Wo fange ich an zu berichten?

Im Endeffekt ist es rasch erzählt. Dinge ändern sich im Leben. Mal schneller, mal langsamer, als man denkt. In meinem Fall überschlugen sich die Ereignisse.

Patrizia hatte die Weltenmeister-Manuskripte, die sie an jenem Morgen nach Sörens Party mitgenommen hatte, in einem ihrer Frankfurter Snobistenzirkel herumgereicht. Es dauerte nicht lange, und mehrere große Verlage waren interessiert. Patrizia, Geschäftsfrau durch und durch, heizte das Interesse noch an, indem sie die Identität des mysteriösen Verfassers geheim hielt, und handelte nach einer regelrechten Bieterschlacht einen opulenten Vorschuss aus. Ich selbst hatte nichts weiter zu tun, als die Urheberschaft zu bestätigen. Sechs Wochen später wurde das Buch, begleitet von einer riesigen Werbekampagne, veröffentlicht, schlug folgerichtig wie eine Bombe ein und landete prompt auf den Bestsellerlisten.

Und ich?

War plötzlich ein gemachter Mann, dessen Probleme sich von allein lösten. Der Verlag trug sein neues Wunderkind auf Händen. Sämtliche Verbindlichkeiten wurden diskret beglichen, der Rest von einer Horde charmanter Anwälte geregelt. Timo saß eine zweimonatige Strafe wegen Körperverletzung ab, Ralf erhielt eine Anklage wegen des Verdachts auf schwere Hehlerei; wenig später meldete die Dr. Sorgenfrei Homeservice-Handelsagentur & Co. KG,

Dass Norbert mein großzügiges Angebot ausschlug, konnte ich nur als Schuldeingeständnis seinerseits werten.

Drei Wochen nach Vertragsabschluss suchte mich ein langhaariger Kripobeamter auf, der sich als Hauptkommissar Zorn vorstellte und mir Fragen zum Tod der alten Wondraschek stellen wollte. Ich verwies den bräsigen Schnarcher an meine Anwälte.

Danach habe ich nie wieder von ihm gehört.

Es ging mir gut. Schlagartig war ich reich. Ich war ein Star, Liebling des Feuilletons. Ich hatte Fans und jede Menge Follower auf Instagram und Youtube. Das freute mich umso mehr, denn so erreichte ich die Menschen viel direkter und persönlicher als über die Krücke des altmodischen Parteiapparates der Linken Liste.

Ich hatte es den Zweiflern, den Albinas, Ralfs, Norberts und allen anderen angepassten Langweilern dieser Welt gezeigt. Alles, wonach das menschliche Trachten strebt, stand mir bereit. Ich musste nur zugreifen.

Ein neues Handy legte ich mir jedoch nicht zu. Das konnte als Marotte eines schrulligen Schriftstellers abgetan werden, der wahre Grund lag allerdings woanders.

Bei einer App.

Was oder wer auch immer dieser Weltenmeister war; irgendwo … irgendwie musste er existieren. Ich war zu dem

Zuerst hatte ich ihn – beziehungsweise es – verlacht. Danach akzeptiert, später verehrt und zum Schluss verflucht. Jetzt hatte ich meinen Frieden geschlossen. Bis zum Erscheinen des Buches verspürte ich jedoch ein gewisses Unbehagen. Böswillige hätten mir unterstellen können, geistiges Eigentum gestohlen zu haben.

Gut. Aber wem?

Jemandem, der nicht existiert, kann man nichts wegnehmen.

Nun, es war, wie es war. Mein Mut, mich auf die Konversation mit der seltsamen App einzulassen, wurde belohnt.

Nicht alle Botschaften hatten sich mir sofort erschlossen, doch jede einzelne hatte sich irgendwann als richtig erwiesen. Besonders die letzte, deren Sinn ich erst begriff, als der erste Vorschuss für die Texte des Weltenmeisters auf meinem Konto eingegangen war:

Wer gut leben will, muss arbeiten.

Wer SORGLOS leben will,

LEBT VON DER ARBEIT ANDERER!

Auch diesmal bewies der Weltenmeister Phantasie, denn da ich kein Mobiltelefon mehr besaß, übermittelte er mir

*

Nach meinem ersten Fernsehauftritt in einer Talkshow (laut Kritikerurteil erfrischend kontrovers, eloquent, unterhaltsam und überraschend tiefsinnig) meldete sich Albina und lud mich zum Kaffee ein. Ich lehnte ab und verwies auf meinen engen Terminplan. Das entsprach durchaus der Wahrheit, ich musste mich auf meine erste Live-Tour vorbereiten. Zusätzlich erschien es mir ratsam, Albina ein wenig zappeln zu lassen.

Apropos zappeln:

Zwei Wochen nach Erscheinen des Buches – die fünfte Auflage wurde gerade gedruckt – tauchte ein Video im Internet auf. In einer bizarren Szene war zu sehen, wie ein völlig verwirrter Typ mit blutendem, von Platzwunden gezeichnetem Gesicht an einem Porno-Set die nackten Darsteller beschimpft. Gerüchten zufolge sollte es sich dabei um mich handeln, und obwohl eine gewisse Ähnlichkeit nicht zu bestreiten war, erwiesen sich diese Vorwürfe als unhaltbar.

Meine zweimonatige Tour war binnen kürzester Zeit ausverkauft. Große Hallen wurden gebucht, und als ich am Premierentag mit Karl-Heinz auf dem Rücksitz meines neuen Mercedes zum ersten Gig fuhr, tat ich dies im sicheren Gefühl des Erfolges.

Ich war ein Mann auf dem Weg zu weiterem Ruhm. Bereit, sämtliche Lorbeeren vom Baum des Lebens zu pflücken. Die Welt lag mir zu Füßen, nichts konnte mich mehr aufhalten, jetzt, wo ich …