ANKE,
IM OKTOBER 2015

Als wäre durch ihr gemeinsames Lachen ein Bann gebrochen, ist die Stimmung jetzt spürbar weicher. »Und hast du, liebes Schwesterherz, vielleicht auch etwas auf dem Kerbholz, das du uns jetzt noch erzählen willst?«, fragt Christian. Wieder hat er diesen Ton, den er anschlägt, wenn er Anke provozieren will.

»Nein, ich habe alles gesagt. Und das Fazit meiner Sonntagsrede am Mittwoch: Ich bin viel zu langweilig und angepasst – also hätte ich mich nie getraut, irgendeinen Bockmist auszufressen.«

»Was ich gemacht habe, das war kein Bockmist! Ich bin dazu gezwungen gewesen, also vielmehr wir beide«, ruft Konrad dazwischen, und Anke ist klar, dass er das nun bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit einwerfen wird. Vermutlich hat er nun eine neue Story, die er künftig zum Besten geben wird als König Konrad: Wie er mit seiner Frau die Stasi, ach was – das ganze System – genarrt und ausgetrickst hat. Bescheidenheit liegt ihm einfach nicht.

Wie berechenbar die Menschen um sie herum sind. Tatsächlich findet sie diesen Gedanken beruhigend, denn auf irgendeine Weise bietet Berechenbarkeit Verlässlichkeit. Genau deshalb hätte sie nie gedacht, dass das hier jemals stattfinden würde. Ja, sie sind alle ein wenig kompliziert, aber immerhin bemüht.

»Du weißt, das stimmt nicht«, sagt Christian, und Anke muss kurz überlegen, wo sie stehengeblieben sind. »Du bist sehr autonom, manchmal macht mir das schon wieder Sorgen. Und das Menschenkind, das du in die Welt geschickt hast, ist großartig. Solche Menschen wie Lou brauchen wir.«

Ankes Augen brennen. Sie blinzelt. »Bist du nicht mehr sauer?«, fragt sie, und ihre Stimme klingt dämlich. So wackelig. Vermutlich vor Rührung.

»Warum sollte ich sauer sein? Ich finde Lou wirklich cool. Ich mag Menschen, die Grenzen ausloten.«

»Ich liebe Lou wie verrückt, aber Grenzen ausloten? Furchtbar.« Anke schüttelt sich.

»Deshalb machst du ja auch den Job, den du machst. Und sie den ihren.«

»Ach so, und du hast die Malerrolle hinter dir gelassen und bist jetzt im Kundendialog am Telefon, weil du das Reden so gut gelernt hast. Nur bei mir nicht, ich weiß …«

»Dass ich dir nichts gesagt habe, wirst du mir nachtragen, oder?«

»Allerdings. Wenn du mir jetzt nicht vor oder zumindest bei jedem Fußballspiel Skandale und Pikantes aus deinem Leben oder von dem deiner Kolleginnen und Kollegen erzählst, dann kommentiere ich künftig jedes Fußballspiel.«

Christian hebt abwehrend die Hände. »1:0 für dich.«

»Geht doch mit uns.« Anke lächelt und stupst Christian mit dem Ellbogen zurück.

Isa sitzt mit angezogenen Beinen im Sessel und schaut gedankenverloren zu ihrer Mutter, dann zu Anke. Die Männer im Raum scheinen für sie keine Rolle mehr zu spielen. Ihr Anblick erinnert Anke an die Momente, in denen sie selbst in ihrem Kopfkino festhängt. Was Isa wohl gerade denkt?

Als hätte sie die Frage gehört, wendet sich Isa Hannes zu. »Wir fahren jetzt ins Reisebüro.«

»Was machen wir?«

»Wir sind noch nicht fertig mit alledem.« Sie erhebt sich. »Wir sind aus vielen Gründen gegangen. Aber einen haben wir aus den Augen verloren, nämlich unseren: Wir wollten nach Australien, früher mal. Bis nach Afrika sind wir schon gekommen, aber den Ayers Rock, den möchte ich immer noch sehen. Du auch?«

Hannes streckt ihr die Hand entgegen. »Und was ist mit dem Scheidungsanwalt, willst du da vor oder nach dem Urlaub hin?«

