Was haben die arabischen Namen Nasser, Arafat und Mohammed mit dem deutschen NS-Generalfeldmarschall Rommel zu tun? Sie alle scheinen eine Huldigungsgeste der besonderen Art darzustellen. Nachdem Mama und Papa Abou-Chaker Mitte der 1970er Jahre aus einem libanesischen Flüchtlingscamp nach Deutschland geflohen waren, fanden sie in West-Berlin ihre neue Heimstätte und gaben ihren in Deutschland geborenen Söhnen die Namen Nasser, Arafat, Rommel und Mohammed. Die Abou-Chakers zählen seit vielen Jahren sowohl bei der Polizei als auch in den Medien zu einer der berüchtigtsten kriminellen Familien in Berlin. Besser bekannt unter der Rubrik „Clankriminalität“. Seit dem Kinofilm Zeiten ändern dich aus dem Jahr 2010, der den Lebensweg des Gangsta-Rappers Bushido nachzeichnet, ist die Abou-Chaker-Familie samt ihren Machenschaften im deutschsprachigen Raum auch bei Nicht-Gangsta-Rap-Kennern bekannt.
Der Name Mohammed bezieht sich auf den islamischen Propheten und führt in muslimischen Kreisen weltweit die Namensliste für Jungen an. Ob non-binäre gläubige muslimische Eltern ihren non-binären Kindern ebenfalls diesen für die Mehrheit der muslimischen Gläubigen als eindeutig männlich gelesenen Namen geben, ist bislang nicht überliefert. Doch was Mensch, in Deutschland lebend, eindeutig sagen kann, ist, dass in Berlin, Hessen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen oder Bremen der Name zu einem der beliebtesten überhaupt gehört. Nasser wiederum geht auf Gamal Abdel Nasser zurück, der von 1954 bis 1970 Staatspräsident von Ägypten und ein bekannter Vertreter des Panarabismus war. Diese Ideologie diente zur Abgrenzung von britischen, französischen und amerikanischen Einflüssen in der Region und zielte auf ein arabisches und muslimisches Großreich. Auch Größenwahn kennt keine Grenzen. Da nicht alle Staaten, die sich als arabisch definieren, diese Idee aktiv unterstützen, scheiterte das Vorhaben. Arafat leitet sich von PLO-Chef Jassir Arafat her. Der war lange Jahre damit beschäftigt, im Namen der palästinensischen Bevölkerung weltweit Terroranschläge verüben zu lassen, bevor er durch die DDR-Regierung auf die internationale politische Bühne gehoben und dort als Hoffnungsträger im Israel-Palästina-Konflikt gehandelt wurde. Eines Tages bekam er dann noch den Friedensnobelpreis samt zahlreicher Fördergelder, die laut diversen Medienberichten u. a. in die privaten Kassen seiner Familie geflossen sein sollen. Das ist aber eine andere Geschichte. Zu guter Letzt ist da noch Rommel in der Arena der gehuldigten Männer. Erwin Rommel, auch bekannt unter dem Namen der Wüstenfuchs, diente unter Hitlers Naziherrschaft. In Nordafrika versuchte er die britische Vormachtstellung zurückzudrängen und wurde nicht nur im deutschen Reich als großer Held verehrt. Bis heute finden sich arabischsprachige Biografien von Rommel neben Hitlers Mein Kampf bei fast jedem arabischen Buchhändler.
Was Nasser, Arafat und Rommel eint, fragen Sie sich? Sie alle waren zumindest zeitweise beeindruckt vom Nationalsozialismus und stellten sich entweder in den direkten Dienst dieser Ideologie, wie Rommel es tat, oder übernahmen die antisemitische Propaganda, die sie viele Jahre u. a. auch in arabischer Sprache durch den NS-Propagandaweltfunk Radio Zeesen aufsaugen konnten. So waren Nasser und Arafat nach dem Zweiten Weltkrieg energische Gegner der israelischen Staatsgründung. Mit Auswirkungen bis in unsere Tage. Denn noch heute verbindet sich auf deutschen Straßen eine antisemitische Weltsicht mit „From the River to the Sea – Palestine will be free“-Rufen und aggressivem Gebrüll.
Lange war Arafat Abou-Chaker als Manager von Bushido tätig, der u. a. in sozialen Medien eine Palästina-Landkarte mit den Farben der Nationalflagge zeigte. Auf dem heutigen Gebiet von Israel wohlgemerkt. Dass Palästina so nie existiert hat, wird regelmäßig negiert. Wie auch niemand aus diesen Kreisen auf die Idee käme, den jordanischen Staat zu bekämpfen, der ebenfalls aus dem britisch-palästinensischen Mandatsgebiet in den 1920er Jahren hervorgegangen ist. Vergessen wird zudem die Tatsache, dass der Koran Israel eindeutig benennt, Palästina hingegen nicht. Nichts von dem hilft der palästinensischen Bevölkerung. Ganz im Gegenteil. Frieden und ein eigener Staat scheinen unerreichbar.
