Das Haus war mindestens doppelt so groß wie unseres, halb verborgen hinter einer exakt geschnittenen Hecke, inklusive Vorgarten und Carport. GERMANIA VERMÖGENSBERATUNG AG stand prätentiös auf einem Messingschild neben dem Briefkasten. Ein richtig dicker Fisch schien Arnulf aber nicht zu sein, wie der Zusatz unter dem Schild verriet: REGIONALDIREKTION OST. Das klang eher nach Gummiboot als nach Segelyacht.
Meino schloss die Tür auf und verschwand sofort im Haus. Ich zögerte einen Moment. Dann beschloss ich, meine Erkundigungen auszudehnen, und folgte ihm.
Von innen wirkte das Haus nicht nur groß, sondern geradezu riesig. Allein das Wohnzimmer bot Platz für eine normale Dreiraumwohnung. Beeindruckt schaute ich mich um.
Drei opulente Ledersessel vor der verglasten Rückwand zum Garten zogen mich magisch an. Ich ließ mich auf dem mittleren nieder und versank in den weichen Polstern. Das Sofa gegenüber war doppelt so groß wie unseres, stellte ich fest und fragte mich sogleich, wo selbiges verblieben war. Nun, Platz gab es hier mehr als genug, vielleicht stand es irgendwo im Keller. Ebenso wie unser Bett. Und die Stehlampe. Nicht zu vergessen der Fernseher.
Ich lehnte mich zurück und verschränkte die Hände im Nacken.
Das also war der Grund für die Trennung. Albina war noch relativ jung, neugierig und naiv genug, sich von all diesem Luxus beeindrucken zu lassen. Obendrein hatten die bunten Frauenjournale, in denen erschreckend glückliche Prominente ihren privaten Überfluss präsentieren, ihr so den Kopf verdreht, dass sie nun meinte, ebenfalls so leben zu müssen.
Ein gedämpftes Rattern drang durch die Tür, hinter der ich Meinos Zimmer vermutete. Neulich hatte er sich damit gebrüstet, dass Arnulf ihm eine P-Playstation geschenkt habe. Wahrscheinlich war er mit einem Ballerspiel beschäftigt.
»Meino! Bring mir mal ’n Bier!«, rief ich zum Spaß und legte die Beine auf den gläsernen Couchtisch.
»Aha.« Eine Stimme ließ mich zusammenzucken. »Du bist bestimmt der Dirk.«
Ein wildfremder Mann stand urplötzlich vor mir und grinste mich an. Arnulf, schoss es mir durch den Kopf, das konnte nur Arnulf sein! Hastig wollte ich mich aufrichten, versank dabei jedoch tiefer im Sessel, rutschte mit der Hand von der Lehne und zappelte hilflos mit den Armen, als ich mich mit den Beinen im Couchtisch verhakte und auf den dicken Teppich plumpste. Mühsam rappelte ich mich auf und versuchte, Arnulf trotz meines misslichen Auftritts einigermaßen cool zu begrüßen.
»Genau. Und du bist also Arnulf.«
Sein Händedruck war fest, ein wenig zu fest für meinen Geschmack. Er war ein paar Jahre jünger als ich (Mitte dreißig) und auch ein wenig leichter (neunzig, vielleicht dreiundneunzig Kilo, schätzte ich). Sein Haar war voller als meins, etwas dunkler und im Gegensatz zu meinem akkurat geschnitten und gescheitelt.
»Verstehe das bitte nicht falsch«, erklärte ich gelassen, nachdem ich wieder Herr der Lage war. »Ich wollte hier nicht einfach so eindringen. Also … ich dachte, du bist arbeiten und …«
Ich stockte und begriff, dass ich’s versemmelt hatte.
»Ich arbeite ja auch.« Arnulfs Lächeln entblößte zwei Reihen weißer Zähne, eindeutig zu weiß für meinen Geschmack. »Homeoffice, du verstehst.«
»Klar, verstehe ich total. Na ja.« Ich räusperte mich. »Ich mach mich dann wieder …«
»Komm, früher oder später müssen wir uns kennenlernen.« Arnulf deutete zu einer verchromten Espressomaschine auf einer Arbeitsplatte, die die Küche vom Wohnbereich trennte. »Kaffee?«
Ich hatte mir fest vorgenommen, Arnulf nicht zu mögen. Das, stellte sich jetzt heraus, war gar nicht so einfach.
Doch ich blieb dran.
»Nee«, sagte ich. »Danke.«
»Aber setzen kannst du dich wenigstens.«
»Apropos.« Skeptisch betrachtete ich die riesigen Sessel. »Wo sind eigentlich unsere ganzen Möbel geblieben?«
»In meinem Wochenendhaus. Aber die gehören Albina, frag sie selber.«
»Moment mal!«, prustete ich. »Nur, weil Albina die Sachen bezahlt hat, sind sie nicht automatisch ihr Eigentum!«
Arnulf sah mich fragend an. Also musste ich deutlicher werden.
