– Selena –
D er Tag war gekommen. Octavias Auswahlzeremonie.
Wir versammelten uns in der Bibliothek, vor dem lichterloh brennenden Kamin. Ich saß auf einem Sofa zwischen Cassia und Bridget. Cassia war so unruhig wie immer, Bridget unbeweglich wie eine Statue.
Heute Morgen hatte ich Bridget gefragt, ob sie Visionen gehabt hatte, die ihr sagten, wen Octavia für die Arena auswählen würde. Sie hatte nein gesagt. Aber so steif, wie sie nun dasaß – als wäre sie bereit für das, was kommen würde –, konnte ich nicht umhin zu vermuten, dass sie gelogen hatte.
Julian saß mir in einem Sessel gegenüber. Er schaute nicht in meine Richtung. Stattdessen unterhielt er sich ausgerechnet mit Antonia und Felix.
Hasst Julian Felix nicht?
Endlich öffneten sich die Türen. Wir drehten uns geschlossen um und sahen Octavia und Vesta hereintreten. Octavia wirkte in ihrem wunderschönen, ozeanblauen Kleid wie eine Königin. Sie trug jede Menge Goldschmuck, ähnlich dem, den ich letzte Woche getragen hatte. Ihr glattes dunkles Haar hing ihr majestätisch über den Rücken, und der goldene Kranz thronte auf ihrem Kopf.
Die Kugeln schwebten hinter ihr, um jede ihrer Bewegungen aufzuzeichnen.
Sie und Vesta erreichten den vorderen Teil des Raums, und Vesta stellte sie den Zuschauern vor. Das war natürlich nur Show, denn die Zuschauer wussten ja bereits, wer wir waren. Aber so wollte es eben die Tradition.
„Octavia“, fuhr Vesta fort. „Bitte nimm meinen Platz vor dem Kamin ein und triff deine Wahl.“
Octavia baute sich mit hoch erhobenem Kinn vor uns auf. Drei der Kugeln folgten ihr und blieben auf der Höhe ihrer Taille stehen.
„Ich berühre jede Kugel und werfe sie in die Luft“, so begann sie die Sätze, die alle Kaiser der Villa während der Zeremonie sagen mussten. „Das Gesicht eines Auserwählten wird in der Kugel erscheinen und damit verkünden, wen ich in die Arena schicke.“
Meine Brust zog sich zusammen, und die Zeit schien stillzustehen. Wenn nicht ein seltsames Wunder geschah und Octavia plötzlich beschloss, dass ich doch nicht ihr Feind Nummer eins war, erwartete ich, mein Gesicht in einer dieser Kugeln zu sehen.
Octavia griff nach vorne, schnappte sich die erste Kugel und warf sie in die Luft.
Mein Gesicht erschien als Hologramm in der Mitte.
Mein Kopf brummte, und alle Hintergrundgeräusche im Raum wurden gedämpft. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich konnte kaum denken. Ich konnte nur noch entsetzt auf mein Gesicht in der Kugel starren.
„Selena, die auserwählte Kämpferin des Jupiter“, sagte Octavia und sah mich voller Vorfreude an. „Ich habe dich ausgewählt, weil du als erste auserwählte Kämpferin des Jupiter nicht einschätzbar bist. Das gefällt mir nicht. Und du gefällst mir auch nicht.“
Elektrizität durchströmte mich und holte mich aus meiner schockierten Trance heraus. „Das beruht auf Gegenseitigkeit“, antwortete ich und klang dabei viel kontrollierter, als ich mich fühlte.
Sie grinste, griff nach der nächsten Kugel und schleuderte sie in die Luft.
Julian.
Ich schaute zu ihm hinüber, aber er starrte nur auf die Kugel. Sein ganzer Körper war angespannt. Dann sah er Octavia an und hielt ihre Augen mit einem tödlichen, herausfordernden Blick fest.
„Julian, auserwählter Kämpfer des Mars“, sagte Octavia. „Du hast im Wettbewerb um den Kaisertitel deutlich gemacht, dass du hinter mir her bist. Es wäre dumm von mir, dich diese Woche nicht in die Arena zu schicken.“
Er nickte, als hätte er nichts anderes erwartet.