Dass Verschwörungsgedanken maßgeblich von einem Wahn getrieben sind, ist bekannt. Für manche Menschen lebt es sich in der Realitätsverweigerung einfach besser als in der differenzierten und vielfältigen Wirklichkeit. Eine Überforderung, die Extremisten aller Couleur teilen, weswegen sie die Welt in Gut und Böse, in Freund und Feind aufteilen. Daher sind in menschenverachtenden Ideologien auch so häufig antisemitische Vorstellungen anzutreffen. Selbst im Gangsta-Rap, wo sich erwachsene Männer, die gefühlt die anale Phase nicht überwunden haben, als ganze Kerle produzieren und ungeniert ihren Judenhass auf Kosten der Palästinenser ausleben. In einem YouTube-Gespräch mit dem afghanischstämmigen Gangsta-Rapper Sadiq erklärte Arafat Abou-Chaker: „Gerade im Rap-Business brauchen wir uns nicht anlügen, wenn er ankommt und sagt, ich bin Jude, ist er schon fast unten durch. Reden wir Tacheles!“35 Ben Salomo, ein Berliner Rapper und Begründer der Rap-am-Mittwoch-Reihe ist selbst jüdisch und hat den Ausschnitt in einem Rap-Song verarbeitet. Darin sagt er: „Er (der Rap) tut gerne auf multikulti-tolerant, aber hinter der Fassade läuft ein kultureller Kampf, ein recycelter Komplex, Spiegel der Gesellschaft, Schmelztiegel der Gesellschaft. (…) Deutscher Rap will keine Juden in seinem Ghetto.“
Spiegelbild der Gesellschaft ist hier ein treffendes Bild, denn bis heute glauben nicht wenige Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte, dass diejenigen, die von Rassismus betroffen sind oder eine Einwanderungsgeschichte hinter sich haben, selbst keine Rassisten und auch keine Antisemiten sein können und deswegen auch mit den Verbrechen der Nazis nichts zu tun haben. Das ist natürlich Quatsch. Sowohl in der Vergangenheit wie auch heute findet sich bei manchen aus den genannten Gruppen eine große Begeisterung für den Nationalsozialismus und dessen Ideologie. Das reicht von einer bloßen Schwärmerei bis hin zur offenen Bewunderung, die ihnen niemand aufzwingt. Zur Wahrheit gehört eben leider auch, dass Deutschland seinen guten Ruf nicht nur seinen ausgefuchsten technischen Erfindungen zu verdanken hat, sondern auch Hitler, Goebbels und eben Rommel. Rassismus und Antisemitismus sind eine Erscheinung, die durch gewissen Faktoren gefördert wird.
Bildung allein konnte solche Ideologien nie verhindern. Ganz im Gegenteil nutzten gerade jene Menschenfeinde gerne juristische, medizinische oder theologische Disziplinen, um die eigenen Ideologien zu etablieren. Auch heute braucht es Wachsamkeit, damit sich keine menschenverachtenden Ideen im Namen der Wissenschaft als neue Norm festsetzen können. Aber aufgepasst! Heute neigen viele dazu, alle erdenklichen Meinungen und Haltungen, die das eigene Weltbild womöglich stören, als Nazi zu verunglimpfen. Das fängt bereits bei so etwas Banalem wie der Pedanterie an. Wer aber Nazi in dieser Form verwendet, relativiert die Gräueltaten der NS-Herrschaft und verstellt den Blick für tatsächlich rechtsextreme und faschistische Ideologien und Akteure.
