Cliff Richard – vom Rock’n’Roller der ersten Stunde zum Popstar auf Lebenszeit

Frankfurt/Main 2010

Elvis Presley hatte noch mehr Anteil an der Verbreitung des Rock’n’Roll in der Welt, denn er brachte das mit, was Bill Haley fehlte: jugendliche Ausstrahlung. Obwohl Elvis nie in Europa Konzerte gegeben hatte, war er durch seine Platten und die Berichte in Funk und Fernsehen ein weltweit angehimmeltes Idol. John Lennon sah Elvis im Kino. Er kam auf die Bühne, die Mädchen schrien, und er brachte seine Show. That’s a good job, dachte Lennon anerkennend, und wie wir alle wissen, hatte er mit seiner Band wenige Jahre später viel mehr und noch lauter schreiende Mädchen um sich herum. Aber in England gab es keinen wie Elvis, bedauerte Lennon in seinen Erinnerungen. Alles, was diesem Phänomen einigermaßen nahe kam, war Cliff Richard mit »Move it«.

Eine Aussage, die bis heute gerne zitiert wird, manchmal, um die Bedeutung zu unterstreichen, die Cliff Richard für die britische Popszene hatte. Manchmal auch, um zu bedauern, wie weit er sich schon bald von diesem Rocker-Image entfernte und zum ›Schlagerfuzzi‹ wurde.

Die Puristen des Rock’n’Roll hätten sich gewünscht, er wäre weiter in die Richtung solcher Fetzer wie »Ready Teddy« oder »High Class Baby« gegangen. Stattdessen überraschte er mit gefälligen Popsongs wie »Living Doll« oder »Travellin’ Lights«, die er mit seiner Band, den Shadows, regelmäßig an die Spitze der Charts brachte. Als es dann gar von seinen englischen Hits wie »Lucky Lips« deutsche Versionen gab (»Rote Lippen soll man küssen«), wandten sich viele von ihm ab, aber noch mehr Neukunden kauften seine Platten. Damals waren die stilistischen Grenzen in den Hitparaden ohnehin noch sehr fließend. Der Beatles-Fan akzeptierte Cliff Richard genauso wie der Schlagerfreund. Auch ein vergeigter Sieg beim Grand Prix (heute Eurovision Song Contest) 1968 mit »Congratulations« konnte seiner Popularität nichts anhaben. Immerhin war er fünf Jahre später noch einmal dabei und holte mit »Power To All My Friends« Platz 3 für das Vereinigte Königreich. Bis heute (2011) füllt Cliff Richard die größten Konzertsäle. Anläßlich seines 70. Geburtstags am 14. Oktober 2010 gab es eine Konzertserie mit ihm in der Londoner Royal Albert Hall, die restlos ausverkauft war. Die Konzert-DVD zum Ereignis, die auch sein aktuelles Album »Bold As Brass« präsentierte, ging an die Spitze der Verkaufs-Charts und ließ jüngere Bands wie Take That oder Kings Of Leon hinter sich.

2010 war das Jahr, in dem die Organisatoren der Nokia Night Of The Proms auf die Idee kamen, Cliff Richard für den deutschen Teil der Tour einzuladen. Das war auch für einen alten Fahrensmann wie Sir Cliff eine Premiere. Der Kontakt kam über deutsche Freunde von Cliff Richard zustande. Man besuchte ihn auf seinem Anwesen an der Algarve in Portugal, zeigte ihm Filme der Shows aus vergangenen Jahren und dieser Saison mit Boy George und Kid Creole, und schon war er dabei. In Antwerpen gab es einen Überraschungsauftritt von Cliff, und die Leute wollten erst gar nicht glauben, dass da jetzt wirklich Cliff Richard live auf der Bühne stand. Er wurde mit brausendem Beifall bedacht, und damit war klar, dass die Tour für alle ein Erfolg werden würde.

SWR 1 präsentiert die Night Of The Proms in Baden-Württemberg schon seit vielen Jahren.

