11. Herz-Junkie, Marcello
(Sahara Beck – Queen Of Hearts)
Ilaria
Mit meinem Vater unterwegs zu sein, ist immer eine Qual, weil meine Haare in diesem Dutt totgewürgt werden und ich unentwegt auf meine Haltung sowie meine Wortwahl achten muss, ganz zu schweigen davon, wen ich ansehe und wie ich aussehe. Ilaria, du darfst dies nicht. Ilaria, du darfst das nicht. Ilaria, wieso bist du nicht wie deine Stiefmutter? Ilaria, wieso tust du das? Ilaria, du bist eine Schande. Ilaria, wieso lebst du überhaupt? Bla, bla, bla.
Mein Vater stellt astronomisch hohe Anforderungen an uns, fast genauso wie du. Vielleicht hänge ich ja deswegen so an dir, weil ich einen Daddykomplex habe, du mich unterbewusst an meinen Vater erinnerst und ich von dir nun genau das will, was er mir nie gegeben hat: Zuwendung, Aufmerksamkeit, Zärtlichkeit, Freundlichkeit, Liebe. Eben all diese Dinge, die man als Kind von seinen Eltern braucht. Das ist ziemlich dumm, denn du bist der schlechteste Kandidat, den ich mir für so was
aussuchen konnte. Schon klar. Ich bin ja nicht total dämlich. Aber manchmal verhalten sich Menschen nun mal dämlich, auch wenn sie es eigentlich gar nicht sind. OKAY? Ich kann nichts dagegen machen.
Alyssa ist da anders, sie entspricht den Anforderungen unseres Vaters scheinbar im Schlaf. Sogar im Tiefschlaf verkörpert sie die perfekte Lady mit ihrer Schlafmaske und dem Seidenkleidchen. Sie schnarcht sogar elegant, wenn sie mal krank ist.
Ich hingegen bin eher so der Typ: übergroßes T-Shirt, sabbernd auf dem Rücken liegend, während ich alle Gliedmaßen von mir strecke. Im Tierreich wäre ich wohl eine Schildkröte und Alyssa eine kleine elegante Raubkatze. Manchmal, wenn ich Alyssa ansehe, kann ich nicht glauben, dass wir die gleichen Gene teilen. Sie wirkt stets so erhaben und über allem stehend. Man könnte meinen, sie wäre kühl und selbstbewusst, ist sie aber nicht. Ganz im Gegenteil. Aber um das zu erkennen, muss man sich die Mühe machen, hinter ihre Maske zu sehen, und diesen Einblick gewährt sie nicht vielen Menschen.
Einer der wenigen Ausnahmen ist Donovan de Luca Junior. Ich bemerke genau das kleine Lächeln, als Alyssa sich von ihm abwendet und im Schatten der Bäume zurück ins Casa del Nero
huscht. Ich bin auch hier. Natürlich bin ich das.
Ich stehe etwas abseits, damit mein Vater nicht sieht, dass ich rauche, denn er mag es gar nicht. Dabei bin ich auch nicht so elegant wie die anderen Frauen in diesen Kreisen. Ich habe kein Etui und ein schniekes Zippo mit Initialen. Ich habe eine zerknüllte Packung und meistens kein Feuerzeug in meiner Handtasche, in der sowieso Chaos herrscht. Aber ich kenne mich in meinem Chaos aus, das ist vollkommen in Ordnung. Ich liebe Chaos. Ich fühle mich wohl darin und damit. Auch wenn es mich manchmal verwirrt.
Die hitzige Stimme meines Vaters dringt lauter an meine Ohren, als er sich wohl in etwas hineinsteigert. Er diskutiert schon seit fünfzehn Minuten mit diesen widerlichen Widerlingen. Ehrlich, bei diesen Kolumbianern stellen sich mir die Nackenhaare auf. Normalerweise liebe ich Männer, die männlich und rau sind, sich nichts sagen lassen und diesen gewissen animalischen, dominanten Touch haben. Aber ich liebe keine irren Psychopathen.
