13.
Hinter den Kulissen der Autodoktoren
Hans-Jürgen: Halten wir fest: Lars war am Anfang keineswegs von uns überzeugt.
Holger: Was man verstehen kann. Er musste erst mal Vertrauen fassen. Es sollte zwar Unterhaltung sein, aber im Kern musste das Ganze richtig fachliche Substanz haben. Nicht nur irgendein austauschbares Fernsehprogramm. Der Laie sollte uns mögen und die Fehlersuche spannend finden und noch was lernen dabei. Und der Fachmann sollte im Idealfall anerkennend nicken. Das ist schon eine anspruchsvolle Mischung. Woher sollte Lars wissen, dass wir nicht zu den Schaumschlägern gehören? Und als das geklärt war, hatte er weiterhin seine liebe Not mit uns.
Hans-Jürgen: Heute hauen wir unsere Nummern nur so raus. Drei Minuten Film am Stück, ungeschnitten – kein Problem. Wir wissen instinktiv, auf welcher Position unser Kameramann ist und zu welcher Seite wir uns drehen müssen, damit der ganze Auftritt in einer fließenden Bewegung rüberkommt. Dazu gehört auch, dass wir fast jede Folge mit Darius drehen. Also Darius König. Er ist unser Stamm-Kameramann, mit ihm ist es beim Dreh manchmal wie bei einem Tanz. Wir verstehen uns blind. Die ersten Folgen waren es noch andere Kameraleute, dann hat Lars Darius mitgebracht – und das hat von Anfang an gepasst. Aber anfangs … Ich hatte keine Ahnung, was eine Halbtotale, was ein Zwischenschnitt, was eine amerikanische Einstellung ist – nie gehört. Und dann waren wir manchmal mit den einfachsten Szenen überfordert.
Holger: Ich werde nie vergessen, wie wir ein ums andere Mal die Geschichte mit der Batterie vermasselt haben. Wir sollten eine Batterie anschließen, jeder hatte zwei kurze Sätze dazu zu sagen, und kaum hatte der eine seinen Text über die Lippen gebracht, verhaspelte sich der andere. Also wieder von vorn – insgesamt 16-mal. Am Ende waren die Pole der Batterie vom ständigen Anklemmen und wieder Wegziehen regelrecht abgewetzt …
Hans-Jürgen: … und wir kamen uns wie die letzten Trottel vor. Was Lars immer wieder unerbittlich von uns verlangte: So zu reden, dass es jeder Laie versteht. Wir haben manchmal gar nicht mitgekriegt, wo der Unterschied lag zwischen dem, wie wir es sagten, und dem, wie wir es sagen sollten. Und er nahm die Szene nicht, ehe wir uns akribisch dran hielten. Diese Nervensäge hat uns also jedes Mal korrigiert. Mittlerweile haben wir es ziemlich verinnerlicht – und das ist auch gut so, denn wir hören immer wieder von Zuschauern: Bei euch versteht man die Erklärungen so gut.
Holger: Ja, peinlich. Nicht mal sprechen konnten wir … Also, wenn mir in dieser Anfangszeit jemand gesagt hätte, dass wir 13 Jahre später immer noch Filme drehen würden … Damals habe ich gedacht: Mensch, wäre es toll, mal ein ganzes Jahr lang Fernsehen zu machen! Und heute sind wir die Autodoktoren, bei aller Bescheidenheit wohl Deutschlands bekannteste Autoschrauber, und schreiben gerade ein Buch! Es ist verrückt. Und wiederum ganz normal …
Hans-Jürgen: Wir haben aber auch gleich richtig losgelegt, egal, wie oft eine Einstellung wiederholt werden musste. Unser Motto lautete von Anfang an: Volle Kraft voraus! Am Samstagmorgen um sieben Uhr gingen die Dreharbeiten los, am Sonntagmorgen um zwei Uhr waren die acht Minuten für einen Film endlich im Kasten. Für zwei Autos haben wir damals 15, 16 Stunden gebraucht – Darius hat dankenswerterweise mitgezogen. Ich meine, die Kamera wiegt irgendwas zwischen elf und zwölf Kilo. Hab die mal so viele Stunden auf der Schulter. Und immer scharf, richtig belichtet und nicht selten auch künstlerisch wertvolle Einstellungen dabei – das alles unter den Bedingungen. Danach sind wir in die Betten gefallen, standen aber Montag früh wieder kerzengerade in der Werkstatt.
