KAPITEL 1

– Selena –

 

 

K aum hatte ich den goldenen Kaiserkranz angenommen, bereute ich es. Denn als die Gewinnerin des ersten Wettbewerbs der Feenspiele musste ich am Ende der Woche drei der zehn anderen Spieler in die Arena schicken.

Einer von ihnen würde bei dem Kampf sterben. Und die zwei Überlebenden würden mir ganz sicher nicht verzeihen, dass ich sie ausgewählt hatte.

Eines der Privilegien, die ich als Kaiserin der Villa in dieser Woche genoss, war, dass ich in der luxuriösesten Suite im zweiten Stock der Villa wohnen durfte. Andere Spieler konnten dort Zeit mit mir verbringen, und dank eines Zaubers von Vesta mussten wir uns keine Sorgen machen, dass jemand hereinplatzte oder unsere Gespräche belauschte.

Julian und Cassia waren mit mir in der Suite. Cassia entspannte sich neben mir auf dem riesigen Himmelbett, versunken in die bequemen Kissen. Ihre grünen Flügel leuchteten hell hinter ihr. Julian saß uns gegenüber auf dem prächtigen Sofa, das aussah, als käme es direkt aus dem Schloss von Versailles.

Sie wollten mir helfen, zu entscheiden, wen ich in die Arena schicken sollte.

„Octavia hat mir während des Begrüßungsbanketts gesagt, dass sie es auf mich abgesehen hat“, sagte ich. „Darum würde ich sie auswählen.“

Ich runzelte die Stirn, mein Magen drehte sich. Ich hatte nämlich gerade ein Todesurteil ausgesprochen. Ich würde zwei andere Spieler mit Octavia in die Arena schicken, in der Hoffnung, dass sie sie töten würden.

Mir bleibt keine Wahl , rechtfertigte ich mich. Wenn ich das nicht tue, wird Octavia versuchen, mich umzubringen.

Egal, wie oft ich mir das sagte, es machte meine Entscheidung nicht weniger falsch. Aber wenn ich mich dagegen entschied, drei Spieler in die Arena zu schicken, wäre das ein schwerwiegender Verstoß gegen die Regeln der Spiele. Die Götter mochten es nicht, wenn wir die Regeln brachen. Ich bezweifelte, dass Juno ein zweites Mal so gnädig mit mir sein würde.

Aber ganz waren meine Hände nicht gebunden. Ich hatte einmal irgendwo gelesen, dass man immer eine Wahl hatte, selbst dann, wenn einem die Optionen nicht gefielen.

Ich könnte mich selbst opfern. Ich könnte da oben stehen, während die ganze Anderswelt zusah, und mich weigern, bei diesem brutalen Gemetzel mitzumachen. Ich könnte meinen Standpunkt darlegen – und würde dafür getötet werden.

Aber ich wollte nicht sterben. Ich war erst sechzehn Jahre alt. Es gab noch so viel, was ich in meinem Leben tun wollte.

Außerdem hatte Prinz Devyn mir geraten, meinem Instinkt zu vertrauen. Und jeder Knochen in meinem Körper sagte mir, dass ich tun sollte, was nötig war, um zu überleben.

„Selena“, sagte Cassia und sah mich seltsam an. „Was hältst du von dieser Idee?“

Ich tauchte aus meinen verzweifelten Gedanken auf. „Welche Idee?“, fragte ich.