»Hunde, die bellen, beißen nicht.« Isa küsst Christian und Anke zum Abschied auf die Wange und umarmt Konrad. Vor Elisabeth bleibt sie stehen, beide schauen sich an. Elisabeths graue Haare sind frisiert, sie ist geschminkt und trägt sogar zu Hause Rock und Bluse, ihre Hausschuhe im Ballerina-Schnitt sind eleganter als 90 Prozent der Schuhe, die Anke im Schrank hat. Ihre Oma könnte als Schulleiterin im Ruhestand durchgehen. Und Isa ist ihre rebellische jüngere Kollegin. In ihrer Skinny-Jeans, dem legeren Sweatshirt und dem gepunkteten Halstuch ist sie ein lässiger Gegenentwurf zu ihrer Mutter. Noch nie hat Anke diesen Unterschied so deutlich wahrgenommen.

Nun hebt Elisabeth die Arme und schließt sie um Isa.

Die steht stocksteif, wie ein Mensch, der nichts verzeihen kann – und will.

Niemand – weder Konrad noch Hannes oder Christian und sie selbst – wagt sich zu rühren. Sie stehen da und schauen auf Mutter und Tochter.

Ankes Herz wird schwer. Es ist vermutlich genau der Punkt, an dem Isa für sich entscheiden muss, ob sie mit dem, was ihre Mutter getan oder unterlassen hat, zurechtkommt. An dem sie sich fragen muss, ob sie sich darauf einlassen kann, ihre Mutter nicht mehr ändern zu können und die Vergangenheit so zu nehmen, wie sie war.

Elisabeth löst ihre Umarmung. Sie versteht, was Isas Körperhaltung sagen will und was auch für die Umstehenden unübersehbar ist: Manchmal gibt es keinen Weg der Versöhnung mehr. Verloren bleibt Elisabeth zurück, sieht schweigend ihrer Tochter nach, die Hannes’ Hand nimmt – er hatte sie ihr erneut entgegenstreckt.

Isa weicht dem Blick ihrer Mutter aus und nickt in die Runde, als wäre nichts geschehen. Im Flur schlüpft sie in ihre Jacke.

Anke kann nicht glauben, was hier geschieht. Will ihre Mutter jetzt ernsthaft abhauen? Einfach so?

Elisabeth tritt plötzlich einige Schritte vor, damit sie ihre Tochter besser im Blick hat. »Schreibst du eine Karte, wenn ihr nach Australien fahrt?«, fragt sie.

Isa hält inne. Plötzlich erwidert sie den Blick ihrer Mutter. »Natürlich, Mutti.« Kurz lächelt sie, nur ganz zart.

Elisabeths Gesichtszüge werden weich.

Auch Anke atmet tief aus.

Noch einmal hebt Isa die Hand zum Gruß und winkt in die Runde. Dann fällt die Tür hinter Hannes und ihr ins Schloss. Sie werden jetzt ihre Reise buchen gehen. Und irgendwann nachholen, was ihnen in der Nachwendezeit abhandengekommen ist – einen Teil ihres Traums von einem anderen Leben erfüllen.

Anke weiß jetzt: Isa und ihre Mutter, sie werden nach diesem intensiven Gespräch nun Kraft tanken, um sich in wenigen Tagen wieder wegen Alltäglichkeiten anzufahren. Und Anke freut sich darauf. Familie Simon-Hauschke wird in die Normalität zurückkehren, aber trotzdem wird einiges künftig anders sein. Ein wenig anders zumindest, das würde ihr schon reichen.

Als Christian und sie sich von Elisabeth und Konrad verabschiedet haben, registriert Anke im Hinausgehen das Briefmarkenalbum im Flur auf der Kommode. Obenauf liegen einige ausgeschnittene Briefmarken. Es sind aktuelle. Christian muss sie für Konrad gesammelt haben.

Während Anke durchs Treppenhaus geht, fragt sie sich, was das für ein Tag war und wie sie diesen jemals im Tagebuch begreifbar zusammenführen soll. Lou wird ihr kein Wort glauben.