In unserer multikulturellen Gesellschaft leben viele rechtsextreme Ideen aus den Herkunftsländern Eingewanderter in Deutschland weiter, finden neue Bündnisse und entwickeln ein Gefahrenpotenzial, auf das sich weder die Gesellschaft noch die politischen Institutionen eingestellt haben. Das Bindeglied dieser äußerst diversen Querfront bildet nach wie vor deren antisemitisches Weltbild. Und es entstehen kriminelle Vereinigungen, in denen sich Rockerbanden mit kriminellen Familienclans zusammentun und ihren Beutezug durch die Gesellschaft gerne mal mit dem eigens erlebten Rassismus und den politischen Konflikten in ihren Herkunftsländern erklären. Damit versuchen sie sich von jeglicher Schuld und Verantwortung freizusprechen, und sie erschaffen sich eine Gedankenwelt, die aus Lügen und Wahnvorstellungen konstruiert ist. Nach dem Motto: Hauptsache, wir bekommen das uns zustehende Stück Wohlstand. Und zwar auf dem Rücken gerade jener, von denen sie sich kollektiv ausgegrenzt glauben. Damit meinen sie die Almans, aber auch die als Almans gelesenen Einwanderungsgruppen, denen sie zwar selbst zugehören, die hier von ihnen aber als Verräter gebrandmarkt werden. Und natürlich meinen sie den Staat und alles, was zum Staat dazugehört. Vom Richter über den Staatsanwalt über die Jobcentermitarbeitenden bis hin zur Polizei. Das Freund-Feind-Bild ist die Leitplanke ihres Handelns. Und weil das Ausmaß dieser Querfront nicht unerheblich und die rechte Ideologie in unserer Gesellschaft breit verankert ist, bleibt ihnen das Unwissen oder Nicht-wissen-Wollen dessen, was in Institutionen vonstattengeht, erhalten.
Die regelmäßig durchgeführte Mitte-Studie36 hatte 2021 zutage gefördert, dass 1,7 Prozent der Gesamtbevölkerung ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben. Konkret bedeutet das, dass hierzulande 2,2 Prozent der Bevölkerung eine Diktatur der Demokratie vorziehen. Darüber hinaus stimmen 4,3 Prozent „überwiegend“ und 3,1 Prozent „voll und ganz“ der Aussage zu, dass ein „Führer“ „Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand“ regieren solle. 9,3 Prozent stimmen der Aussage zu, dass eine einzige starke Partei genüge, um eine vermeintliche Volksgemeinschaft insgesamt zu verkörpern. „Antisemitismus vermischt sich mit Globalisierungsangst und Wissenschaftsfeindlichkeit“, heißt es in der Studie, und damit hat auch eine Zunahme von gewalttätigen Angriffen zu tun. Hinzukommen antiisraelische Haltungen und eine Relativierung des Nationalsozialismus, der sich etwa in diesem Satz zusammenfassen lässt: „Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip auch nichts anderes als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben.“ Dem stimmen 21,1 Prozent der Befragten teilweise zu. 11,4 stimmen dieser Aussage eher zu und 6,9 voll und ganz. Daher findet Solidarität mit den Palästinensern regelmäßig sowohl bei linken als auch rechtsextremen Gruppen statt. Die Querfront ist sich einig in ihrem Judenhass und ihrer NS-Relativierung. Die historischen Verstrickungen sind alt und werden – ob bewusst oder nicht – außer Acht gelassen. Wer also glaubt, NS-Geschichte ist nur was für Almans, hat noch immer nicht das Ausmaß des Problems erfasst.
Tattoos hatte ich in meinem Leben schon viele gesehen. Vom Arschgeweih über harmlose Schmetterlinge, Herzen und Namen des Liebsten oder die Namen der eigenen Kinder. Es gibt nichts, was nicht mit Tinte in die Haut gestochen wird. Daher finden sich auch politische und verbotene Symbole und Zeichen auf die Haut tätowiert. Das Hakenkreuz ist hierbei das offensichtlichste, doch auch Sätze wie, „Alles für Deutschland“ oder „Meine Ehre heißt Treue“ entstammen nicht etwa einer Supermarktwerbung oder einem Gespräch beim Dating, sondern den Zeiten der NS-Diktatur. Hinzu kommen verschiedene Zahlenkombis wie 18 (Hitlers Initialenkombination), 84 (Heil-Deutschland-Zahlenkombi) oder auch ZOG (Zionist Occupied Government). So weit, so gruselig.
Deutschland ist Einwanderungsland, und das bedeutet nicht nur, dass sich hier schöne Gerichte aus allen möglichen Ländern ansammeln, sondern leider auch rechtsextreme Symbole. Was schon manchmal irritieren kann, denn wir als die Guten sind uns einig, dass Faschos doof sind. Wenn einige Faschos freundlich und höflich sind, und das in Grumpy-Berlin, dann ist das im doppelten Sinne auffällig.
