KAPITEL 26

– Selena –

 

 

O ctavias Wahl fiel erneut auf Julian. Sie ließ ihn gegen Bridget antreten.

Julian gewann, konnte danach aber nur Felix gegen Octavia ins Rennen schicken, denn außer den beiden waren alle Auserwählten bereits aus dem Wettbewerb ausgeschieden. Gegen Felix gewann Octavia ohne Mühe.

Jetzt standen nur noch Julian und Octavia im Wettbewerb um die Kaiserkrone. Nun, Julian stand mehr oder weniger. Er hatte bereits drei riesige Becher von Bacchus’ wahnsinnig starkem Wein getrunken. Er schwankte, während er in einer krummen Linie zum Ende seiner Bahn schlurfte, seine Augen waren müde und unkonzentriert. Als er das Podest erreicht hatte, stützte er sich mit einer Hand auf dessen Kante, um das Gleichgewicht zu halten.

Komm schon , Julian , dachte ich. Nur noch eine Runde. Du schaffst das. Er musste es schaffen. Mein Überleben bei den Spielen hing davon ab.

Bacchus zählte rückwärts, und Julian und Octavia griffen nach ihren Bechern. Wie immer benutzte Octavia ihre Magie, um den Alkohol aus dem Wein zu verdampfen. Julian starrte in die Mitte seines Kelches und verzog die Mundwinkel, als würde ihm gleich schlecht werden. Aber er hob ihn trotzdem an die Lippen und stürzte die Flüssigkeit tapfer hinunter, wenn auch viel langsamer als zuvor.

Selbst Octavia warf nach dem Verdampfen des Alkohols einen angewiderten Blick in ihren Becher. Auch ohne den Alkohol stellte allein die schiere Menge an Flüssigkeit, die sie zu sich nehmen mussten, ein Problem dar. Aber auch sie leerte ihren Kelch, ungefähr zur selben Zeit wie Julian.

Julian stützte seinen Kopf in die Hände, atmete ein paar Mal tief durch und versuchte, sich wieder zu fassen. Währenddessen hob Octavia ihren Diskus vom Boden auf und schleuderte ihn in Richtung der Statuen.

Die erste Statue zerbrach in zwei Hälften und die Menge jubelte vor Begeisterung. Sie wollten , dass Octavia gewann. Sie war ein Monster, aber sie wünschten ihr Glück. Es war zum Haareraufen!

Elektrizität durchströmte mich vor lauter Frustration, und bevor ich verarbeiten konnte, was geschah, explodierten meine Blitze aus meinen Händen.

Sie prallten gegen eine unsichtbare Wand vor unserer Loge und verpufften. Die Leute im Publikum sahen in meine Richtung und lachten. Also schoss ich einen weiteren Blitz ab, und noch einen, und noch einen. Jeder Blitz ließ ein wenig von meiner aufgestauten Wut frei, aber das spielte keine Rolle. In diesem magischen Glaskasten war ich so gut wie machtlos.

Nach ein paar weiteren Versuchen ballte ich keuchend die Fäuste und blickte in die Menge. Kaum einer von ihnen schaute mehr in meine Richtung. Sie waren alle auf Julian und Octavia konzentriert.

Dann entdeckte ich zwei bekannte Gesichter schräg gegenüber, weit hinten in den unteren Rängen. Finn und Bryan. Die Feen, die mich in den Tagen vor den Spielen trainiert hatten. Sie starrten mich eindringlich an, ihre Augen hart und warnend.

Ihr Anblick ließ mich erstarren. Ich musste an meine Ausbildung zurückdenken. Was hätten sie mir in diesem Moment geraten? Sie hätten mich ermahnt, mich zu beherrschen. Mich daran erinnert, dass ich Julian mit diesem Ausbruch nicht geholfen hatte. Alles, was ich tat, war mich selbst und meine Bündnispartner noch mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu stellen – und damit ins Visier der anderen.

Selbst wenn Octavia Kaiserin der Villa wird, bedeutet das nicht mein Ende , sagte ich mir. Wenn sie mich in die Arena schickt, werde ich mich nicht einfach hinlegen und sterben. Ich werde kämpfen, und ich werde überleben – koste es, was es wolle.

Ich setzte mich aufrechter hin und richtete meinen Blick wieder auf Octavia und Julian. Octavia hatte vier Statuen zu Fall gebracht, Julian zwei. Das war alles andere als ideal. Aber trotz Octavias Vorsprung war der Wettbewerb erst dann zu Ende, wenn einer von ihnen den goldenen Kranz auf dem Kopf trug. Julian konnte immer noch gewinnen.

