14.
Wenn’s knallt, war’s Holger
Holger: Was mir gerade auffällt, Hans-Jürgen: Autos kommen ja in vielen Filmen vor. Meistens werden sie nach einer wilden Verfolgungsjagd zu Schrott gefahren, und keiner kümmert sich mehr drum. Lars hat mit seiner tollen Idee den Spieß einfach umgedreht: Wir machen hier Filme, in denen schwächelnde Autos wieder flottgemacht werden.
Hans-Jürgen: Und damit es lustig bleibt, leisten wir uns zwischendurch auch mal spitze Bemerkungen zu einem Autohersteller. Das fällt bei uns unter Meinungsfreiheit, und außerdem – Spaß muss sein. Manche Hersteller fordern so einen Seitenhieb aber auch regelrecht heraus. Bei denen kann man sicher sein, einem bestimmten Fehler immer wieder zu begegnen. Alle anderen Hersteller haben das Problem im Griff, nur dieser eine nicht – jüngstes Beispiel: die Türschlösser von Audi. Jede Woche haben wir mindestens zwei Fälle dieser Art in der Werkstatt.
Holger: Ja, kleine Frechheiten erlauben wir uns. Ich bin aber davon überzeugt, dass die deutsche Ingenieurskunst ziemlich überwältigend ist – oder zumindest bis vor einigen Jahren war. Wir sind die Autoerfinder. Wir bauen in Deutschland sehr gute Autos. Das sieht man schon daran, dass sie von Autoherstellern in aller Welt kopiert werden. Anders sieht es aus, wenn wir die emotionale Seite in Betracht ziehen. Da erreichen italienische Autos Spitzenwerte. Als Techniker würde ich sagen: Na ja. Eher Durchschnitt … Aber Emotionen spielen bei Autos eine große Rolle, und eine italienische Auto isse eben eine italienische Auto. Hat einfach etwas mehr Charme in Combinazione mit Pfeffer.
Schönes Beispiel: Mein Alfa Romeo Spider, Baujahr 1972. Der hatte 131 PS . So stand es zumindest im Fahrzeugschein. In Wirklichkeit dürfte er nicht mehr als 100 PS gehabt haben, kam aber vom Fahrvergnügen her nahe an 130 PS heran, und wenn man es so genau nimmt wie ein italienischer Ingenieur, landet man bei 131 PS . Im Fahrzeugschein stand gewissermaßen die gefühlte PS -Zahl, und die ergibt sich aus der Leidenschaft des Konstrukteurs.
Hans-Jürgen: Ähnliches gilt für englische Autos. Der E-Type ist eine Legende. Der Aston Martin von 007 genauso. Dazu kommt die Exklusivität eines Rolls-Royce oder Bentleys. Wenn die Deutschen diesen puren Luxus sehen, denken sie: Fehlt uns ein bisschen, können wir aber auch – und bauen prompt den Maybach; für mich eine Rolls-Royce-Kopie mit Billigteilen.
Holger: Irgendwie ist es vielen Herstellern gelungen, traditionelle nationale Besonderheiten in die Gegenwart herüberzuretten. Ich habe aber keinen Zweifel, dass deutsche Autos technisch zum Besten gehören, was es gibt, und wir müssen es ja wissen. Schließlich ist es unser Job als Autodoktoren, ganz besonders genau hinzuschauen, schon weil wir dem Zuschauer innerhalb der Sendung zeigen wollen, wie ein Schaden aussieht und wie es dazu kommen konnte. Dann zerlegen wir womöglich ein defektes Teil komplett und sagen: »Guckt her, das ist der Grund« – und jetzt die Nahaufnahme. Die Sendung lebt doch nicht zuletzt davon, dass sich jeder mit eigenen Augen überzeugen kann: Tatsächlich, Fehler entdeckt!
Nun produzieren wir seit einigen Jahren auch YouTube-Filme. Das macht schon deshalb Spaß, weil wir uns hier so richtig entfalten können. Zum Beispiel dürfen wir auf YouTube in die Kamera gucken.
Hans-Jürgen: In die Kamera gucken und mit dem Zuschauer flirten, das gefällt Holger natürlich. Ich konnte mich schwer dran gewöhnen. Als Lars ganz am Anfang der Dreharbeiten fürs Fernsehen sagte: »… und ja nicht in die Kamera gucken!«, war mir das nur recht – prima, du machst einfach deinen Job weiter, die Kamera existiert für dich gar nicht. Das hat sich bei mir so eingebrannt, dass ich bei YouTube gern mal vergesse, dem Zuschauer in die Augen zu sehen.
