Mike Oldfield – Klangzauberer und Multiinstrumentalist

Köln 2006

Rockstars sind charismatische Leute mit starkem Hang zur Selbstdarstellung oder doch zumindest mit einem ausgeprägten Sendungs- und Selbstbewusstsein. Ein Klassiker ist der Dialog zwischen John Lennon und Elvis beim Treffen der Giganten während einer US-Tour der Fab Four in Elvis’ Hauptquartier. Nach anfänglich betretenem Schweigen improvisierte Elvis ein paar Standards auf einer Bassgitarre und Lennon sagte, das muss doch für dich oft schwierig sein, immer als einziger Frontmann allein auf der Bühne. Wir haben es da besser und sind wenigstens zu viert.

Wenn du solche Ängste hast, dann bist du in diesem Geschäft völlig falsch, soll Elvis geantwortet haben. In der Tat ist Scheu vor Menschen für einen Bühnenstar nicht sehr förderlich. Rod Stewart soll, als er noch Sänger bei Jeff Beck war, sogar mit dem Rücken zum Publikum gestanden haben, so schüchtern war er.

Einer, der diese Ängste kennt und deshalb nie auf Tour gehen wollte, um seine Musik einem Konzertpublikum zu präsentieren, ist Mike Oldfield.

Der englische Multiinstrumentalist ( Jahrgang 1953) wurde 1973 mit seinem Plattendebüt »Tubular Bells« rasch international bekannt. Das fast ausschließlich instrumentale Werk hat sinfonischen Charakter und nimmt mit seinen zwei Teilen jeweils eine ganze LP-Seite ein. »Tubular Bells« gilt als Impulsgeber für das Genre »Progressive Rock« und erschien als erstes Album des damals neuen Labels Virgin Records. Eigner war der heutige Milliardär und Abenteurer Richard Branson, der mit Mike Oldfield nach dessen Aussage seine erste Million machte. Oldfield spielte fast alle Instrumente (etwa 20 an der Zahl) selbst, galt als introvertierter Künstler und hatte niemals vor, mit seiner auf Platte konservierten Musik auf Tournee zu gehen. Bei frühen Aufführungen blieb er unauffällig als Gitarrist eines Ensembles im Hintergrund. Fünf Jahre hielt sich das Album in den britischen Charts und gilt bis heute als eines der erfolgreichsten Debüts aller Zeiten.

In der Folge komponierte Oldfield weitere konzeptionelle Werke wie »Hergest Ridge«, das »Tubular Bells« an der Spitze der Charts ablöste, und »Ommadawn«. Kritiker bezeichnen »Hergest Ridge« als ausgewogenstes Werk von Oldfield, doch für die Welt wird er immer zuerst mit »Tubular Bells« in Verbindung gebracht, das auch alljährlich in die SWR 1-»Hitparade« gewählt wird. Im Laufe der Jahrzehnte interpretierte Oldfield dieses Werk immer wieder neu. Das Original bleibt indessen unerreicht, wohl auch, weil es für eine Zeit steht, deren Geist gleichfalls nicht wiederholbar ist und nur in der Erinnerung existiert, wodurch diese immer glorioser wird. Schöner und vollkommener, als sie in Wirklichkeit war. Das ist wohl auch ein Grund, warum die Musik aus unseren Jugendtagen einen so bleibenden Zauber auf uns ausübt. Sie ist so jung, so optimistisch, wie wir es damals auch waren, neugierig auf die Dinge, die das Leben für uns bereithielt, das keine Grenzen zu kennen schien. Auch die politischen Grenzen schienen nicht für die Ewigkeit gemacht, weil sich ja alles andere, wie wir selber, in einem ständigen Wandel befand. Wohl auch deshalb wurde diese neue Musik von Mike Oldfield, die offenbar keinem bisherigen Muster gehorchte, so begeistert aufgenommen. Aber hat mal jemand heute wieder »Tubular Bells« von Anfang bis Ende gehört, wirklich ganz und ohne Unterbrechung? Dann: herzlichen Glückwunsch.

