2017

»Dubia«

D as Jahr 2017 wird in die Kirchengeschichte eingehen, weil der Streit zwischen zwei Päpsten eskalierte. Bis zu diesem Zeitpunkt war keineswegs klar, dass es überhaupt zwei Päpste gab. Joseph Ratzinger hatte nach seiner Wahl versichert, sich nicht in die Geschäfte seines Nachfolgers einmischen zu wollen. Wenn dem so gewesen wäre, hätte es keiner Klärung bedurft. Die Sache wäre klar gewesen: Es gab einen Papst, der hieß Franziskus und damit basta. Aber so war es nicht. Das Jahr 2017 zeigte deutlich, dass Joseph Ratzinger sich in die Regentschaft seines Nachfolgers einmischen wollte, und das auch mit aller Macht tat.

Der Ursprung des Streits lag drei Jahre zurück. Joseph Ratzinger hatte im Jahr 2014 eine überarbeitete Version des vierten Bandes seiner gesammelten Schriften herausgegeben. Er erklärte darin, dass es für wiederverheiratete Geschiedene unmöglich sei, die Kommunion zu empfangen. Der springende Punkt war nicht, dass der zurückgetretene Joseph Ratzinger seine Meinung kundtun wollte. Der springende Punkt war, dass er seine Meinung geändert hatte und sich damit gegen die Meinung des regierenden Papstes stellte. Warum?

Als Theologieprofessor hatte Joseph Ratzinger darauf gepocht, dass auch nach Scheidung und erneuter Heirat es dem jeweiligen Ortspfarrer möglich sei zu entscheiden, ob die oder der Betreffende zu den Sakramenten zugelassen werden könnte. Ausnahmen waren also durchaus möglich. Diese Meinung deckte sich mit der des regierenden Papstes Franziskus. Als Papst Benedikt XVI . zurücktrat, gab es also in dieser Frage der wiederverheirateten Geschiedenen überhaupt kein Potenzial für einen Krach mit dem neuen Papst. Doch im Herbst des Jahres 2014 änderte Benedikt seine Meinung. Der zurückgetretene Papst beschloss plötzlich seinen Aufsatz »Zur Frage nach der Unauflöslichkeit der Ehe«, den er in den 1970er Jahren geschrieben hatte, neu zu bearbeiten und in einem zentralen, alles entscheidenden Punkt zu ändern. Joseph Ratzinger war jetzt plötzlich der Meinung, dass es sich für wiederverheiratete Geschiedene um eine »Unmöglichkeit« handle, die Kommunion zu empfangen. Der Aufsatz aus den 1970er Jahren hatte hingegen unterstrichen, dass die Zulassung zur Kommunion von in zweiter Ehe lebenden Katholiken von der »Tradition gedeckt sei«. Der »jeweilige Ortspfarrer könne die Betroffenen wieder zu den Sakramenten zulassen«. Diese drastische Kehrtwende ließ der Papst in seinen Gesammelten Schriften im Herder Verlag erscheinen.

Wenn er für sich behalten hätte, dass er auf einmal anders dachte, wäre ja nichts geschehen. Aber da er sich entschloss, diese Meinungsänderung öffentlich zu machen, war der Krach da. Das bedeutete nämlich, dass der zurückgetretene Papst in einem ganz entscheidenden Punkt jetzt plötzlich ganz anderer Meinung war als der regierende Papst.

Joseph Ratzinger hatte sich zur Eskalation des Streits entschlossen. Denn diese Änderung in seinen Schriften hatte selbstverständlich zur Folge, dass die Kirche sich fragen musste, wer denn nun entschied. Wenn ein ehemaliger Papst und wichtiger Theologieprofessor öffentlich machte, dass er in einem ganz zentralen Punkt völlig anderer Meinung war als der regierende Papst, bedeutete dies, dass es zu einem offenen Konflikt kommen musste.

Ich halte die Beteuerung Joseph Ratzingers, sich nicht in das Amt seines Nachfolgers einmischen zu wollen, für unglaubwürdig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er tatsächlich glaubte, dass diese offene Meinungsverschiedenheit in der Bewertung einer so wichtigen Frage zwischen zwei Päpsten ohne Folgen bleiben würde. Es war theoretisch denkbar, dass die entscheidenden Herren im Vatikan nicht reagierten. Es war möglich, dass die Kardinäle sich darauf einigten, dass die Meinung eines zurückgetretenen Papstes keinen Einfluss auf die Geschäfte eines regierenden Papstes haben kann. Aber das war reine Theorie. In Wirklichkeit sorgte Joseph Ratzinger dafür, dass sich jetzt ein wohlorganisierter Widerstand gegen Papst Franziskus in dieser Frage bildete.

Das Besondere an dieser Situation war, dass die Opposition gegen den Papst jetzt sichtbar wurde. Im Grunde war nun die Grundlage gegeben für ein Schisma, eine Kirchenteilung.

Zum letzten Mal war im Jahr 1378 der Streit zwischen zwei Päpsten eskaliert. Das Konklave wählte am 8. April 1378 Papst Urban VI ., der sich entschloss, die Vorherrschaft der französischen Kardinäle zu brechen. In den Jahren zuvor, zwischen 1309 und 1376, hatten die Päpste im französischen Avignon residiert und waren zu einer Art Vasallenbischöfe des französischen Königs abgesunken. Papst Urban VI . wollte diese Abhängigkeit von Frankreich beenden und ernannte 29 neue Kardinäle, von denen nur drei Franzosen waren. Damit hatte sich ein völlig neues Machtgefüge ergeben. Aus Protest wählten die französischen Kardinäle, unterstützt von ihrem König Karl V., am 28. September 1378 einen Gegenpapst, Clemens VII . Damit war die Kirchenteilung da.

Das Schisma vertiefte sich weiter. Schließlich gab es sogar drei Päpste, einen in Rom, einen in Avignon und einen in Pisa. Erst die Wahl von Martin V. in Konstanz am Bodensee im Jahr 1417 beendete diesen Streit der Päpste.

Genau 600 Jahre nach dem Ende des Schismas drohte jetzt im Jahr 2017 erneut ein ernster Streit darum, wer eigentlich der legitime Papst war. Die Anhänger von Benedikt XVI . glaubten, dass Amoris Laetitia gegen den Willen Gottes verstieß. Bereits am 19. September 2016 hatten vier Kardinäle eine Schrift mit dem Titel »Zweifel«, auf Lateinisch »Dubia«, an den Papst und die Glaubenskongregation weitergeleitet. Darin hieß es, was die Veröffentlichung von Franziskus’ Apostolischer Esortazione Amoris Laetitia betreffe, würden »von Theologen und Wissenschaften Interpretationen vorgeschlagen, die nicht nur unterschiedlich, sondern sogar widersprüchlich sind, ganz besonders in Bezug auf das achte Kapitel. Die Medien haben diese Unterscheidung noch hervorgehoben und dadurch Unsicherheit, Konfusion und Verwirrung unter den Gläubigen gestiftet, deswegen haben wir Unterzeichner, aber auch viele Bischöfe und Priester zahlreiche Anfragen erhalten von Seiten der Gläubigen verschiedener sozialer Gruppen über die korrekte Interpretation des Kapitels acht. Deswegen bitten wir darum, dass Sie Klarheit schaffen und Antwort geben auf die Fragen, die wir in dem Dubia-Schreiben, das wir unten anfügen, Ihnen zusenden.«

In dem angehängten Schreiben ging es um einen zentralen Punkt. Änderte Amoris Laetitia nun die Disziplin der katholischen Kirche? Ja oder nein? Würden also wiederverheiratete Geschiedene zu den Sakramenten zugelassen oder nicht? Auf den ersten Blick erschien es eher harmlos und verständlich zu sein, dass die Kardinäle nur eine Klärung wollten. Aber darin lag auch das Perfide der Anfrage. Genau das, eine eindeutige Klärung, hatte der Papst vermeiden wollen, und das war den vier Kardinälen natürlich völlig klar. Er hatte einen Freiraum schaffen wollen für die Einzelfälle. Franziskus hatte absichtlich eine sehr weit gefasste Formulierung gewählt, sodass Priester sie so auslegen konnten, dass sie wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion zulassen konnten. Er hatte verhindern wollen, eine klare Vorgabe zu geben, sodass die Konservativen sich nicht angegriffen fühlten.