Holger: Jedenfalls, YouTube ist lässiger, da gibt’s spontane Komikeinlagen, da kann man sich eher die besagten kleinen Frechheiten leisten, vor allem aber: Da haben wir viel mehr Zeit zu erklären, man darf sich auch mal versprechen. Im Fernsehen muss es geraffter, mehr auf den Punkt sein. Auch Versprecher sind da eher verpönt. Bei YouTube können wir einfach drauflosplaudern, da wird auch ganz anders geschnitten – unkomplizierter eben alles. Und mit diesem Mehr an Zeit kann man auch eine Vorstellung von der fantastischen Raffinesse moderner Technik vermitteln. Bei uns beiden kommen ja knapp 80 Jahre Erfahrung als Werkstattleiter zusammen, das ist unser großes Plus, und außerdem sind wir neugierig geblieben – also haben wir uns gesagt: Zurück in die Schulzeit und nachholen, was unsere Physik- und Chemielehrer damals an uns versäumt haben. Das heißt: nicht nur Fehler suchen und beheben, sondern obendrein zeigen, erklären, demonstrieren und experimentieren, es – wenn nötig – knallen, brennen und rauchen lassen. Das haben wir im Fernsehen angefangen und machen es bei YouTube unkomplizierter, manchmal spontan und mit weniger Vorbereitung weiter.
Hans-Jürgen: Ganz nach dem Motto der Autodoktoren: Man muss sich immer wieder was einfallen lassen!
Holger: Damit auch die Jungs in der Berufsschule ihren Spaß haben. Unsere Filme – die aus dem Fernsehen und aus YouTube – werden ja als Unterrichtsmaterial eingesetzt, denn nicht mal dort ist es üblich, Bauteile auseinanderzunehmen. Man zerlegt in der Berufsschule normalerweise keinen Bremskraftverstärker. Als Laie sowieso nicht! Aber wir kriegen eben viele Zuschauer darüber, dass sie erstmals ein Gefühl für die Technik bekommen. Einen Eindruck von dem, was sie tagtäglich benutzen, ohne auch nur einen Schimmer davon zu haben, wie es funktioniert. Und im Werkstattalltag wiederum kommt man sowieso nicht dazu, den schwarzen Klotz vorn im Auto aufzuschrauben und seine Einzelteile in Augenschein zu nehmen. Wir hingegen, wir haben die Zeit, wir haben die Erfahrung, wir haben auch die Möglichkeiten, das geheimnisvolle Innenleben bestimmter Bauteile zu erforschen und zum Beispiel einen Bremskraftverstärker »zum Sprechen« zu bringen … Wobei das von Anfang an auch das Konzept der Filme gewesen ist: Einerseits wollte Lars die an sich schon spannende Geschichte erzählen, ob die beiden Typen in den Latzhosen die Herausforderung meistern, das jeweilige Auto, an dem sich schon so viele vergeblich abgemüht hatten, wieder zum Laufen zu bringen. Andererseits bestand er auf Versuchsaufbauten, mit denen die Technik dann auch für den Laien verständlich vermittelt und verbildlicht wird. Und wenn der Fehler gefunden ist, fragt er seit jeher: Können wir das nicht aufschneiden und gucken, was da drin kaputt ist? Aber das machen wir mittlerweile sowieso – ist ja auch für uns spannend.
Hans-Jürgen: Anfangs kam Lars zu jedem Film mit mindestens einer Aufgabenstellung: Wie können wir das stöchiometrische Gemisch verbildlichen? Oder: »Wie funktioniert der Luftmassenmesser oder eben der Bremskraftverstärker?« Und dann kam er immer mit irgendwelchen Vorschlägen, und ich sagte dann: Sorry – das ist nicht umsetzbar. Holger aber war dann oft derjenige, der die von Lars in die Welt gesetzte Herausforderung annahm und anfing zu basteln und zu tüfteln, um einen guten Versuchsaufbau hinzukriegen. Mittlerweile machen Lars und Holger in den meisten Fällen die Versuchsaufbauten unter sich aus – ich kann mich da nicht so reindenken. Und da ist es beeindruckend zu sehen, was da immer wieder an Versuchsmodellen auf Holgers Mist heranwächst!
Holger: Das ist eben auch eine Seite von mir: Ich repariere gern, aber ich tüftele und baue auch gern. Seit jeher. Für die Versuchsaufbauten sitze ich oft zu Hause im Keller und denke mir was aus und bastele mir so lange was zurecht, bis es funktioniert.
Hans-Jürgen: Mir fehlt dazu die Fantasie. Aber ich bin froh, dass Holger immer wieder Geistesblitze hat.
