4.
Bei uns wird noch repariert
Hans-Jürgen:
Eins kann man wohl sagen, Holger: Andere machen es anders. Und über Erfahrung und Können entscheidet nicht zuletzt, in welcher Werkstatt einer seine Ausbildung gemacht hat.
Holger:
Stimmt. Es gibt große Unterschiede in der Ausbildung. Ob jemand zum Beispiel sein Gehör während der Lehre schult, hängt vom Betrieb ab. In einem Betrieb, wie wir ihn führen, tut er das, weil wir alle Autos sämtlicher Hersteller reparieren. Zu uns kommt einfach jeder.
Hans-Jürgen:
Besonders zu dir.
Holger:
Besonders zu mir. Kann ich jetzt gleich erzählen. Aber um bei der Ausbildung zu bleiben: Wir nehmen die Jungs obendrein auf Probefahrt mit, wir sagen denen: »Kommt, setzt euch rein und hört genau hin …« Auf diese Art lernen sie, verdächtige Töne herauszuhören und einzelne Geräusche zu unterscheiden. Aber wir zwei haben ja auch eine zusätzliche Motivation. Wir sind beide im Gesellenprüfungsausschuss, weil wir wollen, dass es mit unserem Gewerk weitergeht – und es geht nur dann weiter, wenn die Jungs wirklich Bock drauf haben, wenn sie beispielsweise Spaß an der Detektivarbeit der Fehlerdiagnose haben.
Hans-Jürgen:
Und Holgers Werkstatt ist der beste Nährboden für Spaß. Bei ihm ist die Kundenfrequenz viel höher als bei mir. Bei ihm landen deshalb auch Schäden, die bei mir nie landen würden. Da draußen im Süden von Köln habe ich das übliche Alltagsgeschäft, viele Inspektionen, normale Reparaturen. Die verrückten Geschichten spielen sich alle bei Holger ab.
Holger:
Bei mir geht es einfach turbulenter zu, weil ich alles annehme. Außerdem haben wir durch die Stadtnähe mehr zu tun. Jedenfalls kommt der ganze Wahnsinn zu mir: der Turbo, der auseinandergeflogen ist, der Klimakompressor, den es zerbröselt hat, der SUV
, mit dem die Fahrerin auf der Kreuzung beinahe Leute umgefahren hätte, weil vorn der Bremsschlauch durchgescheuert ist – kurz und gut: Die Extremfälle landen komischerweise immer bei mir.
Hans-Jürgen:
Ausgefallenes kriege ich erst gar nicht rein. Hier macht sich aber auch der Unterschied zwischen Stadt und Land bemerkbar.
Holger:
Obendrein trauen wir uns an alles ran. Ich liebe die schwierigen, komplizierten Fälle, da habe ich Lust drauf, die sind mein Ding. Deshalb schaffe ich auch laufend Spezialwerkzeug an, wie dieses Teil für die Zahnriemen-Instandsetzung. Kostet eine Stange Geld, lohnt sich aber auf Dauer, schon wegen der Eco-Boost-Motoren von Ford. Bei denen wird die Nockenwelle über einen in Öl laufenden Zahnriemen angetrieben, und wenn man es mit dem Ölwechsel nicht ganz genau nimmt, ist der Zahnriemen hin. Viele Autofahrer wissen das nicht und geben gern noch mal 5000 Kilometer zu …
Hans-Jürgen:
… oder nehmen nicht das vorgeschriebene Motoröl.
Holger:
Wie gesagt, es lohnt sich. Und dann gehen natürlich auch viele Fahrzeuge hier im Umkreis kaputt, weil wir ringsum Autobahnen haben. Der ADAC
kennt uns, der sagt gewöhnlich: »Bringen wir zum Parsch.« Bei mir auf dem Hof stehen Autos aus allen Landstrichen der Republik.
Gut, so sieht’s also im Maschinenraum der Firma Parsch aus; für Azubis ein Paradies. In einer markengebundenen Werkstatt – bei Audi, BMW
und so weiter – geht es dagegen völlig anders zu. Es werden zum einen gar nicht so viele Geräusche auftreten wie bei mir, weil die Fahrzeuge dort maximal vier Jahre alt sind – danach kommen ihre Besitzer nämlich in Werkstätten wie unsere, weil sie die immensen Kosten bei VW
und Co. scheuen –, und zum anderen ist die Ausbildung dort ausgesprochen spezialisiert und folglich einseitig.