Holger: Im Lauf der Zeit aber haben wir uns eingegroovt …
Hans-Jürgen: … wir brauchen heute nicht mehr so lange. Sind allerdings am Montagmorgen leicht angeschlagen – zugegeben.
Holger: Und diese Prozedur wiederholt sich 30-mal im Jahr. Wobei auch unsere Fälle mit der Zeit immer komplizierter geworden sind, folglich der Anspruch an uns selbst gewachsen ist. Irgendwann mussten es fürs Fernsehen immer kompliziertere Probleme sein. Es sollten auch möglichst unterschiedliche Defekte vorliegen. Und je mehr Geld ein Kunde bis dahin für sinnlose Reparaturen aus dem Fenster geworfen hatte, desto lieber war er uns. So wuchsen wir in die Sache hinein, mit dem erfreulichen Nebeneffekt, dass Hans-Jürgen und ich die besten Freunde wurden – immer mehr Filme, immer engere Freundschaft.
Hans-Jürgen: Wir harmonieren ja auch vor der Kamera: Bei mir schlafen die Zuschauer ein, bei Holger wachen sie wieder auf, das passte von Anfang an. Aber im Ernst: Ich bin eben der Ruhige, Bedächtige, und Holger ist der Überschwängliche, Aufgedrehte, und diese Kombination kommt gut an. Offen gesagt: Ich allein wäre zu langweilig, und Holger allein wäre zu anstrengend.
Holger: Was Hans-Jürgen damit sagen will: Wir ergänzen uns perfekt – nicht nur vor der Kamera, auch dahinter, wo wir dann übrigens zu dritt sind, weil Lars uns beiden auch privat ans Herz gewachsen ist und wir drei einfach Freunde geworden sind. Irgendwann haben wir beschlossen, auch gemeinsam Urlaub zu machen. Seither fahren wir einmal im Jahr zum Skilaufen in die Berge, sitzen abends so lange zusammen, bis das letzte Glas getrunken ist, und planen dabei noch die nächsten 30 Drehtermine fürs kommende Jahr.
Das meine ich, wenn ich sage: So verrückt die ganze Sache gelaufen ist, so normal kommt uns heute unser Autodoktoren-Leben vor. Das Team ist für jeden Einzelnen von uns zur Ersatzfamilie, fast zu einer Art Schicksalsgemeinschaft geworden. Natürlich haben wir außerhalb von Film und Werkstatt auch noch ein normales Leben, aber das eine spielt ins andere hinein. Es kommt ja vor, dass uns private Konflikte belasten – trotzdem wird gedreht, und dann heulen wir zwar nicht vor laufender Kamera los, aber es kann zu sehr emotionalen Momenten kommen.
Ich erinnere mich an eine Situation vor vielen Jahren. Damals gab es bei mir ein häusliches Drama, und es war keineswegs ausgemacht, dass meine Frau und ich noch mal die Kurve kriegen würden. Ich weiß noch, wie ich zu Lars sage: »Du, ich tauge im Augenblick zu gar nichts. Ich bin dermaßen durcheinander …« – und dann erlebe, wie viel Trost, wie viel Geborgenheit ein Team spenden kann. Kaum fangen die Dreharbeiten an, ist aller Kummer vergessen, und ich lege regelrecht befreit los. Allerdings – kaum haben sich alle verabschiedet, falle ich auch wieder in mich zusammen. Aber das Team hat mir in diesen Wochen wirklich Halt gegeben. Es ist großartig zu erleben, was alles möglich ist, wenn der Teamgeist stimmt, wie leicht man nämlich das Gejammer in seinem Kopf ausschalten und ganz ins Geschehen eintauchen kann – und wie selbstverständlich man aufgefangen wird, wenn man hinterher wieder zusammenbricht. Damals bin ich wirklich zwischen zwei Welten gependelt, der Welt des Films und der Welt meines häuslichen Dilemmas, gemeinhin Realität genannt.
Hans-Jürgen: Wir haben für diese besondere Stimmung im Team das Wort »Autodoktoren-Modus« geprägt, und der funktioniert in guten wie in schlechten Zeiten. Sobald unser Team vollzählig ist, geraten wir in diesen Zustand. Jeder weiß, wie der andere tickt, kennt dessen Schwächen, nimmt sie aufs Korn, darf sich aber auch darauf verlassen, dass jeder üble Scherz heimgezahlt wird.