Holger: Wie damals, als wir vorführen wollten, wie ein Selbstzünder funktioniert. Wie üblich begann es mit stundenlangem Grübeln und Experimentieren im Keller, und plötzlich die buchstäblich zündende Idee: Ich nehme ein dünnes Aluminiumrohr und verschließe das eine Ende. Durch die Öffnung am anderen Ende führe ich eine Metallstange ein, die so genau passt, dass sie luftdicht anliegt. Dann bohre ich von oben ein Loch in diese Stange, eine kleine Höhlung von 6 Millimetern Durchmesser und 5 Millimetern Tiefe, und stopfe Stofffetzen hinein. Wenn ich dieses Rohr jetzt – offenes Ende nach unten – mit aller Kraft auf einen Tisch haue, entsteht in dem Hohlraum eine solche Hitze, dass die Stofffetzen in Brand geraten. Da sieht jeder: Wenn man Luft schlagartig komprimiert, wird sie so heiß, dass sich brennbares Material entzündet. Derselbe Vorgang spielt sich in einem Dieselmotor ab: Kraftstoff wird eingespritzt, und im nächsten Moment komprimiert der Kolben die Luft im Zylinder mit solcher Geschwindigkeit, dass sich der Kraftstoff von selbst entzündet.
Hans-Jürgen: Oder ein anderes Beispiel: Wir stellen vier Reifen hin und zeichnen dazwischen die Funktionsweise eines Antiblockiersystems mit Kreide auf dem Hallenboden auf. Dabei entsteht ein Riesengemälde, und der Kameramann auf seiner Leiter muss die ganze Zeit auf Zack sein, der muss in jedem Augenblick wissen: Was macht der Holger gerade, wo ist er jetzt mit seiner Kreide? Wir können ein Gemälde dieser Größenordnung ja nicht fünfmal reproduzieren.
Holger: Einmal haben wir einen Schaltplan direkt auf die Straße gezeichnet. Am Ende war alles bemalt, als wären da Kinder mit ihren Kreidestiften zugange gewesen.
Eines Tages – Hans-Jürgen, du erinnerst dich – standen wir vor dem Problem, folgenden Sachverhalt zu veranschaulichen: Ein moderner Motor errechnet im Millisekundentakt das ideale Verhältnis von Luft zu Kraftstoff, nämlich 14,7 Kilogramm Luft zu 1 Kilogramm Kraftstoff. Dieses sogenannte stöchiometrische Gemisch füllt im Idealfall den Brennraum. Nicht mehr Kraftstoff, nicht mehr Luft. Nur so kommt es zu einer optimalen Verbrennung, sowohl, was die Power betrifft, als auch, was die Schadstoffminimierung angeht.
Hans-Jürgen: Es kommt im Leben ja immer aufs Mischungsverhältnis an.
Holger: Hans-Jürgen! Ich bin am Erklären. So, weiter … Abweichungen vom optimalen Gemisch in die eine oder andere Richtung ergeben entweder ein zu mageres oder aber ein zu fettes Gemisch, und nun wollten wir demonstrieren, was bei der Explosion dieser drei Gemischvarianten während des Verbrennungsvorgangs passiert – wobei wir wie immer vom Kenntnisstand des normalen Zuschauers ausgehen mussten. Wie macht man das? Wie stellt man das dar?
Also sagt Lars: Lass uns das doch ausprobieren! Und steht plötzlich mit drei riesigen Spritzen vor uns, die Tierärzte normalerweise für Pferde nutzen. Aber schon geil, weil: Wir haben mit der Spritze ja einen Kolben und einen Zylinder. Das war es, was Lars wollte. Und das reicht mir dann als Vorlage, ich schnapp mir die Spritzen und mach mich an die Bastelei. Am Ende hatten wir dann drei Spritzen mit einer Zündkerze drin, die über ein Blinkerrelais und eine Zündspule angetrieben werden. Eine wird mit magerem Gemisch (zu viel Sauerstoff) gefüllt, die nächste mit fettem Gemisch (zu viel Kraftstoff), die letzte mit stöchiometrischem Gemisch (ideales Mischungsverhältnis), und dann sieht jeder: Beim mageren und beim fetten Gemisch ist die Explosion in der Spritze eher lau. Aber beim stöchiometrischen Gemisch ist der Kolben der Spritze bestimmt 30 Meter durch Jürgens Halle geflogen.
Ähnliches haben wir auch schon mal mit Luftballons gezeigt, in die wir zu wenig, zu viel oder genau die richtige Menge an Benzin träufeln wollten. Wir nehmen also einen roten Luftballon, blasen ihn auf, geben durch einen Trichter drei Tropfen Kraftstoff hinein – und der Luftballon platzt. Das Gummi verträgt kein Benzin, die Haut ist bei billigen Luftballons zu dünn, wir brauchen einen Ballon aus strapazierfähigem Gummi … Ja, der ist brauchbar, der hält, die Versuchsanordnung steht, die Show kann beginnen.