Omar Sanchez ist
ein irrer Psychopath. Man sieht es in seinen Augen. Ich hasse es, wie er mit diesen Augen meine kleine Schwester betrachtet. Mir wird regelrecht übel, wenn ich nur daran denke. Dann habe ich das dringende Bedürfnis, ihm die Kehle durchzuschneiden. Ich würde es für Alyssa tun, ohne mit der Wimper zu zucken. Wenn er auch nur falsch in ihre Richtung atmet, werde ich ihn killen. Die Liebe zu meiner Schwester ist grenzenlos und ich bin bereit, dafür über Leichen zu gehen. Momentan hält sich Omar allerdings noch zurück, dieser kleine, schmierige Widerling. Er hat sicher einen Mikropenis. Vielleicht wurde er deswegen schon ausgelacht und denkt jetzt, dass er alle Frauen unterdrücken und wie Scheiße behandeln muss. Was für ein kleines Ego muss man haben, um die Menschen in seinem Umfeld dermaßen zu tyrannisieren? Kein großes, denn bei Männern geht das Ego oft mit der Penisgröße einher. Damit will ich nicht sagen, dass dein Penis klein ist, Baby, denn das ist er ganz und gar nicht. Du bist auch nicht immer
ein bösartiger Tyrann. Nur manchmal. Du hast sehr wohl auch gute Seiten, aber die sind sehr tief in dir verborgen. Es gibt Dinge und Menschen, die du respektierst, und du würdest für die, die du liebst, sterben, töten, einfach alles tun. Omar Sanchez hingegen denkt nur an sich – und das ist der Unterschied.
Ich ziehe härter an meiner Zigarette, während ich schnaube.
Die letzten Jahre habe ich es perfektioniert, mich nicht reinzusteigern. Nicht wütend zu werden. Nicht an Dinge zu
denken, an die ich nicht denken will. Nicht an dich zu denken, wenn ich nicht an dich denken will. An deinen perfekten, muskulösen Körper mit diesen Tätowierungen, deine großen, rauen Hände, die erst vor ein paar Tagen an dieser widerlichen Tracey lagen. Ich hoffe, du hast dir keinen Tripper geholt, während du sie oben auf der Galerie gefickt hast, und ich ein paar Schritte entfernt im Poolhaus saß. Du Ekel! Fast wäre ich Amok gelaufen. Fast wäre ich völlig ausgerastet, hochmarschiert, hätte diese Schlampe die Galerie runtergeschubst – und dich gleich hinterher. Es wird immer schwerer für mich, deine Eskapaden mit anderen Frauen zu ertragen.
Und … ich denke schon wieder daran. Das wollte ich eigentlich nicht.
Mein Vater wird nun noch lauter und ich will sicher nicht in der Nähe sein, wenn er mal wieder explodiert, also ziehe ich nochmal, schnippe meine Zigarette in den Gulli und wende mich ab.
Schnell schleiche ich ins Innere des Lokals und steige die Treppe hinab. Allerdings halte ich nach ein paar Schritten inne, weil ausgerechnet du mir entgegenkommst. Mein Herzschlag stockt, genau wie alles andere.
Da du auf dein Handy konzentriert bist, entdeckst du mich nicht sofort. Aber die Treppe ist so eng, dass es unweigerlich zu einem Crash kommen wird.
»Okay, gleich rennst du mich über den Haufen«, kündige ich an, bevor du es tatsächlich tust und irgendwie aus Versehen in mir landen kannst, wie das bei uns immer der Fall ist. Abrupt stockst du. Sofort frage ich mich, ob ich irgendetwas falsch gemacht habe, ob du vielleicht wegen irgendetwas wütend auf mich bist, ob ich dich angepisst habe, ob du mich mal wieder bestrafen wirst, weil ich einfach hochgegangen bin, oder, was auch immer. Du kannst sehr einfallsreich sein, wenn es um
Strafen geht, Marcello. Gleichzeitig weiß ich, dass diese Fragerei eigentlich völlig überflüssig ist, denn du bist ja ständig wegen irgendetwas wütend.
Langsam gleitet dein dunkler Blick über mein Gesicht und du hebst eine Braue. Manchmal bemerkst du es irgendwie, wenn ich dich in meinem Kopf beschimpfe oder höhnisch werde, deswegen verdränge ich nun jeglichen sarkastischen oder aufmüpfigen Gedanken sehr schnell.