Selten hat sich Anke so gefreut, die Wohnungstür hinter sich zu schließen und die Welt außen vor zu lassen. Sie macht sich einen Kaffee, sinkt auf die Couch, tippt auf die Fernbedienung, um ohne Ton die flackernden Bilder irgendeines Liebesfilmes zu genießen, die sich ohnehin alle ähneln. Sie ist erschöpft wie lange nicht mehr, Christian würde »kreuzkaputt« sagen. Aber sie fühlt sich leichter, fast sogar ein wenig erleichtert. Sie nimmt ihr Handy und wirft einen Blick darauf.

Kein Anruf von Lou.

Sie runzelt die Stirn. Inzwischen muss sie die eingegangenen Anrufe und Nachrichten doch gesehen und abgehört haben. Sie tippt auf die Wahlwiederholung, abermals erreicht sie nur Lous Anrufbeantworter. Und erst jetzt bemerkt sie, dass sie keine Telefonnummer der WG hat, wenn diese überhaupt noch über einen klassischen Festnetzanschluss verfügt. Auch von den Mitbewohnerinnen weiß sie nichts, und deren Telefonnummern kennt sie erst recht nicht. Mit großen Schlucken leert sie ihren Kaffee, schaut wehmütig zum Fernseher, den sie wieder ausschaltet, und macht sich auf den Weg. Denn wenn sie es richtig sieht, hat seit gut acht oder neun Stunden niemand aus der Familie etwas von Lou gehört. Sicherlich ist diese Zeitspanne nicht ungewöhnlich, aber nach so einem Tag …

Anke sitzt am Küchentisch der WG . Das Licht der Lampe, die über ihr hängt, ist grauenvoll. Grell und ungemütlich, eines, das Migräne verursacht. Am Tisch stehen Milla und Nina, die beide, wie sie erfahren hat, Philosophie an der FU Berlin studieren. Anke schätzt sie etwas älter als Lou, auf ungefähr 22 bis 25. Ihr gegenüber sitzt Najla, die Hauptmieterin der Wohnung. Sie studiert Jura an der Humboldt-Uni. Anke nimmt sich vor, sich jede Information, die sie soeben erhalten hat, zu merken. Sie ist ein wenig stolz, mit was für interessanten Menschen ihre Tochter zusammenlebt.

Najla unterbricht Ankes Beobachtungen, indem sie mit den Fingern der linken Hand nervös auf dem Tisch herumzutrommeln beginnt. »Ich habe sie vorhin gesehen. Tatsächlich sah sie nicht gut aus.«

»Vielleicht ist sie bei Pete?«

Anke horcht auf. Christian hat so recht, niemand weiß irgendetwas über den anderen in der Familie. Sie weiß nichts von einem Pete. Im Gericht gibt es Akten von Betreuten, die kennt sie gefühlt auswendig. Und bei ihrer Tochter? Das wird anders!, beschließt sie. Wenn sie wissen, wo Lou ist, wird sie das ab heute anders handhaben.

»Hat eine von euch die Nummer?«, fragt Nina besorgt. Ihr sportlicher Körperbau und die Trainingsklamotten passen weder zu dem Bild, das Anke von ihrem Studiengang hat, noch zu dem weich klingenden Namen.

»Sie lag auf ihrem Tisch«, sagt Milla, dann zupft sie weiter an einer ihrer Haarsträhnen herum. Es sind alltägliche Bilder, aber Anke ist überzeugt, dass sich gerade jedes einzelne Detail für immer in ihre Erinnerungen einbrennt. Najlas abgeplatzter schwarzer Nagellack, der vergilbte Wochenplan am Kühlschrank.

Was macht sie, wenn Lou etwas passiert ist? Sie hastig oder gedankenverloren die Straße überquert hat und angefahren wurde? Anke schiebt den Gedanken sofort wieder beiseite.

»Dürfen wir in ihr Zimmer? Eigentlich haben wir das ausgeschlossen«, überlegt Najla inzwischen. »Aber das ist ein Notfall, oder?«

Sie nicken alle gleichzeitig.

»Ich habe eine Idee«, sagt Najla, und Anke kann sich genau vorstellen, wie sie später als Richterin mit ihr zusammenarbeitet. »Wir gehen zusammen ins Zimmer, schauen uns oberflächlich um, und dann gehen wir zusammen wieder raus. Das Zimmer wird wieder verschlossen. So können wir ihr, denke ich, am besten das Gefühl geben, ihre Privatsphäre so weit wie möglich gewahrt zu haben.«

Anke nickt erneut. Es sind andere Zeiten, durchfährt es sie, eindeutig. Bessere.