In einem meiner Stammsupermärkte arbeitet ein hagerer junger Mann mit einem Turkvolknamen. Den lese ich jedes Mal auf seinem Namensschild, wenn er hilfsbereit unsere Fragen beantwortet oder jeden freundlich an der Kasse begrüßt und abkassiert. Meine Einkäufe nähern sich seinen Händen und liegen für den Scan bereit. An seinem schmalen Unterarm sind unübersehbar und in fetten Lettern Orchon-Runen eintätowiert, die übersetzt „Turk“ bedeuten und für das Turkvolk stehen. Das Symbol findet sich bei den rechtsextremen Ülkücü. Hierzulande bekannt unter der Bezeichnung „Graue Wölfe“. Wie deutsche Rechtsextreme halten auch sie sich für ein starkes Volk und hängen Großreichfantasien an. Ein Funktionär schrieb hierzu: „Ich sehne mich nach einer geeinten türkischen Welt, die von der Adria bis zur Chinesischen Mauer reicht.“ Minderheiten sind sie nicht sonderlich wohlgesinnt, um es einmal freundlich auszudrücken. Und das Gebiet des einstigen Osmanischen Reichs dient ihnen regelmäßig als Projektionsfläche ideologischer Fantastereien. In Deutschland bilden die Grauen Wölfe die größte rechtsextreme Gruppe.37 11 000 Personen sollen dieser Ideologie zugerechnet werden können, rund 9400 von ihnen sind in Vereinen organisiert. Der möglicherweise prominenteste Graue-Wölfe-Tattoo-Träger ist der deutsch-türkische Ex-Nationalspieler Mesut Özil.38 Somit hat der Rechtsextremismus in Deutschland auch einen Migrationshintergrund, und das nicht erst seit heute.
Integration und Teilhabe haben viele Gesichter. In diesen türkeistämmigen Kreisen verbinden sich Vereinsmeierei und rechtsextremes Gedankengut und erfreuen sich einer bestimmten Diversity. Ausgenommen Juden, Griechen, Kurden, Nichtmuslime, Queere, Feministinnen und viele andere. Laut Verfassungsschutz sind die drei mitgliederstärksten Ülkücü-Verbände in Deutschland die ADÜTDF „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V.“ (ca. 7000 Mitglieder, organisiert in rund 160 Ortsvereinen), die ATİB „Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e. V.“ (Mitglied im Zentralrat der Muslime, ca. 1200 Mitglieder in 25 Vereinen) sowie die ANF „Föderation der Weltordnung in Europa“ (ca. 1200 Mitglieder in rund fünfzehn Ortsvereinen). Der Verfassungsschutz merkt an: „Bei den drei großen Dachverbänden der ‚Ülkücü‘-Bewegung handelt es sich teilweise um Auslandsorganisationen extrem nationalistischer türkischer Parteien.“39 Das hindert aber keine der etablierten Parteien in Deutschland daran, sich mit ihren Vertretern ablichten zu lassen oder an ihren Veranstaltungen teilzunehmen und ihre Einladungen anzunehmen. Soviel auch zum Thema „Nie wieder“.
Das angesichts der jüngsten Präsidentschaftswahlergebnisse in der Türkei, wo für Erdogan im zwanzigsten Jahr seiner Regierung fünf weitere Herrschaftsjahre folgen werden. Der Anteil der Stimmen, die Erdogan hierzulande für sich verbuchen konnte, lag bei rund 67 Prozent. Auch wenn gerne die Diskriminierung oder die ländliche und bildungsferne Herkunft vieler hiesiger Türkeistämmiger als Grund dafür herangezogen wird, negiert man fast gänzlich die ideologischen Strukturen, die in Almanya über Jahrzehnte den Weg für die islamistische AKP geebnet haben. Denn gerade die im Ausland lebenden Türkeistämmigen wurden bewusst für die Wahlen zugelassen. 2010 wurde das Amt für Auslandstürken ins Leben gerufen, womit es nach der Religionsbehörde DIYANET ein zweites Amt gibt, das direkt dem Staatspräsidenten untersteht. Zwei Jahre später hat man den Auslandstürken ermöglicht, an den Wahlen in der Türkei auch vom Ausland aus teilzunehmen. Die Wahlberechtigten können in den Konsulaten wählen. Darüber hinaus liegen laut Verfassungsbehörden Erkenntnisse über Termine vor, die von türkischen Politikern „wahrgenommen wurden, aber offiziell nicht als Wahlkampftermine deklariert waren“, hieß es auf Anfrage der Berliner Zeitung. Der Verfassungsschutz führt in seinem Bericht von 2021 die Union Internationaler Demokraten (UID) als AKP-Lobbyverein, was diese bestreitet. „Wir haben weder organisatorische noch juristische Verbindungen mit der Partei“, sagt ein Sprecher der Berliner Zeitung.40 Anscheinend hat nichts mit nichts zu tun.