Hans-Jürgen:
Die ziehen in der Ausbildung ihr Programm durch. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Aber Vertragswerkstätten unterliegen ganz anderen Zwängen. Als Azubi wirst du mal in diese Abteilung, mal in jene gesteckt, musst vielleicht kleine Teile anfertigen, aber an selbstständige Arbeit ist nicht zu denken. Du bleibst Handlanger, du arbeitest dem Gesellen zu. Bei mir dagegen … Ich weiß, wen ich als Lehrling bekomme. Ich habe das ganze Jahr über Praktikanten in meiner Werkstatt und kann mir aussuchen, wer anschließend bei mir die Ausbildung macht. Wenn ein Guter dabei ist, der sich gleich den richtigen Schraubenschlüssel greift, der genau weiß, was er braucht, und nicht zehnmal in die Werkzeugkiste langen muss, bis ihm endlich das passende Werkzeug in die Finger fällt – den nehme ich unter meine Fittiche, dem zeige ich alles, den lasse ich an alles ran.
Holger:
Ich habe jetzt gerade einen Mitarbeiter eingestellt, der bei BMW
gelernt hat, ein absoluter BMW
-Fachmann, der aber keinerlei praktische Ahnung von Autos anderen Hersteller hat. Kürzlich sollte er einen normalen Turbo bei einem Skoda aus- und einbauen, wofür zweieinhalb Stunden veranschlagt werden; mein Lehrling hätte ihm das vormachen können. Wie lange hat der BMW
-Mann gebraucht? Sechs Stunden. »Siehst du«, sage ich zu ihm, »deshalb bist du hier. Du hast eine Ausbildung bei BMW
gemacht, kannst aber sonst nix.« Er hat ein großes Fachwissen, er kann eine Menge erklären, in der praktischen Arbeit nützt ihm das allerdings oft wenig. Aber – noch zwei, drei Jahre bei uns, und der Mann ist richtig fit. Unsere Ansprüche, unsere Möglichkeiten und auch unsere Berufsauffassung sind eben ein wenig anders als die von herstellerabhängigen Betrieben.
Hans-Jürgen:
Was sich besonders krass im Werkstattalltag zeigt. Das ist auch der Punkt, weshalb wir als Autodoktoren so erfolgreich sind. Wenn du nämlich dein Auto in eine herstellergebundene Werkstatt bringst, geht der nächste freie Mitarbeiter hin, hängt seinen Stöpsel dran und sagt womöglich: »Im Fehlerspeicher ist nichts zu sehen.« Das heißt zwar nichts, aber dieser Mensch wird sich vielleicht trotzdem nicht die Mühe machen, weiter zu prüfen. Der hat vom Werk die Vorgabe: Wenn der Fehlerspeicher keinen Defekt anzeigt, Fehlersuche abbrechen! Natürlich gibt es auch Ausnahmen, aber so ist es aus unserer Sicht leider häufig.
Also: Gründlich prüfen ist in solchen Werkstätten oft keine Option, schon alleine wegen vieler Vorgaben und wegen des Zeitdrucks. Reparieren aber auch nicht! Defekte Teile werden gegen neue ausgetauscht, und basta. Klar, der Hersteller will seine Ersatzteile verkaufen, der will auch nicht, dass sich die Leute mit langwierigen Reparaturen aufhalten – es herrscht eben ein immenser Zeitdruck –, also wird lediglich ausgetauscht, und der Kunde darf zahlen.
Holger:
So, und wir finden Teileaustauschen doof. Wie übrigens einige andere, vor allem freie Werkstätten auch. Es kommt immer auf die Leute dort an, ob sie ihren Job mit Hingabe machen. Und da sind wir sicher nicht die Einzigen. Aber wir gehören dazu. Und wir reparieren – ob das nun zeitgemäß ist oder nicht. Wir reparieren so viel wie möglich, nicht nur vor der Kamera, auch im normalen Werkstattbetrieb. Das ist ein hoher Anspruch, wenn man bedenkt, dass ein Verbrennungsmotor ein Kunstwerk aus mindestens 1200 Einzelteilen darstellt, vom Rest gar nicht zu reden – Getriebe, Fahrgestell, Karosserie, Innenausstattung etc. Aber etwas zu löten, instand zu setzen, wieder funktionstüchtig zu machen, das ist spannend, das macht einen Riesenspaß, das ist keine tumbe Schrauberei, da arbeitet dein Grips auf Hochtouren, weil du dir immer wieder was einfallen lassen musst.