Doch der Alkohol hatte ihm übel zugesetzt. Er war schweißüberströmt und konnte nicht mehr richtig zielen. Also verließ er sich auf seine rohe Kraft, um ans Ziel zu kommen. Er warf den Diskus so schnell und heftig wie er konnte, rannte los, um ihn zu holen, und wiederholte den Vorgang immer und immer wieder. Er hielt kaum inne, abgesehen von ein paar stolpernden Schritten auf dem Weg zum Diskus und zurück.

Auf diese Weise gelang es ihm, binnen kurzer Zeit eine beträchtliche Anzahl von Statuen zu zerstören.

Octavia war langsamer. Aber sie war zielsicher. Sie zerstörte eine Statue nach der anderen. Bis sie schließlich alle in Trümmern auf dem Boden lagen.

Julian fiel auf die Knie und ließ seine Stirn auf den Boden sinken. Er hämmerte seine Fäuste in die Erde, und die ganze Arena bebte unter der Wucht seiner Kraft.

Die Niederlage brach nun auch über mich herein. Ich saß wie erstarrt auf dem Thron und sah zu, wie Octavia ihren Pferdeschwanz löste und ich dunkles Haar ausschüttelte, damit es ihr elegant über die Schultern wehte, während die Menge ihren Namen brüllte.

Das kann nicht wahr sein.

Das kann doch einfach nicht wahr sein.

Bacchus brachte seinen Wagen vor ihr zum Stehen und hob seinen Weinkelch zum Toast. „Herzlichen Glückwunsch an unsere neue Kaiserin der Villa – Octavia, die auserwählte Kämpferin des Neptun!“, rief er, und die Menge jubelte und prostete ihm zu. „Tritt vor den Thron in der Loge der Auserwählten, wo die bisherige Kaiserin der Villa dich mit dem goldenen Kranz krönen wird.“

Octavia kam mit einem breiten Grinsen auf mich zu. Ich hielt ihrem Blick stand, um nicht schwach zu wirken. Sollte sie doch in der nächsten Woche die Macht haben. Ich weigerte mich, mich von ihr brechen zu lassen. Ich würde das irgendwie durchstehen. Ich hatte keine andere Wahl.

Ihr Gesicht war von einer Mischung aus Schweiß und Staub bedeckt. Der Schmutz sah aus wie Kriegsbemalung. Auch während sie sich vor mir hinkniete, blieben ihre gefährlichen, ozeanblauen Augen auf mich gerichtet.

Meine Handflächen summten vor Elektrizität. Es wäre so einfach, nach vorne zu greifen und sie an Ort und Stelle zu pulverisieren. Der Gedanke ließ meine Magie aufleuchten, meine Hände und Arme glühten vor lauter Blitzen, die sie durchzogen.

„Du willst mich umbringen.“ Sie lächelte süßlich, aber ihre Stimme war voller Gift. „Tu es. Ich fordere dich heraus. Tu es, und wir werden beide sterben.“

Ekel stieg in meiner Kehle auf. Denn sie hatte recht. Ich hatte tatsächlich an Mord gedacht.

Ich wandte meinen Blick von ihr ab. Meine Brust fühlte sich hohl an, während ich die johlende Menge um uns herum beobachtete. Ich werde sie nicht gewinnen lassen .

Ich war gegen meinen Willen in diese Spiele gedrängt worden. Und ich weigerte mich, mich in ein Monster verwandeln zu lassen. Selbst wenn ich gezwungen sein sollte, zu töten, würde ich es mit schwerem Herzen tun, nicht mit blutrünstiger Freude.

Meine Elektrizität schwächte sich zu einem leisen Pochen ab, bis die glühenden Blitze von meiner Haut verschwanden.

„Du magst bei den Spielen meine Feindin sein“, sagte ich und griff nach oben, um den Kranz von meinem Kopf zu heben. „Aber das bedeutet nicht, dass du den Tod verdienst.“

Selbst als ich den Kranz sanft auf Octavias Kopf setzte, sah sie so kampflustig aus wie immer.

„Es ist mir egal, für wie ‚besonders‘ dich alle halten.“ Sie kniff die Augen zusammen, als ob sie alles an mir abstoßen würde. „Sicher, du hast vielleicht mächtige Magie. Aber dein Herz ist weich. Und das wird dich umbringen.“

Bevor ich etwas erwidern konnte, wandte sie mir den Rücken zu, hob die Arme und badete im Applaus.

Jetzt war es real. Octavia war offiziell Kaiserin der Villa. Und ich musste damit rechnen, am Ende der Woche im Kolosseum zu stehen und um mein Leben zu kämpfen.