Dabei war die Etablierung der Grauen Wölfe kein natürlicher Prozess ohne äußeres Zutun. Die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), seit Juli 2018 Koalitionspartner der AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung, Erdoğan), arbeitet in Deutschland am Aufbau sogenannter Idealistenvereine und zielt auf die Gewinnung von „Europatürken“.41 Damit sind türkeistämmige Deutsche gemeint, die ihren Lebensmittelpunkt in Europa haben. Mit dem Slogan „Werde Deutscher, bleibe Türke“ soll ihre Interessenvertretung auch in Deutschland gewahrt werden; insbesondere die dritte bzw. vierte Generation junger Menschen mit türkischen Bezügen soll damit für die ultranationalistischen ideologischen Ziele gewonnen werden. Zahlreiche Mordanschläge sollen auf das Konto der Grauen Wölfe gehen. Sowohl in Europa wie auch in Deutschland.
Bereits 1978 erhielt die rechtsextreme MHP durch den CSU-Politiker Franz Josef Strauß eine Auslandsvertretung in Deutschland. Der Plan war, durch die rechtsextreme Partei die sozialistischen Bestrebungen von türkischen Bürgern in Deutschland zu bekämpfen. Geschehen in Zeiten, in denen der Kommunismus eine große Bedrohung für die westlich-demokratischen und am Kapitalismus orientierten Staaten darstellte. Mit folgenschweren Konsequenzen bis heute.
Dabei können deutsche und türkische Nazis auf eine gemeinsame Geschichte blicken. Der Türk-Alman Dostluk Paktı, auf Deutsch Türkisch-deutsche Freundschaftspakt, wurde 1941 zwischen dem nationalsozialistischen Deutschen Reich und der Türkei geschlossen und hielt bis 1945 an. Die Behauptung Hitlers, dass es eine Verbindung einer jüdische Weltverschwörung sowohl mit der US-amerikanischen Wirtschaft wie mit dem Kommunismus gebe, hatte nicht nur in der Vergangenheit unter Türken viele Anhänger, sondern auch heute noch. Islamisten jeglicher Herkunft argumentieren in einer Weise, wie das auch Neonazis tun. Necmettin Erbakan, Förderer Erdogans und Mitbegründer der Milli Görüş, die in Deutschland viele türkeistämmige Muslime prägte, sagte einmal in einem Welt-Interview: „Seit 5700 Jahren regieren Juden die Welt. Es ist eine Herrschaft des Unrechts, der Grausamkeit und der Gewalt. Sie haben einen starken Glauben, eine Religion, die ihnen sagt, dass sie die Welt beherrschen sollen. Sehen Sie sich diese Ein-Dollar-Note an. Darauf ist ein Symbol, eine Pyramide von 13 Stufen, mit einem Auge in der Spitze. Es ist das Symbol der zionistischen Weltherrschaft. Die Stufen stellen vier ‚offene‘ und andere geheime Gesellschaften dar, dahinter gibt es ein ‚Parlament der 300‘ und 33 Rabbinerparlamente, und dahinter noch andere, unsichtbare Lenker. Sie regieren die Welt über die kapitalistische Weltordnung.“42
Ob der türkeistämmige Kassierer sich des Ausmaßes der türkisch-islamistisch-faschistischen Ideologie bewusst ist, kann bezweifelt werden. Genauso wenig wollen die Anhänger und Anhängerinnen nicht verstehen, wie ihre Einmischungen in andere Staaten, auch wenn ihre Großeltern oder Eltern einmal aus diesem Land ausgewandert sind, das Leben der Menschen vor Ort gegen deren Willen beeinflussen. Obwohl sie im selben Atemzug ausländische Einflussnahme ablehnen, tun sie nichts anderes. Türkeistämmig hin oder her: Ihr Lebensmittelpunkt ist nicht die Türkei. Und auf die Deutsch-Türken ist man heute in der Türkei nicht immer gut zu sprechen. Mit ihrem Verhalten bleiben sie dort auch weiterhin die Almancis, Deutschländer, wie man sie einst abfällig genannt hatte. Deutsche würden sich überall einmischen, heißt es. Und wenn man bei diesem Bild bleibt, dann ist die Integration bei den Almancis mehr als gelungen. Sie verkörpern den Alman dieses Schlags auf ganzer Linie. Egal wie sehr sie hierbei auf ihre türkische Herkunft pochen.