Sie wandte den Blick von ihm ab und griff nach der letzten Kugel. Doch anstatt sie sofort in die Luft zu werfen, hielt sie sie fest und starrte sie an. War sie immer noch unschlüssig über die dritte Person, die sie in die Arena schicken würde?
Bitte nicht Cassia oder Bridget , dachte ich und ballte die Fäuste in meinem Schoß. Oder Cillian . Natürlich wollte ich nicht gegen eine der beiden anderen Personen in meinem Bündnis kämpfen. Was Cillian anging … wenn man mich fragte, war eher er der Undurchschaubare unter uns, nicht ich. Mit seiner Stärke und seiner Magie konnte er gefährlicher sein als Julian und ich zusammen.
Nach ein paar angespannten Sekunden warf Octavia die letzte Kugel in die Luft. Sie ließ sich neben den anderen beiden über Octavias Kopf nieder, und ich erschrak beim Anblick des Gesichts, das uns entgegenstarrte.
„Bridget, auserwählte Kämpferin der Minerva“, verkündete Octavia, und Bridget blieb neben mir völlig regungslos. Ihre grauen Augen waren leer. „Du bist die einzige Auserwählte, die nicht in meine Suite gekommen ist, um einen Deal mit mir auszuhandeln. Abgesehen von Selena natürlich, der ich gesagt habe, sie solle es gar nicht erst versuchen.“ Sie grinste mich an und richtete ihren Blick wieder auf Bridget. „Auf dich habe ich es eigentlich nicht abgesehen. Aber wenn du nicht mit mir zusammenarbeiten willst, nehme ich an, dass du gegen mich bist. Vielleicht lässt sich dieser Eindruck im Laufe der Spiele beheben, vielleicht aber auch nicht. Doch ich hoffe, dass du deine Gabe der Prophezeiung nutzen kannst, um herauszufinden, wie du entweder Selena oder Julian diese Woche in der Arena schlagen kannst.“
Bridget erwiderte nichts. Auch Julian und ich blieben stumm.
Warum hatte Bridget nicht mit Octavia gesprochen, nachdem sie Kaiserin der Villa geworden war? Sie hätte versuchen können, einen Deal mit ihr auszuhandeln. Etwas, das sicherstellte, dass Julian und ich nicht gegen jemanden aus unserem Bündnis antreten mussten.
Bevor mir eine Antwort einfiel, trat Vesta neben Octavia hervor. Ihr Kleid hatte die gleiche Farbe wie die Flammen, die hinter ihr tanzten, und sie hielt ihre Hände andächtig verschränkt. Ihre langen Ärmel erinnerten mich an ein Engelsgewand. Sie sah uns der Reihe nach an. „Hat jemand dem etwas hinzuzufügen?“
„Das wird ein Wahnsinnskampf“, mischte sich Emmet ein und grinste, während die Kugeln schneller um ihn herumschwirrten.
„Ja, und wie!“ Pierce gab Emmet ein High Five. „Es ist Zeit, dass wir die volle Kraft von Selenas Magie in Aktion sehen.“
Alle außer Julian, Bridget und Cassia nickten und murmelten zustimmend.
Ich starrte wie betäubt auf meine Hände hinunter. So, wie mein Training gestern Abend ausgesehen hatte, erwartete sie eine große Enttäuschung.
Vor allem, weil ich mir nicht vorstellen konnte, mich gegen Bridget oder Julian zu stellen. Der Gedanke daran reichte aus, um mir den Magen zu verdrehen. Selbst nach dem, was Julian mir angetan hatte, wurde mir bei der Vorstellung, ihm wehzutun, schlecht. Er durfte nicht sterben. Das durfte er einfach nicht. Die bloße Möglichkeit einer Welt ohne ihn ließ eine tiefe Leere bis ins Innerste meiner Knochen sinken.
Wie soll ich das nur hinkriegen?
„Danke, Octavia.“ Vestas warme Stimme durchbrach meine Panik. „Diese Auswahlzeremonie ist hiermit beendet. Die drei Ausgewählten werden weiter in der Villa bleiben, bis wir alle in die Arena gehen.“ Sie wandte ihren Blick von den Kugeln ab und konzentrierte sich auf mich, Julian und Bridget. „Ich wünsche euch dreien viel Glück.“