Wie auch immer, die Organisatoren der Night Of The Proms waren 2005 auf Mike Oldfield gekommen, weil dessen Musik so gut zum Konzept »Pop Meets Classic« zu passen schien. Der kreative Kern vom Orchestral Manœuvres In The Dark (OMD), nämlich Paul Humphreys und Andrew McCluskey aus Liverpool, war mit dabei und Ike Turner, Tinas grantiger Ex, war auch mit an Bord. Aber der hatte mit seinem aktuellen Album »Risin’ With The Blues« gerade ein Grammynominiertes Album am Markt, das diese höchste Auszeichnung der Musikindustrie im Februar 2007 auch bekam, in der Kategorie »Best Traditional Blues Album«. Fast genau ein Jahr nach unserem Treffen im Dezember 2006 starb Ike Turner in seiner kalifornischen Heimat, offiziell an einem Lungenemphysem.

Mit Paul und Andy von OMD, Mike Oldfield und Ike Turner war ich in Köln verabredet. Die ganze Crew hatte zwischen den Konzerten einen Tag frei. Am Kölner Hauptbahnhof angekommen, geht man über die Eisenbahnbrücke und steht schon vor dem Hotel. Da sah ich dann gerade Dirk Hohmeyer, den Organisator der Night Of The Proms, seine Golfschläger in den Kofferraum eines großen BMW verfrachten, begleitet von John Miles, dem Leiter der Electric Band und Sänger des großen Hits »Music«. Der war also schon mal weg und nicht mehr zu haben.

Nach einem lockeren und lustigen Gespräch mit Paul und Andy von OMD in einem eigens für meine Interviews vorbereiteten Konferenzraum kam schließlich Mike Oldfield in Jogging-Anzug und Turnschuhen daher, die Hände in den Taschen. Er konnte es nicht fassen, dass ich mir für ihn, die Hauptperson, mehr als eine halbe Stunde erbeten hatte. Da gäbe es doch andere in der Show, die wichtiger seien als er, wandte Oldfield ein. Auch könne er sich gar nicht vorstellen, was wir über eine so lange Zeit miteinander zu reden hätten. In die kurze Pause drangen die in den Hotelfluren abgespielten Weihnachtslieder. Sehr stimmungsvoll.

Wir grinsten und ich stieg mit der ersten Frage ins Gespräch ein.

»Guten Morgen, Mike Oldfield, wie geht es Ihnen?«

»Ich habe den Morgen genossen und Zeitung gelesen.«

»Gute oder schlechte Nachrichten?«

»So wie immer, fast nur schlechte Nachrichten.«

»Wie ist es, nach so langer Zeit wieder mal live zu spielen?«

»Das mit der Night Of The Proms war mal was ganz anderes. Sonst bin ich der Boss und der einzige Künstler. Bei der Night Of The Proms sind es viele Künstler. Das ist viel entspannter als sonst, weil ich mir keine Sorgen um Budgets, Gagen und Bühnentechnik machen muss. Ich geh da nur auf die Bühne und spiele Gitarre. Die Leute sind gut drauf. Man ist in großen Hallen, damit bin ich sehr zufrieden.«

»Wie viel Mike Oldfield gibt es denn zu sehen bei der Night Of The Proms?«

»Die Night Of The Proms präsentiert immer nur die Hits. Wir spielen also ›Tubular Bells‹ und ›Ommadawn‹ in Kurzversionen. Die gibt es im ersten Teil. Im zweiten Teil kurz vor dem Finale dann ›Moonlight Shadow‹, ›To France‹ und ›Shadow On The Wall‹«.