„Merkurs Auserwählter – Emmet – ist bestimmt auch nicht gut auf uns zu sprechen, weil wir gegen ihn gekämpft haben, um dieses Pferd zu bekommen“, sagte sie. „Er ist ein starker Kämpfer. Er hat das Zeug dazu, Octavia zu schlagen. Wenn du noch einen starken Spieler dazu nimmst, dann sollte es klappen.“

„Willst du damit sagen, dass ich mit Emmet und dem anderen Spieler, den ich für die Arena auswähle, reden und sie bitten soll, zusammenzuarbeiten, um Octavia auszuschalten?“

„Ja“, mischte sich Julian ein. „Emmet und der andere, den du auswählst, können uns als Werkzeuge dienen, um Octavia diese Woche loszuwerden.“

„Und wenn ich sie wissen lasse, dass ich es eigentlich auf Octavia abgesehen habe, werden sie mir ihre Auswahl später vielleicht weniger übel nehmen“, sagte ich und erinnerte mich an die Lektionen, die mir Bryan – einer meiner Trainer – erteilt hatte, bevor ich die Villa betreten hatte. „Vor allem, wenn ich einen Pakt mit ihnen schließe, der ihnen in den nächsten Wochen der Spiele Vorteile bringt.“

„Exakt.“ Julian nickte, seine eisblauen Augen waren hart. Es war ein wenig beunruhigend. Aber als der Auserwählte von Mars war ein solches strategisches Denken für ihn selbstverständlich.

Ich konnte nicht anders, als sein Selbstbewusstsein attraktiv zu finden. Aber ich verdrängte meine Gefühle so weit wie möglich. Julian interessierte sich nicht für mich, und das hatte er auch nie getan. Von dem Moment an, als wir uns vor Torrence’ Einfahrt getroffen hatten, hatte er mich genauso benutzt, wie er mir jetzt riet, die anderen zu benutzen.

Das durfte ich nicht vergessen.

„Der dritte Auserwählte sollte Felix sein“, fuhr Julian fort. „Das wird genau das Richtige sein, um ihn zurechtzuweisen.“

„Ihn ‚zurechtzuweisen‘?“, fragte ich und erinnerte mich daran, wie territorial Julian sich verhalten hatte, als Felix am ersten Tag mit mir und Cassia gesprochen hatte. Na ja, als Felix mit mir und Cassia geflirtet hatte. „Was meinst du damit?“

„Er glaubt, er könnte mit seiner Magie die Herzen aller Frauen bei den Spielen erobern und sie dazu bringen, alles zu tun, was er will“, sagte er, jedes Wort knapp und wütend. „Ihn in die Arena zu schicken – und ihm vorher zu sagen, dass wir es nicht einmal auf seinen Tod abgesehen haben –, wird ihm zeigen, dass du nicht auf seine Tricks hereinfällst.“

Während wir sprachen, schwirrten die leuchtenden, goldenen Kugeln um uns herum und zeichneten jeden Moment des Gesprächs auf. Die Zuschauer waren sicher bestens unterhalten.

„Was ist das zwischen euch beiden, was habt ihr für eine Vorgeschichte?“, fragte ich.

„Gar keine“, sagte er.

„Warum hast du dich ihm gegenüber so seltsam verhalten, als er mit mir und Cassia in der Bibliothek gesprochen hat?“

„Weil er seine Magie gegen dich eingesetzt hat“, sagte er schnell. „Seine Magie macht ihn gefährlich.“

Ich setzte mich aufrechter hin. „Sein Zauber hat bei mir nicht funktioniert.“

Noch nicht.“ Julian kniff die Augen zusammen, als wollte er mich herausfordern, weiterhin immun gegen Felix’ Magie zu sein. „Aber irgendwann wirkt sein Zauber auch auf dich. Die Auserwählten der Venus zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre Magie einsetzen, um das andere Geschlecht – oder jeden anderen, der sich zu ihnen hingezogen fühlt – davon zu überzeugen, sie nicht in die Arena zu schicken. Das bringt sie jedes Mal weit. Einige haben sogar schon gewonnen, indem sie im letzten Kampf ihren Gegner magisch dazu gebracht haben, sich in sie zu verlieben. So sehr, dass ihr Gegner sich lieber das Leben nehmen wollte, als gegen sie zu kämpfen. Felix’ Magie ist gefährlicher, als du denkst.“

„Aber er ist keine physische Bedrohung“, sagte ich. „Er hat nicht einmal versucht, mit jemandem um ein Pferd zu kämpfen. Er hat sich einfach von Octavia mitnehmen lassen.“

„Warum sollte er dann überhaupt bei dem Plan mitmachen, Octavia auszuschalten?“, fragte Cassia. „Offensichtlich läuft da etwas zwischen den beiden.“

Ging es nur mir so, oder klang sie verletzt, als sie das sagte? Hoffentlich hatte sie sich nicht schon in Felix verliebt.