Eine sorgfältig kalkulierte Mischung aus Klassik und Pop schafft ein ganz eigenes Ambiente, das schon seit Mitte der neunziger Jahre auch in Deutschland große Konzerthallen füllt und das mehrere Abende hintereinander. Das Orchester Il Novecento mit bis zu 90 Musikern sorgt für einen Klangteppich, der einem Sinfoniekonzert zur Ehre gereicht. Dazu kommen ein Chor und eine Band, die für gewöhnlich von John Miles (größter Hit: »Music«) geleitet wird. Die Glanzlichter werden dann von Stars aus der Showbranche gesetzt, die seit vielen Jahren ein Begriff sind und keiner Einführung bedürfen: Joe Cocker, Foreigner, Alan Parsons, Simple Minds, Roxette, Robin Gibb, Art Garfunkel oder Sting singen ihre größten Hits zu großem Orchester. Im Gastgeberland ist dann immer noch ein einheimischer Künstler dabei. In Deutschland Interpreten wie PUR, Laith Al-Deen, David Garrett oder Christina Stürmer. (Österreich vertritt hier die deutschsprachige Zunge.)

Als Präsentator in Baden-Württemberg hat SWR 1 die Aufgabe, für einen guten Kartenverkauf zu sorgen, und da schien es uns angemessen, mit Cliff Richard eine »Leute«-Sendung zu machen. Mein Treffen mit Cliff Richard kam im November 2010 in einem Frankfurter Hotel zustande. Von Anfang an herrschte eine lebhafte und freundliche Atmosphäre, was meine These vom Vollprofi einmal mehr bestätigt: Der wirkliche Star sagt entweder ab oder erfüllt die Erwartungen an ein Interview zur vollsten Zufriedenheit.

Da die Sendung immer 10 Uhr vormittags beginnt, simulierten wir diese Situation schon bei der Begrüßung mit einem freundlichen »Guten Morgen, Cliff Richard!«, obwohl es eigentlich schon 14 Uhr war. Kein Problem für den weltgewandten Sänger aus England.

»Guten Morgen, ich freue mich immer, wenn ich Leute treffe, die meine Platten spielen.«

»Und das sagen Sie nach so vielen Jahren des Erfolges?«

»Ich sehe mich natürlich noch als den Künstler, der Platten macht, obwohl die Zeit vorbei ist, wo ich mit einem Dutzend neuer Songs ins Aufnahmestudio gehe, mit der Band an den Songs feile und diskutiere, wie wir es am besten machen. So wie damals bei ›Devil Woman‹. Die meisten Radiostationen in Großbritannien und wohl auch in Europa spielen die alten Platten von Leuten wie mir nicht mehr. Das ist eigentlich schade, weil ich mich gerne mit den Jungen messen würde, denn Leute wie Elton John, Tina Turner oder andere der alten Garde machen doch noch ganz passable Platten.«

»Wir bei SWR 1 spielen Ihre alten Songs noch, und die Leute mögen das.«

»Davon habe ich gehört. Ich habe ja damals mit den Shadows auch einige schöne Hits gehabt wie auch viele andere Künstler jener Zeit. Andererseits freue ich mich über den Erfolg meiner aktuellen DVD, die ja die Songs meines neuen Albums enthält. Wir können mit den Jungen konkurrieren, wenn man uns die Gelegenheit dazu gibt. So dankbar ich Radiostationen wie der euren auch bin, dass ihr meine alten Songs spielt, es wäre doch hilfreicher, wenn man meine neuen Sachen vorstellte. Ich selbst höre gerne die Oldie-Programme und habe auch eine Jukebox in meinem Haus in Portugal. Die enthält ausschließlich Songs der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre. Meine Freunde sehen es lieber, wenn der CD-Player mit neuer Musik ausgeschaltet bleibt und die Jukebox läuft.«

