich meist in einem Geschäftsraum, Büro oder der Lobby. So in der Art erwartete ich auch den Rahmen meines Zusammentreffens mit Marianne Faithfull.

Sie hat eine Wohnung im Pariser Theaterviertel. Von der Plattenfirma hatte ich eine vierstellige Pin mitbekommen, die ich unten an der Haustür eingeben konnte, um sie zu öffnen. Am Ende brauchte ich sie gar nicht, weil just in dem Moment, als ich ins Haus wollte, auch eine Mutter mit Kindern vor der Tür eintraf und diese öffnete. Zuvor hatte ich noch im Café gegenüber eine Pause gemacht, weil ich früher als verabredet eingetroffen war. Erstaunt bemerkte ich eine Vielzahl von Gendarmen an der Straßenecke. Beim Verlassen des Cafés wurde mir dann auch der Grund für die Polizeipräsenz klar. Im Nachbarhaus der Faithfull befand sich die britische Botschaft. Ob das Zufall war?

Selbstverständlich stand nicht ihr Name an der Tür, sondern der ihres Mitbewohners, eines Pariser Fotografen. Der öffnete mir auch die Tür im 3. Stock des alten Mietshauses aus der Gründerzeit. Ich trat in einen Flur, von dem aus auf einer Seite alle Zimmer der Wohnung abgingen. Die andere Seite war eine glatte weiße Wand. »Marianne wird gleich hier sein«, sagte der Mann in englischer Sprache mit französischem Akzent und führte mich in einen Raum, der sowohl als Wohn- wie auch als Arbeitszimmer hätte durchgehen können. Wie bei Künstlern zu erwarten, herrschte nicht die gewohnte bürgerliche Ordnung. Die Bücher im Regal waren nicht geordnet, bildeten keine einheitliche Reihe. Das galt auch für die CDs und Platten. Auf den Tischen lagen aufgeschlagene Bücher. Einen Tisch räumte mir mein Gastgeber frei, so dass ich mein Aufnahmeequipment aufbauen konnte. Auch schloss er die Fenster, damit der Lärm von der Straße nicht störte. Dann ging er und ließ mich allein und so hatte ich Zeit, mich ein wenig umzusehen. Auf dem CD-Player lag eine CD von Tiny Tim.

Ein seltsamer Typ aus den sechziger Jahren, der mit überlangen Haaren, weiß geschminktem Gesicht und einer Ukulele auftrat, wozu er mit sehr heller Stimme sang. »Tiptoe Through The Tulips« war sein einziger Hit.

Auf einem Tisch unterm Fenster war ein Fotoband aufgeschlagen. Offenbar ein Buch des hier mit Marianne wohnenden Fotografen. Ein Schwarz-Weiß-Porträt von Marianne Faithfull. Sie im reifen Alter mit wallenden Kleidern an einen Baum gelehnt. Ich blätterte um. Wieder eine Person mit Baum: Helmut Kohl. Ich pfiff leise anerkennend vor mich hin. Der Altkanzler war bekanntlich in der Wahl der Journalisten und Reporter, die er an sich heranließ, sehr wählerisch. Mein Gastgeber musste in seiner Branche eine richtig gute Nummer sein.

Es wurde lebendig auf dem Flur. Eine Tür ging, ich vernahm Schritte, und da kam sie herein, die berühmte Marianne Faithfull, leicht gebeugt, im langen Kleid, lächelte sie mich an und sagte: »Hello, Günter«. Dann hustete sie leicht, ging zum Fenster und öffnete es. Ich sah es mit enttäuschtem Blick, denn der Straßenverkehr war nicht zu überhören. Aber das konnte ich ja in der Sendung erklären, ein Vormittag in Paris bei Marianne Faithfull. Die lebt eben nicht am Stadtrand, sondern in der City, da wo das Leben brummt und die Theater sind.

Da hatte ich auch gleich mein Thema. Wie lange sie denn schon hier wohne, wollte ich von ihr wissen. Marianne hatte mir einen Stuhl angeboten und nahm mir gegenüber am Tisch Platz. Ihre klaren Augen wurden von einem Gesicht gefasst, das eine gewisse Müdigkeit ausstrahlte. Dazu passte die kratzige Stimme, eine Folge jahrelangen Konsums von Alkohol und Zigaretten. Aber sie blickte freundlich drein und ich hatte das Gefühl, ich wäre zu Besuch bei meiner Tante, die viel aus ihrem 62-jährigen Leben erzählen konnte.