Die Namen der vier unterzeichnenden Kardinäle zeigten, dass es in diesem Streit keineswegs nur um theologische Inhalte, sondern schlicht und einfach auch um persönliche Freundschaften ging: Zwei enge Freunde von Joseph Ratzinger, die beiden deutschen Kardinäle Joachim Meisner und Walter Brandmüller, gehörten zu den Unterzeichnern des Papiers.

Meisner gehörte auf eine gewisse Art und Weise zu den Geburtshelfern des kompletten Pontifikates von Benedikt XVI . Er erklärte kurz vor seinem Tod, dass es eine der schwersten Aufgaben seines ganzen Lebens gewesen sei, Joseph Ratzinger davon zu überzeugen, die Wahl zum Papst überhaupt anzunehmen. In den Entscheidungen von Papst Franziskus sah Joachim Meisner offensichtlich einen Verrat an dem Pontifikat seines Freundes Joseph Ratzinger.

Der andere Unterzeichner, der deutsche Historiker Walter Brandmüller, gehörte seit Langem zu dem Kreis der Traditionalisten um Joseph Ratzinger.

Nummer drei der Liste war der US -amerikanische Kardinal Raymond Burke. Um Raymond Burke hatte eine Art Stellvertreterstreit zwischen Papst Franziskus und Benedikt XVI . getobt. Während Joseph Ratzinger und Papst Franziskus vor den Kameras immer eine innige Freundschaft demonstrierten, lieferten sie sich auf dem Nebenschauplatz »Raymond Burke« eine heftige Auseinandersetzung. Der Frontmann der Traditionalisten zeigte ganz offen, dass er sich eine rückwärtsgewandte Kirche wünschte. Er war der Einzige, der noch die gewaltige, zwölf Meter lange »Cappa Magna« trug.

Diese Cappa ist eine rote Schärpe, die an den Schultern der Kardinäle befestigt wird. Ein Diener muss die Cappa tragen, damit sie nicht über den Boden schleift. Sie geriet in den 1970er Jahren nach und nach in Vergessenheit. Mit Ausnahme von Burke lehnen alle Kardinäle der Amtszeit von Papst Franziskus den Gebrauch dieses uralten Zeichens der Macht ab.

In der Amtszeit von Benedikt XVI . hatte Raymond Burke eine geradezu atemberaubende Karriere hingelegt. Am 27. Juni 2008 hatte Joseph Ratzinger Burke zum Präfekten der Apostolischen Signatur ernannt und damit zum obersten Richter im Vatikanstaat. Er war der erste Nichteuropäer, der es in dieses einflussreiche Amt schaffte. Am 20. November 2010 hatte Papst Benedikt XVI . ihn dann zum Kardinal gemacht. Nach der Wahl von Papst Franziskus hatte Burke mehrfach die Amtsführung von Papst Franziskus heftig kritisiert. Am 8. November 2014 wurde Burke zum Kardinalpatron des Malteserordens ernannt. Das bedeutete, dass Franziskus ihn abschob auf einen vollkommen unwichtigen Posten. Das hat ihm Burke selbstverständlich nie verziehen und Joseph Ratzinger seine ewige Treue geschworen. Es war also kein Wunder, dass er zu der Gruppe der rebellischen Kardinäle gehörte.

Der Vierte im Bunde, Kardinal Carlo Caffarra, hatte im Jahr 2009 seine enge Verbundenheit zu Joseph Ratzinger und seine Haltung als extrem konservativer Traditionalist dokumentiert. Er hatte der Pfarrgemeinde San Bartolomeo della Beverara in Bologna verboten, einem Chor mit klassischem Repertoire Gastfreundschaft zu gewähren, weil seine Mitglieder erklärte Homosexuelle waren. Er hatte sich dabei ausdrücklich auf die im Jahr 1986 von Joseph Ratzinger verfasste Schrift über den Umgang der Pastorale mit homosexuellen Menschen bezogen.

Joseph Ratzingers öffentliche Erklärung in dem entscheidenden Punkt der Zulassung zur Kommunion von wiederverheirateten Geschiedenen hatte also eine Gruppe geschaffen von zwei deutschen Hardlinern, die eng mit Joseph Ratzinger befreundet waren, einem amerikanischen Ultratraditionalisten und einem offenkundig homophoben italienischen Bischof.

Was die vier Kardinäle erhofft hatten, trat jetzt tatsächlich ein. Ihre »Dubia«-Schrift spaltete die Kirche. Prominente Kirchenmänner unterstützten sie. Besonders aufsehenerregend war, dass der Chef der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller, ein Bewunderer Ratzingers, sich ebenfalls als Unterstützer der »Dubia«-Schrift outete. Das war deswegen so wichtig, weil Müller im Auftrag des Papstes als oberster Glaubenshüter arbeitete. Seine Solidarität zu den Unterzeichnern der »Dubia« zeigte, dass Franziskus’eigener Mann, der an seiner Seite stehen sollte, Zweifel an den theologischen Entscheidungen seines Chefs hatte. Ein weiterer deutscher Kardinal und enger Freund Joseph Ratzingers, Kardinal Paul Josef Cordes, schlug sich ebenfalls auf die Seite der Unterstützer der »Dubia«-Schrift. Auch der ehemalige Bischof von Hongkong, Kardinal Joseph Zen Ze-kiun, der australische Kardinal George Pell sowie die Kardinäle Renato Raffaele Martino, Jānis Pujats und Antonio Cañizares Llovera unterstützten die Protestschrift gegen den Papst.

Die Liste der Kirchenmänner, die in der »Dubia«-Schrift einen ungerechtfertigten Angriff auf den Papst, wenn nicht eine Unverschämtheit sahen, liest sich hingegen wie das Verzeichnis aller progressiven Kräfte im Vatikan. Die Liste dieser Männer zeigt auch, dass dieser Streit ein ausgesprochen deutscher Streit war. Auf der Unterstützer-Seite der »Dubia«-Schrift standen die konservativen deutschen Kardinäle Walter Brandmüller, Joachim Meisner, Paul Josef Cordes und Gerhard Ludwig Müller. Auf der Seite der Papstbefürworter hingegen die beiden deutschen Kardinäle Walter Kasper und Reinhard Marx. Unterstützt wurden sie von den berühmtesten progressiven Theologen der katholischen Kirche, unter anderem von dem brasilianischen Kardinal Cláudio Hummes und dem Erzbischof von Wien, Christoph Schönborn.

Das Besondere an diesem Streit war die Heftigkeit, mit der er geführt wurde. Auch Papst Johannes Paul II . war kritisiert worden, allerdings niemals offen. Auf den Fluren des Vatikans hatten die Mitarbeiter Karol Wojtyłas getuschelt, die vielen Auslandsreisen würden zeigen, dass der Papst nicht verstanden habe, dass er der Nachfolger des heiligen Petrus sei. Paulus sei zu den Völkern der Erde gereist, aber doch nicht Petrus, der sei bei seiner Gemeinde geblieben.

Papst Franziskus musste sich dagegen noch Jahre nach der Veröffentlichung von Amoris Laetitia anhören, dass er ein theologischer Versager sei. Der österreichische Philosoph Josef Seifert beklagte, dass die Schrift Amoris Laetitia als logische Konsequenz die totale Zerstörung der Morallehre der katholischen Kirche nach sich ziehe. Insgesamt 216 Theologen auf der ganzen Welt wandten sich in einem offenen Brief an den Papst. Ihre Forderung war klar: Der Papst solle die Schrift in Teilen zurückziehen, weil er den Kern der Lehre der katholischen Kirche nicht verstanden habe. Die Weigerung des Papstes, die Kardinäle zu empfangen, die die »Dubia«-Schrift verfasst hatten, wurde ihm als Feigheit ausgelegt. Offen erklärten Priester, vor allem in Polen, auf keinen Fall wiederverheiratete Geschiedene zu den Sakramenten zuzulassen. Selten hatte ein Papst aus den eigenen Reihen so heftigen Widerstand ertragen müssen.