»Ihr Album ›Bold As Brass‹ enthält klassische Swing-Nummern wie ›I Got You Under My Skin‹ oder ›Night And Day‹. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen solchen Stilwechsel zu versuchen?«

»Ich habe früher diese Platten gehört und kannte die meisten Lieder schon lange, weil meine Eltern die immer gespielt haben. Die Idee hatte ich schon vor 12 oder 15 Jahren. Ich war mir nur nicht sicher, ob mein Publikum mir folgen würde. Dann habe ich es erst mal mit dem Cole Porter-Song ›Every Time We Say Goodbye‹ probiert. Das war in der Royal Albert Hall, wo ich erst vor kurzem ›Bold As Brass‹ präsentiert habe. Es gab minutenlangen stürmischen Applaus. Da dachte ich mir, okay, das können wir machen. Als ich mit der Arbeit an dem Album begann, brachte Robbie Williams sein Swing-Album heraus. Da dachte ich, oh nein, alle werden denken, ich mache ihm das nach. Dann vergingen zwei Jahre, ich fasste wieder Mut und sang weitere Songs für das Album ein, da kam Rod Stewart mit derselben Idee. Ich mag sein Album wirklich sehr. Ich glaube, er hat vier Swing-Alben gemacht, ich habe sie alle. Die muss man gehört haben. Ich fand es auch interessant, dass wir beide, die wir ursprünglich vom Rock’n’Roll kommen, in diese Richtung gehen. Das brachte mich einmal mehr in die Position des Nachahmers. Dann sagte mir jemand, dass weder Rod Stewart noch Robbie Williams die Eigentümer dieser Songs sind. Sie gehören ihnen nicht. Eigentlich gehören sie auch nicht Frank Sinatra, wenngleich er sie zuerst gesungen hat. So stellten wir also eine Sammlung an Liedern zusammen. Der Produzent und Keyboarder Michael O’Martin schlug vor, es anders zu machen. Wir spielten mit einer richtigen Swing-Band, während Rod Stewart eher diese Las Vegas-Lounge-Atmosphäre bedient. So hatten wir unseren eigenen Klang, und ich habe bei der Night Of The Proms auch zwei dieser Lieder gebracht. Dazu dann meine eigenen Hits. Aber ich habe an den neuen Songs genauso viel Freude wie bei ›We don’t talk anymore‹ oder ›Rote Lippen soll man küssen‹.«

»Sie waren erstmalig bei der Night Of The Proms dabei. Kannten Sie das Konzept und wollten das auch mal probieren?«

»Nein, ich wurde eingeladen. Das kam durch eine Freundin von mir, die bei einer deutschen Radiostation arbeitet. Sie kennt den Produzenten der Show und hat das vermittelt. Ich wusste eigentlich nichts von der Show und habe schon vor 15 Jahren meine eigene zweieinhalbstündige Show gehabt. Da war ich nicht so interessiert an einer Sache, wo ich nur für 20 Minuten am Schluss auftreten sollte. Das war wohl der Hauptgrund, warum ich nie dabei war. Dann war das auch immer eine Terminfrage. Denn alle meine Touren waren immer am Ende des Jahres. Und das macht die Proms ganz genauso. Aber jetzt bin ich in einer Phase meines Lebens, wo ich immer noch einmal was anderes machen möchte. Dafür nehme ich mir die Zeit, und diesmal wollte ich es wissen. Es geht ja auch um den Spaß dabei. Nicht deshalb, weil ich nur ein paar Lieder zu singen habe. Es macht mir auch Spaß, Boy George auf der Bühne zuzusehen oder Kid Creole & The Coconuts. Dann gibt es neue Künstler wie Charlie Siem oder die neue deutsche Band Lichtmond, die hier zum ersten Mal auf der Bühne standen. Die müssen sehr aufgeregt gewesen sein, sind aber höchst professionell. Dann die phantastische Arbeit mit diesem gewaltigen Orchester. Das sind mehr als 70 Leute mit einer Sektion für Rock und Bläser. Das ist ein wirklich tolles Erlebnis.«