»Ich habe das meiste davon ausgesucht. Ich habe vorgeschlagen, das Zeug zu kaufen. Faktisch gesehen bin ich der geistige Urheber des Erwerbs, so was wie der Architekt, während Albina quasi nur wie ein Bauarbeiter für die Realisierung zuständig war. Ist doch logisch, oder?«
»Hm.« Arnulf wiegte bedächtig den sorgfältig frisierten Kopf. »Vor Gericht wirst du damit kaum durchkommen.«
»Gericht?« Ich blies abschätzig die Luft aus den Backen. »Ich bin kein Typ, der Stress macht. Und schon gar nicht wegen irgendwelchem materiellen Kram.«
»Gute Einstellung. Geld macht nicht glücklich.«
»Stimmt. Kein Geld aber auch nicht«, gab ich trocken zurück.
»Ich werde mich nicht bei dir entschuldigen.« Arnulf wurde ernst. »Was passiert ist, ist passiert. Wir sollten das regeln wie Männer.«
»Klar.« Ich fühlte mich immer elender. »Wie sonst?«
Gedämpfte Schüsse dröhnten aus Meinos Zimmer, Explosionen waren zu hören.
Der Junge hat’s gut, dachte ich. Der muss nicht rumquatschen, der nietet seine Kontrahenten einfach um. Krach! Bumm! Peng! Einfach so. Und ich? Ich stehe hier und muss mich demütigen lassen. Satz für Satz.
Aus dem Kinderzimmer drang ein Rattern, offensichtlich näherte sich Meino, aus allen Rohren feuernd, seinem Endgegner.
Ach, dachte ich, man müsste noch mal klein sein!
Etwas regte sich in mir.
Mein inneres Kind erwachte.
Was, überlegte ich beunruhigt, würde mein innerer Tiger dazu sagen, wenn er Konkurrenz bekam?
»Also, äh …« Ich räusperte mich. »Ich find’s nicht so gut, dass Meino die ganze Zeit rumballert. Ich meine, er … er sollte schon auch mal an die Luft und so.«
»Logisch, halbe Stunde spielen, dann raus ins Freie«, nickte Arnulf. »Ich bin für klare Regeln.«
Regeln? Pah! Ich brauche keine Regeln, und am wenigsten klare!
»Ich vertraue eher meinem Instinkt«, erklärte ich stolz.
»Ich würde vorschlagen«, erwiderte Arnulf ruhig, »du klärst die Dinge bei dir zu Hause, wie du es willst, und hier bei uns entscheide ich. Okay?«
Ich ballte die Fäuste. Arnulfs bestimmtes und trotzdem freundliches, regelrecht sympathisches Auftreten ließ meine Aggressionen anschwellen.
»Übrigens«, Arnulf senkte vertraulich die Stimme, »du wirkst viel normaler, als Albina dich geschildert hat.«
Normal? Ich???
Ich zeig dir gleich, wie normal ich bin!
Das Haus bebte unter den Detonationen aus Meinos Computerspiel. Plötzlich wurde es still, er hatte seinen Gegner zur Strecke gebracht. Wenn Meino das konnte, konnte ich’s auch!
Es brodelte in mir.
Ich trat einen Schritt vor.
Nimm das, du … nettes Arschgesicht!
Meine Faust traf mit voller Wucht direkt unter dem Auge. Es gab ein kurzes, klatschendes Geräusch, das mich ein wenig enttäuschte. In Computerspielen klang so was wesentlich eindrucksvoller. Doch jetzt? Kein fettes Wupp! oder Uff!, Arnulf stürzte auch nicht filmreif in berstende Möbel. Er stand einfach nur da, hielt das (immerhin) schmerzende Gesicht und rief: »Mann, was soll die Scheiße?!«
Die Erklärung, mein innerer Tiger habe zugeschlagen, erschien mir nicht recht plausibel. Also gab ich das Kommando weiter.
»Du weißt genau, warum!«, schrie mein inneres Kind.
Sollte er sich doch selbst eine Erklärung ausdenken, schließlich hatte er die ganze Zeit über den Schlauberger gegeben!
Wortlos verließ ich das Haus.
Sörens Mercedes beschleunigte enorm. Als meine Hände das edle Lederlenkrad umfassten, bemerkte ich meine zitternden Finger. Ich war aufgewühlt und spürte, dass das, was ich gemacht hatte, falsch war. Aber es fühlte sich … gut an. Albina hatte gewollt, dass ich um sie kämpfte. Das hatte ich hiermit getan. Mehr noch: Ich hatte gewonnen.
Wer nach oben will, hatte Weltenmeister geschrieben, muss nach unten treten.
Ja, er konnte stolz auf mich sein. Denn ich hatte seinen Rat befolgt, Weichteile hatte ich nicht verletzt.
Und Meino?
Nun, der hatte seelenruhig seine eigene Schlacht geschlagen und das Scharmützel verpasst. Aus pädagogischer Sicht war das vermutlich günstig, aber insgeheim bedauerte ich, dass Meino mich nicht in Aktion gesehen hatte.
Danach hätte er seinen Vater garantiert mit anderen Augen angeschaut.