Als ich erwachte, saß Patrizia aufrecht neben mir in meinem schicken neuen Bett. Im Morgenlicht wirkte sie deutlich weniger attraktiv als noch am Abend zuvor auf Sörens Party.

Noch bevor ich ein zerknautschtes Guten Morgen herausbringen konnte, stellte sie klar: »Erstens, zwischen uns ist nichts gelaufen. Du warst stockbesoffen. Und zweitens: Eigentlich wäre ich schon längst weg, aber dann hab ich das hier gesehen. Was ist ’n das?«

Sie hielt mir einen dünnen Papierstapel entgegen. Blinzelnd erkannte ich die Screenshots der wichtigsten Weltenmeister-Texte, die ich ausgedruckt und im Flur an die Wand gepinnt hatte.

»Ach«, wiegelte ich ab, »nichts weiter.«

Ich war unsicher, ob ich ausgerechnet jemandem, den ich seit über zwanzig Jahren nicht gesehen hatte, von meiner mysteriösen Verbindung zu einer App berichten sollte. Patrizia war am Gymnasium eine Klasse über mir gewesen, wir hatten uns ab und zu auf Partys getroffen und nach dem Abitur aus den Augen verloren.

»Sag mal«, ich lenkte das Gespräch auf ein anderes Thema, »ich wusste gar nicht, dass du Sören kennst.«

»Wir haben ab und zu geschäftlich zu tun«, sagte sie, wieder in ihre Lektüre vertieft.

»Und was genau«, hakte ich nach, »macht ihr beide so?«

»Gefällt’s dir?«, fragte ich zurück.

»Das ist … irgendwie irre.« Sie las vor:

Wenn jeder jedem was klaut, haben alle was.

»Das«, fragte ich, »findest du … irre

»Aber auch geil.«

»Absolut.«

»Oder das hier:«

Schaffe Abhängigkeiten! Nutze dein Umfeld, Freunde, Bekannte und Familie! Mit Geschenken ist es leicht, gezielt Druck aufzubauen! Je größer das Geschenk, desto größer der Druck und die zu erwartende Gegenleistung!

»Lieber Himmel«, murmelte Patrizia. »Das liest sich wie Carnegie und Coelho zusammen, aber irgendwie – krasser.« Sie bemerkte meinen verständnislosen Blick. »Du weißt schon, diese wahnsinnig erfolgreichen Motivationsgurus.«

»Ach so.«

»Wer hat das geschrieben?«

»Äh … na ja …«

»Von dir«, meinte sie herablassend, »ist es ja wohl nicht.«

»Wie jetzt?«, gab ich zurück. »Traust du’s mir etwa nicht zu?«

»Aha!« Ich richtete mich auf, stützte mich auf den Ellbogen ab. »Und wieso nicht?«

»Also das hier«, Patrizia wedelte mit den Ausdrucken, »hat was Radikales, was Geniales sogar. Und das …«

»Ja?«

»… sehe ich bei dir nicht. Du bist …«

»Ist aber von mir«, unterbrach ich schnell, bevor sie ihre wahrscheinlich höchst unpassende Bemerkung hervorbringen konnte. »Tja, haste dich wohl getäuscht.«

»Echt?«

Ohne es mir anmerken zu lassen, genoss ich, wie sie mich halb prüfend, halb bewundernd von der Seite anschaute.

»Also, Respekt«, meinte sie schließlich. »Hätte ich dir nicht zugetraut.« Sie stupste mich vertraulich in die Seite. »Sieh an, was aus dem kleinen Müsli-Dirk geworden ist.«

»Müsli-Dirk?«

»So haben dich doch alle genannt. Überleg mal, wie du rumgerannt bist. Zopf, Latzhose, Norwegerpulli … und jetzt düst du mit ’nem Cabrio durch die Gegend.« Patrizia wandte sich wieder den Ausdrucken zu:

Nichts Kapitalistisches ist dem Menschen fern. Und doch fremdeln arm und reich, sind nicht bereit, sich selig der Umarmung des wirtschaftlichen Wohlbehagens hinzugeben.

»Genau«, nickte ich.

Patrizia ließ die Papiere sinken.

»Wo nimmst du das her?«

Ich zuckte die Achseln. »Zwölf Semester Sozialpädagogik.«

»Sozialpädagogik?« Sie verzog das Gesicht. »So ’ne Versagerscheiße?«

»Also … klar, ich hab schnell gemerkt, dass das, was die da lehren, nicht so richtig funktioniert. Und … na ja, dann hab ich mir eben meine eigenen Gedanken gemacht«, sagte ich und sah dabei bewundernd auf … meine Texte.

Patrizia faltete die Blätter zusammen. »Gibt’s noch mehr davon?«

»Klar.«

»Das muss man rausbringen.«

»Wie … rausbringen

»Veröffentlichen.«

»Das ist nicht so einfach, Patrizia. Da müsste man erst …«

»Quatsch!«, beendete sie die Diskussion. »Ich kenne da jemanden.«