ISA,
IM OKTOBER 2015

»Ich habe Anke erreicht. Sie hat geschlafen. Sie macht sich auf den Weg.« Erleichtert legt Isa ihr Handy wieder in die Tasche zurück.

Hannes bremst scharf an der Ampel und sieht sie an. Es ist ihm deutlich anzusehen, wie sehr er noch damit beschäftigt ist, die Situation zu verarbeiten und sich gedanklich auf das vorzubereiten, was vor ihnen liegt. »Woher hat Lou diese Unterlagen?«

»Sie studiert doch irgend so ein Zeug, wahrscheinlich ist sie darüber irgendwie an die Unterlagen gekommen. Wahrscheinlich brauchst du nur eine passende Studie, einen Forschungsauftrag – ach, was weiß ich. Was ich mich frage: Was steht denn in den Akten? Hat das irgendeine Bedeutung für unsere Familie?«

»Was meinst du damit: Ob es etwas für unsere Familie bedeutet?«

»Na, es wird schon irgendwas geben, was sie ausgegraben hat, sonst wären meine Eltern nicht so empört. Es fühlt sich an, als sollten wir zum Rapport antreten.«

Als Hannes anfährt, würgt er den Motor ab. »Sorry«, sagt er zum Auto, streicht über das Lenkrad und startet es erneut. »Ich bin mir da gar nicht sicher, ich finde die Tatsache beachtenswerter, dass Lou Einblick genommen hat, offensichtlich, ohne es mit den beiden zu besprechen. Davon würde ich jetzt zumindest mal ausgehen, wenn sie sich so aufregen. Meinst du, sie hat auch unsere Akten eingesehen?«

»Da stand nun wirklich nichts drin. Vielleicht hätten wir doch mal mit ihr darüber reden sollen? Warum macht sie das? Warum fragt sie uns nicht direkt?«

»Na ja, hat sie das nicht versucht?« Hannes klingt nachdenklich.

»Bei mir nicht!« Sie schüttelt den Kopf und bemerkt, wie Hannes sie kurz anschaut. Liegt da Zweifel in seinem Blick?

»Was meinst du, ob es Sachen gibt, die in den Unterlagen deiner Eltern stehen – zu unserer Ausreise?«

»Was willst du damit sagen? Hast du Angst, sie könnte uns Vorwürfe machen?«

»Ja, schon, ich für meinen Teil habe damals durchaus in Kauf genommen, dass deine Eltern Ärger bekommen werden.«

»Ja, das haben wir in Kauf genommen, als wir den Antrag gestellt haben. Aber wir hatten einen Grund. Unsere Kinder. Sie hatten schon Christian daran gehindert, beruflich das zu machen, was er wollte. Wir wollten, dass das aufhört. Und immer dieses Leben in zwei Welten.« Isa nestelt noch einmal an ihrer Handtasche, zieht das Handy heraus und ruft Lou an. »Bei unserer Enkelin ist besetzt, ich denke, sie sollte auch kommen.« Erneut ruft sie bei ihrer Tochter an. »Bei Anke ist ein Freizeichen. Nie erreicht man irgendwen. Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl im Magen, Hannes. Ich bin mir sicher, das wird jetzt eskalieren.«

»Dazu müsste Lou schon dabei sein.«

»Wir müssen jetzt erst mal nach den Eltern sehen und dann entscheiden, was sinnvoll ist. Aber eines sage ich dir: Das Fräulein kann sich auf was gefasst machen.«