Der Streit um Amoris Laetitia zeigte deutlich, wie unglaublich schwierig es ist, in der Kirche irgendetwas zu verändern. In vielen Ländern schien der Streit um Amoris Laetitia vollkommen irrsinnig zu sein. Wenn, wie aktuell in Deutschland, nicht einmal 2,5 Prozent der gesamten Bevölkerung jeden Sonntag in eine katholische Kirche gehen, ist ein erbitterter Streit darum, wer eine geweihte Hostie bekommen darf und wer nicht, relativ unbedeutend. In der Realität ist es einfach keineswegs so, dass Massen von Menschen sich in Deutschland sonntags weinend auf den Boden werfen, weil ihnen eine geweihte Hostie verwehrt wird. Dem Großteil der Gesellschaft ist die komplette Frage schlicht und einfach völlig egal.

Aber eine aus weltlicher Sicht so geringfügige Änderung in dem Regelwerk der Kirche lässt sich offensichtlich heute noch nicht durchsetzen, nicht einmal vom Papst. Nach dem Streit schien Franziskus in der Frage zu resignieren. Wiederverheirateten Geschiedenen, die sich beklagten, dass sie von ihrem Pfarrer die Sakramente nicht empfangen hätten, empfahl er, sich einfach einen anderen Pfarrer zu suchen.

Myanmar

Zu Beginn des Jahres 2017 hatte sich der Vatikan daran gewöhnt, dass Papst Franziskus die katholische Kirche völlig anders sah als sein Vorgänger. Der Vatikan des Papstes Franziskus war nicht mehr in erster Linie eine wichtige Schnittstelle zwischen Himmel und Erde, sondern eine Art weltweite Hilfsorganisation, die sich in der Nachfolge des Jesus von Nazareth um die Probleme dieses Planeten kümmert. Und zwar um alle. Selbst die Kritiker, die der Meinung waren, dass der Papst sich viel zu wenig um den lieben Gott schert, viel zu wenig Bücher schreibt, viel zu selten über Details der heiligen Messe nachgrübelt, hatten zumindest ein gewisses Verständnis dafür, dass Franziskus sich der naheliegenden Probleme vor der Haustür des Vatikans annahm. Trotz aller Skepsis konnten die meisten begreifen, dass das Massensterben der Emigranten im Mittelmeer für den Papst ein drängendes Problem darstellt. Sie konnten auch verstehen, dass dem Papst das Schicksal vieler Katholiken aus Mittelamerika, die unter Lebensgefahr versuchen, die USA zu erreichen, nicht gleichgültig ist.

Doch das Jahr 2017 brachte eine entscheidende Zäsur. Denn nach der Meinung fast aller Geistlichen im Vatikan begann der Papst, sich um ein Problem zu kümmern, das die katholische Kirche beim allerbesten Willen nichts anging. Es betraf Myanmar, das alte Burma. Der Papst plante eine Reise in dieses krisengeschüttelte Land, und das schien vollkommen unverständlich zu sein.

Das größte von einer ganzen Reihe von Problemen bestand darin, dass die Bischofskonferenz von Myanmar dem Papst unmissverständlich klargemacht hatte, dass er sich im Fall eines Besuchs an die Vorgaben ihres Heimatlandes halten müsse. Diese Vorgabe betraf vor allem die Rohingya.

Nach Einschätzung der Vereinten Nationen ist das die am meisten verfolgte Volksgruppe der Welt. Der Staat Myanmar erkennt sie nicht als Bewohner ihres eigenen Landes an. Sie sind staatenlos, keiner schützt sie, sie können keinen Pass bekommen und halten sich in ihrem eigenen Land nach Meinung der Regierung illegal auf. Eine so absurde Situation gibt es in keinem anderen Staat der Welt. Die Rohingya sind keineswegs vor Kurzem zugereiste Migranten, sondern leben seit mindestens hundert Jahren in ihrem Land. Der Konflikt basiert vor allem darauf, dass die Rohingya muslimischen Glaubens sind, während der größte Teil Myanmars durch den Buddhismus geprägt ist. Die Bedingung der Bischöfe war, dass der Papst bei einem Besuch in ihrem Heimatland auf diese schreckliche Situation des Leidens und Sterbens der Rohingya nicht hinweisen dürfe. Die Regierung in Myanmar ließ den Papst wissen, dass er während eines eventuellen Besuchs nicht einmal den Namen der Rohingya in einer seiner Ansprachen nennen dürfe. Damit schien die Reise von vornherein vollkommen unmöglich zu sein. Was sollte der Papst in einem Land, in dem Hunderttausende furchtbares Leid erdulden müssen, wenn er auf Druck der Regierung dazu zu schweigen hat? Das würde doch bedeuten, dass der Papstbesuch allein durch seine Präsenz das Unrechtsregime noch legitimieren würde. Denn wenn nicht einmal der Papst es wagt, über dieses zum Himmel schreiende Unrecht zu sprechen, wie soll sich dann die ohnehin schon drangsalierte Opposition trauen, diese menschliche Katastrophe publik zu machen?

Würde ein Papst, der sich von einer Regierung feiern lässt und deren schlimmste Verbrechen nicht einmal benennt, nicht unglaubwürdig erscheinen? Würde es nicht so aussehen, als würde er durch sein Schweigen das Morden und Unterdrücken der Rohingya gutheißen oder zumindest in Kauf nehmen? Wollte der Papst wirklich in ein Land reisen, um ein Regime zu unterstützen, das durch sein Militär ein ganzes Volk auszulöschen versucht?

Und warum sollte sich der Papst überhaupt in die Belange dieses Landes einmischen, die einen Konflikt zwischen buddhistischen Machthabern und einer muslimischen Minderheit betreffen?

Ein weiteres Problem bestand darin, dass diese Reise das ohnehin schwierige Verhältnis zwischen dem Vatikan und China weiter belasten würde. China hatte die Militärs in Myanmar über Jahre immer wieder unterstützt. Die Reise des Papstes würde sicherlich als Einmischung in die Interessen Chinas gesehen werden.

Außerdem war die Lage in dem Land schwer abzuschätzen. Die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi regierte seit dem Jahr 2016 als Ministerpräsidentin, hatte aber offensichtlich eine Art Stillhalte-Pakt mit den Militärs geschlossen. Obwohl sie als Hoffnungsträgerin gegolten hatte, unternahm sie nichts, um die Massaker an den Rohingya zu stoppen oder wenigstens einzudämmen.

Eine Reise des Papstes in dieses Land würde weltweit zweifellos als eine Art Segen für die Friedensnobelpreisträgerin angesehen werden, obwohl sie die Militärs in ihrem Land nicht stoppen konnte. Der internationale Strafgerichtshof sollte Monate nach dem Papstbesuch Ermittlungen wegen Völkermordes an den Rohingya gegen Aung San Suu Kyi aufnehmen.

Dass der Papst nach Myanmar reiste, um dort eine große katholische Gruppe zu unterstützen, war auch völlig abwegig, weil weniger als ein Prozent der Bewohner Myanmars überhaupt katholisch ist. Hinzu kam noch ein theologisches Problem. In Myanmar ist der Glaube an Geister und Astrologie auch in den Eliten des Landes weit verbreitet und spielt selbst in Entscheidungen des Militärs hinein. Wie sollte da ein Papst, der im Namen Jesu von Nazareth kam, mit Machthabern verhandeln können, die den Glauben an einen Gott ablehnen und vielmehr vom Einfluss zahlreicher guter und böser Geister überzeugt waren? Es ist also kein Wunder, dass zu Beginn des Jahres 2017 der Widerstand innerhalb des Vatikans gegen eine solche geplante Reise enorm war. Denn es ging auch um eine Angst, die sich im Vatikan immer rascher verbreitete. Teile der Katholiken vor allem in Europa und den USA hatten mittlerweile ihren Unmut über die Haltung des Papstes kundgetan, das betraf vor allem die für die Finanzierung der Kirche wichtige Mittelschicht. Sie fragten sich immer drängender, warum der Papst sich nicht um »ganz normale, hart arbeitende, an Gott und die katholische Kirche glaubende Familien« kümmerte. Aus ihrer Sicht hatte der Papst kein Interesse an der großen Mehrheit der Katholiken, die in »geordneten Verhältnissen« leben, Abtreibungen ablehnen, Kirchensteuer zahlen und am Sonntag regelmäßig in die Messe gehen. Warum, so fragten sich katholische Aktivisten im wohlhabenden Westen, kümmert er sich nicht um die Arbeitslosen in Frankreich, die Glaubenskrise in Deutschland, die prekäre Lage katholischer Jugendlicher in Spanien oder die Dauerkrise der Ehe in Portugal?