»Ich wohne seit sechs Jahren in Paris«, begann Marianne. »Aber ich lebe auch viel in Irland und zahle meine Steuern dort. Ich wohne gerne in Paris und habe hier auch das gefunden, was ich gesucht habe. Ich wollte Anonymität und Privatsphäre, und beides habe ich hier bekommen.«

»Sie wohnen hier ja auch sehr zentral, Oper, Theater, Verkehrsanbindung, Shopping usw.«

»Ich liebe all das. Ich gehe oft ins Ballett und in die Oper oder ins Theater. Ich lebe eben mein Leben.«

»Darum beneide ich Sie, leider spreche ich kein Französisch und ohne das geht es schwer in Paris, oder?«

»Die meisten, die ich kenne, sprechen Englisch. Manch einer mag nicht Englisch sprechen, aber dann reicht auch mein Französisch.«

»Ist es ein Zufall, dass Sie neben der britischen Botschaft wohnen?«

»Absoluter Zufall.«

»Sie sprachen von Irland als Ihrem Hauptwohnsitz. Welche Funktion hat Ihre Pariser Residenz?«

»Im Moment ist es meine Basis für die Tour. Ich genieße die letzten freien Tage. Die Tour beginnt am 3. Juli.«

Das war der Moment, auch ihr aktuelles Album ins Spiel zu bringen, denn ich wusste, dass dies neben dem Stuttgarter Konzert einer der wichtigsten Gründe war, weshalb sie mich zu sich eingeladen hatte. Die CD hatte den Titel »Easy Come Easy Go. 18 Songs For Music Lovers«. Lieder von Duke Ellington, Dolly Parton und anderen Größen. In einem Lied ist dann sogar der alte Kumpel Keith Richards mit dabei: »Sing Me Back Home«.

»Ich mochte dieses Lied schon in den Sechzigern, als Keith und Gram Parsons den Song gemeinsam sangen«, erklärte mir Marianne. »Das Original kannte ich gar nicht. Außerdem liebe ich solche Gefängnislieder. Davon gibt es gleich zwei auf meinem Album ›Sing Me Back Home‹ und ›Kimbie‹.«

»Wie sind Sie zu diesem Song gekommen?«

»Ich war damals dabei, als Keith und Gram Parsons das Lied sangen. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, wer Gram Parsons ist. Da habe ich das Lied aufgeschnappt. Man kann nicht sagen, die hätten es mir beigebracht. Die sangen das eben. Und ich fand es wunderbar.«

Gram Parsons war ein Musiker aus Florida, der vor allem in der Country-Szene einen guten Namen hatte. Als die Byrds ihr »Sweetheart Of The Rodeo« aufnahmen, galt dieses Album als bahnbrechend für den Country-Rock. Es war vor allem durch Gram Parsons’ Keyboard- und Gitarrenspiel geprägt. Er war mit Keith Richards befreundet, der viel von ihm über Country-Musik und Drogen lernte. Parsons verstarb unter nie ganz geklärten Umständen, sehr wahrscheinlich waren Drogen im Spiel, 1973, im Alter von 26 Jahren.

»War die Begegnung mit Keith Richards wie ein Klassentreffen?«, wollte ich von Marianne Faithfull wissen.

»Nein. Wir sehen uns öfter, so von Zeit zu Zeit. Wir haben uns nie aus den Augen verloren. Aber es ist schon immer ein emotionaler Kick, wenn wir uns treffen.«

»Für die Aufnahmen haben Sie sich für ein ganz bestimmtes Studio in New York entschieden.«

»Ja, Sear Sound. Das ist ein Studio für Handarbeit. Da haben schon John Lennon und Yoko Ono aufgenommen. Da gibt es nur analoge Technik, nichts Digitales. Ich mag das, weil ich so mein Handwerk gelernt habe. Das lief alles ganz wunderbar, ich weiß selbst nicht warum. Einer dieser wunderbaren Momente, die gelegentlich passieren.«