»Das kommt ja Ihrem neuen Album sehr entgegen.«

»Die können wirklich alles. Kid Creole war ganz aufgeregt. Er hätte nie gedacht, dass dieses Orchester seine karibischen Rhythmen würde spielen können. Die Musiker sind in der Lage, von einem Moment zum anderen umzuschalten von Klassik auf Rock oder Swing. Die stehen auf und lassen die Bläser klingen wie eine Jazzband. Oder die Ladies mit ihren Violinen. Es ist eine interessante Erfahrung, auf Leute zu treffen, die erkannt haben, dass jede Musik für alle da sein kann. Das ist ja das Erfolgsrezept der Night Of The Proms. Wenn man Cliff Richard nicht mag, dann mag man vielleicht Kid Creole oder Boy George. Und wenn man niemanden von uns mag, dann bleibt immer noch der Klassikteil. Jeder, der die Halle verlässt, wird seine guten Momente gehabt haben. Natürlich wünschen wir, dass alles gut ankommt. Es sieht so aus, als ob das auch funktioniert. Die Leute sind sehr freundlich und aufnahmebereit. Sie klatschen, lachen laut und scheinen viel Spaß zu haben jeden Abend. Das soll so noch eine Weile weitergehen. Und vielleicht laden Sie mich ja nochmal ein zur Night Of The Proms.«

»Es ist kein Geheimnis, dass Sie inzwischen die 70 überschritten haben. Aber viele würden gern das Geheimnis kennen, wie Sie sich so fit halten und auch immer noch recht frisch, ja zuweilen jugendlich wirken.«

»Eines ist sicher, wir werden geboren und wir sterben. Nun ist es an uns, wie wir mit dem Dazwischen umgehen. Nicht alle Siebziger gehen als Vierziger durch. Ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist. In England war es lange so, dass die Königin jedem, der hundert Jahre alt wurde, einen persönlichen Glückwunsch schrieb. Das hat sie inzwischen aufgegeben, weil es so viele Menschen gibt, die hundert Jahre und älter werden, dass sie mit dem Schreiben nicht mehr nachkommt. Meine Mutter hat die hundert nicht erreicht. Aber wenn, dann hätte ich die Königin gebeten, meiner Mutter eine Glückwunschkarte zu schreiben. Das hätte sie gemacht. Und so werden auch die Menschen in Deutschland immer älter und älter. Vor hundert Jahren wären wir noch im Alter von 60 gestorben.«

»Und wie hält sich Cliff Richard nun fit? Gesunde Ernährung, viel Sport, oder liegt das in der Familie?«

»Es liegt auch ein bisschen in der Familie. Meine Mutter sah immer sehr jung aus. Wenn ich früher mit ihr und meinen Schwestern zur Premiere eines meiner Filme ging, dachten die Leute, ich hätte eine neue Freundin. Sie sah jünger aus als ich. Später bekam sie dann Altersdemenz. Sie vergaß alles und vernachlässigte ihr Äußeres. Dadurch alterte sie auch schneller.

Man kann noch eine Menge tun, um sich jung und fit zu halten. Eine Sache ist die Motivation. Im Show-Business hat man immer die Aufmerksamkeit der Leute. Sei es, dass sie um ein Autogramm bitten, dass man ein Foto machen möchte oder die Presse immer dabei ist. Da muss man schon sehr auf sich achten, um immer gut auszusehen.