Holger: Genauso ist es. Die Kamera wird eingeschaltet, und wir sind nicht mehr dieselben. Zeitweise geht es dann richtig deftig zu, es geht Schlag auf Schlag, und wir hauen uns Sachen um die Ohren, die im wirklichen Leben mit einer Duellforderung enden würden.
Hans-Jürgen: Sonderbarerweise ist es mit dieser ausgelassenen, aufgekratzten Existenzform im selben Augenblick vorbei, in dem die Kamera ausgeschaltet wird. Aber es ist wirklich so: Was wir in all den Jahren erlebt haben, hat uns zusammengeschweißt. Wir erleben uns immer in derselben Konstellation, und das hat zu einer traumwandlerischen Sicherheit im Umgang miteinander auch während der Dreharbeiten geführt. Wir wissen zum Beispiel oft nicht, wo sich Darius mit der Kamera gerade aufhält, wir können uns nicht dauernd nach ihm umgucken, aber er weiß, wie wir uns bewegen, wie wir uns zuarbeiten, und er folgt uns daher wie ein Schatten, ist immer genau da, wo die Musik spielt …
Holger: … und weiß auch im Voraus, wann ich einen Scherz auf Kosten meines verehrten Teamkollegen Hans-Jürgen Faul machen möchte. Wie Lars immer sagt: Für eine gute Pointe verkaufe ich meine Großmutter. Manchmal steigern wir uns auch rein. Werden ein bisschen grobschlächtig, verletzen auch mal die Grenzen des guten Geschmacks und reißen Witze, über die man eigentlich nicht lachen darf, aber wir sind halt im Autodoktoren-Modus, und solche Einlagen sind das Salz in der Suppe – da merkt auch der Zuschauer, dass es uns Spaß macht.
Hans-Jürgen: Der Spaß an der Sache war für uns von Anfang an der Anreiz, uns überhaupt auf die Autodoktoren einzulassen. Geld spielte eine Rolle, war aber nie unser Hauptmotiv.
Nur darf man es nicht übertreiben. Wenn man zu lange auf den Schwächen des anderen herumreitet, trübt es die Stimmung doch. Ich habe einmal die Devise ausgegeben: Lasst uns freundlicher miteinander umgehen. Seither ist es ein Running Gag: Zieht einer über den anderen her, unterbricht sich derjenige im nächsten Moment, schlägt sich an die Stirn und sagt: »Stopp, stimmt, wir wollten ja freundlicher zueinander sein …« Großes Gelächter.
Holger: Außerdem streuen wir auch mal gerne Bemerkungen zum Weltgeschehen ein. Englische Autos zum Beispiel können wir unmöglich kommentarlos reparieren, da muss etwas zum Brexit-Durcheinander auf der Insel gesagt werden. Natürlich vertreten wir immer unsere persönliche Meinung – es sei denn, wir nehmen uns die Deutsche Umwelthilfe vor. In dem Fall dürften wir das aussprechen, was der Großteil der Bevölkerung über diese Leute denkt.
Hans-Jürgen: Und dann passierte Folgendes: Es ist noch gar nicht lange her, da kam es mir so vor, als würden unsere Filme immer trockener. Meiner Ansicht nach war uns die Lustigkeit abhandengekommen; früher hatten wir jedenfalls mehr Blödsinn gemacht. Es gab dafür einen Grund. Der technische Anspruch an die Problem-Autos in unserer Sendung war mit der Zeit dermaßen gestiegen, dass wir uns voll und ganz auf die Arbeit am Fahrzeug konzentrieren mussten. Dadurch war die Anspannung während der Dreharbeiten so hoch, dass wir uns kaum noch Eskapaden erlaubt haben. Da habe ich gesagt: »Es macht mir keinen Spaß mehr. Ich möchte, dass die Fröhlichkeit zurückkehrt.«
Holger: Auch eine Folge der fortschreitenden Digitalisierung – alles wird komplizierter, unanschaulicher und folglich anstrengender. Aber Hans-Jürgen hatte vollkommen recht. Damals haben wir uns gefragt: Warum tun wir uns die ganze Arbeit eigentlich an? Doch deshalb, weil wir diese großartige Mischung aus Lust an der Filmerei, Spaß an der Technik und Freundschaft lieben. Wenn dann eine Zutat plötzlich fehlt, wird’s schwierig – wir sind eben verwöhnt. Gut, dass Hans-Jürgen damals den Mund aufgemacht hat. Es war nötig, uns alle ein bisschen aufzurütteln. Anschließend sind wir wieder lockerer an die Sache herangegangen. Danke für deinen Hinweis, Hans-Jürgen.