»Wie funktioniert ›Shadow On The Wall‹ ohne Roger Chapman?«

»Als John Miles ›Shadow On The Wall‹ anstimmte, war ich völlig überrascht. Der ist ein sehr vielseitiger Künstler. Seine Stimme ist für diesen Song wie geschaffen, sehr kraftvoll eben. Die Song-Lyrik tut ein Übriges. Da kann man ja gar nicht anders, als die Worte mit voller Energie herauszuschleudern. Das klappt schon.«

»Mussten Sie für diese Auftritte bei der Night Of The Proms Kompromisse machen?«

»Ich traf ja eine eingespielte Maschinerie, die das schon seit Jahren macht. Das Erste, worum sie mich baten, war, mich mit dem Arrangeur in Antwerpen zu treffen. Da spricht man dann ab, was geht und was verändert werden muss, und er bringt den Song in eine Demo-Form, die er mir als mp3-Datei zuschickt. Dann telefonieren wir wieder, und ich sage ihm, was okay ist und woran man noch arbeiten muss. Nach ein paar Tagen steht dann das Grundgerüst. Statt Gitarren werden nun Violinen eingesetzt. Großartig finde ich, dass ein Chor statt einiger weniger Backgroundsänger singt. 50 Leute ergeben einen satten Chorklang.

Von Kompromissen kann man da nicht reden. Ich wünschte, ich hätte immer Zugriff auf solch einen Chor und ein Orchester dieser Qualität.«

»Ergaben sich neue Impulse für Ihre weitere Arbeit?«

»Ein Grund, warum ich dieses Angebot angenommen hatte, war die Chance, in der Welt herumzukommen und zu sehen, was gerade so läuft, denn ich führe sonst ein sehr zurückgezogenes Leben auf dem Lande. Da habe ich außer den Nachrichten im Fernsehen wenig Kontakt zur übrigen Welt. Ich erhoffte mir tatsächlich ein paar Anregungen für neue Kompositionen und Ideen. Was ganz Neues wäre ein komplett orchestriertes Gitarrenkonzert oder eine Mischung aus klassischem Orchester und Rockinstrumenten.«

»Hat Sie der Jubel der Massen nicht inspiriert, jetzt gleich weiterzumachen?«

»Wie ich schon sagte, werde ich mit den Ideen, die ich mit nach Hause genommen habe, im nächsten oder übernächsten Jahr zurückkommen.«

»Es soll ja auch ein neues Buch von Mike Oldfield geben?«

»Ja, das ist schon fertig. Es ist meine Lebensbeschreibung von Geburt an mit Konzentration auf die Zeit, als ›Tubular Bells‹ entstand. Das war das Bedeutendste in meinem bisherigen Leben. Es geht um die psychologischen Probleme, die ich in dieser Zeit hatte, und wie ich versuchte, die in den Griff zu kriegen. Mit Therapien und Seminaren. Zum Beispiel mit E.S.T. Manche glauben, das hätte was mit Scientology zu tun, aber das stimmt nicht. Mir jedenfalls hat es sehr geholfen. Ich blicke mit den Erfahrungen der Gegenwart auf die Zeit von 1973 zurück, um alles besser zu verstehen. Auch meine Vorstellungen von Leben, Tod und Spiritualität spielen da eine Rolle. Mir hat es Spaß gemacht, an diesem Buch zu arbeiten, das in England im Mai bei Virgin Books erschienen ist. Ich hoffe, es gibt bald eine deutsche Ausgabe.«

»Jetzt sind zwei Worte gefallen, die auf immer mit Oldfield verbunden sind: Virgin und Tubular Bells.«

»Drei Worte!«

»Wie kam die Idee für ›Tubular Bells‹ zustande?«

»Das kam nicht auf einmal. Das war die Summe von vielen Ideen aus mehreren Jahren. Das fing an mit der ersten Gitarre, als ich sieben oder acht Jahre alt war. Also ein Prozess von rund zehn oder zwölf Jahren. Dann die Zusammenarbeit mit anderen Musikern. Ich gehörte zur Band beim Musical ›Hair‹ in London. Alles, was ich lernte, floss ein in ›Tubular Bells‹.