»Unter den Studiomusikern sind viele Koryphäen und ein prominenter Name: Sean Ono Lennon, der Sohn von John und Yoko.«

»Ich finde, er ist ein sehr guter Musiker. Eben deshalb ist er dabei. Der Produzent Hal empfahl ihn, weil unser eigentlicher Gitarrist nicht da war. Ich kenne Sean sehr gut. Er ist wirklich ein brillanter Musiker.«

Im weiteren Verlauf des Gespräches kamen wir auf die Anfänge von Mariannes Karriere als Sängerin. Sie sei auch jetzt noch froh über die Entscheidung, die Schule abgebrochen zu haben und Künstlerin zu werden. Sie habe von Schauspiel bis Gesang eine Bandbreite bedienen können, die ein Leben von der Kunst im Swinging London der sechziger Jahre möglich machte.

Es ist bekannt, dass Mick Jagger 1964 einen ersten plumpen Annäherungsversuch bei Marianne machte, der mit einer Ohrfeige endete. Jagger änderte seine Taktik und bot ihr einen Song an, von dem er meinte, dass er gut zu ihrer engelsgleichen Art passte: »As Tears Go By«.

Das war eine der ersten Jagger/Richards-Kompositionen, die entstanden war, nachdem Stones-Manager Oldham Mick und Keith in der Küche eingeschlossen hatte und sie erst wieder rauslassen wollte, wenn sie ihm einen eigenen Song brächten. Doch das war dann eine Ballade und gar nicht Stones-typisch. Die Band nahm »As Tears Go By« erst 1965 auf, längst nachdem Marianne Faithfull mit ihrer Version schon in den Top 10 gewesen war. Da allerdings mussten sich die Stones den Vorwurf anhören, sie hätten versucht, mit einer Ballade den Beatles nachzueifern, deren »Yesterday« gleichfalls mit Streichern unterlegt war.

Beide Stücke waren 1964 unabhängig voneinander entstanden. Doch die Erstveröffentlichung von »As Tears Go By« passierte auf einer Single mit der Stimme von Marianne Faithfull. Auch später sollte sie noch musikalisch mit den Stones verbunden sein.

»Es heißt, dass Sie bei dem Song ›Sister Morphine‹ für das Stones-Album ›Sticky Fingers‹ mitgeschrieben haben?«, fragte ich nach.

»Das ist nicht bloß so ein Gerücht. Ich habe den Text geschrieben und kriege auch meine Tantiemen dafür.«

»Ich frage nur, weil auf meiner Ausgabe von ›Sticky Fingers‹ nur Jagger/Richards steht.«

»Und auf meiner steht Jagger/Richards – Faithfull«, fauchte sie zurück und ich bemerkte, wie die Stimmung zu kippen begann.

»Haben Sie bei ›Sister Morphine‹ Ihre eigenen Erfahrungen verarbeitet?«

In dem Song geht es um einen Junkie, der auf der Straße liegend den Ambulanzwagen kommen hört und nach einer Morphiumspritze verlangt. Ursprünglich wurden tatsächlich nur Jagger und Richards als Komponisten angegeben.

»Ich weiß nicht, ob das meine eigenen Erfahrungen sind. Es geht um einen Mann, der einen Autounfall hatte auf dem Weg ins Krankenhaus. Das habe nicht ich erlebt.«

»Viele glauben, das ist ein Drogensong, wegen morphine.« »Ich fand, die Worte sister und morphine klingen gut zusammen und schaffen ein kraftvolles Bild. Ich habe die Nonnen meiner Klosterschule immer Schwester genannt. Das klingt gut, finde ich.«

»Auf demselben Album befindet sich der Song ›Wild Horses‹. Der wurde für Sie geschrieben?«

Marianne machte eine abwehrende Handbewegung. »Ich spreche nicht gern darüber. Da geht es um meinen Selbstmordversuch in Australien. Mick schrieb das Stück, als ich im Koma lag. Es sollte mich zurückbringen. Und das tat es ja auch.«

Verständlich, dass Menschen über die schlimmsten Phasen ihres Lebens nicht reden wollen. Dennoch wurde ich den Eindruck nicht los, dass Marianne das Kapitel Mick Jagger und die Rolling Stones keinesfalls aus ihrem Leben verbannt hatte. Denn genau über ihr hing eine Auszeichnung der Musikindustrie für den erfolgreichen Verkauf der CD, Videokassette und DVD vom »Rolling Stones Rock And Roll Circus«. Diese Show mit den Stones und vielen anderen Künstlern war als Fernsehsendung konzipiert und im Jahre 1968 aufgezeichnet worden.