Es ist allgemein bekannt, dass man sich vernünftig ernähren sollte und nur das essen, was einem guttut. Dann sollte man sich körperlich fit halten. Ich spiele gern Tennis. Dann sollte man auch den Willen haben, länger zu leben und nicht so bald zu sterben.«

»Haben Sie eigentlich ein besonderes Verhältnis zu Deutschland, weil Sie nur bei den deutschen Terminen der Night Of The Proms dabei sind?«

»Das war eher Zufall. Aber ein besonderes Verhältnis ist es schon. Ich bin seit 1958 immer wieder mit den Shadows hier gewesen. Meine damalige Plattenfirma electrola – ich weiß gar nicht, ob es die überhaupt noch gibt – hat gesagt, ihr müsst unbedingt nach Deutschland kommen. Wir haben in Frankfurt gespielt, Köln, Hamburg, Oberhausen, auch in kleineren Orten und in allen Städten wo die Night Of The Proms jetzt auch ist. Das deutsche Publikum ist immer gut zu mir gewesen. Die meisten Künstler, die sagen, oh wir lieben Deutschland, kennen kaum jemanden hier. Aber wen das Publikum liebt, der kommt auch immer wieder gerne her. Ich habe in Deutschland bei diversen Fernsehshows mitgemacht. Oft bin ich rübergekommen, um nur ein Lied zu singen und habe dafür viel Beifall bekommen. Das mag Zufall sein, aber ich liebe Deutschland wirklich und trete gerne hier auf.«

»Vielleicht ist das so, weil es immer mal wieder Lieder von Cliff Richard auf Deutsch gab. Sprechen Sie auch Deutsch?«

»Nein, das war immer ein Traum von mir, die Sprachen all der Länder zu sprechen, in denen ich auftrete. Aber so eine Tour geht ja nicht nur durch Deutschland. Da ist noch Schweden, Norwegen, Holland, Dänemark, Belgien, Italien, Spanien … Meine Güte, man kann unmöglich all diese Sprachen lernen. Dann kommen noch all die chinesischen Sprachen dazu: Hongkong, Singapur, Kuala Lumpur. Australisch ist leicht. (lacht)

Ich habe übrigens nie gewusst, was ich da singe, außer man hat es mir erklärt. Die deutschen Texte habe ich mir mit phonetischer Lautschrift geben lassen. Da haben wir auch über den Inhalt gesprochen, zum Beispiel ›Rote Lippen soll man küssen‹. Man sollte schon wissen, dies ist ein Liebeslied, hier geht es um ein Mädchen usw.

Der schwierigste Teil ist die deutsche Sprache selbst. Die ist einfach schwer zu singen. Am besten zu singen ist Spanisch. Der Erfolg meiner deutschen Aufnahmen war viel größer als erwartet. Oft ging eine Platte wie ›Lucky Lips‹ auf die Nummer 1 in England. Und wenn sie in England fiel, kam die deutsche Version hier bis an die Spitze der Charts.

Ich war einesteils sehr glücklich mit meinen deutschen Aufnahmen, andererseits aber auch enttäuscht, dass es mir nicht gelungen ist, ein deutsches Lied auswendig zu lernen. Wenn ich wieder mal bei der Night Of The Proms mitmache, werde ich einige meiner frühen Hits singen und ein Medley meiner deutschen Lieder bringen. Es ist aber nicht leicht, Texte einer Sprache zu lernen, die du gar nicht sprichst. Denn alles, was du lernst, sind nur Laute, Geräusche. Seltsamerweise kann ich bis heute den Refrain von ›Rote Lippen‹ auswendig.«

In der Sendung SWR 1-»Leute« kommt nach einem Gesprächsteil von etwa drei bis vier Minuten Musik. An dieser Stelle natürlich, weil es so gut passt, »Rote Lippen«. Klar war das damals ein netter erfolgreicher Schlager. Dennoch fällt der Text auch aus heutiger Sicht unter die Rubrik »kommen Sie nicht auf die Idee, das Gesungene nachzumachen, es könnte zu Missverständnissen kommen«:

Ich sah ein schönes Fräulein

im letzten Autobus.

Sie hat mir so gefallen,

drum gab ich ihr ’nen Kuss.

Doch es bleib nicht bei dem einen,

das fiel mir gar nicht ein.

Und hinterher hab ich gesagt,

sie soll nicht böse sein.