Wenige Minuten später öffnet Najla die Tür, und Anke möchte gern alles, was sie sieht, umarmen. Den Bogenhanf auf dem Schreibtisch, das zerknautschte Bettzeug, das T-Shirt über der Stuhllehne. Nur eines nicht: die Papierhaufen, die den Boden überziehen. Sie sind kreisförmig um einen kleinen Teppich angeordnet, und Anke kann sich vorstellen, wie Lou im Schneidersitz auf der freien Stelle, die deutlich erkennbar ist, gesessen und die Unterlagen gelesen hat.

Interessiert blickt Nina auf einen der Stapel. »Oh, macht sie das für die Uni?«

»Nein, das ist privat.« Anke lächelt, weil sie denkt, es könnte unfreundlich klingen, wie eine Gluckenmutter, die sagen will: Finger weg!

Sofort nimmt Nina Abstand, nickt verständnisvoll, und wieder spürt Anke die Begeisterung, wie gut es ihre Tochter in dieser WG getroffen hat.

»Ich habe ihn«, sagt Najla und nimmt einen Zettel vom Schreibtisch, auf dem eine Handynummer und der Name von Pete notiert sind. »Aber wer ruft da jetzt an?«, fragt sie in die Runde.

Milla zeigt auf den Schrank. »Ich nicht, aber ich sehe gerade, ihre Reisetasche fehlt.«

»Gut, machen wir es doch so: Vielleicht kennt ihr noch andere Freundinnen, die wir vorher anrufen können. Wir warten noch, bevor wir …« Anke zeigt auf den Zettel.

Najla grinst. »Ja, könnte unangenehm werden, für alle.« Dann erwidert sie Ankes Blick. »Mach dir keine Sorgen. Es geht ihr gut, da bin ich sicher.«

»Du hast keine Ahnung, was heute bei uns los war.« Anke seufzt.

Gemeinsam treten sie den Rückzug an, und Anke nimmt wieder am Küchentisch Platz.

Nina rührt einen Instantkaffee an. »Ich denke mal, das liegt in der Familie«, sagt sie, als sie den Becher mit einem Tetra-Pak Hafermilch vor Anke auf den Tisch stellt. »Wir werden jetzt die Freundinnen abtelefonieren, das machen wir aber, um uns nicht gegenseitig im Gespräch zu stören, in den Zimmern. Wenn du magst, kannst du hier warten.«

»Sehr gern.« Anke nickt, blickt auf die Telefonnummer von Pete, auf den Kaffee, die Holzmaserung des Tisches. Wieder Bilder, die sich einprägen werden.

Die jungen Frauen verschwinden. Anke bleibt zurück und nippt am Kaffee. Die plötzliche Stille umhüllt sie.

Das Klingeln ihres Telefons lässt sie zusammenzucken, hektisch schaut Anke auf das Display des Handys. Sie kennt die Nummer nicht, die Vorwahl sagt ihr, dass der Anrufer nicht aus Berlin ist. Sie nimmt, entgegen ihren Gewohnheiten, das Gespräch sofort an.

»Hallo?«

Anke presst das Telefon ans Ohr. Die Stimme eines alten Mannes. »Henning? Bist du es?«

»Ja, Anke, ich wollte dir nur sagen: Sie ist hier!«

Anke schnappt nach Luft. »Du meinst Lou? Sie ist – bei euch? In Rheinland-Pfalz?«

Henning lacht leise, es klingt nett. »Ja, sie stand vor der Tür, unangekündigt und sehr aufgewühlt. Sie hat Marietta erzählt, was los ist.«

»Oh Gott, da wäre ich nie draufgekommen. Danke! Vielen Dank, dass sie bei euch Unterschlupf gefunden hat, danke, dass du anrufst. Ich bin so erleichtert. Kann ich sie sprechen?«

»Sie schläft, sie war echt fix und fertig. Aber deine Nummer hat sie mir noch gegeben.«

»Sie hat so vieles in Bewegung versetzt, Henning, sagst du ihr das bitte morgen? Damit sie mich anruft? Es war wichtig, dass sie das angestoßen hat … Ich glaube, wir sind ihr dankbar.«

»Echt? Ihr seid dankbar?«

»Ja. So muss das sein: Die Jungen müssen den Alten doch manchmal …«, sie weiß nicht, wie sie den Satz vollenden soll.