»Ich war eine rauchen«, erkläre ich, bevor du fragen kannst, was ich gemacht habe – wie so oft. Dein Blick zuckt hinter mich, wohl um zu prüfen, ob ich die Wahrheit sage. Ich unterdrücke das Augenrollen, das sich anbahnt, und lege ein betont ausdrucksloses Gesicht auf, als du mich wieder ansiehst.
»Gut, Ilaria«, meinst du unterschwellig aggressiv. Diese Hinterzimmer machen dich immer noch ein bisschen wütender, als du es ohnehin schon bist, und das ist nun wirklich nicht leicht, denn du bist einer der wütendsten Menschen dieser Welt, Marcello.
Schließlich trittst du einen Schritt zur Seite und deutest mir, vorbeizugehen, regst dich aber nicht weiter. Du willst mich dich wieder mal spüren lassen und weißt du was, Marcello? Das ist nicht besonders schlimm. Ehrlich. Du kannst mich ja mal spüren.
Sehr eng presse ich mich an deinem Körper vorbei, wobei mir der Atem stockt und ein Schauer mich durchfährt.
»Danke«, murmle ich, da packst du mich am Oberarm und ziehst mich die Stufe zurück, sodass ich wieder eng an dich gepresst werde.
Oh, okay, Marcello. Gut, dann werde ich jetzt eben heiß, auch kein Problem.
»Reicht jetzt mit dem Alkohol«, zischst du mir ins Ohr und ich hebe eine Schulter, weil dein Atem meine Haut prickeln lässt.
»Okay«, erwidere ich glatt, aber ich werde natürlich weitertrinken, was denkst du denn? Du überschaust mich noch einmal, wobei es unheilvoll in deinen Augen blitzt, weil du wahrscheinlich wieder einmal meine Gedanken ahnst. »Ich trinke nichts mehr«, lüge ich nachdrücklicher.
»Gut, Ilaria. Und du heiratest auch nicht Donovan. Sonst sorge ich dafür, dass dich nie wieder ein Mann heiraten will.« Das lässt mich jetzt ernsthaft stocken. Deine Gedanken sind ja oftmals völlig abwegig und irre, aber wie du jetzt auf so einen Bullshit kommst, weiß ich nun wirklich nicht. HÄ?
»Ich habe nicht vor, Donovan zu heiraten«, sage ich ehrlich verwirrt und deine Augenbrauen wandern in die Höhe. Scheiße, jetzt habe ich mich im Ton vergriffen. »Ich habe nicht vor, Donovan zu heiraten«, wiederhole ich gemäßigter und eine Oktave tiefer. Ich halte den Atem an, als du dich vorbeugst und mir direkt in die Augen siehst.
»Dein Vater wollte das.« Deine Finger umfassen meinen Arm noch fester, während ich die Lider aufreiße. Mein Vater wollte WAS? »Sergio hat es verboten. Glück gehabt, Babydoll.« Erleichtert atme ich aus. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Eine Ehe mit Donovan und das, obwohl ich gerade so zwanghaft versuche, ihn mit meiner Schwester zu verkuppeln, weil er der perfekte Mann für sie wäre. »Geh jetzt runter und zieh dieses Fick-mich-Kleid nie wieder an. Niemand hat dich so zu sehen.« Damit lässt du mich abrupt los. Ich sage jetzt nicht, dass ich es nur für dich angezogen habe – um dich zu reizen, wenn ich sonst schon nichts anderes von dir bekomme.
»Okay«, murmle ich. Du nickst in Richtung Keller, weswegen ich mich in Bewegung setze. Dabei prickelt die Stelle, an der du mich berührt hast, immer noch und ich muss meinen Atem wieder unter Kontrolle bringen. Ganz normal, wenn du mir nahe warst, Marcello. Ganz normal, dass jede einzelne meiner Fasern summt und vibriert, während ich die Treppe hinabschreite. Auf
etwas wackligen Beinen betrete ich wieder das Kellergewölbe und versuche, dieses süchtig machende Ziehen in den Griff zu bekommen.