In einem Zirkuszelt mit Mick Jagger als Direktor traten neben Jongleuren, Clowns und Feuerschluckern einige der angesagtesten Bands jener Zeit auf. The Who in Höchstform, Jethro Tull, noch ganz frisch, Taj Mahal und The Dirty Mac, eine Band, nur für diese Show zusammengestellt, mit Eric Clapton, Keith Richards, John Lennon, Yoko Ono und am Schlagzeug Mitch Mitchell von der Jimi Hendrix Experience. Marianne Faithfull hatte ihren Auftritt und sang »Something Better«, angesagt von Charlie Watts. Mick Jagger hatte seinerzeit nur ins Schlafzimmer rufen müssen, um sie für seine Show zu engagieren. Marianne, noch nicht ganz 22 Jahre alt, sitzt mit langem blondem Haar und einem festlichen roten Kleid einsam mitten in der Manege und singt mit traurigem Blick. Eine Augen- und Ohrenweide. Zum Schluss dann die Rolling Stones mit vier Songs. »Salt Of The Earth« ist das große Finale. Aber Mick Jagger war unzufrieden mit dem Auftritt der Band, die gegen The Who und Jethro Tull recht müde wirkte.

Die Bänder blieben bis 1995 unter Verschluss. Erst dann kam die Show als CD bzw. Video auf den Markt. Marianne hat die Auszeichnung, eine Art Goldene Schallplatte in Form eines Zirkuszeltes mit ihr und den Stones auf dem Coverfoto, gut sichtbar ins Regal gestellt. So viel zum Thema: »Ich habe mit diesem Kapitel abgeschlossen.«

Marianne Faithfull hatte während ihrer schweren Drogenabhängigkeit zeitweise auf der Straße gelebt. 1979 kam sie als Sängerin und Schauspielerin zurück. Tatsächlich 33 Jahre alt, schien sie doch um einiges mehr gealtert zu sein. Die dunkle Stimme wurde ihr neues Markenzeichen und duch das Album »Broken English« hervorragend eingeführt. Konzept und Soundvorstellungen dieses Albums kamen von Marianne, ein guter Produzent und erstklassige Musiker rundeten die Produktion ab.

»Worum geht es in ›Broken English‹?«

»Ich habe da nur ein paar Fakten aus der Zeitung verwendet und was ich in einem Buch gelesen hatte, ›Hitlers Kinder‹ hieß das. Sehr sensationsgeil geschrieben, aber interessant. Und dann habe ich noch mit Leuten gesprochen. In dem Lied geht es speziell um Ulrike Meinhof. Eine außergewöhnliche Figur. So bedrückend in ihrem deutschen Protestantismus.«

»Protestiert haben Sie ja damals auch.«

»Aber nur ein bisschen. Ich erinnere mich auch kaum noch daran. Vom Establishment war ich enttäuscht. Ich dachte, die wären zuständig für Freiheit und Gerechtigkeit, aber das war ein Irrtum. Ich glaube diese Erkenntnis gehört zum Erwachsenwerden.«

»Die Elterngeneration war ja auch sehr konservativ damals.«

»Meine Eltern nicht. Die waren in gewisser Weise sogar progressiv, aber das war wohl die Ausnahme.«

»Ist England eigentlich noch ihr Heimatland?«

»Schon, aber ich lebe seit 25 Jahren nicht mehr dort. Ich lebe in Irland und hier in Paris. Ich fahre aber oft nach England, weil ich meine Familie und Freunde dort habe, die ich sehr liebe. Aber ich möchte dort nicht wohnen.«