Die Reise von Papst Franziskus nach Myanmar gehört zu den seltsamsten Ereignissen in meinen 35 Jahren als Berichterstatter aus dem Vatikan. Denn es ging im Grunde um ein einziges Wort, um den Namen der am heftigsten verfolgten Volksgruppe der Welt, der Rohingya. Würde der Papst trotz der klaren Forderung der Regierungen von Myanmar und Bangladesch kein Wort dazu sagen? Würde er also die Bitten der Bischofskonferenzen der beiden Länder respektieren und die Verbrechen, die an diesem Volk begangen wurden, einfach verschweigen? Ich habe es oft erlebt, dass Päpste während Auslandsreisen Fehler machten. Manche waren simple Planungsfehler, die leicht zu vermeiden gewesen wären. Beispielsweise machten die Planer im Jahr 2000 beim historischen Besuch von Papst Johannes Paul II . in Jerusalem einen ganz besonders dummen Fehler: Der Papstbesuch fand auch an einem Samstag statt. Die ultraorthodoxen Juden beschwerten sich selbstverständlich, dass der Papst jüdische Polizisten zwang, das Sabbatgebot zu verletzen, weil sie ihn beschützen mussten.

Dass es Fallstricke während Papstreisen gibt, ist ganz normal, aber dass sich alles auf ein einziges Wort konzentrierte, war etwas völlig Neues für mich.

Nach der Landung in Yangon, dem alten Rangun, am 27. November 2017, war es schwer, nicht der Faszination dieses Landes zu erliegen. Natürlich wusste ich, dass die Menschen in Myanmar über viele Jahre einer rücksichtslosen und grausamen Militärdiktatur ausgeliefert gewesen waren. Ich wusste auch, dass sich das nicht so einfach abschütteln ließ, dass die schlichte Tatsache, dass die Regierungschefin Aung San Suu Kyi jetzt eine Friedensnobelpreisträgerin war, nicht wirklich das Land verändert hatte, zumindest nicht, was die Schwachen und Verfolgten anging. Die neue Regierung hatte darauf hingewiesen, dass größere Summen für die Schulen und Studenten ausgegeben würden. Aber was die wirklichen großen Probleme des Landes anging, wie die rücksichtslose Gewalt gegen einige Volksgruppen und vor allem die Rohingya, so war überhaupt nichts geschehen.

Wenige Monate vor dem Eintreffen des Papstes war es im August erneut zu schweren Ausschreitungen gekommen. Augenzeugen hatten Szenen grenzenloser Gewalt beschrieben. Im Rakhaing-Staat, der ärmsten Region Myanmars, wo viele Rohingya leben, hatten buddhistische Mönche zusammen mit der Polizei und der Armee Menschen dieser muslimischen Minderheit angegriffen. Augenzeugen berichteten davon, dass die Männer erschossen und die Kinder in das Feuer der brennenden Häuser geworfen worden waren. Menschenrechtsorganisationen sprachen von Völkermord und »ethnischer Säuberung«.

Aber die Gastgeber machten es uns schwer, im Kopf zu behalten, welche Grausamkeiten in Myanmar vor sich gingen. Sie luden uns ein, die goldene Pagode von Rangun anzusehen, und ich muss ganz ehrlich sagen, dass diese zwei Stunden auf dem Berg rund um das buddhistische Heiligtum zu den faszinierendsten Besuchen meines Lebens gehören. Es war fesselnd zu sehen, wie unterschiedlich und gleichzeitig ähnlich Religionen sein können.

Aus Sicht der katholischen Kirche ist der Buddhismus eher eine Philosophie als eine Religion. Es gibt keine Offenbarung, kein heiliges Buch. Es gibt auch keine Vorstellung von einem wie auch immer gearteten Gott. Man kann also zu Recht sagen, dass Buddhismus und die katholische Kirche sehr weit auseinanderliegen. Auf der anderen Seite fand ich es ungeheuer faszinierend, dass auch im Buddhismus Reliquien und heilige Räume ganz ähnlich wie in der katholischen Kirche und im Judentum eine sehr große Rolle spielen.

Im Inneren der goldenen Pagode von Rangun sollen acht Barthaare Buddhas aufbewahrt werden. Im Jahr 588 vor Christus seien Kaufleute aus Indien nach Myanmar zurückgekommen, die persönlich den Buddha Siddhartha Gautama, den Gründer der Religionsgemeinschaft, getroffen haben sollen. Er soll ihnen die Haare geschenkt haben. Diese Reliquien werden im Inneren des Haupttempels, dem sogenannten Stupa, aufbewahrt. Für normale Gläubige ist das Innere nicht zugänglich. Diese gleiche Vorstellung gibt es im Judentum: Das Innere des Tempels in Jerusalem war für normale Gläubige nicht erreichbar. Den Raum, in dem die Bundeslade stand, durfte nur der Hohepriester betreten.

In Myanmar wird in einem weiteren Tempel die Reliquie eines Zahns des Buddha Gautama verehrt. Mich faszinierte das. Denn auch für die katholische Kirche hatten die sterblichen Überreste eines Heiligen eine gewaltige Bedeutung, vor allem wenn er wie Petrus den Tod und die Auferstehung von Jesus von Nazareth erlebt haben sollte. Ich sah von der goldenen Kuppel der Pagode hinunter auf den Hafen und fragte mich, was für einen Eindruck das auf die europäischen Kaufleute gemacht haben musste.

Das Stadtbild von Yangon war fesselnd. Ich wusste, dass schon die ersten Missionare, die in das alte Burma gekommen waren, von der Anwesenheit der Bettelmönche fasziniert gewesen waren. Ich sah sie nun mit eigenen Augen und wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte, dass Kinder-Mönche mit ihren Bettelschalen überall durch den dichten Verkehr liefen. Mussten die nicht einfach in eine Schule, oder hatte ich diese uralte Tradition zu respektieren?

Ich habe schon viele Reisen mit Päpsten und seltsame Orte erlebt, aber dieser Flug am 28. November 2017 nach Nay Pyi Taw, der neuen Hauptstadt von Myanmar, gehört definitiv zu den eigenartigsten. Der Papst war in Yangon gelandet, weil ein Direktflug nach Nay Pyi Taw nicht möglich war, sollte aber erst in der Hauptstadt auf die Regierungschefin und den Rest der Staatsführung treffen.