Natürlich kann man für 1200 Euro ein neues Steuergerät kaufen und einsetzen, natürlich funktioniert es dann wieder. Man kann sich aber auch fragen, ob man es nicht mit eigenen Mitteln hinkriegt, einen Schaden zu beheben. Bisweilen besorgen wir auch ein gebrauchtes Teil. Mit etwas Glück kostet die Reparatur den Besitzer dann 1000 Euro weniger.
Hans-Jürgen:
Holger, wenn ich dich unterbrechen darf … Kürzlich hatte ich ein Abgasrückführungsventil – innen total verschmockt und verkokt und verklebt.
Soll ich das säubern, sodass es hinterher wieder ordentlich funktioniert? Oder schmeiße ich das verdreckte Teil in die Tonne und hole ein neues? Das würde dann auch noch toll aussehen … und 350 Euro kosten! Nein, Unsinn, rausgeschmissenes Geld. Ich habe das alte Ventil gesäubert und wieder eingesetzt und dem Kunden gesagt: »Hält noch mal 40000 Kilometer.« Also, wenn die elektromagnetische Funktion vorher gegeben war, wird ein verklebtes Teil bei mir gründlich gereinigt und wieder eingesetzt.
Holger:
Klar – verschlissen ist verschlissen. Und auch wir müssen wirtschaftlich denken. Aber sonst gibt es fast immer die Möglichkeit zu reparieren, denn gekauft haben unsere Kunden bis dahin schon genug. Die waren ja in vielen Fällen mit ihren Fahrzeugen bereits in zwei, drei, manchmal fünf anderen Werkstätten und sind überglücklich, diesmal ungeschoren davonzukommen, weil wir noch reparieren – und ihr Auto hinterher tatsächlich wieder funktioniert. Und: Es gibt auch da draußen andere, die das ebenso machen wie wir und die vielleicht nicht so bekannt sind. Klar gibt es diese Werkstätten – die aber als Kunde zu finden, ist leider nicht so einfach. Wie oft haben wir erlebt, dass an einem Steuergerät bloß eine Lötstelle nachgelötet werden musste, und der Fehler war behoben – da hatten andere Firmen schon alle möglichen Steuergeräte im Umfeld erneuert. Solchen vom Schicksal gebeutelten Kunden drücken wir am Ende gern ein Stückchen Lötzinn in die Hand und sagen: »Hier – mehr war nicht nötig, um Ihr Fahrzeug wieder fit zu machen.«
Hans-Jürgen:
Holger, ich merke, du kommst in Fahrt. Sollen wir nicht jetzt, wo’s abenteuerlich wird, ein neues Kapitel anfangen?
Holger:
Mit Verlaub, noch eine kurze Geschichte … In den 90er-Jahren gab es regelmäßig Probleme mit dem Wischermotor der Mercedes-E-Klasse, damals 124er Baureihe. Diese Fahrzeuge hatten nur einen Wischerarm, der seltsame Verrenkungen vollführte, um oben in die Ecken der Frontscheibe zu kommen.
Hans-Jürgen:
Ja, genau – wenn du mit einem solchen Mercedes an der Ampel standst und die zweite Wischerstufe eingeschaltet hattest, wackelte das ganze Auto. Jedes Mal, wenn der Wischerarm in eine Ecke reinschoss, legte sich der Wagen auf die Seite – so groß war die Masse, die bewegt werden musste. Entsprechend hoch war der Verschleiß.
Holger:
Und an der Welle zwischen Wischermotor und Wischerarm saß ein Stift, der bei der ellipsenförmigen Bewegung des Wischers raus- und reinfuhr. Dieser Mechanismus war sehr anfällig, der verharzte schnell. Jetzt hätte man Wischermotor und Wischerarm nach der Devise »alt raus, neu rein« ersetzen können – inklusive Montage wäre ein Kunde dann mit 1000 DM
dabei gewesen. Es gab aber noch eine zweite Lösung: die Abdeckung abnehmen, ein kleines Loch in die Führung bohren – und dabei gut aufpassen, dass man nur ja nicht zu tief bohrt, weil man sonst die Welle erwischt! –, etwas Kriechöl einspritzen und das Loch anschließend mit einem Plastiknippel wasserdicht verschließen – Kaugummi tat’s aber auch –, schon nahm der Wischer seine Arbeit wieder klaglos auf. Klare Sache: 1000 DM
investieren oder ein paar Tropfen Öl reinträufeln? Die Kölner Taxifahrer haben sich damals für die zweite Lösung entschieden.