So schauen all jene Almans mit und ohne Einwanderungsgeschichte beschämt aus der Wäsche, wenn bei Umfragen junge AKP-Wähler der Generation Z erklären, warum Erdogan der richtige Mann für die Türkei sei. Stellvertretend zitiere ich jenen jungen Mann, der weiß, wie der Hase läuft: „Läuft einfach gut da. Jetzt diese Erdbebensache und so, okay, hätte man besser machen können.“43 Wen er in Deutschland wählen würde? „Ganz klar AfD. Würde alles besser machen. Hab mich da bissel informiert. Würde meiner Meinung nach alles besser machen!“ Für die Anhänger des großen Bevölkerungsaustauschs tun sich plötzlich ganz neue Möglichkeiten auf. Bei jeder neuen Wählerumfrage, wenn die Beliebtheit der AfD wieder zunimmt, kann sie sich über die gelungene Integration ihrer Geistesblüten freuen und jenen Almans mit Einwanderungsgeschichte danken, die bei ihnen in der Vergangenheit ein Kreuzchen machen und das auch in der Zukunft tun werden. Ali Bumaye, ein deutsch-palästinensischer Rapper aus Berlin-Neukölln, erklärt das so: „Versteht mich nicht falsch, aber ich sehe mittlerweile immer mehr Leute wie Icke, mit Migrationshintergrund, die mich volllabern mit der AfD (…) Die wollen nicht die AfD wählen, die werden die AfD wählen!“44 Vielleicht wird es Zeit, sich über fünfzig Jahre nach den Entnazifizierungsversuchen nun der Entextremisierung zu widmen, bevor es richtig ungemütlich wird im Einwanderungsland Deutschland und es keinen Weg zurück mehr gibt. Die Herausforderung ist groß.
Bereits heute heißt es bei Almans mit und ohne Migrationshintergrund: Wir haben von nix gewusst. Wohin das führt, hat Almanya in der Vergangenheit grausam vorgeführt. Dass es dabei Minderheiten hierzulande gibt, die das als Islamisten, Ausländer, Einwanderer oder von Rassismus Betroffene nachahmenswert finden, macht die Sache noch dringlicher und nicht weniger problematisch. Egal wie sehr Rassisten hierzu auf Abstand gehen und verharmlosen wollen. Was uns zum nächsten Alman-Klischee führt. Almans und ihre große Nähe zur Distanz.
Freunde und Familie spontan einen Besuch abstatten und auch noch über Nacht ungeplant bleiben? Personen, die einem spontan vorgestellt werden und einen noch nie zuvor im Leben gesehen haben, mit Küsschen auf die Wange oder mit einer kleinen Umarmung begrüßen? Vor dem Supermarkt stehen und warten, weil es in Kübeln gießt, und Fremden Schokolade anbieten?
Eingewanderte und deren Kinder der ersten Einwanderergeneration sind häufig damit aufgewachsen, Spontanbesuche abzustatten. Dass die Mütter und Töchter der besuchten Familie daraufhin die Küche für die nächsten Stunden nicht mehr verließen, gehörte fast schon zum Standardprogramm. Besonders, wenn vorher kein Großeinkauf stattgefunden hatte und das Mittag- oder Abendessen gerade fertiggekocht wurde, aber nicht reichte, um es der großen Gästezahl zu servieren. Weswegen meist eh für mehr gekocht wird, aber nicht immer.
In der Familie einer maghrebinischen Freundin führte das irgendwann in den 1990er Jahren dazu, dass ihrem Vater das zu bunt wurde und er seinem Cousin die Ansage machte, er solle das mit seinen Spontanbesuchen samt Frau und vielen Kindern jetzt einmal sein lassen. Die Konsequenz war ja immer, dass der ganze Tag den Gästen gewidmet und Erholung weder unter der Woche noch am Wochenende möglich war. Das hatte in dem Fall zwar einen Bruch in der Familie zur Folge, aber der Seelenfrieden daheim war wiederhergestellt. Denn die Bewirtung hatte für die Gäste auch immer Gossip zur Folge. Das wiederum kam dann meist auch wieder bei den Gastgebern an.
Mit der innigen Begrüßung verhält es sich ebenfalls nicht überall gleich. Denn was für den Franzosen, der jedem – je nach Region – zwei oder drei Bisous gibt, als typisch gilt, das bedeutet für so manchen zu viel Nähe, erst recht, wenn es um das andere Geschlecht geht. Da sind sich die Almans, Japaner, Araber oder auch Koreaner weltweit doch näher, als Mensch glauben mag.