Ich war am Abend zuvor durch die Basare des quirligen Yangon flaniert und muss ganz ehrlich sagen, dass diese Stadt ein ungeheures Flair besaß. Ich war deswegen gespannt auf den Kontrast mit der neuen Hauptstadt, die aus dem Nichts in die Mitte des Landes gebaut und im Jahr 2005 eingeweiht worden war. Der junge Pilot der Regierungsmaschine meinte, uns mit dem in Asien weit verbreiteten Scherz aufmuntern zu müssen: Er sagte vor dem Landeanflug scherzhaft: »Ready for Rambo?«

Die Landung war unspektakulär, aber was uns dann erwartete, war wie ein Gespensterfilm. Der Flughafen war riesig und wirkte so, als hätten die Menschen beschlossen, diese Erde zu verlassen. Die langen Flure waren genauso leer wie die großen Hallen, die Geschäfte und kleinen Cafés. In diesem kolossalen Gebäude waren wir vom Vatikan-Pressecorps fast allein. Der Weg zum Präsidentenpalast und zum Convention Center, wo der Papst seine Rede halten sollte, hatte etwas ausgesprochen Gruseliges. Ich konnte die Panzersperren erkennen, die Zäune, die versenkbaren Betonblöcke. Diese ganze Stadt war so gebaut worden, dass sie sich innerhalb kürzester Zeit auch gegen einen entschlossenen und bestens bewaffneten Gegner würde verteidigen und einigeln können. Die Frage war: Gegen wen? Hatten die Machthaber dieses Landes eine so kolossale Angst vor ihren eigenen Leuten, dass sie eine Hauptstadt gebaut hatten, die ihren Familien und ihren Sympathisanten Schutz bieten sollte, selbst wenn die Millionen in Myanmar gegen sie aufstehen würden? Auf diesen langen Boulevards in der neuen Hauptstadt gab es keinen einzigen Fußgänger, und ich habe noch nie eine Stadt gesehen, die so groß war, so große Straßen zu bieten hatte und auf der so wenige Autos fuhren. Es war, als hätte eine rätselhafte Krankheit die Menschheit ausgerottet, und nur ganz wenige hätten sich hinter den Beton von Nay Pyi Taw retten können. Wir waren alle sehr gespannt auf das Treffen zwischen dem Papst und der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Würde der Papst sich in der ersten wichtigen Rede an das Versprechen halten, das er den Bischöfen gegeben hatte, die Rohingya nicht zu erwähnen, oder würde er seine Gastgeber und die Militärs vor den Kopf stoßen? Er entschied sich für einen Mittelweg:

»Die Zukunft Myanmars muss der Friede sein – ein Friede, der sich auf die Achtung der Würde und der Rechte eines jeden Mitglieds der Gesellschaft gründet, auf die Achtung jeder ethnischen Gruppe und ihrer Identität, auf die Achtung des Rechtsstaates und einer demokratischen Ordnung, die es dem Einzelnen und jeder Gruppe – niemand ausgeschlossen – erlaubt, seinen legitimen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten.«

Ich kann mich genau an den Moment der Stille erinnern, der nach diesem Satz eintrat. Die Priester und Bischöfe Myanmars schauten nervös zu den Militärs im Saal. Aus ihrer Sicht war das, was der Papst da gerade gesagt hatte, ziemlich starker Tobak. Statt die Verteidigung des Vaterlandes durch die Militärs und ihre Sicherung der Ordnung zu loben, hatte er sie gewarnt, je wieder Hand an den demokratischen Staat zu legen. Zudem hatte der Papst in einem Satz gleich zweimal die Achtung jeder ethnischen Gruppe angemahnt und extra betont, dass niemand davon ausgeschlossen werden dürfe. Auf der anderen Seite hatte er sich an die Forderung gehalten und das Wort »Rohingya« nicht ausgesprochen.

Ich erinnere mich daran, dass ich ziemlich froh war, als wir nach der Rede des Papstes zu dem vollkommen leeren Flughafen zurückkehrten und diese Geisterstadt verließen.

Auf den folgenden Tag, den 29. November 2017, hatte ich mich richtig gefreut. Der Papst sollte an einem Sangha teilnehmen, einer Art heiligen Versammlung der buddhistischen Mönche. Das Treffen sollte neben dem Tempel in Kaba Aye Center in Yangon stattfinden.

Wir kamen etwa eine Stunde vor dem Papst in dem buddhistischen Zentrum an. Einige geschäftige Mönche flitzten hin und her. Ich fragte einige von ihnen, ob ich ihnen ein paar Fragen stellen könnte. Einer der Mönche erwies sich als sehr freundlich, antwortete: »Ja, gerne« und stellte sich vor. Er heiße Shi. Ich fragte ihn, was seiner Ansicht nach ein heiliger Mann sei oder ob er den Papst für einen heiligen Mann halte. Er dachte eine Weile nach, dann stellte er eine Gegenfrage.

»Hat der Papst das Leid dieser Welt überwunden?«

Ich sagte ihm, dass der Papst genau das Gegenteil wolle, nämlich so viel wie irgend möglich über das Leid dieser Welt erfahren, um zu versuchen, es zu lindern.

»Er interessiert sich also nur für die Probleme dieser Welt?«, fragte mich der Mönch.

Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht genau, was ich antworten sollte. Natürlich hat ein Papst auch immer mit der unsichtbaren Welt zu tun, mit den Verheißungen, mit dem Paradies. Aber dieser Papst schien mir doch sehr in dieser Welt zu sein.

»Er glaubt, dass er diese Welt zum Besseren verändern muss«, sagte ich.

»Aber sucht er nicht nach Erleuchtung?«, fragte Shi.

»Er hat sie schon gefunden«, sagte ich.

Jetzt sah mich der Mönch mit großen Augen an.

»Er hat die Erleuchtung gefunden?«, fragte er. »Wirklich?«

»Ja. Er glaubt, dass ein Mann, der Jesus von Nazareth hieß und Gottes Sohn war, diese Erleuchtung gebracht hat.«

Die Antwort schien ihn zu enttäuschen. »Fastet er auch?«, fragte der Mönch.

»Ja«, sagte ich. »Er fastet zumindest einmal im Jahr.«

»Um zu mehr Erleuchtung zu gelangen?«, fragte der Mönch.

Ich hatte keine Ahnung, was ich darauf antworten sollte. »Vielleicht«, sagte ich.

»Hat er eine Frau?«

»Nein«, sagte ich, »er hat keine Frau.«

»Also ist er ein Mönch? Wir dürfen in der Phase unseres Lebens im Kloster auch keine Frauen haben, vielleicht will er danach eine Frau haben.«

»Nein«, sagte ich, »ich glaube nicht, dass er eine Frau haben will, und er ist auch kein Mönch, aber so etwas wie der Chef aller Mönche.«

Ich musste unser Gespräch abbrechen, weil der Papst näher kam. Jahrhundertelang war in solchen Situationen immer das Gleiche geschehen. Wenn eine große katholische Delegation, Kardinäle, Bischöfe oder sogar ein Papst, mit Buddhisten zusammentraf, versuchten sie, sie zum Christentum zu bekehren. Sie glaubten, dass Gott ihnen diesen Auftrag gegeben hatte. Im Markus-Evangelium heißt es im 16. Kapitel, Vers 15 und 16:

»Dann sagte er zu ihnen: Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen! Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden.«

Joseph Ratzinger hatte noch während seiner Brasilienreise im Jahr 2009 erklärt, dass andere Kulturen nur auf Christus gewartet hätten. Ich war gespannt, was Papst Franziskus jetzt den Buddhisten sagen würde. Waren diese Menschen Gläubige einer anderen Religion, die der Bekehrung bedurften, damit sie nicht verdammt wurden?

Der Papst gab eine klare Antwort. Die Zeiten, als die katholische Kirche versucht hatte, Menschen von ihrem Glauben abzubringen, um ihnen den christlichen Glauben aufzuzwingen, waren seiner Ansicht nach vorbei. Er sprach nicht vom Bekehren, sondern von einer Partnerschaft:

»Liebe Freunde, mögen Buddhisten und Katholiken gemeinsam auf diesem Weg der Heilung voranschreiten und Seite an Seite für das Wohlergehen eines jeden Einwohners dieses Landes arbeiten.«

Ein weiteres Mal sprach er das Wort Rohingya nicht aus. Ich fragte mich, was da geschah. War der Papst einfach ein verlässlicher Hirte, der den Bitten seiner Bischöfe entsprach und das Wort »Rohingya« nicht benutzte, weil sie ihn darum gebeten hatten, es zu verschweigen? Oder war das einfach feige?