Mein Blick fällt auf meine Schwester, die wieder an der Bar sitzt, als wäre sie nie weg gewesen. Betont gelassen gehe ich auf sie zu.
»Hallo«, begrüße ich sie etwas steif und sie zuckt zusammen, weil sie gerade Rowan Rush beobachtet hat, der sich mit Ana Sanchez, einer der Oberbitches, unterhält. Ich kenne Ana leider aus Highschool-Zeiten. Sie ist ein Miststück, eine Plage und eine gewissenlose Schlampe. Eine Zeit lang hattest du Sex mit ihr und sie lässt auch keine Gelegenheit aus, um das zu wiederholen. Sie ist völlig besessen von dir, deswegen habe ich nicht nur einmal darüber nachgedacht, sie zu killen. Alyssa wendet den blitzenden Blick schwerfällig von Rowan ab. Der hat seine Schulter ach so lässig an die Wand gelehnt und trinkt ach so kultiviert von seinem verfluchten Drink – dieser arrogante Snob.
»War er in deiner Nähe?«, knurre ich.
»Wer?«, fragt Alyssa glatt und verdächtig schnell.
»Oh fuck! Er hat mit dir geredet, oder? Ich sehe das!«, bemerke ich, als ich diesen bestimmten, völlig weggetretenen Ausdruck in ihrem Blaugrau entdecke.
»Nein, ja, aber da war nichts. Es war ein kleines Gespräch«, weicht sie aus und schielt wieder in seine Richtung. Ana lacht gerade, eindeutig gekünstelt, wobei sie in ihrem Cocktail rührt.
»JA?«, rufe ich schließlich entsetzt. »Wieso redest du mit ihm?«
»Es war harmlos. Hallo, wie geht es dir, du brauchst mich, ich brauche dich, ich muss mich fernhalten
. Ein bisschen meine Schöne
hier, ein bisschen meine Schöne
da. Ende.« Das kommt alles ziemlich monoton und ich weiß, was das ist. Das ist umgekehrte Psychologie.
»Alyssa!« Ich packe sie an ihren zarten Schultern. »Sprich mir nach!« Eindringlich mustere ich sie und neige mich ihrem feinen Gesicht entgegen. »Ich werde nie wieder Sex mit Rowan Rush haben«, gebe ich ihr mit weit aufgerissen Augen vor.
»Ich
… werde
…«, beginnt sie sehr stockend und ich nicke zustimmend. »Ich schaffe das nicht!«, schießt es aus ihr heraus.
»NEIN! ALYSSA!« Prompt überkommt es mich, weswegen ich sie so hart schüttle, dass sich eine Strähne aus ihrem Dutt löst und ihre Wange streift. Gleich knalle ich ihr einfach eine, wie man es früher bei Frauen gemacht hat, die völlig hysterisch waren. »Reiß dich jetzt zusammen!«, fahre ich sie ungehalten an und sie gibt einen erschrockenen Laut von sich, der total süß klingt. Sie ist so niedlich, Marcello. NIEDLICH! UND SIE HAT NICHTS IN DER NÄHE VON ROWAN RUSH ZU SUCHEN! FUCK! ICH WERDE GLEICH WAHNSINNIG! »SPRICH MIR NACH!«, brülle ich in ihr Gesicht.
»Okay!« Nachdrücklich, aber auch etwas verstört, nickt sie.
»Rowan Rush ist nicht gut für mich. Er ist ein irrer Psychopath, der mich manipuliert.«
»Rowan … Rush
… hat mich in einer Nacht achtmal kommen lassen.« Eindringlich sieht sie mich an.
»ALYSSA!« Völlig gestresst kneife ich mir in den Nasenrücken, weil ich gleich wirklich explodiere. »Was bringt dir ein Orgasmus, wenn du tot bist?«
»Ich weiß! Ich weiß! Ich weiß wirklich, dass er nicht gut für mich ist!« Sie nickt hektisch, aber ich sehe dieses irre Funkeln in ihren Augen, allein, wenn sie auch nur an ihn denkt.