Es gab also nicht den berühmten Tag, an dem ich mir vornahm: Heute schreibe ich ›Tubular Bells‹. Das war eine Art Evolution.«

»Und wann kam der Moment, als alles fertig war?«

»Als das Album fertig war.«

»Was wurde aus dem Rest des Materials?«

»Da blieb nicht viel übrig. Als das Album fertig war, kam es auch gleich raus. Die Aufnahmen dauerten bis März oder April. Im Mai war die Veröffentlichung. Aber bis zur Anerkennung hat es noch ein Jahr gedauert. Viele denken, der Erfolg kam über Nacht. Aber es gab keine Werbung oder Vermarktung, nur die Mund-zu-Mund-Propaganda. Immer von einem zum anderen, bis es ganz viele Menschen kannten.«

»Wie kamen Sie zu Ihrer Plattenfirma, zu Virgin Records?«

»Ich schickte Demo-Bänder an alle möglichen Plattenfirmen. Es gab nur Ablehnungen, weil da kein Gesang war, nicht mal ein Schlagzeug. Zu der Zeit baute sich Richard Branson gerade ein Studio in Shipton-on-Cherwell, Oxfordshire. Ich hatte da einen Job als Bassist in einer Band. Wir machten dort unsere Proben. Den Toningenieuren spielte ich meine Bänder vor. Etwa ein Jahr später gründete Richard seine Plattenfirma und brauchte eine erste Veröffentlichung. Da bekam ich meine Chance und nahm ›Tubular Bells‹ in den Manor Studios auf.«

»Das war dann das erste Album für Virgin Records.«

»Ich weiß sogar noch die Katalognummer: V 001.«

»Trotzdem gab es bald Probleme …«

»Ja, die gab es. Wir waren ja beide gemeinsam an den Start gegangen. Richard hatte immer das, was man Charisma nennt. Eine positive Ausstrahlung und die Gabe, talentierte Leute zu finden, die er für seine Projekte einspannen konnte. ›Tubular Bells‹ war nur der erste kommerzielle Erfolg für seine Firma. Aber er findet immer wieder neue Leute, die für ihn Erfolg haben. So ist er eben.«

»Welche Probleme gab es nach ›Tubular Bells‹?«

»Ich gehöre nicht zu den Musikern, die gerne im Rampenlicht stehen. Lieber bin ich im Hintergrund wie die alten Blues-Musiker, die aus dem Dunkel spielten. Ich fühle mich eher als Mittler und nicht als der Schöpfer der Musik. Nicht ich bin es, der die Aufmerksamkeit verdient, sondern die Musik ist es. Ich war schon immer ein Außenseiter, nicht weil ich schüchtern bin, sondern weil ich meine Privatsphäre brauche. Ich hatte auch psychische Probleme wie Angstzustände und Panikattacken. Das führte zeitweise zu Alkoholproblemen.

Und plötzlich, nach dem Erfolg von ›Tubular Bells‹, war ich ein gefragter Mann. Das Telefon stand nicht mehr still. Ich wollte aber in meinem kleinen Haus auf einem Hügel in Wales bleiben. Da gab es nur ein paar Schafe. Das machte viele Leute ziemlich sauer auf mich.«

»Und der Name dieses Ortes war …?«

»Wales, Kington, nahe Hergest Ridge.«

»Das war dann auch der Titel des nächsten Albums: ›Hergest Ridge‹. Wieder ein Erfolg. Aber als Künstler will man ja auch erfolgreich sein.«

»Ich nicht. Ich wollte das perfekte Stück Musik machen. Ich brauchte die Musik für meine Gesundheit, sie war Leben für mich und nicht einfach ein Job. Musik war meine Welt, meine Wirklichkeit.«

»Wie kam es dann zu Konzerten mit Ihnen, wenn Sie doch lieber daheim in Wales geblieben wären?«