Dhaka – Bangladesch

Ich war mir an diesem Donnerstag, dem 30. November 2017, nach dem Abflug aus Yangon in Richtung Dhaka nach Bangladesch vollkommen sicher, dass dieser Tag eine der größten Niederlagen im Pontifikat Papst Franziskus’ sein würde. Er hatte es auf seiner Reise nach Myanmar und Bangladesch bisher nicht gewagt, den Namen der verfolgten Volksgruppe der Rohingya auszusprechen. Es wäre eine Sache gewesen, vor einer Friedensnobelpreisträgerin in Myanmar anzuklagen, dass sie in ihrem Land eine »ethnische Säuberung«, einen Völkermord zuließ. Das hätte naheliegend und relativ einfach geschienen, aber es würde unendlich viel schwerer sein, in Bangladesch diese Tragödie anzusprechen. Welches Recht hatte ein Papst, das Oberhaupt der Katholiken, in einem muslimischen Land wie Bangladesch Solidarität für die muslimischen Rohingya einzufordern? Hätte Bangladesch nicht allen Grund gehabt, dem Papst zu sagen, er möge sich bitte aus diesem inneren Problem, das Muslime betreffe, heraushalten?

Zwischen Bangladesch und Myanmar gab es einen heftigen Streit, über die eventuelle Rücknahme von Rohingya-Flüchtlingen, die versucht hatten, ihr Leben zu retten, indem sie nach Bangladesch flohen. Nach Angaben des Landes lebten mittlerweile 1,1 Millionen Rohingya in Bangladesch. Die Vereinten Nationen versuchten täglich mit Millionenbeträgen dem bitterarmen Land unter die Arme zu greifen, um dieser humanitären Katastrophe Herr zu werden. Doch Bangladesch strebte einen radikalen Einreisestopp an, um zu verhindern, dass weitere Flüchtlinge in ihr Land strömten. In der Hauptstadt Dhaka würde der Papst es also nicht mehr mit einer Friedensnobelpreisträgerin zu tun haben, sondern mit einer Regierung, die der mehr als einer Million Flüchtlinge einfach nicht mehr Herr wurde. Sie hatten so viele Menschen aufgenommen, dass man Bangladesch kaum mehr vorwerfen konnte, es habe keine Solidarität gezeigt. Aber ganz offensichtlich war das Land an die Grenzen seiner Kapazitäten gestoßen. Myanmar hingegen gestaltete die Bestimmungen für die Rücknahme der Rohingya so schwierig, dass die Regierung des Landes nur der Rückreise weniger Hundert Rohingya zustimmte. Da die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi nach dem Militärputsch im Frühjahr 2021 erneut zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde, besteht wenig Hoffnung, dass irgendeine politische Kraft stark genug sein könnte, um es mit den Militärs aufzunehmen und die Situation der Rohingya zu verbessern.

Gespannt wartete ich auf die Rede des Papstes im Präsidentenpalast in Dhaka nach unserer Landung. Würde er es wagen, endlich das Wort »Rohingya« auszusprechen, obwohl die Bischöfe dringend darum gebeten hatten, dies auf keinen Fall zu tun? Wieder wählte der Papst einen Mittelweg, indem er sagte:

»In den vergangenen Monaten konnten die Großzügigkeit und Solidarität, zwei charakteristische Merkmale für die Gesellschaft Bangladeschs, ganz konkret beobachtet werden, als es in seinem humanitären Engagement dem großen Strom von Flüchtlingen aus dem Rakhaing-Staat vorläufige Unterkunft gegeben und sie mit den lebensnotwendigsten Dingen versorgt hat. Dieses Ergebnis wurde mit nicht geringen Opfern erreicht und vor den Augen der ganzen Welt vollbracht. Keiner von uns kann umhin, sich bewusst zu machen, wie ernst die Situation ist, wie groß die erforderlichen Kosten menschlicher Leiden sind und wie prekär die Lebensbedingungen so vieler unserer Brüder und Schwestern, hauptsächlich Frauen und Kinder, sind, die sich in den Flüchtlingslagern drängen. Es ist notwendig, dass die internationale Gemeinschaft entscheidende Maßnahmen im Hinblick auf diese ernste Krise durchführt. Es muss nicht nur daran gearbeitet werden, die politischen Fragen zu lösen, die zur Verschiebung von Menschenmassen geführt haben, sondern es muss Bangladesch sofortige materielle Unterstützung geboten werden bei seinen Anstrengungen, den dringendsten Bedürfnissen der Menschen wirksam zu begegnen.«

Der Papst sagte »den Menschen wirksam zu begegnen«, aber wieder nicht das Wort »Rohingya«. Wieder hatte er sich nicht getraut.

Ich kann mich an diesen Nachmittag des 1. Dezember 2017 sehr genau erinnern. Der Weg durch die Innenstadt von Dhaka zum Palast des Bischofs war überwältigend. Eine vollkommen andere Welt tat sich da vor meinen Augen auf. Händler balancierten auf ihren Fahrrädern große Körbe, in die Gemüse und Obst gestopft waren. Die Körbe bildeten einen so hohen Turm, dass er bis zum dritten Stock reichte. Drei Männer liefen neben ihm her und stützten den Turm. Mir war völlig schleierhaft, wieso das Rad nicht umfiel. Sie kämpften sich durch den dichtesten Verkehr, den ich je in meinem Leben gesehen hatte. Gleichzeitig lieferten Boten, die von weit her zu kommen schienen, Männern, die auf den Baustellen arbeiteten, Blechnäpfe mit Essen und lieferten zum geringstmöglichen Preis warme Mahlzeiten. Das Ganze schien ein kolossales System zu sein. Das, was eine normale europäische Stadt ausmachte, McDonalds-Niederlassungen, Imbissbuden, Pizzerien, Kebabläden, also die westliche Art des Street Food, existierte nicht.

Das Zelt an der Niederlassung des Bischofs von Dhaka, in dem das interreligiöse Treffen um 17.00 Uhr stattfinden sollte, war brechend voll. Es gab keinen für Journalisten reservierten Teil. Wir mischten uns einfach unter das Volk, das festlich gekleidet war. Die Menschen waren freudiger Stimmung, konnten kaum erwarten, dass der Papst kommen würde. Die übliche Mischung aus religiösen Würdenträgern des Islam, des Buddhismus, des Judentums und anderer christlicher Kirchen war zusammengekommen. Ich versuchte, mir mit ein paar Kollegen einen Platz in der Nähe der Bühne frei zu kämpfen, auf der Papst Franziskus sprechen würde. Es war so eng, dass ich es nicht schaffte, den Laptop aus dem Rucksack zu ziehen. Ich gab es auf und ließ einfach den Blick durch das Zelt schweifen. Inmitten der aufgebrezelten Gäste der Feierstunde stand ein kleines Grüppchen von Menschen, die abgerissen, niedergeschlagen und vor allem auch vollkommen unterernährt aussahen. Ihre Augen wirkten wie tot, als hätten sie etwas gesehen, das kein Mensch sehen sollte. Sie machten sich ganz klein, schienen sich verstecken zu wollen in der Menge. Aber der Unterschied zwischen ihrer Haltung und der übrigen Menschen, die in festlicher Vorfreude ein Vogelgezwitscher guter Laune in dem Zelt verbreiteten, war so groß, dass die kleine Schar einfach auffallen musste.

Sie waren nur sehr wenige, ich meine mich an höchstens zehn oder 15 Menschen in der Gruppe zu erinnern. Ich wies einen Kollegen aus Bangladesch auf die kleine Gruppe hin und fragte ihn: Wer ist das? Er sah mich irritiert an und antwortete dann, ich solle warten. Er kämpfte sich dann durch die Menge zu dem Grüppchen, und als er wiederkam, sagte er: »Es sind Rohingya.«

Eine winzige Gruppe dieses gepeinigten Volkes, das so viel Leid erdulden musste, dass der Internationale Gerichtshof gegen Myanmar wegen Völkermordes ermittelte, hatte es hierher, in dieses Zelt geschafft. Die Frage war, ob sie bis zum Papst vordringen würden.

»Würdest du mir helfen?«, fragte ich den Kollegen.

Jetzt sah er mich verständnislos an.