»Warum nicht?«

»Weil es besser für mich ist. Das ist eben eine Frage des Geschmacks.«

»Beobachten Sie das politische Leben in England?«

»Ich lese den Guardian. Mich überrascht es nicht, was dort gerade passiert. Es ist ja allgemein bekannt, dass die Politiker in England korrupt sind.«

»Gefallen Ihnen Nicolas Sarkozy und Carla Bruni besser?«

»Die finde ich wunderbar, einfach großartig.«

»Der französische Premier und die italienische Künstlerin.«

»Ich weiß, dass sie Italienerin ist, sie wirkt aber sehr französisch.«

»Wenn Sie auf Ihr Leben als Künstlerin zurückblicken und das Business von jetzt mit dem der sechziger Jahre vergleichen, welche Unterschiede sehen Sie da?«

»Für mich persönlich ist es mit den Jahren immer besser geworden. Die Sechziger waren für mich eine eher primitive Phase, weil ich über meine Arbeit als Künstlerin keine Entscheidungsgewalt hatte. Die habe ich jetzt, und das ist viel besser als damals.«

»Wir freuen uns jedenfalls, dass Sie wieder zu uns nach Deutschland kommen. Geht es Ihnen denn umgekehrt genau so?«

»Seit ich Teenager war, bin ich immer wieder gern nach Deutschland gekommen. Ich mag das Publikum. Hier weiß man viel über Musik. Und das weiß ich zu schätzen.«

»Haben Sie besondere Vorlieben was die deutsche Küche angeht?«

»Meine Mutter kochte gerne deutsche Gerichte wie Knödel, und ich mochte das sehr.«

»Wie viel von einer Österreicherin ist denn in Ihnen?« (Mariannes Mutter hatte berühmte österreichische Vorfahren, wie Leopold von Sacher-Masoch, einen in seiner Zeit sehr populären Schriftsteller.)

»So viel ist das nicht. Aber ich fühle mich immer sehr wohl in Wien und Österreich.«

»Warum sind Sie dann nicht nach Wien gezogen?«

»Das wäre mir ein bisschen zu klein. In einer richtigen großen Metropole bin ich glücklicher.«

Zum Schluss des Gespräches, das nun wieder sehr harmonisch verlief, fragte ich Marianne Faithfull, wie sie ihre Krebserkrankung bewältigt habe. Nicht zuletzt deshalb, weil wir in wenigen Tagen bei SWR 1 einen Gesundheitstag zum Thema Krebs machen wollten. Der zuständigen Redaktion war auch an prominenten Stimmen gelegen, die sich aus eigener Erfahrung zum Thema äußerten. Ich sagte ihr auch, dass ich verstehen würde, wenn sie nicht darüber sprechen wolle. Doch sie fand es ganz natürlich, dass man sich bei ihr danach erkundigte.

»Ich hatte Glück, dass der Brustkrebs bei mir sehr früh entdeckt wurde. Es kam zur Operation, die verlief gut, und nun bin ich wieder gesund. Ich muß einmal im Jahr zur Kontrolle und damit hat es sich.«

»Und es gibt auch keine Ängste mehr?«

»Wo ist das Problem? Wenn der Krebs zurückkommt, dann kommt er. Aber ich glaube, das passiert nicht.«

»Glauben Sie an Gott?«

»Ich glaube nicht an Gott. Ich glaube an die Allmacht des Lebens, das schließt Menschlichkeit und Gesundheit mit ein, die Liebe, die Wahrheit und die Schönheit im Leben.«

Ich fand, das war ein gutes Schlusswort und bedankte mich bei Marianne Faithfull für ihre Gastfreundschaft und ihre Geduld. Sie lächelte, wünschte mir eine gute Heimreise und ging. Wieder war ich allein im Allerheiligsten der Faithfull. Ich packte also meinen Kram zusammen und suchte den Ausgang. In der Küche stand der Mitbewohner und telefonierte. Durch Handzeichen, Mimik und Gestik gab ich ihm zu verstehen, dass ich jetzt gehen und den Ausgang auch selbst finden würde. Er winkte kurz zurück, unterbrach sein Gespräch aber keine Sekunde. Wenige Augenblicke später stand ich auf der Straße. Ich beschloss, nicht gleich den nächsten Zug zu nehmen und stattdessen noch ein bisschen Pariser Luft zu atmen.