– Torrence –
E ine Stunde später hatten die Prophetin, Raven und ich uns mit den drei Personen, die die Prophetin aus der Tarotkarte gelesen hatte, im Quartier des Erdenengels vor dem Kamin versammelt. Sage Montgomery, die Wolf-Vampir-Hybridin, die als Alphatier das Montgomery-Rudel anführte, saß mir gegenüber. Sie war ganz in Schwarz gekleidet, so schwarz wie ihr langes Haar.
Neben ihr auf dem Sofa saß Thomas Bettencourt, der Vampir-Wolf-Hybrid, der die Gabe hatte, Technik zu beherrschen. Sage und Thomas waren durch ihre Partnerschaft zu Hybriden geworden. Er trug einen maßgeschneiderten Anzug, der ihn eher wie einen einflussreichen Geschäftsmann aussehen ließ als wie einen Krieger. Aber ich wusste, dass er mächtig war. Er und Sage hatten auf dieser Insel ebenfalls legendären Status inne.
Am weitesten von mir entfernt saß Reed Holloway. Er war der einzige männliche Magier auf Avalon und der jüngere Bruder von Dahlia, Violet und Iris. Aber im Gegensatz zu seinen Schwestern hatte er aufgehört, die mittelalterliche Kleidung aus dem Magierreich Mystica zu tragen, als er nach Avalon gekommen war. Wahrscheinlich, weil er mit seinen pechschwarzen Haaren und den intensiven dschungelgrünen Augen in unseren Trainingsoutfits der Avalon-Akademie einfach umwerfend aussah.
Ich hatte versucht, ihn kennenzulernen, als er im Sommer nach Avalon gekommen war, aber er hatte weder mit mir noch mit anderen Hexen an der Akademie sprechen wollen. Alles, was wir über ihn wussten, war, dass er einer Prinzessin auf Mystica treu ergeben war. Angeblich sprach er nie von ihr, aber da er keines der Mädchen an der Akademie auch nur eines Blickes würdigte, nahm ich an, dass sie wirklich etwas Besonderes sein musste.
Nun ja, sei’s drum. Ich stand sowieso nicht auf grüblerische, stille Typen.
Der Erdenengel forderte mich dazu auf, den anderen zu erklären, was mit Selena vorgefallen war. Danach erzählte die Prophetin von ihrer Tarotdeutung und davon, dass wir vier zusammenarbeiten mussten, um in die Anderswelt zu gelangen.
„Ihr könnt euch bestimmt denken, dass ich dabei bin“, sagte Sage, deren Augen bei der Aussicht auf ein Abenteuer zu funkeln begannen.
„Das gilt auch für mich“, sagte Thomas. „Aber die Suche wäre vielversprechender, wenn wir wüssten, wo wir anfangen sollen.“
„Ich kann versuchen, die Karten zu fragen.“ Skylar mischte ihr Deck und legte die Karten auf dem Couchtisch aus. Eine von ihnen deckte sie auf.
Die Hohepriesterin. Eine dunkelhaarige, geflügelte Frau in einem blauen Kleid. Sie war von Schmetterlingen umgeben.
Die Prophetin starrte hochkonzentriert auf die Karte, während der Rest von uns mit angehaltenem Atem wartete. Die Stille wurde nur durch das gelegentliche Knistern der Flammen im Kamin unterbrochen.
Schließlich blickte die Prophetin von der Karte auf. „Eine der mächtigsten Hexen der Welt kann euch die Antwort geben, die ihr sucht“, sagte sie. „Leider kann ich nicht sehen, welche Hexe damit gemeint ist. Ich weiß nur, dass sie nicht auf Avalon lebt.“
„Dann müssen wir eben die ganze Welt absuchen.“ Sage reckte ihren Kopf und sah nicht im Geringsten eingeschüchtert aus. „Großartig! Wir sind dabei.“
„Nicht unbedingt die ganze Welt.“ Im Gegensatz zu Sage sprach Thomas ruhig und nachdenklich. Sie ergänzten einander perfekt. „Es gibt eine Handvoll Orte auf der Welt, an denen sich fast alle der mächtigsten Hexen aufhalten.“
„Die Vampirkönigreiche“, platzte es aus mir heraus.
Er nickte. „Wir können höchstwahrscheinlich Zeit sparen, wenn wir uns zuerst in den Vampirkönigreichen umhören. Unsere Verbündeten vom Tal haben wir bereits befragt – und nichts über die Anderswelt herausgefunden. Aber in einem der anderen fünf Königreiche könnten wir fündig werden.“
Ich setzte mich auf, froh darüber, etwas Wichtiges zu tun zu haben. „Welches Königreich sollen wir zuerst besuchen?“
„Wir fangen mit dem sichersten an – Haven – und arbeiten uns von dort aus vor“, sagte Thomas. „Die gefährlichsten Reiche heben wir uns für den Schluss auf.“
Nachdem der Plan gefasst war, rüstete uns der Erdenengel mit heiligen Waffen aus – für den Fall, dass wir auf unserer Reise Dämonen begegnen würden. Dann war es auch schon an der Zeit, aufzubrechen.
Reed sprach die ganze Zeit über kein Wort. Er nickte nur ab und zu. Eigentlich hatte er nicht einmal zugestimmt, an der Mission teilzunehmen.
Ums uns zu teleportieren, ergriff ich die Hände von Sage, Reed nahm die von Thomas, und gemeinsam brachen wir auf in das Vampirreich Haven.