Bei einer Sendedauer von zwei Stunden ergeben sich pro halber Stunde zwei Gesprächsrunden, also acht insgesamt. Der Interviewer tut gut daran, das schon bei der vorbereitenden Konzeptionierung zu berücksichtigen, damit der Talkgast in seiner ganzen Persönlichkeit vorgestellt wird und nicht ›nur‹ der Sänger, in diesem Falle Cliff Richard. Der Hörer soll mehr erfahren, als er in der einschlägigen Presse oder in Almanachen nachlesen kann. Auch die Aktualität spielt da eine Rolle, die neben den historisch gesicherten Fakten (die ›gute alte Zeit‹) nicht zu kurz kommen darf.

»Ich habe gehört, Sie haben auf ihrem Wohnsitz in Portugal das Leben eines Weinbauern begonnen. Wie kam es denn dazu?«

»Ich habe da eine Farm von etwa zwölf Hektar gekauft. Die wollte ich nicht sterben lassen. Viele Leute aus dem Showbusiness kaufen oft ein schönes Anwesen mit Garten, und das wird dann ein Waldstück oder so. Ich wollte aber, dass meine Farm ein richtiger Betrieb wird. Ich kenne da einen Farmer, der für die Vorbesitzer gearbeitet hat. Den fragte ich, was man hier so anbauen könnte. Er meinte, er könne gut Feigen verkaufen, vor allem nach Nordportugal und nach Spanien.

Wir entschieden uns also für den Anbau von Feigen. Nun dauert es aber vier Jahre, bis man die erste Feige ernten kann. In dieser Zeit traf ich den australischen Weinhersteller David Baddlestock. Er meinte, auf meiner Farm ließe sich gut Wein anbauen. Ich sagte, es gibt keinen guten Wein von der Algarve. In einem Buch mit dem Titel ›Das Weltbuch der Weine‹ steht ein Satz über die Weine der Algarve, der besagt, in der Algarve produziert man Kopfschmerzen für Touristen. Und Baddlestock sagt, das ist nur deshalb so, weil sie nicht wissen, wie es gemacht wird. Du wärst dann der Erste. Die Leute hier sind nicht dumm, die lernen sehr schnell. Und er sollte recht behalten. Ich rodete alle meine Feigenbäume, pflanzte Wein, und seitdem gibt es in der Region schon über 15 Weingüter. Einige davon machen einen sehr guten Wein. Mein Wein heißt ›Videnova‹ – neues Leben, und er brachte neues Leben in die Algarve. Ich bin froh, dass ich das gemacht habe, obwohl es heutzutage sehr schwer ist, Wein zu verkaufen, weil einfach so viel Wein in der Welt ist. Ich kann ja nicht so große Mengen produzieren, gerade mal 150 000 Flaschen. Das klingt jetzt sehr viel, ist aber fast nichts. Deshalb ist unser Wein auch etwas teurer, aber er ist gut.«

»Und Sie haben schon einige Preise gewonnen mit Ihrem Wein.«

»Ja, für meinen Roten gab es 2004 eine Bronze-Medaille. 2006 habe ich eine Silber-Medaille gewonnen. Und erst in diesem Jahr habe ich bei einem Weinfestival in München, an dem 49 Länder teilnahmen, die Gold-Medaille für meinen Rosé gewonnen. Ich weiß, dass wir guten Wein machen, wenn auch in kleinen Mengen, aber der Winzer bekommt nicht viel Geld für seinen Wein. Ich bekomme pro Flasche drei Euro und die verkaufen sie dann für acht bis zehn Euro. Für einen australischen ›Jacob’s Creek‹ bezahlt man fünf oder sechs Euro, und das ist ein guter Wein. Nicht so gut wie der Cliff Richard-Wein, aber ein sehr guter Wein. Junge Leute oder Studenten leisten sich keinen Zehn-Euro-Wein, die nehmen den für fünf Euro. Ich beklage mich nicht, ich will nur erklären, wie schwer es ist, Wein zu verkaufen. Ich habe meinem Verwalter gesagt, wenn ich mir den Weinbau nicht mehr leisten kann, sagst du mir Bescheid, und wir hören damit auf.«