»Die haben mich gezwungen.«

»Das war dann in London 1973.«

»Ich wollte das schon deshalb nicht, weil ich an den Erfolg eines Konzertes nicht glaubte. Ich hasste die Idee, das zu tun. Richard Branson fragte, was können wir tun, um dich zu überzeugen? Ich mochte schon immer Richards Auto, einen schönen Bentley. Ich selbst fuhr nur einen kleinen 17 Jahre alten Mini, den ich mal für 40 Pfund gekauft hatte. Wenn du mir deinen Bentley gibst, denke ich noch mal drüber nach, sagte ich ihm. Er gehört dir, sagte er, aber erst nach dem Konzert. So bekam ich seinen Bentley. Aber wenn ich da auf den Boden trat, ging gleich der Fuß durchs Blech, so alt war der. Das war ein schlechter Deal für mich.«

»Wollten Sie schon immer Musiker werden?«

»Mein Kindertraum war es immer, Pilot zu werden. Ich habe viele Modellflugzeuge gebaut, die sogar richtig geflogen sind. Aber ab dem Alter von 12, 13 Jahren stellten sich die Probleme ein: Drogen, Probleme in der Familie, speziell mit meiner Mutter. Es kam zum völligen Bruch mit der Familie. Ich fand dann Zugang zur Welt der Musik. Meiner Schwester Sally habe ich zu verdanken, dass sie mein musikalisches Talent in professionelle Bahnen lenkte.

Sie war schon in diversen Folk-Clubs aufgetreten und hatte bei Plattenfirmen vorgespielt. Damals versandte man noch keine Demo-Tapes, man spielte vor. Sally nahm mich also mit. Wir spielten Folkmusik bei einer Firma namens Transatlantic Records vor und bekamen einen Vertrag. Das war der Beginn meiner Profikarriere. Da war ich 15.«

»Pilot sind Sie nicht geworden. Aber Sie haben eine Fluglizenz?«

»Einige Jahre nach ›Tubular Bells‹ besuchte ich Seminare zur Selbstfindung und Stärkung des Selbstbewusstseins. Das sollte auch meine Ängste kurieren. Mein größtes Problem war, dass diese Panikattacken und Ängste über mich kamen. Es stellte sich heraus, dass die Lösung des Problems in meiner komplizierten Geburt lag. Ich musste mich also meinen Ängsten stellen. So meldete ich mich an und machte meine Fluglizenz. Sechs Monate später hatte ich eine und flog mit einem kleinen Flugzeug durch die Gegend. Danach machte ich noch meinen Schein für Hubschrauber.«

»Und was für eine Therapie war das?«

»Das ist mit ein paar Worten nicht so leicht zu beschreiben, aber man kann das in meinem Buch nachlesen. Es geht im Grunde um die Überwindung selbst auferlegter Beschränkungen, derer wir uns nicht immer bewusst sind, weil sie tief in unserem Inneren stecken, da aber eigentlich nicht hingehören. Wir alle haben unsere Schwächen. Wir wollen geliebt und nicht gehasst werden. Wir fürchten, nicht akzeptiert zu werden. Diese Therapie befreit von den Ängsten.«

Mike Oldfield hat als Musiker seinen unbestrittenen Platz im Rock-Olymp. Aber er weiß, dass er nicht der Welt bester Sänger ist. Kollegen von ihm wie Bob Dylan oder Jimi Hendrix hat dieses Manko nie gestört. Vielleicht gehört es auch zu Oldfields komplexem Charakter, dass er meint, mit seiner Stimme nicht gut genug für die Öffentlichkeit zu sein. Wohl deshalb hat er sich für viele seiner schönsten Kompositionen vokalistischen Beistand geholt, wie die schottische Sängerin Maggie Reilly (»Moonlight Shadow«). Es interessierte mich, von Mike Oldfield zu erfahren, wie er die Stimmen zu seinen Songs findet.