Auch Fremden Bonbons, Schokolade oder was auch immer gerade gegessen wird, anbieten, findet hierzulande eher selten statt. Aber es findet statt. In der Bahn habe ich persönlich diese Verhaltensweise bislang nur bei Menschen gesehen, die eine weitere Sprache mit ihren Verwandten und Freunden sprachen und einen vermuteten Migrationshintergrund hatten. Doch war ich schon Zeuge, wie ein älterer Alman-Herr meiner Marok-Mama Schokokekse anbot, weil wir draußen herumstehen mussten und Unterschlupf unter einem Supermarktdach fanden. Bei Hustenfällen anderer konnte ich oft erleben, dass Abhilfe mit Bonbons geleistet wurde. Meist war es die ältere Generation, die hier aktiv wurde, und es scheint auch, dass es eher einen triftigen Grund geben muss.
Alman-Hippies bieten einem fast überall alle möglichen nicht definierbaren und übelriechenden Häppchen an, die für sie wohl als naturverbundene Köstlichkeiten gelten. Kann Mensch machen. Kann man aber auch sein lassen. Das sind die Momente, in denen man sich das Alman-Klischee wünscht. Das Pendant sind jene, die im warmen Zug Döner, Zwiebeln, Eier oder Kohlgerichte essen müssen, die man selbst nicht unbedingt riechen möchte. Manchmal auch nicht sehen. Weder bei Renate noch bei Parvati sieht es appetitlich aus. Wer also auf der Suche nach klaren Ihr-und-wir-Bildern durch Deutschland und die Welt wandert, wird immer wieder aufs Neue überrascht. Das gilt für die alte wie für die junge Generation.
Als eine iranische Freundin mit ihrem deutschen Ehemann ihren Vater in der deutschen Provinz besuchte, wollte ihr Ehemann anscheinend nicht als der verklemmte deutsche Mann auftreten, für den man ihn hielt. Der sonst reservierte Schwiegersohn fiel seinem Schwiegervater zur Begrüßung in die Arme. Der Schwiegervater reagierte freundlich, wie freundlich Iraner dem Klischee entsprechend eben sind. Und der Schwiegersohn speicherte, dass diese Umarmung zur Begrüßung erwiderte wurde und offensichtlich richtig gut bei seinem iranischen Schwiegervater ankam. Das wiederholte er fortan, bis irgendwann die Tochter von ihrem Vater zur Seite genommen wurde. Ihr Mann möge bitte aufhören, ihn immer in den Arm zu nehmen. Er habe das nicht so gerne. Schon gar nicht so überschwänglich. Da hatte die Tochter nun den Shirazi-Salat. Also durfte sie das ihrem Ehemann erklären. Wie soll ein Alman die Welt der Eingewanderten denn begreifen, wenn nichts eindeutig ist? Schließlich hatte sich sein Schwiegervater doch nicht gegen ihn gewehrt, wie er das aus den Medien von diesen Orientalen gehört hatte. Zudem hatte er auf der Hochzeit getanzt wie die iranische Version von Alexis Sorbas. Glücklich und mit offenen Armen. Das Ende vom Lied: Wir Menschen sind besondere Geschöpfe, und wir müssen uns immer wieder aufs Neue beschnuppern. Hilft alles nix.
Wie so oft lernen wir auch den Umgang von Nähe und Distanz daheim in der Familie. In Deutschland hat sicherlich ein Buch aus der Nazi-Zeit, das im Nachkriegsdeutschland eine Neuauflage erlebte, seinen nicht unbedeutenden Beitrag dazu geleistet: Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind von der Lungenfachärztin und überzeugten Nationalsozialistin Dr. Johanna Haarer. Es hat Spuren bis in unsere Zeit hinterlassen. Da Hitler das Buch sogar empfohlen hatte, war es wohl ganz im Sinne seiner totalitären Herrschaft. Nach dem Krieg wurden Haarers Bücher von den Alliierten verboten. Dieses Buch jedoch wurde ohne Hinweis auf die NS-Vergangenheit der Autorin in der Bundesrepublik bis weit in die 1980er Jahre neu aufgelegt. In der DDR wurde es nicht verlegt, aber Spuren davon können in anderen Erziehungsratgebern festgestellt werden. Es finden sich Zeilen wie diese im Erziehungsratgeber: „Das Kind wird gefüttert, gebadet und trockengelegt, im Übrigen aber vollkommen in Ruhe gelassen.“ Oder: „Die Überschüttung des Kindes mit Zärtlichkeiten, etwa gar von Dritten, kann verderblich sein und muss auf die Dauer verweichlichen. Eine gewisse Sparsamkeit in diesen Dingen ist der deutschen Mutter und dem deutschen Kinde sicherlich angemessen.“ Oder besonders hart: „Auch das schreiende und widerstrebende Kind muss tun, was die Mutter für nötig hält, und wird, falls es sich weiterhin ungezogen aufführt, gewissermaßen ,kaltgestellt‘, in einen Raum gebracht, wo es allein sein kann, und so lange nicht beachtet, bis es sein Verhalten ändert. Man glaubt gar nicht, wie früh und wie rasch ein Kind solches Vorgehen begreift.“ Da erstaunt es also nicht, dass die 68er-Generation einige Rechnungen mit ihren NS-Eltern offen hatte. Die Kälte und Distanz brachten viele vernarbte und empathielose Seelen hervor, mit vielfältigen Folgen, etwa der Unfähigkeit, einen Zugang zu den eigenen Gefühlen zu finden, aber auch Schwierigkeiten, Bindungen zu anderen Menschen aufzubauen. Auch Krankheiten wie Depressionen oder Alkoholsucht waren die Folge. Da wundert es nicht, dass alle möglichen ausländischen Ideologien – sei es der Maoismus oder der Islamismus – mit offenen Armen als Antwort auf alle Menschheitsfragen empfangen wurden. Wenn sie noch in Gestalt von exotischen Mustafas, Chaos oder Manolos bzw. Sharzads, Chen Lus oder Consuelas daherkamen, umso besser und aufregender. Und weniger piefig und spießig als Siegfried oder Tusnelda.