Das Problem von uns beiden ist, dass uns gerade diese Dinge anmachen, die nicht gut für uns sind. Und je öfter ich versuche, Alyssa von Rowan wegzutreiben, desto schmackhafter wird er in ihren völlig verklärten Augen. Wahrscheinlich gefällt es ihr sogar, wie er sie gerade mit einer anderen Frau reizt.
Kurzfassung: Er behandelt sie wie Scheiße und sie liebt das. Und ich mag es nicht, wenn jemand meine kleine Schwester wie Scheiße behandelt. Ich mag es nicht, wenn sie jemand so behandelt, wie du mich behandelst, Marcello, weil ich sehr genau weiß, wie weh das tut.
»Ich kann nichts dafür! Ich wollte ihn nie wieder sehen. Jetzt habe
ich ihn gesehen!« Mit einer Hand deutet sie anklagend in Rowans Richtung, der da hinten steht wie der König der Welt. Verstohlen schaut Alyssa in seine Richtung und schnaubt dann. Sein Mundwinkel zuckt, weil ihm das hier wahrscheinlich mehr als gefällt. Ich nehme gleich eine dieser Flaschen von der Bar und ziehe sie ihm einfach über den Kopf.
Ich gebe einen gestressten Laut von mir und packe ihr Gesicht am Kinn, wie du es bei mir auch so gern tust. »SCHAU ihn nicht an!«
»Okay!«, flüstert Alyssa und senkt meine Finger sanft.
»FUCK! Ich schicke dich in die Rush-Entzugsklinik!«
»Ich bin nicht süchtig nach ihm«, erklärt sie geschäftig und überschlägt die Beine in seine Richtung, sodass das Kleid ihren Schenkel hinaufrutscht.
»Doch, du bist süchtig. Völlig besessen! Du bist wie ein Junkie und er ist das Heroin. Weißt du, was mit Junkies passiert, Alyssa, weißt du das? Sie pissen sich in die Hosen. Willst du dir in die Hosen pissen, Alyssa? Willst du das? Willst du ein sabberndes Elend werden? Willst du irgendwann in einer weißen Zwangsjacke in der Ecke sitzen und vor und zurück schaukeln?«
»Willst du
das, Ilaria? Sprichst du jetzt von dir selber und Marcello?«, dreht sie den Spieß wie so oft um.
»Ja, das tue ich, aber deswegen musst du nicht auch so dumm sein.«
Schnaubend sieht Alyssa wieder zu Rowan. »Ich werde ihn nicht mehr anfassen. Ich werde ihn wirklich nicht mehr
anfassen …« Ihr Mundwinkel zuckt. »Ich werde …« Sie lacht, weil sie sich selbst nicht ernst nehmen kann.
»Ich werde dich in Ketten legen«, verkünde ich düster, während ich spüre, wie mein Augenlid zuckt.
»Das ist irgendwie heiß«, überlegt sie mit zusammengezogenen Brauen.
»Ich weiß«, gebe ich zu, als ich es mir vorstelle. Sinnierend sehen wir uns an und nicken. Dann höre ich abrupt auf zu nicken, weil der Spaß ein Ende hat. »Alyssa, bitte. Schau mal, er hat dich fast umgebracht, und wer einmal so was tut, tut es auch nochmal. Wir haben gesagt, du hältst dich fern.«
»Okay.« Geschlagen atmet meine Schwester durch. »Okay!«
»Okay.« Auch ich atme durch. »Also?«, frage ich nun, da wir das geklärt hätten.
»Hm?«, erwidert sie immer noch etwas abwesend.
»Worüber hast du mit Donovan geredet?«
Alyssa wirkt kurz etwas irritiert, dann blitzt Erkenntnis in ihren graublauen Augen auf. Ihr ganzes Wesen ändert sich allein mit der Erwähnung seines Namens. Sie wirkt gleich viel gefasster und nicht so zerstreut. »Es geht ihm nicht so gut und ich habe gefragt, was los ist.«
»Du bist süß, wenn du dir Sorgen machst«, meine ich grinsend.
»Ja, ich mag ihn«, gibt meine Schwester offen zu und bestellt noch einen Martini beim Barkeeper. Für heute hat sie ihre Cocktailsuche aufgegeben. Ich bleibe beim Wodka.