»Maggie war die Freundin von jemandem aus der Tour-Crew«, führte Oldfield aus. »Zunächst hat sie ein bisschen im Hintergrund mitgesungen. Da bemerkte ich, dass sie eine Stimme hat, mit der ich arbeiten könnte. Für mich ist die Stimme ein Musikinstrument mit Tönen und Resonator. Lippen, Zunge und Zähne helfen, Töne und Worte zu formen, ganz wie bei einem Musikinstrument. Und Maggies Stimme hatte etwas Sanftes, Schwebendes, als würde jemand einem etwas ins Ohr flüstern. Maggie war die Richtige für meinen Song ›Moonlight Shadow‹, und sie hat das auch sehr gut gemacht. Oder Bonnie Tyler. Man weiß ja, was die für eine Stimme hat. Man macht das Mikrofon auf, und ein Sturm bricht los, genau wie bei Roger Chapman. Das sind großartige, markante Stimmen. Dann suche ich aber oft lange, mache Probeaufnahmen, probiere dies und das, bis ich den richtigen Sound treffe.«

»Da gab es doch sicher auch Fehlschläge und Enttäuschungen, vermutlich auf beiden Seiten.«

»Oh ja. Das ist dann immer sehr kompliziert, vor allem, wenn man sich nicht vertraglich absichert. Manch einer ruft gleich den Anwalt, weil er nicht genommen wurde und meint, ich hätte ihm das doch aber versprochen.«

»Es heißt, ›Moonlight Shadow‹ soll vom Tode John Lennons handeln.«

»Nein, das stimmt nicht. Ich hatte nur mal gesagt, das könnte einer von vielen Impulsen gewesen sein, die mich diesen Song schreiben ließen. Wahr ist, dass ich in der Nacht (gemeint ist der 8. Dezember 1980, der Abend, an dem John Lennon erschossen wurde) zum ersten Mal in meinem Leben nach Amerika kam, nach New York City. Tatsächlich hatte ich andere Texter für ›Moonlight Shadow‹ bemüht, entschied mich dann aber, die Song-Lyrik selbst zu schreiben. Das dauerte fast die ganze Nacht, es war eine ›Moonlight Night‹. (lacht)

Ich hatte eine Flasche französischen Wein dabei und ein Reimlexikon, weil mir das Texten sehr schwer fällt. Musik schreiben ist einfach, aber die Lyrik ist harte Arbeit. Manchmal habe ich den Anfang der Refrainzeile und komme dann nicht zu Ende … moonlight … moonlight was, … moonlight ray, moonlight dies, moonlight das … Moonlight Shadow!!!«, rief er laut, haute mit der flachen Hand auf den Tisch und lachte triumphierend, als hätte er die Lösung des Problems soeben noch einmal gefunden.

Von fast allen ausländischen Künstlern möchte ich wissen, welches Verhältnis sie zu Deutschland haben. Ist das nur irgendeine Station auf dem Weg durch Europa und die Welt, oder sind Deutschland und sein Publikum doch etwas ganz Besonderes für einen Mann wie Mike Oldfield?

»Eigentlich sind es zwei Länder, zu denen ich immer eine besondere Beziehung hatte, Deutschland und Spanien. Ich weiß nicht warum, vielleicht können Sie das erklären. Die Menschen hier wissen meine Musik zu schätzen, besonders die Konzerte. Ich war schon in jedem Teil Deutschlands, habe auch ein paar Freunde hier. Die Spielorte waren meist was ganz Besonderes, und wir hatten immer viel Spaß hier.«

»Soweit ich weiß, leben Ihre Eltern in Stuttgart«, gab ich mein Wissen preis, weil er von selbst damit nicht herausrückte.

»Mein Vater wohnt immer noch in Stuttgart mit seiner deutschen Frau Helga.«

»Dann kommen Sie nach Hause, wenn Sie nach Stuttgart kommen?«

»Mein Vater ist Engländer. Er hat Helga geheiratet.«

»Und was ist mit Spanien?«

»Mein Traum war es immer, mein eigenes Haus zu bauen. Auf der Suche nach dem geeigneten Bauplatz bin ich per Zufall in Ibiza gelandet. Nachdem das Haus fertig war, stellte ich fest, dass Ibiza Europas Party-Insel ist, besonders im Sommer. Aber ein schöner Platz. Gelegentlich rufen mich meine englische Heimat und alle Dinge, die dazugehören und die mir fehlen, das englische Bier ohne Blume, Fish and Chips und all das.«

Neben den genialen Werken von Mike Oldfield gab es vor allem für den Fan der progressiven Klänge, für die Oldfield ja berühmt ist, einige irritierende Veröffentlichungen, wie das Instrumental »Arrival«, der Titelsong einer ABBA-LP von 1976. Wie es denn dazu gekommen war, wollte ich von ihm wissen.