„Felix hat Octavia vielleicht um den Finger gewickelt“, sagte Julian, obwohl Octavia nicht der Typ zu sein schien, der sich um den Finger wickeln ließ. „Aber nach dem, was wir über Venus’ Auserwählten wissen, erwidert er diese Gefühle nicht. Er nutzt sie aus. Ich bin mir sicher, dass er bei unserem Plan mitmacht, wenn es bedeutet, seine eigene Haut zu retten.“

„Was ist mit Cillian?“, fragte Cassia. „Seine Magie macht ihn zu einem der stärksten Spieler. Wenn jemand das Zeug dazu hat, Octavia auszuschalten, dann er.“

„Cillian ist niemand, den ich als Feind haben möchte.“ Mir schauderte allein bei dem Gedanken daran – nicht zuletzt wegen der Warnungen, die meine Trainer mir in Bezug auf Plutos Auserwählte gegeben hatten. Sie waren berüchtigt dafür, in Rage zu geraten. „Außerdem scheint er nicht bereit zu sein, mit irgendjemandem zu verhandeln. Wenn ich ihn in die Arena schicke, wird er sicher überleben und sich rächen wollen.“

„Allerdings“, stimmte Julian mit grimmigem Blick zu. „Du kannst ihn unmöglich in die Arena schicken.“

Bei der Intensität in seiner Stimme flatterte mir der Magen. Es hörte sich fast so an, als könnte er den Gedanken nicht ertragen, dass ich in Gefahr war.

Das war dumm. Denn jeder, der an den Spielen teilnahm, war in Gefahr. Die einzige Frage war, wer früher und wer später sterben würde.

Bevor ich mit einem weiteren Vorschlag antworten konnte, klopfte jemand an die Tür. Ich ging hinüber und schaute durch den Spion. Es war Pierce, der von Vulkan Auserwählte. Er war ein großer Kerl, mit Muskeln, die so riesig waren, dass die Adern hervortraten.

Doch Julian hatte Pierce in ihrem Schwertkampf um ein Pferd besiegt. Das Bild von Pierce, der mit abgetrennten Unterarmen auf dem Boden lag, hatte sich in mein Gedächtnis gebrannt. Ich glaubte nicht, dass ich es je würde vergessen können.

Ich öffnete die Tür, ließ Pierce aber nicht gleich herein. „Hi“, sagte ich und hoffte, dass ich lässig klang. „Was geht?“

Er blickte auf seine Füße und kratzte sich am Kopf. „Gehen? Was meinst du?“

Stimmt. Die Feen hatten die Erde im fünften Jahrhundert verlassen und waren in die Anderswelt gezogen. Ihre Sprache hatte sich mit unserer weiterentwickelt, weil ihr Reich parallel zu unserem existierte. Aber sie kannten moderne Umgangssprache nicht.

„Tut mir leid.“ Ich unterdrückte ein Glucksen. „Ich meine, warum bist du gekommen?“

Er blickte zu Julian und Cassia. „Ich hatte gehofft, mit dir allein sprechen zu können.“

„Natürlich.“ Ich öffnete die Tür und ließ ihn eintreten. „Julian und Cassia wollten gerade gehen.“

Damit standen Julian und Cassia auf und verließen meine Suite.

Julian warf mir einen letzten Blick über die Schulter zu, wie eine Warnung, bevor er mich mit Pierce allein ließ.