»Und dann gibt es noch ein Cliff Richard-Parfüm. Was ist Ihr Anteil bei der Kreation eines Duftstoffes mit Ihrem Namen?«

»Ich weiß gar nicht, ob in diesem Jahr eins auf den Markt gekommen ist. Früher habe ich die Düfte selbst ausgesucht. Sie hatten da einen Franzosen, der den Wein machte, äh, der das Parfüm herstellte. Vielleicht sollte man es Parf-Wein nennen.

Wir saßen rund um einen Tisch und rochen an kleinen Holzstücken. Der erste Duft, den ich aussuchte, erinnerte mich an die Blumen in meinem Garten auf Barbados. Die hatten karibische Blumendüfte wie Tuberosen und Frangipanis, einfach phantastisch. Die habe ich selbst ausgesucht. Und vor drei Jahren wurde mein Parfüm das bestverkaufte in Großbritannien. Mein Businessmanager fragte mich, können wir das machen, dein Name auf einem Parfüm. Ich sagte, lasst mich die Flakons auswählen und den Duft, und dann geht das. Ob die Leute es mögen, ist eine andere Frage. Das ist wie beim Wein. Manch einer, der uns zuhört, möchte vielleicht meinen Wein haben, und dann schmeckt er ihm nicht. Dann kaufen sie einen anderen. Dasselbe beim Parfüm. Rasierwasser für Männer. Du benutzt eines, das ich vielleicht nicht nehmen würde. Aber das würde ich dir nicht sagen. So ist es auch mit Parfüm für Frauen. Ich kenne viele Frauen, die gut duften. Aber sie duften alle anders. So gibt es Düfte für Blondinen oder für Brünette. Es ist schwer, einen Duft zu kreieren, der für jede passt. Ich weiß auch nicht, ob wir das je hinkriegen werden. Ich dachte, wenn mein Name auf der Flasche steht, dann mag ich es auch. Und wem es nicht gefällt, der braucht es ja nicht zu kaufen.«

Da das Gespräch Ende November aufgenommen wurde und in der Vorweihnachtszeit gesendet werden sollte, lag es nahe, nach den Gewohnheiten Cliff Richards an den Festtagen zu fragen. Es ist bekannt, dass Cliff nicht verheiratet ist und keine Kinder hat. Fragen nach seiner sexuellen Orientierung beantwortet er nicht. Ich wollte auf diese Weise erfahren, ob und in welcher Weise Familie für den christlich ambitionierten Sänger stattfindet oder eine Rolle spielt.

Ohne zu zögern packte Cliff Richard das Thema an und holte etwas weiter aus: »Ich habe drei Schwestern. Eine davon ist Zeugin Jehovas. Die feiern Weihnachten nicht, und wir haben auch nie Weihnachten gemeinsam verbracht. Ich habe ihr gesagt, dass ich ihren Glauben respektiere. Sie soll aber auch meinen respektieren. Also kaufe ich ihrer Familie Geschenke. Für mich stellen Geschenke zu Weihnachten die Gabe dar, die Gott uns in Gestalt von Jesus gegeben hat. Ich möchte sie nicht verletzen, aber ich kaufe ihnen Geschenke und verpacke sie in normales Packpapier, kein Weihnachtspapier und keine Weihnachtswünsche, sondern nur: Alles Liebe von mir. Und ich gebe es ihnen nach Weihnachten. Wir sind alle glücklich damit, und für mich ist das ein Teil von Weihnachten. Meine andere Schwester lebt auf dem Land. Die haben ganz viele Tiere, sie füttern die Vögel und die Fische im Teich. Die genügen total sich selbst und sind glücklich damit. Die sehe ich ganz selten. Dann ist da noch meine verrückte Schwester Joan, die die Krankenschwester in meiner Bühnenshow spielt.