»Ich wurde dazu gezwungen.« (lacht laut) Dabei machte ich eine ungeschickte Drehung und rutschte fast von dem Bürostuhl, auf dem ich saß.

»Da fällt er mir glatt vom Stuhl«, feixte Oldfield. »Ich mochte ›Arrival‹ von ABBA. Richard und Simon von Virgin Records sagten, du musst eine Coverversion machen. Warum, sagte ich. Es ist gut so wie es ist. Nein, sagten sie, das wird ein großer Hit. Und du brauchst eine Hit-Single. Also gab ich nach. Aber bis heute finde ich die ABBA-Version besser als meine.«

»Welches Ihrer Stücke empfinden Sie als Ihre größte musikalische Leistung?«

»Ich hoffe, dass die noch kommt. Wie ich vorhin schon sagte, bin ich nur ein Vermittler. Die Ideen müssen noch geliefert werden. Und egal woher die kommen, hoffe ich doch, sie reproduzieren zu können.«

Lässig, wie er gekommen war, die Hände in den Taschen seines Jogging-Anzuges, ein Lied vor sich hinpfeifend, ging Mike Oldfield wieder davon. Ein streitbarer Typ soll das sein und ein Sonderling. So herzhaft hatte ich beim Interview lange niemanden mehr lachen hören wie ihn.

Neben »Moonlight Shadow« ist »Shadow On The Wall« mit dem Gesang von Roger Chapman für viele der bekannteste Popsong von Mike Oldfield. Die Geschichte, wie beide zusammenfanden, ist oft erzählt worden, auch von beiden. Im Pub hatte Oldfield durch Zufall bemerkt, dass jemand am Tisch Roger Chapman kennt. Der sollte einen schönen Gruß von ihm ausrichten. Beim nächsten Treffen im Pub kam der Gruß von Chapo zurück. So ging das eine Weile hin und her, bis man sich schließlich im Studio traf und »Shadow On The Wall« gemeinsam produzierte. Diese Geschichte kannte ich schon seit 20 Jahren. Am Rande eines Auftrittes von Roger Chapman bei einem Sommerfestival in Baden-Württemberg kam ich auf diese Nummer zu sprechen, und ob da nicht mehr dahintersteckte als: »Bestell ihm mal einen schönen Gruß.«

»Und tatsächlich war da auch mehr«, begann Chapo zu erzählen. »Mike hatte das Arrangement für den Song schon fix und fertig. Es fehlte wirklich nur noch der Gesang. Es ist normal, dass man erstmal einen Durchlauf macht, dann über dies und das redet, und nach dem zweiten oder dritten Mal ist der Song dann im Kasten. Aber Mike fand immer noch etwas zu verbessern. ›Shadow On The Wall‹ ist ein kraftvoller Rocksong, der einem einiges abverlangt. Ich hing buchstäblich in den Seilen und wollte nach dem zehnten oder zwölften Versuch wissen, ob es denn nun nicht reiche. Es reichte nicht. Als wir am Abend dann doch irgendwann zu einem für alle befriedigenden Ende gekommen waren, sprach ich Mike an, was der Grund für diese Tortur gewesen sei. Mike erinnerte mich an eine Begebenheit, die schon viele Jahre zurücklag. Meine Band-Family und ich suchten einen Bassisten und hatten einige Bewerber zum Vorspiel eingeladen, darunter war auch der junge Mike Oldfield. Wir hatten ihn nicht genommen. Und dieser Tag im Studio mit acht Stunden ›Shadow On The Wall‹ war Mike Oldfields Revanche, weil ich ihn damals abgewiesen hatte.«