»Du magst ihn sehr«, unterstelle ich Alyssa einfach mal so. Ich mag es, wenn jemand diese Seiten aus ihr hervorkitzelt.
»Ja«, bestätigt sie etwas abwesend und ihr Fuß fängt an zu wippen. Diese Diskussion führen wir sehr oft in letzter Zeit. Ich bin wie ein Autoverkäufer und preise Donovan in den höchsten Tönen an. Irgendwann wird sie schon nachgeben. Noch wehrt sie sich allerdings vehement.
»Wieso vögelst du ihn dann nicht?«, frage ich ungläubig.
»Weil ich es nicht will«, antwortet sie eindringlich. Ich sehe Alyssa an, als hätte sie drei Köpfe und zwei Vaginas, weswegen sie ihre Stirn runzelt, als hätte ich
einen Knall.
»Also, lass mich das zusammenfassen, nur damit ich es verstehe, okay? Du magst ihn … Er kommt auf jeden Fall unter die Top Ten der hübschesten Männer hier im Raum, und hier sind sehr viele hübsche Männer versammelt. Du magst
ihn und er ist echt heiß.« Ich zähle die Punkte an der Hand ab. »Er bringt dich zu diesem einen Lächeln, was etwas verstörend ist. Ihr führt tiefgründige Gespräche – glaub nicht, ich hätte das nicht bemerkt. Deine Augen funkeln, wenn du auch nur an ihn denkst. Er lässt dich gut fühlen. Er ist ehrlich, lustig, attraktiv und charmant, außerdem super-interessiert an dir. Und du hältst dich trotzdem von ihm fern? Hast du Fieber? Bist du krank? Was stimmt nicht mit dir?«, brause ich auf, weil ich mich wieder mal nicht zurückhalten kann.
Sie lächelt in sich hinein. »Was soll ich sagen? Er ist zu gut für mich. Er
ist genau richtig für mich.« Sie zeigt mit dem Daumen zu Rowan, der gerade Ana etwas zumurmelt. Dieser Bastard. Ich hasse ihn. Habe ich das schon mal erwähnt?
Ein kleiner Schmerz, den meine Schwester wahrscheinlich hartnäckig zu unterdrücken versucht, aber kläglich scheitert, zuckt durch ihre Augen.
»Er ist ein Abfuck. Du bist kein Abfuck!«, rufe ich so aus, dass Rowan es hören kann. Sein kühler Blick gleitet abfällig über mich, bevor er sich wieder Ana widmet.
»Er ist kein Abfuck …« Alyssa reibt sich über die Stirn. »Das ist alles etwas kompliziert, okay?«
»Dir ist nicht mehr zu helfen«, fasse ich die gesamte Situation in sechs Worten zusammen und sie schenkt mir einen Dir-doch-auch-nicht-Ilaria-Blick. Ja, aber nur, weil ich total im Arsch bin, heißt es nicht, dass ich akzeptieren kann, dass es bei meiner
Schwester genauso ist. Ich will nicht, dass sie so unglücklich endet, wie ich. Ich will, dass es ihr gut geht, dass sie lacht und einfach glücklich ist.
Wir trinken einträchtig unsere Drinks, wobei es unentwegt in mir brodelt. Ich behalte Alyssa genau im Auge. Die zwingt sich sichtlich, nicht zu Rowan zu sehen. Ich werfe ihm aber immer wieder Todesblicke zu. Er erwidert sie, wobei er mit dieser kleinen, schwarzhaarigen Lady
flirtet, die alles aber sicher nicht das ist.
Ich kann Rowan wirklich
nicht ausstehen.
Eine Weile später kommt Salva aus dem Hinterzimmer geschlendert. Eine Hand hat unser großer Bruder in der Hosentasche vergraben und wirkt desinteressiert as fuck, während er uns ansteuert. Auch er mustert Rowan ein paar Sekunden länger. Ich weiß, dass er ihm wegen Alyssa eine reingehauen hat, aber meinetwegen hätte er Rowan auch umbringen können. Das würde Salva allerdings nie tun, denn er ist schon Ewigkeiten mit Rowan befreundet und liebt ihn aus mir unerfindlichen Gründen.
