Verlierer sein, aber mit Erfolg!

 

Ständig redet dir die Gesellschaft ein: Verbessere dich, arbeite an dir! Unfug! Wesentlich zielführender ist es, das bereits vorhandene Potenuial konsequent zu nutzen. Dazu allerdings muss man es zunächst erkennen. Das Gute ist: Nicht die Menge der Ressourcen ist entscheidend, sondern die Fähigkeit, das wenige gezielt einzusetzen.

 

Merke: Je geringer die Auswahl, desto leichter die Entscheidung!

 

(Funfact am Rande: Wer kein Potenzial hat, kann keines vergeuden.)

Lärm drang durch die Betonwände in mein kleines Büro. Ein Blick auf die Uhr erklärte das Geschrei, die Zweitklässler gingen gerade zum Mittagessen.

Ich überlegte, welcher Eigenschaft mein persönliches Lieblingstier, der Pinguin, entsprach.

Fuck the Pinguin!

Hä?

Stell ihn kalt!

Du bist ein Tiger!

Ich? Ein Tiger? Diese Vorstellung war etwas ungewohnt. Aber sie gefiel mir. Ich erinnerte mich an eine Szene vor zwei Wochen. Margit, die stellvertretende Schulleiterin, war in mein Büro gekommen und hatte sich beschwert, dass es hier rieche wie im Raubtierkäfig. Damals hatte ich die Bemerkung als nicht sehr schmeichelhaft empfunden, doch womöglich war das ja der Anfang gewesen?

Verdammt, schoss es mir durch den Kopf. Ich bin ein Tiger!

Ich war schon immer einer gewesen. Jahrelang hatte dieser innere Tiger Winterschlaf gehalten, doch jetzt, jetzt wurde er geweckt. Albina fiel mir ein, beim Gedanken

Die Tür wurde aufgerissen, ein Zweitklässler platzte herein und sah mich mit großen Augen an.

»Hey, sag mal!«, mahnte ich.

Der Junge wich einen Schritt zurück. Ich hatte wohl ein wenig rüde geklungen.

»Na?«, schob ich deshalb in kumpelhaftem Ton nach, »wo kommst du denn her? Hier kannst du nicht einfach so reinplatzen, ich hab wichtige Arbeit zu erledigen, weißte?«

»Und was?«

Der nassforsche Aggressor schien es genau wissen zu wollen.

»Na ja.« Ich nahm die Füße vom Schreibtisch. »Das alles hier muss schließlich bezahlt werden. Eure Lehrer, die Schulhefte, die Stromrechnung und so. Ich kümmere mich um den Verein, damit immer genug Geld da ist. Und das Baumhaus«, ich deutete aus dem winzigen Fenster, »wird auch nicht von alleine fertig. Da geht’s nicht, dass ein kleiner süßer Fratz wie du einfach hier reinkommt und …«

»Luca?«, ertönte es aus dem Flur. »Hast du das Pflaster?«

»Welches Pflaster?«, rief ich zurück.

»Für den Daumen!«

»Welchen D-«

Ich stockte, denn erst jetzt bemerkte ich die Wunde

»Iiiiiihh!«, rief ich, »also das geht nun wirklich nicht!«

»Was geht nicht?«

Ein Bündel bunter Baumwollklamotten erschien raschelnd in der Tür. Aus der oberen Öffnung ragte ein Strunk graubrauner, ein verhärmtes Gesicht umkränzender Locken. Constanze, die Ethik- und Deutschlehrerin sah mich stirnrunzelnd an.

»Guck dir mal den Teppichboden an!«, sagte ich verärgert.

»Hier steht ein verletztes Kind!« Constanze schob das Kinn vor. »Und das Einzige, was dich interessiert, ist dein Teppich

»Mir persönlich ist es egal. Aber das ist Vereinseigentum.«

»Entschuldigung, Herr Verwaltungsdirektor«, gab sie pampig zurück. »Ich hab Luca hergeschickt, weil hier der Verbandskasten ist!«

»Ach so. Das haben wir gleich.« Ich schob einen Stapel Zeitschriften beiseite, kramte den Verbandskasten hervor und verarztete die Wunde. »Das war’s.« Ich gab dem Jungen einen aufmunternden Klaps. »Und jetzt ab in die Pause!«

Er rannte davon.

»Na?«, rief ich ihm nach. »Wie heißt das Zauberwort?«

»Sag mal«, Constanze stemmte die Hände in die mageren Hüften, »was soll denn der Quatsch?«

Sie, die ach so wichtige Lehrerin, fühlte sich Dirk, dem einfachen Erzieher, haushoch überlegen. Sollte sie ruhig, ich ließ sie in ihrem Glauben. Obwohl ich mehr war als ein Hortner, viel mehr.

Doch ich fuhr die Krallen nicht aus.

Aber meine Zähne, die zeigte ich.

»Alte Schule eben«, lächelte ich. »Aber was gar nicht geht«, fuhr ich sachlich fort, »ist, dass hier immer wieder jemand unangemeldet auftaucht. Ich hab hier hochvertrauliche Unterlagen.« Ich deutete auf meinen Schreibtisch. »Du weißt, wie angespannt unsere finanzielle Lage ist. Wir sind ’ne freie Schule, wir sind auf die Spender angewiesen. Ich muss ständig Telefonate führen, um die Leute bei Laune zu halten. Wenn auch nur einer von denen abspringt …« Ich senkte die Stimme. »Da hängen Jobs dran, Constanze. Deiner auch.«

Sie hüstelte kurz.

»Okay«, nickte sie dann. »Aber … du weißt doch, Beate ist seit zwei Wochen krank, ich muss mich um drei Klassen gleichzeitig kümmern. Da muss es doch mal möglich sein, dass du den Verbandskasten rausrückst, wenn …«

»Du hast Stress, das verstehe ich. Aber ich hab hier auch ’ne Menge an der Backe. Das willst du nicht mal einen Tag erleben, glaub mir. Nicht mal ’ne Minute.«

»Klar, aber du darfst nicht vergessen …«

Irgendwo krachte eine Tür. Ein Kind schrie, ein weiteres fiel ein. Constanze wollte umgehend los, doch ich hielt sie zurück und bat sie freundlich, Frau Koblowski, die Reinigungskraft, wegen des Blutflecks zu informieren.

Kurz nachdem Constanze verschwunden war, vibrierte mein Handy:

Wo du gewinnen willst, muss ein anderer verlieren!