Bei seiner Geburtstagsshow in der Londoner Royal Albert Hall kommt Cliff mit einem Rollator auf die Bühne, simuliert den Gebrechlichen in Begleitung zweier Krankenschwestern, die ihn dann mit einer gezielten Injektion ins Hinterteil fit spritzen. Dabei handelt es sich um seine leibliche Schwester und deren Tochter.

Mit ihrer Familie verbringen wir immer das Weihnachtsfest. Manchmal ist auch die Schwester Donna vom Lande nach dem Essen zu Besuch da. In diesem Jahr bin ich mal wieder in England. Meine Schwester Joan wird kommen mit ihrer Tochter und deren Tochter und ihrem Mann. Dann noch eine Nichte mit Mann. Insgesamt sitzen dann zwölf Leute am Tisch und einige Babies, darauf freue ich mich.

Wir sind also an Weihnachten in London. Wir feiern ja Weihnachten ein bisschen anders als ihr. Der erste Weihnachtstag ist der wichtigste Tag. Der zweite Weihnachtstag ist einfach ein Feiertag. Boxing Day heißt der, da packt man Lebensmittel ein für die Armen und Bedürftigen. Das ist wie ein Urlaubstag. An Heiligabend gehen wir in die Kirche und singen all die schönen Weihnachtslieder. Das mag ich sehr, besonders, wenn in der Kirche auch Kerzen brennen.

Wenn ich mit meiner Schwester dann heimkomme, sind die Kinder schon im Bett. Am Weihnachtstag, so gegen 10 Uhr morgens, versammeln wir uns um den Weihnachtsbaum und packen die Geschenke aus. Ich bin immer derjenige, der die Geschenke verteilt. Hier, das ist von Joan für Lindsey. Das dauert immer, weil meine Schwester ganz viele Geschenke für ihre Familie kauft. Kleine Geschenke, aber ganz viele.«

Am Schluss des Gesprächs, passend auch zum Jahreswechsel, kommt noch meine Frage nach den Plänen für das nächste Jahr und darüber hinaus.

»Ich habe das noch nicht vielen Leuten erzählt, weil ich noch nicht weiß, ob es was wird. Wenn es nach mir geht und nach einem Mann namens David Guest, dem Ex-Mann von Liza Minnelli – er kennt viele der alten Motown- und Soulsänger – er sagte zu mir, du solltest ein Album machen mit dem Titel ›Cliff Richard Sings Soul‹. Duette mit Smokey Robinson, Russell Thompkins jr. von den Stylistics, vielleicht Diana Ross, Aretha Franklin oder Peabo Bryson, der all diese Disney-Songs gesungen hat, Percy Sledge. Ich sagte zu ihm, wenn du das für mich organisieren kannst, dann fühle ich mich wie im siebten Himmel. Das ist das Ziel fürs nächste Jahr. Das bedeutet auch, dass diese Künstler und ich einige Konzerte geben müssten, um das Album in England zu präsentieren. Dann wollen wir damit nach Las Vegas. Ich sage dir jetzt all diese Dinge, von denen ich aber nicht weiß, ob sie so passieren werden. In England sagen wir, abwarten und Tee trinken.«

Zum Abschluss hatte ich noch eine kleine Kuriosität für den Weltstar dabei, ein Cliff Richard-Album aus den siebziger Jahren: »Miss You Nights« mit dem Hit »Devil Woman«. Es war aber die bulgarische Edition der Firma balkanton, die ich mir damals im Alter von 25 Jahren von einer Urlaubsreise mitgebracht hatte. Zum ersten Mal sah Cliff Richard seinen Namen in kyrillischen Buchstaben geschrieben. Das beeindruckte ihn sehr. Nun, 35 Jahre nach dem Erwerb dieser Platte, prangt seine persönliche Widmung für mich handgeschrieben auf dieser LP aus meinen Jugendjahren. Beides schöne Erinnerungen.