»… in den Arsch treten?«, fragt Henning.

Anke grinst, und sie weiß, er kann es in ihrer Stimme hören. »Ja, genau das.«

»Sie macht sich große Vorwürfe, sie hätte sich wie die Stasi benommen und in anderer Menschen Leben herumgewühlt.«

»Das tut mir so leid«, sagt Anke leise. »Sie hat so hohe moralische Ansprüche an sich selbst, und das sind immer die bitteren Momente, wenn man merkt, man ist denen nicht gerecht geworden. Ich glaube, sie macht diese Erfahrung das erste Mal.«

»Gut, dann bin ich im Bilde. Mach dir keine Sorgen, die Lütte richten wir wieder auf. Die päppeln wir ein paar Tage, viel Frischluft und Spaziergänge, das wird schon wieder. Sie kann so lange bleiben, wie sie will.«

»Sag mal, hättet ihr, Marietta und du, vielleicht Lust, mal wieder nach Berlin zu kommen? Vielleicht mit Lou zusammen? Ich habe eine große Wohnung mit Gästezimmer, aber ihr könntet die auch allein haben, dann ziehe ich für ein paar Tage zu meinem Bruder. Ein Familienfrühstück, das wäre doch schön, oder?«

»Na, ich weiß nicht. Aber ich spreche mal mit Marietta, wir werden drüber nachdenken.« Anke nimmt die Rührung in seiner Stimme wahr. Sie verabschieden sich.

Anke trinkt den Kaffee aus, sagt den drei Frauen Bescheid, umarmt sie zum Dank, lässt den Zettel mit Petes Nummer auf dem Tisch liegen und geht.

Als sie zu Hause ihre Handtasche auf dem Küchenstuhl abstellt, fällt ihr Blick auf das Farbfoto des Kanarienvogels, angelehnt an den Salz- und Pfefferstreuer auf dem Tisch. Sie nimmt es und betrachtet Susi erneut, und erst jetzt bemerkt sie, dass sie selbst im Hintergrund auf dem Bild zu sehen ist – zwar nur im Anschnitt, aber sie lacht, ihre Augen blitzen vergnügt, und die Wangen sind gerötet, als wären sie vom Rennen oder Toben erhitzt. Anke bringt das gewellte Bild zu den Familienfotos die sie auf einer Kommode im Wohnzimmer stehen hat, und platziert es dort. Morgen wird sie einen Rahmen dafür suchen.

Und für einen Moment wünscht sich Anke sehnlichst wieder so einen kleinen Vogel. Aber noch während sie den Käfig schon im Wohnzimmer vor sich stehen sieht, schüttelt sie den Kopf.

Sie weiß, sie wird sich keinen Kanarienvogel mehr zulegen. Vermutlich würde sie dieses Mal nicht nur die Tür zum Käfig, sondern tatsächlich auch das Fenster öffnen.

Aber Lous Idee, die klingt seit Tagen in ihr nach: Einen Garten, den hätte sie gern. Mit den Händen in der Erde wühlen, Gemüse anpflanzen und ernten, die Nase ins Sonnenlicht halten, am Holztisch am Tagebuch weiterarbeiten. Eine Hängematte, aufgespannt zwischen Obstbäumen, in der sie Bücher liest und mittags schläft, bevor sie abends Freundinnen und Freunde zum Grillen einlädt. Und sonntags kommt die Familie zum Kaffee vorbei, natürlich gibt es Pflaumenkuchen mit dicken Streuseln, von denen sie schon vor dem Backen nascht. Und die Pflaumen sind aus eigener Ernte.

Und wie sie da so steht, mitten in der Nacht, in ihrem Wohnzimmer, spürt sie die Wärme der Morgensonne auf ihrer Haut, nimmt den herben Geruch der vom Nachtregen durchnässten Erde wahr, schmeckt die Süße der Pflaumen auf ihrer Zunge und kann es eigentlich kaum erwarten.

Ende