Lässig lehnt Salva sich mit einem Ellbogen auf Alyssas andere Seite, bevor er sich zu ihr runterbeugt und was murmelt. Sie winkt ab, aber da braucht sie gar nicht winken. Sie sollte ihm sagen, dass Rowan sie angesprochen hat, dann würde Salva endgültig durchdrehen.
»Und?«, frage ich, während Salva sich einen Wodka bestellt.
»Was und
?«
»Denkst du, sie wird wirklich bald heiraten müssen?«, erkundigt Alyssa sich und deutet auf mich. »Ich habe von der Sache mit Donovan gehört.« Die ja zum Glück abgeschmettert wurde. Gott segne Sergio de Luca.
Unser Bruder streicht sich das dunkelbraune Haar zurück. »Er wird es versuchen, wahrscheinlich immer wieder, aber ich denke, wir werden es schon irgendwie zu verhindern wissen«,
meint er zuversichtlich und bedankt sich knapp, als er seinen Wodka bekommt.
»Ich bringe ihn einfach um. In der Hochzeitsnacht. Mit einem Kissen. Wer auch immer es sein mag«, knurre ich unheilvoll und meine Schwester tätschelt mein Knie.
»Keine Sorge«, sagt Salva. »So weit wird es nicht kommen.«
»Ja, erst mal müssen wir uns sowieso um ihn kümmern.« Ich nicke in Richtung Omar Sanchez, der mit Roman Orlow in einer der Lounges sitzt. Alyssa erschauert angewidert und dreht an ihrem neuen, total hässlichen Protz-Ring.
»Ich überlege noch«, murmelt Salva, während wir alle drei Omar aus verengten Augen beobachten. Eigentlich müsste er alleine schon wegen unserer Todesblicke tot umfallen, aber die scheinen an dem Furunkel abzuprallen.
»Man müsste die Spuren einfach nur gut verwischen«, überlege ich.
»Vielleicht werden wir ihn wirklich verschwinden lassen, aber das darf Dad nicht erfahren«, meint Salva nachdenklich und Alyssa nickt zustimmend.
»Okay«, erwidere ich sofort. In dieser Hinsicht könnte ich schweigen wie ein Grab.
»Deinen Umzug hat Dad auch noch hinausgezögert.« Salva schaut wieder mich an und etwas in mir entspannt sich ein Stück. Ich versuche, meistens nicht daran zu denken, dass ich von euch allen wegmuss. Allerdings lässt sich dieses
Problem nicht durch einen Mord beseitigen, denn ich kann Dad nicht einfach mit einem Kissen ersticken. Das geht nicht.
»Das ist gut.«
»Ja, das ist es.« Er stellt seinen Drink ab, wobei das schwache Licht der Bar über das eintätowierte XX auf seinem Handrücken tanzt und ich seufze schwer.
Den restlichen Abend verbringe ich damit, in Alyssas Nähe zu bleiben. Angeblich unter dem Vorwand, dass sie nicht wieder in
Rowans Fänge gerät. Aber gleichzeitig halte ich mich auch davon ab, mich an dich zu hängen.
Denn Alyssa ist tatsächlich nicht die einzige Süchtige hier.
Ich unterdrücke das Bedürfnis, zu dir nach oben zu gehen und deiner Wache über Donovan beizuwohnen, nur um in deiner Nähe zu sein. Denn das wirklich Fatale an allem ist, dass mein Herz süchtig nach dir geworden ist. Nicht mein Körper oder Kopf. Und dem Herzen kann man nichts verbieten. Man kann es nicht mit logischen Argumenten überzeugen. Es hört nicht auf Worte, sondern fühlt einfach. Man kann es nicht einfach abstellen, sonst stirbt man. Und weil ich nicht völlig zerstört enden will, bleibe ich an dieser Bar und tue so, als würde ich auf meine Schwester aufpassen. Dabei verstecke ich mich eigentlich nur vor meinen Gefühlen für dich und hoffe, dass du niemals erfahren wirst, wie sehr mein Herz in Wahrheit an dir hängt. Weil ich ein Herz-Junkie bin, und du bist die einzige Droge, die es berauschen und vollends befriedigen kann, Marcello.