»Ich meine, würdest du mir helfen und übersetzen? Ich glaube nicht, dass sie Englisch sprechen oder Französisch.«

Er druckste einen Augenblick herum. Dann sagte er: »Ich arbeite auch für die Bischofskonferenz. Ich möchte eigentlich nicht, dass man sieht, dass ich mich mit den Rohingya unterhalte. Aber warte mal!«

Nach wenigen Augenblicken kam er mit einer jungen Frau im Schlepptau zurück, die mir stolz auf Englisch erklärte, dass sie eine internationale katholische Schule besuche und froh darüber sei, ihr Englisch ausprobieren zu können.

Ich deutete auf diese kleine Gruppe, sagte ihr, dass das Rohingya seien, und fragte sie, ob sie deren Sprache verstehe.

Sie nickte eifrig und sagte, im Süden von Bangladesch könnten die Menschen die Sprache der Rohingya sehr gut verstehen, zumal sie eine Mischung aus mehreren anderen Sprachen sei, die in der Region gesprochen würden, wie Urdu und Hindi.

Ich erklärte ihr, wie dankbar ich ihr sei, und wir kämpften uns durch die Menge zu der kleinen Gruppe. Ich erinnere mich an die traurigen Augen eines viel zu dünnen, etwa 30-jährigen Mannes, der zunächst überhaupt nicht darauf reagierte, als ich ihn ansprach. Neben ihm saß ein Mann, der seine Hände vors Gesicht presste.

Der dünne Mann mit den schwarzen Haaren war in Lumpen gekleidet, und nach ein paar Augenblicken antwortete er. Er erklärte, dass er und seine Familie aus ihrem Dorf geflohen waren, nachdem die Armee gekommen war und ihre Häuser angezündet hatte. Sie waren in eine nahe Stadt geflohen und hatten sich dann bis nach Bangladesch durchgeschlagen.

Ich fragte ihn, ob der Mann neben ihm Hilfe brauche. Der dünne Mann schaute mich an und sagte, dass der kleine Sohn dieses Freundes erschossen worden war, ein wenige Monate alter Junge, der von einer Salve eines Soldaten getroffen worden war. Obwohl er wusste, dass er tot war, hatte er ihn während der ganzen Flucht im Arm getragen. Sie hatten ihm mehrfach gesagt, er solle ihn endlich begraben, aber er wollte das nicht. Er wollte ihn nicht in Myanmar zurücklassen.

In diesem Augenblick tauchten Ordner auf und zerrten uns von der kleinen Gruppe weg. Ich versuchte zu protestieren, aber es gelang mir nicht. Sie schubsten uns zurück an die Stelle in der Nähe der Bühne, wo der Papst sprechen sollte.

Ich erzählte meinen Kollegen, dass ich mit den Rohingya gesprochen hatte und dass Ordner das kleine Grüppchen von abgerissenen Menschen im Zelt immer weiter nach hinten gedrängt hatten, als dürfte es diese Menschen einfach nicht geben und ihr Leid schon gar nicht.

Als die Zeremonie begann, war ich tief enttäuscht, denn das Programm wurde ganz normal abgespult. Die Bischöfe umringten den Papst, Franziskus hielt seine Ansprache, bedankte sich bei den anderen Religionen, redete wie bei solchen Anlässen üblich über die Zusammenarbeit zwischen Religion und die Verantwortung der Christen. Er erwähnte die Dankbarkeit, dass Christen die Gastfreundschaft in einem muslimischen Land gewährt wurde, er dankte für die Unterstützung. Als er seine Rede beendet hatte, kamen die Würdenträger der verschiedenen Religionen, um ihm die Hand zu geben. Zwei Bischöfe wollten Franziskus aus dem Zelt begleiten, doch dann geschah etwas absolut Einzigartiges.

Der Papst riss sich regelrecht los, obwohl beide Bischöfe ihn am Arm hielten. In einer öffentlichen Veranstaltung ist so etwas äußerst ungewöhnlich. Die Bischöfe konnten ihre Überraschung und auch ihren Unmut kaum verbergen. Sie versuchten, den Papst erneut an die Hand zu nehmen und aus dem Zelt zu geleiten, aber er schüttelte sie noch mal ab und ging auf das Mikrofon zu. Im Zelt kam es jetzt zu einem Tumult. Weil die Veranstaltung beendet war, strömten die Gäste aus dem Zelt, aber als sie sahen, dass der Papst zurückgekommen war und jetzt am Mikrofon stand, strömten sie zurück. Ein Mitarbeiter des Vatikans kämpfte sich plötzlich zu der kleinen Gruppe der Rohingya durch und brachte sie nach vorn zur Plattform, an der der Papst stand.

Jetzt waren der Unmut und der Protest der Bischöfe und der anwesenden Polizisten nicht mehr zu übersehen. Aber das war dem Papst egal. Er unterhielt sich mit den Rohingya, mit einem nach dem anderen. Er ließ sich Zeit. Im Zelt herrschte ungläubiges Schweigen, und in der seltsamen Stille stellten sich die Menschen auf die Stühle, um besser sehen zu könne, was da vorne geschah.

Dann sagte der Papst ins Mikrofon: »Verschließen wir nicht unsere Herzen. Schauen wir nicht weg. Heute heißt die Gegenwart Gottes auch …« Das Wort, das er danach sagte, war nicht klar verständlich. Männer hatten losgebrüllt, als der Papst plötzlich zu sprechen begonnen hatte. Hatte er gesagt: »Heute heißt die Gegenwart Gottes auch Rohingya«?

Uns Journalisten war sofort klar, dass es eine kleine Sensation war, wenn er sich tatsächlich gegen die einheimischen Bischöfe durchgesetzt und »Rohingya« gesagt hatte. Wir schrien uns an, um zu verhindern, dass jetzt alle gleichzeitig versuchten, den Papstsprecher Greg Burke anzurufen. Denn niemand hatte etwas davon, wenn wir durch zahllose Handyanrufe sein Telefon lahmlegten. Wir einigten uns darauf, wer für uns alle ihn anrufen sollte. Wir hatten nur eine Frage: Hatte der Papst das Wort »Rohingya« gesagt oder nicht? Greg nahm sofort ab. Der hochgewachsene Amerikaner Burke mit einem drahtigen Körper wie ein Baseballspieler zögerte einen Augenblick, offensichtlich musste er sich rückversichern, aber dann sagte er: »Ja, er hat ›Rohingya‹ gesagt.«

Ich war dankbar. Der Papst hatte es gewagt, er hatte sich gegen seine eigenen Bischöfe gestellt, er hatte sich den Mund nicht verbieten lassen. Natürlich würde auch nach diesem Abend das Volk weiter drangsaliert werden. Natürlich würde es nicht wirklich helfen. Aber ab jetzt konnten die Herrscher, die mit allen Mitteln verschweigen wollten, was mit diesem Volk passierte, nicht mehr sicher sein, dass sich alle Besucher an ihr Diktat hielten, statt der Welt zu sagen, dass ein entsetzlicher Völkermord unter aller Augen geschah. Was der Papst gewagt hatte, war keine Rettung, aber immerhin ein erster Schritt.

Donald Trump

Bis zum Amtsantritt von Papst Franziskus galt die Vorstellung, dass der Vatikan je eine antiamerikanische Haltung annehmen könnte, als absurd. In seiner Geschichte hatte der Vatikan in Bezug auf die USA meistens auf der falschen Seite gestanden. Als im Jahr 1791 in den USA die Verfassung, die sogenannte Bill of Rights, mit ihren zehn Zusatzartikeln rechtskräftig wurde, war das für den Vatikan ein Schock. Das bedeutete nämlich, dass in der Neuen Welt eine strikte Teilung zwischen Kirche und Staat eingeführt werden sollte. Der Zusatzartikel der Bill of Rights verbietet den Präsidenten der Vereinigten Staaten und dem Kongress, eine Staatsreligion einzuführen. De facto bedeutete dies, dass die Religionsausübung jedem Einzelnen überlassen blieb. Für den Vatikan war diese Vorstellung der blanke Horror. Zu diesem Zeitpunkt existierte der Kirchenstaat noch, und dort galt selbstverständlich, dass Kirche und Staat eng miteinander verflochten waren. Wer zu Ostern nicht in den Gottesdienst ging, wurde von der Polizei gesucht und eingesperrt.