Hans-Jürgen: Holger hält die Flamme vorsichtshalber weit von sich weg, bringt sie unter den Luftballon mit dem fetten Gemisch, und es knallt.
Holger: Eine veritable Verpuffung, mehr aber auch nicht. Vor allem aber breiten sich schwarze Qualmwolken aus. Also, das war die fette Mischung. Den Luftballon mit dem mageren Gemisch zerfetzt es sang- und klanglos, und beim stöchiometrischen Gemisch rumst es richtig – so klingt es, wenn die optimale Kraftstoff-Luft-Verbindung restlos verbrennt. Geschafft. Der Aufbau hat zwei Stunden gedauert, die Show war nach 20 Sekunden vorbei, aber – wer diesen 20 Sekunden beigewohnt hat, der wird nie mehr dumm gucken, wenn von »stöchiometrischem Gemisch« die Rede ist.
Was wir damit aber auch zeigen wollten: dass es ausgeklügelter Technik der Autobauer bedarf, das ideale Gemisch hinzukriegen. Die Umweltbedingungen ändern sich ja ständig. Bei warmen Temperaturen ist die Luft sauerstoffärmer, auch im Gebirge sinkt der Sauerstoffanteil – das ideale Gemisch muss daher immer wieder neu berechnet werden. Mopedfahrer kennen die Tücken der Umweltbedingungen von früher. Damals musste man einen Zweitakter in den Bergen mit der Hand nachjustieren, um den Kraftstoffanteil zu reduzieren, weil der Sauerstoff in den angesaugten Mengen nicht mehr ausreichte und somit das Gemisch eben nicht mehr stimmte. Ein moderner Motor macht das von sich aus, mit unfassbarer Präzision und, wie gesagt, im Millisekundentakt – absolut faszinierend.
Hans-Jürgen: Diese Demonstrationen machen jedenfalls viel Freude. Allerdings bereitet uns der technische Fortschritt mit der Digitalisierung und der Umstellung auf Elektrofahrzeuge zunehmend Kopfschmerzen. Ein Elektrikfehler ist sehr schwer darzustellen. Die Anschaulichkeit ist nicht mehr gegeben, dem Auge wird nichts mehr geboten. Eine Platine mit einer lockeren Lötstelle in die Kamera zu halten, das ist nicht gerade der Hammer.
Holger: Wir versuchen es trotzdem. Und finden gelegentlich doch anschauliche Lösungen. Wie führt man einen Kurzschluss vor? Mithilfe eines brennenden Kabelstrangs. Einer Platine wiederum kann man immerhin beim Durchbrennen zuschauen, indem man sie mit hohem Strom belegt. Wenn’s aber digital wird, sieht’s wirklich ziemlich finster aus.
Hans-Jürgen: Einmal haben wir uns ans Thema Datenbus gewagt. Heutige Fahrzeuge sind ja alle mit Datenbus-Systemen ausgerüstet. Das heißt: Es gibt eine Vielzahl von Steuergeräten, die sich über eine Ringleitung miteinander unterhalten, und es gibt ein Zentralsteuergerät, einen Hauptrechner, der diese Unterhaltung koordiniert. In der Praxis sieht das so aus: Der Wagenschlüssel gibt dem Fahrzeug den Befehl: Aufschließen! Dieses Signal wird vom Zentralsteuergerät empfangen, und das gibt es an das zuständige Steuergerät weiter mit der Aufforderung: Verarbeite dieses Signal und entriegele die Wagentür! Beim Druck auf den Startknopf oder beim Betätigen des Fensterhebers passiert das Gleiche, und so sprechen sich sämtliche Steuergeräte eines Autos permanent untereinander ab. Datenbus ist also der Begriff für die interne Kommunikation eines Fahrzeugs.
Holger: Genau. Vom Zentralsteuergerät gehen ständig Signale aus, doch nur dasjenige Steuergerät, das mit dem aktuellen Befehl gemeint ist, versteht es auch – die anderen verstehen nur Bahnhof und reagieren nicht. Nun haben wir uns Folgendes einfallen lassen: Der Kopfhörer eines iPhones wird an den Hauptrechner angeschlossen, und jetzt wird ein Zirpen, Summen und Pfeifen hörbar, als würde ein Roboter in alten Science-Fiction-Filmen losquasseln. Zu verstehen ist für uns natürlich nichts, wir lauschen ja gerade der Geheimsprache der Steuergeräte, aber wenn man diesen irren Tanz der Töne hörbar macht, hat der Zuschauer immerhin etwas erlebt. Digitale Technik ist zwar weiterhin eine trockene Angelegenheit, aber auf diese Art kommt doch ein Hauch von Sinnlichkeit in die Sache.
Bei Elektroautos hört es mit der Anschaulichkeit natürlich ganz auf. Aber das ist ein anderes Thema …