Doch wer jetzt wie Nelson aus den Simpsons lachend oder abfällig auf die Deutschen mit ihrer Nazi-Vergangenheit zeigt, sollte lieber erstmal auf sich selbst blicken. Verzogene und verwahrloste Kinder finden sich überall auf dem Globus und meist ohne dass dazu eine grausame Anleitung in Buchform nötig gewesen wäre. Von den Deutschen, die zum Islam konvertierten und es sich im Islamismus einrichteten, haben nicht wenige ihre NS-Erziehung in die muslimischen Gemeinden und bikulturellen Familien einfließen lassen. Und nicht selten wurde den Muslimen aus der Türkei oder „Arabien“ noch erklärt, wie sie ihre Religion angeblich richtig zu leben haben, damit ihre Kinder zu unterwürfigen Umma-Muslimen werden. Ganz wie es sich der „Führer“ gewünscht hätte. Und nicht wenige der in diesem Islam geborenen Muslime haben das für bare Münze genommen und damit ihr Elend auch noch gelobt und angenommen, weil die Almans ja so fortschrittlich sind. Also immer schön erstmal vor der eigenen Haustür kehren.
Hinzu kommen all jene, die ihre Kinder als sogenannte Kofferkinder in der Türkei oder Tunesien oder Marokko zurückgelassen haben oder sie hierzulande schlichtweg verwahrlosen lassen. Da trifft das Klischee, dass diese Südländer so kinderfreundlich sind und besser mit Kindern umgehen können, wohl eher weniger zu. Die Schläge, die etliche Kinder in diesen „kinderfreundlichen“ Familien zu spüren bekommen, werden meist verdrängt.
Beim Thema Höflichkeit ist das global nicht anders. Auch hier gilt, was daheim vorgelebt wird. Wir übernehmen meist das, was uns umgibt. Vor allem, wenn wir selbst damit keine schlechten Erfahrungen machen. Auch wenn Höflichkeit in der Regel positiv wahrgenommen wird, schlägt einem zuweilen Rassismus entgegen. Wenn eine Dame von einem jungen schwarzen Mann einen Platz angeboten bekommt, dann kann es anstelle eines Dankeschöns auch abfällige und rassistische Kommentare geben. Die natürlich vor den Kopf stoßen und verletzen. Vermutlich hat die Dame endlich eine Gelegenheit gefunden, ihre Ressentiments abzuladen, weil sich der junge Mann höflich statt aggressiv vorlaut benimmt und somit als schwach wahrgenommen wird. Das ist verletzend für jemanden, der einfach nur höflich und hilfsbereit sein möchte. Doch die Konsequenz kann nicht sein, damit aufzuhören. Denn sonst würden wir die Welt zu einem ungemütlichen Ort machen. Und außerdem hat der liebe Gott uns verschieden gemacht, wie meine Mutter immer sagt.
Das gilt auch für das Teilen und sich gegenseitig bedenken. Wer mit seinen Nachbarn einen freundlichen Umgang pflegt, kann sie auch mal bei einer Backaktion mitbedenken. Mit einem kleinen Teller. Das kann jeder. Jeder kann den Anfang machen. Es muss nicht immer gewartet werden, dass die andere Seite den Anfang macht. Egal ob Alman oder was auch immer. Distanz und Nähe kennen keine Almanhaftigkeit. Denken Sie nächstes Mal an den iranischen Alexis Sorbas.