Papst Pius IX . ließ sich schließlich dazu hinreißen, eine strenge Verurteilung aller Länder durchzusetzen, die es wagten, Staat und Religion zu trennen. In der Enzyklika Quanta cura vom 8. Dezember 1864 erklärte Pius IX ., dass die liberalen Bestrebungen in Demokratien zu verurteilen sein. Nach der Vorstellung dieses Papstes musste ein Staat unter anderem darauf achten, dass seine Bürger sich nicht über die Wunder, die in der Bibel beschrieben werden, lustig machten oder an ihnen zweifelten. Schon die ersten Worte der Verfassung der Vereinigten Staaten störten den Papst enorm. Dort heißt es: »We, the People of the United States, …« Das war eine klare Attacke auf die nach Ansicht des Papstes von Gott gewollte Form des Staates, nämlich die Monarchie. In Frankreich wurde im Jahr 1905 die Trennung zwischen Staat und Kirche eingeführt, was Papst Pius X. dazu veranlasste, im Jahr 1906 die Enzyklika Vehementer nos zu verfassen. Dort legte der Papst fest, dass die Gläubigen zu gehorchen haben:

»Die Kirche ist ihrem Wesen nach eine ungleiche Gesellschaft, sie wird aus zwei Klassen gebildet: den Hirten und der Herde. (…) Und diese Kategorien sind untereinander dermaßen verschieden, dass nur bei der Hierarchie das Recht und die Autorität liegt, alle Glieder zum verheißenden Ziel der Gemeinschaft zu führen und zu leiten. Was die Mehrheit angeht, so hat sie kein anderes Amt als hinzunehmen, sich führen zu lassen und der Führung der Leiter gehorsam zu folgen.«

Noch im 20. Jahrhundert war es in einigen Ländern Europas nicht möglich, ein Jobangebot in bestimmten Firmen anzunehmen, die sich der Kirche verbunden fühlten, wenn man kein Führungszeugnis seines katholischen Priesters vorweisen konnte. Dazu gehörte in Deutschland unter anderem der Moderiese C & A.

Heute gibt es nur noch neun Staaten mit einer christlich geprägten Staatsreligion. Da ist natürlich England mit der Königin oder dem König als Oberhaupt der Kirche von England, das Gleiche gilt für Dänemark, wo das Königshaus und das Parlament der dänischen Volkskirche vorstehen. Auch in Griechenland ist die griechisch-orthodoxe Kirche eine Staatsreligion. In Monaco, in Liechtenstein sowie auf der Insel Malta ist der Katholizismus Staatsreligion. In Armenien ist die Heilige Apostolische Kirche der Armenier und in Georgien die orthodoxe christliche Kirche Staatsreligion. Und selbstverständlich gibt es auch im Vatikan eine Staatsreligion, den Katholizismus.

Dass die USA als Erste die Bindung zwischen Kirche und Staat in der demokratischen Welt zerrissen, belastete das Verhältnis lange Zeit schwer. Die Annäherung Papst Pauls VI . an die USA stellte eine Zeitenwende dar, vor allem, nachdem er zugestimmt hatte, dass die letzte Krone der Päpste, die Tiara, im National Shrine of Immaculate Conception in Washington aufbewahrt wurde, aus Dankbarkeit für die Spenden aus den USA für Afrika. Das Verhältnis zwischen den USA und dem Vatikan wurde von da an immer enger. US -Präsidenten Ronald Reagan sah in Papst Johannes Paul II . einen regelrechten Verbündeten und übernahm sogar die Doktrin des Papstes, der vom »Reich des Bösen« sprach und damit die Sowjetunion meinte. Doch die Wahl von Papst Franziskus änderte alles.

Die Einmischung der USA in Mittelamerika hatte die Theologie der Befreiung stark geprägt. Vor allem die Unterstützung der Contras in Nicaragua durch die CIA , um die Diktatur von Anastasio Somoza Debayle gegen die Sandinisten und die sie unterstützenden armen Bauern zu verteidigen, hatte Priester in Lateinamerika wie Jorge Mario Bergoglio geprägt. Endgültig hatten die in den USA trainierten Killer, die Óscar Romero in El Salvador töteten, für eine stark ablehnende Haltung gegen die USA , wenn nicht für regelrechten Hass auf Nordamerika unter allen Anhängern der Theologie der Befreiung gesorgt. Jetzt war einer dieser Priester Papst und das ausgerechnet in einer Zeit, in der ein Donald Trump um das Amt des Präsidenten kämpfte. Zum ersten großen Krach kam es im Februar 2016. Papst Franziskus war gerade unterwegs auf einer pastoralen Reise in Mexiko, als Donald Trump ihn einen »Politiker« und eine »Schachfigur der mexikanischen Regierung« nannte. Franziskus hatte geantwortet: »Gott sei Dank bin ich ein Politiker. Aristoteles hat den Menschen als ein politisches Tier beschrieben, also bin ich auch ein menschliches Wesen. Schachfigur, ja, vielleicht, ich weiß es nicht, das Urteil überlasse ich den Menschen.«

Da Donald Trump beschloss, seinen Wahlkampf unter anderem darauf aufzubauen, dass er eine Abschottungspolitik der USA wollte und verlangte, dass eine Mauer gebaut werde, um dem Zufluss der Immigranten aus dem Süden Einhalt zu gebieten, war der Streit mit dem Papst vorprogrammiert. Franziskus griff frontal an. Im Februar 2016 sagte er: »Eine Person, die nur daran denkt, Mauern zu bauen, egal, wo es ist, und nicht Brücken, ist kein Christ.« Die Anhänger von Donald Trump schäumten. Sie sahen darin einen direkten Eingriff in den US -Wahlkampf.

Trump schlug damals sofort zurück. Während eines Wahlkampfauftritts in South Carolina sagte er: »Wenn der Islamische Staat den Vatikan angreifen würde und alle wissen, dass das die Trophäe ist, die ebenjene Terroristen am liebsten wollen, dann garantiere ich euch, dass der Papst auf die Knie gehen würde und beten, dass Donald Trump Präsident wird.«

In Bezug auf Mexiko sagte Donald Trump an die Adresse des Papstes: »Der Papst hat die Verbrechen nicht gesehen, den Drogenhandel hat er nicht gesehen und wie sich die mexikanische Regierung mit Schlauheit uns gegenüber verhält. Papst Franziskus sagt, dass Donald Trump kein guter Mensch sei, aber ich bin ein guter Mensch, ich bin wirklich ein guter Mensch, ich bin ein guter Christ, und ich bin stolz darauf, es zu sein.«

Als Donald Trump am 20. Januar 2017 sein Amt antrat, erklärte Papst Franziskus kurz darauf, er werde ihn nach dem beurteilen, was er tue.

Am 24. Mai 2017 traf Präsident Donald Trump gegen 8.20 Uhr im Vatikan ein. Die Anspannung unter den Beratern des Papstes war deutlich zu spüren. Wegen der Vorbereitung der Mittwochsaudienz konnte der Präsident mit seiner Autokolonne nicht den gewohnten Weg nehmen, sondern musste durch den schmalen »Perugino«-Eingang fahren. Der Papst versuchte, die Anspannung zu lösen, als er Donald Trump die Hand gab. Angesichts der stattlichen Größe des Präsidenten sagte er zu dessen Frau Melanie: »Was geben Sie ihm denn zu essen, dass er so groß wird?«

Das Treffen dauerte exakt 29 Minuten. Damit lag es ganz genau im zeitlich geplanten Rahmen. Mit Barack Obama hatte der Papst länger, knapp über 40 Minuten lang, gesprochen. Ein Desaster war das Gespräch mit Donald Trump aber auch nicht. Wenn Gespräche richtig schiefgehen, bricht Franziskus nach zehn Minuten ab. Es gab an diesem Tag auch einen Sieger. Donald Trump wollte ganz offensichtlich nicht den Vatikan verlassen und dann als ein Gegner des Papstes gelten. Er sagte hörbar vor den Journalisten, als er sich von Papst Franziskus verabschiedete: »Ich werde die Worte, die Sie mir gesagt haben, nicht vergessen.«